Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 27. Juli 2009, 19.30 Uhr Mit dem Internet gewinnen? Wie sich die Parteien online präsentieren Von Michael Meyer O- Ton 1: Merkel- Podcast: Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, jetzt geht es los,?. Musikakzent (Darauf) Sprecher vom Dienst: Mit dem Internet gewinnen? Wie sich die Parteien online präsentieren Eine Sendung von Michael Meyer O-Ton 2 Wer das Internet im Jahr 2009 links liegen lässt, lässt auch sämtliche Chance liegen, junge Menschen zu erreichen. Für das Wahljahr 2009 gilt mit Sicherheit: Man kann die Wahl zwar im Internet nicht gewinnen, aber man kann sie im Internet verlieren. Musikakzent Sprecher: 2009 ist ein Superwahljahr in Deutschland. Die Kampagnenmanager aller Parteien beobachten daher genau, wie im November letzten Jahres die Wahl zum US- Präsidenten verläuft ? denn Barack Obama spielt treffsicher auf der Klaviatur der modernen Medien, allen voran der des Internets. Musikakzent Sprecher: Schon Jahre bevor sich Obama um die Kandidatur als Präsidentschaftsbewerber bemüht, schart er eine Reihe von Experten um sich, die sich bestens mit Wahlkampf und Wahlkampfstrategien im Internet auskennen. Eine von ihnen kommt frisch von der Universität und wird schon bald die Internetwahlkampfleiterin der Kampagne: Mary C. Joyce. Seit dem Wahlerfolg ist sie permanent auf Kongressen, Tagungen und an Universitäten zu Gast, um die Strategie des Obama-Teams zu erklären. O-Ton darüber: Zitatorin: ?Der Gedanke, der am Anfang unserer Überlegungen stand, war, dass die Politik sich durch die sozialen Netzwerke im Internet ändern wird, und zwar durch individuelle Meinungsäußerung, dass also jeder sich äußern kann und dadurch die öffentliche Debatte sich ausweiten würde, offener wird durch ein größeres Meinungsspektrum. Am Anfang sahen wir dann, dass ?Change?, Veränderung nur dann passiert, wenn die Internetblogger andere Menschen inspirieren, ihre Sichtweisen zu ändern, oder sich sogar einzumischen. Soziale und politische Veränderungen finden nur dann statt, wenn man sich nicht nur individuell ausdrückt, sondern Menschen zusammenbringt ? und das habe ich einmal ?Die Macht des digitalen Wir? genannt. ? Sprecher: Das ?Digitale Wir? zu erschaffen ? diese Idee dient nicht nur altruistischen Motiven, sie dient auch dem Einsammeln von Spenden, am Ende waren es etliche Millionen Dollar, die für Obama allein über das Internet gespendet wurden. Zitator: ?Der US-Wahlkampf 2008 hat mehr als eine Milliarde Dollar gekostet ? der ungehemmte Einsatz von Geld, Manpower und Technologie macht den Kampf zwischen Demokraten und Republikanern zu einem Labor, in dem an der Zukunft demokratischer Prozesse gebastelt wird ? wir sollten deshalb auf dieser Seite des Atlantiks nicht nur das bunte und lärmende Medien- und Entertainment -Spektakel bewundern, sondern uns der Tatsache bewusst sein, dass dort Methoden und Strategien erprobt werden, die im Bundestagswahlkampf 2009 wohl ebenfalls Anwendung finden könnten? Sprecher: schreibt Tobias Moorstedt, Journalist und Autor des Buches ?Jeffersons Erben ? wie die digitalen Medien die Politik verändern?. Moorstedt erklärt in seinem Buch, dass die Obama-Kampagne auf mehreren Ebenen funktionierte. Zum einen ging es um die direkte Interaktion mit dem Wähler. Diese Strategie gipfelte in dem Slogan ?Yes we can?. Die Vernetzung der Obama-Unterstützer war ein weiteres wesentliches Mittel im Wahlkampf, sagt Tobias Moorstedt: O-Ton 3: Man kann das ja immer noch machen, man kann auf diese Website ?MyBarackObama.com? gehen, man meldet sich dort an mit seiner email-Adresse, seiner Postleitzahl, mit seinen persönlichen Daten und dann wird man automatisch mit all den anderen Aktivisten aus demselben Bezirk kurzgeschalten, dass man sofort mit den Leuten kommunizieren kann, dass man merkt: OK, gegenüber wohnt jemand, der hat die gleichen Einstellungen wie ich, das ist schon mal glaube ich ein großer Faktor. Sprecher: Diese Art von ?Graswurzelkampagne? in Deutschland zu initiieren, wäre sehr schwierig, denn der deutsche Datenschutz verhindert, dass man einfach so Adressen und Telefonnummern weitergibt, sie in Datenbanken integriert und ähnliches. O-Ton 4: Und das ist ja eigentlich auch was Gutes. Gleichzeitig gibt es aber auch eine Mentalität, dass man sich nicht so preisgeben will im Internet, man geht da nicht so ?casual?, wie man in Amerika sagt, mit dem Netz um, man lebt da nicht so alltäglich, man wagt sich ein bisschen vor, aber man versucht, nicht zu viel von sich preiszugeben und das sind natürlich schlechte Voraussetzungen für eine Kampagne. Sprecher: Nicht nur die Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschland und den USA lassen die Internetaktivitäten der Parteien hierzulande anders aussehen. Auch ist die deutsche Parteienlandschaft eine andere - die Parteien sind hier durch die Ortsverbände noch immer besser aufgestellt, als in den USA. Dies hat zur Folge, dass sie nicht ganz so stark auf den virtuellen Wahlkampf im Netz angewiesen sind, wie in den Vereinigten Staaten, meint Gerhard Vowe, Medienwissenschaftler an der Universität Düsseldorf: O-Ton 5: Sie haben bei uns Apparate, die Parteien werden von Apparaten getragen, das heißt, sie können Funktionäre mobilisieren, sie können Mitglieder mobilisieren. Diese Möglichkeiten haben sie nur sehr beschränkt in den USA, da müssen sie Volunteers, Freiwillige mobilisieren, das geht heute nur noch übers Internet. Bei uns spielt das auch eine größere Rolle, aber noch können sich die Parteien viel stärker auf ihre Apparate verlassen. Und letzter Punkt: Die Finanzierung ist eine völlig andere, bei uns haben Sie eine quasi staatliche Finanzierung der Parteien, die über Wahlkampfkostenerstattung funktioniert und über andere Quellen, aus denen die Parteien finanziert werden ? in den USA muss sich jeder Kandidat sein eigenes Wahlkampfbudget mühsam zusammenstoppeln, und bekommt dann insbesondere über das Internet die Möglichkeit Kleinspenden einzusammeln - also von da heraus spielt das schon eine unterschiedliche Rolle. Sprecher: Dennoch kann und will auch in Deutschland keine Partei das Netz gänzlich links liegen lassen. Oder, wie es der SPD-Medienpolitiker Marc Jan Eumann kurz und bündig ausdrückt: O-Ton 6: Man wird die Wahl im Internet nicht gewinnen, aber man kann sie im Internet verlieren. Musikakzent Sprecher: Die deutschen Parteien nutzen die Möglichkeiten des Internets im Wahlkampf jedoch unterschiedlich intensiv. Grob vereinfacht lässt sich zunächst sagen: Am aktivsten im Netz sind die Grünen und die FDP, dicht gefolgt von der SPD, etwas weniger stark sind CDU und Linke vertreten. Neben der eigenen Website, sozusagen dem virtuellen Wahlkampfbüro, sind alle Parteien auch auf den sozialen Plattformen, wie etwa Facebook, Studi-VZ und beim Kurzmitteilungsdienst Twitter aktiv. Parteiübergreifend gilt: Der Bundestagswahlkampf 2009 wird eine Mischung aus Opas Wahlkampf und Digitalem Wahlkampf 2.0 für die Enkel sein. Also eine Kombination aus klassischen Straßenständen, Plakaten, Wahlkampfveranstaltungen usw. und Internetaktivitäten. Das ist aber kein Widerspruch, findet der Online- Wahlkampfleiter der Freien Demokraten, Thomas Scheffler: O-Ton 7: Ich glaube, man darf nicht den Fehler machen, dass man sich ausschließlich auf den Online-Wahlkampf konzentriert, man muss wirklich sehen, wir können da auf relativ einfache und kostengünstige Art und Weise Multiplikatoren finden und an uns binden, um dann tatsächlich die Vernetzung, den Kontakt zwischen Enkel und Opa herzustellen und sich wirklich über die FDP und den Wahlkampf zu unterhalten. Sprecher: Interessant für die Parteien ist, dass, je nach Wählerschaft die Internetaffinität sehr unterschiedlich ist. Während bei der FDP über 40 Prozent sagen, sie seien häufige und fleißige Nutzer des Internet, sind es bei der SPD nur 27 Prozent ? und die anderen Parteien liegen irgendwo dazwischen. Kein Wunder daher, dass FDP und Grüne zu den intensivsten Internetwahlkämpfern gehören, etwa wenn die FDP im Internet auf Ihrer Plattform ?Mitmacharena? zum Diskutieren aufruft, oder die Grünen auf ihrer Website ihre Wähler auffordert, ein eigenes Thema zu setzen: ?Meine Kampagne? heißt das dann. Und auch bei der CDU versucht man, über die Seite ?TeamCDU? treue Wähler zum Mithelfen im Wahlkampf zu bewegen. Markus Beckedahl, Netzaktivist mit eigenem Blog und ein Kenner der Netzaktivitäten der Parteien meint, dass es kein Wunder ist, dass manche Parteien mehr ins Netz investieren, als andere: O-Ton 8: Natürlich haben all die Parteien ihre eigenen sozialen Netzwerke, wo sie Mitglieder und Helfer vernetzen, aber die SPD scheint mehr finanzielle und menschliche Ressourcen in den Online-Wahlkampf rein zu stecken ? bei der CDU wird das immer noch so ein bisschen nebenbei gemacht, das lässt sich wahrscheinlich auch damit erklären, dass für die CDU, um die tatsächlichen Kernzielgruppen anzusprechen, ist es sinnvoller, ins Bierzelt zu gehen, oder ins Fernsehen zu gehen. Sprecher: Und Beckedahl fügt noch hinzu: Bislang hat noch keine der Online-Aktivitäten der Parteien ihn sonderlich begeistert. Was unter anderem auch an der kaum euphorisierenden Wirkung der beiden Konkurrenten um das Kanzleramt liegt. Den ?Obama-Faktor? und zugkräftige Themen sucht man im Sommer 2009 vergebens ? und zwar sowohl On- wie Offline. Daher gibt es auch keinen emotionsgeladenen Slogan, der die Wähler im Internet begeistern könnte. Weit und breit kein ?Change? in Sicht, also wirkliche Veränderung in der Politik, beklagt Gerhard Vowe, noch immer werde Wahlkampf ?von oben nach unten? gemacht: O-Ton 9: Ich sehe nicht die geringsten Hinweise darauf, dass wir weder von den Potenzialen der Kandidaten her, noch von der Stimmung her, dass wir da in irgendeiner Weise eine Bewegung erzeugen könnten, die dann in die Wahl mündet, und wo also Online-Medien das transportieren, was als Netzwerkkultur da wäre. Da sehe ich nicht die geringsten Hinweise dazu, es wird nach wie vor ein ?Top-Down?-Wahlkampf sein, angereichert über einige ?Bottom-Up?-Elemente, also einige Elemente, wo also Aktivitäten von bestimmten Wählergruppen ein stärkeres Gewicht bekommen. Aber von Prinzip her werden die Parteien das in ihr normales Wahlkamparsenal eingliedern und sich nicht auf diesen Kontrollverlust einlassen. Sprecher: Doch egal, wie stark die Parteien sich im Internet engagieren ? allein mit dem Etat für den Wahlkampf und das 90-köpfigen Online-Team, wie Obama ihn zur Verfügung hatte, können deutsche Parteien nicht konkurrieren. Selbst bei den Volksparteien CDU und SPD sind es gerade einmal ein halbes Dutzend Mitarbeiter, die die Online- Aktivitäten betreuen. Die Frage ist auch, wie viel in Deutschland überhaupt sinnvoll ist. Noch immer informieren sich die meisten Bürger via Tageszeitung oder öffentlich-rechtliche Medien über Politik. Aber: Fast zwei Drittel der unter 30- Jährigen sagen, dass das Netz ihre bevorzugte Quelle für politische Informationen ist. Jüngere Wähler erreicht man also eindeutig besser und gezielter online. Musikakzent Sprecher: Bei der SPD, jener Partei, die derzeit schlechte Umfragewerte und angeblich die am wenigsten internetaffinen Wähler hat, bemüht man sich in der Tat, via Internet mehr und vor allem neue Wählerschichten zu erreichen, sagt der Bundesgeschäftsführer und Online-Wahlkampfchef der Sozialdemokraten Kajo Wasserhövel ? allerdings nicht nur die Jungwähler: O-Ton 11: Die Zeiten, wo sich im Internet vor allen Dingen alleine nur die Jungen tummeln, sind lange vorbei. Das Internet ist weiblicher geworden und älter geworden und wir versuchen möglichst viele Räume zu schaffen, wo wir informieren, über unser Programm, über unser Regierungsprogramm ?Sozial und demokratisch? und über die Kandidaten und Kandidatinnen, möglichst viele Stellen zu haben, wo angestupst wird, wo auf die Themen hingewiesen wird, auf die Unterschiede hingewiesen wird und für den Kandidaten geworben wird. Sprecher: Und das eben mittels der Sozialen Netzwerke wie Facebook, StudiVZ oder auch per Videobotschaften bei ?YouTube? ? dort haben sowohl die SPD, als auch die CDU haben einen eigenen Kanal: O-Ton 12: Musik/Jingle: (?) Die CDU-Parteivorsitzende ist beeindruckt und findet lobende Worte für das Engagement von ?Team Deutschland? ? 100 Tage vor der Bundestagswahl: Ich möchte denen, die schon beim ?Team Deutschland? dabei sind, ganz herzlich danken, was sie schon auf die Beine gestellt haben?.// (Verblenden mit) Ich versuche von der wirklich ausgesprochen knappen Freizeit möglichst viel mit der Familie, mit Frau und Tochter zu verbringen, das ist das Umfeld, was mir Kraft und Rückendeckung gibt?.. (Darauf) Sprecher: Der Kommunikationswissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut meint, dass die Aktivitäten der Parteien in Deutschland noch immer von einer gewissen Unsicherheit geprägt sind ? Unsicherheit insofern, als dass die verschiedenen Informationskanäle im Netz oft nicht richtig genutzt werden: O-Ton 13: Was glaube ich noch nicht so ganz verankert ist in den Köpfen der einzelnen Kandidaten und der Wahlkampfzentralen ist, dass gerade diese neueren Entwicklungen im Internet sehr viel Dialogorientierung beinhalten. Also aus Sicht der Nutzer herrscht dort die Erwartung an authentischer Kommunikation, auch an Kritikbereitschaft und eben den dialogischen Austausch ? das ist meiner Einschätzung nach noch nicht bei allen Parteien so angekommen, oft wird die Webpräsenz auf YouTube oder bei Twitter als zusätzlicher Ausspielungskanal verstanden, also einfach ein weiterer Weg, Pressemitteilungen zu versenden. Das trifft nicht so ganz die Erwartungen der jugendlichen Nutzer. Sprecher: Ein direkter, unmittelbarer Weg zu den Wählern sind die Kurzmeldungen via Facebook und Twitter, jenem Mitteilungsdienst per SMS und Mail in jeweils 140 Zeichen, der seit drei Jahren immer mehr Menschen miteinander kommunizieren lässt, und bei den Protesten im Iran im Frühsommer eine bedeutende Rolle gespielt hat. Aber: Iran ist nicht Deutschland, von daher müsse man genau hinschauen, wie man den Dienst nutzt, sagt SPD-Online-Wahlkampfleiter Kajo Wasserhövel. O-Ton 14: Ich glaube, dass das Ganze nur dann stark ist, wenn die Kombination stimmt, und wenn sich das Ganze wechselseitig miteinander verzahnt. Beim Twittern ist es so, dass wir einen offiziellen SPD-Account haben, dann gibt es viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die auch twittern. Ich twittere auch, ich habe glaube ich 1700 Leute, die meinen Twitter-Account verfolgen, der Ralf Stegner ist auch sehr aktiv, nicht jeder muss alles machen. Mir ist schon wichtig, dass diejenigen, die sich in die Netze rein begeben und die Formate ansprechen, das auch selber machen. Sprecher: Die Plattform Twitter ist allerdings nicht jedermanns Sache: Bislang twittern nur wenige deutsche Politiker, es sind geschätzte 350, und zwar bundesweit ? vom kleinen Kreistagsabgeordneten bis hin zu bekannteren Politikern und viele lassen twittern ? über ihr Büro. Und hier beginnt ein nicht unwesentliches Problem: Die Einträge sind oft schwer auf ihre Authentizität zu überprüfen. Kein Wunder daher, dass Hunderte von Twitter-Konten gefälscht sind, sie stammen also nicht wirklich von der jeweiligen Person, sondern gehören einem Doppelgänger ? das Ganze ist eine Art ?virtueller Identitätsdiebstahl?. So gab es gleich mehrere falsche Twitter - Profile etwa von Franz Müntefering ? und diese begeisterten ihre Fans. Zitator: "Ging gestern hoch her. Beck ist weg - reimt sich sogar", Sprecher: schrieb ein privater Twitterer ohne Münteferings Wissen, nachdem Kurt Beck als SPD-Parteichef abgesägt worden war. Vor einigen Monaten loggten sich Hacker gar in den Twitter-Account der CDU ein. Sie jubelten der Partei eine politische Wende unter: Atomausstieg, Mindestlohn und Vermögenssteuer seien plötzlich Ziele der Union. Das ist starker Tobak - doch mit den falschen Konten müsse man eben leben, erklärt Stefan Hennewig, Online-Wahlkampfleiter der CDU. Er empfehle daher allen Nutzern, bei Twitter und Facebook genau hinzuschauen: O-Ton 15: Um zu eruieren, um das jetzt ein echter Tweed ist oder ein falscher ? da sind ja nicht nur die Wähler gefordert, es gab ja schon ein paar Berichte darüber, Herr Müntefering twittert, wo eben nicht erkannt wurde, dass das ein Fake-Tweed ist. Und auch bei den Angela Merkel Profilen ist das schon passiert, wobei ich es da relativ offensichtlich finde. Wir haben das im Blick, aber das ist ein Hase und Igel-Spiel, eine Sisyphos-Arbeit, das können Sie einfach nicht abstellen. Sofern das nicht strafrechtlich relevant ist, gehen wir auch nicht dagegen vor. Ob das so bleibt, müssen wir mal gucken, wir lassen uns auch nicht alles gefallen, aber wir sind da relativ schmerzresistent an der Stelle ? das muss man auch sein, sonst bringt das nichts. Sprecher: Twitter birgt aber noch weitere Tücken, denn ebenso wie beim Gespräch unter Freunden oder Kollegen müssen Politiker sich genau überlegen, was sie ausplaudern und was nicht. Die CDU ? Abgeordnete Julia Klöckner zwitscherte 15 Minuten vor der offiziellen Verkündung des Ergebnisses der Bundespräsidentenwahl am 23.Mai: Zitatorin: ?Leute, ihr könnt in Ruhe Fußball gucken! Wahlgang hat geklappt!? Sprecher: Sie war aber nicht die Einzige: Auch der SPD-Abgeordnete Ulrich Kelber hatte vorschnell eine Twitter- Meldung abgesetzt. Der Faux-Pax blieb weitgehend folgenlos, wurde aber in der Presse mit ironischen Kommentaren versehen. Wie sehr die Meinungen über Twitter und seine Wirkungsmacht auseinandergehen, beweisen Aussagen zweier Internet- und Politprofis: Zum einen die des Online- Wahlkampfleiters der Grünen, Robert Heinrich - er schätzt das Medium Twitter als idealen Rückkanal zu den Wählern: O-Ton 16: Bei Twitter habe ich den Eindruck, das sind intelligente Leute, das sind interessierte Leute, die auch intelligentes Feedback geben, nicht immer freundlich, aber meistens mit Substanz. Kann Ihnen ein konkretes Beispiel sagen: An dem Tag, wo Moorburg entschieden wurde in Hamburg, da haben wir am Tag vorher schon getwittert, und haben genau das gleiche Feedback bekommen, was am Tag danach in der Zeitung stand. Das heißt: Da war sozusagen das Feedback schon relativ repräsentativ, und wir hatten einen Eindruck, wie das jetzt ankommt, das war nicht unbedingt angenehm für uns, aber es war authentisch und es war wichtig. Sprecher: Der etwas ältere, 43 Jahre alte SPD-Medienpolitiker Marc Jan Eumann, selbst internetaffin und keineswegs ein Feind neuer Medien - ist beim Thema Twitter nicht ganz so optimistisch: O-Ton 17: Wenn wir uns selbst jetzt darauf einlassen, unsere politische Botschaft auf 140 Zeichen zu reduzieren, das mag vielleicht smart sein, aber es hat mit einem politischen Diskurs, für den die Volkspartei SPD steht, nichts zu tun. Wir sollten nie den Anspruch aufgeben, dass man bestimmte politische Prozesse auch nicht in 120 oder 140 Zeichen erklären kann. Also: Wir brauchen eine moderne Vermittlung von guten Inhalten, aber wir brauchen nicht den Anspruch, die ganze Welt auf SMS zu erklären. Sprecher: Die Wochenzeitung ?DIE ZEIT? ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete Twitter als ?Klowand des Internets?. Inzwischen haben manche Politiker das Twittern auch wieder aufgegeben oder zumindest eingeschränkt, und schreiben, wenn überhaupt, nur sehr sporadisch Mitteilungen, wie etwa der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Und in der Tat stoßen die verschiedenen Online-Kanäle wie YouTube, Facebook oder Twitter an ihre Grenzen, wenn es um die Vermittlung komplexer Inhalte geht. Ein Beispiel: Auch der Spitzenkandidat der Grünen, Jürgen Trittin ist mit einem eigenen Profil bei Facebook vertreten. Man erfährt recht wenig Privates über den Spitzenkandidaten der Grünen Partei ? während ?Normalbürger? oft ihr halbes Leben bei Facebook skizzieren, gibt Jürgen Trittin lediglich preis, wann er geboren wurde und dass er in einer Beziehung lebt. Doch auch ohne private Details: Trittin und seine Wahlkampfstrategen sind fleißige Facebook-Schreiber. Der Politiker postet mehrmals pro Tag, was er gerade so macht. An einem Tag im Juni erfuhren Facebook-Nutzer beispielsweise: Zitator: Jürgen Trittin ist gerade von einem Baum gestoppt worden, der auf der Bahnstrecke zwischen Lüneburg und Harburg den IC stoppte. Dank Taxi in Bardowick bin ich jetzt aber mit 2 Stunden Verspätung doch auf dem Zug nach Cuxhaven um morgen eine Eon-5-Megawatt-Windturbine zu besichtigen. Sprecher: Einige Wochen später dann: Zitator: Jürgen Trittin kommt gerade vom Wochenmarkt am Kollwitzplatz zurück und versucht die Sonnenminuten zu nutzen. War eine nette Party gestern im Einstein. Sprecher: Zynisch formuliert könnte man sagen: Auch das Private ist politisch, wie es die 68er vor vierzig Jahren proklamierten. Der Online-Wahlkampfleiter der FDP, Thomas Scheffler, sagt es simpler: Man dürfe Handwerkszeuge wie Twitter oder Facebook in ihren inhaltlichen Möglichkeiten nicht überbewerten, die Wirkung insgesamt sei jedoch enorm: O-Ton 18: Ich finde, das? Parteien sich extrem öffnen, dass sich das ganze politische System öffnet, das ist sicher dringend notwendig gewesen, da sind Online und Internet ein wichtiger Impulsgeber gewesen, man geht auf die Leute wieder zu, ob dann einer jetzt twittert, dass er gerade eine Bratwurst gegessen hat ? wenn man erwartet, dass die Leute das twittern, was sie gerade tun, das wenn man Twitter so nutzt. Also ich glaube, das ist eine sehr große Gratwanderung, die man da als twitternder Politiker machen muss, dass man da den Anforderungen der Gemeinde, die das beobachten, und dem kritisch gegenüberstehen, dass man dem gerecht wird. Musikakzent Sprecher: Doch erreichen Twitter, Facebook und You Tube wirklich die Wähler, vor allem die Jungwähler, um die es bei diesen Aktivitäten ja primär gehen soll? O-Ton 19/Atmo: Lasst uns das mal vergleichen im Bezug zur Bundestagswahl?. (Darauf) Sprecher: Das Lessing-Gymnasium im Berliner Stadtteil Wedding. Im Leistungskurs Sozialkunde ist gerade die Europawahl Thema. Die Schüler Donja, Gamse, Hari und Alexander sind zwischen 17 und 18 Jahre alt. Sie sind, gemessen an ihrem Alter, bestens politisch informiert, und beziehen ihre Informationen aus vielerlei Quellen - nicht nur aus dem Internet. Sie alle haben schon einmal ein Video einer Partei im Internet gesehen oder sind auf das Profil eines Politikers gegangen. Die Begeisterung über die Aktivitäten der Parteien hält sich jedoch in Grenzen: O-Ton 20: Ich sehe da die positiven und die negativen Seiten. Einerseits ist das Internet das, womit man den größten Teil der Jugendlichen erreichen kann, jeder hat Internet oder ist bei einigen Verzeichnissen eingetragen, deswegen finde ich schon gut, dass da der Schritt gemacht wird, Jugendlichen Politik näher zu bringen und wenn es halt übers Internet ist. Andererseits besteht ein bisschen die Gefahr, dass Politik nicht mehr so ernst genommen wird, dass es nur sehr oberflächlich passiert. Also ich finde Profile wie bei StudiVZ ein bisschen manipulativ, weil das politische Bewusstsein dadurch zu beeinflussen, dass man auf Seiten geht, die nur für Jugendliche gedacht sind, das kommt ein bisschen gestellt rüber, finde ich. Ich denke nicht, dass Angela Merkel da wöchentlich reinguckt, um zu gucken: Wer hat mir denn da jetzt geschrieben? Also ich glaube, das ist Mittel zum Zweck, scheinheilig, so ein bisschen. Wenn man zum Beispiel den Einsatz des Internets mit der US-Wahl vergleicht, da hatten wir es viel ausgeprägter, darum wurden ja auch viel mehr Jungwähler angesprochen, die auch zur Wahl gegangen sind, hier ist es doch recht eingeschränkt, vielleicht doch zu konservativ das Land, deshalb würde ich sagen, hier müsste das Spektrum des Internets weitergenutzt werden, großflächiger genutzt werden, um auch die Jungwähler besser ansprechen zu können. Ich denke, bei allen Interneteinsatzmöglichkeiten, bei allen Methoden, sollte der Wahlkampf niemals zur Castingshow verkommen. Also es sollte niemals soweit kommen, dass es nur um den Kandidaten geht und wer die bessere Schau abzieht, in Anführungsstrichen, sondern es sollte schon um Inhalte gehen. Und ich denke, dass schon Inhalte übers Internet vermittelt werden können, zum Beispiel durch Videos, die die Inhalte der Parteien kurz darstellen, dass man guckt, welche Partei passt am besten zu mir, welche Partei stellt das geringste Übel da, und wen kann man da jetzt wählen. Sprecher: Doch einmal abgesehen von den Wahlkampfaktivitäten kann das Internet langfristig helfen, Politik verständlicher und vor allem transparenter zu machen. Beim ZDF kann man beispielsweise im sogenannten ?Parlameter? genau das Abstimmungsverhalten aller einzelnen Abgeordneten bei wichtigen Entscheidungen verfolgen. Vor kurzem wurde bei YouTube der ?OpenReichstag?-Kanal eröffnet, auf dem man sich per Videobotschaft an die Parteien wenden kann ? und einige Fragen und Statements werden sogar in der Talkshow von Maybritt Illner veröffentlicht. Bereits seit 2004 ist ?Abgeordnetenwatch.de? im Netz vertreten. Diese Seite geht noch einen Schritt weiter und stellt einen direkten Draht der Bürger zu den Politikern her. Die Eingabe der Postleitzahl oder des Wahlkreises auf der Internetseite von ?Abgeordnetenwatch.de? bringt die Nutzer sogleich zu Ihrem Ansprechpartner aus der jeweiligen Region. Der Gründer der Seite, Gregor Hackmack, fasst das Fernziel von ?Abgeordnetenwatch.de? so zusammen: O-Ton 21: Ich sage immer den Bürgerinnen und Bürgern, selbst wenn Kandidaten Euch nicht entsprechen, dann ist das Tolle an der Demokratie: Ich kann mich auch selbst zur Wahl stellen, das ist ein hoher Anspruch, aber wir hoffen, dass über Abgeordnetenwatch ein solcher Wunsch stimuliert werden kann. Sprecher: Selbst wenn dieses Ziel ein wenig hochgesteckt erscheint, ist der Wunsch nach mehr Partizipation in der Politik unübersehbar ? die Menschen wollen stärker gezielt angesprochen werden ? und zwar auf Augenhöhe. Aber verändert das Internet dauerhaft wirklich die politische Partizipation, auch über den Wahltag hinaus? Zwei Antworten dazu: der Kommunikationswissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt sagt, dass das Internet nur als Verstärker, nicht als Auslöser für politisches Interesse dienen könne: O-Ton 22: Das Internet ist ja letztlich nur ein Werkzeug, um sich über politische Themen zu informieren, oder um sich mit anderen über bestimmte politische Dinge auszutauschen. Die Hoffnung, dass bloß weil es jetzt das Internet plötzlich die gesamten jungen Nutzer plötzlich politikaffin werden würden, die trügt. (?) Es muss schon politisches Interesse vorhanden sein, damit Jugendliche wirklich im Netz aktiv werden. Sprecher: Medienwissenschaftler Gerhard Vowe sieht es positiver: Alle Studien wiesen darauf hin, dass das Internet durch seine komfortable Handhabung politische Partizipation fördern kann, nicht nur bei den Jungwählern, sondern bei allen Wählerschichten. Ein ?Aufregerthema? kann das Wahlergebnis verändern, wie es etwa in Spanien 2004 nach den Anschlägen der Al-Qaida geschah. Die Trauer um die Opfer und der Zorn über die fragwürdige Informationspolitik der Regierung brachten Tausende Demonstranten auf die Straßen, blitzschnell organisiert durch Informationen und Aufrufe per SMS. Heutige Mittel wären wahrscheinlich das Internet und Twitter. Die neuen Medien können also durchaus politikverändernd wirken, wenn auch nur bei bestimmten Themen, und auch nur in kleinen Schritten: O-Ton 24: Das Internet hat den Reisemarkt verändert, hat den Immobilienmarkt verändert, hat den Partnerschaftsmarkt verändert ? es wird auch den politischen Markt verändern, in einem großen, großen Sinn. Die ersten Zeichen sehen wir, das beginnt bei der politischen Information, das ich die Möglichkeit habe mit geringsten Kosten die Positionen der Akteure in bestimmten Streitfragen,?, ich kann mir die verschiedenen Positionen anschauen, angucken, kann mir dann meine Meinung bilden aus dem Gemisch der verschiedenen. Und das endet bei der politischen Partizipation im etwas anspruchsvolleren Sinne: Unterschriftenlisten, dass eine E-Petition gemacht wird beim deutschen Bundestag, also eine elektronisch gestützte Petition, dass innerhalb eines Wochenendes tausende Unterschriften gegen die Sperrung von Internetseiten zusammenkommen. Musikakzent (Darauf) Sprecher vom Dienst: Mit dem Internet gewinnen? Wie sich die Parteien online präsentieren Eine Sendung von Michael Meyer Es sprachen: Markus Hoffmann, Nina West und Thomas Holländer Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 1