DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 17.07.2007 Redaktion: Marcus Heumann 19.15 - 20.00 Uhr "Dr. Anders und seine Stechmücke" Das Traumpaar nationalsozialistischer Rundfunkpropaganda. Von Christian Blees URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-TON MILDRED GILLARS: This is Berlin calling. Berlin calling the american mothers, wifes and (unverständlich), and I just like to say, girls, that when Berlin calls, it pays to listen. O-TON JOSEPH GOEBBELS: Auch in den Lebensraum fremder Völker dringt der Rundfunk ein. So werden ständige Sendungen in englischer, portugiesischer, spanischer und holländischer Sprache veranstaltet. Über die Ätherwellen wird die systematische Pressehetze gewisser Zeitungen gegen Deutschland unschädlich gemacht. O-TON OTTO KOISCHWITZ: The world today is divided into two camps. On the one side bolschwism. On the other the defenders of civilisation. Why is America still in the wrong camp? O-TON DEUTSCHE NACHRICHTEN: (Gong) 22 Uhr und zwei Minuten. Der Kampf am Atlantik. In der vergangenen Nacht hat der Feind seinen seit langem vorbereiteten und von uns erwarteten Angriff auf Westeuropa begonnen. Rasch kamen überall die deutschen Gegenschläge. O-TON OTTO KOISCHWITZ: The human tragedy is overwhelming. The sight of the dead, burned by explosion, or (unverständlich) by thread-nails, or blown to pieces by mines, drowned and floating in the grey waters of the channel, the sound of screams, rising from the beaches where the wounded lie helpless among the bodies of their comrades - this is what makes the deepest impression upon all eye and ear witnesses. ERZÄHLER: Der Mann, der sich in englischer Sprache über das Radio an die Angehörigen der gegnerischen Soldaten wendet, ist ein Deutscher. Er heißt Otto Koischwitz. Mit drastischen Worten beschreibt Koischwitz die schrecklichen Szenen, die er wenige Tage zuvor am Atlantikstrand angeblich selbst beobachtet hat. Seine Rolle beschränkt sich aber nicht auf die eines gewöhnlichen Radio-Kommentators. Otto Koischwitz ist auch Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt, und als solcher für alle Rundfunksendungen verantwortlich, die auf Englisch per Kurzwelle in die USA abgestrahlt werden. In dieser Funktion hat er auch dafür gesorgt, eine gebürtige US- Amerikanerin, Mildred Gillars, zur Protagonistin der eigenen Propagandaarbeit zu machen. Kein Wunder also, dass Otto Koischwitz in den Vereinigten Staaten zu den am meisten gehassten Radio-Persönlichkeiten gehört. Besonders pikant daran: Mit seinen Sendungen zieht Koischwitz gegen das Land zu Felde, in dem er vor nicht allzu langer Zeit selbst 15 Jahre lang gelebt und Karriere gemacht hat. ATMO: MUSIK ANSAGER: Dr. Anders und seine Stechmücke. Das Traumpaar nationalsozialistischer Rundfunkpropaganda. Ein Feature von Christian Blees. ATMO: DAMPFER-TUTEN ZITATOR OTTO KOISCHWITZ: An Bord des Dampfers "Lützow", am 16. September 1927. Liebe Eltern und Brüder, morgen kommen wir in New York an. Die Fahrt auf der Lützow war ziemlich bewegt, tagelang hat der Dampfer geschaukelt wie ein Ruderboot in den Wellen einer Sturmflut. Aber es hat mir gerade deshalb viel Spaß gemacht. Seekrank bin ich nicht geworden. Wenn wir nach New York kommen, müssen wir eine Menge auspacken, und in zwei Wochen kommt noch eine große Möbelkiste an, mit viel Wäsche und Küchenzeug. ERZÄHLER: Als der Dampfer "Lützow" am 17. September 1927 in New York City anlegt, scheint der Literaturwissenschaftler Otto Koischwitz am Ziel seiner Träume angekommen zu sein. Das Hunter College im Stadtteil Manhattan hat dem 25-Jährigen zum neuen Semester eine Stelle als Assistenzprofessor in Aussicht gestellt. Schon 1924 war er von Berlin nach New York gereist. Seitdem hat er sich als Staubsaugervertreter, Privatlehrer und Gelegenheitsdozent durchgeschlagen. Insofern kommt ihm das Angebot, demnächst als Deutsch-Professor am Hunter College anzufangen, wie gerufen. Patricia Woodard arbeitet heute als Bibliothekarin am Hunter College. Sie hat sich ausführlich mit der Karriere des Otto Koischwitz am German Department ihrer Universität beschäftigt. O-TON PATRICIA WOODARD: He taught... VOICE OVER: Er hat vor allem Literatur unterrichtet, in erster Linie moderne Romane und deutsches Theater. Nach allem, was ich über ihn erfahren habe, war er sehr charismatisch. Die Studentinnen hingen an seinen Lippen, weil er über alle möglichen Themen gesprochen hat, die irgend einen Bezug zur Literatur hatten - egal, ob Musik, Philosophie oder Geschichte. Er war der Meinung, um eine Sprache richtig lernen zu können, müsse man die gesamte Kultur des entsprechenden Volkes verstehen. ... And he also believed that one had to understand a whole culture of a people in order to learn their language. ERZÄHLER: Als Otto Koischwitz Anfang 1928 seine Stelle als Assistenzprofessor antritt, macht er sich voller Ehrgeiz an die Arbeit. Dabei kommt ihm zugute, dass er nicht nur ein Theaterliebhaber ist, sondern auch ein begnadeter Redner. So ähneln seine eigenen Vorträge weniger trockenen Universitätsseminaren als gekonnt inszenierten Theaterauftritten. Das spricht sich schnell herum, und darum tauchen in den Vorlesungen im Laufe der Zeit auch immer mehr Studentinnen auf, die sich eigentlich gar nicht für das Fach "Deutsche Literatur" eingeschrieben haben. Doch fern der Heimat scheint sich Otto Koischwitz bei aller Popularität nicht so richtig wohl zu fühlen. In einem Brief vom Mai 1928 schreibt er an den Vater: ZITATOR OTTO KOISCHWITZ: Abgesehen von übler Nachrede und giftigem Neid, von dem ich durch weit verbreiteten Klatsch unterrichtet werde, habe ich über nichts zu klagen. Nur dass ich lieber heute als morgen nach Deutschland ginge und dieses im tiefsten Grunde doch trostlos trostlose Land verlassen. Man hält es letzten Endes nur aus, ja liebt es vielleicht, weil es so reich an Überraschungen und Sensationen für das eigene Leben ist, also in jedem Augenblick interessant, nachher aber ohne Erinnerung und leer. ERZÄHLER: Schon seit September 1927 ist Otto Koischwitz mit Beatrice verheiratet - eine Schweizerin, die er in New York kennen gelernt hat. Mit ihr fährt er Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre in den Semesterferien immer wieder nach Deutschland, und nur allzu gerne würde zumindest Otto Koischwitz sogar für immer dorthin zurückkehren. Aber die unsichere wirtschaftliche Lage,die dort herrscht, hält ihn davon ab. Hinzu kommt, dass Beatrice 1930 Zwillinge zur Welt bringt. Die beiden Mädchen sind bereits die Töchter Nummer zwei und drei. Um seine Frau und die Kinder ernähren zu können, bleibt Otto Koischwitz nichts anderes übrig, als weiter in New York zu bleiben. Als einige Zeit später die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht ergreifen, wird die Kolonie deutscher Emigranten in New York immer größer. Am 20. Dezember 1933 schreibt Otto Koischwitz einen Brief an Friedrich Possekel, dem Direktor der deutschen Buchgemeinschaft in Berlin. Darin heißt es: ZITATOR: Ich bin jetzt öfters mit George Grosz zusammen. Er lebt vom Unterricht für reiche Nichtstuer und ihre Frauen und Töchter. Heinrich Mann ist Literaturprofessor in Princeton, wo die Söhne des amerikanischen Großkapitals der Schwerindustrie und Hochfinanz studieren. Albert Einstein gibt Violinkonzerte. 25 Dollar der billigste Platz. Es ist viel unfreiwillige Komik in der Tragödie. ERZÄHLER: Koischwitz selbst hat sich inzwischen auch in der Fachwelt einen hervorragenden Ruf als Deutsch-Professor erarbeiten können. Immer wieder wird er von Universitäten im ganzen Land eingeladen, um Vorträge über die deutsche Kultur zu halten. Was dabei zunächst kaum jemandem auffällt: Die Inhalte seiner Vorlesungen beginnen sich im Laufe der Zeit zu ändern. O-TON PATRICIA WOODARD: It's very difficult to judge when his sympathies with the national socialist program began to show themselves ... VOICE OVER: Es ist schwer zu sagen, wann sich seine Sympathien für die Nazis zum ersten Mal gezeigt haben. Offenbar haben Studenten ab 1934 zum ersten Mal mitbekommen, dass Koischwitz ziemlich begeistert von der nationalsozialistischen Weltanschauung war - vor allem, wenn es um das Wiedererstarken der deutschen Mythologie oder der Dichtkunst ging, wie zum Beispiel den Ring der Nibelungen. Er glaubte auch an das "neue Deutschland", das die Nazis versprochen hatten. ... He also believed in the kind of the "New Germany" that the Nazis said they could bring. ERZÄHLER: Von seinen Vorlesungen abgesehen, tritt Otto Koischwitz bis Mitte der dreißiger Jahre vor allem als Autor von Aufsätzen zur deutschen Literaturgeschichte in Erscheinung. Eine von ihm verfasste Deutsch-Fibel wird an US-amerikanischen Schulen schon bald als Standard-Lehrbuch verwendet. Im März 1935 bekommt er neben seinem deutschen auch einen amerikanischen Pass ausgestellt. Etwa zur selben Zeit beginnt er, in seinen wissenschaftlichen Publikationen unterschwellig immer mehr anti-amerikanische Töne anzuschlagen. So zum Beispiel in dem Buch "Ein Deutsch-Amerikaner interpretiert Deutschland?, das von einem seiner Kollegen kurz darauf als "ein bösartiges Stück Nazi-Propaganda" bezeichnet wird. Und in einem Fachartikel für eine Literatur-Zeitschrift stellt Koischwitz einige Zeit später sogar die These auf, die amerikanische Literatur werde zunehmend von jüdischen Autoren unterwandert. Die Meinung der US-Öffentlichkeit über derartige Äußerungen sowie über den Nationalsozialismus im Allgemeinen ist zu dieser Zeit noch geteilt. Viele Amerikaner wissen nicht, was sie von Adolf Hitler halten sollen. So ist man sich auch am Hunter College nicht ganz einig darüber, wie man auf Otto Koischwitz und seine nationalsozialistisch gefärbten Thesen reagieren soll. O-TON PATRICIA WOODARD: It's not so easy to characterize it because different segments of the college population responded differently ... VOICE OVER: Es gab unterschiedliche Reaktionen. Als wegen seiner Vorlesungen die ersten Beschwerden aufkamen, hat die College-Verwaltung Otto Koischwitz zunächst den Rücken gestärkt. Intellektuelle und akademische Freiheit sind an unseren Universitäten seit jeher oberstes Gebot. Die Studentenzeitung am College dagegen reagierte völlig anders. Sie forderte alle Professoren auf, ihre Einstellung zum Faschismus offen darzulegen. Dagegen ist die Verwaltung dann eingeschritten, um eine Konfrontation zu vermeiden. ... The situation was very unpleasant, and finally the college administration intervened to avoid a confrontation. ERZÄHLER: Es häufen sich vor allem Beschwerden, die aus Intellektuellenkreisen außerhalb der Universität an das Hunter College herangetragen werden. Für Otto Koischwitz wird die Situation immer ungemütlicher, und so nimmt er im Juni 1939 erst einmal ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub und fährt zurück nach Deutschland. Dort will er in Ruhe über seine persönliche Zukunft nachdenken. Denn Koischwitz hat das Gefühl, in New York nicht nur politisch auf immer mehr Widerstand zu stoßen. Auch in Bezug auf seine berufliche Karriere kann er für sich am Hunter College keine Perspektive mehr erkennen. So kommt es, dass Otto Koischwitz im Alter von 37 Jahren beschließt, seine Zelte in New York abzubrechen und mit seiner Frau und den drei Töchtern ein für alle Mal nach Deutschland zurückzukehren. O-TON PATRICIA WOODARD: The reasons for that probably lay in his failure to achieve promotion in 1938 ... VOICE OVER: Das hatte wahrscheinlich mit seiner nicht erreichten Beförderung zu tun. Er war sehr enttäuscht und desillusioniert. Er dachte, er hätte alles Menschenmögliche getan. Seine Publikationsliste war prima, seine Lehrtätigkeit überdurchschnittlich, und 1938 war er sogar zum beliebtesten Professor am Hunter College gewählt worden. Insofern scheint die verpasste Beförderung ein echter Wendepunkt gewesen zu sein. ... It seems that his failure to achieve promotion was a real turning point. ZITATOR OTTO KOISCHWITZ: Als ich den Entschluss fest und unwiderruflich gefasst hatte, empfand ich das Gefühl einer gewonnenen Schlacht, den Vorgeschmack der Befreiung aus 15-jähriger Verbannung und Gefangenschaft. In Verfolgung meines Vorhabens unternahm ich sofort Schritte zu meiner Rückbürgerung. Ich ging ins Auswärtige Amt. Man wies mich an den Legionsrat S. Als ich seine Kanzlei betrat, erkannten wir uns wieder. Wir hatten vor Jahren einmal zusammen ein paar Schoppen Bier getrunken. Er kam auf mich zu, und noch ehe ich etwas von meiner Angelegenheit vorbringen konnte, sagte er: "Sie kommen wie gerufen! Wir richten gerade eine Rundfunkabteilung für Auslandspropaganda ein. Sie, als Kenner Amerikas, können uns gleich helfen." ERZÄHLER: Dass die Nationalsozialisten fremdsprachige Rundfunksendungen in die ganze Welt ausstrahlen, ist im Sommer 1939 nichts Neues mehr. Das Auswärtige Amt hat schon fünf Jahre vorher damit begonnen, Kurzwellenprogramme zu produzieren, die auf Spanisch nach Lateinamerika abgestrahlt werden und auf Afrikaans nach Südafrika. Später folgen unter anderem Sendungen für Ost- und Südasien, für Mittelamerika und den Orient. Die politische Bedeutung des Auslandsrundfunks ist nicht zu unterschätzen. Das weiß auch Propagandaminister Joseph Goebbels. O-TON JOSEPH GOEBBELS: Er gibt anderen Ländern und Völkern ein plastisches Bild deutschen Lebens, Denkens und Gestaltens. Er vermittelt ihnen mit dem nie trügenden Ton der menschlichen Stimme Willen und Entschlossenheit des deutschen Volkes und seiner Führung. Der großartige Ausbau des Kurzwellensenders, der jetzt mit seinen Richtstrahlern alle Erdteile erreicht, hat hier wahre Wunder der Verständigung geschaffen. ERZÄHLER: Spätestens mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 nehmen die Inhalte, die die Nationalsozialisten mit ihren fremdsprachigen Programmen verbreiten, an Schärfe zu. Aber auch für die Kriegsgegner, allen voran Großbritannien, gewinnt der Rundfunk als Instrument der Auslandspropaganda schnell an Bedeutung. Schon bald sind die Fronten im Äther ähnlich verhärtet wie auf dem Schlachtfeld. Beide Seiten versuchen, die feindlichen Soldaten, aber auch die Bevölkerung des Gegners, zum Aufgeben zu bewegen. Die Vereinigten Staaten von Amerika verhalten sich, was das Kriegsgeschehen anbelangt, vorerst noch neutral. Das aber hält die Nationalsozialisten keineswegs davon ab, englischsprachige Propagandasendungen ganz bewusst auch über den Atlantik abzusetzen. Diese sollen vor allem dazu beitragen, in den USA Stimmung gegen einen Kriegseintritt zu machen. Der deutsche Botschafter in den USA, Hans Heinrich Dieckhoff, warnt allerdings vor übertriebenem Eifer. ZITATOR: In den USA spielt sich ein Kampf der Geister ab. Auf der einen Seite die Kriegspartei, auf der anderen Seite die Friedenspartei. Sobald wir von Deutschland aus mit Rundfunkreden eingreifen, fallen wir der Friedenspartei in den Rücken und schwächen sie. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass die amerikanische öffentliche Meinung überwiegend gegen Deutschland eingestellt ist. Jede Einmischung von deutscher Seite hat daher nur zur Folge, dass sich alle Amerikaner einheitlich gegen uns wenden, dass wir also, statt die Spaltung zwischen den beiden Lagern zu vertiefen, die beiden Lager gegen uns zusammenschweißen. ERZÄHLER: Im Auswärtigen Amt und im Propagandaministerium nimmt man sich die Warnung des Botschafters zu Herzen. Darum konzentrieren sich die Sendungen, die in Richtung USA abgestrahlt werden, vor allem darauf, all jene zu verunglimpfen, mit denen sich die Nazis bereits im Krieg befinden. Das sind in erster Linie die Briten - mit Winston Churchill an der Spitze. Eines der Programme, die regelmäßig über den britischen Premierminister herziehen, heißt "Fritz and Fred". Darin diskutieren ein Deutscher namens Fritz und ein Amerikaner namens Fred einmal pro Woche die aktuelle politische Weltlage. Außerdem lesen beide aus Briefen vor, die Hörer aus den USA eingeschickt haben. So auch im folgenden Ausschnitt, in dem Fritz erst aus einem empörten Hörerbrief zitiert und dann mit Fred in ironischem Tonfall darüber spekuliert, ob es sich beim Absender vielleicht um das Mitglied eines Frauenclubs handeln könnte. O-TON FRITZ UND FRED: Fritz: We do not concern ourselves with the rights and wrongs of the anglo-french- german dispute, but our circle ... Fred: Oh -it's a circle! Fritz: Yes. Fred: Women, probably. Fritz: Ladies. Fred: A women's club. Fritz: I don't know. Fred: Now - what is this circle concerned with? Fritz: Our circle does get a great deal of fun out of your anti-english broadcasts, directed to North America. Fred: Now - that's exactly what we are here for: we provide the fun and they listen in. Fritz: Yes. ERZÄHLER: Auch die Presse der USA verfolgt das Treiben von Fritz und Fred, aber auch von anderen Radio-Propagandisten der Nazis, sehr aufmerksam. Die Zeitschrift "New Yorker" schreibt im April 1940. ZITATOR: Eine der neuesten Propagandamethoden des Rundfunks sind zurzeit die politischen Kabaretts. Die Nazis haben sich ihrer besonders angenommen und bringen Sendungen in gutem Englisch, in denen Fritz und Fred, Jim und Jonny, Schmidt und Smith vorkommen. Die meisten Witze beziehen sich auf Churchill, ohne den die Nazis längst nicht soviel Material für ihre Sendungen hätten. Fred bemüht sich, die USA dadurch den Alliierten zu entfremden, dass er ihnen erzählt, was für eine schlechte Meinung England von den USA hätte. Fred ist Fred Kaltenbach, der seiner Hörerschaft zu erzählen pflegt, dass er in Iowa geboren ist. ERZÄHLER: Fred Kaltenbach ist tatsächlich gebürtiger US-Amerikaner - und dazu auch noch ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus. Seit Herbst 1939 gehört er zu den Stützen der englischsprachigen nationalsozialistischen Propagandasendungen. Dass es sich bei seinem Gegenüber, Fritz, um niemand anderen als Otto Koischwitz handelt - das scheint im Frühjahr 1940 in den USA noch niemandem aufgefallen zu sein. Koischwitz, der erst vor kurzem endgültig aus New York zurückgekehrt ist, will aber mehr sein als ein bloßer Stichwortgeber für Fred Kaltenbach. Darum hat er schon im Januar 1940 damit begonnen, von Berlin aus seine eigenen politischen Kommentare auf Englisch in Richtung USA abzusetzen. Dafür hat er sich zwei verschiedene Pseudonyme zugelegt. Einen Teil der Beiträge spricht er - auf die Initialen seines richtigen Namens "OK" anspielend - unter der Bezeichnung "Mister Okay", alle anderen unter dem Pseudonym "Dr. Anders". Doch damit nicht genug. Parallel macht sich Otto Koischwitz an die Vorbereitungen für eine so genannte College Hour. Mit dieser 15-minütigen Sendung will der Literaturwissenschaftler seine Vorlesungen über die deutsche Kultur aus seiner Zeit am Hunter College im Radio wieder aufleben lassen. Wie der Name schon andeutet, richtet sich die College Hour gezielt an amerikanische Studenten. Um das Programm in Universitätskreisen entsprechend bekannt zu machen, hofft Koischwitz auf die Unterstützung deutschstämmiger Gelehrter in den USA. Darum schreibt er gleich an mehrere Dutzend Professoren einen Brief. So auch an Hermann Benjamin Almstedt, Professor an der Universität von Missouri. ZITATOR OTTO KOISCHWITZ: Berlin, 20. Mai 1940. Lieber Professor Almstedt, ich möchte Sie nur kurz darüber informieren, dass ich im kommenden Sommersemester eine freie Vortragsreihe für amerikanische Studenten anbiete. Die Vorlesungen werden in englischer Sprache stattfinden und literarische und philosophische Themen zum Inhalt haben. Die gesamte Reihe wird vom deutschen Kurzwellensender übertragen, und zwar jeden Donnerstagabend ab 8 Uhr 45, beginnend am 27. Juni 1940. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Vorlesungen bei Ihren Studenten ankündigen könnten. Herzlichst, Otto Koischwitz. ERZÄHLER: Wie alle nachfolgenden Episoden, kommt auch die Auftaktsendung der "College Hour" akustisch im Gewand einer Universitätsvorlesung daher. Jeweils zu Beginn und am Ende der Sendung läutet eine Art Schulglocke. Dazwischen referiert Koischwitz 15 Minuten lang über unterschiedliche Aspekte deutscher Kultur und Weltanschauung - in der ersten Folge beispielsweise über "Die Gesetze der Evolution". Weil die Sendung offenbar nicht nur von Studenten gehört wird, findet die "College Hour" ihren Niederschlag auch in der amerikanischen Tagespresse - unter anderem in der "New York Post". ZITATOR: Unter dem Anschein des Unpolitischen wurde in dieser Sendung das Weltgeschehen unter dem Thema "Kultur" besprochen. Zum Beispiel ließ Koischwitz einen heftigen Angriff gegen die "britische Barbarei" los, die einen Bombenangriff der Royal Air Force auf Weimar, die Stadt Goethes, zulassen konnte. ERZÄHLER: Die USA sind Mitte 1940 noch weit davon entfernt, selbst in den Krieg einzutreten. Darum sieht die Regierung unter Präsident Franklin D. Roosevelt auch noch keine Veranlassung, auf Programme wie "Fritz and Fred" oder die "College Hour" mit eigenen Propagandasendungen zu antworten. Aber man nimmt zumindest den Rundfunkkrieg zwischen Deutschland und Großbritannien interessiert zur Kenntnis. Genau so, wie die Nazis versuchen, einen Keil zwischen die amerikanische und die britische Öffentlichkeit zu treiben, um die USA vom Kriegseintritt abzuhalten, buhlen die Briten mit ihren eigenen Radiosendungen in der amerikanischen Bevölkerung um militärische Unterstützung. Mit einer akribischen Statistik vergleicht das deutsche Auswärtige Amt regelmäßig den Umfang der eigenen Auslandspropaganda mit der des Feindes. So kommen die Deutschen im Monat August 1940 auf insgesamt 35 Stunden Propaganda-Programm, das in englischer Sprache in Richtung USA ausgestrahlt wird - also gut eine Stunde pro Tag. Auf fast denselben Wert kommen auch die Briten. Heinrich Glasmeier, Generalintendant der Reichsrundfunkgesellschaft, zeigt sich mit der Leistung von Koischwitz & Co. zufrieden. O-TON HEINRICH GLASMEIER: Eines können wir heute schon mit stolzer Freude als Lohn unserer redlichen Arbeit sagen: Wenn Hass und Lüge, Missgunst und Verleumdung sich aufmachen und die Welt einfangen wollten in ein Gespinst, das schließlich uns einschnüren und niederzwingen sollte, dann war es der Rundfunk mit seiner über alle Grenzen tönenden Stimme, der die heilige Wahrheit hinaus rief und die Lüge zerflattern ließ als ein dummes und hohles Nichts. ERZÄHLER: Eine Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes besucht im Herbst 1940 die USA. Ihre Erfahrungen fasst sie anschließend in einem Bericht zusammen. ZITATORIN: Bei einem Besuch in Princeton sagte mir einer der dortigen Professoren, ein in England erzogener Amerikaner englischer Abstammung habe ihm gesagt, er würde sich bald als pro-deutsch bezeichnen müssen, wenn er noch lange die Rundfunksendungen aller kriegsführender Länder anhören müsse. Die deutschen Sendungen seien mit wenigen Ausnahmen frisch, interessant und aufschlussreich, die französischen uninteressant, die englischen ausgesprochen langweilig und ganz offensichtlich von einer überängstlichen Zensur gehemmt. ERZÄHLER Joseph Goebbels lässt sich laufend darüber unterrichten, wie es um die Auslandspropaganda der Kriegsgegner bestellt ist, die nach Deutschland ausgestrahlt wird - auch wenn er in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken sucht, sie sei völlig wirkungslos. O-TON JOSEPH GOEBBELS: Sie wenden sich in ihrer Rundfunkpropaganda an das deutsche Volk und ahnen anscheinend gar nicht, dass ihnen in Deutschland kein Mensch zuhört. Sie könnten ebenso gut in ein leeres Mikrofon hineinsprechen. Es gehört bei uns zu den selbstverständlichen Pflichten jedes Staatsbürgers, der ausländischen Lügenpropaganda kein Gehör zu schenken. Nicht, weil wir sie fürchteten - im Gegenteil: Wir wollten uns sehr gerne mit ihnen auseinandersetzen. Das ist ja das Element, mit dem wir zu leben pflegen. Nein - das nimmt uns zuviel Zeit weg. Wir haben Besseres zu tun, Wichtigeres. ERZÄHLER: Anfang Dezember 1941 überfallen japanische Kampfflieger den amerikanischen Militärstützpunkt Pearl Harbour. Damit ist der Kriegseintritt der USA besiegelt. Otto Koischwitz und seine Kollegen von der Auslands-Propagandaabteilung müssen einsehen, dass ihre bisherigen Bemühungen umsonst gewesen sind. Die Ausrichtung des Programms ändert sich. O-TON MILDRED GILLARS: Reichsrundfunk. You're tuned in to German overseas service in Berlin, broadcasting to North America and that is "Midge at the mike.? ERZÄHLER: Am 11. Dezember 1941, wenige Tage nach dem Kriegseintritt der USA, geht von Berlin aus ein neues, englischsprachiges Propaganda-Programm auf Sendung. Es heißt "Home, sweet home". Die Moderatorin verzichtet darauf, sich ihren Hörern vorzustellen. Mit bürgerlichem Namen heißt sie Mildred Gillars. Mildred Gillars ist 1900 in den USA geboren, dort aufgewachsen und hat an einem College im Bundesstaat Ohio Theaterwissenschaften studiert. Weil sie aber eigentlich Schauspielerin werden will, bricht sie das Studium Anfang der zwanziger Jahre ab und geht nach New York. Sie hofft, dort beim Film Karriere zu machen. Als daraus nichts wird, kehrt Mildred Gillars ihrer Heimat den Rücken und macht sich, in der Hoffnung auf bessere berufliche Perspektiven, auf den Weg nach Europa. Ihre Reise führt sie schließlich nach Berlin, wo sie zunächst als Englischlehrerin an einer Sprachenschule arbeitet, später dann beim deutschen Rundfunk als Ansagerin für englischsprachige Auslandsprogramme. Und in dieser Funktion lernt sie eines Tages Otto Koischwitz kennen. Anneliese Koischwitz, die Frau von Ottos jüngstem Bruder, erinnert sich noch heute an das Charisma, das ihr Schwager Anfang der vierziger Jahre ausgestrahlt hat. O-TON: ANNELIESE KOISCHWITZ: Also, der war ganz anders als mein Mann. Mein Mann war eigentlich mehr bodenständig so, und er war mehr ein Schmaler, Schlanker, so schlank war der, zu den Frauen passte der irgendwie. Der war niemals irgendwie derb. Das war ein eleganter Mann, möchte ich mal sagen. ERZÄHLER: Otto Koischwitz, der schon seit Jahren verheiratet ist und drei kleine Töchter hat, lässt sich mit der blonden, hoch gewachsenen und immer adrett gekleideten Mildred Gillars auf eine Affäre ein. Mildred Gillars ist eher eine unkritische Mitläuferin, und weniger eine überzeugte Anhängerin des Nationalsozialismus. Und doch gelingt es Otto Koischwitz recht schnell, seine heimliche Geliebte vor den eigenen Propaganda- Karren zu spannen. Koischwitz ahnt, dass eine weibliche Stimme über weitaus mehr propagandistische Strahlkraft verfügt als die Organe der männlichen Kollegen - ihn selbst eingeschlossen. Darum sorgt er dafür, dass Mildred Gillars so schnell wie möglich eine eigene Sendung erhält - und nicht nur das: Auf seine Veranlassung hin wird sie für ihr "Home, sweet home"-Programm auch fürstlich bezahlt. Weil Mildred Gillars, abgesehen von ihrer erotischen Mikrofonstimme, in ihrer wöchentlichen Sendung auch immer populäre amerikanische Schlager spielt, genießt sie unter den in Afrika und Europa stationierten GIs schon bald Kultstatus. Dass die unbekannte Schöne zusätzlich auch noch Nazi-Propaganda verbreitet, nehmen die Soldaten in Kauf. O-TON: MILDRED GILLARS: All of you know of course by now that it is a very serious situation and there must be some reason for my being here in Berlin ... VOICE OVER: Der Grund, warum ich hier in Berlin und nicht zuhause in den USA bin, ist der: Ich bin nicht auf der Seite von Präsident Roosevelt und seinen jüdischen und britischen Freunden. Denn ich bin als ein hundertprozentig amerikanisches Mädchen erzogen worden. Und die Feinde sind genau diejenigen, die heutzutage gegen Deutschland kämpfen - und damit indirekt auch gegen Amerika. Eine Niederlage Deutschlands würde auch eine Niederlage Amerikas bedeuten. ... Because a defeat for Germany would mean a defeat for America. ERZÄHLER: Die Texte, die Mildred Gillars spricht, stammen nicht von ihr selbst, sondern von Autoren aus dem Auswärtigen Amt oder dem Propagandaministerium. Und nicht jede Woche wird "Home, sweet home" von Berlin aus ausgestrahlt. Tatkräftig unterstützt durch Otto Koischwitz, sendet Mildred Gillars aus Studios in ganz Europa - je nachdem, wo die Front gerade verläuft. Auf diese Weise können die beiden nicht nur unmittelbarer über das Kriegsgeschehen berichten. Auch fällt es ihnen so leichter, ihre Affäre möglichst unbemerkt fortzusetzen. Von den amerikanischen Soldaten bekommt Mildred Gillars im Laufe der Zeit den Spitznamen "Axis Sally" verliehen, "Sally der Achsenmächte". Sie selbst bezeichnet sich dagegen am Mikrofon als "Midge at the mike", "Stechmücke am Mikrofon" - ein ironischer Verweis darauf, dass sie insgeheim darum bemüht ist, der Kriegsmoral der alliierten Truppen den einen oder anderen Stich zu versetzen. O-TON MILDRED GILLARS: Reichsrundfunk. This is Germany calling. And now we come to our next feature, and that is "midge at the mike?. ATMO: MUSIK ERZÄHLER: Ein amerikanischer Rekrut der 100. Infanterie-Division wird sich Jahrzehnte später sehr genau an Axis Sally und ihre Sendungen erinnern. ZITATOR: Wir waren unter strengster Geheimhaltung an die Front geschickt worden, saßen irgendwo im Dunkeln und lauschten dem Radio eines Zivilfahrzeugs, das in der Nähe stand. Es spielte amerikanische Schlager, und ich dachte: Das ist ja toll, dass sie uns aus den USA oder England mit so was beschallen. Plötzlich hörte die Musik auf, und es kam die Ansage einer Frau mit einer süßen Stimme: "Ich begrüße die Männer der 100. Infanterie-Division in Frankreich und hoffe, Ihr könnt gut da schlafen, wo Ihr gerade seid. Denn Ihr werdet morgen Eure ganze Kraft gebrauchen können." Dann nannte sie den Ort des Dorfes, in dem wir uns befanden. Wir waren ganz schön baff - jeden, sogar Angehörige der eigenen Truppen, hatten wir darüber im Unklaren lassen können, wo genau wir uns aufhalten würden - nur nicht die Lady im Radio, Axis Sally. Wir haben später noch ziemlich oft von ihr gehört, und immer wusste sie ganz genau, wo und gegen wen wir gerade gekämpft haben. ERZÄHLER: Je länger der Krieg andauert, desto aufwändiger fallen die propagandistischen Radiosendungen aus. So erhalten Otto Koischwitz und Mildred Gillars den Auftrag, aus Lagern mit amerikanischen Kriegsgefangenen zu berichten. Diese dürfen im Interview mit Gillars über das Radio an die Angehörigen zuhause Grüße übermitteln - und sollen unbewusst dazu beitragen, die Moral an der Heimatfront zu untergraben. O-TON: MILDRED GILLARS: Hello, America! Hello, all the parents, all those, who love these American boys which whom I am over in a German prison camp in Germany ... VOICE OVER: Hallo, Amerika! Hallo, ihr Eltern und all die anderen, die ihr diese amerikanischen Jungens liebt, mit denen ich hier in einem Kriegsgefangenenlager in Deutschland zusammensitze. Hunderte Jungens warten darauf, euch eine kleine Weihnachtsbotschaft zukommen zu lassen, mit der sie euch sagen wollen, wie sehr sie sich danach sehnen, dass das alles hier bald vorbei ist und sie zu euch zurück können, zu all denen, die sie lieben. ... and to be really way back home under normal and sane circumstances with all those who they love. ERZÄHLER: Im Frühjahr 1944 deuten alle Anzeichen darauf hin, dass die alliierten Streitkräfte von England aus eine Invasion planen. Zwar ahnt auf deutscher Seite niemand, wann und wo genau der Angriff stattfinden soll - dass der so genannte D-Day aber kommen wird, das gilt als sicher. Das weiß auch Otto Koischwitz, und darum wagt er ein ungewöhnliches Experiment. Koischwitz schreibt ein Hörspiel, das die geplante Invasion der Alliierten in Form einer Fiktion vorwegnimmt. Die weibliche Hauptrolle in dem gut zwanzigminütigen Radiostück übernimmt natürlich Mildred Gillars. Ausgestrahlt wird es zum ersten Mal am 11. Mai 1944. O-TON VISION OF INVASION: Mildred Gillars: This is Germany calling. In exchange for our weekly program "Home, sweet home? we are going to present tonight an adventure play, entitled "Vision of invasion?. Sprecher: We now present a special feature program, "Vision of invasion?, produced by the radio players of the German broadcast station in Berlin. "Vision of Invasion?. ERZÄHLER: In der "Vision der Invasion" spielt Mildred Gillars eine verzweifelte amerikanische Mutter, der im Traum ihr Sohn erscheint, um von dem gescheiterten Angriff zu berichten. Der Sohn erzählt, dass sein Schiff dem Untergang geweiht ist. Damit bewahrheitet sich im Verlauf des Hörspiels genau das, was ein Sprecher mit unheilvoller Stimme schon zu Beginn angekündigt hat. Der Buchstabe "D" im Begriff D-Day stehe für Doom and Desaster - für Verhängnis und Desaster. O-TON VISION OF INVASION: Stimme: D-day. D stands for doom - and disaster ... ERZÄHLER: Das Hörspiel "Vision of invasion" wird in den Tagen nach der Ursendung mehrmals wiederholt. Abschreckende Wirkung auf die Angreifer hat es keine. Am 6. Juni 1944 ist der D-Day Wirklichkeit geworden. Und weil die alliierten Truppen schon bald weiter Richtung Osten vorrücken, wird die Lage auch für Otto Koischwitz und Mildred Gillars immer brenzliger. Trotzdem lässt es sich Koischwitz nicht nehmen, über das Radio unaufhörlich zu erwähnen, dass viele alliierte Kampfflieger im angeblichen Terrorkampf gegen die deutsche Zivilbevölkerung abgeschossen wurden oder in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten sind. O-TON: OTTO KOISCHWITZ: In the terror raid directed against the German civilian population hundreds of British and American airmen are being shot down every day. Today and every day at the end of this service we shall give you the names of a few of the American aviators who escaped death and are now prisoners of war in Germany. ERZÄHLER: Am 26. Juli 1944 - wenige Wochen, bevor die Amerikaner die Stadt erobern - spricht Koischwitz von Paris aus seinen letzten überlieferten Rundfunk-Kommentar. Dann reist er zurück nach Berlin - allerdings ohne seine Geliebte. Warum, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Sicher ist nur, dass seine Ehefrau, Beatrice, zu dieser Zeit hochschwanger in einem Berliner Krankenhaus liegt. Wenig später bringt sie dort ihr viertes Kind zur Welt. Aber der Sohn stirbt wenige Stunden nach der Geburt. Ob Otto Koischwitz seine Frau in den Wirren des Krieges noch einmal sieht, bleibt ungeklärt. Am 24. August, nur wenige Tage nach dem Tod ihres vierten Kindes, kommt Beatrice in den Trümmern des Krankenhauses ums Leben. Otto Koischwitz selbst wird von einer alten Lungenkrankheit eingeholt, die ihn schon seit seiner Zeit in New York verfolgt hat. O-TON: ANNELIESE KOISCHWITZ: Und dann war der Otto eben hier ganz alleine und kriegte also wieder seine Lungenkrankheit und musste ins Krankenhaus, und das war dann in Spandau. Und mein Mann hat den Otto dann besucht, aber er hat mir niemals erzählt, was der Otto zu ihm gesagt hat. Was da nun mit der Gillars war und ob sich da mein Mann drum gekümmert hat oder dafür interessiert, das glaube ich nämlich gar nicht. ERZÄHLER: Otto Koischwitz überlebt seine Ehefrau um eine Woche. Am 31. August 1944 erliegt er im Alter von 42 Jahren im Krankenhaus in Berlin-Spandau den Folgen seiner Lungenerkrankung. O-TON ANNELIESE KOISCHWITZ: Der hat ja dann ein Staatsbegräbnis gekriegt. wo diese ganzen Regierungsleute wie Goebbels und so, die sind dann da zu der Beerdigung erschienen. Der hat also schon denen was genützt mit seinen Sendungen nach Amerika rüber, hat denen schon was genützt. ERZÄHLER: Mildred Gillars gelingt es, nach Ende des Krieges rund zwei Jahre lang in Deutschland unterzutauchen. Dann wird sie von amerikanischen Landsleuten entdeckt, in die USA ausgeflogen und später in Washington vor Gericht gestellt. Die Anklage lautet auf Hochverrat. Aus dem Prozessbericht der "New York Times": ZITATOR: Unter einer Flut von Tränen erneuerte Mildred Gillars, bekannt als Axis Sally, ihre Aussage, dass sie trotz ihrer Mitwirkung an Nazi-Radiosendungen niemals dem Feind habe helfen wollen. Im Kreuzverhör sagte sie, sie habe ihren deutschen Befehlsgebern nicht entkommen wollen, um mit Dr. Otto Koischwitz zusammenbleiben zu können, einem inzwischen toten Mitarbeiter des nationalsozialistischen Rundfunks. Mrs. Gillars hatte Koischwitz zuvor bereits als "mein Schicksal" bezeichnet und ausgesagt, sie wäre niemals wegen Verrat vor Gericht gestellt worden, hätte es nicht ihre Liebe zu ihm gegeben. O-TON ANNELIESE KOISCHWITZ: Irgendwie soll die wohl ausgesagt haben vor Gericht, dass sie eben von ihm so fasziniert gewesen wäre, von dem Otto Koischwitz, dass sie eben von dem nicht konnte loslassen. Das finden wir eigentlich ziemlich doof, aber das kann ja sein. ERZÄHLER: Nach knapp zwei Monaten sprechen die Geschworenen ihr Urteil. Mildred Gillars wird nur in einem einzigen Anklagepunkt für schuldig befunden: wegen ihrer Mitwirkung an dem von Otto Koischwitz geschriebenen Hörspiel "Vision of invasion". Die "New York Times" schreibt: ZITATOR: Washington, 25. März 1949. Mildred Gillars wurde heute zu einer Haftstrafe zwischen zehn und dreißig Jahren sowie einer Geldstrafe von 10 000 Dollar verurteilt, weil sie während des Zweiten Weltkriegs an Rundfunk-Propagandasendungen der Nazis mitgewirkt hat. Die Höchststrafe für das Vergehen hätte auf Hinrichtung durch den elektrischen Stuhl lauten können. Das nun verhängte Urteil bedeutet, dass sie bei guter Führung nach zehn Jahren Haft auf Freilassung hoffen kann. Als der vorsitzende Richter das Urteil verkündete, warf die Angeklagte ihren Kopf zurück und verließ den Gerichtssaal mit raschen, kurzen Schritten. Das war das Ende der Karriere einer Frau, die Millionen von amerikanischen Soldaten als Axis Sally kennen gelernt hatten - eine angeblich glamouröse Radiosirene, die versuchte, ihnen Kriegsverdrossenheit und Heimweh zu verkaufen. ERZÄHLER: 1959, nach zehn Jahren Gefängnis, verzichtet Mildred Gillars freiwillig auf eine vorzeitige Entlassung. Sie befürchtet, sich ungeschützt dem Volkszorn auszuliefern. Zwei Jahre später aber wagt sie dann doch den Schritt in die Freiheit. Und der gelingt ihr besser als erwartet. Mildred Gillars kann als Lehrerin an einer römisch- katholischen Schule unterrichten. 1973 kehrt sie an jenes College zurück, das sie Ende der zwanziger Jahre vorzeitig verlassen hatte. Dort will sie endlich ihren lang ersehnten Abschluss nachholen. Der Ehemann einer Absolventin erinnert sich an den Tag, an dem die Abschlusszeugnisse ausgehändigt werden. ZITATOR: Es war für alle ein denkwürdiger Tag - für die jungen, aber erst recht auch für ein paar ältere Absolventen. Eine von ihnen, eine Frau um die siebzig, stand ganz alleine etwas abseits, und meine Frau ging zu ihr herüber, um sich höflich zu erkundigen, warum die Lady in so hohem Alter noch ihren Studienabschluss gemacht hatte. Aber auf die Frage, was sie denn die ganzen Jahre zwischendurch so getrieben hätte, hielt sich die alte Dame bedeckt. "Verschiedene Dinge - ich war viel unterwegs, vor allem in Europa." Das war alles, was sie sagte. Meine Frau wollte nicht weiter nachhaken und ging zurück zu den anderen. Als sie dann am nächsten Tag die Zeitung aufschlug und die Schlagzeile las "Axis Sally holt ihren Studienabschluss nach", da wurde ihr plötzlich bewusst, mit wem sie es zu tun gehabt hatte. ERZÄHLER: Mildred Gillars erliegt am Samstag, dem 25. Juni 1988 im Alter von 87 Jahren einem Krebsleiden. In einem Nachruf schreibt ein ehemaliger Soldat, der im Zweiten Weltkrieg in Europa stationiert gewesen ist: ZITATOR: Wäre sie gleich nach dem Krieg in Europa vor Gericht gestellt worden - und nicht erst 1949 in den USA -, dann hätte sie für ihre Dummheit, sich mit den Nazis einzulassen, wahrscheinlich nur fünf Jahre Haft aufgebrummt bekommen. Und davon hätte man ihr vier Jahre ruhig erlassen können - als kleines Dankeschön für die tollen Sendungen, mit denen sie uns im Krieg bei Laune gehalten hat. ATMO: MUSIK ABSAGE "Dr. Anders und seine Stechmücke" Das Traumpaar nationalsozialistischer Rundfunkpropaganda. Ein Feature von Christian Blees Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks, 2007. Es sprachen: Gerd Wameling, Stefan Kaminski, Marietta Bürger, Karl-Heinz Tafel und Renate Fuhrmann Ton und Technik: Ernst Hartmann und Beate Braun Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Marcus Heumann 22