Deutschlandradio Kultur Länderreport COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. 100 Tage grün-rot in Baden-Württemberg - wie reagieren der politische Apparat und die Wirtschaft auf die neuen Machthaber? Die Wirtschaft Autorin: Uschi Götz Länge: 9'20 Redaktion: Heidrun Wimmersberg A: Winfried Kretschmanns Vater nannte seinen Sohn Winnetou. Der Sohn hatte kein Pferd, aber war schon damals gerne in der schwäbischen Prärie unterwegs. Ein Naturbursche. Jahrzehnte später, kurz vor seiner Wahl zum ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands, sprach Winnetou: "Weniger Autos sind natürlich besser als mehr". Die Autobauer im Land waren entsetzt. Die Feststellung kam der Idee nahe, aus der Ostsee das Wasser abzulassen. Das Auto und Baden-Württemberg ist eine nicht zu trennende Einheit. Daimler, Porsche, auch große Autozulieferer wie Bosch, alle sind rund um Stuttgart beheimatet. Nach Kretschmanns Satz waren sie zornig. Auch die Feststellung von SPD-Wirtschafts-und Finanzminister, Nils Schmid, wonach jede baden- württembergische Landesregierung Benzin im Blut habe, war vergeblich. Gelassen blieb in der ganzen Aufregung nur einer - Kretschmann: O- TON (Kretschmann Regierungserklärung): Nur mit ständiger Bereitschaft zur Erneuerung bleibt unser Land erfolgreich, so steht es im Koalitionsvertrag und dies ist die Grundrichtung unserer Wirtschaftspolitik: Nachhaltigkeit braucht Veränderung. Wenige Tage danach besuchte der grüne Regierungschef den Sportwagenbauer Porsche in Stuttgart- Zuffenhausen. Das Gespräch mit den Chefs fand hinter verschlossenen Türen statt. Er habe einfach nicht das "libidinöse Verhältnis zu diesen Autos, wie diejenigen, die sie gerne fahren." sagte Kretschmann am Ende dieses Antrittsbesuchs und empfahl Porsche weiter in die grüne Richtung zu gehen, dann käme man zusammen. Zum Klimawandel mit den schwäbischen Autobauern trug eher der nächste Ortstermin bei. Daimler präsentierte bei Kretschmanns Antrittsbesuch zwei Klima-Kanäle. Das Unternehmen kann in diesen Kanälen am heimischen Standort Stuttgart-Sindelfingen seine Prototypen testen. Die Entwicklungsingenieure sparen sich mit diesen Kanälen viele Tests, etwa in der Wüste oder in Nordschweden. So stelle er sich die ökologische Modernisierung Baden-Württembergs vor, lobte Kretschmann die technische Innovation. Und Daimler-Chef Dieter Zetsche versprach, Autos so grün zu machen, dass Wettbewerber gelb vor Neid würden. O- TON (Daimler Gesamtbetriebsratschef Klemm): Also ich denke nach anfänglichen Irritationen, die ja in Richtung Automobilindustrie da waren, ist er in seinem Amt angekommen; er hat ein paar Dinge verstanden, ich halte es auch für richtig, wenn er heute sagt, dass gerade im Luxussegment - Automobil - am ehesten die Chance hat ökologischen Fortschritt darzustellen, das sagt er heute, weil er es jetzt verstanden hat und das hilft uns natürlich auch. A: Sagte Daimler Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm über Kretschmanns Anlaufschwierigkeiten. Je länger Kretschmann unterwegs ist, desto freundlicher fallen die Urteile aus. Die Unsicherheit in vielen Wirtschaftsbereichen ist spürbar, Kretschmann hat aus diesem Grunde die Wirtschaftspolitik zur Chefsache erklärt. Zur grünen Chefsache. SPD- Wirtschaft- und Finanzminister, Nils Schmid, hält sich im Hintergrund. Im Südwesten soll wirtschaftspolitisch eine Kehrtwende erfolgen: O- TON(Kretschmann Mittelstandsforum/ Ton aus der Halle): Wir müssen klare Rahmenbedingungen, klare Richtlinien setzen. Das, was ich eine ökologische Ordnungspolitik nenne, (muss) klar und berechenbar für Sie sein, und innerhalb dieser Rahmenbedingungen sollen sich die Marktkräfte wirklich frei entfalten. Deshalb bin ich ein Anhänger einer solchen Ordnungspolitik, weil sie eben technologieoffen ist, weil wir damit immer die besten Schritte diskutieren, und die Kunst, die ich dabei beherrschen muss, ist dabei natürlich immer, das falsche vom richtigen Jammern zu unterscheiden. A: Winfried Kretschmann wirbt auf dem Mittelstandsforum in Stuttgart vor über 1500 Zuhörern für seine Visionen. Baden-Württemberg soll zum Modell ökologisch orientierten Wirtschaftens werden. Die Neuausrichtung von Ökologie, sozialer Sicherheit und freiem Unternehmertum ist nach Kretschmann die Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Das Konzept heißt "The Green New Deal". Mit einem New Deal werden im Kartenspiel die Karten neu verteilt. Wirtschaftspolitisch steht der Begriff in Verbindung mit dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt. Roosevelt reagierte mit einem New Deal auf die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. Der "baden-württembergische Green New Deal" steht für eine ökologische Wende der Industriegesellschaft. Die Wirtschaft im Land reagiert bislang abwartend. Man werde die neue Landesregierung in kritischer Solidarität begleiten, sagte Dr. Peter Kulitz, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie und Handelskammertags: O- TON (Kulitz): Was wir sehr begrüßen, ist der unbedingte Wille des Ministerpräsidenten zum Schuldenabbau, aber auch zur Gleichrangigkeit zwischen Ökologie und Ökonomie. Der Weg dorthin, das wird das Interessante sein, da bin ich mir nicht so sicher, ob wir da immer den Gleichklang haben, denn was nicht sein darf, ist das man durch entsprechende Maßnahmen die Leistungsfähigkeit der baden- württembergischen Wirtschaft einschränkt oder behindert. A: Die grün-rote Landesregierung darf sich nicht viele Fehler erlauben. Der Südwesten steht gemeinsam mit Bayern im Vergleich zu allen anderen Bundesländern wirtschaftlich am besten da. Das Land hat die zweitniedrigste Arbeitslosenquote. Der Landesverband der Industrie sieht für das laufende Jahr ein Wachstum von mindestens vier Prozent voraus bei weiter sinkender Arbeitslosigkeit. Baden-Württemberg soll Vorbild für Ressourcenschonung und Energieeffizienz werden. Das Land soll Exportmeister bleiben, allerdings mit klimaverträglichen Maschinen. Damit dürfte die Wirtschaft im Land kein Problem haben. Probleme gibt es bei einer Frage, die eine Stadt und mittlerweile das ganze Land spaltet. Die Frage, ob das Bahnprojekt Stuttgart21 gebaut werden soll oder nicht. Beinahe alle namhaften Wirtschaftsvertreter haben sich für den Bau ausgesprochen. IHK Präsident Kulitz: O- TON(Kulitz): Stuttgart21 - und damit die Schnellbahnstrecke nach Ulm- ist das wichtigste Verkehrsinfrastrukturprojekt des Landes. Das ist eine klare Rechnung: Der Finanzierungsanteil des Landes beträgt etwa 800/ 900 Millionen und allein die Strafzahlungen, die von drei unabhängigen Wirtschaftsprüfern, einer wurde -soweit ich weiß auch von den Grünen beauftragt, dass man über eine Milliarde bis zu 1, 5 Milliarden, ohne dafür etwas zu haben, auf der anderen Seite hätten wir aber einen Tiefbahnhof und haben dafür Arbeitsplätze; selbst bei ganz kritischer Betrachtung spricht man von über 2000 Arbeitsplätzen. Also da stellt sich für mich überhaupt keine Frage mehr. A: Mit Spannung wird von der baden-württembergischen Wirtschaft auch beobachtet, wie die neue Regierung die Energiewende im Land vollzieht. Ziel der grün-roten Koalition ist es, die erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 zu einer zentralen Säule der Stromerzeugung zu machen. Allerdings hat auf dem Weg dorthin gerade Stuttgart mit einem der größten Probleme unter allen Bundesländern zu kämpfen: dem Land gehört fast die Hälfte des Stromkonzerns EnBW. Wie teuer für Baden- Württemberg der Atomausstieg wird, vermag der grüne Regierungschef noch nicht abzuschätzen: O- TON (Kretschmann aus Tacheles ) Das Problem ist ja, dass mein Vorgänger Stefan Mappus die Anteile an der EnBW zu weit überhöhten Preisen gekauft hat. Und das ist ein Problem, das wir haben. Denn die Dividende dieses Unternehmens muss immer höher sein als die Zinsen, die wir bezahlen. Sonst wird das haushaltswirksam und wir müssen die Zinsen aus dem Haushalt bezahlen. Das ist sicher ein Problem. Aber davon abgesehen werden wir versuchen, dieses Unternehmen eben neu aufzustellen. A: Rückendwind spürt die Windenergiebranche in Baden-Württemberg. Jahrelang wurden Windkraftanlagen im Land durch die schwarz-gelbe Landesregierung verhindert. Der früherer Ministerpräsident Teufel sprach gar von einer Verspargelung der Landschaft. Nun soll der Anteil der Windkraft an der Gesamtstrommenge bis zum Jahr 2020 auf gut zehn Prozent ausgebaut werden, aktuell liegt der Anteil am Strommix bei lediglich 0,7 Prozent. Die Firma Stahl und Schöller hat ihren Stammsitz im schwäbischen Reutlingen und gehört bundesweit zu den führendsten Unternehmen in der Windenergiewirtschaft. Aufträge bekam das Unternehmen bislang aus dem Norden und aus den neuen Bundesländern. Seit dem Regierungswechsel stehen die Telefone nicht mehr still. Marcel Schöller von der Geschäftsleitung. O- TON Schöller Die ganze Thematik Erneuerbare Energien ist mehr in den Fokus gerückt, durch diese grün-rote Landesregierung. Es rufen einmal die Kunden an, die haben Interesse in der Windenergie zu investieren. Und zum anderen rufen bei uns auch konkret Bürgermeister aus den umliegenden Kommunen an, die gemeinsam mit uns Projekte realisieren wollen und das freut uns natürlich sehr.