COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Durchboxen! Leben in Halle - Boxen beim Commander Autor Michael Frantzen Redaktion Rehfeld / Stucke Länge 18'31" Sendung 28.11.11 - 13.07 Uhr Halle an der Saale im Süden Sachsen-Anhalts. Wer hier nichts zu tun hat - und das geht angesichts überdurchschnittlicher Arbeitslosenzahlen vielen so, wer seine Zeit in sozialen Brennpunkten wie Halle-Neustadt totschlägt und droht auf die schiefe Bahn zu geraten, wer Sozialstunden ableisten muss - dem will Uwe Schuster, der Commander, ein zweites Zuhause geben. In seinem Boxcamp, das Besucher mit den Worten "Weicheier haben keine Zukunft" begrüßt. "Halle ist ein Ghetto - und wir die Ghettoboxer" - so sieht Schuster die Dinge. Der Länderreport steigt in den Ring... - Manuskript Beitrag- (Elias) "Drei, zwei, eins!" (Commander) "Das is schon hier watt Geiles. Das is schon rustikal." (Elias) "Handtuch drunter legen und Schicki-Micki: Das is nich meins." (Panzer) "Wir sind seit zehn Jahren hier, größtenteils Marke Eigenbau." (Commander) "Auch das Boxen ist Sozialarbeit." AUTOR Kurze Sätze, klare Ansage: Im "Profiboxcamp" von Halle ist das Standard. Was einen hier erwartet, wird gleich an der Eingangstür der heruntergekommenen Hinterhof-Fabrikhalle klar: "In diesem Ausbildungscamp trainieren und überleben nur die Härtesten" - steht da. "Weicheier haben keine Zukunft. Also, tritt ein und sei Willkommen." Das aber ist leichter gesagt als getan. (aggressives Hunde-Bellen), (Commander) "Kann passieren, dass er zu hackt. (Bellen) "Du kommst in den Zwinger, hilft alles nüscht. Nun is gut, bleib hier." (Bellen) AUTOR Uwe Schuster, stolzer Besitzer eines sechs Monate alten Schäferhundes und Verfasser der Hinterhof-Lyrik, hat immer alle Hände voll zu. Wobei: Uwe Schuster?! Da bekommt er gleich einen Lachanfall; wenn ihn irgendein "Weichei" mit "Uwe" anspricht. Oder: Noch schlimmer: Mit "Herr Schuster". Dann vibriert die ganze Muskelmasse des untersetzten, gut hundert Kilogramm schweren Mannes, wölbt sich der Bauch unter dem weißen, zerfledderten Sweatshirt noch mehr als sonst schon. Piepmatz oder was?! Hat natürlich einen Spitznamen. Wie sich das für einen echten Boxer gehört. Den passenden. (Commander) "Dann war das Commander, ja?! Und is nich mehr weg zu denken. Ja! Der Commander is jetzt Commander. Und gar nicht anders geht." AUTOR Commander mag Hunde. Besonders seinen Schäferhund. Menschen mag der Commander auch, nur: Die wollen manchmal nicht so, wie er will. Commander wedelt mit einem Schreiben. Hier: Das Sozialamt der Stadt Halle. Schickt ihm schon seit Jahren Jugendliche, die bei ihm Arbeitsstunden ableisten sollen, weil sie irgendetwas verbockt haben. Und das einzige, was "die Damen vom Amt" interessiert, regt sich der 48jährige auf, der von den Sachbearbeiterinnen vorzugsweise in Form eines bestimmten weiblichen Geschlechtsorgans redet - das einzige, was die interessiere, sei, dass er ihnen auch brav den Anwesenheitsbeleg der Jugendlichen schicke. Als ob er nichts Besseres zu tun hätte. (Commander) "Ich mache hier nicht nur Trainer. Sondern ich bin hier eben alles. Ich bin hier Manager, Promoter, Hausfrau...äh! Hausmann. Klomann hier. Alles. Da hab ich auch Büroarbeit zu tun, da muss ich wieder Holz ranholen, da muss ich heizen. Es is einfach mal so. Da kommen dann die ganzen Leute, die hier ihre Sozialstunden machen, die muss ich ja auch beaufsichtigen noch mal nebenbei." AUTOR Ohne den Commander läuft im "härtesten Profiboxcamp Deutschlands" gar nichts. Das mit dem "härtesten Camp" ist ganz nach seinem Geschmack - auch wenn es ausnahmsweise nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen ist. Hat sich der Heyne-Verlag ausgedacht. Um seine gerade erschienene Autobiographie unters Volk zu bringen, Titel: "Box! Du hast nur diese Chance!" (Commander) "Ich bin hier der Boss. Und kann auch sehr, sehr böse werden. Aber: Eins - da hab ich immer Wert drauf gelegt. Und das is nach wie vor so, seit 2002: Wir haben hier nen geiles Klima. Wir haben hier keine Typen drinne, die so düster gucken. Hier so: So watt will ick auch gar nich. Is natürlich nich einfach. Weil so ne Boxbude im Hinterhof zieht immer so welche Gestalten an. Aber bis jetzt ist es mir gelungen, die Bude, wie ick immer sage, so viele Jahre, sauber zu halten." (Commander im Kommando-Ton) "Sooo! Erste Runde: Am Gerät! Ganz individuell. Ganz lockeres Boxen. Ok?! Fertig? Und Zeit! Erste Runde: Wir versuchen hier Zähne zu machen. AUTOR Zähne machen - das muss man Paul, einem Muskelpaket mit der brauner Kurzhaarfrisur und flackernden Augen, nicht zwei Mal sagen. Es ist Dienstagnachmittag, kurz nach halb fünf: Draußen verschwindet die Hinterhof-Tristesse hinter Nebelschwaden, die von der nahen Saale herüber schwappen, und der einbrechenden Dunkelheit. Kalt und nass ist es. Drinnen steigt langsam die Betriebstemperatur. Gut zehn Boxer sind heute zum Training gekommen: Teenager sind darunter und ältere Kaliber wie Paul, die schon Profikämpfe auf dem Buckel - und dementsprechend einen Spitznamen haben. (Bulldozer) "Meiner ist Bulldozer. Der Commander hat mir den gegeben. Panzer war schon vergeben, sonst wär ich Panzer gewesen." AUTOR Paul alias Bulldozer hat schon zwei Profikämpfe hinter sich: 16. Juli 2011: Sieg durch K.O. 1. Oktober 2011: Niederlage nach Punkten. Aber da war er selbst schuld, meint er selbstkritisch. Er habe vorher eine Grippe gehabt, ergo: nicht richtig trainieren können. Der Mann, der, wenn er nicht gerade boxt, sich im 3-Schicht- Betrieb zum KFZ-Elektroniker ausbilden lässt, hat seine Lektion gelernt: Wettkämpfe nur noch dann, wenn er topfit ist. (Bulldozer) "Wenn ich vorher trainieren kann, stell ich mich jedem. Ich hab och keene Angst, vor nüscht, vor jar nüscht. Da können 3- Meter-Leute kommen, mit 5-Meter breiten Schultern: Ich hab keine Angst." AUTOR So ganz stimmt das nicht. Es gibt nämlich exakt zwei Personen, vor denen Bulldozer, wenn schon keine Angst hat, dann doch zumindest kuscht. Der eine ist...klar: Der Commander. Der andere: Der "Panzer". (Panzer) So! Paul! Machste nun mal, oder, Alter?! (Paul) Haste mal auf die Temperatur geguckt? (Panzer) "Ich hab auch schon seit meinem ersten Kämpfen ne richtig gute Deckung gehabt - halt wie so nen Panzer. Und so hab ich den Spitznamen gekriegt." AUTOR Wenn so will, würde es ohne Panzer den ganzen Boxstall nicht geben. Panzer, bürgerlich: Philipp, ist nämlich nicht nur Co-Trainer, sondern Sohn des Commanders. Als Philipp noch kein Panzer war, sondern Schüler, war er ein kleines, rundliches Pummelchen, das von den Älteren aus der zehnten Klasse seiner Schule in der Plattenbausiedlung "Silberhöhe" malträtiert wurde - nicht nur verbal, sondern auch körperlich. Erst folgten Panikattacken und Schlafstörungen. Und dann, mit neun, der Entschluss, es dem Vater gleich zu tun - und mit dem Boxen anzufangen. (Panzer) "Das is mein Leben hier. Das is mein Leben. Ich will nicht irgendwo im Büro: Schreibkram oder so. Ich muss hier (dreht sich um)...ich kann meine Leute nicht im Stich lassen. Die wollen alle boxen, die wollen alle von mir trainiert werden. Und das mach ich natürlich. Wenn ich jetzt irgendwo anders arbeiten müsste - im Ausland oder anderem Bundesland oder so...ich müsste hier weg: Das würde mir kein Spaß machen. Ich glaube, ich wäre nach ein, zwei Wochen...wär ich wieder hier. Und würde sagen: Komm her, wir trainieren weiter!" AUTOR 22 Jahre alt ist Panzer jetzt, dessen muskelbepackte Oberarme es vom Volumen her locker mit den Oberschenkeln vieler normalsterblicher Männer aufnehmen könnten. Eine Ausbildung hat er keine. "Ein Blick ins Buch und zwei ins Leben", meint er, dass sei bei ihnen zu Hause die Devise gewesen. (Panzer) "Ich habe sehr viel Mist gebaut. Sehr viel Mist damals. Ich habe Anzeigen...ja, ich hab sehr viel Mist gebaut. Nicht aus eigener Kraft. Aber: Mein Vater hat mich immer unterstützt. Ich hab mich dann wieder gefangen, ja?! Weil mein Vater mir auch ziemlich in den Arsch getreten hat. Auch mit 18, als ich dann...ich war in U- Haft dann. Dann hab ich mir gesagt: Ab jetzt nicht mehr. Weil dann hab ich wirklich mitgekriegt: Da drinne is es einfach nur für den Arsch. Ich kann nich boxen, ich kann überhaupt gar nichts machen. AUTOR Das geht natürlich gar nicht. Finden auch seine Schützlinge. "Zum Beispiel der Mark. Der kam hier auch her mit Arbeitsstunden. War im Heim. Is jetzt im betreuten Wohnen. Hat sich jetzt wieder langsam gefangen." AUTOR Mark macht heute mit beim Jugend-Training - und hat ansonsten tendenziell Null Interesse, sich ausfragen zu lassen. (Mark) "Macht sich gerade nen bisschen schlecht, da ich gerade nen bisschen müde bin." AUTOR Im Ring war davon noch nichts zu spüren. Da trainiert er: (Mark) "Zwei, drei Mal die Woche." AUTOR Über seine Arbeitsstunden: Wieso, weshalb, warum: Will er eigentlich nicht reden. Na ja: Holz hat er gehackt - für die Öfen; ein bisschen sauber gemacht, nichts Besonderes. Ist abgehakt, jetzt kommt er nur noch zum Boxen; weil er sich beim Commander wohl fühlt. (Commander) "Wenn eben so ne Jungs zu mir kommen, ja?! Und wissen zum Teil in dem Moment nicht mehr, wie's weiter geht. Und da sacht eener: Aih, komm mal mit! Da gibt's jemanden, der nennt sich Commander, der geht voll ab! Der is och keen Moral-Apostel. Und sage dann: Leute! So und so! Die wollen das auch nicht hören, dass da jemand sitzt und sagt: Du, du, du! Nimm mal keine Joints mehr oder watt weiss ich, watt se sich da rein feuern. Datt is doch meine Sache. Nä! Man muss denen einfach zeigen, dass es sehr angenehm is, wenn man was macht, wenn man fleissig is, dass man dann auch die angenehme Seite der Medaille kennen lernt." (Commander im Kommando-Ton) "Also! Führen! Führen! (Boxgeräusche im Hintergrund) Schlaghand! Gerade! Bopp, Bopp, Bamm. Erste Runde ist vorbei. Jetzt kommt die Zweite." (Commander im Kommando-Ton) "OK! Fertig werden! Runde zwei. Und Zeit! (Boxgeräusche) Ja?! Und möglichst eure Fäuste nah dran lassen am Kinn. So! Achtung! (pfeift)" (Patrick) "Man stellt sich den Gegner vor. Der Sandsack ist der Gegner. Man stellt sich die Schlagabtäusche vor." AUTOR Gut anderthalb Stunden Sparing hat Patrick jetzt schon hinter sich. Einzeltraining: Eine halbe Stunde noch, dann muss sich der blonde Mann, der sich selbst ein "Trainings-Tier" nennt, wieder auf den Weg nach Hause machen. Patricks Zuhause: Das ist die "Frohe Zukunft", die Vollzugsanstalt im gleichnamigen Stadtteil am Rande von Halle. Zwei Jahre Haft hat er bekommen. (Patrick) "Wegen Körperverletzung. Das war damals ne schlimme Zeit gewesen. Der Alkohol und die Drogen haben dazu geführt, dass ich doch schneller aus der Haut gefahren bin. Und dass es doch mal dazu kam, dass ich aus banalem Grund Leute zusammengeschlagen habe. Das hat sich alles summiert und irgendwann hat die Staatsanwaltschaft und der Richter gesagt: OK! Kommen wir nicht mehr weiter. Schlussstrich! Haft!" AUTOR Anfangs saß Patrick in der geschlossenen Anstalt "Roter Ochse" - bis er wegen guter Führung Ende August in den offenen Vollzug wechseln konnte. (Patrick) "Im Gefängnis lernt man mit ziemlich vielen Charakteren umzugehen. Und auch die zu verstehen. Und mit denen auch mit zu leben - auf engstem Raum. So! Und das hat mir gezeigt, dass man auch mit den schlimmsten Leuten zusammen leben kann, auch positiv, ohne Gewalt...dass das alles geht. Es gab letztens so nen Vorfall, das war erst so ne verbale Situation und dann hat er versucht mich zu schlagen. Bin dann ausgewichen und hab ihm dann Wörter an den Kopf geworfen. Hab gesagt: Lass mich jetzt in Ruhe hier, sonst passiert was! Hab den nicht angefasst, hab den einfach machen lassen. War für mich im Endeffekt besser. Weil: Hätte ich zugeschlagen, wär das vielleicht schlimmer ausgegangen. Ich hätte dann wieder zurück gemusst in den geschlossenen Vollzug." AUTOR Das will Patrick auf keinen Fall. Er will sein Leben endlich in den Griff bekommen. Sagt der 25jährige, dessen Augen sich im Boxring zu zwei kleinen, schwarzen Punkten verfinstern und der nach dem Training kaum wieder zu erkennen ist. Da sitzt einem ein junger, höflicher Mann gegenüber, der seit der Haft keine Drogen und keinen Alkohol mehr angefasst haben will, sich gerade zum Koch ausbilden lässt und ansonsten peinlich darauf bedacht ist, bloss nicht zu spät zurück ins Gefängnis zukommen. Spätestens um sieben Uhr muss er sich an der Pforte melden. Der "Frohen Zukunft". Gute eine halbe Stunde dauert die Fahrt mit der Tram, der Linie Eins, die Patrick bis zur Endstation "Frohe Zukunft" bringt und wo der Imbiss eines schicken, aber vergammelten 20er-Jahre- Flachbaus seine Zukunft schon hinter sich zu haben scheint: Zwar wirbt die Anzeigetafel mit "Kaffee: 99 Cent", Bockwurst: 1,20". Doch Türen und Fenster sind verrammelt. So etwas sieht man in Halle häufiger. Eigentlich muss man nur die Eins einmal quer durch die Stadt nehmen; vorbei am Steintor, der Haltestation des Boxcamps, bis zum "Anhalter Platz" - der Station im Plattenbaubezirk "Silberhöhe". Auch hier ein ähnliches Bild: Viele Kneipen und Imbisse: Dicht gemacht. Von den leer stehenden 5-geschössigen Plattenbauten ganz zu schweigen. Überall gähnende Leere an diesem trüben Novembertag. Nur vor dem Caritas-Second-Hand-Laden regt sich etwas. Gerade ist eine Ladung alter Möbeln und Kleidung und Decken angekommen. Letztere liegen achtlos zu einem Haufen getürmt vor dem Kleinwagen, der die Ware angeliefert hat. Einige Frauen, die wechselweite deutsch, russisch oder rumänisch sprechen, fangen an zu wühlen. Ein, zwei Euro - viel mehr kosten die Sachen nicht. Hat kaum einer ein dickes Portemonnaie hier. (Panzer) "Ich komm aus der Silberhöhe. Andere sagen: Silberhöhe?! Da gehen se nich hin. Das is für die Fremdgebiet, haben se keene Lust drauf." AUTOR Panzer schon. Er wohnt nämlich seit 21 Jahren hier. (Panzer) "45 Quadratmeter. Zweiraum-Wohnung. Reicht eigentlich für zwei Leute, ja?! Mit meiner Freundin - es reicht auf jeden Fall." (Uwe) "Ich find mein altes Viertel - das is schon nen Stück für mich Vertrautheit und so." AUTOR Findet auch Panzers Kumpel Uwe. (Uwe) "Würd auch nichts schlechtes auf die Silberhöhe kommen lassen. Aber: Ich seh auch ein, dass es da viel Dreck gibt. Viele Obdachlose, Arbeitslose, Junkies. Am Bahnhof Silberhöhe ist nen Drogenzentrum. Wo die Leute ihre Drogen holen kommen. Aber: In ganz Halle gibt's das. In der Südstadt, im Rosengarten, in der Neustadt - überall." AUTOR Halle - die Looserstadt. Dieser Ruf hat sich spätestens seit 2003 in den Köpfen vieler fest gesetzt; seitdem es die Saalestadt auf die Titelseite der Bildzeitung brachte: Als die Großstadt in Europa mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Mehr als jeder vierte war damals ohne Job. Das ganze gepaart mit einem massiven Bevölkerungsschwund, der die Stadt von 300.000 Einwohnern 1990 auf 230.000 schrumpfen ließ. Und der Nähe zur sächsischen Boomstadt Leipzig, die Investoren wie Porsche und DHL anzog - und Halle mit seiner traditionellen Schwerindustrie alt aussehen ließ. Macht summa summarum: Eine Looserstadt. Seitdem hat sich einiges getan. In Halle. Die Arbeitslosigkeit ist auf unter 12 Prozent gesunken, die Universität hat Jobs geschaffen, das verarbeitende Gewerbe sich berappelt. Für Uwe aber kommt das alles zu spät. (Uwe) "Ich bin in Halle geboren, wohn jetzt aber in Osnabrück wegen der Arbeit. Is halt hier nich so toll. Hier is es halt noch 6.95 Euro Mindestlohn. Dafür komm ich nich zurück. Wenn ich da drüben meine 9,50 kriege; zehn Euro, dann bleib ich da. Merkt man schon krass die Unterschiede." AUTOR Zwischen Ost und West. In Osnabrück hätten sie sich anfangs öfters über seinen "Ossi-Akzent" lustig gemacht. Früher wäre der 22jährige da schon mal ausgerastet. Hätte zugeschlagen. Aber bringt ja nichts. Das hat ihm Commander beigebracht. (Uwe) "Du kannst mit den Leuten reden und das zeigt der Commander dann. Total gut! Ich hab das auch nicht so geschnallt. Also so richtig mit meinen Kräften umzugehen, hab ich beim Boxen gelernt. Bin früher halt auch nen Draufgänger gewesen. Irgendwann hab ich halt den Panzer kennen gelernt. Und der dann: Ai, guck mal! Boxen! Probier's mal aus! Hat mir auch sofort gefallen. Man lernt seine Kräfte kennen und man rastet nicht so schnell aus - wegen ner Kleinigkeit. Man denkt sich halt: Hey, was willst denn du?! Ich weiss, dass ich besser bin!" (Commander, im Kommando-Ton) "Uuuund: Zeit! OK! Jetzt kommen rein: Gerry und Elias - die beiden Brüder, die wollen immer mal ne Abrechnung. Jetzt kommt Runde Drei. Danach bleibt Elias drinne..." (Elias) "Der besondere Reiz is einfach, dass es sehr körperlich is. Ich brauch einfach nen Ausgleich, jetzt kein Handball oder Badminton, da muss schon nen bisschen mehr passieren. Das brauch ich einfach, um mich im Gegensatz zu meinem Studium wieder zu normalisieren; und aus zu pegeln, irgendwie." AUTOR Elias wohnt im Vorderhaus der Berliner Straße - zusammen mit Gerry, seinem Bruder. In einer 110 Quadratmeter großen Altbauwohnung, die 660 Euro kostet. Würde sich gut in jedem Lifestyle-Magazin machen: Alles frisch renoviert, das Parkett: abgeschliffen, an den Wänden: Eine Shell-Leuchtreklame. Und eine Art Bienenwabe aus dunklem Holz. Hat Elias selbst gemacht. Er hat eine Tischlerlehre hinter sich, jetzt studiert er in Halle Innenarchitektur. (Commander im Kommando-Ton) "Wenn ich pfeife, geht's ab: Einzelschlag! (pfeift)" (Panzer) "Genauso muss es sein. Genau so. Die Leute, die hier herkommen, die fühlen sich so wohl, ja?! Genau so kennen sie das aus den Rocky-Filmen. Und den ganzen amerikanischen Boxfilmen. Es muss stinken. Da wird trainiert, da muss es stinken. Der Schweiss muss von der Decke tropfen. Der Putz muss hier abfallen." AUTOR Das tut er tatsächlich, nicht nur von den Wänden des Boxrings. Auch in der Umkleidekabine, wo Handtücher über den Spinds hängen und Wäscheständer kreuz und quer herumstehen, ist die Wand lädiert. Mit abfallendem Putz hat das aber nichts zu tun. Direkt neben der Tür prangt ein Faustgroßes Loch. Darüber hat jemand mit schwarzem Kugelschreiber gekritzelt: "Das ist meine Rache." Muss wohl irgendein Idiot ausgerastet sein. Hätte eine Abreibung gegeben, wenn er den erwischt hätte. Meint Panzer. Das Loch bleibt erst einmal. Es wieder zu verputzen - das würde Geld kosten. Und das sitzt beim Vater-Sohn-Gespann genauso wenig locker wie bei Bulldozer und Co. (Panzer) "Hier in Halle - da müssen se wirklich alle...die ganzen Hartz 18-Empfänger...die müssen wirklich jeden Cent hier umdrehen. Es kommen manche hierher, die bezahlen 15 Euro Beitrag - das bezahlen die in Raten ab." AUTOR Erzählt Panzer - nur um hinzuzufügen, wenn sie am Ende des Jahres bei einer schwarzen Null landeten, sei sein Vater schon froh. Alles ganz schön anstrengend. Einerseits. Andererseits: (Commander) "Wir haben auch schon viele schöne Sachen erlebt. Wir waren in Frankreich, in Italien, in Spanien, in Ungarn. Ich war mit den Jungs in Afrika, hab da geboxt. Afrika! Da schwärmen wir heute noch von. Der Junge is vorher nie rausgekommen aus Halle. Der war, wenn's hoch kommt, mal in Wolfen-Nord. Oder Bitterfeld. (Lachen) Und auf een mal sitzt er abends mit mir in Afrika und sacht nach zehn Stunden: Aih, Commander, is ja voll geil!" (Commander im Kommando-Ton) "Noch eeeeeeine Minute! (Boxen) AUTOR Immer volle Pulle - bloss nicht klein bei geben: Ein Leben am Limit. Muss so sein. Meint der Commander. Hat natürlich seinen Preis. Das mit dem Privatleben, der Zweisamkeit - das will es nicht so richtig klappen. Zwei Ex-Frauen, zu viele "Bräute", wie er das nennt, zu viel unterwegs, zu wenig zu Hause. Kann ja auf Dauer nicht gut gehen. (Commander) "Weil: Ich bin einfach nen eigener Typ so. Bin auch, muss ich auch ganz ehrlich sagen, obwohl ich jeden Tag mit so vielen Leuten zusammen bin, eher son Einzelgänger. Ich wees: Heiligabend feiere ich wieder janz alleene. Ich brauch ditt alles nisch. Oder Silvester. Den ganzen Zirkus da." (Commander im Kommando-Ton) "Die letzten Sekunden laufen:" (Uwe) "So! Das war's schon." (Commander) "Macht ihr nachher das Licht aus? (Uwe) Klar! OK." E N D E