COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt 29.3.2008 Vom Langen Trödel und der dicken Anneliese Der Finowkanal in Brandenburg Von Nicolas Hansen Jingle "Deutschlandrundfahrt" Opener Musik. Darüber: O-Ton Collage 1. O-Ton: Frank Neumann Der Finowkanal war also die erste künstliche Wasserverbindung zwischen der Havel und der Oder und damit natürlich auch die erste künstliche Wasserverbindung zwischen zwei deutschen Stromgebieten und zwar dem Stromgebiet der Elbe und dem Stromgebiet der Oder, denn eine andere Verbindung gab es zur damaligen Zeit nicht. Musik kurz hochkommen lassen. 2. O-Ton: Jörg Schumacher Das Schiff verdrängt immer so viel Wasser, wie es selber wiegt. Und auf der anderen Seite der Seile hängen die 4300 Tonnen Gegengewichte. Und wenn der Trog dann oben angekommen ist, dann sind die Gegenwichte halt unten. Und so geht es immer im Wechsel. Musik kurz hochkommen lassen. 3. O-Ton: Margot Ziebarth Also früher wurde er genutzt zum Wäschewaschen. Da haben die Frauen Wasser geholt aus dem Kanal mit Eimern, haben dann die Waschkessel gefüllt mit Wasser, dann wurden die Waschkessel angeheizt, dann hat man die Wäsche ganz normal gewaschen, ausgewrungen und ist mit dieser ausgewrungenen Wäsche dann zum Kanal gegangen und hat gespült. Musik kurz hochkommen lassen. Sprecher: Vom Langen Trödel und der dicken Anneliese. Der Finowkanal in Brandenburg. Eine Deutschlandrundfahrt mit Nicolas Hansen. Musik noch stehen lassen. Geräusch Schiffshupe, Motorengeräusch, Wassersprudeln unterlegen Autor: Luise heißt das Schiff, dass an der Kaimauer am Oder-Havel-Kanal festmacht. Luise, wie die Königin von Preußen, deren Mann Friedrich-Wilhelm III. einst über dieses Gebiet zwischen Oder und Havel in Brandenburg herrschte. Diese Luise jedoch ist ein Ausflugsschiff. Passagiere sind noch nicht an Bord. Frank Neumann gehört das Schiff und er putzt Scheiben und Tische, rückt Stühle und fegt den Boden. Ende März soll alles picobello sauber sein, denn dann beginnt die Saison. Frank Neumann setzt sich draußen auf dem Achterdeck auf eine Bank. 4. O-Ton: Frank Neumann Für mich strahlt Wasser immer Ruhe aus. Ich habe also meine gesamte Kindheit auf dem Wasser verbracht und, wenn ich hier an Bord bin, dann fühle ich mich wohl. Dieses hier, an Bord fahren, ist also nicht immer nur Arbeit, sondern irgendwo in bestimmten Situationen auch ein kleines Stück Entspannung, man hat viel zu sehen, man auf der Backbordseite, auf der Steuerbordseite auch mal so ein bisschen in die Tierwelt Einblick nehmen und kann auch mal so ein bisschen die Seele baumeln lassen. Außenatmo Autor: Der Schreibtisch ist nicht seine Welt. Frank Neumann ist froh, wenn er auf eines seiner Schiffe kann. Seine munteren Augen wandern ständig umher, als suchten sie etwas, was noch nicht so ist, wie er es sich vorstellt. Früher, vor 1990, hat er in einem Betrieb in Eberswalde als Angestellter gearbeitet. Für ihn kein zufriedenstellender Zustand. Gemeinsam mit seinem Vater hatte er schließlich eine neue Idee. 5. O-Ton: Frank Neumann Die Idee entstand nach der Wende, ich hab meine gesamte Kindheit eigentlich auf dem Wasser verbracht, hab früher also ganz aktiv gesegelt. Und irgendwo entstand dann der Wunsch, sein Berufsleben auch auf dem Wasser fortzuführen. Und dann kam der Vater irgendwann auf die verrückte Idee und hat gesagt, was hällste denn davon, wenn wir ein Fahrgastschiff kaufen und Schifffahrt auf dem Finowkanal betreiben. Das ganze haben wir vor der Mutter erst mal noch geheim gehalten, denn die wäre dieser Idee bestimmt nicht so aufgeschlossen entgegengetreten. Ja, und dann kamen die ersten Anträge, dann kam irgendwann das Schiff und schon war die Idee verwirklicht. Die Zeiträume dazwischen waren natürlich etwas länger. Außenatmo Autor: Frank Neumann ist etwa Mitte vierzig, ein dunkler Schopf, die Schläfen grau, der Bart auch. Im Ausschnitt seines Hemdes baumeln zwei goldene Ketten, an einer hängt ein Anhänger in Form eines Ankers. Zwischendurch ist er schon zweimal wieder aufgesprungen. Einmal hat er die Fahne am Heck gerichtet, dann galt es noch einen Fleck zu beseitigen. Mittlerweile besitzt er drei Fahrgastschiffe und den alten Frachtkahn Anneliese, den er für Ausflugsfahrten auf dem Finowkanal umgebaut hat. 6. O-Ton: Frank Neumann Der Finowkanal selbst hatte einst eine sehr, sehr große wirtschaftliche Bedeutung. 1895 wurden nachweislich gut 2 Millionen Tonnen Güter über diese Wasserstraße transportiert. 1903 waren es dann waren es also dann bereits 3 Millionen Tonnen Güter, das entsprach also einem Transportaufkommen zur damaligen Zeit von mehr als auf dem Rhein. Und erst nachdem der Kanal dort wirklich drohte aus allen Nähten zu platzen, hatte man sich ja dann entschlossen die Havel-Oder-Wasserstraße oder besser gesagt, den Großschifffahrtsweg Berlin-Stettin zu bauen, (Stimme bleibt oben) Außenatmo unter Autor blenden Autor: ..., der dann 1914 durch Kaiser Wilhelm II. als Hohenzollernkanal eingeweiht wurde. Der alte, schmale Finowkanal verläuft im Süden parallel dazu, nur einen Steinwurf davon entfernt. Sein Anfang liegt bei dem kleinen Dorf Niederfinow. Musik Interpret: Billy Joel Titel: The River of Dreams CD: Piano Man - The very best of Billy Joel Track: 005 Komponist: Billy Joel Text: Billy Joel LC/Best.-Nr.: 00162 COLUMBIA / 714296-2 DLR-Archiv#: 93-10024 Außenatmo Autor: Am Schiffshebewerk im brandenburgischen Niederfinow. Keine 20 Kilometer sind es von hier bis zur polnischen Grenze. Das Dorf hat kaum 700 Einwohner, dennoch ist es weit über die Region hinaus bekannt. Schiffe auf dem Oder-Havel-Kanal müssen hier einen Höhenunterschied von 36 Metern überwinden. Früher geschah dies mit Hilfe von vier hintereinanderliegenden Schleusen, einer sogenannten Schleusentreppe. Doch heute nimmt Frank Neumann mit seinem Schiff Luise Kurs auf das Schiffshebewerk. 7. O-Ton: Frank Neumann Wir liegen zur Zeit hier noch im Oberhafen der Schleusentreppenanlage Niederfinow, werden dann über Backbordseite in den Oberhafen des Schiffshebewerkes einfahren, passieren das Hebewerk, befahren dann den Unterhafen und werden dann auf der Steuerbordseite oder über Steuerbord die Hauptwasserstraße verlassen, fahren ein in den Finowkanal und dann erwartet uns gleich die erste Schleusenanlage und zwar die Schleuse Liepe. Geräusch Schiffsmotor, Wassersprudeln. Kreuzblende mit Musik 1 Autor: Das Finowtal ist breit. Rechts und links des Finowkanals erstrecken sich ausgedehnte Auenlandschaften. Der Kanal wurde 1605 in das Flussbett der begradigten Finow gebaut. Wiesen, Schilf und einige Weidensträucher durchziehen die weite Ebene. Jetzt, im Frühjahr, tragen ihre Zweige graue Blütenkätzchen. Und wenn die Störche erst von ihrer Reise wieder zurück sind, werden sie auf den Wiesen im Finowtal reichhaltige Nahrung finden. (Musik aufblenden) Die Finow, der alte Fluss, war ein schnell fließendes Gewässer. Alle paar Kilometer musste daher im Kanal eine Schleuse gebaut werden - 12 Stück auf 32 Kilometern Länge. Weil auch der parallel verlaufende Oder-Havel-Kanal das Gefälle von 36 Metern überwinden muss, wurde 1927 in Niederfinow, dort, wo sich beide Kanäle treffen ein Schiffshebewerk gebaut. Schon von weitem ist das graue, riesige Stahlskelett sichtbar. (Atmo Hebewerk unterlegen) Jörg Schumacher ist hier der Betriebsstellenleiter. 8. O-Ton: Jörg Schumacher Das Bauwerk ist 60 Meter hoch, 94 Meter lang und 28 Meter breit, plus die seitlichen vier Stützen, die noch dazu kommen. Am Bauwerk auf der Westseite ist dann eine 157 Meter lange Kanalbrücke angehangen, die an sich noch mal ein gigantisches Bauwerk ist. In der Kanalbrücke haben wir eine Wasserspiegelbreite von 28 Metern bis ca. 30 Meter vor der Einfahrt oben somit die Schiffe sehr dicht vor dem Tor schon liegen und somit der ganze Ein- und Ausfahrvorgang relativ zügig von statten geht. Atmo Hebewerk Autor: In der Stahlkonstruktion hängt ein Trog, der mit Wasser gefüllt ist. Wie eine Schleuse, hat er an beiden Seiten Tore. Das Prinzip des Hebewerkes gleicht dem eines Fahrstuhls. Das Schiff fährt an der einen Seite unten in den Trog hinein, wird in dem Trog hochgezogen und fährt oben auf der anderen Seite wieder hinaus. Frank Neumann muss mit seiner Luise am oberen Ende noch warten, denn unten hat sich ein Frachter aus Stettin angemeldet. 900 Tonnen Kohle transportiert er zu einem Kraftwerk in Berlin. 9. O-Ton: Jörg Schumacher Jetzt schiebt sich der Dichtrahmen langsam vor und der Spalt schließt sich. Autor: Jörg Schumacher steht jetzt an den unteren Schleusentoren. 9. O-Ton: Jörg Schumacher Das ist ein u-förmiges Bauteil, was um den ganzen Trog rumreicht. Autor: Vor dem Tor wartet der Frachter darauf, dass die Tore geöffnet oder wie Schumacher sagt, gezogen werden. 9. O-Ton: Jörg Schumacher Der Spalt wird jetzt immer kleiner und... - der nächste Schritt ist dann das - Füllen des Spaltes. Und wenn dieser Spalt gefüllt ist (Wasser rauscht) - was jetzt gerade passiert, dann kann man die Tore erst ziehen. (Wasser rauschen endet) - Und jetzt müssen wir hier weg gehen, weil er die Tore nämlich ziehen will. Autor: Der Frachter ist mittlerweile näher gekommen und liegt direkt vor den Schleusentoren. 10. O-Ton: Jörg Schumacher Jetzt sieht man hier, jetzt ist der Spalt voll und erst, wenn der voll ist, kann man diese Tore anheben. (Knall der Tore) - Die fahren während des normalen Betriebes immer zusammen, man kann die aber auch separat fahren. (Geräusch Tore öffnen) Autor: Das Schiff aus Polen fährt jetzt ein. Der Trog hängt an 256 Seilen, die oben über eine Rolle geführt werden. Am anderen Ende der Seile hängt ein Gegengewicht. Geräusch Generator starten unter Autor und O-ton legen. Autor: Die Tore haben sich wieder geschlossen und der Frachter liegt in dem Trog, wie ein Spielzeugschiff in einer Badewanne. 11. O-Ton: Jörg Schumacher Die komplette bewegte Last sind 8600 Tonnen, die an diesen Seilrollen... - diese Last wird ins Gerüst eingetragen und es sind einmal 4300 Tonnen Trog, Wasser gefüllt. Der bleibt immer gleich schwer, denn das Schiff verdrängt immer so viel Wasser, wie es selber wiegt. Und auf der anderen Seite der Seile hängen die 4300 Tonnen Gegengewichte. Und wenn der Trog dann oben angekommen ist, dann sind die Gegenwichte halt unten. Und so geht es immer im Wechsel. Geräusch Hupen, Motoren anlaufen unter Autor legen. Autor: Die Hupe ist das Zeichen, dass der Trog sich hebt. Die Motoren laufen an. An den Seilen hängen der Trog, mit Wasser gefüllt, darin das Schiff, beladen mit 900 Tonnen Kohle. Ganz langsam hebt sich der Trog und beginnt zu schweben. Musik 3 aufblenden und kurz stehen lassen Geräusch Tor öffnen Autor: Oben öffnet sich das Tor und nachdem der Frachter herausgefahren ist, kann Frank Neumann mit der Luise in den Schiffsfahrstuhl einfahren. Unten angekommen geht die Fahrt durch den Unterhafen und schließlich in den kleinen, schmalen Finowkanal. Musik Interpret: Sascha Titel: Jour de chance CD: Hide & Seek Track: 002 Komponist: Grubert, Robin / Schmitz, Sascha, Zuckowski, Alexander Text: N.N. (engl.), Holland, Claire / Jandová, Marta (frz.) LC/Best.-Nr.: 14666 WARNER / 425041-2 DLR-Archiv#: 93-07681 Autor: Wenige Kilometer nördlich des Finowkanals im Nordosten Brandenburgs liegt das Kloster Chorin. Umgeben von großen Buchenwäldern in einer hügeligen Landschaft wurde der rote Backsteinbau ab 1273 errichtet. Zu seinen Füßen liegt der ehemalige Choriner See, der heute Amtssee heißt. Auf der glatten Wasseroberfläche spiegeln sich die Bäume am Ufer, dahinter erhebt sich der prächtige Backsteinbau. Musik 2 kurz aufblenden, dann unter Autor legen Autor: Chorin war eigentlich ein Ableger des Klosters Lehnin bei Potsdam. Tochterklöster waren typisch für die strenge, zentralistische Führungsstruktur des Zisterzienserordens. Die Brüder Otto III. und Johann I. regierten die Mark Brandenburg gemeinsam. Sie waren die Enkel Otto I. 1258 teilten sie das Land. Während das Hauskloster Lehnin bei der Linie des Großvaters blieb, musste für die Linie Johanns, ein neues Haus- und Begräbniskloster geschaffen werden. Die beiden Markgrafen statteten das Kloster Chorin mit vier Dörfern, acht Seen und einem Marienhospital aus. Ausgehend vom Kloster Lehnin wurde die Neugründung in Chorin mit einem Konvent besetzt. Musik 2 kurz aufblenden, dann unter Autor legen. Autor: Zur Blütezeit des Klosters sollen hier 80 Priestermönche und 200 Laienbrüder gelebt haben. Sie führten ein Gemeinschaftsleben in Bescheidenheit, wie es die Klosterregeln des Zisterzienserordens vorschrieben. Doch diese Blütezeit endete bereits mit dem Aussterben des Stiftergeschlechts im Jahre 1319. Kurfürst Joachim II. säkularisierte das Kloster 1542. Damit war die Geschichte der Zisterzienser in Chorin beendet. Heute ist das Kloster in erster Linie Schauplatz kultureller Veranstaltungen. Alljährlich findet hier der Choriner Musiksommer vor der beeindruckenden Kulisse statt. Eröffnet wird das Festival im Juni mit Joseph Haydns "Die Schöpfung", einem Oratorium für drei Solostimmen, Chor und Orchester. Musik Interpret: Christie, William; Les Arts Florissants; Kühmeier; Spence; Henschel; Karthäuser; Werba Titel: Singt dem Herrn, alle Stimmen CD: Die Schöpfung Track: CD 2, Track 13 Komponist: Joseph Haydn Text: Gottfried van Swieten LC/Best.-Nr.: 07873 VIRGIN CLASSICS DLR-Archiv#: 50-15530 Autor: Frank Neumann hat auf seinem Schiff Luise mittlerweile einige Schleusen hinter sich gelassen. Er ist unterwegs auf dem Finowkanal in Richtung Westen. 12. O-Ton: Frank Neuman Der Finowkanal war also die erste künstliche Wasserverbindung zwischen der Havel und der Oder und damit natürlich auch die erste künstliche Wasserverbindung zwischen zwei deutschen Stromgebieten und zwar dem Stromgebiet der Elbe und dem Stromgebiet der Oder, denn eine andere Verbindung gab es zur damaligen Zeit nicht. Heute hat natürlich die Havel-Oder- Wasserstraße diese wirtschaftliche Verbindung ersetzt, aber letztendlich war der Finowkanal erste Verbindung zwischen beiden Stromgebieten. Außenatmo Autor: Der Kanal brachte wirtschaftlichen Aufschwung für die ganze Region. Der Schiffsverkehr nahm zu, vor den Schleusen kam es zum Stau. Ein- und Ausfahrtstor waren versetzt von einander gebaut, sodass zwei Schiffe in jede Schleuse passten. Das Schiff, das zu erst in die Schleuse eingefahren war, konnte so auch zuerst wieder hinausfahren. Doch das nützt nichts, wenn Schiffe so groß sind, dass sie nur diagonal hineinpassen und damit die gesamte Schleuse für sich beanspruchen. 13. O-Ton: Frank Neumann Es gibt ja auf dem Finowkanal nicht bloß glatte Fahrstrecken, sondern, wenn Sie dort vorne schauen, haben wir zum Beispiel die Schleusenanlage Eberswalde. Diese Schleusenanlage Eberswalde ist letztendlich die älteste noch in Nutzung befindliche Schleusenanlage Deutschlands überhaupt und da passt man maximal mit einem Finowmaßkahn durch. Dieses Finowmaß war ja die erste Normierung in der Binnenschifffahrt überhaupt - 40,2 Meter lang, 4,60 breit. Wenn Sie heute also Begriffe, wie das Europamaß, den Plauer Maßkahn, Großplauer Maßkahn oder auch den Berliner Maßkahn hören, dann sind das alles Schiffsbaurichtmaße, die später entstanden sind, aber letztendlich auf Grundlage des Finowmaßes. Außenatmo Autor: Diese alten Finowmaßkähne gibt es kaum noch. Einen davon hat Frank Neumann in Berlin gefunden und zurück auf den Finowkanal geholt. An der Schleuse Ragöse steigen wir um - von der Luise auf die Anneliese, den alten Finowmaßkahn. 14. O-Ton: Frank Neumann Zunächst einmal willkommen hier an Bord. Sie sehen es von der Bauform her, die Anneliese selbst, ein alter Finowmaßkahn aus dem Jahre 1906, ist von uns etwas umgebaut worden, das heißt, wo wir uns heute befinden, waren einst Laderäume und zwar hatte die Anneliese zwei von einander getrennte Laderäume,... (Stimme bleibt oben) Autor: ... in denen hier auf dem Finowkanal damals Kies, Kohle oder Stahl transportiert wurde. Am Finowkanal hatte sich vor allem im Bereich Eberswalde viel Industrie angesiedelt. 15. O-Ton: Frank Neumann Das waren also alles kleine, mittelständische Unternehmen, die sich dort angesiedelt hatten. Nachher im oberen Teil gibt es also die Hirsch Kupfer- und Messingwerke, das war dann schon ein etwas größeres Unternehmen. Das war ja zu damaliger Zeit das Walzwerk Finow, der Rohrleitungsbau, der Kranbau Eberswalde, das waren alles metallurgische Firmen. Außenatmo Autor: Der Finowkanal führt durch das Stadtzentrum. Entlang des Ufers sind die Industrieflächen noch immer zu erkennen. Hier und dort steht eine alte Industrieruine, dazwischen aber auch modernisierte Anlagen. Schon von weitem zu sehen, der sogenannte Montageeberkran, ein großer Kran, wie er oft an Hafenanlagen zu sehen ist. Einst wurde er als Prototyp entwickelt, doch dann blieb er auf dem Gelände. Heute gilt er als Wahrzeichen für die Industrielandschaft im Finowtal. Der Ort streckt sich über viele Kilometer von West nach Ost. Entlang der breiten, leeren Straßen - triste Wohnbebauung. Eberswalde ist Kreisstadt und hat gut 40.000 Einwohner, 1989 waren es noch 55.000. Nach der Wende gingen viele Arbeitsplätze verloren und mit ihnen gingen auch die Menschen. Ein Industriegelände fällt schon von weitem auf. Ein Turm, aus gelben Ziegeln gemauert, leuchtet von weitem in der Sonne. 16. O-Ton: Frank Neumann Das ist der sogenannte Wasserturm. Wir haben hier also mittlerweile den Ortsteil Finow erreicht, auf der rechten Seite, das ist der Wasserturm und um den Wasserturm herum, die sogenannte Messingwerksiedlung. Musik 3 kurz aufblenden, dann unter Autor legen Autor: Die Siedlung ist ein klassisches Industriegelände. Häuser verschiedener Typen stehen hier. Neben Werkhallen stehen die Wohnhäuser der Arbeiter und Angestellten, ein Verwaltungsgebäude und eine repräsentative Villa. Arnold Kuchenbecker ist 63 Jahre alt und hat sich mit der Geschichte der Siedlung beschäftigt. 17. O-Ton: Arnold Kuchenbecker Also man hat im Messingwerk gearbeitet und im Messingwerk gewohnt. Es war arbeiten und wohnen vor Ort. Wir haben hier noch die alten Arbeiterwohnkaten. Die älteste steht aus dem Jahre 1721, ist heute aber nicht mehr bewohnt, ist aber ein Einzeldenkmal und wird stehenbleiben. Autor: Möglichst viel von der Siedlung will er retten, denn zu viel ist bereits verschwunden. 18. O-Ton: Arnold Kuchenbecker So ähnliche Katen, die später gebaut wurden, zehn, zwanzig Jahre später stehen auch noch einige und man hatte das Werk vor den Augen. Man war zu Hause mit der Arbeit und mit dem Wohnen. Es gab einen Dorfkrug, es gab einen Platz, wo die Gesellen zum Meister geschlagen wurden, daher gab's in jedem Jahr ein Hüttenfest, und die Neuigkeiten wurden im Dorfkrug ausgetragen - zwischen den Männern und die Frauen sind in das einzige Geschäft gegangen, wo die Neuigkeiten ausgetauscht wurden. Musik 3 leise unterlegen Autor: Zwei Weltkriege hat das Werk schadlos überlebt und 40 Jahre DDR- Geschichte überstanden. Russische Soldaten und die Volkspolizei waren hier stationiert, später wurde in der Fabrikantenvilla ein Kindergarten eingerichtet. Arnold Kuchenbecker ist froh, dass jetzt alles restauriert wird. Auch mit seiner Hilfe. Er ist Vorsitzender eines Fördervereins, der es sich zum Ziel gesetzt hat, den Wasserturm zu retten. Dieser wurde Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut. Woanders sind Wassertürme rund. Dieser hat einen quadratischen Grundriss. Vier massive, aus gelbem Backstein gemauerte Stelzen ragen empor. Sie münden in einem Kreuzgewölbe. Darüber, ebenfalls aus gelbem Backstein, der Wasserbehälter. Die Architektur scheint zu sagen, wenn etwas so dominant herausragt, dann sollte es auf jeden Fall ansehnlich sein. Und das ist der Turm allemal. (Geräusch Aufstieg unterlegen) Arnold Kuchenbecker steigt im Turm hinauf. (Geräusch aufblenden) 950 Menschen haben im Werk zu Spitzenzeiten gelebt und gearbeitet. Das Messingwerk war ein eigenständiger Gemeindeverband. Gegründet wurde das Werk bereits im Jahre 1700. Es wurde betrieben, ging Pleite, wurde gekauft und wieder verkauft bis 1863 ein Unternehmer aus Halberstadt das Messingwerk kaufte. Der jüdische Unternehmer Gustav Hirsch übernahm die Leitung. Später gab er die Verantwortung für das Werk an seinen Neffen Aron Hirsch weiter. Die Familie wurde von den Nazis vertrieben. Nachfahren leben heute noch in Israel und den USA. Noch in diesem Jahr will Arnold Kuchenbecker die Geschichte des Werkes und der Familie Hirsch in einer Ausstellung im Wasserturm zeigen. 19. O-Ton: Arnold Kuchenbecker Wir sind jetzt unterm Dach, wir nennen das jetzt schon Galeriegeschoss. Autor: Von hier aus geht es hinaus auf den Austritt. In 44 Metern Höhe führt ein schmaler Steg rund um den Turm. Arnold Kuchenbecker öffnet die Tür und der Blick schweift über die Weiten der Uckermark. (Geräusch Tür öffnen) Musik 1 aufblenden, dann unter O-Ton legen 19. O-Ton: Arnold Kuchenbecker Die Sicht ist wieder mal fantastisch, blanker Sonnenschein hilft uns gar nicht, denn dann ist in der Ferne meistens verschwommen, aber heute ist gemischt bewölkt, ab und zu lukt die Sonne durch und wir gehen mal gleich in Richtung Süd, um nach Berlin zu gucken. Musik 1 aufblenden, darauf 20. O-Ton: Arnold Kuchenbecker Also besser ist der Fernsehturm auf dem Alex nicht mehr zu sehen, wie heute. Sie sehen einen schwarzen Schornstein, rechts davon ein Windrad und dann in der Ferne ist der Fernsehturm zu sehen. - Fünfzig Kilometer. Autor: Arnold Kuchenbecker hat sein Leben lang als Stahlbauschlosser gearbeitet. Heute liest er wissenschaftliche Literatur, trifft sich mit Historikernn, Forschern und Zeitzeugen aus ganz Deutschland, Israel und Amerika. Er steht im Wasserturm, erzählt die Geschichte der Industrialisierung im Finowtal und philosophiert über jüdische Geschichte und Kultur. Kuchenbecker wirkt ruhig und zufrieden. Er weiß, jetzt wird dem Turm nichts mehr passieren. Er ist restauriert und wird als Industriedenkmal weiterbestehen. 21. O-Ton: Arnold Kuchenbecker Also seit Ende 2007 weiß ich, dass der Wasserturm gesprengt werden sollte - aber 1945 im April, weil der Turm als strategisch wichtig eingestuft war und die Wehrmachtstruppen befanden sich ja auf dem Rückzug und der Mann war von Schwedt an der Oder auf dem Rückmarsch hier über Eberswalde und der Mann hatte den Auftrag den Wasserturm in die Luft zu jagen. Gerhard Kessler. Er war zwei Tage nachdem sein Bruder mir diesen Brief geschrieben hat - zwei Tage später ist er verstorben im Alter von 90 Jahren. Aber zum Glück ist diese Nachricht noch gekommen. Wie gesagt, er hat die Sprengladung angelegt, hätte zünden müssen und hat es nicht getan, weil ihm blitzartig die Gedanken durch den Kopf geschossen sind, was ist, wenn hier tausende von Menschen ohne Trinkwasser sind und der Krieg ist sowieso zu Ende, da ist sowieso nichts mehr zu retten dranne und da hat er nicht gezündet. Ja - und seit dem weiß ich, dass es wirklich einen Retter des Wasserturms gibt, man will es mir jetzt immer in die Schuhe schieben, weit gefehlt, den gibt es wirklich aber im April 1945. Musik Interpret: Kol Simcha Titel: Folk Song CD: Contemporary Klezmer Track: 007 Komponist: traditional Text: - LC/Best.-Nr.: 7577/Edition Laika DLR-Archiv#: 90-41426 Autor: Nur 32 Kilometer lang ist der Finowkanal. Einen guten Teil der Strecke fließt er durch das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, das eine gute Autostunde nördlich von Berlin liegt und von vielen Großstädtern gerne als Ausflugsziel genutzt wird. Seltene Vogelarten sind hier mittlerweile wieder zu Hause und sogar Wölfe wurden gesichtet. 22. O-Ton: Frank Neumann Uns begegnet hier sehr, sehr oft der Biber, wir haben viele verschiedene seltene Vogelarten, der Schwarzstorch war hier schon vertreten. Die Schorfheide angrenzend ist ja eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete, die Sie hier weit in der Umgebung finden. Dort, wo wir herkommen, das Schiffshebewerk Niederfinow - irgendwann endet ja auch dieses Biosphärenreservat, aber auch dort hört der Schutz nicht auf, das heißt, es wird weitergeführt in den sogenannten deutsch-polnischen Nationalpark Unteres Odertal. Geräusch: gehen im Unterholz Autor: Etwas nördlich des Finowkanals bei Angermünde liegt der Grumsiner Forst. In dem Wald geht es hinauf und wieder runter, eine hügelige Landschaft, fast wie im Mittelgebirge. Der Waldboden ist dicht mit Buchenblättern bedeckt. In einer Senke ein tiefschwarzer See. Rundherum stehen Buchen, darunter einige mit massiven Stämmen. Eberhard Henne ist Leiter des Biosphärenreservats und wann immer es seine Zeit erlaubt ist er draußen im Wald oder an einem der zahlreichen Seen. 23. O-Ton: Eberhard Henne Das ganz besondere ist dieses Waldsystem, der Buchenwald. Buchenwälder gibt es nur in schmalen Teilen Mitteleuropas, diese sogenannten Baltischen Buchenwälder. Da spielt Deutschland eine große Rolle mit seinen noch letzten Resten der erhaltenen Buchenwälder, sie sind ja meistens genutzt, sie sind in andere Wälder, in Nutzungswälder umgewandelt worden, die Buche steht nicht mehr im Vordergrund in vielen Bereichen. Hier haben wir aber im Biosphärenreservat noch die größten zusammenhängenden Baltischen Buchenwälder überhaupt auf dieser Welt, wenn sie so wollen. Und deshalb spielt dieser Grumsiner Forst auch eine wichtige Rolle in diesem Prozess Weltnaturerbe zu werden. Waldatmo Autor: Die UNESCO vergibt den Titel Weltnaturerbe für Zitat: "Gebiete außergewöhnlicher Naturschönheit" und somit besonders schützenswerte Landstriche. Für Eberhard Henne besteht gar kein Zweifel, dass diese Bedingung auf den Grumsiner Forst zutrifft. Nun muss ihm nur noch die UNESCO zustimmen. Biosphärenreservate sind in drei Zonen gegliedert. Die Kernzone soll sich möglichst unberührt vom Menschen entwickeln. Um diese Kernzone herum liegt die sogenannte Pflegezone, wo es bestimmte Pflegevorschriften gibt und im äußeren Bereich liegt die Entwicklungszone. Dort soll eine nachhaltige Landnutzung betrieben werden. In der Schorfheide bedeutet das, dass in der Entwicklungszone 30% der landwirtschaftlichen Betriebe nach ökologischen Gesichtspunkten wirtschaften. Die ersten Biosphärenreservate in Deutschland gab es in der DDR, sagt Eberhard Henne. 24. O-Ton: Eberhard Henne Also nach dieser Welle waren in Deutschland die ersten neunzehnhundert und - in den siebziger Jahren, ich weiß jetzt gar nicht genau - ich glaube achtundsiebzig war Fässertal im Thüringer Wald und Steckby-Lödderitzer Forst hieß es damals also um Dessau rum, was jetzt das Biosphärenreservat Mittelelbe ist, das waren die, die es schon zu DDR-Zeiten gab. Es gab damals auch eine Diskussion um ein Biosphärenreservat Schorfheide, aber Sie wissen die Schorfheide war NVA-Sonderjagdgebiet, hier oben stehen wir jetzt in dem ehemaligen Mielke Jagdgebiet und da war dieser Gedanke natürlich gleich erschlagen mit dem Thema. Geräusch: Gehen im Unterholz unterlegen Autor: Henne lebt seit vielen Jahren in Angermünde. Vor der Wende war er Tierarzt in einer LPG. Oft ist er in die Wälder gegangen, erzählt er, einige Förster waren gute Bekannte. Das Jagdtreiben von Honecker, Mielke & Co. hat er damals schon kritisiert. Der normale Bürger sollte draußen bleiben. 25. O-Ton: Eberhard Henne Es gab also hier einen staatlichen Forstbetrieb Neuhaus, so hieß das genau, aber der gehörte jagdmäßig nur Mielke. Jagdmäßig ging er zur Jagd, er hat seine Jagdgäste und sicherlich Leute aus seinem Apparat haben hier gejagd. Hier wurden Kanzeln gebaut, Pirschsteige geharkt, Wild gefüttert, das krasseste war das sogenannte Ungarn-Hirschgatter des Herrn Mielke bei Wilmersdorf oben, das jetzt im Biosphärenreservat ist. Das waren - ich weiß jetzt die Fläche nicht genau - ich schätze 600 Hektar, eingezäunt. Da kamen die Hirsche aus Ungarn rein, weil die besonders große Knochen auf dem Kopf tragen, und das sollte was besonderes gezüchtet werden, die wurden nur gefüttert - also das war schon pervers. Also ich war ja nun kleiner, lumpiger Tierarzt auf der LPG, unsere Kälber sind uns fast verhungert oder unsere Kühe und dort in diese Gebiete hat man Hängerweise Sojaschrot reingefahren und hat die Hirsche zu Krippenfressern gemacht, was anderes war das nicht. Waldatmo Autor: Henne ist ständig in Bewegung, immer auf der Suche nach etwas Neuem, das er seinem Besucher zeigen kann. Nach der Wende war seine Stunde gekommen. Er hängte schweren Herzens den geliebten Tierarzt Beruf an den Nagel. Es war die Gelegenheit, die Schorfheide zu einem Biosphärenreservat zu machen. Heute ist er hin- und her gerissen zwischen Schreibtisch und Natur. Einerseits möchte er seinem Besucher so viel wie möglich von der Schönheit des Biosphärenreservats zeigen, andererseits ist er in Zeitnot. Andere Aufgaben warten bereits. Schon hat er wieder etwas entdeckt. Er zeigt in Richtung See. 26. O-Ton: Eberhard Henne Gucken Sie mal da hinten, da sehen Sie etwas weißes schwimmen auf dem schwarzen See. Das sind Schellenten, der Erpel ist ganz weiß gefärbt, hat einen weißen Wangenfleck und die sind deswegen hier, weil die in hohlen Bäumen brüten. Und Buchen haben ja oft Höhlen durch den Specht und so weiter und da gehen die als Nachfolger rein und brüten da drin. Teilweise so zehn, zwanzig Meter hoch, die Jungen fallen dann da oben raus, da passiert nichts. Und die brauch a) diese Seen, weil die dann mit den Jungen sofort auf die Seen gehen und die brauchen auch diesen hohlen Baum und müssen natürlich alte Wälder haben. Übrigens eine seltene Entenart, die in Deutschland auf der roten Liste steht, aber bei uns kommt die noch auf fast jedem dieser Seen vor. Und Schellente - es ist schön, wenn die fliegt, hat die so ein klingendes Flügelgeräusch, wie eine Schelle, also eine Glocke, ein Glöckchen. Und deswegen heißt sie Schellente. Die Engländer haben einen schönen Namen dafür, die sagen Golden Eye. Die hat so ein sehr auffallendes gelbes Auge. Musik Interpret: The Fratellis Titel: Whistle For The Choir CD: Flathead (2-track) Track: 004 Komponist: The Fratellis Text: The Fratellis LC/Best.-Nr.: 00407 Island Records / DLR-Archiv#: 1731557 Autor: Die Anneliese, der bauchige Finowmaßkahn, hat Eberswalde verlassen. Der Finowkanal führt zunächst gerade durch die Brandenburgische Landschaft. Bei Finowfurt führt er durch einige, zum Teil enge Kurven. Daran lässt sich bis heute erkennen, dass der Kanal in das bestehende Flussbett der Finow gebaut wurde. Reiseleiter und Kapitän der Anneliese, Frank Neumann, erzählt, dass es hier früher manchmal richtig eng geworden ist, denn hier lebten Flößer, die mit ihren Baumstämmen durch die Kurven des Kanals mussten. 27. O-Ton: Frank Neumann In Finowfurt gibt es also eine lange Tradition der Flößerei, ja, hier in Finowfurt befand sich das Haus des sogenannten Floßregimenters... (Stimme bleibt oben) Atmo: Bootshaus außen Autor: ...und der war eine Art Fuhrunternehmer auf dem Wasser. Er schaffte die Baumstämme zu Flößen verbunden bis Berlin, Magdeburg oder Hamburg. Heute gibt es ein paar Männer, die diese Tradition am Leben halten wollen und einen Flößerverein gegründet haben. Eberhard Seelig ist einer von ihnen. Jedes Jahr bauen die Männer gemeinsam ein Floß. 28. O-Ton: Eberhard Seelig Da wird erst mal das Holz zu Wasser gelassen, das passiert auf der sogenannten Ablage, sagen wir mal, das ist unsere Ablage, das Holz kommt aus den Wäldern ans Wasser, die Stämme werden ins Wasser gerollt und dann müssen sie sortiert werden. Und zwar so, ich hab ja eine bestimmte Fahrtrichtung, ich muss die Stämme so sortieren, dass sich die Floßtafel, so sagen wir zu dem Gebilde, was sich dann aus den Stämmen ergibt, in Fahrtrichtung gesehen vorne etwas schmaler ist als hinten. Atmo: Bootshaus außen Autor: Heute bauen sie ein Floß pro Saison. Jetzt haben sie sich zu einem sogenannten Arbeitseinsatz getroffen. Sie bereiten alles für den Floßbau vor, machen den Platz sauber, pflegen die Werkzeuge und reinigen die Uferkante. Ein historisches Floß, erklärt Eberhard Seelig, hatte zwei Lagen, damit mehr Holz transportiert werden konnte, denn in Länge und Breite waren die Flöße begrenzt. 29. O-Ton: Eberhard Seelig Die Größe der Flöße, die Maximalabmessungen, ergeben sich ganz einfach aus den Schleusen. Ich muss ja durch's Schleusentor durch und die liegen hier im Finowkanal so ungefähr bei fünf Metern. Darüber hinaus waren die Breiten aber auch die Längen der Floßzüge immer durch Vorschriften reglementiert. Zum Schluss lag die Breite bei vier Meter, das war so in den letzten Jahren, als hier noch geflößt wurde. Da war dann so ein Floßzug oder Floßgeleit, wie es auch genannt wurde, bis zu 240 Meter lang. Früher waren so drei Meter Breite üblich und die Züge waren nur 120 Meter lang und die wurden auch von Hand getreidelt. Aber die Floßzüge waren 240 Meter lang. Das ist dann also eine enorme Menge Holz, die dann hier auf die Reise geht und Sie sehen ja hier hinten sind dann die ersten Kurven, der Kanal hat ja sehr viele auch sehr enge Kurven und da ist es dann nicht so ganz ohne, so einen Zug hier über den schmalen Kanal zu bringen. Außenatmo Autor: Der Verein will die alte Tradition zeigen und im Gedächtnis der Menschen im Finowtal bewahren. Sein Engagement wird geschätzt. Die Flößer werden vom Sägewerk jedes Jahr mit Baumstämmen beliefert, damit sie ein Floß bauen können. 28 Baumstämme brauchen sie für ein Floß. Am Ende der Saison bekommt das Sägewerk die Stämme dann zurück. Hätten sie nicht ein paar alte Flößer über ihre Arbeit befragen können, dann wäre die Tradition verloren gegangen. Flösser waren nicht die Sorte Menschen, die viele Worte über ihre Arbeit verloren haben, geschweigedenn etwas darüber aufgeschrieben hätten. 30. O-Ton: Eberhard Seelig Wenn Sie sich vorstellen, dass an 300 Tagen im Jahr geflößt wurde, sobald das Eis weg war bis November waren die Flößer unterwegs, bei jedem Wetter und da kann man sicherlich nicht von Romantik sprechen auch wenn es heute so aussieht, das war Knochenarbeit. Diese Tätigkeit, die wir heute beim Floßbau mit fünf, sechs Mann ausführen, das haben damals drei gemacht und das im Akkord, die wollten ja was verdienen. Das war sicherlich eine ganz schwere, körperliche Arbeit. Außenatmo Autor: Bis Anfang der siebziger Jahre wurde auf dem Finowkanal noch geflößt. Dann gab es Langholztransporter, die das Holz zu den Sägewerken brachten. Noch ein kleines Stück fährt Frank Neumann mit seiner Anneliese den Weg, den die auch die Flößer Richtung Westen genommen haben. Damals konnten sie noch bis zur Havel fahren. 31. O-Ton: Frank Neumann Der schiffbare Teil des Finowkanals, der endet heute in Zerpenschleuse. Zerpenschleuse werden wir dann in Kürze erreichen. Zerpenschleuse ist also früher eine Schiffergemeinde gewesen, wie Marienwerden auch oder auch Zehdenick, wo eben auch viele Schifferfamilien zu Hause waren. Außenatmo Autor: Östlich vor Zerpenschleuse wurde der Finowkanal abgetrennt und in den Oder-Havel-Kanal geführt. Der Rest des alten Kanals liegt wie ein langer See im Dorf Zerpenschleuse. Doch seit gut hundert Jahren ist der Kanal hier wie mit einem Korken verschlossen. Der abgetrennte Kanalarm macht Zerpenschleuse zwar idyllisch, hat aber wirtschaftliche Nachteile. Könnten Sportboote hier wieder durch und bis zur Oder fahren, wäre das für den Tourismus ein Vorteil, sagt Margot Ziebarth. Sie ist Gemeideratsmitglied in Zerpenschleuse und eine engagierte, tatkräftige und junggebliebene Fünfzigerin. Hier in Zerpenschleuse, sagt sie, heißt der Kanal übrigens Langer Trödel. 32. O-Ton: Margot Ziebarth Langer Trödel ist ein Streckenabschnitt zwischen Liebenwalde und Zerpenschleuse und den nannte man schon immer Langer Trödel. Er gehört zum Finowkanal. Nur dieser Streckenabschnitt wird Lager Trödel genannt. Trödel ist auch eine weitere Form von Treideln, weil hier wurden die Schiffe getreidelt bis zur Schleuse hin. Treideln mit Pferden, teilweise auch mit Manneskraft. Außenatmo Autor: In Zerpenschleuse spielt sich alles am Kanal ab. Der ganze Ort ist entlang des Kanals ausgerichtet. Die Kirche steht unmittelbar am Kanal, daneben stand früher die alte Schule und natürlich auch die Kneipe. Das Leben in Zerpenschleuse spielte sich schon immer am Kanal ab. 33. O-Ton: Margot Ziebarth Also früher wurde er genutzt zum Wäschewaschen. Da haben die Frauen Wasser geholt aus dem Kanal mit Eimern, haben dann die Waschkessel gefüllt mit Wasser, dann wurden die Waschkessel angeheizt, dann hat man die Wäsche ganz normal gewaschen, ausgewrungen und ist mit dieser ausgewrungenen Wäsche dann zum Kanal gegangen und hat gespült. Autor: Daher heißt der Steg in Zerpenschleuse auch nicht Steg, sondern Waschbank. 34. O-Ton: Margot Ziebarth Also, wo ich hier nach Zerpenschleuse gekommen bin, 1978, sind wir in die Liebenwalder Straße eingebogen, mein Mann und ich. Und da lief uns eine alte Frau über die Straße und die hatte Holzpantinen an und zwei Kissen links und rechts unterm Arm und zwei Eimer. Von mir kam dann nur noch, wat - macht - die - denn - jetzt? Und daraufhin sagt mein Mann, die geht jetzt Wäsche waschen und wenn Du mit mir zusammenbleiben willst, wirst Du das auch tun. (lacht) Und was man am weitesten schmeißt, ist immer am naheliegendsten. Ich hab's wirklich getan, bis 1986/87 auf jeden Fall. Autor: Heute natürlich nicht mehr. - Frank Neumann ist mit seinem Schiff Anneliese vor Zerpenschleuse abgebogen und fährt zurück nach Niederfinow. In Zerpenschleuse bringen die Dorfbewohner ihren Ort für die Ostertage auf Vordermann. Margot Ziebarth hilft dabei die Kirche sauber zu machen. Sie machen sauber, plaudern und treffen sie sich - natürlich am Kanal. Denn einen guten Grund, dort zu sitzen gibt es immer - und wenn es nur eine Flasche Wein ist. Musik schon unter Autor legen. 35. O-Ton: Frank Neumann Für mich strahlt Wasser immer Ruhe aus. Ich habe also meine gesamte Kindheit auf dem Wasser verbracht und, wenn ich hier an Bord bin, dann fühle ich mich wohl. Musik kurz aufblenden 36. O-Ton: Eberhard Henne Gucken Sie mal da hinten, da sehen Sie etwas weißes schwimmen auf dem schwarzen See. Das sind Schellenten, der Erpel ist ganz weiß gefärbt, hat einen weißen Wangenfleck und die sind deswegen hier, weil die in hohlen Bäumen brüten. Musik kurz aufblenden 37. O-Ton: Arnold Kuchenbecker Also seit Ende 2007 weiß ich, dass der Wasserturm gesprengt werden sollte - aber 1945 im April. Er hat die Sprengladung angelegt, hätte zünden müssen und hat es nicht getan und seit dem weiß ich, dass es wirklich einen Retter des Wasserturms gibt, man will es mir jetzt immer in die Schuhe schieben, weit gefehlt, den gibt es wirklich aber im April 1945. Musik kurz aufblenden. Darüber: Sprecher: Vom Langen Trödel und der dicken Anneliese. Der Finowkanal in Brandenburg. Eine Deutschlandrundfahrt mit Nicolas Hansen. Musik 1 Interpret: Tobias Bösel & Siegfried Rolletter Titel: Über Wäldern und Seen CD: Filmmusik Highlights Vol. 1 Track: 001 Komponist: Bösel, Tobias; Rolletter Siegfried Text: Instrumental LC/Best.-Nr.: 13870 SharpTone Records / STR 076 DLR-Archiv#: 92-32425 Musik 2 Interpret: Tobias Bösel & Siegfried Rolletter Titel: Traumhochzeit CD: Filmmusik Highlights Vol. 1 Track: 005 Komponist: Bösel, Tobias; Rolletter Siegfried Text: Instrumental LC/Best.-Nr.: 13870 SharpTone Records / STR 076 DLR-Archiv#: 92-32425 Musik 3 Interpret: Tobias Bösel & Siegfried Rolletter Titel: In der fernen Heimat CD: Filmmusik Highlights Vol. 1 Track: 002 Komponist: Bösel, Tobias; Rolletter Siegfried Text: Instrumental LC/Best.-Nr.: 13870 SharpTone Records / STR 076 DLR-Archiv#: 92-32425 1