Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 20. August 2012, 19 Uhr 30 Beschlusssache Kindeswohl Konfliktschlichtung vor Familiengerichten Von Sabine Voss. O-Ton 1 Martin Klein Man hat ja Kinder, weil man sich sehr geliebt hat. Und ich hätte mir nie träumen lassen, dass man so aneinander gerät. Ich hab das immer nur gehört aus meinem Bekanntenkreis und hab immer gedacht, ich versteh' diese Leute nicht, die dann nur noch über einen Anwalt miteinander reden. Das wird mir nie! passieren. Nie! wird mir das passieren! Ich hätte da jede Wette verloren. O-Ton Kaukasischer Kreidekreis (Gerichtshammer) Ich eröffne die Verhandlung und bitte mir strikte Wahrhaftigkeit aus. Sprecher vom Dienst: Beschlusssache: Kindeswohl Konfliktschlichtung vor Familiengerichten Von Sabine Voss Sprecherin Paare, die sich nicht mehr verstehen, können, wenn sie Kinder haben, nicht einfach getrennte Wege gehen. Trennungsvätern und -müttern fehlt, was sie oft dringend nötig hätten - eine Auszeit voneinander. Als Eltern haben sie keine Pause. Vielmehr müssen sie sich mitten im Trennungsstreit auf eine Betreuungslösung verständigen. Bei wem werden die Kinder jetzt leben? Wann und wie oft wird der nicht-betreuende Elternteil sie sehen? Kommt es zu keiner Einigung, ist es ein Fall für das Familiengericht. O-Ton 2 Cornelia Holldorf Nun, wir treiben dieses gesamte Verfahren ja ausschließlich im Interesse des Kindes. Es geht ausschließlich darum, das Beste für das Kind zu finden. Sprecherin Cornelia Holldorf, Familienrichterin am Amtsgericht Berlin Pankow-Weißensee O-Ton 3 Cornelia Holldorf Über die Jahrzehnte und Jahrhunderte natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, was für ein Kind das Beste ist. Und was es wirklich ist, das wissen wir nicht, da gibt es eben Grundannahmen, von denen man ausgeht und die sich auch verändern. Und wir gehen davon aus, dass es grundsätzlich besser fürs Kind ist, wenn die Eltern eine gemeinsame Lösung finden, die sie beide tragen, wirklich tragen, nicht einfach ein fauler Kompromiss, sondern wo sie beide innerlich dahinter stehen. Sprecherin Viel hat sich verändert seit das gerichtliche Verfahren in Familiensachen 2009 reformiert wurde. Das Familiengericht ist moderner geworden, weniger Entscheidungsinstanz, eher ein runder Tisch. Richter sind nicht mehr darauf aus, Beschlüsse zu fassen, eher appellieren sie an die elterliche Verantwortung und Autonomie. O-Ton 4 Cornelia Holldorf Zum einen, weil wir der Meinung sind, Eltern wissen am besten, was für ihr Kind gut ist, das wissen sie auf jeden Fall besser als ein Familienrichter, der das Kind ein, zwei Mal für eine halbe Stunde spricht. Und auch weil eine nachhaltige Lösung besser ist als eine, an der der eine oder andere permanent zerrt. Sprecherin Die Trennungs-Eltern sitzen mit ihren Anwälten, dem Richter und hinzugezogenen Experten beisammen - Sozialpädagogen des Jugendamts, vielleicht beratenden Psychologen, die Richterin Holldorf ihre "Unterstützer" nennt. O-Ton 5 Cornelia Holldorf Durch die veränderte Verfahrensweise motivieren wir die Eltern ja dazu, zu schauen, ob sie nicht doch die gemeinsame Elternschaft aufrechterhalten können. Und das gelingt sehr vielen Eltern - mit Unterstützung, aber es gelingt ihnen, wenn man ein bisschen den Druck auf die Aktivierung der eigenen Ressourcen erhöht. O-Ton 6 Claudia Neidig Wir ziehen alle am selben Strang oder hauen in dieselbe Kerbe, und irgendwann können die Eltern auch nicht mehr anders. Sprecherin Claudia Neidig ist Psychologin und sitzt mit am runden Tisch. Sie ist "Anwalt des Kindes" und vertritt ausschließlich seine Interessen. O-Ton 7 Claudia Neidig Ich versuche, die Situation des Kindes zu erfassen, ich versuche, den Willen des Kindes zu einzuschätzen, zu gewichten. Ich versuche, aufgrund meiner Erfahrung mit dem Kind - lerne das Kind kennen - auf der Grundlage versuche ich, den Eltern nahe zu bringen, was ihr Streit auch für das Kind bewirkt, und Befriedung hinzukriegen. O-Ton 8 Susanne Rötschke Ja, man darf nicht müde werden, das den Eltern immer wieder zu sagen, "auch wenn ich Sie verstehen kann, aber was Sie hier tun, das ist Gift für ihr Kind". Die sind in ihrer Entwicklung gefährdet und zwar massiv gefährdet. Das muss man sich klarmachen, und ich finde, das rechtfertigt die Energie, die da reingesteckt wird. Sprecherin Susanne Rötschke ist Psychotherapeutin und berät Trennungseltern in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Bezirks Berlin-Mitte. An sie werden Eltern verwiesen, nachdem sie sich bei Gericht etwa auf eine Umgangsregelung verständigt haben. Denn die auch praktisch umzusetzen, gelingt den meisten Eltern nur mit beratender Unterstützung. O-Ton 9 Susanne Rötschke Es ist interessanterweise so: Wir machen eine sehr genaue Statistik. Wir analysieren die Scheidungs- Trennungs-, Umgangsfälle, die wir jetzt haben seit der Veränderung im Familienrecht. Und wir gucken, wie viele kommen vom Gericht? Und viele kommen als Selbstmelder. Zwei Drittel ungefähr sind Selbstmelder, das sind Eltern, die wissen sehr wohl, sie müssen irgendwie kooperieren, obwohl sie sich jetzt trennen, die wollen das auch und kommen aber in ihrer Kommunikation an Grenzen, und die melden sich dann freiwillig, bevor sie beim Gericht landen. Die sagen, das schadet nur, letztendlich schadet das allen, wir wollen das vermeiden, wir wollen versuchen, uns selbst zu einigen. Regie: Trenner Sprecherin Was aber ist mit Eltern, die auf "nachdrückliche" Anordnung kommen, denen Richterin Holldorf sagt: Lassen Sie sich beraten! Fühlen sich solche Eltern beauflagt und gezwungen? Oder erleben sie die Beratung als Chance? O-Ton 10 Martin Klein Also die haben wirklich einen Höllenjob. Ich hab da einen riesen Respekt, wenn, in unserem Fall, wir da sitzen, und wir streiten uns darüber, welche Farbe die Wäsche hat, die in der Waschmaschine aus Versehen mit gewaschen worden ist oder wer an welchem Tag zu welcher Uhrzeit zu wem was in welchem Tonfall gesagt hat, und vor uns waren schon drei solche Gesprächstermine, wo die Leute sich darüber gestritten haben, und nach uns noch mal drei. Und diesen Anspruch natürlich auch zu helfen, den Leuten zu einer Kommunikation zu verhelfen oder die auf das Wesentliche zurück zu führen und diesen Streit und diesen Hass rauszunehmen. Aber einfach ist das bestimmt nicht. Sprecherin Martin Klein ist Vater von zwei Kindern, die bei der Mutter leben. Er verbringt jedes zweite Wochenende mit ihnen und in der Zwischenzeit einen weiteren Nachmittag, außerdem die Hälfte der Ferien - eine Standard-Umgangsregelung, über die das Elternpaar immer wieder in Streit gerät. In das Verfahren vorm Familiengericht wurden bereits ein Verfahrensbeistand für die Kinder sowie ein Gutachter mit einbezogen. Außerdem haben die Eltern inzwischen Erfahrung mit nacheinander drei Beratungsstellen gemacht. O-Ton 11 Martin Klein Wir hatten neulich einen Gesprächstermin bei der Caritas - wir versuchen da viele Varianten, um da zueinander zu finden -, und ich hab gesagt, der Umgang funktioniert und ich bin sehr froh, dass es diese Regelung gibt. Und die Mutter sagte, der Umgang funktioniert überhaupt nicht. Die Wahrnehmung - ich glaube, Wahrnehmung ist ein Riesenthema - klafft dann so weit auseinander, dass man schon bei so ganz einfachen Fragen schon unterschiedliche Standpunkte findet. Also ich bin froh, dass es den Umgang jetzt gibt und dass man sozusagen zu Gesprächen gezwungen wird, und das funktioniert erst mal. Für die Mutter war's natürlich, die war ja Antragsgegnerin, ist es natürlich sozusagen kein Fortschritt, sondern verkompliziert die Lage eben. Sprecherin Es sind wohl vor allem die Väter, die von der Verfahrensrechtsreform profitieren. Schritt für Schritt hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren die Väterrechte gestärkt. Mit der Kindschaftsrechtsreform im Jahre 1998 wurde die gemeinsame Sorge zum Regelfall. Bis dahin machte es die familienrechtliche Praxis Müttern relativ leicht, sich, wenn sie das wollten, die Väter vom Hals zu halten und den Kontakt zum Kind zu verhindern. O-Ton 12 Cornelia Holldorf Das Familiengericht bildet eben auch gesellschaftliche Veränderungen ab. Und in den letzten Jahren hat sich die Situation der Familien, die Rollen innerhalb der Familien haben sich stark verändert und vor allem auch die Rolle der Väter. Wir haben sehr sehr viel mehr Verfahren, in denen Väter ihr Kind im Alltag betreuen möchten, die ihre Kinder während der Kleinkindzeit gewickelt und gefüttert haben und nun nicht einsehen, warum nach der Trennung des Paares das Kind für sie im Alltag verloren gehen soll. Sie wollen dem Kind die Gute-Nacht-Geschichte vorlesen, sie wollen das Kind zur Kita bringen, d.h. diese Situationen werden mit sehr viel mehr Engagement und sehr viel streitiger ausgetragen, sind auch schwer lösbar. Das hat etwas vom Kaukasischen Kreidekreis. O-Ton Kreidekreis A: Mutter und Kind - gibt es ein innigeres Verhältnis, kann man einer Mutter ihr Kind entreißen? Hoher Gerichtshof, sie trug es in ihrem Leibe, sie speiste es mit ihrem Blut, sie gebar es mit Schmerzen. G: Ich habe es aufgezogen, nach besten Wissen und Gewissen, ich hab nicht auf meine Bequemlichkeit geschaut. A: In Lumpen geht es. G: Man hat mir keine Zeit gegeben, ihm sein gutes Hemd anzuziehen. A: In einem Schweinekoben ist es aufgewachsen. G: ich bin kein Schwein, da gibt's andere. O-Ton 13 Susanne Rötschke Es sind oft sehr heftige, sehr hoch eskalierte Elternkonflikte und teilweise unglaublich tragische. Also weil da man mit zwei Eltern zu hat, die beide ne gute Beziehung zum Kind haben, die beide sich vorstellen können, mit dem Kind oder den Kindern zu leben, die Kinder sind völlig zerrissen zwischen den beiden, und wenn die das nicht schaffen, sich zu einigen, dann bleibt es eigentlich ein Dauerkonflikt. Weil, wenn es ein Richter entscheidet, dann ist es ja immer eine Entscheidung gegen einen von beiden. Da werden ja oft psychologische Sachverständige eingesetzt, die entscheiden gegen einen, für einen, für die Frau, gegen den Mann oder umgekehrt, und einer ist immer der Verlierer. Und es friert nach meiner Beobachtung den Konflikt auf einem sehr hohen Niveau ein. Der frisst sich sozusagen fest, und der bleibt dann da stehen. Regie: Trenner Sprecherin: Immer mehr Väter streben vorm Familiengericht eine Fifty-Fifty-Lösung an, also die "gerecht" halbierte Betreuungszeit. Ob das Pendeln zwischen zwei Lebensschwerpunkten Kindern gut tut oder schadet, ist umstritten, ebenso, ob das "Wechselmodell" auch gegen den Widerstand eines Elternteils oder nur einverständlich funktionieren kann. Inzwischen gab es vereinzelt richterliche Beschlüsse gegen die sich sträubende Mutter, für den antragstellenden Vater. Aber auch in das eher klassische "Residenzmodell" ist Bewegung gekommen. Hier lebt das Kind beim hauptbetreuenden Elternteil und der nichtbetreuende hat Umgang. Dass der "Umgangssuchende" meist der Vater ist und die "Umgangsgewährende" die Mutter, resultiert häufig aus der Familiensituation, wie sie vor der Trennung war. O-Ton 14 Susanne Rötschke Der Vater hat gearbeitet und vielleicht auch noch sehr viel und intensiv, dann geht er früh weg und kommt abends irgendwann wieder, sieht die Kinder noch kurz vorm Ins-Bett-Gehen oder manchmal sogar gar nicht. Und die Frau bleibt zu Hause und kümmert sich um die Kinder, kümmert sich um den Haushalt - ist 'ne Konstellation, die kommt nicht selten vor. Dann kommt die Trennung, und dann ist das Argument plötzlich, "der hat sich ja nie um die Kinder gekümmert". Ja, aber wie hätte er denn sollen? Und für die Kinder ist das ganz anders. Für die Kinder ist auch der abwesende Papa ganz wichtig. Sprecherin Das klassische Ernährer-Familienmodell birgt im Trennungsfalls Konfliktstoff, den es früher so nicht gab. Denn viele Mütter leiten aus ihrer Präsenz im Leben ihrer Kinder Vorrechte ab und stellen nach der Trennung fest, dass sie die nun teilen müssen. Es sind diese vielen während der gemeinsamen Familienzeit abwesenden Väter, um die sich das Familiengericht und seine Unterstützer intensiv bemühen. Viele dieser Väter sehen und bekommen nun die Chance, die Eltern-Bühne vielleicht zum allerersten Mal autonom zu bespielen. Peter Fischer ist Psychotherapeut und arbeitet in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Bezirks Berlin Mitte O-Ton 15 Peter Fischer Wir machen die Beobachtung, dass, selbst wenn in der Familie die Männer am Rande eher ihrer Funktion als Vater nachgekommen sind und sie die Möglichkeit haben, ihr Kind alleinverantwortlich kennen und erleben zu lernen, dass sehr viele Potentiale plötzlich entstehen. Wenn man merkt, dass die Väter sich immer mehr zutrauen, am Anfang zaghaft sind, sehr ungelenk mit der Holzeisenbahn am Boden spielen, dann immer mehr so diese Rolle übernehmen und irgendwann man sich zurückziehen kann als Berater und den Vater die Situation selbst erleben und aufbauen lassen kann, das sind schon sehr schöne und positive Seiten der Arbeit, unserer Arbeit auch. O-Ton 17 Claudia Neidig Das ist weit verbreitet, dass die Mütter davon ausgehen - Mütter, die die Kinder alleine erziehen - dass die sagen, ja, wenn die Kinder sieben acht sind oder sechs sieben sind, dann können sie beim Vater übernachten oder dann können sie alleine Zeit mit ihm verbringen. Und wir wissen ja von der Bindungsforschung, dass gerade von der Geburt bis zum dritten Lebensjahr Bindung aufgebaut wird. Das ist die Blaupause dafür, was die Kinder danach zu leben überhaupt in der Lage sind. Danach bindet man sich so, wie man es anfangs gelernt hat. Aber um sich zu binden, ist auch ein Kontakt in einer gewissen Frequenz notwendig, das muss man erklären. Sprecherin Zwei Drittel der von Trennung und Scheidung betroffenen Kinder sind unter sechs Jahren. Und gerade sie brauchen den häufigen Kontakt zum nicht-betreuenden Elternteil, größere Kinder haben diesen Kontakt schon aufgebaut und können ihn auch mal missen. Als "Anwältin des Kindes" erklärt Claudia Neidig den Eltern auch, wie es Kindern geht, wenn sie sich in zwei Lebenswelten zurechtfinden zu müssen, die von gegenseitigem Argwohn, Misstrauen, Vorwürfen, vielleicht sogar Hass aufeinander geprägt sind. O-Ton 19 Claudia Neidig Kinder äußern sich in der Regel bei jedem Elternteil sozial angepasst. Weil die sind mit jedem Elternteil identifiziert, und wenn einer den Anschein erweckt, den anderen schlecht zu machen, oder sobald auch nur geringfügig der Eindruck entsteht, das ist negativ für den ein oder den andern, dann spüren die Kinder das in sich, und das ist ein Streit, der bei denen in der Seele stattfindet, und das zerreißt die auf Dauer. Sprecherin In der Trennungs- und Scheidungsberatung wird viel experimentiert. Es gibt Konzepte, da werden Kinder, wenn sie schon älter sind, mit eingebunden. Bei anderen arbeiten ein Berater und eine Beraterin zu zweit. Sie repräsentieren Vater und Mutter, schlüpfen in ihre Rollen, streiten stellvertretend, greifen deren Argumente auf - und die Eltern sehen "sich" dabei zu. O-Ton 20 Peter Fischer Es gibt Themen, die bestimmen sehr häufig die Beratungsgespräche, nämlich gegenseitiges Misstrauen und gegenseitige Vorwürfe, die sehr viel mit der früheren Beziehungsgeschichte zu tun haben. Und unser Ziel ist es, dass die Partner lernen, etwas mehr den anderen und seine Situation damals und heute zu verstehen und zu gucken, welche Formen können wir als Eltern finden, dass wir zumindest einen Minimalkonsens erreichen, eine Minimalkommunikation erreichen, dass unser Kind nicht permanent, nicht permanent merkt, da ist dicke Luft, da ist eine Anspannung da, die Eltern sind kurz vorm Explodieren. Und wer ist schuld, vielleicht bin ich als Kind der Schuldige. Regie: Trenner O-Ton 21 Martin Klein Also die Sachen, an denen sich die Emotionen so hochschaukeln, sind unendlich unwichtig zum Teil, wenn ich das über Jahre mit dem Abstand der Zeit betrachte. Man redet sich manchmal die Köpfe heiß und am Schluss wüsste ich überhaupt nicht, worum's eigentlich ging. Das Telefon klingelt, ich sehe, die Mutter von den Jungens! Und sofort kriege ich einen Kloß im Hals und denke, oh je, was ist jetzt. Und das abzuschalten, wirklich sich aufs Wesentliche konzentrieren, aus dieser emotionalen Schleife auszusteigen, eben keine vorgefassten Urteile zu formulieren, dafür ist der Kurs sehr gut, dass man das noch mal gesagt bekommt: Das Telefon noch mal klingeln lassen, einmal tief durchatmen und mit ner positiven Einstellung auf den grünen Hörer zu drücken und zu sagen: Hallo. Und nicht zu sagen: Ja, was is'n. Und höflich zu bleiben, zu grüßen, hallo, und vielleicht irgendwann in ein paar Jahren, wie geht's? Sprecherin Pragmatisches Handwerkszeug hat Martin Klein in einem Elterntrainingskurs erworben, der sein Programm schon im Namen trägt: "Kind im Blick" - abgekürzt KIB. An der Münchener Ludwig-Maximilian-Universität entwickelt, hat der Kurs bundesweit in der Trennungs- und Scheidungsberatung Furore gemacht hat. Das Konzept sieht zwei parallel stattfindende Elterngruppen vor. Die im Streit befindlichen Paare werden auseinander genommen und auf die beiden Gruppen verteilt, so dass keiner mit seinem potentiellen Konfliktpartner zusammen trainiert, aber innerhalb der Gruppen eine möglichst bunte Mischung entsteht. Hier trifft der moderne Vater aus Berlin-Mitte auf die eher traditionell orientierte Mutter aus dem Berliner Wedding. O-Ton 23 Susanne Rötschke Wir haben Eltern, die mit ihren Kindern leben und die ihre Kinder nur ab und zu sehen, wenig oder gar nicht. Wir haben Mütter oder Väter, die waren die Verlassenden, für die war das Gehen aus der Beziehung vielleicht eine Erlösung, und wir haben Menschen dabei, für die war das absolut ein verletzendes Erlebnis, dass sich ihre Lebensperspektive aufgelöst hat. O-Ton 24 Martin Klein Das ist sehr sehr interessant zu sehen, die ersten Termine kommen die Leute schwer in Fahrt, weil natürlich alle reserviert sind, weil alle mehr oder weniger direkt von Gerichtsterminen kommen, wo ihnen das aufgetragen worden ist, diesen Kurs zu besuchen. Und nach und nach ist das so ein bisschen in Fahrt gekommen, die Leute haben auch von sich selber erzählt. O-Ton 25 Susanne Rötschke Mütter, die den Alltag mit den Kindern haben, hören, wie's den Vätern geht, die nur so ganz wenig Zeit haben aus ihrer Perspektive und die gern mehr hätten. Und Väter, die eben nur diese wenige kostbare Zeit mit ihren Kindern haben, hören, was das bedeutet, wenn man den Alltag hat und zwar jetzt allein, nicht mehr mit Papas Hilfe sondern allein. O-Ton 26 Martin Klein Es waren eben diese türkisch-stämmigen Mütter da, die eben auch wirklich sagten, ja, aber ich hab das Kind zur Welt gebracht mit Schmerzen, und ich hab das Kind gestillt, ich hab das ernährt und deswegen hab ich einen viel höheren Anspruch als der Vater, dieses Kind auch zu versorgen. Und da war auch noch so ein typischer "Mitte-Papa" noch mit dabei, der gesagt hat, ich kann's nicht mehr hören, das ist ja wie im Mittelalter. Sprecherin An sechs Terminen hat Martin Klein verschiedenste Trennungsgeschichten gehört, mit seiner eigenen verglichen, in Rollenspielen Perspektiven gewechselt und sein Kommunikationsverhalten trainiert. All das war hilfreich, aber Wunder, sagt er, lassen sich auch vom KIB-Kurs nicht erwarten. O-Ton 27 Martin Klein Ich hab den Kurs absolviert, und mich hat er sehr bestätigt in dem, was ich mache - genau so wie's hier ist, nämlich dem gesunden Menschenverstand folgend, versuche ich das zu machen, die Jungs rauszuhalten, kommunikativ zu sein. Und das ist das Verblüffende an diesem Kurs, ich hab dann am Schluss gesagt, als es um die Auswertung ging, wissen Sie, ich bin mir total sicher, wenn alle unsere Expartner hier sitzen würden, würden die genau dieselben Geschichten erzählen. Es würden genau dieselben Probleme erkennbar werden, und die hätten genau dasselbe Gefühl, nämlich dass sie diejenigen sind, die versuchen zu kommunizieren, und dass wir, die wir hier sitzen, diejenigen sind, die's schwierig machen. Regie: Trenner O-Ton Kaukasischer Kreidekreis Klägerin und Angeklagte, der Gerichtshof hat euren Fall angehört und hat keine Klarheit gewonnen. Ich werde eine Probe machen. Shalva, nimm ein Stück Kreide, zieh einen Kreis auf dem Boden. Das Kind. Eins, zwei, drei zieht...Ich hab's aufgezogen, soll ich's zerreißen? Ich kann's nicht. Und damit hat der Gerichtshof festgestellt, wer die wahre Mutter ist. Sprecherin Anders als im Kaukasischen Kreidekreis von Bertolt Brecht, wo der Richter trickreich zu einem abschließenden Urteil kommt, setzen die Familiengerichte heute auf den Prozess, auf ein verändertes Erleben der Streitenden, auf das Zurückgewinnen von Vertrauen durch positive Erfahrungen. Viel Zeit, Geld, Geduld, Hartnäckigkeit wird investiert. Gleichzeitig gibt es eine klare Erwartungshaltung des Gerichts, der Richter fordert Ergebnisse ein und am Ende sollen die Eltern auch "liefern". Was aber, wenn sie das nicht tun? Wenn sie betonhart auf ihren Positionen im Streit verharren? O-Ton 28 Heike Lexow Die meisten Eltern wollen auch nicht mehr miteinander reden, die sind einfach durch damit. Ich sag dann, muss ja nicht sein, aber Sie müssen mit mir reden. Und wenn Sie mit mir nicht reden, dann wird's schwierig. Sprecherin Heike Lexow ist Diplompädagogin und wird vom Gericht in schwierigen, hocheskalierten Fällen, in denen ein Kontaktabbruch zwischen Kind und einem Elternteil droht, als Umgangspflegerin bestellt. Umgangspflegschaft stellt einen massiven Eingriff in Elternrechte dar und ist ein "Ultima-Ratio-Mittel" der Familiengerichtsbarkeit. Denn Umgangspflegschaft bedeutet rechtlich den Entzug der elterlichen Sorge in Bezug auf die Gestaltung des elterlichen Umgangs. Der Umgangspfleger setzt den gerichtlichen Umgangsbeschluss faktisch durch. O-Ton 29 Heike Lexow Es gibt ganz ganz viele, die bei mir in der Praxis irgendwann landen, die wirklich schon viele viele Betreuer hinter sich haben. Und das letzte Mittel ist dann die Umgangspflegschaft. Man hat also über die Elternarbeit versucht, den Umgang herzustellen. Und das war aber nicht machbar. Also geht man jetzt mit der Umgangspflegschaft im Grunde genommen den umgekehrten Weg: Man setzt die Rechte um - egal ob die Eltern das einsehen oder nicht. Es sind die Rechte des Kindes. Hier gibt's auch kein Raus. Ich bin an die Beschlüsse gebunden genauso wie die Eltern. Und man kann dann sehr intensiv mit den Eltern zusammenarbeiten. Es gibt auch hier verweigernde Eltern, verweigernde Kinder, und dann ist auch die Umgangspflegschaft gescheitert, aber dem gibt man schon mehr Raum. O-Ton 30 Cornelia Holldorf Viele Eltern, die dem Umgang sehr skeptisch gegenüber standen, sind durch eine gerichtliche Entscheidung, die einen Umgang anordnet, auch entlastet. Sie sind der Verantwortung enthoben. Sie haben ja alles dafür getan, dass der Umgang nicht stattfindet, der aus ihrer Sicht schlecht ist, eine höhere Instanz hat es angeordnet. Das wirkt sehr entlastend. Dann können sich viele darauf einlassen, und wenn der so dann stattfindet, gibt es auch einige, die dann sagen, es ist gar nicht so schlecht, ich sehe, mein Kind kommt glücklich von dem anderen Elternteil zurück. Ich sehe, das tut meinem Kind gut. Jetzt bin ich auch damit einverstanden, es zuzulassen. umgehen. Sprecherin Nur in etwa jedem zwanzigsten ihrer Umgangsverfahren, schätzt Richterin Cornelia Holldorf, setzt sie eine Umgangspflegerin ein, die das Kind bei der Mutter abholt, dem Vater übergibt, in getrennten Elterngesprächen auswertet, wie der Umgang funktioniert, und zwischen den Konfliktpartnern vermittelt - eine intensive Einzelfallhilfe, an der die Eltern auch finanziell zur Hälfte beteiligt werden. O-Ton 31 Heike Lexow Ganz oft das Thema ist Wechselwäsche, dass die Mutter das nicht richtig mitgegeben hat, dass der Vater das nicht gewaschen hat, dass der Schlüpfer fehlt, der Anorak fehlt, irgendwas ist nicht mit zurück gekommen. Der Füller ist weg. Und es geht um Vermittlung, es geht darum zu sagen, o.k. der Füller ist weg, der ist bei dem Vater weggekommen, aber es kann auch sein, dass er in der Schule schon weggekommen ist. Und oft ist es dann ja so, dass die Mütter sagen, das kann nur der Vater gewesen sein. Also die Augen sind gar nicht mehr offen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, dass das Kind eine autonome Figur ist in dem Spiel, das auch mal was vergisst, das auch mal irgendwas liegen lässt, wo der Vater nicht dran schuld ist, das übersehen Eltern in dieser Konfliktlage ganz häufig. Sie verlieren den Blick aufs Kind und auf seine Autonomie. Sprecherin Manche Kinder wollen nicht mehr, verweigern den Umgang - weil sie sich benutzt und allein gelassen fühlen, weil sie spüren, dass sie instrumentalisiert werden, weil sie es müde sind, jahrelang mitten im Kampfgebiet der Eltern zu leben. O-Ton 32 Heike Lexow Als Umgangspfleger ist man oft auf einmal mittendrin. Und man kann sich oft ganz gut sagen, Gott, wie muss sich das Kind jetzt fühlen, denn ich fühl mich ja schon total bedrängt, hin und her gezerrt. Man sitzt da und denkt, wow, ich kann den Vater verstehen, ich kann die Mutter verstehen, wie soll's da dem Kind erst gehen, das sich ja nicht wehren kann. Und da gibt's nur ein paar Möglichkeiten: Es ignoriert oder es entwickelt Störungsbilder oder es bricht den Umgang ab. Damit's 'ne Art von Ruhe hat. Sprecherin Und dennoch wird Cornelia Holldorf auch in solchen Fällen nicht locker lassen, doch noch einen Weg zu suchen, die Eltern zu befrieden. Sie ist davon überzeugt, dass auch ein Kind, das den Umgang verweigert, wenn die Eltern miteinander sprächen, die Freiheit haben könnte, einen ganz anderen Willen zu entwickeln als vor einem hochstreitigen Hintergrund. Das Kind könnte dann Wünsche entwickeln, die ihm vorher undenkbar erschienen. O-Ton 33 Cornelia Holldorf Es geht aber auch darum für die Eltern, ganz ehrlich zu erforschen, warum will das Kind keinen Kontakt mit mir? Und das gilt es dann aufzulösen und das ist auch harte Arbeit. Möglicherweise geht es auch darum, das Kind um Verzeihung für etwas zu bitten, vielleicht dafür, den Anlass für die Trennung der Eltern gegeben zu haben. Es hängt viel davon ab, wie ehrlich die Eltern es damit meinen, von dem Kind den Grund zu erfahren. Sprecherin Weniger Kontaktabbrüche zwischen Kindern und einem Elternteil. Weniger Folgeverfahren, in denen Eltern wieder und wieder vor Gericht ziehen. Mehr zufriedene Eltern und mehr Kinder, die durch Trennung und Scheidung nicht so schwer belastet sind - das ist Cornelia Holldorfs positive Bilanz des neuen familienrechtlichen Verfahrens. O-Ton 34 Cornelia Holldorf Also wir haben im Idealfall nicht mehr die Situation, dass ein verkorkster Umgang dazu führt, dass das Kind mit fünfzehn/sechzehn zu einem gefährdeten Kind wird und beispielsweise in die Psychiatrie eingewiesen werden wird. Sprecherin Dafür müssen Eltern zurückstecken, müssen sich zusammen reißen. Ihre eigenen Verletzungen müssen gegenüber dem Wohl ihrer Kinder relativ gesehen unwichtig sein. Martin Klein. O-Ton 34 Martin Klein Mit den Kindern hast du eben immer mit dem anderen zu tun. Egal ob du das willst oder nicht. Und du musst dem zumindest Respekt entgegen bringen. Auch wenn du den am liebsten auf den Mond schnippsen wolltest. Ich merke einfach, dass man - also rein instinktiv - dass man die Kinder nicht rein ziehen sollte Dass eben diese Spannung zwischen den Eltern für die Kinder so schlecht ist, diese sehr sehr schlechte Kommunikation oder, wenn's mal zum Gespräch kommt, immer das knistert oder man sich aus dem Weg geht oder der Streit doch spürbar wird für die Kinder. Und das ist das totale Gift. Musik Sprecher vom Dienst Beschlusssache Kindeswohl Konfliktschlichtung vor Familiengerichten Eine Sendung von Sabine Voss. Es sprach: Eva Kryll Ton: Alexander Brennecke Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur, 2012 1