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Auf der Internationalen Funkausstellung in Düsseldorf präsentiert die Firma Braun ihre neue Produktpalette. Es ist der erste große Auftritt, nachdem die Söhne des Unternehmers Max Braun, Erwin und Artur, mit gerade mal 30 und 26 Jahren, das Ruder übernommen haben. Innerhalb weniger Monate sind in ihrer Firma elektrische Geräte entstanden, die völlig anders aussehen als alles, was es in die- sem Bereich bislang gab. Horst Kaupp arbeitet damals als Messebauer für Braun. Heute erinnert er sich, dass zur Sicherheit auch ein paar alte Modelle mit im Gepäck waren. O-Ton Kaupp: Hat der Erwin gesagt: Wir nehmen die auch mit, wir wissen ja nicht, was ge- kauft wird. Und das war zum Glück auch gut, denn die Einkäufer kamen nach Düsseldorf, sagten: Oh, das ist ja toll! Aber wer kauft denn dieses moderne Gerät? Das war wie Tag und Nacht! Der Unterschied. Erzählerin: Auch der Messestand ist eine kleine Sensation: Der Ulmer Gestalter Otl Aicher hat ein System aus Stahlprofilen entwickelt, in die lediglich einzelne Holzplatten als Glie- derungselemente eingespannt sind. Ein offener luftiger Raum mit modernsten Mö- beln. In den Augen der ambitionierten Jungunternehmer das Wohnzimmer des auf- geklärten Nachkriegsdeutschland. O-Ton Kaupp: Ich denke ewig, wie der Max Grundig (mal) (..) zum Messestand gekommen ist und gesagt hat zum Erwin Braun: Ihr verspielt ja das Geld von eurem Va- ter! Das werdet ihr noch mal bereuen! (Aber es war nicht so.) Die waren enttäuscht gewesen, die beiden Söhne. Erzählerin: Im Ausstellungsraum überall neuartige Unterhaltungselektronik: Plattenspieler und vor allem Radios in hellen Farben, die in ihrer Schlichtheit nichts mehr mit dem mas- siven "Musikmöbel" gemein haben, das sich in den Wohnzimmern der Nachkriegszeit verbreitet hat. Siegfried Gronert, Vorsitzender der Gesellschaft für Designgeschichte in Weimar: O-Ton Gronert: Was wir heute als Braun-Design bezeichnen, das begann 1954 eigentlich mit einem Radio-Apparat in der Form eines schlichten Quaders in hellen Grautö- nen. Erzählerin: Das kleine Tischradio SK1, entworfen von Artur Braun und Fritz Eichler. Dem viele weitere, helle Quader folgen sollten. Kleine und große Kisten. Zunächst aus Kunst- stoff und Holz, später auch aus Aluminium. Dünnhäutig, reduziert und rechtwinklig. O-Ton Gronert In der Zeit davor ... sahen die Radiogeräte von Braun und auch von anderen Firmen doch etwas anders aus. Es waren Gehäuse aus schwerem, dunklen Holz. Lautsprecher mit gemusterten, teilweise sogar mit Goldfäden durch- wirktem Stoff bespannt. Und insgesamt voluminös geschwungen im Stil der Zeit. Also eher in Stromlinienformen gehalten. Erzählerin: Ausladende Modelle namens"Caruso" oder "Tannhäuser", deren neue Heraus- forderer lediglich mit knappen Buchstaben- und Zahlencodes bezeichnet wurden. Die Händler, die nach Düsseldorf gekommen waren, kannten ihre Kunden gut. Diese reagierten nicht nur mit Zurückhaltung, sondern zum Teil sehr emotional auf die neue Nacktheit der Dinge. Oder in den Worten der Design-Professorin Uta Brandes, die als eine der ersten über die neuen Braun-Produkte geschrieben hat: O-Ton Brandes: Heute würden Fenster eingeschlagen, um den neuen iPad zu kriegen, damals wurden sie eingeschlagen aus Empörung, wie man so einen Mist im Fenster stehen haben konnte! Erzählerin: Doch das sollte sich schon kurze Zeit später ändern. Kreischatmo abwürgen mit Effekt. Erzählerin: Nicht nur die Händler, sondern auch talentierte Gestalter begannen sich immer mehr für das innovationsfreudige Unternehmen aus Frankfurt am Main zu interessieren. O-Ton Rams (aus Leise Ordnung der Dinge): Ich habe Architektur studiert und wollte auch bei der Architektur bleiben. Bis ich Erwin Braun begegnete. Ich war begeistert von den ersten Entwürfen, die damals von der Hochschule für Gestaltung in Ulm kamen, vornehmlich von Hans Gugelot. Da war ich verloren (lacht). Meine ersten Arbeiten waren al- lerdings Architektur-Arbeiten. Erzählerin: Dieter Rams war damals 23 Jahre alt. Die eher harmlosen innenarchitektonischen Aufgaben, mit denen er bei Braun betraut wurde, langweilten ihn bald. Stattdessen begann er, sich immer mehr für die Produkte selbst zu begeistern, die in Zu- sammenarbeit mit der HfG Ulm und freien Gestaltern entwickelt wurden: Otl Aicher, Wilhelm Wagenfeld, Herbert Hirche oder Hans Gugelot. Die Linie der "Ulmer Schule" faszinierte ihn, auch weil sie vom Aufbruch in eine neue Zeit kündete. Offen, demokratisch, modern. O-Ton Rams (O3) Wir waren alle zusammen schon ein bisschen eine verschworene Gemein- schaft und wollten etwas Neues. Etwas, das durchschaubar war. Gelichtet war, gegen eine Welt, die ganz anders aussah. Erzählerin: Zusammen mit dem begnadeten Entwerfer Hans Gugelot machte sich Dieter Rams zunächst an die Entwicklung eines neuen Phonogerätes. 1956 kam es auf den Markt, bis heute ist es ein Design-Klassiker: Die Radio-Plattenspieler-Kombination SK4, ge- nannt "Schneewittchensarg": Holz, weißes Aluminium und - damals eine Sensation - ein Deckel aus Plexiglas. O-Ton: Frage, Moderator Wussten Sie damals, wie revolutionär dieser Plexiglasde- ckel werden würde? Rams: Keiner von uns hat es geahnt, und Gütsch, wie wir ihn nannten, sagte zunächst, das ist ja doch n bissl modisch, da oben so was Durchsichtiges zu machen... Keiner von uns hat damals geahnt, dass es im Grunde etwas werden sollte, was später alle nachgemacht haben. Kein Plattenspieler ist bis heute denkbar ohne durchsichtigen Deckel... Erzählerin: Der "Schneewittchensarg" war stilbildend für Generationen von Geräten, nicht nur von Braun. Und er führte wesentliche Details ein, die fest in den Braunschen Gestaltungskanon eingehen sollten: Horizontale Schlitze für Lautsprecher und Be- lüftung, mehr oder weniger abgerundete Ecken, Einsatz von "Nichtfarben" wie weiß, hellgrau, später schwarz für den Korpus. Und eine aufgeräumte Bedienoberfläche. Im Laufe der Jahre kamen einzelne rote, grüne oder gelbe Knöpfe und Schalter hinzu, deren Farbigkeit jeweils auf eine bestimmte Funktion verwies. O-Ton Rams (O7) Erwin Braun hat es so schön beschrieben, damals, in den 50er Jahren. Er hat gesagt: Unsere Geräte sollen sein wie ein guter alter englischer Butler. Da sein, wenn man ihn braucht, und zurücktreten, wenn man ihn nicht braucht. Erzählerin: Ein Vortrag des Bauhäuslers Wilhelm Wagenfeld hatte die beiden Braun-Brüder zu diesem neuen, entschlackten Gestaltungsansatz inspiriert. Es ging nicht nur um die Form. Es ging ihm, Wagenfeld, darum, den Künstler, den Gestalter, von Anfang an an der Entwicklung innovativer Produkte zu beteiligen. Weil Qualität sich nicht nur in der äußeren Hülle, sondern auch im Innenleben eines Fabrikerzeugnisses zeige. Wa- genfeld hatte damit einen gänzlich neuen Design-Begriff formuliert, der auch Konse- quenzen in der Unternehmensorganisation nach sich zog, wie man sie bis dahin in Deutschland nicht kannte: O-Ton Gronert: Zu diesen Neuerungen gehört auch die Einrichtung eines festen Designbüros innerhalb der Firma. Bis dahin waren die Designer meist als externe beschäf- tigt, die fallweise für Entwürfe herangezogen wurden. Erzählerin: Bei Braun dagegen sollten künftig Gestalter und Konstrukteure eng zusammenarbei- ten. Mit der Organisation der neue Designabteilung wurde der Theater- und Filmre- gisseur Fritz Eichler betraut, ein Mann, der von Industrieproduktion zwar keine Ahnung hatte, dafür aber in der Künstlerszene zuhause war. 1961 wurde Dieter Rams Chef dieser neu gegründeten Abteilung. Ein nachdenklicher, bescheidener Typ, der seine visionären Entwurfsideen in einfache Bleistiftzeichnungen übersetzte. Quasi rund um die Uhr tüftelten die Mitarbeiter an neuen, besseren, schöneren Geräten. Tagsüber im Büro. Abends gemeinsam in der Jazzkneipe. Der frühere Braun-Designer Dietrich Lubs erinnert sich: O-Ton Lubs Es war eine Interessengemeinschaft. Alle waren ja interessiert, gutes Design zu machen, und ... der Rams hat das gelenkt, aber er hat es gelenkt unter gleichen. ... Und dieser Austausch, auch mit anderen außerhalb, das war auch ein Prozess, mehr oder weniger ein Aufsaugen von Dingen, die uns passten. Erzählerin: Das, was hinter den Werkstoren von Braun passierte, hatte nicht mehr viel mit den Gepflogenheiten der Betriebe in der noch jungen Bundesrepublik zu tun. Die Strukturen und Verhaltensmuster der Vorkriegszeit hatten sich dort nicht wesentlich verändert, gegenüber kühnen Neuerungen gab es generell Misstrauen. Erwin und Artur Braun rüttelten somit auch an den Grundfesten deutscher Unterneh- mensphilosophie. Sie führten Diätkantinen, Fitnessprogramme und flache Hierar- chien ein und pflegten offene Diskussionen. O-Ton Lubs Es war ideal, man kann eigentlich sagen, es war auch ein glücklicher Zu- sammenhalt von Leuten, die alle ähnlich dachten. (Atmo: Kaupp führt durchs Lager 00:34 "so, jetzt sind wir in der Schatz- kammer...") Erzählerin: Ein Blick in das von Horst Kaupp aufgebaute Braun-Archiv in Kronberg verrät: In den 60er Jahren wuchs die Produktpalette rapide. Blitzgeräte, Rasierer, Tischfeuerzeuge und unzählige Küchengeräte kamen auf den Markt. Nicht alle Produkte gingen auf Dieter Rams als Designer zurück. Doch alle trugen die Braun-Handschrift, die er von Anfang an mitprägte: technisch auf dem höchsten Stand, in der Anmutung freundlich, reduziert, aber nicht kühl, poetisch und minimalistisch zugleich. O-Ton Rams: Gutes Design ist für mich möglichst wenig Design. Ich persönlich hasse fal- sche Repräsentation. Ich hasse es, durch Schickes oder Gemütliches zu be- eindrucken. Oberflächlich zu beeindrucken. Erzählerin: Dieter Rams arbeitete vor allem an Radio- und Phonogeräten weiter. Er setzte auf modulare Systeme. Aus der Musiktruhe wurde die Stereoanlage mit Einzelkompo- nenten, die flach und elegant an der Wand hingen oder zurückhaltend im passenden Regalsystem gestapelt wurden. Entworfen ebenfalls von Rams, der neben seiner An- stellung bei Braun auch für die Möbelproduzenten Vitsoe und Zapf tätig war. (Musik: 50er Jahre, neue Musik) Erzählerin: Wie das zu diesen Geräten passende Wohnzimmer aussah, zeigten eigens einge- richtete "Braun-Informationszentren" in den größeren Städten: Helle, modern möblierte Ladenlokale, in denen Braun-Produkte vom Mixer bis zur Stereoanlage vor ausgewählter Kundschaft ins Szene zu gesetzt wurden. Die ersten show rooms. Kaufen konnte man hier nichts. Dafür wurden Träume produziert. O-Ton Lubs Und dann wurden auch ausgesuchte Musikstücke vorgeführt. Von Klassik bis zum Jazz. Die waren natürlich auch ausgesucht, um die Vorzüge dieser Anla- gen vorzubringen. O-Ton Kaupp Natürlich waren die alle begeistert, wenn man den Sound so hört. Ob sie es daheim so hinbekommen haben, sei dahingestellt... Wer wollte auch so einen Riesenlautsprecher zuhause haben?! Erzählerin: Für das Unternehmen blieben die teuren Phono-Geräte ein Verlustgeschäft. Doch für die Imagebildung waren sie kaum zu überschätzen. Das avantgardistische Braun- Design fand bereits ab Ende der 50er Jahre den Weg in die Kunsthallen der Welt: MoMA, Louvre, die documenta in Kassel... Die Designer von Braun schafften etwas, wovon Generationen von Gestaltern zuvor vergeblich geträumt hatten: Avantgarde wurde massentauglich. Ob Rasierer oder Mixer - die modern anmutenden Gebrauchsgegenstände wollten alle haben. In der bundesrepublikanischen Gesellschaft kündigte sich eine neue Offenheit an. Dieser Aufbruch hatte eine Vorgeschichte. Schon die Vertreter des 1907 gegründeten Deutschen Werkbunds träumten von der Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Industrie. In den 1920er Jahren formulierte das Bauhaus ähnlich hehre Ziele - hatte jedoch ein Handikap: O-Ton Gronert: Es gab noch gar nicht die Industrie, für die das Bauhaus entwerfen wollte. Das heißt, die Industrialisierung, die diese technische Rationalität in der Produktgestaltung überhaupt erst annehmen konnte, die entwickelte sich, in Deutschland zumindest, erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Von daher war die Zeit auch genau richtig für diese rationale Produktgestaltung bei Braun Erzählerin: Auch das Projekt einer umfassenden "Corporate Identity", das das Unternehmen mit großer Konsequenz verfolgte, konnte sich auf einen Pionier des frühen 20. Jahrhunderts stützen: Peter Behrens und seine Entwürfe für das Gesamterschei- nungsbild der AEG. Das Ringen um die gute industrielle Form im Werkbund endete im Zerwürfnis zwi- schen Industrie und Gestaltern. Das Projekt Bauhaus fiel dem Nationalsozialismus zum Opfer. Die alten Ideen waren nach dem Krieg verschüttet. Wiederentdeckt wur- den sie erst, so Siegfried Gronert, als ein gewisser gesellschaftlicher Wohlstand ein- trat - und damit ein Warenüberangebot: O-Ton Gronert Sodass die Firmen mit Werbung, mit Produktgestaltung, mit Preisen ge- geneinander konkurrieren müssen. Und innerhalb dieses Konkurrenzkampfes der Firmen und Produkte untereinander spielte Design dann eine zunehmend wichtige Rolle. Erzählerin: Braun lieferte den Beweis, dass die Ideen von Werkbund und Bauhaus eine Zukunft hatten. Ein halbes Jahrhundert später demonstriert ein amerikanisches Unternehmen, welches Potential in einer guten Designstrategie, kombiniert mit einem geschickten Marketing, steckt. (Musik) Erzählerin: Apple. Ein angebissener Apfel als Logo. In der südkalifornischen Garagenfirma wurden Mitte der 70er Jahre Kleincomputer zusammengelötet - von Nerds für Nerds. Dann, Jahre später, entdeckten Grafiker, Designer und Architekten die Qualitäten: Die Rechner stürzten weniger häufig ab, ihre Handhabung war intuitiv und die Bildbearbeitungssoftware fortschrittlicher als die der Konkurrenzprodukte. Und sie sahen einfach besser aus. Anfang des 21. Jahrhundert gelingt dem Unternehmen Apple ein Coup. Es waren diese schwarzen Silhouetten von tanzenden jungen Menschen auf den Werbepla- katen, die Anfang des neuen Jahrtausends die digitale Musikrevolution prokla- mierten. Sie hatten weiße Knöpfe im Ohr, deren Kabel zu einem kleinen weißen Et- was in ihrer Hand führte. Das Ding besaß nicht mehr als ein Display und ein Drehräd- chen, über das sich sein Inhalt steuern ließ. Und was raus kam - Musik im mp3- Format - schien, der Werbung nach, eine Menge Spaß zu machen: Der iPod war geboren - die geniale Weiterentwicklung des Sony Walkman, die ihre Wurzeln aber eigentlich im ersten tragbaren Taschenradio T3 hatte, das den Apple-Designern als gestalterisches Vorbild diente. Übrigens nur eine von vielen ästhetischen Parallelen der beiden Firmen. Die Design-Expertin, und Redakteurin der Zeitschrift "Wallpaper", Sophie Lovell. O-Ton Lovell They have a similar degree of reduction and attention to details. With the curving of the edges an the way the dials are arranged and the symmetrie of the pieces. They're completly different technologies, completely different. There's a slight visual similarity. Sprecherin - voice over: Man kann einen ähnlichen Grad an Reduktion und Liebe zum Detail erkennen: Was die abgerundeten Ecken betrifft, die Positionierung der Knöpfe, die Ausgewogenheit des Ganzen. Die Technik ist komplett anders, aber es gibt diese visuelle Verwandtschaft. Zu der man möglicherweise immer gelangt, wenn man gutes, auf das Wesentliche reduziertes Design anstrebt. Erzählerin: Verantwortlich hierfür: Apples Designchef Jonathan Ive, einer der meist beachteten Designer unserer Zeit und erklärter Fan von Dieter Rams. Den scheint es nicht zu stören, dass seine alten Braun-Entwürfe in den Produkten von Apple weiterleben. Von einer Begegnung der beiden am Rande der großen Dieter Rams-Retrospektive in San Francisco berichtet Sophie Lovell. O-Ton Sophie Lovell: From what I understand they were as nervous of seeing each other. (lacht). They were both very..you know, one in awe of the master and the other of the...you know, the greatest designer of our time. And apparently they got along fantastically. Dieter is (not at all angry, no. He is)...honoroured is the wrong word. He loves the idea, that another company has taken up the prin- ciples, they fought so hard for at Braun. Sprecherin - voice over: Sie waren beide offenbar ziemlich aufgeregt. Der eine aus Ehrfurcht vor dem großen Meister, der andere aus Ehrfurcht vor...naja, dem größten Designer unserer Zeit. Aber sie haben sich gut verstanden. Dieter ist nicht sauer. Nein, er ist.. geehrt wäre das falsche Wort.. aber er ist froh, dass eine andere Firma die Prinzipien übernommen hat, für die sie da- mals bei Braun so hart gekämpft haben. Erzählerin: Wie Braun legt auch Apple großen Wert auf "usability", also die Benutzerfreund- lichkeit - ein Grundsatz, den Dieter Rams bereits in seinen "10 Thesen für gutes Design" hervorgehoben hat. Und wie Braun verschiedene Geräte in seinen "Pho- nokombinationen" vereinte, begann Apple mit dem iPod und der Software iTunes, verschiedene Unterhaltungsmedien in einem Gerät zu integrieren. Und wie Braun erkannte auch Apple rechtzeitig, dass Design nicht etwas ist, das sich einem Produkt erst nach dessen technischer Entwicklung aufpfropfen lässt. Siegfried Gronert: O-Ton Gronert: Man muss sagen, der Erfolg von Apple besteht auch darin, dass Apple mit einem Designer, mit Jonathan Ive zusammengearbeitet hat, der in einer sehr engen Kooperation mit Steve Jobs und der Unternehmensführung zu- sammengearbeitet hat. Erzählerin: Die Gemeinsamkeiten zwischen den Philosophien von Braun und Apple und der Ästhetik ihrer Produkte lassen sich nicht bestreiten. Aber Apple ist einen entschei- denden Schritt über Braun hinaus gegangen, so Hartmut Esslinger, der Anfang der 80er Jahre die erste umfassende Designstrategie für Apple entworfen hat: O-Ton Esslinger: Apple ist viel emotionaler. Die Braun-Produkte.. viele Dinge sind einfach formalistisch. Bei Apple ist nichts formalistisch. Es ist alles durchgehechelt bis aufs Letzte. Und dann darf man nicht vergessen: Apple sind Experience- Produkte, das, was man sieht, ist ja nur ein minimaler Teil der Gesamter- fahrung: Software, Inhalte, Kommunikation. (..) Atmo iPhone-Präsentation 2007 Erzählerin: Als Steve Jobs im Januar 2007 das erste iPhone mit neuartigem Touchscreen vor- stellt, löst das bei seinen Jüngern einen Sturm der Begeisterung aus. Dieses erste Smartphone mit den freundlichen Apps erinnert äußerlich verdächtig an die von Dietrich Lubs entworfenen Braun-Taschenrechner. Doch firmenstrategisch hat Steve Jobs längst einen ganz anderen Weg betreten: Der angebissene Apfel prangt nicht mehr nur auf Geräten. Mit der Firmensoftware iTunes verbreitet er sich auch im Netz, bietet Filme und Apps an und dominiert inzwischen den Handel mit Musik. Die Welt des Apfels hat eine eigene Philosophie, aber auch eigene Anschlüsse, ei- gene Software, Knebelverträge und kostspielige Zusatzprodukte. Apple ist ein ei- gener Kosmos, teuer, aber mit einer magischen Anziehungskraft. Uta Brandes: O-Ton Brandes Man könnte tatsächlich sagen, dass ein Großteil der Apple-Produkte richtig tief eindringt in alle möglichen Zielgruppen und unterschiedlich gebildete Schichten der Bevölkerung, das ist wahr. Das ist einfach ein Unternehmen, die haben es geschafft, Ikonen, geradezu ritualisierte Gegenstände hervor- zubringen, die so wie Reliquien sind, ja die man anbetet geradezu und auch haben möchte. Erzählerin: Dazu gehören auch die theatralischen Inszenierungen, mit denen die Produkte im Markt eingeführt werden und die künstliche Verknappung bei der Markteinführung. Apple-Fans übernachten auf der Luftmatratze vor dem Apple-Store auf der 5th Ave- nue, verschwinden dann im dunklen Keller des Geschäfts, um heulend und mit leeren Händen wieder aufzutauchen. Musik Heute ist Apple auf dem Weg zur ersten Trillion Dollar Company. Was aber wurde aus dem Mythos Braun? Er ist längst Geschichte. Der Konkurrenzdruck, unter an- derem aus Japan, wuchs. Der Investitionsbedarf überstieg die vorhandenen Res- sourcen. 1967 wurde die Firma, die gerade ins idyllische Taunusstädtchen Kronberg umgezogen war, an den amerikanischen Gillette-Konzern verkauft. Viele Mitarbeiter waren geschockt. O-Ton Sophie Lovell: Erwin was actually really interested in health, I think he wanted to be a doctor originally. (...) And the company did well and he had enough. He sold it, he went to Switzerland and set up his health centre. And did what he actually wanted to do all along. Artur stayed longer, he was more involved in the engineering side of the company. They had enough. Sprecherin - voice over: Erwin Braun hatte ursprünglich Arzt werden wollen. Die Firma lief gut und irgendwann hatte er genug. Er verkaufte seine Anteile, zog in die Schweiz und gründete dort sein Zentrum für Präventivmedizin - was er sowieso schon die ganze Zeit tun wollte. Sein Bruder Artur blieb noch ein bisschen länger, er war direkter in die Projektentwicklung eingebunden. Aber irgendwann reichte es ihnen eben. Erzählerin: Der Firma Braun fehlten von nun an die beiden Visionäre an der Spitze. Und dass die Unternehmenszentrale künftig nicht mehr in Kronberg, sondern in Massachusetts lag, erschwerte die Kommunikation. Marketing spielte fortan eine größere Rolle. Der Kreativität und Risikofreude der Mitarbeiter wurden Grenzen gesetzt. Dieter Rams blieb bei Braun, leitete fast 30 weitere Jahre lang die Designabteilung - aber unter massiv veränderten Bedingungen. In den 70er Jahren staunten viele Braun-Fans über eine Serie knallbunter Kaffee- maschinen, die so gar nichts mehr mit den "stummen Dienern" der frühen Jahre zu tun zu haben schienen. Experten kritisierten die "Hippisierung" der Produktlinie. Atmo Kaupp im Lager (00:46) "da haben wir die Silkepil-Geräte undundun- dundund..." Dann kamen die 80er: O-Ton Gronert: Es beginnt eine Zeit, die man allgemein als Postmoderne bezeichnen kann, in der andere Werte im Vordergrund stehen, also stärker Individualität, Unter- scheidbarkeit. Und im Zuge dieser veränderten Haltung zur Moderne verlor Braun auch sein ideologisches Umfeld, das die Firma bislang getragen hatte. Erzählerin: Als Dieter Rams 1997 in den Ruhestand ging, endete eine Ära. Der Blick auf die heutige Produktpalette von Braun kommentiert die Wallpaper-Redakteurin Sophie Lovell so: O-Ton Lovell: I see a great opportunity missed. I really don´t understand why Braun don´t aknowledge their heritage, why they don´t seem proud of it. (...) They don´t have to get back to Dieter Rams - but in that spirit to move on. To make great products that last longer, that are of great quality. And I feel, that in the last years, in recent years, they really have lost their way on that. Sprecherin - voice over: Ich sehe eine riesige verpasste Chance! Ich verstehe wirklich nicht, warum Braun nicht stolz auf sein Erbe ist. Es geht ja nicht darum, zu Rams zurück- zukehren, sondern in diesem Sinne weiterzumachen: schöne, langlebige Produkte in guter Qualität. In den letzten Jahren sind sie von dem Weg de- finitiv abgekommen. Erzählerin: Dieter Rams hat sich in den letzten Jahren weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück- gezogen. O-Ton Lovell: The one thing he will talk about is his commitment to design serving the en- vironment and sustainable aspects of design. He also, already in the 80ies, he came up suggesting that manufactures should not sell the products, that they should lease them to their users, that people should use the products, when they broke or updated, they were sent back to the manufacturer and that they pay a fee for the leasing of it. It´s not a completely new idea. Other people thought of it. But...imagine Jonathan Ive suggesting that! Sprecherin - voice over Ein Thema, über das er aber immer noch gerne spricht, ist Nachhaltigkeit, die ökologischen Aspekte von Design. Er hat ja schon in den 80er Jahren zum Beispiel den Vorschlag geäußert, die Hersteller sollten ihre Produkte nur noch verleihen. Wenn sie kaputt gingen oder technisch überholt wären, könnte man sie dann einfach zurückschicken. Es gab ein paar Leute damals, die sol- che Ideen hatten. Aber stellen Sie sich, vor Jonathan Ive käme heute mit so einem Vorschlag! Erzählerin: Apple übt sich im Spagat zwischen künstlicher Nachfrage und Nachhaltigkeit. Mit Produkten, die aus hochwertigen Materialien gefertigt sind und langlebig wirken. Allerdings nur vordergründig, so der Vorwurf des Kunstwissenschaftlers Harald Klinke. Nicht nur hunderttausende zerbrochene iPhone-Displays zeugen davon. Klinke spricht auch von einer "ästhetischen Obsoleszenz" der Apple Produkte: O-Ton Klinke D.h. eine Obsoleszenz, die durch Design entsteht. Die glänzende Oberfläche eines iPhones, eines iPods hat sofort Fingerabdrücke darauf, bekommt sehr schnell Kratzer, und man sieht ihm nach wenigen Tagen schon an, dass es nicht mehr so ideal und perfekt aussieht wie es in der Werbung ausgesehen hat. Erzählerin: Harald Klinke ist davon überzeugt, dass diese "ästhetische Veralterung" von Apple einkalkuliert ist, damit die Geräte möglichst schnell wieder durch ein neueres ersetzt werden. Ein Ziel, das man dem Braun-Produktdesign, das mitunter über Jahrzehnte hinweg dieselben Modelle produzierte, kaum unterstellen kann. Die Kalifornier, so Klinke, hätten dagegen ihre Produktzyklen bewusst verkürzt. In Sachen Nachhaltigkeit eilt dem global player Apple sowieso nicht der beste Ruf voraus. Und als sich am Produktionsstandort China die Selbstmorde in einer Fabrik häuften, war das ein Skandal. Ohne große Folgen. Doch wie lange kann sich ein er- folgreiches Unternehmen das leisten? Der frühere Apple-Berater Hartmut Esslinger kommt heute zu dem Schluss, dass gutes Design immer auch ökologische und soziale Faktoren berücksichtigen muss. O-Ton Esslinger Idealerweise wird gutes Design, richtiges Design die Dinge effektiver, billiger und ökologischer machen. Wenn's das nicht tut, ist es kein Design, sondern einfach Versagen. Erzählerin: Design sei keine Nebensache, kein Luxus, betont Esslinger. Ein Verständnis, das sich trotz der Erfolgsgeschichten von Braun und Apple nicht durchgesetzt hat. Noch immer wird der Designer in den meisten Fällen als jemand wahrgenommen, der den Dingen lediglich eine schöne Gestalt gibt. Dieter Rams dagegen hält an einem Ethos des Entwerfens fest, das die Welt nicht nur schöner machen will, sondern auch besser. Das sich der Schnelllebigkeit entgegen setzt. Seine eigenen Entwürfe vom Weltempfänger bis zur Armbanduhr haben bis heute Bestand. Und seine Appelle für eine nachhaltige Produktentwicklung wirken heute noch genauso visionär wie da- mals: O-Ton Rams So wie das Design durch Kaufreizkosmetik dazu beigetragen hat und immer noch dazu beiträgt, dass die Flut der Produkte steigt und steigt, kann und muss das Design auch dazu beitragen, dass die Flut der Produkte wieder fällt. Viele der heutigen Produkte, die oft so teuer mit der Zerstörung der Umwelt erkauft worden sind, taugen ja auch wenig. Die Forderung für die Zukunft: Weniger und weniger von solchen Produkten, die zwar die Kauflust reizen, dann aber kaum zu nutzen und bald zur Seite ge- räumt, weggeräumt, weggeworfen werden und durch neue ersetzt werden müssen. Weniger und weniger von solchen Produkten, die nichts als modisch sind und mit dem Ende der jeweiligen Mode obsolet werden. Dafür mehr und mehr Produkte, die wirklich das sind und das leisten, was die Käufer und Nutzer von ihnen erhoffen: Erleichterung, Erweiterung, Intensivierung des Le- bens. -ENDE- 1