COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Die Reportage Genosse Gesellschafter Dorfbewohner gründen ihre eigenen Läden von Gerhard Richter O-Ton 1 Evi Klein: Schau mal da gleich rechts, Claudia. So ein weinrotes Packerl, geh ein bisserl links links links. Links links links, die Augen ein bisschen weiter hinauf, und noch ein Stückchen links. Jetzt hast du´s. Ah, super danke. Autor: Kichernd kassiert Evi Klein die Nachbarin ab. Weiter O-Ton 1 Evi Klein: So: 1,19 bitteschön, danke. Atmo 1 Laden Autor: Ohne den Dorfladen hätte Claudia für ein kleines Stück Marzipanrohmasse, die für den Kuchen fehlt, ins fünf Kilometer entfernte Meitingen fahren müssen, zum nächsten Discounter. So waren es nur drei Fußminuten zur Ortsmitte Weiter Ton 1 Und 3,81 danke, tschüss. Autor. Evi Klein sortiert das Wechselgeld in die Kasse. Vormittags steht sie im Laden, so lange bis ihre beiden Kinder aus der Schule kommen. Es gibt zwei Regalreihen, vier brummende Kühltruhen, eine Obst- und Gemüsetheke. Die gelben Wände mit den gemalten Säulen, Bögen und Blumenornamenten erinnern an die Toskana und verleihen dem Biberbacher Dorfladen eine heimelige Wohnzimmeratmosphäre. Statt Fließband an der Kasse gibt es einen kleinen Tresen, dahinter Evi Klein: Die blonden Haare hochgesteckt, große Kulleraugen und immer gut gelaunt. O-Ton 3 Evi Klein: Also ich denk, das wichtige ist da, dass man gern mit Leuten umgeht. Für mich ist einfach der Kundenkontakt wichtig. Und das habe ich da zur Genüge. Atmo 2: Türglocke Autor: Ständig klingelt die Türglocke. Marlene Baumann kommt mit ihrer Enkeltochter in den Laden. O-Ton 4 Marlene Baumann: Jetzt kaufen wir noch eine Wurscht und ein´ Käse…komm mit. Autor: Dass es den Dorfladen überhaupt gibt, ist Leuten wie Marlene Baumann zu verdanken. Sie ist eine von 180 Biberbachern, die diesen Laden selbst gegründet haben und gemeinschaftlich betreiben. Nachdem vor zehn Jahren der letzte Laden zugemacht hat, haben sie selbst die Initiative ergriffen. Die 180 Bürger haben damals Anteile gekauft: Stückwert 175 Euro. So sind über 30.000 Euro zusammen gekommen. Damit konnten die Biberbacher ihren Laden gründen. Ganz ohne Kredit und Fremdkapital. Das Geld der Anteilseigner steckt in der Ladeneinrichtung, in den Kühltruhen, im Warenbestand und im elektronischen Kassensystem, an dem Marlene Baumann gerade Wurst und Käse bezahlt. O-Ton 5: 8,94 macht’s bitte… Autor: Lina, die Enkeltochter, bekommt noch einen Traubenzucker geschenkt. Auch Marlene Baumann wird belohnt: Am Jahresende bekommt sie – wie alle Anteilseigener - einen Einkaufsgutschein über 10 Euro, quasi ihre Rendite. Marlene Baumann und Lina gehen raus, auf den gepflasterten Dorfplatz, in der Mitte eine Linde. Hier gibt es Metzger, Bäcker, Sparkasse, Apotheke und Rathaus. Und den Dorfladen. Eine intakte Infrastruktur - getragen von engagierten Bürgern, wie Marlene Baumann: O-Ton 6 Marlene Baumann: Weil uns das wichtig war. Nicht nur für uns jetzt, die wir noch mobil sind, auch für unserer Nachbarn, die nicht mehr so mobil sind, einfach, dass im Dorf was da ist, wo man sich zum einen versorgen kann und zu anderen auch treffen kann. Das ist uns ganz wichtig gewesen, und darum haben wir das von Anfang an unterstützt. Atmo 3 aussen Autor: Draußen neben den Blumenkübeln mit den violetten Petunien und den gelben Strohblumen fummelt Lina mit ihren kleinen Fingern das Bonbon aus der Verpackung. Marlene Baumann liest die Ankündigungen am schwarzen Brett. Chorkonzert, Erste-Hilfe-Kurs, Tanzabend. Viele Fäden der Dorfkultur laufen hier zusammen. Solche Werte tauchen in keiner Bilanz auf, sagt Marlene Baumann. Oder dass ihre Enkelin in der vertrauten Umgebung irgendwann zum ersten Mal allein ihr Eis kaufen kann. Ein Vorteil, den man in Euro gar nicht berechnen kann. O-Ton 7 Marlene Baumann: Das sie das einfach auch so kennenlernt, wo mir so hingehen zum einkaufen und wo wir hier wohnen und leben. Denk, dass ist wichtig für Kinder: `ne Heimat zu haben. Und da gehört sowas einfach auch dazu. Atmo: aussen wechselt zu Atmo 1 Autor: Der Wagemut, einen gemeinsamen Dorfladen zu gründen, hat sich ausgezahlt. Die Lebensqualität im bayrischen Biberbach stimmt wieder. Kurze Wege, ein Platz für einen Plausch, Heimatgefühl. Atmocollage aus: 2 Türglocke, 3 fröhlicher Laden, 4 lachen, 5 Kinder, 6 Kassenklingeln Schon klingelt wieder die Türglocke. Evi Klein, die Verkäuferin, schwatzt mit einer Mutter, die schon eine Tiefkühlpizza für die Tochter in der Hand hält. Ob sie nicht mal was anderes ausprobieren möchte? Schweine- Öhrchen aus Blätterteig mit Schinken-Käse-Füllung zum Beispiel? Die Nachbarin ist schnell überzeugt. Mütter mit Kinderwagen kommen, Rentnerinnen mit Rollator, hungrige Handwerker. Grundschul-Kinder zählen vor dem Süßigkeitenregal ihr Taschengeld und diskutieren, was besser schmeckt: Rote oder grüne Ahoi-Brause? Ständig wird geredet, gelacht, die Kasse klingelt und Evi Klein ist an diesem Vormittag der gefühlte Mittelpunkt von Biberbach. O-Ton 8 Evi Klein: Mittlerweile kennt man das ganze Dorf mit ..mit dazugehörigen Ortschaften, weil die meisten kommen dann doch irgendwann einmal rein…(Klingel) Hi! …und wenn´s Hermes ist. Wir haben ja den Hermes Versand wo Privatpakete oder Retouren vom – keine Ahnung Otto Versand oder sonstwas. Und das hat jeder irgendwann einmal. Und dann kommen die und bringen ihr Packerl und dann sind die total überrascht. Weil die sagen: Ja super, ihr habt´s ja alles da und ihr seid´s ja gar nicht so teuer! Weil die kommen dann immer wieder, weil die sagen, das ist einfach ja –nett. Atmo 7 Milcheinräumen Autor: Dass es so nett bleibt, dafür sorgt Johanna Glink. Sie ist eine kleine, zupackende Frau mit sorgfältig frisierten dunkelblonden Haaren. Als Geschäftsführerin muss sie mit nur 70 Quadratmetern Verkaufsfläche gegen die Discounter im fünf Kilometer entfernten Meitingen konkurrieren. Mit flinken Händen sortiert sie ein paar Tüten Milch ins Kühl-Regal. Dann geht sie durch die beiden Regale und kontrolliert den Warenbestand. Ihr Blick fliegt über die bunten Etiketten von Tütensuppen, Kaffee, Puddingpulver, Dosenfisch. Von jedem Artikel nur einige Sorten. Der Dorfladen rechnet sich auch deshalb, weil das Sortiment perfekt den Wünschen der Kunden entspricht. O-Ton 9 Johanna Glink: Seit wir angefangen haben die Kunden zu befragen, was sie wollen, funktioniert´s besser. Weil wir können in unserem Sortiment das lagerfähig haben, wo die Kunden wünschen, was sich einfach schnell umsetzt. Wir sind ja nicht verpflichtet, alle Waren her zu tun wie ein großer Supermarkt, sondern wir können auf die Kundenwünsche eingehen und das ist ein großer Erfolg von uns. Atmo 1 Laden Autor: Die Verkaufsschlager des Biberbacher Dorfladens sind die Produkte aus der Region, dem bayerischen Schwaben, nördlich von Augsburg. Eine Ölmühle liefert Kürbiskern- und Rapsöl, das steht in schlanken braunen Flaschen dicht an dicht im Holzregal. In der Kühltheke liegen abgepackte Käsestücke, die nur ein paar Orte weiter in einer Hofkäserei gereift sind. Die Kühltruhe mit Schwarzwurst, Leberkäse und Pressack der beliebtesten Metzgerei ringsum ist schon ziemlich leer. Gleich daneben - im Weidenkorb auf Holzwolle – liegen frische Eier vom Bauern aus dem Nachbardorf. O-Ton 10 Johanna Glink: Und die gehen sehr gut. Angeschlossen ist auch eine Mühle, wo wir dann das Mehl beziehen können. Also so eine Vereinigung von Jungbauern ist das und das haben wir eben und das geht sehr gut und da gehen immer mehr dazu über. Autor: Während der Dorfladen mit seinem regionalen, persönlichen Angebot floriert, hat die Schlecker-Filiale 50 Schritte weiter mit ihrem Einheits- Sortiment geschlossen. Für Johanna Glink und die anderen Geschäfte in Biberbach ist mit dem Wegfall der Drogerie eine gefährliche Versorgungslücke entstanden. Denn wer für Drogerieartikel nach Meitingen fahren muss, der kauft auch gleich alles andere dort, und nicht mehr in Biberbach. O-Ton 11 Johanna Glink: Es hängt ja viel dran, es hängt der Bäcker dran, es hängt der Apotheker dran, es hängen die Metzger dran. Wenn ich einmal im großen Ort bin, mach ich das gleich alles in einem. Also es ist nicht so, dass nur unser Dorfladen vielleicht gefährdet gewesen wäre, sondern die anderen Geschäfte natürlich auch. Und das war eigentlich unser Hintergedanke, dass wir´s für den Ort erhalten müssen. Dass wir die Kaufkraft eigentlich am Ort lassen müssen. Und das war eigentlich der größte ausschlaggebende Punkt, dass wir gesagt haben, wir versuchen´s. Autor: Mit dem Erfolg und den Erfahrungen aus dem Dorfladen im Rücken baut Johanna Glink jetzt die Dorfdrogerie auf. Unterstützt von den Verkäuferinnen und ehrenamtlichen Helfern. Das heißt, ein ganz neues Sortiment aufbauen, eine Postfiliale mit Lotto einrichten, Kunden befragen, und vor allem Lieferanten finden, die so eine kleine Drogerie überhaupt beliefern. Eine Herausforderung. Aber heute hat sie keine Zeit, sich mit Großhändlern herumzuschlagen. Heute ist sie eingeladen als Referentin zur Schule der Dorf- und Landentwicklung in Thierhaupten. Atmo 8 Schritte 18 Teilnehmer sind in ein früheres Kloster gekommen, zu einem Seminar, in dem man lernt, wie man einen Dorfladen gründet. Atmo 9 Gemurmel Bürgermeister sind hier, Gemeinderäte oder einfache Bürger, die alle das gleiche Problem haben. Ihrem Dorf fehlt ein Laden. Lothar Raschka kommt aus Scheuring, dort hat der Edeka gerade zugemacht, nun will der frisch pensionierte Bundeswehrhauptmann mit den Dorfbewohnern zusammen einen Dorfladen gründen. O-Ton 12 Lothar Raschka Es geht um den gemeinschaftlichen Aspekt, es geht um den Zusammenhalt. Es geht einfach darum, die dörflichen Strukturen, so wie sie früher waren entsprechend zu festigen. Wie das dann letztendlich in der Praxis aussehen wird, das werden wir heute entsprechend mitkriegen und vielleicht werden wir da auch eines Besseren belehrt, dass es gar nicht so einfach ist, wie man´s uns vielleicht vorstellen, ja, gucken wir mal , wie das Seminar uns dann da begleitet. Autor: Zweimal im Jahr gibt es dieses Tante-Emma–Seminar. In den letzten 40 Jahren haben zwei Drittel der kleinen Einzelhändler aufgegeben. 70 Prozent der bayrischen Orte unter 3.000 Einwohnern haben keinen eigenen Supermarkt mehr. Angeblich, weil es sich nicht rechnet. Als Gegenmaßnahme fördert die Schule für Dorf- und Landentwicklung seit zehn Jahren das bürgerschaftliche Engagement. Gerlinde Augustin, die Leiterin der Schule, begrüßt die heutigen Teilnehmer: O-Ton 13 Gerline Augustin Also wir wollen Sie, die vor der Frage stehen einen Laden zu gründen, nicht alleine lassen. Wenn sie diesen Schritt wagen, sicher - da wollen wir sie begleiten und soweit wie möglich auch unterstützen mit Bildungsarbeit Atmo 10 Schule Autor: Aufmerksam hören alle zu, die Kugelschreiber kreisen ungeduldig über den noch leeren Notizblöcken. Johanna Glink, die Geschäftsführerin des Biberbacher Dorfladens, steht am Rednerpult und erzählt von der unsicheren Anfangszeit, als niemand wusste, wie weit das eingesammelte Geld der 180 Teilhaber reichen würde. O-Ton 14 Johanna Glink: Wir haben schon hart kalkulieren müssen. Wir haben 30.000 Euro gehabt, da haben wir die erste Miete bezahlt und für Personal das erste Geld auf die Seite gelegt, und was dann noch da war, da haben wir Ware bestückt. Weil wir einfach gesagt haben, wir wollen ohne Fremdkapital das versuchen. Das hat sich bewährt, das ist von Anfang an gutgegangen. Wir konnten jedes Jahr ein bisschen an Rücklage bilden, und haben soviel als Rücklagen gehabt, dass wir diesen neuen Drogerie-Markt eingerichtet haben ohne Fremdkapital. Autor: Gerade solche wirtschaftlichen Fragen interessieren die Seminarteilnehmer. Kann man als kleiner Dorfladen mit den Discountern konkurrieren? Rechnet sich das? Wie viel Umsatz muss man machen und wie groß muss der Ort sein? Spezialist dafür ist Wolfgang Gröll. Der 47-jährige ist hauptamtlicher Berater für Dorfläden. In seinem Vortrag wirft er mit dem Beamer Fotos an die Wand, stellt einzelne Dorfläden und ihre Betreiber vor. O-Ton 15 Wolfgang Gröll: Das ist die Frau Bölsche, dreihundert Einwohner, achthundertausend Umsatz. (erstauntes Gelächter) Das sind Original-Zitate: „Seitdem ich hier einkaufe, bin ich viel früher in meinem Garten.“ „Seitdem ich hier einkaufe, kaufe ich viel bewusster.“ Das hat auch der Münchner Merkur festgestellt – ein Drittel der Lebensmittel werden deswegen weggeschmissen, weil die Einkaufsstätte zu weit entfernt ist. Hamsterkäufe, Angst nicht mehr nachkaufen zu können. Je näher die Einkaufsstätte ist, desto bewusster wird aktuell eingekauft. Autor: Wolfgang Gröll, in Jeans und rotgestreiftem Hemd, tänzelt über das knarrende Parkett, die Arme erhoben wie ein Missionar in Sachen Dorfladen. Lothar Raschka, der frühere Bundeswehrhauptmann hat den Stift weggelegt und hört gebannt zu, wie Gröll eine Dorfladen-Geschichte nach der anderen abfeuert, darunter auch wirtschaftlich brenzlige Situationen: O-Ton16 Wolfgang Gröll: Oder zum Beispiel Tegernsee. Da können wir sagen, den haben wir endlich, nach zwei Jahren harter Arbeit nachhaltig auf der schwarzen Null und erwirtschaften momentan gute tausend Euro pro Monat Gewinn. Aber ich glaube es ist ganz wichtig, weil man sonst zu sehr in den Positiven ist, und die Realität manchmal ausblendet, was passieren kann, und auch ein Dorfladen ist vor einer Pleite nicht gesichert. Autor: Über eine Stunde berichtet Wolfgang Gröll über abgewendete Pleiten, über betrügerische Geschäftsführer, über enttäuschte Anleger. Aber das sind nur wenige Negativbeispiele. Von den einhundert Dorfläden, bei deren Gründung Gröll in den letzten 17 Jahren mitgeholfen hat, mussten nur drei schließen. Alle anderen funktionieren bis heute. Schwungvoll referiert Gröll über Gesellschaftsformen, über Tarife der Mitarbeiter, über Preisgestaltung, regionale Wertschöpfung, Handelsspannen, Regalgestaltung, Bilanzen, Steuern und wie ein Dorfladen seine Kunden bindet: O-Ton 17 Wolfgang Gröll: Wir haben drei Möglichkeiten Kunden zu binden. Das ist die rationale Bindung über Preis und Sauberkeit. Die faktische Bindung über Verträge. Das wirkt meistens über zwei drei Monate, dann ist die Sozialromantik weg. Dann muss sich der Dorfladen genauso bewähren, wie jeder andere auch. Und das ist die emotionale Bindung. Der Spass, die Freude, das Besondere Erleben, das In-Sein. Ich behaupte, das ist die stärkste Bindung zu einem Dorfladen, was ich je erreichen kann. Atmo 11 Applaus Atmo 9 Gemurmel Autor: Nach Grölls Vortrag gibt es Leberwurstbrote und Kaffee. Alle lehnen an Stehtischen und versuchen die vielen Informationen erstmal zu verdauen. Lothar Raschka, der frühere Hauptmann und künftige Dorfladenbetreiber, rührt nachdenklich in seinem Kaffee. O-Ton 18 Lothar Raschka: Das hat mich allerdings schon ein bisschen sensibilisiert, über bestimmte Punkte nachzudenken, da ja das ganze Unternehmen nicht risikofrei ist. Da muss man schon mit Augenmaß an die Sache rangehen und das kann im Grunde genommen eine kleine Dorfgemeinschaft selber gar nicht stemmen, sondern es muss professionelle Hilfe ran, selbst wenn es ein paar Euro kostet. Ich glaub´, das ist ein gut angelegtes Geld. Autor: Zwei oder drei der 18 Teilnehmer werden heute erfahrungsgemäß tatsächlich den Mut und die Energie aufbringen, einen Dorfladen zu gründen. Und die meisten nehmen auch professionelle Hilfe in Anspruch, und zwar von Wolfgang Gröll selbst. Für 7000 Euro begleitet der gelernte Handelsfachwirt den ganzen Prozess von der Idee bis zur schwarzen Null. Über einhundert bayerischen Dörfern hat er so zu einem funktionierenden Laden verholfen. Atmo 12 Autostart innen/ Musik Autor: Schon am nächsten Tag ist Gröll unterwegs. In seinem silberfarbenen VW Phaeton Turbodiesel fährt er in Richtung Würzburg, einem neuen Projekt entgegen. Eben kommt er aus München, wo er im Wirtschaftsministerium Gespräche geführt hat. Die Regierung will einen Leitfaden herausgeben, wie Bürgergemeinschaften Dorfläden gründen können. O-Ton 19 Gröll: Das Land Bayern steht mittlerweile hinterm Konzept. Hat etwas länger gedauert, aber ich glaube die merken, dass der Druck auch von den schwach strukturierten Regionen mächtig da ist, um einfach hier was machen zu können, dass auch solche kleinen Dorfläden durchaus wirtschaftlich überlebensfähig sind. Autor: Die Idee, dass viele viel erreichen können, wenn sie sich zusammentun, entdecken nicht nur die Bayern gerade wieder. Genossenschaften sind im Kommen, sei es im hessischen Wächtersbach, wo die Bürger gemeinsam eine Brauerei gegründet haben und nun mit Wächtersbacher Bürgerbräu auf den Wert des Gemeinsinns anstoßen. Oder in Kommunen allerorts, wo die Genossen Gesellschafter Dorfkraftwerke, Gärten, Waldwirtschaften, Schwimmbäder und Wohnanlagen übernehmen. Und natürlich Dorfläden, wie demnächst in Buchbrunn, einem Dorf nahe Würzburg. Atmo 13 Auto aussen Gröll parkt seinen Wagen in einer schmalen Gasse. Aus dem Kofferraum holt er Aktenkoffer, Kabeltrommel und den Beamer und trägt alles in den Sitzungssaal des Rathauses. An den Wänden hängen Zeichnungen und Pläne des 1000-Einwohner- Ortes. Eine Gaststätte gibt es längst nicht mehr und letztes Jahr hat auch noch der einzige Laden geschlossen. Jetzt wollen die Buchbrunner ihre Grundversorgung selbst in die Hand nehmen, gemeinschaftlich einen Dorfladen eröffnen, erzählt Günther Schmidt. O-Ton 20 Günther Schmidt: Also dass die älteren Leute hier einkaufen können, und zum zweiten man nicht wegen jeder Kleinigkeit wieder nach Kitzingen fahren muss, um da was einkaufen kann, und auch für die Gemeinschaft insgesamt. Wir wollen ja da so eine Kaffeeecke mit rein machen, dass da der ein oder andere einen Kaffee trinkt, und da ein bisschen Gespräch entsteht zwischen jung und alt und so könnte ich mir das vorstellen. Autor: Schmidt setzt sich an den riesigen Holztisch im Sitzungssaal. Der Rentner ist Mitglied im „Arbeitskreis Dorfladen“, zu dem heute 12 Buchbrunner gekommen sind. Auf dem Tisch liegen die Ergebnisse einer Bürgerbefragung: Das Potential wäre da! Ein örtlicher Architekt hat schon Entwürfe des Ladens gezeichnet, der Beamer wirft sie an die Wand. Unklar sind noch der Standort und die Größe der Verkaufsfläche. Wolfgang Gröll, der Experte ist gefragt. O-Ton 21 Günther Schmidt: Erste Variante 130 m2, zweite Variante 108 m2. Und da hätte ich jetzt gern mal ne Aussage von Herrn Gröll. Autor: Gröll findet die größere Fläche besser und blickt in skeptische Gesichter. Größere Fläche heisst mehr Baukosten. Die Angst vor einem wirtschaftlichen Fehlschlag lässt alle zögern. Was ist, wenn die Anteile der Bürger verloren gehen? 400.000 Euro Jahresumsatz hat Gröll vorhergesagt, bei 400 Haushalten in Buchbrunn. Kann sich das rechnen? Szene 23 : Buchbrunner Also ich sag mal es sind nur 50 Prozent, die einkaufen, sind 200 Haushalte. Dann muss jeder Haushalt im Monat in unserem Laden für 200 Euro einkaufen. Dafür kauft ein anderer vielleicht sein komplettes Sortiment ein…weiß net? Das ist das Risiko. Wenn alle meinen, dass wir die 400.000 erreichen? Also ich hab da ganz ganz große Bauchschmerzen für diese Zahl… Atmo 14 Diskussion Autor: Wolfgang Gröll tippt andere Zahlen in den Taschenrechner. Rechnet vor, erzählt von anderen Dorfläden. Nach drei Stunden intensiver Diskussion ist die Skepsis überwunden, die 12 Buchbrunner glauben wieder an die eigene Kraft, die eigene Courage. Gröll packt den Beamer ein und macht sich auf den Heimweg. Aber bald kommt er wieder. Bis der Laden in Buchbrunn funktioniert. O-Ton 24 Gröll: … Es ist schon ein großes Stück der Grund, warum so viele Dorfläden überleben, weil die einfach, wenn sie Schwierigkeiten haben, nicht alleine gelassen werden, sondern einfach in gemeinschaftlicher Arbeit entsprechend auf den Kurs gebracht wird. Atmo 2 Türglocke Autor: Zurück im Biberbacher Dorfladen. Johanna Glink sortiert die Bananen in einen Weidenkorb. Seit sie neben dem Dorfladen auch den Drogeriemarkt managt, ist das ganze Team einer echten Belastungsprobe ausgesetzt, findet sie. O-Ton 25 Johanna Glink: Weil es kann nicht sein, dass dieser Laden den anderen mittragen muss. Also es muss sich schon jeder rechnen. Aber es sind halt zwei unterschiedliche Räume, jetzt brauchen wir zweimal Personal, zweimal Miete, haben wir ein zweites Kassensystem gebraucht, das alles Geld kostet eigentlich. Das könnten wir uns sparen, wenn es in einem Gebäude untergebracht wär. Autor: Die acht Verkäuferinnen müssen jetzt zwei Läden gleichzeitig betreiben. An der Kasse des Drogeriemarkts - 50 Schritte vom Dorfladen entfernt - steht Manuela Wolf. Ihr Make-up ist perfekt, der Lippenstift passend zum roten Pulli. Ein Kunde hat eine Tube Zahnpasta ausgesucht. O-Ton Szene 26 : Kunde: Hallo, Wolf: Hallo, neunundneunzig, (piep), danke. (Kasse, Geldgeklimper) …ein Euro einen..danke..(Rest wird zur Atmo) Dann Atmo 15 Autor: Wie im Dorfladen sind die Wände hier in warmen Gelb- und Rot-Tönen gemalert. In zwei Wochen ehrenamtlicher Arbeit haben die Biberbacher aus der nüchternen Schlecker-Filiale gemeinsam einen angenehmen Verkaufsraum gemacht. Manuela Wolf ist sichtlich stolz auf die Veränderung. O-Ton 27 Manuela Wolf: Kollegin hat dann noch Vorhänge genäht. So hat dann jeder seinen Beitrag beigetragen. Die einen waren beim Fensterputzen da, beim Regale putzen, die Männer waren abends da, beim Regale einräumen. Also wir haben alles mit eingespannt, was irgendwie gegangen ist. Und wir sind eigentlich schon stolz drauf, dass der Laden jetzt so schön ist. Autor: In einer Ecke gibt es jetzt Schreibhefte für die Grundschüler in Biberbach. Gleich neben der Tür ist noch Platz für eine Postfiliale mit Lottoannahme. Aber noch fehlt es an Kunden und Umsatz. Atmo 16 Tabs Manuela Wolf nutzt die Zeit und räumt Spülmaschinentabs ins Regal. Neben Einwegwindeln, Katzenfutter und Haarspangen gibt es noch einige freie Flächen: Stützstrümpfe für die Alten fehlen noch, das weiß Manuela Wolf aus den Gesprächen, genauso wie Kosmetik für die jungen Mädchen. Lidschatten, Nagellack, Lippenstift. Darum kümmert sich Johanna Glink, die Geschäftsführerin. Bisher vergeblich. Atmo 1 zum Blenden O-Ton 28 Johanna Glink: Also da hab ich von einigen Firmen schon Absagen kriegt, so ist es nicht. Vor allem von namhaften Firmen, was ich nicht erwartet hätte. Die möchten nur Läden mit 1000 m2 beliefern, aber jetzt einen kleinen, da haben sie kein Interesse dran. Man sieht eigentlich schon die Arroganz von manchen Firmen. Da braucht man wirklich Energie und Hartnäckigkeit, um dranzubleiben. Atmo 17 Kartons Autor: Beides hat Johanna Glink. Sie stemmt entschlossen die Hände in die Hüften und beginnt Kartons aus dem Weg zu räumen. Sie weiß: Die Bürger von Biberbach, die gemeinschaftlich diesen Laden tragen, stehen hinter ihr. Ende Gerhard.richter@die-berichter.de 0170-2377428