DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 25.08.2009 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Ortserkundungen Charlottengrad Das neue russische Berlin Von Aureliana Sorrento URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo Ansage Charlottengrad Das neue russische Berlin Ein Feature von Aureliana Sorrento Autorin: Blauweißrot prangt das Schild unter den Gleisen des S-Bahnhofs Berlin-Charlottenburg. "Rassija", in kyrillischen Großbuchstaben. Daneben eine bunt leuchtende Abbildung der Moskauer Vassilij-Kathedrale. Es ist das Ladenschild des russischen Supermarkts von Dig Vladimir am Stuttgarter Platz. Der großgewachsene Mann um die Dreißig schleppt gerade Kisten voll usbekischer Tomaten von einem Laster in seinen Laden. Atmo O-Ton Dig Vladimir: Diesen Laden haben wir seit vier Jahren aber sonst, ich arbeite in dieser Branche seit 15 Jahren schon. Ich bin mit 21 angefangen, ein russisch Laden, ersten Laden aufgemacht. Ich habe was gedacht, dass diese Ware fehlt für russische Leute hier, die Leute aus Russland vermissen diese ganze Sache. Und ich habe einfach Ideen gehabt. Atmo Autorin: Dig Vladimir und seine Familie gehören zu den 1,9 Millionen Aussiedlern, die zwischen 1991 und 2006 nach Deutschland gekommen sind. O-Ton Dig Vladimir Wir sind Wolga-Deutsche. (Lacht) Die sind alle gefahren nach Deutschland, wir sind auch gefahren. Da Leben ist ein bisschen schwieriger als hier. Alle Leute wollen ein Leben haben, was besser läuft. Autorin In Deutschland machte Dig Vladimir eine Ausbildung zum Tischler, entschied sich aber dann, einen Lebensmittelladen mit russischen Spezialitäten aufzumachen. In den Regalen und Tiefkühltruhen seines Ladens findet sich alles, was der russische Gaumen begehrt: Russischer Wodka, russischer Kaviar, Wurst, geräucherter, gefrorener und frischer Fisch, Pelmeni, Vareniki, Konserven, russische Bonbons, russische Plätzchen, voluminöse Kuchen und sogar die Käsesorten, die sich die Sowjetbürger einst aus dem verbündeten Polen liefern ließen. Musik O-Ton Dig Vladimir: Von unserer Heimat viele Leute haben das vermisst diese Ware und ich habe gedacht, es wird bestimmt laufen, wenn ich so einen Laden aufmache, in russischen Bezirken, wo wohnen ganz viele Russen. Naja. Wohnen ganz viele, ich habe auch nicht gedacht, dass so viele wohnen hier. Ich habe im Tierpark gearbeitet, in Lichtenberg, Spandau, überall habe ich schon versucht. Hier läuft am Besten ja, ich habe den besten Platz gefunden. Atmo Autorin: In der Tat scheint der westliche Bezirk Charlottenburg der bevorzugte Stadtteil der russischen Community in Berlin zu sein. Zwischen dem Stuttgarterplatz, der Kant- und der Bismarckstraße dominiert russische Geschäftstüchtigkeit das Straßenbild. Russische Lebensmittelgeschäfte, russische Buchhandlungen, russische Trödelläden, Kosmetik- und Friseursalons, die mit dem Aufdruck "Russian Style" für sich werben. Nicht, dass es in anderen Stadtteilen keine russischen Geschäfte gäbe, in den letzten zehn Jahren sind in ganz Berlin russische Geschäfte und Lokale aus dem Boden geschossen, aber... O- Ton Alexander Delphinov: ... die tauchen auf und gehen wieder weg, und hier bleiben sie, also die verschwinden nicht, ja die funktionieren hier seit Jahren, blühen sozusagen, die machen Renovierung und neue Design. Ich glaube, es gibt einen Mythos von Charlottenburg, und für viele Russischsprachige ist dieser Mythos irgendwie lebendig. Autorin: ...sagt Alexander Delphinov. Delphinov, halblanges Haar, blaues Stirnband, Cargohose, passt schon äußerlich nicht ganz ins gediegene Charlottenburg. Der 38-jährige Moskauer Dichter, Autor, Journalist, Rapper und Performer gilt als der große Organisator und Tausendsassa der russischen Kunstszene in Berlin. 2001 zog er in die deutsche Hauptstadt, jetzt lebt er mit seiner Familie im zentralen Bezirk Tiergarten, hegt aber keine Zweifel daran, dass der Berliner Stadtteil Charlottenburg für alle Russen, bzw. russischsprachigen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, eine besondere Rolle spielt. Denn nach der Oktoberrevolution von 1917 fanden über 300 000 russische Flüchtlinge in Berlin Zuflucht - die meisten von ihnen in Charlottenburg, das sie in das legendäre "Charlottengrad" verwandelten: gleichsam eine russische Kleinstadt, in der es russische Zeitungen, russische Buchhandlungen, russische Theater, russische Restaurants, russische Cafés und allerart russische Vereine gab. O-Ton Alexander Delphinov: Es gibt ein großer Mythos, russischer Berlin ist ein großer Mythos für uns, obwohl es auch heute nur die Reste davon zu finden sind von der alten russischen Emigration. Es ist nur der Mythos geblieben, aber der lebt weiter. Genau deswegen suchen viele Menschen hier Wohnungen und wollen hier leben, in Charlottenburg. O-Ton Karl Schlögel: Ich glaube, dass die Zahl der russischsprachigen Leute inzwischen viel größer ist als in den Zwanziger Jahren, aber es handelt sich um eine vollständig andere russische Präsenz. Nach 1917 und nach dem Bürgerkrieg war es, wenn man so will, die russische politische und kulturelle Elite, die sich hier niedergelassen hat, und die ja auch vor hatte, nach Russland zurückzukehren, sie war ja nicht gekommen, um hier zu bleiben, sondern es war eine Emigration mit dem Ziel, nach dem Sturz, wie sie glaubte, des Bolschewismus zurückzugehen. Autorin: Karl Schlögel ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/ Oder. Sein Buch "Das russische Berlin. Ostbahnhof Europas" gilt als Standardwerk. O-Ton Karl Schlögel: Heute ist es ja doch etwas ganz anderes. Ich glaube wir haben es mit einfach einer Präsenz von einer russischen Community zu tun wie in allen anderen großen Städten der Welt auch. Es gibt eine russische Community in London, es gibt eine in New York, in Paris und es handelt sich nicht um eine politische Emigration, die aus Russland geht, weil sie dort politisch oder kulturell nicht leben könnte, sondern, ich glaube, dass es im großen und ganzen eine ganz normale Erscheinung ist von internationalen oder globalen Städten. Also ich würde nicht sagen, dass das russische Berlin heute eine Wiederholung der russischen Emigration aus den 20er Jahren ist. Autorin: Nach Schätzungen der Industrie und Handelskammer Berlin leben gegenwärtig über 200 000 russischsprachige Zuwanderer in der deutschen Hauptstadt. Nach anderen Schätzungen schwankt die Zahl zwischen 100 000 und 300 000. Die Kammer, so deren für Internationales zuständige Mitarbeiterin Julia Eckey, zählt jedenfalls über 1000 Unternehmen und Gewerbetreibende aus den GUS-Staaten, die in Berlin tätig sind. Musik: Alexander Delphinov "Die Russen kommen" Atmo Autorin: Der Kurfürstendamm ist nach wie vor die luxuriöseste Einkaufsstraße Berlins. Dicht beieinander stehen hier die Boutiquen der weltweit bekannten Edelmarken Chanel, Bulgari, Gucci, Yves Saint Laurent. O-Ton Alexander Delphinov: Kudamm ist auch ein Mythos für Russen. Kudamm ist die Hauptstraße von Westberlin. Und Westberlin war zu der Zeit der Sowjetunion / eine kapitalistische Musterstadt. Westberlin hatte eine ganz besondere politische Bedeutung, klar. Alle wussten, dass Westberlin in Mitte der DDR liegt, ja, das war schon merkwürdig, eine parallele Welt quasi ja, das wurde immer diskutiert, das wurde auch in einigen Filmen - Westberlin, alle diese Spionenfilme. Also war Westberlin insgesamt ein Symbol. Ein Symbol des Westens, ein Symbol des Kapitalismus, offiziell war es ein Symbol des Böses, weil Kapitalismus als etwas Böses an sich galt, andererseits inoffiziell war es der Symbol des Wohlstandes und der Symbol des supergutes Lebens im Westen. Auch deswegen begann die Russifizierung der Kudamm begann noch vor der Wende. Viele Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die reich geworden sind, wenn sie nach Berlin kommen, wollen sie unbedingt den Kudamm besuchen sozusagen, die Straße entlang gehen und alle diese Boutiquen besuchen. Atmo Autorin: Bei Chanel an der Ecke Mommsenstraße läuft ein Werbefilm, in dem von "Mein Russland" die Rede ist. Im Schaufenster steht eine Puppe in Stiefeln und Jackett mit goldenen Adler-Knöpfen. Neben ihr hängt ein rundes Werbeschild mit der Inschrift Paris/Moskau und, in kyrillischen Lettern: Pariz/Moskva. Musik O-Ton Marjana Baranova: Viele die gerade aus Russland kommen, fühlen sich halt irgendwie einfach angenehmer oder geborgener, wenn sie merken, da ist eine russischsprachige Verkäuferin, mit der kann man sich halt auf eine andere Ebene unterhalten. Da kaufen die Kunden auch anders. Die sind gewillter was zu kaufen, weil du den Kunden mehr auf Russisch was erklären kannst, als wenn du auf gebrochen Englisch oder auf schlechtem Deutsch. Sie sind offener, sie lassen sich mehr führen, mehr zeigen, aufgrund dessen verkauft man auch einfach mehr. Deshalb ist in Berlin, fast in jedem Laden, der was auf sich hält, wird jedenfalls eine russischsprachige Verkäuferin drin sein. Autorin: Marjana Baranova ist Verkäuferin bei McM: am Kurfürstendamm 86 Atmo Kudamm O-Ton, Marjana Baranova Einerseits gibt es sehr viele in Berlin, viele Russen natürlich, sehr viele, die meisten wohnen auf dem Kudamm, hier in der Gegend, die wenigsten haben Häuser im Grunewald, in Lichterfelde, // und andererseits sehr viele, die, weil es nicht sehr weit ist, von Moskau oder Sankt Petersburg hierhin zu fliegen, Sankt Petersburg sind zwei Stunden, von Moskau drei Stunden. Und in Russland ist so, alles was hier kostet, kostet dort das Vierfache. So ist es für Leute, die Geld haben, wesentlich günstiger, ein Ticket zu kaufen, nach Berlin zu kommen und richtig einzukaufen, als dort zu kaufen. Musik Atmo Bismarckstraße Autorin Über die so genannten Neuen Russen, die Marjana Baranova bedient, und die man stets in exklusiver Designer-Roben über den Kurfürstendamm schlendern sieht, kursieren allerlei Gerüchte. Angeblich feiern sie ausschweifende Partys in Schlössern und Villen am Rande der Stadt oder in Kasernen, die die Rote Armee verlassen haben. Angeblich gibt es Veranstaltungsagenturen, die ausschließlich für sie arbeiten. Angeblich bekommen die Artisten, die bei ihren Festen auftreten, außerordentlich hohe Gagen. Alles Geschichten, die nur hinter vorgehaltener Hand erzählt werden. Die Neuen Russen scheuen die Öffentlichkeit und bleiben am Liebsten unter sich. O-Ton Rahr Der Mann arbeitet in Russland oder in der Ukraine, verdient dort sein Geld, zahlt möglicherweise Steuer dort, kommt hierher, hat seine Familie hier, die Frau lebt hier in Saus und Braus, hier zahlt er keine Steuer, weil er in Russland arbeitet, hat hier aber aus den von ihm aus Russland herausgebrachten Fluchtgeldern ein Haus gebaut, steckt seine Kinder in die besten Privatschulen, und solange das Wirtschaftswachstum in Russland läuft und er als kleiner oder großerer Oligarch in Russland dieses große Geld verdient, kann er dieses Leben wie im Schlaraffenland führen. Autorin Alexander Rahr ist bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik für den Bereich Russland/ Eurasien zuständig. O-Ton Rahr Diese Menschen haben im Leben Glück gehabt, es gab auch Gewinner, nicht nur Verlierer, vom Zusammenbruch der Sowjetunion, viele so genannte Betriebsdirektoren oder Menschen, die nah genug an der Macht waren, an den Geldern der Partei, nah genug an den Rohstoffquellen, haben weiterhin eine sehr gute Einkommensquelle und können in Reichtum leben. Und sie haben sich natürlich eine Stadt wie Berlin ausgesucht, wo das Leben schön ist, wo man notfalls auch ein soziales Trapez hat, wo es viele Russen gibt, wo es eine Nähe zu Russland gibt, man kann innerhalb von zwei Stunden nach Russland fliegen wieder zurückfliegen, so dass man hier gerne lebt. Aber diese Menschen sind ja hier auch nicht integriert. Sie sind hier, um das Leben zu genießen und Geld auszugeben, aber man sieht sie hier sehr oft auch recht unglücklich in kleinen geschlossenen Zirkeln, weil sie nach außen gesellschaftlich nicht wirken können und ihnen auch vieles versperrt bleibt. Auch sie leben in einer Zone der Schattenwirtschaft und wollen die Karten nicht immer auf den Tisch legen, um zu zeigen, wieviel Geld sie wirklich haben, verstecken sich vor den Behörden, so dass man auch nicht genau charakterisieren kann, wie typisch diese Gruppe ist, wie groß sie ist, wie vielfältig sie ist, und was ihre Interessen sind. Musik CD Auktion, Vse vertitsa, Track 4 oder Autorin Nach dem zu urteilen, was über ihn berichtet wird, dürfte Nicholas Werner ein typischer Neuer Russe sein. Sein Großraumbüro sollen drei Aquarien voller Piranhas schmücken, und im Verlagshaus soll er einen Übungsraum für den Boxkampf eingerichtet haben. Werner war 1998 einer der Stellvertreter von Gouverneur Alexander Lebed in der sibirischen Provinz Krasnojarsk; heute ist er Geschäftsführer und Alleininhaber der Werner Media Group mit Sitz in Berlin-Marienfelde. Sein Unternehmen ist Marktführer für russischsprachige Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland und Westeuropa, auch ein Fernsehmagazin mit Titel "Arena" gehört zum Konzern. Neben seinem Verlagshaus hat Werner einen russischen Supermarkt eröffnet, betreibt einen Versandhandel und eine Handelskette für osteuropäische Waren. Von 2001 bis 2005 sind die Jahresumsätze der Werner Media Group von 400 000 auf 15 Millionen Euro gestiegen. Woher Werner sein Geld hat, ist unbekannt. Von russischen Ermittlern, so der Spiegel im Dezember 2005, werde Nicholas Werner als "besonders effektiv und clever" beschrieben, und auch in Deutschland ist wiederholt Anzeige gegen ihn erstattet, aber nie ein Prozess eröffnet worden. Kein Wunder, dass Nicholas Werner nicht zu sprechen ist. Ein zunächst zugesagtes Interview sagte er ohne Angaben von Gründen wieder ab. Autorin Bernd Finger, der Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt in Berlin hatte im November 2008 gegenüber Journalisten erklärt, Berlin sei neben London und New York eines der drei Zentren der russischen Mafia. Zu einem Interview waren jetzt aber weder Vertreter des LKA`s noch des BKA`s bereit. Journalistische Nachforschungen könnten laufende Ermittlungen gefährden, hieß es in den Ablehnungsbescheiden. Außerdem seien alle für die Presse freigegebenen Informationen dem Bundeslagebild "Organisierte Kriminalität" des BKA aus dem Jahr 2007 zu entnehmen. Danach sind die Aktivitäten der "Russen-Mafia" in Deutschland inzwischen wieder rückläufig. Eine Diagnose, die mit den Eindrücken Karl Schlögels und Alexander Delphinovs übereinstimmt. O-Ton Karl Schlögel Ich glaube, die kommen hierher, um sich zu erholen. Berlin ist ein angenehmer Platz. Im Russischen, nennt man solche Orte Kurort. Berlin ist ein Kurort jenseits der Hektik. Moskau ist eine wahnsinnig teuere Stadt. In Berlin kann man sich alles erlauben, es ist eine sehr billige Stadt, eine sehr bequeme Stadt, eine sehr kleine Stadt im Verhältnis zu Moskau, es hat sehr viele Annehmlichkeiten. Ich würde sagen, Berlin ist ein Zweitwohnort für wohlhabende Russen. O-Ton Alexander Delphinov Man sagt so, es gibt Gerüchte oder Informationen aus unbekannten Quellen, dass Mitte der 90er Jahren gab es in Berlin ein Treffen, es war ein Treffen zwischen den Autoritäten-Kriminellen aus der ehemaligen Sowjetunion, und die haben Berlin zu neutralem Territorium erklärt. Das bedeutet: Hier macht man keine Geschäfte, hier kauft man Wohnungen, hier lässt man die Kinder zur Schule gehen, hier leben die Frauen, die Liebhaberinnen, oder weiß ich nicht, hier kommt man manchmal um sich zu relaxen und ein bisschen Ruhe zu kriegen. Soviel ich weiß, soviel es auch die Medien berichten, gibt es schon seit über 10 Jahren keine großen Rivalen zwischen den organisierten Banden, was Anfang der 90er Jahre der Fall war. Damals hat man noch in Berlin aufeinander geschossen und so, jetzt nicht mehr. Musik Pjotr Leschenko - Track 2 - Musenka - CD 1935 Tangos, Foxtrots & Romances 1 Min Autorin Als Berlin "Sankt Petersburg am Wittenbergplatz" genannt wurde oder, so von dem Schriftsteller Ilja Ehrenburg, "Die Stiefmutter unter den russischen Städten", waren es vor allem die russischen Zeitungen und Zeitschriften, die die kulturelle Relevanz der russischen Präsenz in der deutschen Hauptstadt verdeutlichten. Zur Blütezeit des russischen Berlin, also in den Jahren 1922 bis 1924, hatten alle intellektuellen und politischen Strömungen der aus dem revolutionären Russland geflohenen Emigranten ihr eigenes Organ. Auch heute werden in Berlin wieder zahlreiche russische Zeitungen verlegt, ihre kulturelle Bedeutung ist allerdings gering. Atmo Berlin Mitte Autorin Im Axel Springer Haus in der Rudi-Dutschke-Straße 8 befindet sich die Zentrale des Medienhauses RusMedia. Die RusMedia stellt den Hauptkonkurrenten der Werner Media Group auf dem russischsprachigen Zeitungsmarkt in Deutschland dar. O-Ton Irina Kotikova Wir haben die Zeitung Russki Berlin, das russische Berlin, wir haben die Zeitung Russkaja Germanja, was übersetzt russisches Deutschland bedeutet, wir haben nur Wochenausgaben, es gibt auch die Rheinskaja Gazeta, Rheinische Zeitung praktisch, das heißt wir haben Russkaja Germanja und verschiedene Regionen, Regionalbeilagen. Dann haben wir eine TV-Zeitschrift, das ist eine Familien-Zeitschrift, Unterhaltung, komplettes TV-Programm, auch für deutsche Fernsehkanäle, und auch die russischen, die man hier empfangen kann, und natürlich Interviews mit unseren Stars, also 7+7 Ja TV, dann haben wir seit kurzem die Zeitschrift Rezepti Sdarovja auf den Markt gebracht, monatlich erscheint es, 120 Seiten, und hier kann man viele verschiedene Tipps finden, wie man sich pflegt, wie man seine Gesundheit pflegt, und, alles über den Garten und über Diäten und auch Horoskope. Das ist das, was unsere Print - Palette betrifft, dann haben wir Radio, Russki Berlin, dazu vermarkten wir noch TV, also der erste russische Sender, heißt auch Channel one. Autorin Irina Kotikova war schon während ihres Studiums als Praktikantin bei der Rusmedia beschäftigt. Heute ist die 32-jährige, die 1996 mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Deutschland kam, die Pressesprecherin des Unternehmens. O-Ton Irina Kotikova Wir informieren, wir unterhalten und wir helfen dabei unserem Hörer, oder Leser sich hier zu integrieren. Diejenigen, die seit kurzem gekommen sind und noch nicht so gut Deutsch können, haben die Möglichkeit, alles, was sie betrifft, auf Russisch zu lesen oder zu hören und bekommen dann Tricks und Tipps, wo sie sich bewerben können, wie sie das richtig machen, wie sie die Steuererklärung ausfüllen. Sie können sich besser orientieren, insofern ist es kein Widerspruch zur Integration, sondern eher Unterstützung. Autorin RusMedia gehört zwar zur Hälfte einer in Riga ansässigen Firma namens "Baltmedia AG", aber Chefredakteur Boris Feldmann ist der eigentliche Gründer und Spiritus Rector des Unternehmens. Er wurde in Riga geboren, hat dort 15 Jahre lang als Journalist gearbeitet, und ist 1990 als jüdischer Kontingent-Flüchtling nach Berlin ausgewandert. Nach den Anfangsjahren, in denen er mit Expoert -Import-Geschäfte sein Geld verdiente, gründete er die erste russischsprachige Wochenzeitung in der deutschen Hauptstadt: "Russkij Berlin." Diesem Titel folgten weitere überregionale und regionale Zeitungen und Zeitschriften, die heute die Print-Palette der RusMedia ausmachen. Wie alles anfing, und wie es zum sensationellen Erfolg seiner Zeitungsgründung kam - darüber will Boris Feldmann kein Wort mehr verlieren: O-Ton Feldmann Das war vor 13 Jahren...langweilig, das ist eine ganz, ganz alte Geschichte. Wir sind 13 Jahre auf dem Markt, ja, wir sind ein bekannter Name, was soll ich erzählen? Autorin Der rundliche mittelgroße Mann mit einem Lausbubengesicht, wehrt jede Nachfrage ab. Er will lieber über seine Zielgruppe sprechen. O-Ton Feldmann Jetzt in Deutschland wohnen ungefähr 3,3 Millionen russischsprachige Leute. Wir haben vor drei Monaten mit Geschäftsführer von der SPD gesprochen und der hat uns gesagt, dass gibt es 2 Millionen Wähler mit russischem Akzent. Und diese Gruppe braucht auch Printmedien, auch TV. Die Gruppe ist so groß wie ein EU-Staat, wie zum Beispiel Lettland, Estland hat viel weniger Einwohner als die russischsprachige Gruppe in Deutschland. Die Hauptgruppe sind Russlanddeutsche, das sind ungefähr 3 Millionen Leute, dazu 300.000 jüdischer Herkunft und noch 20- oder dreißigtausend vielleicht diese Studenten oder Szenegruppe. Diese Auditorium kann man nicht erreichen mit einer Zeitung, das ist die wichtigste Antwort für diese 13 Jahre, deshalb haben wir eine große Palette gemacht.... Autorin Zu dieser Palette gehören inzwischen auch die Werberechte für das russische Kommunikationsportal "www.odnoklassniki.ru" - eine Web-Community mit über 30 Millionen registrierten Nutzern, davon 1,16 Millionen in Deutschland. Atmo Konzert von Mark Aizikovitch darüber Autorin Berlin Charlottenburg, Fasanenstr. 79. Im jüdischen Gemeindehaus tritt an diesem Dienstagnachmittag Mark Aizikovitsch auf, im Club der Kriegsveteranen. Der Saal, ein gar nicht so großes Zimmer mit niedriger Decke, runden Tischen und der Anmutung einer Kantine aus den fünfziger Jahren, ist voll mit Menschen, deren beste Jahre allem Anschein nach längst verstrichen sind. Mark Aizikovitch war in der Sowjetunion ein Star, als er 1990 nach Deutschland auswanderte. Er ist ein Star geblieben - zumindest für diejenigen, die ebenfalls in den Westen zogen, deren Wurzeln aber, wie der Sänger sagt, sich immer noch dort, jenseits der Grenze, befinden: Atmo Konzert Mark Aizikovitch tschto mi sdelali v naschem zisni mi sdelali tam... langsam unter dem Text verschwinden lassen. darüber Autorin Im Klub der Kriegsveteranen sind jüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion versammelt, die im Zweiten Weltkrieg als Mitglieder der Roten Armee gekämpft haben. So sieht es jedenfalls die Satzung vor. Tatsächlich dient der Club zuallererst den Witwen der alten Recken als Treffpunkt. Männer sind hier in der Minderzahl: hagere, kleine, ernsthafte Gestalten, die noch gebrechlicher wirken neben den quirligen und meist stark geschminkten Damen, die an den Tischen Kuchen essen und Kaffee trinken. Konzert Mark Aizikovitch darüber Autorin Mit Kaffeelöffelchen schlagen die Damen den Takt auf den Tischen, unter den Tischen wippen sie mit den Füßen. Mark Aizikovitch singt russische Lieder, jiddische Lieder und Klassiker, die alle Anwesenden kennen und mitsingen: Musikende Autorin Zirka 200 000 Menschen, in deren sowjetischen Pässen die Nationalitätsbezeichnung "Jude" stand, sind seit Anfang der 90er Jahre nach Deutschland eingewandert. In Berlin organisieren sich die russischsprachigen jüdischen Einwanderer vornehmlich in den Klubs, die rund um die jüdische Gemeinde entstanden sind. Neben dem Klub der Kriegsveteranen gibt es den Seniorentreff Achva, den Klub Moskau, den Klub Leningrad, den Klub Kiew, den Klub Odessa. In ihnen wird die Erinnerung an die untergegangene Welt "Sowjetunion" gepflegt. O-Ton Mark Aizikovitch Ich bin der Vertreter des jüdischen Volks in der ehemaligen Sowjetunion und da muss man verstehen, das ist ein ganz anderes Volk als die deutschen Juden, eine ganz andere Kultur. Die Religion ist die gleiche, aber die Kultur ist unterschiedlich. Ich denke meiner Meinung nach, die deutsche Kultur, und wenn ich sage deutsche Kultur, das heißt nicht nur deutsche sondern auch Türken auch verschiedene Nationen, die Leute die leben hier, und es gibt meiner Meinung nach ein Strauß von Blumen, in Berlin besonders, und die Blumen haben eigene Farben. Musik: Mark Aizikovitch Kum aher du filosof 18 Sek Atmo S-Bahn Autorin Gerta und Leonid Dantsiger nehmen an den Veranstaltungen im jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße oft und gerne teil. Sie wohnen am nördlichen Rand des Szene-Viertels Prenzlauer Berg. Ost-Berlin pur, grau, arm und freudlos. In der John-Schehr-Straße, nach dem kurzzeitigen KPD - Vorsitzenden benannt, haben Gerta und Leonid Dantsiger eine kleine Hochparterre-Wohnung bezogen. Sie liegt im Schatten der Bäume, die das noch unsanierte Arbeiter-Mietshaus umgeben. Eine Sammlung winziger Porzellanfiguren, die Gerta Dantsiger liebevoll vermehrt und in Vitrinen aufbewahrt, schmücken zwei Wände des Wohnzimmers. O-Ton Gerta Dantsiger Diese Sammlung, ich weiß nicht was das bedeutet, aber Erste ich habe gekauft diese...Ente am Flohmarkt, und dann habe ich am Flohmarkt habe ich gesehen noch zwei drei vier, und das ist schon fünf Jahren. Und jetzt ich habe 728 Stück, ich kaufe nur am Flohmarkt und das ist nicht teuer. Das ist meine Stolz. Autorin Gertas Ehemann Leonid nickt verständig. Er ist ein schmächtiger Mann mit gegerbtem Gesicht und den gütigen Augen eines versehentlich älter gewordenen Jungen. Gewöhnlich sitzt er am Computertisch neben einer Vitrine voll Porzellanfigürchen, da will er seine Lebensgeschichte auf Deutsch niederschreiben. Mit der fremden Sprache hat er zwar noch seine liebe Mühe, in der Ukraine hatte er Deutsch nur als wissenschaftliche Schriftsprache gelernt, lässt sich aber von den Verbesserungen seiner Frau nicht beirren: O-Ton Leonid Dantsiger Ich bin 80 Jahre alt. Geboren in Kiew und bis 1999 ich war in Kiew. Nachdem ich bin mit meiner Familie überzogen in Deutschland. Ursache in der Ukraine war Antisemitismus und explodiert in Tschernobil Reaktor. Autorin In Kiew war Gerta Dantsiger Ärztin in einem Krankenhaus, Leonid Dantsiger Verwaltungsangestellter. Als sie 1999 nach Deutschland zogen, waren sie beide schon zu alt für den hiesigen Arbeitsmarkt. Ihre Söhne, beide studierte Mathematiker und Programmierer, hatten hingegen keinerlei Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. O-Ton Gerta Dantsiger Mein Vater- er wurde erschossen im zweiten Weltkrieg, aber wir hören Radio und ich habe gehört für viele Leute in Deutschland ist nicht so schwere Antisemitismus als in der Ukraine und in Kiew. Autorin Deshalb beklagen sich Gerta und Leonid Dantsiger auch nicht darüber, dass sie von Sozialhilfe leben müssen. O-Ton Gerta Dantsiger Wir haben zu spät gekommen, kein Rente, nur Sozialhilfe - das heist Grundsicherung. Musik Spitfire - Rio-Rita - Track 11 CD Russendisco 8 Sek Atmo Im russischen Theater vor der Monstration für Artjom Loskutow Autorin Samstagabend. Im Russischen Theater Im Prenlzauer - Berg. Alexander Delphinov läuft geschäftig herum mit einer Narrenkappe auf dem Kopf. Das Theater, das er zusammen mit Petr Goriev führt, ist ein karger, dunkler Raum, den nur rote Vorhänge an den Wänden zieren. Es befindet sich im hintersten Winkel der zum Medien- und Kulturzentrum aufgemotzten "Kulturbrauerei". Hier wollen Alexander Delphinov und Petr Goriev ab September Konzerte, Theatervorstellungen, Lesungen und Poetry-Slam-Abende in russischer Sprache veranstalten. Jetzt geht es aber erst einmal um Politik. Der Künstler Artjom Loskutov wurde in Novosibirsk wegen illegalen Besitzes von 11 Gramm Mahrijuana verhaftet und angeklagt, das Gerichtsverfahren läuft. Ein Schein-Prozess zur Knebelung der freien Kunst und der freien Meinungsäußerung, meinen Loskutows Kollegen in Berlin. O-Ton Delphinov Und ich beginne jetzt ohne weitere Ansagen den Open-Stage, das heißt einige Künstler, die hier heute gekommen sind, um Artjom Loskutov zu unterstützen, werden hier auf diese Bühne gerufen. Atmo weiter darüber Autorin Delphinov und Goriev haben ihre Solidaritätsbekundung nach dem Muster der so genannten Flash-Mob-Monstrationen inszeniert, die sie aus ihrer Heimat kennen. Politische Aufmärsche, Kunst-Performances und Harlekinaden in Einem, eine Form des Protestes, die an Dada erinnert: Clownerie gegen den Konformismus, Sprachspielerei gegen die Willkür der Macht, künstlerischer Scharfsinn statt dumpfen Gehorsams, absurder Witz gegen die Sinnlosigkeit der Gewalt. Atmo Video-Musik im Theater "Sextremismus" Autorin Im Animationsfilm "Sextremismus" tanzen Milizionäre- und Babuschka-Püppchen nach den Klängen eines Lieds, das eine "Zentrale für Kampf gegen Extremismus", eine "Zentrale für Kampf gegen den Optimismus" und "Sex mit dem Extremismus" auf die Schippe nimmt: Anspielungen einerseits auf die massenhafte Verbreitung von Rechtsextremismus und Obskurantismus im heutigen Russland, andererseits auf das Putin-Medwedew-Regime, das Dissens als Extremismus kriminalisiert. Als dann Alexander Delphinov sein Gedicht "Einem starken Staatsmann" vorträgt, brauchen auch die deutschen Gäste nicht allzu viele Vorkenntnisse, um den Adressat seiner Satire zu erkennen: O-Ton Alexander Delphinov Gedicht-Vortrag "Einem starken Staatsmann" Es lebt ein hartnäckiger Bursche, Er tut sein gefährliches Job Und fühlt die unsichtbare Grenze - Die liegt zwischen "Starten!" und "Stop!". Ein Sportler, ein Vater, ein Bürger, Er kennt keinen Suff, keinen Puff. Er ist ein Artist von Berufung, Er ist Polizist vom Beruf. Er hat undurchdringliche Seele, Sein Körper ist richtig gestählt. Er wurde nach seinem Geheimdienst, zum ersten Minister erwählt. Es lebt ein gutmütiger Onkel, Der brachte uns Spiele und Brot. Er brauche dann keine Kanone, Er schießt mit den Augen dich tot. Er schleicht so geschickt wie ein Tiger Und windet sich so wie ein Aal. Hier braucht er gar kein Charisma - Gewinnt sowieso jede Wahl. Musik Animal Cops "Gippopotwist" 37 Sek Autor Alexander Delphinov kam 2001 als Hospitant einer Menschenrechtsorganisation nach Berlin. Dass er blieb, hatte zunächst private Gründe. Mittlerweile aber tragen auch die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Russland dazu bei, dass er nicht mehr an Rückkehr denkt. Musik ende darüber O-Ton Alexander Delphinov Russland ist drogensüchtig und diese Droge heißt Gewalt, und Aggression, und staatliche Gewalt und staatliche Aggression, und alle Menschen, alle einzelne Menschen machen dasselbe in ihren Familien, mit ihren Freunden, in ihrem Privatleben. Der russische Staat unterdrückt Menschen, und die Menschen unterdrücken sich auch gegeneinander. Das ist eine kranke Gesellschaft, die sich nicht erholen will, die will nicht mehr darüber wissen. Alle schlechten Sachen aus der Vergangenheit sind unterdrückt, im psychoanalytischen Sinne. Obwohl es nicht mehr geheim bleibt. Als Flashback in dieser Drogensucht kommt jetzt wieder diese ganze Scheiße aus der Sowjetzeiten aber auf einem neuen Niveau, mit Computern, mit Internet, mit Mobiltelefonen und mit viel Geld. Autorin In Berlin haben Alexander Delphinov und zwei Mitstreiter vor fünf Jahren den Verein "Hochkultura" gegründet, der Dichterlesungen, Poetry-Slams und Konzerte organisierte. Der Verein hat sich vor kurzem aufgelöst, aber Delphinov betätigt sich weiterhin als Katalysator der russischsprachigen Literaturszene in der deutschen Hauptstadt. O-Ton Alexander Delphinov In Berlin gibt es schon viele, bei uns bei Poetry-Slams waren bis zu 15 Teilnehmern und noch speziellen Gästen und noch waren Menschen, die auf die Bühne wollten aber nicht durften. Ja, ob alle gut sind, ist eine andere Frage. Aber in Berlin lebt zirka 200.000 russischsprachige Menschen, und viel Dichter davon, verschiedene, klassische Dichter wie zum Beispiel Vadim Fadin, der ist ein Patriarch sozusagen, Alexander Leikow, ...da sind so bekannte und ältere Dichter, klassische oder avantgardistische, dann gibt auch sehr junge Leute, auch Hip-Hop-Rapper und auch Straßendichter würde ich sagen, dann gibt es solche Menschen wie ich, ich bin ein Performance-Dichter, mit einer Rock- und Reggea-Vergangenheit. Autorin Ein Ort, an dem die russische Intelligenz regelmäßig zusammentrifft, ist im heutigen Berlin nicht auszumachen. Vor der Wende sei das noch anders gewesen meint der Schriftsteller Vladimir Wiedemann, der von 1988 bis 2006 in Berlin lebte, dann nach London zog, und gerade ein Buch über Berlin schreibt. O-Ton Vladimir Wiedemann Als ich nach Berlin kam, da ging es aber um Westberlin, da gab es einen interessanten Treffpunkt für russische Künstler, Café Hegel war da der Name, und da konnte man treffen russische Künstler. Da manche spielten Klavier, Gitarre und singten. Dann kam diese Mauerfall, und schon kamen neue Leute, in Prenzlberg meistens, immer mehr Künstler, aber ich würde sagen, es gab keine richtige russischen Treffpunkt. Nur wenn Zum Beispiel ein russischer Künstler macht eine Performance oder eine Ausstellung, dann kommen auch die anderen. Atmo Linienstraße Autorin Kein Treffpunkt, eher eine Anlaufstelle für jeden, der über zeitgenössische russische Kunst etwas erfahren möchte, ist die Galerie Sandmann in der Linienstraße 139. Eine Glasfront und drei schlichte weiße Räume, an deren Wände Bilder hängen, die sich einem bestimmten Stil schwer zuordnen lassen. Galeristin Marina Sandmann, eine grazile Dame von jener herzlichen Kultiviertheit, die an andere Zeiten erinnert, geht der Ruf voraus, sich außerordentlich gut auszukennen in der russischen Gegenwartskunst. Gebürtige Moskauerin, von Hause aus Historikerin, war sie die erste, die den Berliner ein breites Spektrum russischer Avantgarde-Künstler präsentierte, das auch die Unterschiede in den Emigrationswellen spiegelte. O-Ton Marina Sandmann In den 70er Jahren, dort, wo die erste Welle der Emigration aus Russland losging, da sind die Künstler emigriert, die politischen Künstler nach USA, die weniger politischen nach Frankreich, nach Paris, das war Oskar Rabin, etwas später Eduard Stejnberg, und einige anderen. Die nächste Welle kam in der Zeit von Gorbatschow, und das war keine Emigration mehr. Das war einfach: Die Möglichkeiten wurden genutzt, ein Atelier auch woanders zu haben. Und so kamen auch viele Konzeptkünstler in den Westen, In den 90er Jahren wiederum kamen ganz andere Künstler nach Deutschland, ganz junge Künstler, die überhaupt überall da sind, wo es aktiv ist, wo es spannend ist da ist zum Beispiel Kostroma, da ist die Kogneva, und jetzt leben sie hier in Berlin. Autorin Für Marina Sandmann ist es augenscheinlich: Nicht nur das Alter trennt jene russische Künstlergeneration, die vor der Perestroika oder während der Perestroika auswanderte, von den heute 30- bis 40jährigen, die sich in Berlin und auf dem internationalen Kunstmarkt etablieren. O-Ton Marina Sandmann Weil sie natürlich sehr international ausgerichtet sind. Und in ihren Techniken, in ihren Aussagen, in dem Stil, den sie wählen, es hätten genauso holländische Künstler oder englische Künstler sein können. Es ist anders als bei den Künstlern älterer Generation, weil die waren natürlich vorgeprägt, durch die ganze Vorentwicklung so stark, dass sie ihr Stil und ihr Land ständig im Rucksack oder im Gepäck hatten. Und das war schon ablesbar, von wo sie kommen, glaube ich. Im Unterschied zu den jüngeren Künstlern jetzt. Autorin Dies möge für bildende Künstler gelten, sagt Alexander Delphinov, aber nicht für ihn. O-Ton Alexander Delphinov Die Szene ist zersplittert, weil die Menschen verschiedene Meinungen haben, zu verschiedenen Richtungen gehören. Auch wenn wir uns als Weltbürger fühlen, bedeutet das nicht, dass wir Deutscher geworden sind oder Amerikaner. Ich wurde 30, als ich das Russland verlassen habe. Obwohl ich schon nicht nur in Russland blieb, ich habe auch andere Länder besucht, habe auch in Deutschland studiert, in Wien u.s.w. Ich bin schon irgendwie international. Ja, aber trotzdem ist es so: Ich trage mein Russland immer in meinem Rucksack. Den russischen Staat habe ich verlassen. Russland habe ich nicht verlassen. Trotzdem als jemand der eine Liebesgeschichte mit russischer Sprache hat, kann ich nicht ohne Russland diese Affäre weiter führen. Musik Alexander Delphinov Die Russen kommen 36 Sek Absage Charlottengrad Das neue russische Berlin Ein Feature von Aureliana Sorrento Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2009 Es sprach: Edda Fischer Ton und Technik: Hans Martin Renz und Jana Brandt Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Hermann Theißen Musikende 2