Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 25. April 2009 ? 11.05 ? 12.00 Uhr KW17 Die Kreuzung im Mittelmeer: Lampedusas Einheimische und die Flchtlinge mit Reportagen von Karl Hoffmann Moderation: Katrin Michaelsen Redaktion: Thilo K”áler Musikauswahl und Regie: Babette Michel Technik: Angelika Bruchhaus, Meinhard Schwarzer 1. Vincenzo Lombardo - der Auswanderer (L„nge 6:42 min) 2. Enzo Lilleci - der Fischer und die Tunesier (L„nge 5:52 min) 3. Giusy Nicolini - die Naturschtzerin (L„nge 7:26 min) 4. Giacomo Sferlazza - Der Knstler (L„nge 6:52 min) 5. Padre Vincente ? Der Priester aus Afrika (L„nge 6:20 min) Sprecher Overvoice: Nicole Engeln: Giusy Nicolini Volker Risch: Vincenzo Lombardo, Pdre Vincente Simon Roden: Enzo Billeci, Giacomo Sferlazza Literatur: Maura Gancitano ?Lampedusa?, šbersetzung Mirjam Bitter, aus ?Sizilien und Palermo ? Eine literarische Einladung?, erschienen im Verlag Klaus Wagenbach. Sprecher Literatur: Hseyin Michael Cirpici (L„nge: 3:38 min) Eine Frau ger„t ins Schw„rmen O-Ton Giusy Nicolini Lampedusa hat eine strategisch wichtige Position im Mittelmeer. Es ist zwar kaum mehr als ein Kalksplitter im Wasser, aber trotzdem enorm wichtig fr den šbergang von einem Kontinent zum anderen, von Afrika nach Sizilien und Europa. Ein auáergew”hnlicher Ort. Und es ist nicht verwunderlich, daá auch die Menschen ihren Weg ber Lampedusa nehmen. Und ein Mann will einfach nur weg. O-Ton Giacomo Sferlazza Was hier im Sden Italiens abl„uft - also entweder man passt sich an und verschlieát die Augen oder man leidet darunter. Mir geht es hier nicht gut. MOD Die Kreuzung im Mittelmeer ? Lampedusas Einheimische und die Flchtlinge. Gesichter Europas heute mit Reportagen von Karl Hoffmann, am Mikrofon begrát Sie Katrin Michaelsen. MOD Die Insel Lampedusa ist sehr klein. Sie ist sogar ganz auáerordentlich klein. 20 Quadratkilometer, so groá etwa wie die nordfriesische Insel Amrum. Wer den Motorroller nimmt, der braucht etwa eine dreiviertel Stunde, um die Insel zu umrunden. Lampedusa geh”rt zu den pelagischen Inseln im Mittelmeer. Die afrikanische Kste ist 165 Kilometer entfernt, zur Kste Siziliens sind es 200 Kilometer. Doch Lampedusa ist kein abgelegener Fels. Seit Urzeiten treffen sich hier Menschen aus aller Herren L„nder. Sdlich der Insel sind unz„hlige Handelsschiffe auf der meist befahrenen Schifffahrtsroute der Welt unterwegs. Und seit etwa 15 Jahren suchen Boat People, die von den Ksten Nordafrikas bersetzen, Rettung auf dem kleinen Eiland, bevor sie von hier aus weiter Richtung Italien und Europa gebracht werden, oder eben auch nicht. Die Bewohner Lampedusas wissen wie es ist, die Heimat zu verlassen. Mehrere Generationen haben Jahre auf Fischkuttern vor der afrikanischen Kste zugebracht, bevor sie mit etwas erspartem Geld nach Hause zurckkehren und eine Familie grnden konnten. 1. Reportage ?Vincenzo Lombardo ? Der Auswanderer? Atmo Meer /Hafen 1.Spr.: Dort, wo vom neuen Hafen aus heute die Ausflugsgboote starten war noch vor dreiáig Jahren ein beinahe unberhrter Strand, erinnert sich Vincenzo Lombardo. ZUSPIELUNG šS Im Sommer haben wir uns die leeren ™lf„sser geschnappt, haben sie der L„nge aufgeschnitten und daraus kleine Boote gebaut. Darin konnte man zu zweit mit einem Stck Holz durch den Hafen paddeln. Nach dem Aufschneiden haben wir hier ein Heck und dann vorne den Bug gebogen und schlieálich mit Teer ausgestrichen, damit kein Wasser eindrang. 1.Spr: Sch”ne Zeiten waren das, damals auf Lampedusa. Sorglose Zeiten, behauptet Vincenzo , w„hrend er die drei alten Fischkutter mit arabischen Schriftzeichen am Kai betrachtet, traurige Zeugen der jngsten Anlandungen von mehr als 300 Boat People. ZUSPIELUNG šS Diese armen Kerle wissen ja gar nicht, dass sie ihr Leben riskieren. Und wenn sie dann glcklich hier in Italien sind, werden sie oft ausgentzt. Was tun die mir leid, wenn ich sie so ankommen sehe. Auch wir sind ja frher ausgewandert um uns Arbeit zu suchen . Aber wir hatten immer jemanden, der auf uns aufpasste. Die Boat People sind v”llig auf sich selbst gestellt, vertrauen ijhr Leben Bootsfhrern an, die nicht mal einen Kompass kennen. Es ist nicht einfach, bers Meer zu fahren. Nicht weil es bei uns Wirbelstrme g„be, passieren immer wieder diese Schiffsunglcke, sondern weil die Boote von unf„higen Leuten gesteuert werden. Ein Jammer, so viele Menschenleben. Ich verstehe ja, dass sie um jeden Preis eine Arbeit brauchen und in Freiheit leben wollen, aber keiner hilft ihnen auf dieser Reise. 1.Spr.: Vincenzos Kindheit war mit einem Schlag zu Ende, als er 15 wurde. Heute kommen die Menschen nach Lampedusa in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, damals verlieáen sie die Insel, um ihr Glck zu suchen ZUSPIELUNG šS Vor dreiáig Jahren emigrierten fast alle, als halbe Kinder. Als ich mein Matrosenbchlein bekam, mussten noch beide Eltern unterschreiben, weil ich erst 15 war. Alle Jungs wurden in die weite Welt geschickt. Sie mussten Geld verdienen, das sie nach Hause schickten. Und der Vater baute ihnen damit ein Haus. Nach drei, vier Jahren Arbeit in der Ferne kam man zurck und hatte seine eigene Bleibe und man konnte heiraten. Das war so Brauch bei uns Alle haben wir uns diesem Ritus unterziehen mssen. Denn der Fischfang hier reichte kaum zum t„glichen Leben. 1.Spr.: Schon Vincenzos Vorv„ter suchten nach reichen Fischgrnden weitab von Lampedusa ZUSPIELUNG šS Und selbst wenn man eigentlich bis nach Amerika fuhr ? bei uns hieá es immer nur: ich gehe nach Marokko. Unsere Alten hatten noch kleinere Boote aus Holz. Damit konnten sie das Mittelmeer nicht verlassen. Sie kamen bis nach Gibraltar, und das bedeutete eben Marokko. Sp„ter wurden dann gr”áere Fangschiffe aus Eisen gebaut, mit denen konnte man auf den Atlantik fahren. Aber der alte Spruch galt immer noch. Wir Jungens sagten: ich geh jetzt nach Marokko damit ich mir ein Haus bauen kann. Dabei fuhren wir in den Nordatlantik, an die amerikanische Kste. Oder nach Argentinien. 1.Spr.: 45 Tage auf hoher See, dann zwei, drei Tage an Land, irgendwo in Afrika oder Amerika, um Essen und Treibstoff zu bunkern und den Fang auf Transportschiffe zu verladen. Danach wieder eineinhalb Monate auf hoher See. Jahrelang. Ein harter und ein gef„hrlicher Job. Das bekam Vincenzo aber erst mit, als er weit weg war von Lampedusa. ZUSPIELUNG šS Was haben wir fr Strme erlebt. Und einige von uns kamen leider auch ums Leben. Ich erinnere mich an einen guten Freund. Das war in Nordamerika. An unser Schiff hatte ein zweites angelegt, um den Fang umzuladen. Aber es herrscht starker Wellengang und einer von uns musste zwischen den beiden Schiffen balancieren, damit der Fang sicher auf die andere Seite kam. Mein Freund ist ausgerutscht und ins Wasser gestrzt, er war sofort spurlos verschwunden. Nach zwei drei Minuten bist du in dem eiskalten Wasser tot. Wir hatten auch schwere Kleidung, wenn die sich mit Wasser voll saugte, ging man unter wie ein Stck Blei. 1.Spr: Vincenzo h„lt kurz ein, zieht den Kragen seiner Windjacke enger, ein steifer Wind bl„st noch khl von Sdosten ber den Kalkfelsen. Die Erinnerungen an die schweren Zeit der Emigration holen den ehemaligen Fischerjungen ein. Vincenzos Stimme wird dster. ZUSPIELUNG šS Ein anderer starb, w„hrend das tonnenschwere volle Netz aus dem Wasser gezogen wurde. Ein Haken ist gerissen und der 70 Kilo schwere Flaschenzug ist auf meinen Kumpel runtergesaust und hat ihm den Sch„del gespalten. Der war auf der Stelle tot. Wieder ein anderer wurde von einem reiáenden Stahlseil in zwei Teile zerschnitten. Und auch die šberlebenden kamen oft l„diert zurck nach Hause. Da fehlte ein Finger, dort ein halbes Bein. Das war traurig, aber das geh”rte zur Arbeit. Darauf musste man sich einlassen. 1.Spr.: Hauptsache man hatte am Ende ein H„uschen, konnte heiraten und eine eigene Familie grnden. Genau betrachtet dieselben Grnde, die viele afrikanische Jugendliche heute zur gef„hrlichen Reise nach Europa treiben. Vincenzo ist 47, hat drei Kinder, fr die er lieber verhungern wrde, als sie in die Welt zu schicken. Und er versteht nicht, dass keine L”sungen gefunden werden, um den jungen Immigranten aus Afrika den lebensgef„hrlichen Weg ber Lampedusa zu ersparen: ZUSPIELUNG šS Warum geben die Regierungen den jungen Leuten keinen ordentlichen Pass und erm”glichen ihnen eine legale Einreise auf sicheren Wegen, statt sie hier in den Untergang zu treiben. Warum werden sie zuhause und unterwegs wie Gefangene behandelt? Niemand hat das Recht, sich das Leben eines anderen zu nehmen. Man kann ber ein Land herrschen aber nicht ber Menschenleben. Jeder ist frei, dorthin zu gehen, wo er mag., um sich eine Arbeit zu suchen. Warum schafft man dafr keine Regeln? MUSIK MOD Ein einziges Dorf gibt es auf der Insel, das den Namen Lampedusa tr„gt. Etwa 5.000 Einwohner leben hier, in der Ferien-Hauptsaison kommen bis zu 150.000 Touristen. Sie kommen per Schiff oder per Flugzeug und sie bringen Geld. Der Tourismus ist die Haupteinnahmequelle auf Lampedusa und deshalb machen sich die Bewohner Sorgen um den Ruf ihrer Insel. Denn schon lange ist sie zum Symbol des Elends der Flchtlinge aus Afrika geworden. Aber die Brger zeigen auch Verst„ndnis fr die Not leidenden Ank”mmlinge. Wie Ivano in der Erz„hlung ?Lampedusa? von Maura Gancitano, einer jungen Schriftstellerin und Drehbuchautorin aus Sizilien. LITERATUR 1 Ivano holt Luft fr den hohen Ton und sucht auf dem Programmzettel den Titel des n„chsten Liedes. Das Publikum scheint es zu m”gen, es klatscht im Takt und bestellt weitere Cocktails und Granite. Jemand n„hert sich der Bhne und wnscht sich ein Stck von Vasco Rossi. Doch nicht einmal das reicht aus, um ihn vergessen zu lassen, was er erst vor ein paar Stunden gesehen hat, und seine Aufregung ist nicht die der anderen Abende. Er beginnt mit dem n„chsten Lied und fr einen Augenblick gelingt es ihm, nicht daran zu denken. (?) Es ist fast zwei Uhr, die Touristen haben beschlossen, fr heute kein Geld mehr auszugeben, und nach und nach leeren sich die Tische. (?) Ivano verl„sst den Raum durch die Hintertr. In der Via Roma sind nun kaum noch Leute, aber ihm ist es sowieso lieber, niemanden zu treffen. Er erreicht das kleine Apartmenthaus, in dem er untergebracht ist. Als er in seinem Zimmer ist, versucht er mit allen Mitteln, nicht den Fernseher einzuschalten. (?) MUSIK MOD Ihre Boote sind h„ufig seeuntchtig. Kleine Nuss-Schalen, die Boat People aus Afrika nach Europa bringen sollen. Im vergangenen Jahr kamen ber 36.500 Bootsflchtlinge nach Italien, etwa 30.000 landeten auf Lampedusa. Die wenigsten von ihnen haben jemals zuvor das Meer gesehen, geschweige denn, dass sie schwimmen k”nnten oder wssten, wie man sich auf dem Meer orientiert. Die Fischer aus Lampedusa, eigentlich unterwegs, um im Mittelmeer ihre Netze auszuwerfen, sind h„ufig die Rettung in letzter Not. Sie signalisieren der Kstenwache den Standort der Schiffbrchigen oder bringen sie selbst in den Hafen. Menschenleben zu retten, geh”rt seit Mitte der neunziger Jahre zum Alltag der Fischer. Viele gibt es nicht mehr von Ihnen auf Lampedusa. Denn die Fischerei ist mittlerweile ein mhseliges Gesch„ft. Vorbei sind die ppigen Zeiten der reichen Fischgrnde im Mittelmeer. Heute bleiben die Netze h„ufig leer. 2. Reportage ?Enzo Billeci ? Der Fischer und die Tunesier? ZUSPIELUNG šS Also los gehts, werfen wir mal den Motor an. ZUSPIELUNG Motorger„usche 1.Spr.: 442 PS hat der Diesel der Palermo Nostra, ein kleiner Fischkutter aus Holz, der schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, aber immer noch treu seinen Dienst tut. Und den Enzo vorschriftsm„áig mit modernster Technologie ausgestattet hat: ZUSPIELUNG šS Ich will dir mal zeigen was sie uns aufs Auge gedrckt haben. Blue Box nennt sich das. Dieses Instrument zeigt dem Innenministerium in Rom, dass unser Boot Palermo Nostra in diesem Augenblick noch vor Anker liegt, hier im Hafen von Lampedusa. Sie berwachen uns als ob wir Verbrecher w„ren. Das geht allen Fischern in Europa so. Nicht aber den Tunesiern. Die drfen ungest”rt in unseren Gew„ssern fischen , mitten unter uns, denn wir sind gezwungen innerhalb bestimmter Zonen zu bleiben. Wenn wir darber hinausfahren, dann gibt?s Strafen. Beim ersten und zweiten Verstoá kostet?s je 400 Euro, beim dritten Mal gibt?s Kittchen. 1.Spr.: Da h„ngt der vermaledeite Kasten, der dem Skipper Enzo Billeci schon mal eine saftige Strafe eingebracht hat und er darf weder ausgeschaltet noch ausgebaut werden. Das satellitengesttzte Ger„t hat Schluss gemacht mit der groáen Freiheit auf dem weiten Meer. ZUSPIELUNG šS Das ist wie wenn man ein Schaf an einen Pfahl bindet und zu ihm sagt: hier musst du grasen. Will es weiter weg, dann zieht sich die Schlinge zu. Man hat uns an einen unsichtbaren Pfahl gebunden und nun drfen wir nur noch in einem kleinen, umgrenzten Bereich fischen. Den wir auch noch mit der Konkurrenz aus Tunesien teilen mssen. Die darf n„mlich zu uns, keiner h„lt die auf. Wie oft haben wir uns schon beschwert beim Hafenkommandanten. Der kann aber auch nichts machen, Weisungen von h”chster Stelle: lasst die Tunesier in Ruhe. 1.Spr.: Enzo ist Fischer mit Leib und Seele, das Metier hat er bei seinem Vater gelernt, er ist 45, sieht aber zehn Jahre „lter aus. Das Meer zehrt an den Menschen. und kommt leidlich ber die Runden. Aber die Fischgrnde werden immer sp„rlicher, die Konkurrenz immer gr”áer und die Vorschriften immer strenger. Oft weiá er nicht mehr, wo er noch seine Netze auslegen soll. ZUSPIELUNG šS Es war so um 1995/96 , als die ersten tunesischen Kutter hier bei uns aufgetaucht sind. ?Was sucht ihr hier?? haben wir sie gefragt. ?Wir fischen Makrelen. Makrelen und Sardinen.? Inzwischen gibt?s keine Makrelen und Sardinen mehr bei uns. Die Tunesier ankern das ganze Jahr in unseren Fischgrnden und rhren sich nicht mehr von der Stelle. Gestern Nachmittag habe ich mir den Kopf zerbrochen: wohin soll ich nur zum Fischen fahren. Im Norden von Lampedusa: Tunesier, im Sden: Tunesier, im Osten: Tunesier, jeden Tag geht das so, gestern hab ich?s aufgegeben, bin nach Hause gefahren. Langsam gew”hnt man sich sogar dran. Ist ja ganz normal. Niemand unternimmt was gegen die Tunesier, also denkst du dir, na ja dann geb? ich halt nach. 1.Spr.: Die Boat People haben die Lampedusanischen Fischer immer gerne aufgenommen. Schiffbrchige zu retten ist ihr t„gliches Brot. Nicht vor den Immigranten haben sie Angst, sondern vor dem t„glichen Kampf auf hoher See gegen eine unerbittliche Konkurrenz. Von den einst zehn Konservenfabriken auf Lampedusa ist nur noch eine brig geblieben. Was in und um Lampedusa gefischt wird, geht zum allergr”áten Teil in die Fabriken jenseits des Meeres. In Rom ist man darauf bedacht, jeden Žrger mit den nordafrikanischen Nachbarn zu vermeiden. Die paar Fischer auf Lampedusa sind es nicht wert, das man wegen ihnen diplomatischen Knatsch bekommt. Davon ist Enzo fest berzeugt. Und deshalb stirbt die Fischerei in Lampedusa, sagt er. ZUSPIELUNG šS Nehmen mir mal die jungen Leute Jahrgang 1962, von denen hatten noch 80 Prozent das Seemannspatent, um auf den Fischkuttern zu arbeiten. Und nun der Jahrgang 1990? Ein einziger, der noch die Prfung absolviert hat. Ein einziger Nachwuchsfischer. Die Zunft stirbt aus. 1.Spr.: DAS ist die Invasion, die das Leben auf Lampedusa ver„ndert hat: eine Konkurrenz auf hoher See, der man nicht mehr standhalten kann, Raubfischerei, die den Europ„ern verboten ist, mit der aber die nordafrikanischen Kutter die Fanggrnde rund um Lampedusa zerst”ren. 1.Spr.: Und dann trifft der Rest der Mannschaft ein, es werden die Winden berprft, noch ein paar Knoten gemacht, schlieálich macht Enzo die Leinen los und die Palermo Nostra tuckert langsam die Hafeneinfahrt hinaus, hart steuerbord. Denn gegenber liegt ein m„chtiger eiserner Kutter auf den Felsen, den hat krzlich ein Sturm dort auflaufen lassen. Kein tunesischer Kutter, hatte Enzo hinzugefgt. Denn die Nordafrikaner sind hervorragende Seeleute, das gibt er offen zu. Tunesische Kollegen hat er noch nie aus Seenot retten mssen, Nur die hilflosen Boat Poeple, die noch nie auf dem Meer waren und nicht mal schwimmen k”nnen. Aber so sind die Regeln nun mal auf dieser viel befahren Kreuzung mitten im Mittelmeer? MUSIK LITERATUR 2 Er will einen Traum erfinden, an eine angenehme Situation denken, wie er es immer zum Einschlafen tut, aber jedes Mal kommt ihm das, was heute Morgen passiert ist, in den Sinn. Es f„llt ihm schwer, die Augen nicht wieder zu ”ffnen. Er dreht und wendet sich, aber die Bilder verschwinden nicht. (?) Etwa hundert Flchtlinge stehen Schlange, sie warten. Es sind fast nur M„nner. Ivano sieht sich um. Er sieht keine Fernsehkameras. Zwei Fischer, die im Sommer Bootstouren fr Touristen anbieten, beobachten sie mit verschr„nkten Armen, ohne zu sprechen. Vom Strand kommt ein Auto, das in seiner N„he h„lt. Zuerst steigt eine Frau aus. Sie richtet sich ihr Strandkleid und nimmt ihre Tochter auf den Arm. Gegenber steigt ihr Mann aus, w„hrend der Sohn im Auto bleibt und mit Kopfh”rern in den Ohren Musik h”rt. Mit sandigen Fáen n„hern sie sich dem Mannschaftswagen der Polizei. Der Vater bleibt ein wenig zurck, zckt sein Handy und schieát Photos. Die Polizisten lassen ihn gew„hren. Die Mutter erkl„rt unterdessen der Tochter, wer diese Leute sind und das M„dchen zeigt ohne Hintergedanken auf sie. Einer der M„nner schaut sie an. Und da merkt Ivano, dass er dieser Mann ist, pl”tzlich sprt er die ganze Last der Mdigkeit und des Wartens. MOD Mit dem Aussterben der Fischerei auf Lampedusa, w„chst die Bedeutung des Tourismus. Seit Mitte der 80er Jahre kommen immer mehr Urlauber, um die Insel zu entdecken. Erst sp„t bemerkten die Bewohner jedoch, dass sie Lampedusa nicht nur dem Tourismus ausliefern, sondern die Insel auch schtzen mssen. Wie zum Beispiel die Isola dei Conigli, die Kanincheninsel. Sie liegt nur wenige Meter vor der flachen Sdkste Lampedusas. 3. Reportage ?Giusy Nicolini ? Die Naturschtzerin? Atmo Schritte/ Meer Auf halbem Weg zwischen der zersiedelten Ostkste und den Funktrmen im Westen fhrt ein steiniger Weg hinunter zum Meer. Das Sonnenlicht von Sden her macht aus dem Meer einen gleiáenden Spiegel, M”wen schweben in der Brise. Im Frhling entfaltet die sp„rliche Vegeation ihre volle Pracht. Blten in grellen Farben verstr”men bet”rende Dfte. ZUSPIELUNG šS weiblich Es wird immer sch”ner hier. Seit wir diesen Weg angelegt haben, kann das Regenwasser den Abhang nicht mehr zerst”ren. Die Pflanzen werden zusehends kr„ftiger. Meine Gte, wie herrlich das Meer heute ist. 1.Spr.: Giusy Nicolini ist auf Lampedusa geboren. Ohne das Meer k”nnte sie nicht leben. Lampedusa ist eine kahler und wenig attraktiver, 20 Quadratmeter groáer Felsen. Aber das Meer ringsum ist von besonderer Sch”nheit. Das Wasser ist wie flssiges, flaschengrnes Glas. Und der Strand vor der Isola dei Conigli, der Haseninsel, ist schlichtweg ein Traum. Aber erst, seitdem Giusy und die anderen Mitstreiter von der Umweltschutzorganisation Lega Ambiente ihren jahrelangen Kampf gewonnen haben ZUSPIELUNG šS Schon seit 1981 war dies hier formal ein Naturschutzgebiet. Aber es gab auf der Insel kein Amt, das die Schutzvorschriften durchgesetzt und berwacht hat. Als wir begannen uns darum zu kmmern, wurden wir sogar bedroht, es gab Brandanschl„ge. An diesen Strand kommt regelm„áig die Meerschildkr”te, um ihre Eier abzulegen. Lampedusa und die kleine Nachbarinsel Linosa sind die letzten Orte in ganz Italien, wo sie noch regelm„áig beinahe jedes Jahr laicht. Die Caretta Caretta, so ihr botanischer Name, findet man immer seltener im Mittelmeer. 1.Spr.: Auf dem makellosen weiáen Sand vor der Haseninsel tummelten sich bis vor wenigen Jahren Touristen und Strandverk„ufer. Imbisswagen und vor allem jede Menge Mll hatten die Landschaft derart verschandelt, dass die Meerschildkr”te einen ihrer letzten Nistpl„tze zu verlieren drohte. Denn die Eiablage findet kurz vor der Hochsaison stattfindet. Dann mssen die Eier im heiáen Sand ruhen, bis die Jungen schlpfen k”nnen. ZUSPIELUNG šS Das dauert von August bis Anfang November. Je nachdem, wann die Eier abgelegt wurden. Die Schildkr”te legt jeweils 120 bis 140 Eier in einem Sandloch ab und vergr„bt sie dann. Und hier bei uns ist die Fruchtbarkeitsrate extrem hoch. Aus 90 Prozent der Eier schlpfen lebende junge Schildkr”ten, andernorts sind es nur 60 bis 65 Prozent. 1.Spr.: Giusy Nicolini ist sichtbar stolz auf ihre erfolgreichen Meerschildkr”ten. Und auch darauf, dass es ihr und den wenigen naturbewussten Inselbewohnern gelungen ist, den so wichtigen šberlebensraum der immer selteneren Tiere zu bewahren. Von Mai bis November wird der Strand Tag und Nacht bewacht, wenn die Schildkr”te gelaicht hat, um die Nester bauen Giusy und ihre Freunde kleine Z„une. Und wenn die Kleinen schlpfen, dann bewahren sie die Naturschtzer auf ihrem Weg ins tiefere Wasser vor unachtsamen Strandbesuchern und hungrigen M”wen. Giusy hat sich damit abgefunden, dass auch der Tourismus seinen Platz braucht, weil er Wohlstand fr viele Insulaner gebracht hat. Aber die Insel ist eben nicht nur Durchgangsstation fr Touristen. ZUSPIELUNG šS Lampedusa hat eine strategisch wichtige Position im Mittelmeer. Es ist zwar kaum mehr als ein Kalksplitter im Wasser, aber trotzdem enorm wichtig fr den šbergang von einem Kontinent zum anderen, von Afrika nach Sizilien und Europa. Hier finden viele wunderbare Naturereignisse statt, nicht nur das Anlanden der Meerschildkr”ten. Nach Lampedusa kommen Wale und Delphine. Und auf Lampedusa ruhen sich unz„hlige Zugv”gel auf ihrem Weg von und nach Afrika aus. Ein auáergew”hnlicher Ort. Und es ist nicht verwunderlich, daá auch die Menschen ihren Weg ber Lampedusa nehmen. Die Geschichte dieser Insel ist eine unendliche Folge von Anlandungen. Wegen seiner zentralen Position im Mittelmeer machten die Menschen hier halt, Schiffbrchige retteten sich hierher und siedelten sich an. Man hat Reste von Griechen, R”mern und Ph”niziern gefunden, ja sogar Zeugen aus der Steinzeit. Es ist v”llig normal, dass diese Insel als Anlaufstelle und Haltepunkt im Mittelmeer benutzt wird. 1.Spr.: Aus Giusys wettergegebertem Gesicht mit seinen markanten Zgen blitzen dunkle Augen, ein harter Kontrast zu den blonden mittellangen Haaren und ein Hinweis auf die Vielfalt des Erbes, das die unz„hligen Seefahrer in Lampedusa hinterlassen haben. Giusy deutet ber den Hgel Richtung Westen. Dort arbeiten die Bagger -zum Glck nicht sichtbar am Traumstrand - an einem neuen Immigrantenlager. Das passt nun berhaupt nicht auf diesen einzigartigen Ort im Mittelmeer. ZUSPIELUNG šS Es ist v”llig anormal, die Menschen zu zwingen, auf der Insel zu bleiben. Fr die Immigranten ist Lampedusa viel zu klein, als dass es ein Ziel fr sie sein k”nnte, 20 Quadratkilometer groá, mit bereits 5000 Einwohnern, was sollten sie hier? Es ist ein Wahnsinn, aus Lampedusa ein Gef„ngnis machen zu wollen. Das w„re doch genauso, als wollte man den Meeresschildkr”ten und den Walen verbieten, hier in Lampedusa vorbei zu kommen. Das kann man nicht machen. Leider haben die jngsten politischen Entscheidungen einen hohen Preis. Menschen, die auf dem Meer sterben , Trag”dien auf hoher See, die kein Ende nehmen . Erst vor kurzem sind ja erst 300 Menschen vor der libyschen Kste verschollen. Als Umweltschtzerin hat Giusy Nicolini angefangen. L„ngst ist sie aber auch Menschenrechtlerin. Zusammen mit ihrem Mann, er geh”rt dem Stadtrat von Lampedusa an, prangert sie die Missst„nde im Immigrantenlager an, versucht zu helfen wo immer es geht und den Widerstand gegen die zunehmende Militarisierung der Insel mitzuorganisieren. Weil sie Lampedusa mehr liebt als jeden anderen Ort auf der Welt: ZUSPIELUNG šS Dass ich mich auf fr die Menschenrechte einzusetzen, erscheint mir nur logisch. Es w„re v”llig absurd, mich nur darum zu kmmern dass die Meerschildkr”ten nur ja wiederkommen, und gleichzeitig die Augen wegzuschauen, wenn man Menschen ertrinken l„sst oder schlecht behandelt oder gewaltsam zurcktransportiert. Unvorstellbar. Fr mich ist das normal, ja eine natrliche Pflicht, mich um Menschenrechte zu kmmern. Auch als Naturschtzerin. Eine zeitlang hat Lampedusa ja gut funktioniert als Kreuzung im Meer. Als Symbol fr menschliche Aufnahme von Notleidenden. Jetzt ist alles anders. Lampedusa soll zum Gef„ngnis Europas werden. Nicht nur von Italien nein, von ganz Europa. MUSIK LITERATUR 3 Er senkt den Kopf und betrachtet die verschlissenen Kleider, die nach Meer und Schweiá riechen, er schaut sich um und sieht die anderen Flchtlinge, die wie er nunmehr ohne Worte, ohne Gewissheiten sind. Er schaut sich um und sieht die Polizisten, den Mann, der ihn gerade photographiert, die sizilianische Kste, von der er bis vor kurzem frchtete, sie nicht mehr zu erreichen. Er hat einen klebrigen Geschmack im Mund. Wer weiá, wo er heute Nacht schlafen wird, ob er essen, trinken und telefonieren k”nnen wird. Wer weiá, wann er sich wieder waschen kann, ob sie ihm neue Kleider geben, ob sie ihn nach Hause zurckschicken werden. Ivano ”ffnet mit einem Mal die Augen. Er bemerkt den eingeschalteten Fernseher, kontrolliert die Uhrzeit auf dem Videotext. Sechs. Er steht auf, duscht und zndet sich eine Zigarette an.(?) In sieben Stunden wird er wieder vor denselben Leuten singen wie gestern Abend. Baglioni, Cocciante, Battista, Ron, Pino Daniele. Er wird dieselben Lieder singen, auf dieselbe Weise, und er wird denselben Applaus bekommen. MUSIK von Giacomo Sferlazza MOD Der Musiker und Knstler Giacomo Sferlazza hat genug vom Leben auf Lampedusa. Er hat genug von den Versprechen der italienischen Regierung. Nicht nur er hat das Gefhl, dass eine verfehlte Einwanderungspolitik auf dem Rcken der Inselbewohner ausgetragen wird. Dabei steht die r”mische Regierung unter Zugzwang. Schlieálich hat Ministerpr„sident Berlusconi vor seiner Wiederwahl versprochen, das Flchtlingsproblem ein fr allemal zu l”sen, wie er sagte ? und damit ein Wahlversprechen abgegeben, an dem er gemessen werden wird. Sein Innenminister Roberto Maroni setzt auf Abschottung und Abschreckung: Wurden bis vor kurzem die Boat-People nach kurzer Internierung noch auf freien Fuá gesetzt, entstehen nun weitere Lager ? von hier aus sollen Flchtlinge abgeschoben und direkt in ihre Heimatstaaten zurckgebracht werden. Nach dem Motto ?Aus den Augen aus dem Sinn?. Doch diese Rechnung geht nicht auf, und Anfang des Jahres eskalierte die Lage. Erst demonstrierten die Flchtlinge, dann die Einwohner ? es kam zu Unruhen. 4. Reportage ?Giacomo Sferlazza ? Der Knstler? ATMO Proteste/Lied von der Freiheit Spr.: Auf der kleinen Piazza gegenber vom Rathaus haben die Brger von Lampedusa wochenlang in feurigen Reden gegen die Pl„ne der r”mischen Regierung protestiert, die auf der kleinen Insel ein zweites Immigrantenlager einrichten will. Der Aufstand der Inselbewohner machte damals weithin Schlagzeilen. Inzwischen ist er abgeflaut, das Zelt der Brgerbewegung wurde abgebaut und man bereitet sich auf die Urlaubssaison vor. Nur wenige Meter vom Zentrum des einstigen Massenprotestes entfernt liegt eine kleine Rosticceria, eine Garkche. Vor dem Eingang auf dem erh”hten Brgersteig zwei Plastiktische, drinnen auf der rechten Seite eine Theke mit Piazzaofen und einem Grill, hinter dessen feuerfesten Scheiben sich triefende Brathhner drehen. Giacomo, der junge Mann hinter der Theke, wischt sich die H„nde an der weiáen Schrze ab. ZUSPIELUNG šS m„nnl Tja, ich muss noch eine Weile arbeiten. Was ich hier tue? Ich bediene die G„ste, bringen ihnen die Hhner, mache hinterher sauber. Das ist alles. Im Sommer kommen viele Touristen, aber auch im Winter ist immer was los. Das mache ich, weil ich von etwas Leben muá, ich habe eine Familie, zwei kleine Kinder mit zwei und vier Jahren. Ich will mein Geld wenigstens ehrlich verdienen. 1.Spr.: Giacomo Sferlazza ist ungeduldig. Es wieder mal elf Uhr abends, ihm dauert es viel zu lange, bis die letzten G„ste endlich gegangen sind. Vor Mitternacht kommt er selten nach Hause, aber dann beginnt seine wirkliche Arbeit. Und er vergisst augenblicklich die fetttriefenden Hhner, die ihm sein bescheidenes Einkommen garantieren. ZUSPIELUNG šS Ich bin ein Knstler. Ich male, ich schreibe und ich spiele Gitarre. Und mein Wunschtraum ist es, irgendwann mal von meiner Musik leben zu k”nnen. In Lampedusa ist das aber extrem schwierig. Ich werde Lampedusa und Italien verlassen mssen, wenn ich meine Pl„ne verwirklichen will. Italien ist ein wundersch”nes Land. Aber die Politik und Gesellschaftssystem gefallen mir einfach nicht. Wie die Dinge hier ablaufen, das ist nichts fr mich. Ich muss mich wahnsinnig anstrengen, um es hier auszuhalten und habe dauernd Konflikte mit dem System. Wir wollen nach London gehen. Auch dort werde ich Verh„ltnisse vorfinden, die mir nicht unbedingt gefallen, denn ich bin ein sehr kritischer Mensch. Ab er verglichen mit dem, was hier im Sden Italiens abl„uft - also entweder man passt sich an und verschlieát die Augen oder man leidet darunter. Mir geht es hier nicht gut. Die Vetternwirtschaft, die Schwarzarbeit, der mangelnde Spielraum fr junge Leute, sich ihr eigenes Leben aufzubauen. All das deprimiert Giacomo. Er schreibt gesellschaftskritische Songs, die in der kleinen, vom Konsum und Touristenboom der letzten 10 Jahre gepr„gten Gemeinschaft auf Lampedusa kaum Interesse finden, auch wenn sie intelligent sind, den Nagel auf den Kopf treffen und mit Leidenschaft vorgetragen werden. Immerhin bekamen die Lampedusaner w„hrend der Tage des Protestes auf der Piazza immer wieder ein Lied zu h”ren, das Giacomo in aller Eile geschrieben hatte, als sich den verzweifelten Insassen im Aufnahmelager die Tore ”ffneten und sie sich mit den Inselbewohnern verbrderten. ?Lampedusa 24.1.2009?, hat Giacomo seine Hymne an die Freiheit genannt. ZUSPIELUNG Lied darber ZUSPIELUNG šS Dieses Lied habe ich am 25.Januar nachts, nach meiner Arbeit, geschrieben, am Tag zuvor hat auf Lampedusa ein historisches Ereignis stattgefunden. Fr mich kaum fassbar. Die Immigranten, die im Lager eingeschlossen waren, wurden mit einem Mal freigelassen , meiner Meinung nach von der Polizei. Die Regierung hatte wohl gehofft, dass es dadurch einen Konflikt mit den Bewohnern von Lampedusa geben wrde. Ich glaube fest daran, dass es so war. Aber es kam kam es ganz anders: Die Immigranten sind aus dem Lager gelaufen und haben sich unserem Protest mit dem Ruf ?Freiheit, Freiheit? kurzerhand angeschlossen. Ein Wort, dass inzwischen leider von jedermann missbraucht wird, ein Schlsselwort, vor allem unserer Politiker. Giacomo wohnt bei den Schwiegereltern und sein Fernseher ist schon ziemlich alt. Er tr„umt wie viele vor ihm von einer besseren Welt. Und wie viele vor ihm muá er sie sich fern seiner Insel suchen. Fr seine jngste Tochter hat Giacomo ein Gedicht geschrieben, vom Wind der Insel Lampedusa, der sich frei bewegt? ZUSPIELUNG Gedicht Wind Lorenza: warte bis der Wind sich gelegt hat H”re doch die Litanei des Windes sie tastet sich vor wie die Hand, die in einem Kleid nach einem Sinn sucht und jedes Mal entt„uscht wird. Die B„ume strecken ihre Žste in die H”he tanzend, einer Spur folgend, ein Stck Papier fliegt auf und in eine Straáe, die nicht die meine ist. Die Haare der unbeweglichen Frauen l”sen sich Tr„nen in den Augen, die die Schatten jenseits des Abends betrachten. W„hrend die Luft sich beruhigt werde ich wachsam Die Dinge lernen zu lachen und Harmonie macht sich breit. Fremdartige Figuren bekleideter Luft , schau wie der Wind sie tr„gt. Leicht fliegen sie in die H”he Weiáe Flecken aus Poesie breiten ihre Flgel aus. Die W„sche reiát sich los von den Leinen auf den D„chern und die Luft fllt sich mit mir unbekannter Energie. W„hrend die Luft sich beruhigt werde ich wachsam. Die Dinge lernen zu lachen und Harmonie macht sich breit. MUSIK MOD Neben Spanien, Malta und Griechenland geh”rt Italien zu den Staaten, die am meisten und am unmittelbarsten von der Wanderung nach Europa betroffen sind. Weil es bis heute keine Quotenregelung gibt, fhlen sich die L„nder an den sdlichen Auáengrenzen von den Mitgliedsstaaten der Europ„ischen Union allein gelassen. Und setzen nun auf Einzelabsprachen mit den Herkunftsl„ndern. Im Fall Italiens ist das ein Abkommen mit Libyen, ein sogenannter Freundschaftsvertrag. Er regelt unter anderem gemeinsame Patrouillenfahrten auf dem Mittelmeer. Von Mitte Mai an wollen die italienischen und libyschen Kstenwachen Flchtlinge aufspren, um sie dann direkt in libysche Auffanglager zurckzuschicken. Ohne jede M”glichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Hilfsorganisationen warnen vor einem Ausverkauf der europ„ischen Menschenrechtsstandards ? die bilateralen Abkommen zielten lediglich darauf ab, die Flchtlingsproblematik auf die afrikanischen Partnerl„nder abzuw„lzen. Tats„chlich erkl„rte Libyens Staatschef Ghadaffi bereits, er habe keine Lust fr Europa den Polizisten zu spielen, um sich dann aber den Partnerschaftsvertrag teuer bezahlen zu lassen: 5 Milliarden Dollar berweist Italien zun„chst nach Libyen, in der ungewissen Hoffnung, dass Tripolis auch tats„chlich seinen Verpflichtungen nachkommt. Der schwedische Schriftsteller Henning Mankell hat es einmal so ausgedrckt: ?Das Zentrum Europas ist nicht Brssel, Paris oder London. Es ist die kleine Insel Lampedusa, auf der jeden Tag die Leichen Schiffbrchiger angeschwemmt werden. In diesem Horrorbild konkretisiert sich Europa als abweisende Festung, die noch nicht begriffen hat, dass sie diese Menschen dringend braucht.? Zitat Ende. Schauplatz Lampedusa: 5. Reportage ?Padre Vincenti ? Der Priester aus Afrika? Atmo Vaterunser 1.Spr.: Das Haus riecht noch nach Farbe. Es liegt am nord”stlichen Ende der kleinen Insel und die Hausfrau Rosaria ist stolz auf den Blick aus dem, Wohnzimmerfenster zur Westspitze, wo grade die Sonne tiefrot untergeht. Morgen will sie mit ihrer Familie einziehen, aber vorher musste dringend der Geistliche kommen, um Rosarias neues Eigenheim zu segnen. Atmo hoch darber 1.Spr.: Zugegeben, es ist ein besonderer Priester, aber gerade deshalb hat Rosaria Padre Vincenti bevorzugt, obwohl er nur der Stellvertreter des Gemeindevorstehers ist. ZUSPIELUNG šS Er ist der beste den wir je hatten. Er ist einfach zu herzig. Ein Immigranten ist ein Mensch wie du und ich. Er kann doch nichts dafr, dass er dort geboren wurde, wo Hunger herrscht. Deshalb muá man ihn doch trotzdem wie ein menschliches Wesen behandeln. Im Gegenteil er ist mir sogar noch lieber als die andern Priester, so mit seiner Hautfarbe, man wrde ihn am liebsten herzen und drcken. Er ist ja so was von lieb. Padre Vincenti ist gut zwei Zentner schwer, hat einen groáen, runden Kopf, eine randlose Brille und wirkt tats„chlich ausgesprochen gemtlich. Die Einheimischen nennen ihn Vinzenz, den Nachnamen Mwagala k”nnen sie sowieso nicht aussprechen. Dass er aus der Provinz Mufindi in Tansania stammt st”rt sie ebenso wenig, wie die Tatsache, dass seine Haut tiefschwarz ist. Und auch Vincenti selbst sch„mt sich seiner Herkunft nicht im Geringsten: ZUSPIELUNG šS Mein Vater starb, als ich noch ganz klein war, ich habe ihn nie kennen gelernt. Meine Mutter war oft kr„nklich und deshalb bin ich bei meiner Groámutter aufgewachsen. Ein ganz typisch afrikanisches Schicksal, ein Leben, und das sag ich ohne jede Scham, in tiefer Armut. Manchmal kam ich von der Schule nach Hause und wusste nicht ob ich etwas Richtiges zu Essen bekam oder nur ein Glas Wasser und eine Kartoffel, bevor ich wieder in die Schule musste. 1.Spr.: Vielleicht w„re Don Vincenti heute auch einer von den Boat People, die ohne Unterlass in Lampedusa ankommen, h„tte er sich nicht entschlossen, Priester zu werden. Die werden in Europa dringend gebraucht. Und so konnte er ohne Probleme einreisen. Aber in seinem Herzen ist Vincenti Afrikaner geblieben. Vor allem, wenn er ins Flchtlingslager geht und den Neuank”mmlingen aus Afrika geistlichen Beistand leistet. ZUSPIELUNG šS Der Schmerz, den ich in ihren Augen sehe, ist derselbe, den auch ich verspre. Ich kann mich nicht von ihnen distanzieren, so als w„re ich etwas anderes als sie. Wenn ich die Flchtlinge sehe, dann kommt mir immer wieder unser Afrika in den Sinn, das ber Jahrhunderte hinweg erst den Kolonialismus erdulden musste und heute unter einem Neokolonialismus leidet. Und ich sehe das grausame Spiel der M„chtigen dieser Erde, die so tun, als w„ren sie mit Afrika solidarisch. Und dabei wollen sie sich nur die Rohstoffquellen fr ihre Industrien sichern. Was mich besonders schmerzt, sind die jungen M„nner zwsichen 18 und 25, die aus der Not fliehen. Mit ihnen verl„sst die junge Generation den Kontinent Afrika. Sie w„ren eigentlich die Zukunft Afrikas. H„tten sie nur die Chance, zuhause zu arbeiten und sich eine Zukunft zu schaffen, dann w„re das ein Segen fr den gesamten Kontinent. 1.Spr.: Den Inselbewohnern, die immer wieder fragen, warum junge Leute aus Afrika nach Europa wollen, ohne eine gesicherte Arbeit und ganz auf sich alleine gestellt, erkl„rt Padre Vincenti geduldig die Grnde fr die Massenflucht: ZUSPIELUNG šS Auch wir Priester versuchen den jungen Leuten in Afrika zu erkl„ren, sie sollten sich nicht t„uschen lassen, sie wrden kein Glck haben in Europa. Aber gleichzeitig sehen die Jugendlichen im Internet all die Werbung, die eine Flle von Luxus verspricht. Da gibt es Pillen, mit denen man gesundheitliche und zwischenmenschliche Probleme l”sen kann. Auch wenn ich weiá, dass das alles nicht stimmt - man h„lt mich als Priester doch nur fr einen Lgner. Die Werbung verspricht das Gegenteil. Die Welt von heute steht auf dem Kopf. Atmo Haussegnung 1.Spr.: Padre Vincenti ”ffnet die silberne Ampulle mit dem Weihwasser und besprengt neue M”bel, die Einbaukche, das Ehebett, an dem noch das Kopfteil fehlt, die Couchgarnitur, die noch in Plastik verpackt ist. Signora Rosaria bietet selbstgebackene Pl„tzchen an, Don Vincenti lehnt dankend ab, er muá zurck in Pfarrei, wo ein Neugeborenes auf die Taufe wartet. Gutgelaunt verabschiedet er sich. ZUSPIELUNG, ohne šS Der Afrikaner in Lampedusa versucht zu verstehen wie die Europ„er leben. Er nimmt den oft unsinnigen Luxus, mit dem sich die Inselbewohner heute in ihren H„usern umgeben, als unvermeidlich hin. Es bedeutet ihm nichts, wenn er als bitterarmer Afrikaner riesige Flachbildschirme taufen und Hydromassagebadewannen segnen muss. Er akzeptiert den Lebensstil seiner Gemeindemitglieder. Hauptsache, sie sehen ihn auch als Afrikaner, der inzwischen beide Welten in sich vereinigt und nicht mde wird, seinen Gl„ubigen die Armut begreiflich zu machen, die seine Brder zuhause in Richtung Lampedusa treibt: ZUSPIELUNG Wenn ich ein normales Leben fhren kann, berlege ich es mir doch zweimal, ob ich das leichtfertig fr einen Traum von einer besseren Welt aufgeben soll. Aber wenn ich in tiefer Not lebe und w„hlen muá zwischen 50 Prozent šberlebenschancen, wenn ich bleibe, und 50 Prozent, wenn ich mich auf den Weg mache, dann ich habe ich doch eigentlich keine Wahl. Das Grundproblem ist und bleibt die Armut. MUSIK MOD Die Kreuzung im Mittelmeer ? Das waren Gesichter Europas ber Lampedusas Einheimische und die Flchtlinge. Mit Reportagen von Karl Hoffmann. Die Literatur entnahmen wir dem Band ?Sizilien und Palermo ? Eine literarische Einladung?, erschienen im Verlag Klaus Wagenbach. Gelesen hat sie Michael Hseyin Cirpici. Die Musik hat Babette Michel ausgew„hlt, am Mikrofon war Katrin Michaelsen. 22