COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Beate Köhne Von Planstadt zu Planstadt Die erste deutsch-deutsche Städtepartnerschaft Eisenhüttenstadt - Saarlouis Deutschlandrundfahrt - Deutschlandradio Kultur Redaktion: Margarete Wohlan...........................................................10.4.2010 REGIE: Jingle und Kennmusik REGIE: O-TON 1: Dagmar Püschel - 6 sec. Das war eine absolute Überraschung. Euer Chor fährt nach Saarlouis. ... Ach Quatsch, sagte ich, das geht doch gar nicht, wie soll das funktionieren? REGIE: Kennmusik REGIE: O-TON 2: Peter Gäbges - 9 sec. Es war jedem eigentlich klar, dass das nicht geht, weil vorher schon Hunderte von Städten solche Anträge gestellt hatten. REGIE: Kennmusik REGIE: O-TON 3: Erich Pohl - 10 sec. Das war ja schon ein mächtiger Paukenschlag in den Alltag der Kommunalpolitik hinein, dass eine Delegation aus Eisenhüttenstadt nach Saarlouis kommt. REGIE: Kennmusik REGIE: O-TON 4: Horst Diewald - 5 sec. Man kannte sich ja nicht. Es war ja für uns fremdes Land, die ehemalige DDR. REGIE: Kennmusik (darüber) SPRECHER: Von Planstadt zu Planstadt Die erste deutsch-deutsche Städtepartnerschaft Eisenhüttenstadt - Saarlouis Eine Deutschlandrundfahrt mit Beate Köhne AUTORIN 1: Es ist Samstagmittag und es ist still. Auffallend still für eine Stadt mit 31.000 Einwohnern. Anstatt eines Kirchturms ragt ein Hochofen weithin sichtbar empor - Eisenhüttenstadt, der Name ist Programm. Die Stadt liegt direkt an der Oder zwischen Frankfurt und Guben, Berlin ist eineinhalb Zugstunden entfernt. REGIE O-TON 5: Ben Kaden - 21 sec. Man kommt nicht am Bahnhof an und sagt: Ach, was für ein toller Ort. Und wenn man nur oberflächlich guckt, dann kann schon der Eindruck entstehen, dass diese Stadt sehr unperfekt ist und vielleicht auch nicht so lebenswert. Aber wenn man hier eine Weile gewohnt hat, dann ändert man schon seinen Blick darauf. Für sehr viele ist es doch sehr positiv kodiert. AUTORIN 2: Ben Kaden hat mehrmals hingeguckt, und das legt er auch allen Besuchern nahe, die er am Bahnhof empfängt. Ben Kaden ist der moderne Stadtchronist: Seit vier Jahren schreibt er regelmäßig in einem Eisenhüttenstadt-Blog über seine Heimatstadt. Auch die von ihm mitbegründete Eisenhüttenstadt- Fangruppe auf Facebook wächst stetig. Dabei lebt der 33-Jährige schon lange in Berlin - wie so viele Jugendliche verließ er Eisenhüttenstadt bereits nach dem Abitur. Seine Heimatstadt hat ihn trotzdem nie ganz losgelassen. REGIE O-TON 6: Ben Kaden - 16 sec. Ich habe ja auch Stadtsoziologie studiert, bin also auch thematisch sehr interessiert und für die Stadtsoziologen gibt es ja kein besseres Laborobjekt als eine Planstadt, wo man sagen kann - zu der Zeit wurde sie gegründet, mit der Intention wurde sie gegründet und so hat sich die entwickelt. AUTORIN 3: Wo gibt es so etwas auch schon? Eine Stadt, entstanden am Reißbrett, durchgeplant von Wohnkomplex eins bis Wohnkomplex sieben, die einzige Stadt in Deutschland, die nach dem Zweiten Weltkrieg völlig neu gegründet wurde. Der Standort für EKO, das Eisenhüttenkombinat Ost, wurde mit Bedacht gewählt. Nahe Fürstenberg an der Oder, wo die Gegend strukturschwach war, der Boden sandig und karg, und die Bahn und der Oder-Spree-Kanal gleich nebenan, um die schweren Waren zu transportieren. Was fehlte waren die Arbeiter. Schon vor dem ersten Spatenstich im Jahr 1950 war klar: Hier musste nicht nur ein Werk, sondern eine ganze Stadt entstehen, und zwar für 30.000 Menschen. Die DDR war jung, die Wohnstadt wurde ihr Vorzeigeprojekt: Es ging dabei um mehr als nur um Wohnraum. Hier sollte eine neue Stadt für den neuen Menschen geschaffen werden. REGIE O-TON 7: Ben Kaden - 22 sec. Das hier ist mein Postkartenbuch, und es ist ja erstaunlich wie viele Ansichtskarten zu Eisenhüttenstadt es gibt, wie viele hergestellt wurden, weil sie ja Botschaften waren, die in die ganze Welt gingen und immer symbolisieren mussten: hier ist die sozialistische Stadt, war auch hinten aufgeschrieben noch mal, damit es auch niemand vergisst: Stalinstadt, die erste sozialistische Stadt Deutschlands. AUTORIN 4: Stalinstadt, so hieß die neu gegründete Stadt bis zur Umbennenung im Jahr 1961. Im Rest der Deutschen Demokratischen Republik galten die Bewohner als privilegiert und systemtreu. Letzteres stimmte nur bedingt. Viele junge Familien zog es an die Oder, weil sie hier ihre erste eigene Wohnung fanden, und das sogar mit Badezimmer. REGIE: O-TON 8: Ursula Krüger - 5 sec. In den ersten Wohnungen stand natürlich ein Badeofen, der beheizt werden musste, aber es war ein Badezimmer! REGIE O-TON 9: Rolf Micklich (leise Atmo Werk liegt drunter) - 9 sec. Und dann bekam ich von einer Kommilitonin den Hinweis: hier in Eisenhüttenstadt ist ein ganz neues Werk, viele Wohnungen werden da gebaut. REGIE: O-TON 10: Ben Kaden - 4 sec. Eisenhüttenstadt war natürlich als erste sozialistische Stadt privilegiert was so Versorgungszuteilungen anging. REGIE: O-TON 11: Ursula Krüger - 8 sec. Die Leute verdienten hier Geld, und mehr als anderswo un wenn man hier etwas nicht kriegte, dann brauchte man nicht groß zu laufen. AUTORIN 5: Es war also kein Zufall, dass gerade Eisenhüttenstadt als sozialistisches Vorzeigeprojekt auserwählt wurde für die erste Städtepartnerschaft mit der Bundesrepublik. Im Dezember 1984 war im Stadtrat von Saarlouis im Saarland einstimmig beschlossen worden eine solche Partnerschaft anzustreben. Das sorgte für Wirbel - in Ost wie West. REGIE O-TON 12: Erich Pohl - 14 sec. Das hatte sich ja mittlerweile so herum gesprochen in der gesamten Bundesrepublik, dass hier eine kleine Stadt wie Saarlouis mit rund 40000 Einwohnern den Versuch macht, eine Partnerschaft auf den Weg zu bringen, aber man war der Meinung: mit der DDR ist das nicht zu machen, da kommen wir nicht hin. AUTORIN 6: Erich Pohl, heute 81 Jahre alt, war damals Kulturverantwortlicher im Saarlouiser Stadtrat. Er saß bei allen Verhandlungen mit am Tisch, er war schließlich auch dabei, als sich 1986 die erste Delegation auf den 850 Kilometer langen Weg gen Osten machte. Ein Gespräch von Saarländer zu Saarländer hatte die Fahrt erst möglich gemacht: Im November 1985 besuchte der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine den im Saarland geborenen DDR- Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Danach konnte verhandelt werden. REGIE O-TON 13: Erich Pohl - 22 sec. Das war ja auch bei uns: Was kommt da auf uns zu, wie wollen die mit uns verhandeln, was erwarten die von uns, wir hatten ja nur das Beispiel von Saint-Nazaire auf der französischen Seite, wo auch in der Urkunde, die hängt hier - von Frieden und sich vertragen und Freundschaft steht da auch alles drin - aber da hat sich damals keiner drum gekümmert, was wir dann damit machten. AUTORIN 7: Nicht nur die DDR feilschte um jede Formulierung im Partnerschaftsvertrag. Auch in der Bundesrepublik wurden die Aktivitäten in Saarlouis argwöhnisch beäugt. Erich Pohl sitzt in seinem Arbeitszimmer in Saarlouis im beigefarbenen Ledersessel. An der Wand hängt gerahmt die Partnerschaftsvereinbarung von 1986. Sie haben es schließlich geschafft - und der Stolz darüber ist Erich Pohl heute noch deutlich anzumerken. REGIE O-TON 14: Erich Pohl - 33 sec. Nun dieser Vertrag, diese Urkunde, wurde natürlich in der BRD von verschiedenen Parteien, oder vor allem von einer Partei, der FDP, wurde die natürlich zerrissen. Wir hätten uns Dinge angemaßt, die sich nicht gehören, das wäre nicht unsere Aufgabe. Wir sollten uns auf unsere kommunalpolitischen Dinge, mit der Wasserversorgung, darauf sollten wir uns beschränken, das wäre unsere Aufgabe und nicht anderes, was dem Außenministerium vorbehalten bliebe. Wir haben darüber gelacht und sind unseren eigenen Weg gegangen. Und dieser Weg war von Erfolg gekrönt. MUSIK 1 Interpret: Mariachis and Ivo Lotion Titel: Eisenhüttenstadt CD: Track: Single Komponist: k.A. Text: k.A. LC/Best.-Nr.: Blue Satyr/Zyx SPRECHER 1: "Es ist die Absicht, in diesem Sinne den politischen Dialog zwischen den Bürgern beider Partnerstädte zu fördern und ungeachtet unterschiedlicher gesellschaftlicher Auffassungen mit allen Kräften für eine friedliche Zukunft und für das Wohl der Menschen zu wirken." AUTORIN 8: So steht es in der Vereinbarung, die schließlich am 19. September 1986 von den Oberbürgermeistern von Saarlouis und Eisenhüttenstadt unterzeichnet wurde. Zuvor war bereits der Volkschor aus Eisenhüttenstadt im Saarland gewesen. Heute findet Dagmar Püschel als Bürgermeisterin von Eisenhüttenstadt kaum noch Zeit zum Singen. Damals durfte die Lehrerin mit der ersten Delegation nach Saarlouis reisen. Ihr Mann hatte die gute Nachricht schon bei der Arbeit gehört. REGIE O-TON 15: Dagmar Püschel - 44 sec. Das war eine absolute Überraschung. Er kam von der Spätschicht und sagte, du der Chor, euer Chor, fährt nach Saarlouis. Und ich sagte: Quatsch, das geht doch gar nicht, wie soll das funktionieren. Und zur nächsten Chorprobe, das war immer montags, bin ich ins Pionierhaus gegangen, heute Kulturzentrum. Und im ersten Raum saß ein Fotograf, der hat ein Foto gemacht für den Pass und dann wurden wir noch geschult, wurden uns ein paar Verhaltensregeln erklärt (lacht), ja und dann sind wir wirklich losgefahren. Ich konnt' es gar nicht fassen als ich dann den Pass in der Hand hatte und wir haben auch noch 60 D-Mark bekommen, das war schon was ganz Außergewöhnliches. AUTORIN 9: Verhaltensmaßregeln: Private Kontakte seien tabu, hieß es für die Sängerinnen und Sänger. Bis zum Fall der Mauer sollten die Partnerstädte darüber diskutieren. Die Saarlouiser wären auch gern privat untergekommen - nicht nur um Hotelkosten zu sparen. REGIE O-TON 16: Erich Pohl - 32 sec. Unser Programm in Eisenhüttenstadt ging morgens um acht los und war abends mit dem Abendessen nicht richtig auf, auch da blieben wir meistens zusammen oder sollten zusammen bleiben. Das waren so Dinge, die uns missfallen haben. Wir hätten noch gern die Stadt auf eigene Art erkundigt, aber wir waren eingebunden von morgens bis abends. AUTORIN 10: Zwölf Besuche pro Jahr wurden vereinbart. Erich Pohl war für die Organisation in Saarlouis zuständig. Sportlerdelegationen sollten eingeladen werden, Kulturvereine, Ärzte oder Fachleute aus dem Bauwesen. Manfred Sader, der damalige Oberbürgermeister von Eisenhüttenstadt, äußerte sich einen Tag vor der Unterzeichnung der Vereinbarung im Rias: REGIE O-TON 17: Manfred Sader - 0'47 Herr Doktor Sader, sehen Sie irgendwann einmal auch die Möglichkeit von Individualreisen, d.h. nicht von Gruppenreisen oder von offiziellen Delegationen? Sader: Ja, wissen Sie, das ist eine etwas spekulative Frage, auf die ich eigentlich nicht antworten - oder nicht gerne antworte besser gesagt. Aber die Meinung dazu ist eigentlich ganz einfach. Die Beziehungen zwischen unseren beiden Städten, die werden sich so gut entwickeln wie sich die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten entwickeln. Das ist die eine Seite. Und die andere Seite ist: wir sind davon überzeugt, dass gute städtepartnerschaftliche Beziehungen zwischen Eisenhüttenstadt und Saarlouis durchaus einen Beitrag leisten können, damit sich eben die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten erfolgreich und zum Guten entwickeln. REGIE ATMO 1: Saarlouis, Fußgängerzone (darüber) AUTORIN 11: Der Besuch des Chores, an den sich hier wie dort alle gern erinnern, galt daher als gelungener Auftakt. REGIE O-TON 18: Dagmar Püschel - 29 sec. Es war eine völlig fremde Welt. Das Konsumangebot hat mich überrascht, die Gastfreundschaft fand ich auch ganz toll, unser Bus ging kaputt, wir mussten dann in so einer Kaschemme sitzen und warten bis ein neuer Bus kam, und waren dann mitten in der Nacht hier um zwei oder um drei, und haben gedacht, na, ob uns da jetzt noch jemand empfängt zu dieser Zeit, - aber es war überwältigend. AUTORIN 12: Weltoffen seien sie, die Saarländer, so heißt es. Vor allem sind sie draußen in ihrer Stadt unterwegs, ganz anders als im weitläufigen Eisenhüttenstadt, wo nur selten Passanten flanieren. In den engen Gassen der Saarlouiser Altstadt findet man allein räumlich schnell zueinander. REGIE O-TON 19: Michael Krüger/Carmen Krüger - 30 sec. Michael: So vom Stadtkern hatten wir das ja von Eisenhüttenstadt gar nicht gekannt, diese Fußgängerzone mit den vielen engen Gassen und den vielen Geschäften und Kneipen, wo dann auch wirklich da das Leben am Toben war. Carmen: Sobald es einen Strahl Sonne gibt sitzen hier alle draußen in den Cafés. Das fällt jedem auf, der von außerhalb hierher kommt. REGIE: ATMO 1 abblenden AUTORIN 13: Carmen und Michael Krüger sitzen heute auf ihrem Ecksofa - daheim in Saarbrücken-Ensheim. In ihrem Einfamilienhaus scheint die Frühjahrssonne durch die verglaste Wand zum Garten, die Beete sind gepflegt, auf dem Couchtisch liegen fünf Fernbedienungen. Die Steuerfachwirtin und der Bauingenieur haben sich beim Partner- Treffen der Tischtennismannschaften erstmals gesehen. REGIE O-TON 20: Michael und Carmen Krüger - 30ec. Michael: Die erste Fahrt war von Eisenhüttenstadt nach Saarlouis, und mit der nächsten Tour 1991, da war ich dann auch erstmals dabei. Und da haben wir uns kennen gelernt bei einer Fahrt. Carmen: Ich spiele seit 1988 in Saarlouis-Fraulautern Tischtennis, und 91 war die Fahrt nach Saint-Nazaire, und die andere Partnerstadt, Eisenhüttenstadt, kam zuerst nach Saarlouis, dann sind wir gemeinsam weiter gefahren nach Saint- Nazaire, und da haben wir uns kennen gelernt (lacht). AUTORIN 14: Bauingenieur Michael Krüger hatte gerade sein Studium beendet und war auf Jobsuche. Von Saarlouis hatte er schon viel gehört - sein Bruder war als Mitglied des Eisenhüttenstädter Filmclubs bereits in der Partnerstadt gewesen. So fand Michael Krüger 1991 auch über den Filmclub Saarlouis seine erste Unterkunft. Über den Tischtennisverein TTSV Saarlouis-Fraulautern, in dem Carmen und er noch immer aktiv sind, entstand der erste Kontakt zu jener Baufirma, in der der Ingenieur noch heute arbeitet. 1997 haben die Saarländerin und der Eisenhüttenstädter geheiratet. MUSIK 2 Interpret: Jordi Savall & Le Concert des Nations 1:51 Titel: Le divertissement du Roi/les hommes et femmes armés CD: Le Concert des Nations Track: Komponist: Jean-Baptiste Lully Text: LC/Best.-Nr.: 13943 ALIA VOX REGIE O-TON 21: Benedikt Loew - 20 sec. Also wir sehen hier die komplette Festungsanlage der Festungsstadt Saarlouis in ihrem Zustand um 1700. Das betone ich ausdrücklich, weil die Stadt ja in ihrer Geschichte ihren Besitzer gewechselt, hat, nach der endgültigen Niederlage von Napoleon kam die Festung ja zu Preußen, und die haben die noch mal ausgebaut. AUTORIN 15: Genau wie seine brandenburgische Partnerstadt Eisenhüttenstadt entstand Saarlouis am Reißbrett, von Festungsmauer zu Festungsmauer komplett durchgeplant. Museumsleiter Benedikt Loew, Leiter des Städtischen Museums von Saarlouis zeigt am Modell die sechseckige Sternform, für die sich Baumeister Sébastien Le Prestre de Vauban entschieden hatte. In jeder der sechs Ecken befand sich eine Bastion mitsamt Kanonen. Der Große Markt, einst Paradeplatz, war das Herzstück der Anlage. Eine Planstadt im klassischen Sinne ist Saarlouis natürlich nicht. Doch als Ludwig der XIV., der Sonnenkönig, sich dafür entschied, eine Festungsstadt an der Saar zu gründen, verfolgte er strategische Pläne. Seit dem Frieden von Nijmwegen 1679 gehörte Lothringen zu Frankreich. Die neu zu gründende Stadt sollte die neue Ostgrenze schützen. REGIE O-TON 22: Benedikt Loew - 22 sec. Nach sechs Jahren wurde die Festung für vollendet erklärt, aber eigentlich wurde an der Festung immer gebaut. Man weiß auch, dass die Festung auch aus politischen Gründen sehr schnell gebaut wurde, hastig könnte man sagen. Aus Geldmangel wurde auch teilweise minderwertiges Material verwendet, so dass eigentlich immer an der Festung gebaut wurde. REGIE: ATMO 2 Städtisches Museum AUTORIN 16: Museumsleiter Benedikt Loew bedauert, dass von der Festungsanlage - außer dem sechseckigen Grundriss der Innenstadt - kaum noch etwas erhalten ist. Erst der Abriss ihrer Mauern ermöglichte den Bürgern, die Stadt zu erweitern. Im Obergeschoss des Städtischen Museums ist die wechselvolle Geschichte der Festungsstadt im Film zu sehen, dank digitaler Technik sogar mitsamt der Festung selber. REGIE: ATMO 2 Städtisches Museum hochziehen REGIE: ATMO 2 abblenden AUTORIN 17: Saarlouis gilt als eines der größten zusammenhängenden Denkmäler des Wiederaufbaus in Deutschland. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt stark zerstört. Jetzt steht auch hier - genau wie in der Partnerstadt Eisenhüttenstadt - ein Großteil der Innenstadt unter Denkmalschutz. REGIE: O-TON 23: Französische Stadtführung (23sec.) Französischer Text.... Kurz freistehen, dann abblenden AUTORIN 18: Stadtführer Gilbert Jaeck zeigt heute französischen Gymnasiasten seine Wahlheimatstadt. Sie waren bereits im Rathaus und haben sich die Vauban-Büste angeschaut, jetzt stehen sie vor dem Vauban- Restaurant in den Kasematten. An Vauban, dem Festungs- Baumeister, kommt in Saarlouis keiner vorbei ebenso wenig wie an den Ford-Werken und der Schokoladenfabrik Ludwig. Die prägen heute den Ort, sie sind die beiden großen Arbeitgeber der Stadt. Viele Saarlouiser arbeiten auch in der benachbarten Dillinger Hütte. Auch die inzwischen stillgelegte Völklinger Hütte liegt gleich nebenan - genau wie in Eisenhüttenstadt wird auch nahe Saarlouis Stahl produziert. REGIE O-TON 24: Stadtführung, Gilbert Jaeck auf Deutsch - 36 sec. Es ist halt sehr interessant in Saarlouis zu führen, weil ich halt in Saarlouis wohne und mich nicht nur in Saarlouis, sondern auch in eine Saarlouiserin verliebt habe. Autorin: Was macht denn Saarlouis für Sie so liebenswert? Ja, Das ist also einmal die Architektur, eine relativ ruhige Architektur, ein einheitliches Stadtbild, die ganzen Bauten - deutsche Straße, französische Straße, die sind nach einem Schema und einem Plan aufgebaut worden - wir gehen jetzt da mal rüber - die Bevölkerung hier, man kennt sich. REGIE ATMO 3: französischer Stammtisch, 4 min. unterlegen AUTORIN 19: Natürlich kennt der gebürtige Franzose Gilbert Jaeck auch den französischen Stammtisch von Saarlouis. Seit vier Jahren trifft sich der jeden Donnerstagabend. Heute sitzen elf Frauen und Männer an einer langen Tafel im Restaurant Mythos in der Wallstraße. REGIE O-TON 25: Frau auf Deutsch - 19 sec. Also wir haben eben von der Schule gesprochen, ob die Kinder Französisch lernen in der Schule, das tun die nach wie vor, aber als ich ins Gymnasium ging früher, da war die erste Fremdsprache Französisch und es gab keine Wahl und heute kann man wählen und da wählen viele Englisch. AUTORIN 20: Man fühlt sich nachbarschaftlich eng verbunden, die eine kauft ihr Brot am liebsten im französischen Creutzwald, die andere schwärmt von den französischen Wochenmärkten. REGIE: ATMO 3 unter OT 26 abblenden REGIE O-TON 26: Mann auf Deutsch - 30 sec. In den letzten Jahren ist es so, dass man sagen kann: Deutschland und Frankreich kommt einander näher, aber hier regiert auch das Thema Saar-Lor-Lux, Saarland, Lothringen, Luxemburg, und in dem Zusammenhang haben wir jetzt schon viele Aktionen, wo geschaut wird, dass man zusammen arbeitet. Wir versuchen eigentlich mit allen Nachbarn zurechtzukommen, Frau auf Deutsch: Ja, man fühlt sich in diesem Dreieck vornehmlich als Europäer. aufblenden REGIE O-TON 27: Polnisches Lied, ab 0.16 deutscher Text, 24 sec. abblenden AUTORIN 21: Auch in der Partnerstadt ist die Grenze in Sichtweite. So einfach wie in Saarlouis ist es allerdings nicht, den Nachbarn zu begegnen. In Eisenhüttenstadt fehlen die Brücken über die Oder, der nächste Grenzübergang nach Polen ist in Guben oder in Frankfurt an der Oder. Doch wenn man sich Mühe gibt, so wie die Kita ,Haus Sonnenhügel', dann kann man sich auch hier verbunden fühlen. REGIE O-TON 28: Kinder im Gespräch- 41 sec. Autorin: Ihr lernt hier alle Polnisch oder sprecht ihr auch zuhause Polnisch, wie ist das bei euch? Olla: Ich spreche zuhause Polnisch. Und ich bin in Polen geboren. Autorin: Und jetzt wohnst du in Eisenhüttenstadt? Olla: Ja, genau. - ... Autorin: Bringt sie euch auch ein bisschen was bei? Alle: ja!!! - Mädchen: Mir sogar. Anja: ... Höflichkeitsformeln können wir auch. Was heißt danke? Kinder: Dziekuje Autorin: Ihr anderen, wart ihr schon mal in Polen? Kinder: Ja - ich noch nicht - ja. Kind 1: Meine Mama und Oma und Opa fahren immer zum Tanken nach Polen. Kind 2: Ein bisschen war ich auch schon in Polen. AUTORIN 22: Demnächst wird die gesamte Marienkäfergruppe einen Ausflug in einen polnischen Safaripark machen - gemeinsam mit der Partner- Kita aus Gorzów. Seit die Leiterin von ,Haus Sonnenhügel', Gabriela Schulz, vor 15 Jahren die ersten Polnisch-Kurse für Jugendliche angeboten hat, sind Interesse wie Angebot ständig gewachsen. REGIE O-TON 29: Gabriela Schulz - 18 sec. Bei uns in unserer Kita ist das häufig auch so, dass das Interesse am Erlernen der polnischen Sprache von den Eltern ausgeht, weil wir viele Eltern haben, die enge Kontakte mit Polen haben. Und die dann auch sehr dankbar sind, dass wir ihren Kindern die polnische Sprache vermitteln. MUSIK 3 Interpret: Delta Roux 2:01 Titel: eleven, eleven CD: Dirty shoes Track: Komponist: Harry C. Bodine Text: LC/Best.-Nr.: 06456 TAXIM REGIE O-TON 30: Ben Kaden - 2 sec. Wir können ja mal ein Stück weiter gehen. REGIE O-TON 31: Ben Kaden - 20 sec. Das hier ist die alte Ladenstraße. Und hier sieht man drüben diese wunderbare Litfasssäule - und die Uhr da drauf natürlich, die Stadt war ja insgesamt sehr auf die Schichtarbeitszeiten im Stahlwerk synchronisiert. Das Stahlwerk hatte ja 12.000 Mitarbeiter, und die sind dann immer morgens in einem Schwung hingefahren, und man hat wirklich vormittags auf den Straßen auch niemanden gesehen. AUTORIN 23: Im Wohnkomplex eins sind viele Fenster mit Holzplatten vernagelt. Wer keine Arbeit hat zieht weg: Früher waren 12.000 Arbeiter im Stahlwerk beschäftigt, heute sind es knapp 2.500. Wobei man der Gerechtigkeit halber sagen muss, dass früher auch die Angestellten der betriebseigenen Poliklinik, des Kindergartens oder des Ferienheims mitgezählt wurden, - Betriebe also, die nichts mit der Stahlproduktion zu tun hatten. Im so genannten EKO-Industriepark arbeiten auch heute noch weitere 3000 Beschäftigte bei Fremdfirmen. In Eisenhüttenstadt reden noch immer alle "vom EKO". Dabei gehört das ehemalige "Eisenhüttenkombinat Ost" jetzt zum Luxemburger Konzern ArcelorMittal. REGIE: O-TON 32: Jürgen Schmidt - 34 sec. Seit 1990 gab es ständig Rangeleien um das Werk, teilweise auch oft von außen hier `reingetragen, aber wir sind immer noch da und wir werden auch weiter da bleiben. Damals war es gegründet worden als zentraler Roheisen- und Stahlproduzent für die damalige DDR, auch als größtes Werk in der DDR und ist heute nach wie vor das größte Werk in den neuen Bundesländern mit einer maximalen Rohstahlkapazität von 2,7 Millionen Tonnen. REGIE: ATMO 4: Warmwalzwerk Langsam aufblenden unter Autorin 24 AUTORIN 24: Vom Büro des Pressesprechers Jürgen Schmidt bis zum Warmwalzwerk fährt man besser mit dem Wagen. Das Betriebsgelände ist 8,8 Quadratkilometer groß. Auf der Empore im Warmwalzwerk steht Ingenieur Rolf Micklich und gibt sich viel Mühe, Begriffe wie ,Bramme', ,kaltgewalzte Bänder', ,Masseln' und ,Warmbandkeuls' verständlich zu erklären. REGIE O-TON 33: Rolf Micklich (leise Atmo Warmwalzwerk liegt drunter) - 15 sec. Der Rhythmus ist etwa so: Alle sieben, acht Minuten läuft dann eine Bramme aus dem Ofen in die Walzstraße hinein, also warten wir mal einen kleinen Augenblick, dann sehen wir die Bramme da rauskommen. AUTORIN 25: Das hochmoderne Warmwalzwerk wurde erst im Jahr 1997 eingeweiht. Riesige Stahlblöcke, die so genannten Brammen, werden hier erhitzt, gewalzt und transportfähig aufgewickelt. REGIE O-TON 34: Rolf Micklich (laute Atmo Warmwalzhalle liegt drunter) - 30 sec. Jetzt sehen wir die erste Bramme aus dem Ofen herausgezogen kommen. Es wird also langsam wärmer. Die Bramme wird auf den Rollengang der Walzstraße gelegt, strahlt eine schöne Wärme ab, 1250 Grad heiß ist das Gerät, wir sehen auf der Bramme diesen Zunder, dieses Eisenoxid, das wird jetzt im ersten Arbeitsgang beseitigt. (am O-TON steht noch etwas Atmo dran) REGIE ATMO 4: kurz freistehen, langsam abblenden AUTORIN 26: Wie der Vorhang im Theater, so hebt sich die Front des Hub- Balkenofen, aus dem es derart hellorange leuchtet, dass man kaum hinschauen kann. Ein gewaltiger Block aus gegossenem, rot glühendem Stahl gleitet heraus. Ist der Zunder erst beseitigt, dann drehen sich die Walzen und rollen ihn platt wie Kuchenteig. MUSIK 4 (nur Instrumental, d.h. max 2.50, danach kommt Gesang) Interpret: Silly Titel: Abendstunden vocal 6:29 CD: Best of Silly Track: 14 Komponist: Silly Text: LC/Best.-Nr.: 00055 Amiga AUTORIN 27: In Eisenhüttenstadt lebten zur Wendezeit 52.400 Menschen. Knappe 31.000 es heute, und es werden immer weniger. Tausende Wohnungen stehen leer, einer von sieben Wohnkomplexen wurde schon komplett abgerissen. Auch am Modell im Rathausfoyer fehlt er bereits. REGIE O-TON 35: Gabriele Haubold - 20 sec. Schritte (3 sec) - Da sehen Sie auf der Fläche noch die Gebäude angedeutet. Sehen Sie die Linien? Da standen die Blöcke. Waren über 3.000 Wohnungen. Autorin: Und es hieß, 6.000 sollen insgesamt abgerissen werden? Haubold: 6.000 bis 2015, ja. Wir gehen aber davon aus, dass es danach noch weitergeht. Weitergehen muss. AUTORIN 28: Stadtplanerin Gabriele Haubold wird demnächst selber umziehen. Auch ihre Wohnung im sechsten Wohnkomplex wird abgerissen. REGIE O-TON 36: Gabriele Haubold - 26 sec. Ich käme mir auch schlecht vor, wenn ich anderen Leuten erklären müsste, das muss, muss, muss, und ich selber sitze schon im gemachten Nest, das kommt unglaubwürdig rüber. Und auch wenn die Platte jetzt oll aussieht und zusammenfällt in Anführungsstrichen, ist sie für mich doch ein Stück Heimat geworden. AUTORIN 29: Plattenbauten entstanden in Eisenhüttenstadt am Stadtrand, und zwar erst, als mehr Menschen als geplant hier leben wollten. Die ersten Wohnkomplexe im Zentrum der Stadt waren noch aufwändig gestaltet und in Stein gebaut worden. Heute stehen sie fast vollständig unter Denkmalschutz. REGIE ATMO 5: erst freistehend, dann unterlegen bis OT 37 (Klappern) Schlüssel hast du, nech? - Hab ich. - Ich mach bloß hier das Fester zu.( Türen klappen). AUTORIN 30: In der Straße der Republik hat das Dokumentationszentrum für Alltagskultur der DDR eine Musterwohnung eingerichtet - ganz im Look der 50er Jahre. REGIE O-TON 37: Ursula Krüger - 37 sec. Ja, und hier ist nun die Küche (Schritte). Das ist noch ein Originaltisch aus diesem Haus hier. Wir haben wirklich aus den Altbundesländern, Berliner, Schweden, Italiener - Helm: Aus Australien! - Krüger: Das ist auch ganz spannend zu sehen wie die Leute so reagieren auf das DDR-Leben. Manche haben sich ja einreden lassen wir würden irgendwie auf Bäumen hausen hab ich manchmal den Eindruck (lacht). AUTORIN 31: Die Rentnerinnen Ursula Krüger, 76, und Gilda Helm, 75, gewähren Interessierten Einblick - auch in ihr eigenes Leben in der Planstadt. Ursula Krüger kam als junge Frau nach Eisenhüttenstadt, das dritte Kind war noch nicht geboren. REGIE O-TON 38: Ursula Krüger - 21 sec. Dann bin ich 72 hier in diese Wohnung gezogen, ich wohn' ja hier im Hause, eine Treppe höher. Jetzt ist das Haus fast leer, deswegen hat man das hier gewählt wahrscheinlich. Früher haben hier acht Familien gewohnt, heute wohnen bloß noch zwei alte Weiber hier. Wir halten hier nun die Stellung. AUTORIN 32: Ein langer fensterloser Flur, links die Küche - Modell 21, Volkseigener Betrieb Eschebach - dahinter Bad und Schlafzimmer. Rechts das Wohnzimmer mit den begehrten Massivholzschränken vom VEB Hellerau. REGIE O-TON 39: Ursula Krüger - 31 sec. Autorin: Eins fehlt uns noch. Krüger: Eins fehlt uns noch, das Kinderzimmer. In diesem Kinderbett sind meine drei Kinder groß geworden. ..., Ich habe sieben Enkel und alle haben irgendwann in diesem Bettchen gelegen. (lacht) - Helm (lacht): Das ist deins? - Kr: Das ist meins! Und das, was sie da drauf liegen haben, das ist ein Stück von der Gardine aus dem Kinderzimmer. Und als das Stadtzentrum hier stöberte und sagte: habt ihr nicht noch was, da hab ich gesagt, na, da gehen wir mal bei mir auf den Boden und dann haben sie das rausgekramt. Das ist meine Bettwäsche übrigens auch hier. AUTORIN 33: Zu jedem Wohnkomplex gehörten eine Kita und eine Schule, die Kinder konnten zu Fuß allein durch die Grünanlagen dorthin gehen. Sie waren jung, die ersten Bewohner von Eisenhüttenstadt, das Durchschnittsalter lag einst bei 22 Jahren. REGIE O-TON 40: Gilda Helm und Ursula Krüger - 41 sec Helm: Für uns war das damals ein Segen, dass Eisenhüttenstadt gebaut wurde, das Werk wie auch die Stadt, dadurch war dann die Möglichkeit Arbeit zu kriegen, denn hier ist keine Industriegegend. Krüger: Die Menschen dieser Stadt haben eine ganz besondere Beziehung zu ihrer Stadt. Weil sie eben - wie Gilda sagt - Hoffnungen hatten, neues Leben anfangen konnten, und weil sie das als Ihres betrachtet haben. Das war ihre Stadt! Und das ist heute auch noch so. Die Kinder sind weg, die Enkel sind noch weiter weg, aber ich würde diese Stadt nie verlassen! Das kann ich mir nicht vorstellen, dann müssten sie mich schon ´raustragen. MUSIK 5 (kurz) Interpret: Reimgeschwader Titel: Hüttenstadt (ist meine Stadt) CD: EHST.ylez - Hip Hop von der Ostküste Deutschlands Track: 1 Komponist: Text: LC/Best.-Nr.: Der Sampler (3 Lieder) erschien zum 50. Stadtjubiläum, enthält drei Lieder und wurde von der Stadt an Interessenten zu PR-Zwecken kostenfrei abgegeben. (HIP-Ho-Projekt der Jugendbegegnungsstätte JUBS) KREUZBLENDE MUSIK 6 (kurz) Interpret: Fred Potuski & Salouija Buuwen Titel: Ech benn en Salouija CD: O.T. Track: 2 Komponist: Text: LC/Best.-Nr.: Demo (2 Lieder) zum Stadtfest 300 Jahre Saarlouis, erhalten von der Stadtverwaltung Saarlouis. AUTORIN 34: Seit 1986 besteht die erste deutsch-deutsche Städtepartnerschaft zwischen Eisenhüttenstadt und Saarlouis. REGIE O-TON 41: Roland Henz - 22 sec Und seitdem ist das eine ganz normale Partnerschaft geworden. Wobei ich heute beim Mittagessen gemerkt habe, man kommt immer wieder auf die Zeit zu sprechen. Ich habe heute beim Mittag wissen wollen wie sie das mit ihren Kindern diskutieren, die die Zeit ja selber auch nicht erlebt haben, was vor dem Mauerfall war, und das ist immer wieder spannend zu hören. AUTORIN 35: Im Büro von Roland Henz, dem Oberbürgermeister von Saarlouis, sitzen heute wieder Gäste aus Eisenhüttenstadt. Nur wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt besucht Eisenhüttenstadts Bürgermeisterin Dagmar Püschel ihren Amtskollegen im Saarland. REGIE O-TON 42: Dagmar Püschel - 20 sec Wir haben besonders darüber gesprochen wie wir es erreichen können, dass Jugendliche zusammen kommen. Da gibt es gute Erfahrungen mit der Feuerwehr aus Saarlouis und Eisenhüttenstadt, und es wird auch ein internationales Jugendfeuerwehrlager in Eisenhüttenstadt geben, das ist ne ganz tolle Sache. REGIE O-TON 43: Roland Henz - 25 sec Wir müssen gucken, wie wir die jungen Leute in diese Partnerschaft einbringen, denn die soll ja noch länger halten als 25 Jahre. Denn es ist ja keine Seniorenangelegenheit, eine Städtepartnerschaft aufrecht zu halten. Die Zeit der Gründerväter ist vorbei und das Ganze wird nur bestehen können, wenn es eine Nachwuchsdiskussion gibt. Dass die, die jetzt jung sind, das aufnehmen, was wir geschaffen haben. REGIE ATMO 6: Aufbau Fahrgeschäfte auf dem Großen Markt unterlegen AUTORIN 36: Direkt vor dem Rathaus, auf dem Großen Markt, werden die Fahrgeschäfte aufgebaut. Genau wie in Eisenhüttenstadt wird der größte und zentralste Platz der Stadt als Parkplatz genutzt - wenn nicht gerade wieder ein Volksfest ansteht. Dort ist dann meistens auch die Feuerwehr der Partnerstadt mit einem Stand vertreten. Die Eisenhüttenstädter bringen brandenburgische Würstchen und Schwarzbier mit, die Saarlouiser verkaufen Lyoner Fleischwurst und legen Schwenker auf den Grill. REGIE: ATMO 6 abblenden AUTORIN 36f: Momentan sind es die Feuerwehren, die die Städtepartnerschaft pflegen. Zeit für einen Besuch also. Vier Männer sitzen heute im Vereinsraum der Freiwilligen Feuerwehr Saarlouis, Löschbezirk Innenstadt, gemeinsam am Tisch. Der Jüngste ist 19, der Älteste 68 Jahre alt. REGIE O-TON 44 - 4'04 Horst Diewald: Feuerwehren, die eignen sich ja dazu, Partner zu finden. Und damals war das für uns unwahrscheinlich interessant, dass man sich gesagt hat: mit welchen Mitteln arbeiten die denn da drüben? Reiner Quirin: Wir hatten das gleiche Ziel, die Mittel waren unterschiedlich, aber wir haben uns gegenseitig austauschen können. Horst Diewald: Man kannte sich ja nicht. Es war ja für uns fremdes Land, die ehemalige DDR. Wir waren im Moment auch erschrocken, als wir rüber kamen und sahen, mit welchen Dingen die dort gearbeitet haben. Aber heute, wo wir immer zum Fest fahren, das hat sich ja alles ganz toll geändert und das hat sich auch sehr zum Vorteil geändert. Früher war ich ein bisschen - diese Plattenbauten, man hat gesagt wo sind wir hier. Reiner Quirin: Vieles ist eigentlich jetzt übernommen worden. Beispielsweise hat man früher in der DDR schon sehr viel mit Kindern und Jugendlichen in der Brandschutzerziehung gemacht. Wie gehe ich mit Feuer richtig um? Und dann hat man in Deutschland angefangen, ach, das könnte ich ja auch machen. In der ehemaligen DDR war das schon jahrelang so. Johannes Bohr: Also ich war 2001 zum ersten Mal als Jugendfeuerwehrwart in Eisenhüttenstadt. Und durch das Zeltlager - man war eine komplette Woche da, man ist richtig mit den Kameraden auch warm geworden. Und das ist auch das Schöne bei so einer Städtepartnerschaft, dass sich wirklich Freundschaften bilden und dass man die auch pflegt von Jahr zu Jahr. Manuel Ecker: Eisenhüttenstadt muss man einfach gesehen haben. Es ist einfach wie eine kleine Familie gewesen, man kommt dahin, man wird empfangen, wunderbar, schön, dass ihr da seid. Vor allem als Jugendlicher noch unter 20 ist das schon interessant, wenn man in ehemalige DDR fährt und sich das Ganze mal so anguckt, dann ist das schon interessant. Autorin: Sie sind nach dem Fall der Mauer erst geboren, Manuel Ecker: Ja, 1990 Autorin: Und da ist das auch ziemlich weit weg. Manuel Ecker: Deswegen ist das gut, durch so eine Partnerschaft sieht man auch mal was in anderen Ländern. Vor allem in ehemaligen DDR-Ländern, wie das da war, dass die da andere Kulturen hatten wie bei uns, andere Lebensverhältnisse hatten, und dann versteht man auch oder kann das fühlen, wie das damals bei denen gewesen war. Autorin: Ist das bei Ihnen auch so, dass Sie einen anderen Blick auf die deutsche Geschichte bekommen haben? Johannes Bohr: Ja, auf jeden Fall. Ich war zwar nach 1990 erst da, aber man bekommt auch von den Eisenhüttenstädtern erzählt, wie es vor der Wende abgelaufen ist, dass manche Leute auch mal ihre Stasi-Unterlagen angefordert haben und was dann da so dringestanden hat. Reiner Quirin: Es ist auch jetzt die Tochter von einem Feuerwehrmann, die jetzt in Saarbrücken arbeitet und eine feste Freundschaft mit einem Kameraden aus Saarlouis hat. Da hat sich auch was entwickelt durch das Stadtfest und auch durch die Feuerwehr. So kleine Tête-à-Têtes sind entstanden, aber ich denke, das gehört auch einfach dazu (lachen in der Runde) Autorin: Da lacht aber wer! Horst Diewald: Er spricht aus Erfahrung vom letzten Jahr (alle lachen) Er wird gleich geknufft hier. Horst Diewald: Wir hatten also am Anfang Schwierigkeiten gehabt: Hoffentlich macht die Jugend dort mit. Und jetzt freut mich, dass die Freundschaften sich eben bilden. Reiner Quirin: Aber was ich denke, was wir denen - den Eisenhüttenstädtern - noch ein bisschen beibringen müssen ist so das Fete feiern. Abends und so. Also Kneipen gibt's in Eisenhüttenstadt sehr wenig. Und das ist bei uns im Saarland ganz anders. Sich gemütlich irgendwo zusammen zu setzen, ganz einfach dieses Savoir-vivre, was wir in Saarlouis als französischer Stadt auch so mitkriegen, das fehlt eigentlich noch. Aber da kommen wir noch auf den Weg. MUSIK 7 Interpret: Barbara Carlotti 3:16 Titel: Les Lys brisées CD: Les Lys brisées Track: 2 Komponist: Barbara Carlotti Text: " LC/Best.-Nr.: 05807 REGIE O-TON 45: Roland Henz - 7 sec Ich gehe davon aus, dass die erste deutsch-deutsche Städtepartnerschaft zumindest dazu beigetragen hat, dass ein Riss in der Mauer entstanden ist. AUTORIN 37: Oberbürgermeister Roland Henz fragte sich allerdings, ob es eigentlich nach dem Fall der Mauer noch sinnvoll sei, an der Städtepartnerschaft festzuhalten. REGIE O-TON 46: Roland Henz - 13 sec Da hat glaube ich Erich Pohl gesagt: Pass auf, mein Bub, halte das in Ehren was wir geschaffen haben und bau es aus. Diese Chance darfst du dir nie entgehen lassen. Ich denke, da hat er recht gehabt. REGIE O-TON 47: Erich Pohl - 10 sec Doch, ich hab das immer als historischen Aspekt gesehen. Als Akzent, den wir gesetzt haben, in den Jahren überhaupt auf die Idee zu kommen, diese Partnerschaft zu verfolgen. AUTORIN 38: Je länger man mit Erich Pohl, einem der Mitbegründer der Städtepartnerschaft, beisammen sitzt, desto mehr Geschichten fallen dem Rentner ein. Seine Frau möchte gerne zu Mittag essen, aber Erich Pohl sitzt kerzengerade und hellwach vorn auf der Kante seines Sessels und ist nicht mehr zu bremsen. Man kann ihn gut verstehen: Da hat so ein kleines Städtchen im Saarland kurz mal die große Weltpolitik aufgemischt. Rückblickend ist auch alles gut ausgegangen - selbst jener Vorfall im Jahr 1987. Da war die Lage so ernst, dass nachts ein Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der DDR von Bonn nach Saarlouis fuhr. REGIE O-TON 48: Erich Pohl - 57 sec Ich war am großen Markt mit Freunden aus Eisenhüttenstand, wir standen am Stand, haben was gegessen, und da kam einer von unserer Verwaltung und hat gesagt: Herr Pohl, die Polizei sucht Sie. Ich hab doch nichts verbrochen, warum sucht die mich? Es hat sich einer - ganz still und leise, damit die anderen das nicht hören sollten - es hat sich einer von den Eisenhüttenstädtern abgesetzt, der ist bei der Polizei. Mir ist da aber auch das Herz in die Schuhe gefallen, muss ich wirklich sagen. Und das war dann ganz unheimlich, bis wir alle Leute zusammen hatten im Hotel, und haben dann gleich Bonn benachrichtigt. Die Presse war auch entsprechend am nächsten Tag: Der Trommler, das war der Trommler, der hat sich abgesetzt. Aber das waren alles solche Dinge, die heute unverständlich sind und die man kaum für möglich hält, aber - sind passiert. Interpret: Thomas Fersen Titel: Les Papillons CD: Le jour du Poisson Track: Komponist: Thomas Fersen Text: " LC/Best.-Nr.: 01918 TOT OU TARD AUTORIN 39: Früher war die Städtepartnerschaft aufregend, sowohl für die Saarlouiser als auch für die Eisenhüttenstädter. REGIE: O-TON 49: Peter Gäbges - 4 sec Also in Eisenhüttenstadt ist immer was los gewesen. Immer, immer, immer. AUTORIN 40: Peter Gäbges aus Saarlouis kennt wohl beide Städte am besten. Der Bauingenieur gründete auch in Eisenhüttenstadt ein Ingenieursbüro und pendelte 20 Jahre lang zwischen den beiden Städten hin und her. REGIE: O-TON 50: Peter Gäbges - 38 sec Ich wäre also wahrscheinlich nicht in den Osten gegangen, wenn ich nicht die Städtepartnerschaft gekannt hätte, nicht dort vor Ort gewesen wäre in der Zeit, man musste da schon irgendwelche Verbindungen haben. So einfach hereinspaziert, das ging nicht. Und das muss ich zugegeben. Jeder, der ausgelastet ist hier, der bleibt hier, der macht nicht die weiten Wege und nimmt das auf sich. Das ist ja doch für die Familie, für alles - ist anstrengend. AUTORIN 41: Aber so war Peter Gäbges vor Ort, er kannte die Leute, und er wusste wie man Projekte entwickelt, diese im Ministerium vorträgt und vor allem - wie und wo man die notwendigen Fördermittel beantragt. Für den Umbau des Eisenhüttenstädter Krankenhauses zum Beispiel, wo jetzt nach 20 Jahren der vierte Bauabschnitt erreicht ist. REGIE: O-TON 51: Peter Gäbges - 23 sec Wir waren frühzeitig dran und Eisenhüttenstadt auch. Wenn wir nicht da gewesen wären, dann wäre das nicht so gelaufen. Das muss ja jemand initiieren. Dann hätten sie vielleicht nicht teilgehabt am Aufschwung Ost. Zehn Leute können da schon einiges anstiften. Und wenn eine Stadt das nicht hat, dann fehlt ihr was. AUTORIN 42: Ohne die Städtepartnerschaft wäre vieles anders gelaufen, in beiden Städten. Was Eisenhüttenstadt und Saarlouis gemeinsam erreicht haben hat sich bis nach Asien herumgesprochen: Im letzten Dezember kam eine Delegation vom Südkoreanischen Wiedervereinigungsministerium nach Saarlouis und hatte viele Fragen an Oberbürgermeister Roland Henz. REGIE O-TON 52: Roland Henz - 8 sec Sie wollten alles wissen, bis ins Detail. Die häufigste Frage, die sie gestellt haben, war, was uns das gekostet hat. AUTORIN 43: Natürlich hat Saarlouis Eisenhüttenstadt eine Zeitlang mehr unterstützen können als umgekehrt. Trotzdem war das Finanzielle bei der Städtepartnerschaft eigentlich nie das Thema. REGIE O-TON 53: Roland Henz - 18 sec Wir haben gesagt: Es gibt gleichberechtigte Partner. Da gibt es einen Wissenstransfer, aber wir haben nicht das Geld nach Eisenhüttenstadt gepumpt. Anscheinend hatten sie Angst sie müssten nach Nordkorea Geld bringen. Es war für sie wohl ein Erlebnis, das nicht alles mit Geld zu tun hat. AUTORIN 44: Die Städtepartnerschaft Saarlouis -Eisenhüttenstadt sei eine Partnerschaft auf Augenhöhe, das betonen beide Seiten immer wieder. Sie waren die Ersten, ihre Erfahrungen galten vielen als Vorbild. 124 weitere Städte in Ost und West sollten bis zum Fall der Mauer ihrem Beispiel folgen. REGIE: Schlussmusik SPRECHER: Von Planstadt zu Planstadt Die erste deutsch-deutsche Städtepartnerschaft Eisenhüttenstadt - Saarlouis Eine Deutschlandrundfahrt mit Beate Köhne Reserve: MUSIK 8 Interpret: Gotan Project Titel: Last Tango in Paris instr 5:47 CD: sunny side up (compilation) Track: Komponist: Gato Barbieri Text: - LC/Best.-Nr.: 03098 DLR- Archiv#: 91-74573 Reserve ATMO 7: MD 7-27-1.30 Markt Saarlouis 24 1