Deutschlandfunk Kultur Zeitfragen Feature: Fremde Heimat - eine Großfamilie auf Ostpreußentour Von Katrin Albinus Atmo 1 a-m: Busfahrt (div.)             O-Ton 1, 17”  (im Bus) Autorin: Sag mal, Ebke sagte jetzt gerade, die Idee ist entstanden, weil wir zu dir gesagt haben, wann wir die alte Heimat noch mal besuchen? Wann haben wir das denn gesagt? / Georg: Ich hab mal vor vielen Jahren so damit angefangen, und dann hast du dich sehr ignorant gezeigt.   Autorin: Ostpreußen. Das war für mich der grüne Lodenmantel meines Opas, volkstümliche Handarbeiten und Zinnteller. Hirschgeweihe, das langweilige Ostpreußenmuseum in Lüneburg, und ein Ölbild, das bei uns über der Eingangstür hing. Darauf ein Gutshaus, eng umstanden von dunklen Tannen: Waldhausen. Kein verlockender Ort, wie mir schien. Für meinen Vater Georg und seinen Bruder Eberhard ein Sehnsuchtsort. Ihr Leben lang.   Atmo 2: Zelt O-Ton 2, 24“  (Rede im Zelt) Eberhard: Dieser Ort war für unsere Familie praktisch 90 Jahre der Mittelpunkt. Hier hat sich ein großes Familienleben immer abgespielt. Deswegen sind wir heute auch, wir Alten, und aber auch unsere Kinder und auch schon zum Teil deren Kinder hier. Und deswegen freuen wir uns, dass wir heute hier sein können.   Atmo 1: Bus   O-Ton 3, 11”  (im Bus) Georg: Wir haben ja jahrelang bedauert, das heißt, wir Älteren, dass ihr in der Richtung eigentlich keine Antennen hattet, da irgendwie Interesse zu zeigen mal.   Autorin: Keine Antennen hatten aber auch ein paar der Älteren. Etwa die Schwester meines Vaters, meine Tante Kathrin.   O-Ton 4, 39“  (im Bus) Kathrin: Du musst dir mal vorstellen, als Willy Brandt den Kniefall in Polen hatte, da war Vater schon mit Siegrid zusammen. Und ich war bei ihnen in meinem Elternhaus. Da hat sie mich, als ich gesagt habe, das finde ich gut, da hat sie mich des Hauses verwiesen. Ich hätte da nichts mehr zu suchen! Ich meine – Vater war ja Vorsitzender vom Bund deutscher Heimatvertriebener, die wollten die Heimat zurück! Das war für mich immer ein total absurder Gedanke. Das ist verloren, wir haben Schuld auf uns geladen durch diesen scheiß Krieg, und es ist ok, dass wir (...) dafür bezahlen müssen.   Autorin: Doch jetzt sind sie alle dabei, auch die Skeptiker. 30 Leute sitzen im Bus, 10 werden nachkommen. Die Älteren sind um die 80, für die meisten von ihnen ist es die letzte Reise nach Ostpreußen. Auch für meinen Vater. Letzte Gelegenheit also, die Reise mit ihm zu machen. Und die sagenumwobenen Orte einmal mit eigenen Augen zu sehen.   Musik Atmo 1: Busfahrt   O-Ton 8, 13“  (im Bus) Christoph: Heimat, ja. Wo ist Heimat, näh? Sagen sie immer: Heimat ist, wo das Herz ist. Das erzählen die Leute immer.   Autorin: Acht Tage wird unsere Reise nach Ostpreußen dauern. Im Bus sitze ich oft neben meinem Bruder Christoph.   O-Ton 9, 13“  (im Bus) Christoph: Wenn die sich damit verbunden fühlen, und sagen, das ist ihre Heimat, hängen sie höchstwahrscheinlich mit dem Herzen da dran, auf die eine oder andere Art. Und sei es nur in träumerischen Erinnerungen. Das sei sicher jedem zugestanden.    Atmo 3: Garten   O-Ton 10, 37“ (im Garten) Christian: Einmal war ich erst in Waldhausen, 2005. Das war echt krass. Das war Gänsehaut. Da hatten wir ganz viel Zeit und sind da zur Ruhe gekommen und so, und dann merkst du auf einmal, wie das in dir wirkt. Und was so hoch kommt, ist total irre. Da hab ich das erste Mal... tatsächlich nachvollzogen, was das Heimatgefühl bedeutet. Obwohl das für mich völlig fremd war. Eine völlig fremde Geschichte. Aber alles, was die Omi erzählt hat früher, oder Papa erzählt hat, kriegte auf einmal einen Sinn. So dieses Gefühl. Vogel oben drüber, und im Grunde so die Stimmung in der Landschaft, das war alles... irre.   Atmo 4 a, b, c, d: Stadtführung, polnisch (div.)    O-Ton 11, (1‘38“) Stadtführerin: So, hier vorne, diese Kirche aus dem 19. Jahrhundert, Stefanskirche, das ist die evangelische Kirche in Thorn. In Thorn gibt es 220.000 Einwohner, es gibt eine evangelische Gemeinde, eine orthodoxe Gemeinde, und 29 katholische. 16“ (Gelächter, Überhang ggf. als Atmo)   Atmo 5: Musik Kirche   Autorin: Die Reise geplant hat Onkel Eberhard. Der ältere Bruder meines Vaters. Der schon sechs Mal nach Ostpreußen gefahren ist, der Stadtführungen liebt und Kirchen. Meine Schwester Annette nimmt es mit Humor, ihr Mann Schorsch weniger.   Atmo 4: Stadtführung   O-Ton 12, 31“ Annette: Mein Mann ist auch völlig gestresst. Hat mich schon angemault. Mit diesen katholischen Kirchen, da kriegt der einen Kollaps. Der kann da kurz rein, und dann muss er raus.   Atmo 1: Bus   Autorin: Die Mittagspausen verbringen wir meist irgendwo am Straßenrand. Bei Kaffee und Würstchen, die unser Fahrer Valentin verkauft.   Atmo 6: Pause (im Bus)   O-Ton 16, (1‘23“) Valentin: Mit oder ohne Milch? / G: Mit Milch. / V: Mit Milch... / G: Ein Euro, ne. / V: Ein Euro, jawoll. 6“ (weiter als Atmo)   Autorin: Das spart Zeit, der nächste Programmpunkt wartet schon.   Atmo 7: Parkplatz   O-Ton 17, 35“  (Parkplatz) Annette: Allenstein. Was gibt’s da? Führung? / Fiti: Nee, ich glaub, das ist heute nur so.../ Annette: Freies Abhängen? / Fiti: Einmal die Promenade rauf und runter. / Annette: Was? Gibt’s doch nicht! / Fiti: Unkontrolliert. / Annette: Unkontrolliertes Auf- und Abschlendern! (lacht) / Fiti: Und ne Stunde, nicht nur für 10 Minuten. / Annette: Das gibt’s nicht. Aber dann sagt er am Anfang wieder ne Stunde, und am Ende... sind es dann satte 10 Minuten. 29“ (lachen)   Atmo 1: Bus Musik   O-Ton 18, 23“  (im Bus) Eberhard: Wir gucken also zuerst Sechserben an, und wenn wir dann zurückkommen, Birkenfeld an, und wir fahren dann weiter, nach Jäglack, Kollkeim, und Skandlack. 13“  (Atmo)   Autorin: Eine Stadtführung, eine Bootsfahrt und fünf Güter stehen heute auf dem Programm. Die gehören in die siegfriedsche Linie, die Familie meiner Großmutter. Waldhausen, das Gut des Großvaters – muss noch warten.             O-Ton 19 (1‘56“)  (im Bus) Eberhard: Jetzt will ich sagen, wie wir mit denen verwandt sind. Die eine Schwester unseres Großvaters Siegfried, Georg Siegfried, heiratete den Julius Totenhöfer. Und daraus resultiert also die Verwandtschaft. Julius Totenhöfer hatte mehrere Töchter, nämlich drei. Erna, geboren 1892, Ilse, geboren 1895, Annie, geboren 1894. So. Und Erna wurde meine Patentante, und daher rührt also auch mein engeres Verhältnis zu Birkenfeld, und daraus resultiert dann auch mein Verhältnis zu Plocks und Sechserben. Also die Erna Totenhöfer heiratete einen Herrn Koch, und die jüngste Schwester...1‘02“ (nach Ermessen  ausblenden)   Atmo 8 a, b, c: 1. Gut, draußen (polnisch) (div.) Atmo 9 a, b: Besichtigung im Haus (div.)   O-Ton 20, (1‘04“) Volker: Das sieht doch von außen schon ganz passabel aus / Pütt: Also, das find ich allerhand, so ne Truppe da in so ein Haus zu lassen / Autorin: Ja, das find ich auch. 10“ (weiter als Atmo, im Haus – darauf Autorin)   Autorin: Auf dem ersten Hof in Sechserben zeigt uns der Verwalter stolz das frisch sanierte Gutshaus. Der zweite Gutshof in Birkenfeld ist größer. Zehn Wirtschaftsgebäude zähle ich auf dem weitläufigen Gelände. Ein alter Mann kommt auf die Veranda des Wohnhauses, spricht mit Eberhard und unserer polnischen Übersetzerin. Er bewirtschaftet das Gut, sonst ist niemand zu sehen.   Atmo 11: Gesprächauf Veranda   Autorin: Das Gutshaus wirkt heruntergekommen. Die Fassade ist schmutzig-grau, alte Gardinen hängen in den Fenstern. Doch die Sonne scheint, auf dem Dach sitzt ein Storch in seinem Nest. Vor dem Haus ein kleiner Park. Alles sieht wildromantisch aus. Sogar meine Tante ist angetan. Sie kann sich auf einmal vorstellen, wie es für ihre Eltern gewesen sein muss, die Heimat zu verlassen.   O-Ton 23, 36“ Kathrin: Gerade  nachdem wir das renovierte Haus gesehen haben und sehen, wie schön das eigentlich war, wie schmerzlich das gewesen sein muss nach dem Krieg, mit sechs Personen in einem Zimmer, kein Geld. Dann haste die Kriegsschuld auf dich geladen, dann haste Hunger, dann gehen dir die Kinder auf die Nerven, weil du in einem einzigen Zimmer wohnst. Also das... das ist jetzt eigentlich das erste Mal, so dass es mir doch ein bisschen nahe geht. 30“  (Atmo) O-Ton 24, 36“ Eberhard: Als Kind habe ich hier gesessen. Da war ich drei Jahre alt. / Übersetzerin: Auf der Treppe, so ein Foto? / Autorin: Komm, setz dich noch mal auf die Treppe! / Vito: Eberhard, setz dich doch mal hier auf die Treppe. Wie saßst du denn, von wo war das denn fotografiert? 20“  (weiter als Atmo)   (Autorin:  Wir machen noch ein Gruppenfoto, und verabschieden uns schon wieder.)   O-Ton 25, 45“ Div: So, danke. Danke, danke. / Annette: Na, bist gerührt? / Autorin: Ja, bin ich gerührt. / Annette : Ja, ich auch. [Ja, sind deine Befürchtungen wahr geworden.] (lacht) Es ist beeindruckend schön. / Tomke: Was ist beeindruckend schön? / Annette: Kaddi und ich sind gerührt. / Tomke: Wovon? / A.: Ja, wovon.../ Annette: Vom Leben. Dass wir jetzt mal hier gestrandet sind.      Atmo 12: Rückweg zum Bus   Autorin: Meinen zehnjährigen Neffen Tomke über die Wiesen laufen zu sehen. Mir meinen Onkel hier als Kind vorzustellen, oder meinen Vater... Schön muss es gewesen sein, für einen kleinen Jungen.   Atmo 13: Waldhausen   O-Ton 26, 29“ Eberhard: Ich seh das heute noch, wie er auf den Hinterläufen mit den Vorderläufen bis zur Dachrinne ging, um sich gegen das Geschirr zu wehren. Irgendwann hat man mich gesucht, und dann fand man mich zwischen den Vorderläufen dieses Hengstes... das zeigt also wieder, dass Pferde, oder Tiere und Kinder eigentlich immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander haben.   Autorin: Als ich zurückblicke, sehe ich den alten Mann, der allein auf der Veranda steht. Er sieht uns nach.    Musik Atmo 14 a, b: Hotelzimmer   O-Ton 28, 18“  (im Hotelzimmer) Annette: Ich hätte gedacht, dass es mich tiefer berührt. Es hat mich aber nicht so berührt, sondern es waren andere Sachen, also dieser Mann, der da auf der Treppe stand, (...)   Atmo 15: Foyer   O-Ton 29, 30” (Foyer) Georg: ... Ich dachte so: wir verlassen ihn, einsam, und er sieht, wie das Leben eigentlich ihm davon läuft. Das hat mich also sehr berührt./ Autorin: Aber hat es dich so ein bisschen damit versöhnt, dort weg gegangen zu sein? Du warst ja Teil der Gruppe, die jetzt... das Leben, das weiter zog. / G: Ja, ja – mich hat es so ein bisschen versöhnt. Und ich dachte, wie schön, dass ich noch dabei sein kann, und dass ich das noch erleben kann.... O-Ton 30, 22“  (Zimmer) Tomke: Ich fand die ganzen Güter irgendwie langweilig. / Autorin: Ja? Aber bei dem einen, da hat ja immerhin der Opa... ist da wahrscheinlich mal im Garten rumgesprungen, oder so / T: Ok... / (es klopft) A: Na, hier ist ja was los. / T: Ah, da wo du geweint hast.../ A: Nee, nee, ich hab bei dem anderen geweint. / Annette: Die warten auf uns. / A: Ah ok, wir kommen jetzt gleich.   Musik Atmo 16: Palmnicken, Ankunft   O-Ton 31,  24“ Pütt: Was ist das jetzt für ne Gedenkstätte? / Volker: Das ist die Gedenkstätte, die an die Ermordung der Juden, die auf dem Todesmarsch von Königsberg hier an die Ostseeküste unterwegs waren. / Pütt: Was Eberhard erzählt hat.../ Volker: Was Eberhard erzählt hat. Ich weiß gar nicht, was die mit denen vorhatten. / Tomke: Die wurden aufs Eis getrieben, ne? / Autorin: Das weiß ich nicht genau.   Atmo 17: Stufen, Übergang Strand   Autorin: Das Mahnmal steht am Strand der Ostsee, in Palmnicken. Drei steinerne Arme ragen monumental in die Höhe, greifen verzweifelt gen Himmel. Der Besuch hier stand eigentlich nicht auf dem Programm. Aber Schorsch, der Mann meiner Schwester, sorgte dafür, dass wir herfahren.   O-Ton 33, 36“ Schorsch: Das fing dann damit an, ich lag mit Erkältung im Bett, und von Partner Reisen kamen die Reiseunterlagen, und ich hab mir 300 Seiten Ostpreußen und Ostgebiete angeschaut, und hab eigentlich nur romantische Dinge gefunden, die kurische Nehrung, den Bernstein hier, das Kant-Grab dort, und ein Orgel-Konzert, und dachte, ok: Labtop anschalten, und googeln, und der erste Mausklick hat mich eigentlich direkt hier hin geführt zu Martin Bergau, bzw. dem Todesmarsch.   Atmo 19 a, b, c: Gedenkstätte (div.)   Autorin: Kurz vor Kriegsende, im Januar 1945, trieb die SS mehrere tausend Juden von Königsberg aus Richtung Ostsee. Schon unterwegs wurden viele erschossen, wenn sie entkräftet hinfielen, oder sich wegen Durst und Hunger nach Schnee bückten. Ihre Leichen blieben am Straßenrand liegen. 3.000 Juden, die es bis nach Palmnicken an den Strand der Ostsee schafften, wurden auf das Eis getrieben, und dort erschlagen, erschossen oder ertränkt. Zur gleichen Zeit waren auch Flüchtlingstrecks unterwegs, darunter die Familie Albinus. Beim Lesen des Buches von Martin Bergau bemerkte Schorsch, dass sich die Wege gekreuzt haben müssen.   O-Ton 34, (38“) Schorsch: Also, wenn man sich das auf der Karte anschaut, wenn hier Königsberg ist, die Juden sind von Königsberg nach Palmnicken getrieben worden am 26. Januar, und die Familie Albinus ist von Waldhausen nach Pillau mit dem LKW geflohen. 18“ (runter, weiter als Atmo)   O-Ton 35, 27“ Georg (an Strand): Bei mir kam wieder dieses Einsteigen in den LKW hinten rein, und dann diese Fahrt nach Pillau. Aber mir ging dann noch mal diese... diese Trecks, diese unendlichen Trecks, wir sind ja die ganze Zeit im Grunde, haben wir die Trecks überholt, aber du konntest nicht sehr schnell fahren. Und wir durften nachher auch nicht mehr rausgucken.   Atmo 18: Strand   Autorin: Neun Kinder saßen auf der Ladefläche des LKWs, zusammen mit zwei Müttern und einer Haushälterin. Die Temperatur lag bei Minus 20 Grad, mein Vater war sieben Jahre alt. Am Straßenrand sah er Leichen liegen.               O-Ton 36, 29“ Georg: Zu Anfang haben wir hinten die Plane zurück gekippt, und dann geguckt, und dann haben die Mütter gesagt, wir sollen dahinten zu machen und nicht wieder raus gucken. Also dann kam noch mal diese ganze Chose hoch. (Weint) Es ist schön, dass wir das überlebt haben. Das war ja hart am Dings..., aber ich mein, warum wir erst am 26. Januar abgehauen sind, mit dem letzten Schiff, das alles ist für mich unvorstellbar.   Autorin: Die Initiative von Schorsch, die Gedenkstätte zu besuchen, wird dankbar aufgenommen. Auch dass er das Reden übernimmt, einige Passagen aus dem Buch von Martin Bergau vorliest.   O-Ton 39, (1‘02“) Schorsch: Flucht, Vertreibung, und die Umstände der Nachkriegszeit ließen dieses furchtbare Geschehen aus dem Blickwinkel verschwinden. Und der Vertriebenenverband tat wenig, um das Gedächtnis daran wach zu halten, oder überhaupt erst zu wecken. Mit Verdrängen jedoch wird man den Ereignissen nicht gerecht. Möge diese Stätte stets mahnend dem Frieden dienen, und zu einer Stätte der Begegnung für Russen und Deutschen gedeihen. 29“ (Schweigen)   O-Ton 41, 27“  (Hotelzimmer) Annette: Jetzt hat mir Fiti das Ostpreußenlied auf Whatsapp geschickt. Damit ich dann den Text hab. Ich soll es auch weiterleiten, ich werd es jetzt erst mal durchlesen. / Autorin: Ich hab aber kein Whatsapp. / Annette: Tja, Pech gehabt, dann kannste es wohl nicht singen. Soll ich dir das Ostpreußenlied-Lied per Whatsapp schicken, Schatz? / Tomke: Ja, mach mal! (Atmoüberhang)   O-Ton 42, 5“ Annette: Müssen wir los? / Autorin: Ja, ich glaub, wir müssen gleich los. Ist schon wieder hop hop.   Musik Atmo 1: Busfahrt   O-Ton 43, (35“)  (im Bus) Eberhard: Wir fahren also dann nach Waldhausen, und in Waldhausen hat er was auf dem Grill und dann werden wir dort was essen.   Autorin: Zuvor fahren wir noch nach Kaliningrad. Es gibt eine Bootsrundfahrt und ein Orgelkonzert im Dom.   Atmo 22 a, b: am Dom (div.) O-Ton 44, (1’09”) Georg: Ja, für mich war das wunderschön. Weil, als diese starke Bachmusik anfing, hab ich an den Marsch der 5000 Juden gedacht, und gedacht, oh Gott, welch ein Jammer das Ganze war, und was die so durchlebt haben, und das wurde dann so in Tönen von Bach dargestellt. Also..., mir spritzen (lacht) die Tränen raus so, und es lief runter bis in den Kragen, hier oben. Und ich dachte, ja jetzt wird dein ganzer Bauch entspannt, und die Anspannung von 60, 70 Jahren gehen jetzt aus dir raus. Das war für mich eine ganz große Erleichterung, so. Fand ich sehr befreiend.48“   Musik   Autorin:  Um Waldhausen herum muss früher zumindest das „Land der dunklen Wäldchen“ gewesen sein. So die Erzählungen. Ein Waldstück hier und ein Waldstück da. Von der Hauptstraße bog man ab auf eine Lindenallee, die zum Gut führte. Von all dem ist nicht mehr viel zu sehen. Die Lindenallee wurde abgeholzt. Weiden und Felder, so weit das Auge reicht.   O-Ton 46, (im Bus) Pütt: Als wir vor 11 Jahren hier waren, da war das ja alles zugewachsen, da konntest du gar nicht so weit sehen.   Autorin: Der neue Besitzer, Viktor aus Kasachstan, erwartet uns. Viktor hatte am Vortag Geburtstag, seine Gäste sind noch da. Eigentlich kein guter Zeitpunkt für den Besuch einer so großen Gruppe. Atmo 1: Bus (steht)   O-Ton 47, 25“ (im Bus, Bus steht) Autorin: Ok, guck mal, zwei Hunde. Und ein Riesenzwinger. Skeptische Blicke auf jeden Fall. Ich fühl mich hier grad so ein bisschen fehl am Platz, muss ich sagen. Sonja: Naja, auf jeden Fall werden sie gerade mit Küsschen begrüßt, also scheint jetzt nicht so... / Aha...   Atmo 24: Hof Viktor   Autorin: Die Gebäude auf dem Hofgelände sind neu, funktional, nüchtern. Vorne das Wohnhaus mit roten Ziegelmauern und braunem Dach, darum herum Ställe und Wirtschaftsgebäude. Weiter hinten im hohen Gras zwischen Büschen und Bäumen ein Betonfundament, darauf einige Haufen Ziegelsteine gelagert. Dort stand das ehemalige Gutshaus. Doch es soll wieder aufgebaut werden, meint Eberhard.   Atmo 25: Gang zum Zelt Atmo 26: im Zelt   Autorin: Von Viktors Geburtstagsgästen ist kaum jemand zu sehen, zügig lotst er uns in ein weißes Partyzelt. Auf den Tischen Salate, Reis, Fleisch, Wein. Überreste seiner Feier, wie ich annehme.   O-Ton 48, (44“)  (im Zelt) Viktor: (russisch) Ich spreche alles russisch. Nicht deutsch. 7“ (weiter als Atmo)    Autorin: Viktors Cousine übersetzt: Vor vielen Jahren habe er das Gelände gekauft, da sei hier gar nichts gewesen. Nur ein paar eingefallene Häuser. Heute habe er tausend Schafe, 30 Stiere und viele Hühner. Und zu seinem Geburtstag seien Gäste angereist, aus der ganzen Welt.               O-Ton 49, (1‘08“) Cousine: Weil er ist ein berühmter Mann, kann ich sagen. Und ein richtiger Mann! Wo alles erschaffen kann, was ihm begegnet, das macht er. Er kann das machen. / Erfolgreicher Mann / Ja, (russisch)/ Und was er hat, da ist herzlich tut alles vorlegen, vorstellen, bitte schön, essen Sie, trinken, und dann... / Eberhard: Ja, jetzt! Darf ich auch etwas sagen? / Ja, sagen Sie.  33“ (Applaus...)   Autorin: Auch Eberhard hält eine Rede, erklärt Familiengeschichte, überreicht Fotos und Aufzeichnungen, und zwei reproduzierte Ölgemälde vom alten Gutshaus.   O-Ton 50 a, (30“) Eberhard: Und diese Ölgemälde, die sind mal entstanden zu einem Geburtstag meines Vaters, der hier der letzte Besitzer gewesen ist. 10“ (Viktor übersetzt) O-Ton 50 b, (31“) Eberhard: So, und dann hab ich geschrieben: Möge die Familie Pinneker hier eine gute Zukunft haben, vivat, crescat, floreat. Das ist Lateinisch. Ja? Gut. So, und jetzt sag ich erstmal: nastrovje! Vielen Dank für die Einladung. 18“ (Prosten, Atmo)   Atmo 27: Führung Waldhausen   O-Ton 51, 36“ (draußen) Eberhard: Folgendes, zur Orientierung. Von rechts kam früher die Lindenallee, das war die Auffahrt. Und die Auffahrt zum Gutshaus war hier entlang. So, das heißt, man fuhr von hier um die Kurve rum, hier auf das Haus zu und fuhr mit dem Fuhrwerk einmal um das Rondell, da hinten stehen noch so ein paar alte Bäume, da war aber früher ein Keller! (nach Ermessen raus)   Autorin: Sich all das vorzustellen, fällt mir ein wenig schwer. Um uns herum ist nur grüne Wiese. Und die Zeit knapp, denn Viktor möchte uns gerne wieder vom Hof haben.   Atmo 13: Waldhausen   O-Ton 52, 36“ Autorin: Na, Heimatgefühle?/ Christoph: (lacht) Ich find die super. Ich find die Gäng hier super. Das ist... also wenn ich jetzt ein altes Grundstück gekauft hab, in Mecklenburg-Vorpommern, und die Ruine da drauf abgerissen hab, und da jetzt plötzlich so ein Trupp steht (lacht), der mir von dem Häuschen erzählt... (lacht). Und er ist so stolz auf das, was er hier gemacht hat, das ist doch toll. Man muss dankbar sein, dass dann überhaupt irgendwas ist. Heimatgefühle? Nee.    O-Ton 53, 26“ Christian: Vor 11 Jahren war das hier so ne verwunschene Ecke, die alten Insthäuser standen vorne, (...) und hier, glaube ich, hauste einer im Gutshaus, oder in den Resten davon. Und drum herum war alles verwildert und verwachsen. Und gab damit eine Projektionsfläche für Fantasien. Und in dem Moment, wo einer mit dem Rasenmäher oder mit der Sense dazwischen geht und sagt: so, das mach ich mir jetzt mal so, wie ich das möchte, ist das was anderes.   Atmo 28: Gedenkstätte in WH   Autorin: Vor einer Kuhweide am Rande des Grundstücks haben einige Familienmitglieder vor Jahren eine Gedenkstätte errichtet. Drei Grabsteine von Vorfahren, die sie im Wald gefunden hatten, stehen zu einem Dreieck geordnet auf einem Betonfundament.   O-Ton 54, 36“ Georg: Dann haben wir diese Platte machen lassen, hier... Gedenkstätte, Gut Waldhausen in Preußen, errichtet den Menschen, die hier lebten, arbeiteten, starben. 1855 – 1945, Familien: Hillgruber, Viehweger, Albinus, Cossmann, Hasse. 1999 haben wir das errichtet, und das ganze noch mal in Russisch.   Autorin: Viktor hätte die Gedenkstätte gerne entfernt – doch die Steine stehen noch.   Atmo 1: Bus   O-Ton 55, 16”  (im Bus) Eberhard: Die Gedenkstätte, (...) das ist ja praktisch ein Nagel, den wir da eingeschlagen haben. Das war mal unseres! Egal, was passiert ist, das war mal unseres. So.   O-Ton 57, 20“  (im Bus) Eberhard: Wenn ich was will, dann mach ich das, und dann nehme ich auch manchmal auf die Gefühle Anderer auch keine Rücksicht. Ich wollte da hin, da steht unsere Gedenkstätte, und wir haben ein Anrecht da auch hin zu kommen. Nach meiner Auffassung. Das muss mir mal erst einer streitig machen.   Atmo 14 b: Hotelzimmer   O-Ton 56, 23“  (im Zimmer) Annette: Mir hätte es, glaube ich, auch gereicht, wenn Eberhard heute gesagt hätte, mit denen, die es wirklich unbedingt wollen, mit 5, 6, 10 Leuten hinfahren, aus dem Bus raus, zu diesen Steinen, und sich einmal verneigen, und guten Tag und sich das angucken und gehen. Das wär ok gewesen. Aber mit 40 Leuten da vor zu fahren, das... also, ich war beschämt, tatsächlich.   Atmo 15: Foyer   O-Ton 58, 38“  (ruhiges Foyer) Georg: Ich hab mich da in der Situation in den Bauunternehmer versetzt, und dachte: ich hätte es genau so gemacht. Der Mann hat einfach bis jetzt eine sehr schöne ordentliche Struktur aus seiner Sicht für die Verwendungszwecke der nächsten Jahrzehnte geschaffen, hat natürlich aber die gesamte Atmosphäre zerstört. Das, was uns eigentlich noch so da hin zieht, und was wir gefühlsmäßig verbinden, ist tot. Ist einfach tot. Und ich dachte so: nee, da muss ich nicht mehr hin.   Musik   Autorin:  Und ich? Bin froh, dabei gewesen zu sein. Meinen Vater erlebt zu haben, wie er die schrecklichen Erlebnisse seiner Kindheit beweinen, sich ein wenig davon lösen konnte. Ebenso wie von der träumerischen Sehnsucht nach Orten, die es nicht mehr gibt. Bin froh, dass er versöhnt ist mit dem Leben, das er führen konnte. Orte und Landschaften auf dieser Reise -so dachte ich- würden mich tiefer berühren. Doch das blieb aus. Stattdessen war es das Gefühl, Teil einer großen Familie zu sein, das mich und auch andere bewegte. Vielleicht ist es das, was geblieben ist, aus Ostpreußen. Die Heimat meiner Väter blieb mir fremd. Den Vätern ist sie fremd geworden.   Atmo 1: Bus   O-Ton 59, 22“  (im Bus) Eberhard: Wenn ich irgendwo auf meinem Grund und Boden sitze, und hab nur noch Fremde um mich, dann ist das nicht mehr meine Heimat. Das ist dann die Familie, da ist man ja geborgen. Mit deinen Bäumen und so, kannst ja nicht reden... kannst vielleicht sagen: ja... hier ist gut. Aber eigentlich sind ja die Menschen, mit denen du lebst, die Heimat.