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Zeitfragen 3.5. 2016 Vom Umgang mit Ewigkeitslasten Sven Kästner   Zitatorin 01 ?Ewigkeit, die: Zitator 02 1. ewige Dauer, Unvergänglichkeit ?     - Trenner - Soundelement -       O-Ton 01 (O_Grunwald, 02:05) ?Man hat gerade in der Kernenergie am Anfang in den fünfziger, sechziger und auch teilweise siebziger Jahren wenig daran gedacht, was man später mit den radioaktiven Abfällen macht.?     O-Ton 02 (O_Öko_Sailer, 09:20) ?Wir haben ungefähr 1963 den ersten Abfall aus einem Kernkraftwerk raus genommen.?     O-Ton 03 (O_Brunnengräber, 13:55) ?Den Müll können sie nicht einfach entsorgen, der wird über eine Millionen Jahre gefährlich bleiben.?       - Trenner ? Soundelement -       Zitatorin 02 ?Ewigkeit, die: Zitator 02 ? 2. (umgangssprachlich) sehr lange Dauer, übermäßig lange Zeit endlos scheinende Zeit.?     - Trenner ? Soundelement -       O-Ton 04 (O_Melchers, 00:40) ?200 Jahre Bergbau hinterlassen ihre Spuren.?       Atmo 01 (_B_Museum_Steigerlied) Steigerlied: ?Glück auf, Glück auf. Der Steiger kommt ??     Sprecherin 01 Bald ist er nur noch Folklore, der Bergbau im Ruhrgebiet. Ende 2018 wird die letzte Steinkohlenzeche geschlossen. Im Shop des Bergbaumuseums Bochum werden Geschenktüten angeboten, die das Steigerlied spielen. Die Musealisierung hat begonnen.     Atmo 02 Steigerlied noch mal kurz laut: ?? schon angezü-ü-ünd, schon angezünd.?     Atmo 03 (Atmo_Abbau_Hammer) lautes Geräusch Abbau-Hammer     Autor 01 Mehr als 200 Jahre lang haben Bergleute in großem Stil das Gestein unter dem Ruhrgebiet ausgehöhlt. Ein Modell im Museum zeigt das Ausmaß.     O-Ton 06 (O_Mueller_01, 01:16) ??Aus diesem Modell ist jetzt die Erdoberfläche raus geschnitten worden, so dass man in den Untergrund schauen kann. Und zwar auf die Oberfläche des Karbongebirges.?     Autor 02 Siegfried Müller, stellvertretender Museumsleiter.   O-Ton 07 (O_Mueller_01, 01:16) ?Vor rund 300 Millionen Jahren, im Karbon-Zeitalter, wurde die Grundlage gelegt für unsere heutigen Kohleflöze. Damals gab es üppige Wälder, die immer wieder überschwemmt worden sind. Das ganze Gebiet hat sich abgesenkt. Und dann mit der Zeit, unter hohem Druck und Temperaturen, ist dann aus dieser Holzsubstanz letztendlich die Kohle entstanden.?     Atmo 04 (Atmo_Seilfahrt, 02:00) Bergmann: ?Glück auf! Und nicht bewegen! Schön da auf dem Korb bleiben. ??     Sprecherin 02 Mehr als eine halbe Million Menschen malochten einst im deutschen Steinkohle-Bergbau. Unzählige Zechen existierten. Heute sind nur noch zwei davon in Betrieb. Die Kohle liegt tief, der Abbau ist unrentabel. Die Kumpel sterben aus. Zuweilen aber sind sie anzutreffen, wo man sie gar nicht mehr erwartet.     Atmo 05 (Atmo_Einfahrt, 02:07) Drei Glockenschläge, Geräusch des Förderkorbes     Autor 03 Zeche Zollverein in Essen. Stillgelegt 1986, seit 2001 UNESCO-Welterbe. Trotzdem sind hier, im Schacht zwölf mit der markanten Frakturschrift am Förderturm, täglich Bergleute unterwegs. Die Seilfahrt im Förderkorb dauert acht Minuten.     Atmo 06 (Atmo_Ankunft_unten, 00:12) Glockenschlag, Steiger: ?Das ist das Zeichen, das ich das Tor öffnen kann, der eine Schlag.? - Tor öffnet sich     O-Ton 08 (O_Bereichsleiter_Roth_01, 00:33) ?Wir sind hier auf der 14. Sohle der zentralen Wasserhaltung ?Zollverein? in Essen. Wir sind ca 1.000 Meter unter der Erde.?     Autor 04 Markus Roth ist bei der RAG, der einstigen Ruhrkohle AG zuständig für die Planung der Grubenwasserhaltung. Die Zeche Zollverein ist dafür ein zentraler Standort.     Atmo 07 (Atmo_Pumpenraum_clean) Pumpengeräusch     Autor 05 Die riesigen Tunnel einen Kilometer tief unter Essen führten einst zu den Stellen, an denen die Kohle aus dem Gestein geschnitten wurde. Grubengebäude heißt der kilometerlange Ausbau im Fachjargon. Rund um die Uhr röhren hier unten zehn gigantische Pumpen.     O-Ton 09 (O_Bereichsleiter_Roth_01, 01:29) ?Wir heben hier Wasser, welches dem untertägigen Grubengebäude zuströmt. ? Wir heben es zum einen zum Schutz des noch betriebenen Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop-Kirchhellen. Wir betreiben aber auch die Wasserhaltung zum Schutz der Tagesoberfläche vor ansteigendem Wasser.?     Autor 06 Ohne ständiges Pumpen würde sich das Wasser in den miteinander verbundenen Bergwerken sammeln ? der Kohleabbau wäre unmöglich. Deshalb werden allein auf ?Zollverein? pro Jahr sieben Millionen Kubikmeter Wasser tausend Meter nach oben an die Erdoberfläche gedrückt. Aber auch nach dem Ende des Bergbaus muss weiter gepumpt werden. Der unkontrollierte Anstieg des salzhaltigen Wassers soll verhindert werden.       O-Ton 10 (O_Bereichsleiter_01, 02:12) ?Risiken an der Tagesoberfläche könnten sein: Die Vermischung von tiefem Grubenwasser mit höherem Grundwasser, mit Trinkwasserbereichen. Es können aber auch Ausgasungen an der Tagesoberfläche sein. Es können aber auch Hebungen an der Tagesoberfläche sein, die durch einen unkontrollierten Grubenwasseranstieg ausgelöst werden könnten.?     Autor 07 Wie lange gepumpt werden muss, ist offen. Die Grubenwasserhaltung gilt als eine der Ewigkeitslasten aus dem Steinkohlebergbau. Nach dessen Ende wird das Entwässerungssystem allerdings umgebaut. Statt heute in 1.000 Metern Tiefe werden die Pumpen auf 600 Metern installiert. Bis in diese Höhe darf das Wasser dann ansteigen, die alten Gruben werden geflutet.     O-Ton 11 (O_Bereichsleiter_Roth_02, 01:43) ?Wir werden kein offenes Grubengebäude mehr benötigen. Sondern wir werden klassisch ? über Tiefpumpen das Wasser heben. Das macht das ganze effizienter, weniger personalintensiv und auch entsprechend ? ich sage mal ? energiesparend. ? (02:22) Und dann steht dieser Bereich, wie wir in gerade gesehen haben, unter Wasser.?     O-Ton 12 (O_Melchers, 02:10) ?Die aufwändigste Ewigkeitsaufgabe ist zweifelsohne die Grubenwasserhaltung. ? Das sind immense Beanspruchungen an Rohrleitungssysteme, an Pumpen ? und damit verbunden auch ein immenser energetischer Bedarf.?       Sprecherin 03 Christian Melchers ist Professor für Nachbergbau an der Technischen Hochschule ?Georg Agricola? in Bochum. Auch Fachleute wie er haben noch viele Fragen zu den langfristigen Folgen der Kohleförderung unter Tage. Was sich in den riesigen Hohlräumen 1.000 bis 1.5000 Meter tief unter der Erde abspielt, wenn die letzten Gruben verschlossen sind, lässt sich nicht genau vorhersagen.         O-Ton 13 (O_Melchers, 05:17) ?Die Herausforderung besteht darin, in den Grubenräumen in großen Tiefen Sensoren einzubauen. Die eben uns melden, wann das Grubenwasser dasteht, in welchen Konzentrationen. Und mit welchen Eigenschaften es sich in der Grube darstellt. Und auch, in welche Richtung es letztendlich fließt.?     Sprecherin 04 Erfahrungen aus anderen ehemaligen Bergbaugebieten helfen nur bedingt weiter. Das Ruhrgebiet ist geologisch anders aufgebaut als etwa das Saarland oder Sachsen. Christian Melchers glaubt, dass ein Ausfall der Pumpen keine akute Gefahr bedeuten würde. Er verweist darauf, dass Wasser in großen Tiefen nur langsam fließt.       O-Ton 14 (O_Melchers, 08:24) ?Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir durch den untertägigen Steinkohlenbergbau eine immense untertägige Infrastruktur haben. Das heißt: Große Grubengebäude, die erst Mal mit dem zuströmenden Wasser gefüllt werden würden. Und bis das Grubenwasser die Lagerstätte verlässt, vergehen erst Mal mehrere Zehner-Jahre.     Sprecherin 05 Aber nicht nur in 600 Metern Tiefe muss ewig gepumpt werden, sondern auch an der Erdoberfläche. Viele Gebiete im Ruhrgebiet sind durch den Bergbau abgesackt, manche um bis zu zwanzig Meter. In diesen so genannten Poldergebieten würde sich ohne Pumpen Wasser sammeln.     O-Ton 15 (O_Melchers, 07:52) ?Große Städte würden mitunter in relativ kurzer Zeit nasse Füße kriegen. ? Zum Beispiel Essen oder Duisburg. ? (07:45) Also insofern sind eher die Poldergebiete dann kritisch als ansteigendes Grubenwasser.?     Sprecherin 06 Für die Finanzierung all dieser Ewigkeitsaufgaben ist die RAG-Stiftung zuständig. Deren Stammkaptial stammt aus dem Vermögen der Ruhrkohle AG. Die Ausgaben sollen aus den Renditen des angelegten Geldes bezahlt werden.   O-Ton 16 (O_Melchers, 16:59) ?Man geht davon aus, dass jährlich gut 220 Millionen Euro für die Bewältigung der Ewigkeitsaufgaben benötigt werden. Der Löwenanteil hierbei entfällt auf die Grubenwasserhaltung, gut 66 Prozent. Weitere 30 Prozent für die Bewirtschaftung der Poldergebiete. Und der Rest fällt für die Grundwasserreinigung an ehemaligen belasteten Bergbaustandorten, insbesondere an Kokerei-Standorten, an.?       - Soundelement ? Trenner -       Zitatorin 03 Deutsche Demokratische Republik, die Zitator 03 ehemaliger Staat, existierte von 1949 bis 1989     O-Ton 17 (O_Tremmel_01, 00:50) ?Es gibt ein menschliches Zeitmaß. Das ist in Lebenszeiten, in Europa etwa 80 Jahre, gemessen.?     Zitatorin 04 Mensch, der Zitator 04 Fossilien belegen sein Vorkommen auf der Erde seit etwa 200.000 Jahren     O-Ton 18 (O_Tremmel_01, 01:00) ?Wir haben die Zeitmaße der Natur. ? Beim Artensterben ? natürlich erschafft die Natur auch neue Arten. Aber das geht eben in die Jahrhunderttausende.?     Zitatorin 05 Erdöl, das Zitator 05 Entstehung aus Kleinstlebewesen und Pflanzen beginnt vor etwa 150 Millionen Jahren     O-Ton 19 (O_Tremmel_01, 01:10) ?Und es gibt dann darüber hinaus noch die nicht erneuerbaren Energien aus der Litosphäre ? also Kohle, Öl Gas, wo es wirklich Jahrmillionen dauert. Also unterschiedliche Zeitmaße für Naturereignisse, die aber dem Menschen alle ewig vorkommen.?       - Soundelement ? Trenner -       Atmo 08 (Atmo_Aussichtsturm_01) Schritte auf der Treppe. Mann: ?Wir müssen hundert Stufen hoch.?     Autor 08 Fast 500 Kilometer östlich des Ruhrgebiets kämpft ebenfalls eine Region mit Spätfolgen des Bergbaus. Am Stadtrand von Ronneburg im Osten Thüringens steigen Frank Lange und Hans-Dieter Barth auf einen Aussichtsturm.     Atmo 09 (Atmo_Aussichtsturm_01) letzte Schritte auf der Treppe, Schnaufen, Mann: ?Ehe wir das ganze Gelände bereisen ? von hier oben sieht man wahrscheinlich ein bisschen mehr.?     Autor 09 Zwischen 1950 und 1990 förderte hier die Wismut AG für die Sowjetunion Uran ? im Tagebau und unterirdisch. Ein Drittel des Rohstoffs für Atomkraftwerke und Atomwaffen im ehemaligen Ostblock kam von hier. Der Kirchliche Umweltkreis Ronneburg engagierte sich schon in der DDR gegen die damit einhergehende Umweltverschmutzung. Frank Lange und Hans-Dieter Barth erinnern sich:                     O-Ton 20 (O_Barth_Lange, 27:49) (Lange) ?An die 40 Fördertürme konnten sie hier sehen. Und als Wismut in den siebziger Jahren noch intensiv Uran gesucht hat, ? da war alles taghell. ? Förderturm an Förderturm.? ? (00:59, Barth) ?Da, wo die Solaranlage steht, da standen früher Terrakonikhalden -  also das sind solche Spitzkegel ? auf die man dann praktisch ? den Abraum hoch gefahren hat.? ? (28:37, Lange) ?Zuletzt waren es vier: Da zwei und da zwei. Es waren aber im Laufe der Jahrzehnte mehr. ? Es gab ja auch Stufenhalden sehr viele, sehr, sehr viele. ? Es war ein Riesenareal, Mondlandschaft. So wie sie es heute noch manchmal sehen in der Braunkohle.?     Autor 10 26 Jahre später fällt der Blick vom Aussichtsturm auf liebliche Hügel und Täler, wie sie für den Osten Thüringens typisch sind. Die Wismut hat das Landschaftsbild seit 1990 saniert, die größten alten Halden in die Tagebaulöcher gefüllt. Trotzdem sind die radioaktiven Altlasten noch da, wenn auch unter der Erde. Sie müssen für lange Zeit überwacht werden. Hans-Dieter Barth deutet auf einen kleinen Berg gleich gegenüber.     O-Ton 21 (O_Barth_Lange_01, 01:25) ?Dieser Aufschüttkörper markiert praktisch den Ort, wo früher der Tagebau war. Und wie in jedem Bergbau hat man Probleme mit dem Wasser, das aus diesen Bergbauanlagen raus fließt. Was man abpumpen und reinigen muss. Und das muss man hier natürlich auch machen. Und da sehen sie gleich von hier aus, sehen sie sofort die Wasseraufbereitungsanlage, die hier für dieses Gebiet zuständig ist.?     Autor 11 Das Wasser ist allerdings nicht nur mit Salzen belastet wie im Ruhrgebiet. Dazu kommen hier noch Schwermetalle, auch radioaktives Uran. Bevor das Wasser in die Weiße Elster eingeleitet wird, scheidet die Aufbereitungsanlage die Schwermetalle ab. Das ist hier eine Ewigkeitsaufgabe.     Atmo 10 (Atmo_Umweltkreis) Stimmen: ?Grit wollte kommen, Geipel wollte kommen.? - ?Es ist ja noch nicht mal um sieben. Warten wir noch ein bisschen.?     Autor 12 Der Kirchliche Umweltkreis trifft sich noch immer regelmäßig, diesmal im evangelischen Pfarrhaus. Die Aktivisten treibt um, dass nicht alle Halden saniert wurden. Gerade einige der ältesten sind außen vor geblieben. Unter einer oft nur dünnen Erdschicht schlummern darin Reste von Uran und Radon, beides schwach radioaktive Stoffe. Hinter einigen Halden ruht zudem hoch belasteter Schlamm aus den Anlagen, mit denen das Uran aus dem Erz ausgewaschen wurde.     Atmo 11 (O_Dix, 04:34) Frauenstimme: ?... weil es ja irgendwo wenig Sinn macht, 13 Milliarden Sanierungsauftrag zu erfüllen, wenn daneben eben Dinge unsaniert bleiben. Und trotzdem noch Belastungen für die Bevölkerung dort ausgehen.?     Autor 13 Kathrin Dix ist Leiterin der Verwaltungsgemeinschaft Wünschendorf. Sie beklagt, dass in der Gemeinde Gauern am Rande eines ehemaligen Uran-Tagebaus der Dorfteich schwermetallverseucht ist. Grund: Das Sickerwasser aus der benachbarten Halde wird nicht aufgefangen und gereinigt. Eine Lücke im Sanierungsprogramm.     O-Ton 22 (O_Sailer, 03:00) ?Die Wismut ist eine echte Ewigkeitslast aus dem Nukleartechnischen. ? Dort ist saniert worden nach der Wende. Aber die Standards sind dort sehr viel niedriger als man sie bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle hat. Grund war: Es ging einfach nicht anders, weil man sonst Millionen von Tonnen Material hätte handhaben müssen.?     Sprecherin 07 Auch Michael Sailer kennt die Mängel rund um den Wismut-Bergbau. Der Geschäftsführer des Öko-Institutes steht der Atomkraft ohnehin kritisch gegenüber.       - Soundelement ? Trenner -     Zitatorin 06 Bündnis 90/Grüne, die Zitator 06 Partei, 1980 aus der Anti-Atombewegung heraus gegründet, stellte vor fünf Jahren erstmals einen Ministerpräsidenten     O-Ton 23 (O_Brunnen_01, 22:03) ?In der Politikwissenschaft haben wir ja schon Probleme, für ein halbes Jahrzehnt Prognosen anzustellen, wie gesellschaftliche Formationen dann aussehen könnten. Wissen wir, ob es in zwanzig, dreißig Jahren noch den Staat gibt, wie wir in heute haben?     Zitatorin 07 Katholische Kirche, die Zitator 07 älteste Institution der Menschheit, existiert seit etwa 2000 Jahren     O-Ton 24 (O_Tremmel_01, 04:03) ?Menschen schreiben seit über zehntausend Jahren ihre Geschichte auf. Aber der Atommüll ist eben ein Problem für viele hunderttausende von Jahren. Das ist einfach eine Potenz größer. Und insofern ist das ein ganz neues Problem.?       - Soundelement ? Trenner -       Sprecherin 08 Von den einstigen Rohstoffen aus Ronneburg führt eine direkte Linie zur größten Ewigkeitslast der Industriegesellschaften: Angereicherte Brennelemente aus den Atomkraftwerken. Deren Reste sind hoch radioaktiv, werden mehrere hunderttausend Jahre intensiv strahlen und noch Jahrzehnte Wärme entwickeln. Entsprechend lange müssen sie sicher verwahrt werden. Michael Sailer:       O-Ton 25 (O_Sailer, 05:45) ?Grundsätzlich muss man sagen: Man muss den Abschluss vor der Biosphäre schaffen. Das heißt, in der nächsten Millionen Jahre müssen aus dem eigentlichen Endlagerbereich ? fachmännisch spricht man von dem einschlusswirksamen Gebirgsbereich ? dürfen aus dem die radioaktive Stoffe nicht in merklichen Mengen raus kommen. Und der einschlusswirksame Gebirgsbereich, der muss eben so liegen, in einer geologischen Formation, bei der man heute sicher davon ausgehen kann, dass die in der nächsten Million Jahre nicht so umgestaltet wird, dass es doch Undichtigkeiten gibt.?     Sprecherin 09 Weltweit gibt es für eine solche Endlagerung bisher kein ausgereiftes Verfahren. Und das, obwohl in den vergangenen Jahrzehnten geschätzte 350.000 Tonnen hochradioaktiver Müll entstanden sind. Auch in Deutschland wird seit Jahrzehnten darüber gestritten, wie die Reste aus den Atomreaktoren endgelagert werden.     Atmo 12 (Atmo_Rundfahrt_Bergwerk, 03:44 Autofahrt, Fenster wird geöffnet, männl. Stimme: ?Schönen Guten Tag. Wir fahren nur seitlich vorbei.?     Autor 14 Unterwegs am Erkundungsbergwerk Gorleben. Ein Pförtner versperrt den Weg ? zurzeit werden keine Besucher eingelassen. Hier mitten im Wald des norddeutschen Tieflands, nur wenige Kilometer von der Elbe entfernt, sollte das deutsche Endlager entstehen. Ab 1979 ließ das Bundesamt für Strahlenschutz untersuchen, ob sich der Salzstock in etwa 1.000 Metern Tiefe für die Verwahrung des hoch radioaktiven Mülls eignet. 2013 konnten Anwohner und Anti-Atombewegung nach Jahrzehnten des Protests einen Erfolg feiern.     Atmo 13 Tagesschau-Fanfare, Sprecher: ?Bund und Länder haben sich auf eine neue bundesweite Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll verständigt. ? Bislang war nur der Salzstock im niedersächsischen Gorleben erkundet worden, gegen massiven Widerstand.?     Sprecherin 10 Seit vor drei Jahren das neue Standortauswahlgesetz in Kraft trat, ruht die Erkundung des Gorlebener Salzstockes. 1,6 Milliarden Euro wurden hier bisher investiert. Jetzt soll der Eindruck vermieden werden, es gäbe wegen dieser hohen Ausgaben eine Vorfestlegung auf den Standort.     Atmo 14 Tagesschau-Fanfare (gekürzt), Sprecherin: ?In Berlin hat eine Kommission aus Experten, Politikern und gesellschaftlicher Gruppen die Arbeit aufgenommen. Sie soll klären, welche Anforderungen ein Endlager für hochradioaktiven Müll erfüllen muss.?     Sprecherin 11 Im Mai 2014 konstituierte sich die Endlagerkommission. Das Gremium besteht aus Bundestagsmitgliedern, Vertretern der Landesregierungen, Wissenschaftlern, sowie Lobbyisten aus Industrie und Umweltverbänden. Auch Michael Sailer vom Öko-Institut gehört dazu. Er skizziert, welche grundsätzlichen Voraussetzungen ein Endlagerung erfüllen muss.     O-Ton 26 (O_Sailer, 05:10) ?Das geht nur im tiefen Bergwerk ,500 bis 1.000 Meter tief unter der Erde in geeigneten Gesteinsarten. Dann muss man da immer gucken, dass die dicht sind. Damit die Radioaktivität nicht raus kommt und ins Grundwasser wandert. Man muss auch gucken, dass der Kontakt mit dem Gestein so ist, dass die Wärme gut abgeführt wird. Also zwei Hauptprobleme: Radioaktivität und Wärme.?     Sprecherin 12 Die Endlagerkommission hat den Auftrag, die Kriterien zur Verwahrung der strahlenden Altlasten neu aufzustellen. Bisher war geplant, ein Endlager im Salzgestein nach der Versenkung aller hochradioaktiven Stoffe für immer zu verschließen. Mittlerweile plädieren Fachleute dafür, das Zurückholen des Mülls zu ermöglichen.       O-Ton 27 (O_Sailer, 12:15) ?In der Kommission sind wir uns einig, dass wir Elemente der Reversibilität einbauen müssen. Also da geht es jetzt nicht nur um Technik. Es geht auch darum, dass man Entscheidungen immer wieder hinterfragt. Auch zwanzig Jahre später alte Gutachten überprüft, ob man die nach heutigem Wissen noch vertreten kann.?       O-Ton 28 (O_Grunwald, 16:23) ?Auch mit dem Vorteil, das zukünftige Generationen mehr Handlungsmöglichkeiten haben. Wir könnten theoretisch, wenn es noch Mal eine ganz neue Option gibt, viel ungefährlicher, dann könnten wir die Sachen raus holen und dieser neuen Option zuführen.?     Sprecherin 13 sagt Achim Grunwald, ebenfalls Mitglied der Endlagerkommisson. Allerdings gibt der Professor für Technikphilosophie und Technikethik am Karlsruher Institut für Technologie zu bedenken:     O-Ton 29 (O_Grunwald, 16:35) ?Man bürdet nachfolgenden Generationen dadurch natürlich auch eine Sorgfaltspflicht auf. Denn, ja, das Endlagerbergwerk bleibt offen, muss beobachtet werden. Die Daten müssen erhoben werden, müssen ausgewertet werden, man wird eine Entscheidung treffen müssen. Das sind ja alles Belastungen für zukünftige Generationen.?     Sprecherin 14 Die Endlagerkommission zieht mit ihrer Forderung, die strahlenden Überreste rückholbar einzulagern, Lehren aus den Vorfällen im Atommülllager Asse II. In der Nähe von Wolfenbüttel wollte die Atomindustrie ab den 1960er Jahren erforschen, ob sich Salzgestein zur Deponierung eignet. Bis 1978 kippten die Betreiber mehr als 125.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in das frühere Bergwerk. Seit 1988 aber dringt kontinuierlich Grundwasser ein und droht Strahlung nach draußen zu spülen. Zudem ist die Grube nicht mehr stabil. Ab 2033 sollen die eingelagerten Fässer geborgen werden. Wie das genau funktioniert, ist bisher unklar.       Atmo 15 (Atmo_Ankunft_ZwiLager, 00:18) Summen Türöffner, Mann: ?Hallo. Wir sind etwas später gekommen.?     Autor 15 Zurück im niedersächsischen Wendland. Nur wenige Meter neben dem Erkundungsbergwerk Gorleben steht das Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle. Hier sollten die Brennstäbe ursprünglich für die Endlagerung vorbereitet werden. Dann hätte man sie nur noch über die Straße bringen und im Salzstock versenken müssen.     Atmo 16 (Atmo_Ankunft_ZwiLager, 001:17) ?Wir müssen aber noch eine Personenkontrolle durchführen, wie man es vom Flughafen her kennt. Das heißt, Metallgegenstände hier rein legen.?, Piepsen des Metalldetektors     Autor 16 Jürgen Auer führt durch den Betrieb. Er ist Sprecher der Gesellschaft für Nuklear-Service, die die Anlage betreibt.     Atmo 17 (Atmo_Castorlager_01) Tür schlägt, Schritte auf der Treppe     Autor 17 In einer langen, fensterlosen Halle stehen 113 Atomtransportbehälter, landläufig als Castoren bekannt. In einigen der mehr als 100 Tonnen schweren Kolosse aus Stahl und Gusseisen stecken abgebrannte Brennelemente. In anderen hochradioaktive Abfälle, die bei der Wiederaufarbeitung deutscher Brennstäbe im Ausland entstanden sind und dann ? von Massenprotesten begleitet - nach Gorleben gebracht wurden.       O-Ton 30 (Atmo_Castorlager_02, 02:11) ?Hier haben wir den gesamten hochradioaktiven Abfall aus dem Recycling der Brennelemente, die bis 2005 nach Frankreich gebracht worden sind.?       Sprecherin 15 Von der risikoreichen und teuren Wiederaufarbeitung hat sich Deutschland mittlerweile verabschiedet. Stattdessen sollen die verbrauchten Brennelemente direkt endgelagert werden. Vor 2050 aber wird nach derzeitigem Stand kein unterirdisches Depot zur Verfügung stehen. Die hochradioaktiven Reststoffe müssen deshalb weiterhin über der Erde aufbewahrt werden ? in Hallen wie der in Gorleben oder direkt an den Kraftwerken. Das gilt für den vorhandenen Müll ebenso wie für den, der bis zum Automausstieg 2022 noch anfällt.     Atmo 18 (Atmo_KondiAnl-rein, 04:10) Männerstimme: ?Hier an der Stelle würde man sein Dosimeter empfangen, wenn die Anlage in Betrieb wäre.?     Autor 18 Gorleben zeigt, dass heute Verfahren hinterfragt werden, die Fachleute vor zwanzig Jahren noch als sicher einschätzten. Hinter dem Castorenlager steht eine Fabrikhalle mit Wänden aus anderthalb Meter dickem Stahlbeton. Darin befindet sich eine noch einmal mit dicken Betonwänden abgeschirmte so genannte heiße Zelle. Dort soll eigentlich das Verpacken der hochradioaktiven Abfälle getestet werden.       O-Ton 31 (O_GNS_Auer_01, 01:39) ?Wir wollen ja nicht die Brennelemente so in der Form, wie sie bestehen, in ein Endlager bringen. Nach unseren Sicherheitsvorstellungen wollen wir die Brennelemente vorher zerlegen. Die Brennstäbe raus ziehen aus der Struktur des Brennelementes. Und das kann man nicht auf der grünen Wiese machen. Dazu ist dieses Gebäude dann errichtet worden.?                     Autor 19 Jürgen Auers Worte hallen nach in dem riesigen Gebäude. Dann ist es wieder still, denn hier passiert nichts ? und das seit die 450 Millionen Euro teure Anlage 1998 fertig gestellt wurde. Den Stand-by-Betrieb lässt sich die Bundesregierung jährlich einen einstelligen Millionenbetrag kosten. Bei einer Havarie im Zwischenlager könnte hier ein defekter Castor-Behälter umgeladen oder repariert werden.     Atmo 19 (O_GNS_Auer_04, 00:29) Mann: ?Der ist Mitte der neunziger Jahre unter anderem fünf mal aus neun Metern Höhe auf nicht nachgebenden Untergrund runter geworfen worden.?     Autor 20 Jürgen Auer deutet auf einen fünf Meter langen stählernen Koloss. Eigens für die Endlagerung in Gorleben hatte die Gesellschaft für Nuklear-Service einen Behälter entwickelt. Der einzige bisher gebaute Koloss liegt vor der heißen Zelle ? und wird womöglich nie befüllt werden.     O-Ton 32 (O_GNS_Auer_02, 00:51) ?Der Pollux-Behälter ist ? entwickelt für die Endlagerung in Salz. ? Wechselt man das Wirtsgestein, ? nimmt man dann andere Behälter. Die Skandinavier, die nur in Granit endlagern können, haben einen ? zweischaligen Behälter geschaffen mit einer fünf Zentimeter starken Kupferschicht außen herum. Und dann in Betonit eingeschlossen.?     Autor 21 In Gesteinen wie Ton oder Granit spielen die Behälter eine größere Rolle als Barriere für die Radioaktivität. In Gorleben dagegen sollte das Salz den Atommüll rundum einschließen und die Strahlung abschirmen. Die langfristige Stabilität des Behälters halten Fachleute dort für weniger wichtig. Jürgen Auer zählt weitere Vorteile des Salzgesteins auf:     O-Ton 33 (O_GNS_Auer_02, 02:54) ?Erstens, dass wir durch den Betrieb von Salzbergwerken sehr viel Erfahrungen in Deutschland haben, wie sich Salz verhält. ? Aber viel wichtiger noch ist, dass man sagt: Das Salz ist ja sehr alt. Die Salzlagerstätten sind vor etwa 250 Millionen Jahren entstanden. ? (04:02) Salz ist sehr trocken. Wenn man in eine Salzlagerstätte rein geht und sieht da beispielsweise Fahrzeuge, die seit vielen Jahren da stehen, dann sieht man zwar viel Salzstaub oben drauf, aber keinen Rost.?     Sprecherin 16 Andererseits haben gerade die Vorfälle im Atommülllager Asse II gezeigt, dass es Unwägbarkeiten gibt.     - Soundelement ? Trenner -       Sprecherin 17 Auch die Kosten für die Endlagerung sind nicht gesichert. Gerade hat die Atomkommission vorgeschlagen, dass die Energiekonzerne dafür 23,3 Milliarden Euro in einen staatlichen Fonds einzahlen. Diese Summe aber wird nicht reichen. Solange mit den Problemen nicht transparent umgegangen wird, erwartet der Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber von der Freien Universität Berlin weitere Proteste an potenziellen Endlagerstandorten. Er wertet die Suche auch als Demokratietest.     O-Ton 34 (O_Brunnen_02, 03:06) ?Weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir keinen Endlagerstandort finden werden ohne das es gesellschaftliche Zustimmung gibt. ? Das funktioniert aber nur ? deshalb Demokratietest ? wenn die staatlichen Institutionen auch dazu bereit sind, gewisse Kompetenzen, auch Ressourcen in Form finanzieller Unterstützung an die Gesellschaft, an Bürgerinnen und Bürger, an Bürgerforen oder vielleicht sogar an die Anti-Atombewegung abzugeben. Das heißt, bestimmte Kompetenzen bewusst in die Hand der Bürgerinnen und Bürger zu übergeben, die dann einen Prozess mit organisieren.?       Sprecherin 18 Behörden wie das gerade entstehende Bundesamt für kerntechnische Entsorgung hält Brunnengräber in diesem Zusammenhang für wenig erfolgversprechend. Der Staat sei in der Vergangenheit zu eng mit der Atomindustrie verbunden gewesen, das Vertrauen der Bevölkerung entsprechend gering. Abhilfe sollen ganz neue Gremien bringen.     O-Ton 35 (O_Brunnen_01, 30:17) ?Es müsste eine starke Institution sein, die im gesellschaftlichen Prozess entsteht. ? Wir wissen nicht, wie so eine Institution letztendlich dann geformt sein sollte. Aber nach den Erfahrungen und den Analysen, die wir vorgenommen haben, würden wir sagen: Es muss möglichst neutral sein. Und es muss neu entstehen und darf nicht staatlich gesetzt werden.?     Sprecher 45 An der Universität Tübingen beschäftigt sich Brunnengräbers Kollege Jörg Tremmel damit, wie die Interessen künftiger Generationen in heutige Entscheidungen einbezogen werden könnten. Denn unsere Nachkommen werden direkt davon betroffen sein, wie wir die atomare Endlagerung organisieren. Dem Politikprofessor schwebt vor, bereits existierende Beratungsgremien des Bundestages zu einem unabhängigen Ökologischen Rat zusammenzufassen.     O-Ton 36 (O_Tremmel_01, 12:10) ?Und diesem Ökologischen Rat proaktiv die Möglichkeit geben, Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen. Die er dann aber nicht selber entscheidet. Sondern die dann, wie durch einen interfraktionellen Antrag auch heute schon möglich ? im Parlament in erster, zweiter, dritter Lesung beraten werden. Aber eben von diesen Gremien eingebracht werden können.?     Sprecher 46 Tremmel erwartet von einem solchen Rat nachhaltigere Entscheidungen als von den nur für vier Jahre gewählten Abgeordneten. Die Interessen künftiger Generationen heute schon zu definieren, hält der Tübinger Professor gerade in der Atomfrage für einfach.   O-Ton 37 (O_Tremmel_01, 09:40) ?Wenn wir uns künftige Generationen als Menschen vorstellen, dann wissen wir, dass Menschen zu allen Zeiten bestimmte Grundbedürfnisse ? haben werden. Dazu gehört eben saubere Luft, sauberes Wasser, saubere Nahrung. Und wenn die Menschheit ? hypothetisch gesprochen ? heute große Teile der Welt atomar verseuchen würde, dann wäre das mit Sicherheit ein Verstoß gegen die Grundbedürfnisse künftiger Generationen.?     Sprecherin 19 So selbstverständlich das klingt ? besonders lange bestimmt diese Einsicht das politische Handeln noch nicht. Wie sonst wäre zu erklären, dass Ewigkeitslasten lange Zeit vernachlässigt wurden. Einerseits spielten die finanziellen Interessen der Atomindustrie eine Rolle. Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber verweist aber auch auf die menschliche Neigung, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen.     O-Ton 38 (O_Brunnengräber_02, 09:40) ?Der starke Drang 'Wir beherrschen die Natur' kommt ja da sehr stark zum Tragen. Auch heute sehen wir das ja noch. ? Und wir sind in anderen Bereichen auch quasi in die Situation ? bewusst hinein gegangen, dass wir sagen: Wir können ? die nukleare Macht, die wir da entfalten, beherrschen. Und mussten feststellen: Wir können es nicht. Ja, die Reaktorkatastrophen haben uns gezeigt: Wir können es nicht.?