COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Literatur, 31.7.2007, 19.30 Uhr ?Fleckiges Gold? Verfemt, gefeiert, unbekannt: die italienischen Schriftsteller Curzio Malaparte, Tomasi di Lampedusa und Umberto Saba Von Maike Albath Regie: Musik, Il Gattopardo, Nino Rota, Greatest Hits, Track 9 (zwischendurch hoch kommen lassen) Zitator: Der Fürst stand auf: der Fliesenboden erzitterte unter der Wucht seiner Hünengestalt, in seinen blassblauen Augen spiegelte sich eine Sekunde lang der Stolz über diese trügerische Bestätigung seines Gebietens über Menschen und Paläste. Regie: O-Ton Gioachino Lanza Tomasi (voice over)/ Sprecher 1 (1) Sein Leben war eigentlich ein fortwährender Niedergang. Eine Tragödie. Zitator: Erster (und letzter) eines Geschlechts, das über die Jahrhunderte nie imstande gewesen war, weder die eigenen Ausgaben zu addieren, noch die eigenen Schulden zu subtrahieren, besaß er eine echte Begabung für die Mathematik; Begabung, die er auf die Astronomie angewandt hatte; was ihm gebührende öffentliche Anerkennungen, ja, höchst ergötzliche private Freuden eingetragen hatte. Regie: O-Ton Gioachino Lanza Tomasi (voice over)/ Sprecher 1 (2) Seine Art zu sprechen war genau wie seine Schreibweise sehr leicht, sehr schäumend, gar nicht akademisch. Zitator: In seinem Blut gärten andere, für den sizilianischen Adligen im Jahr 1860 um so unangenehmere Wesenzüge: ein autoritäres Temperament, eine gewisse moralische Strenge, ein Hang zum abstrakten Denken, was sich im verweichlichten habitat der palermitanischen Gesellschaft in verschrobene Überheblichkeit und Verachtung für seine Verwandten und Freunde gekehrt hatte, die sich, seiner Ansicht nach, steuerlos im langsamen pragmatischen sizilianischen Fluss treiben ließen. Regie: O-Ton Gioachino Lanza Tomasi (voice over)/ Sprecher 1 (3) Er war ein Mann, der von selbst nie auch nur einen Schritt unternommen hätte, ein gebrochener Mann, seine Frau hingegen hat immer gekämpft und etwas auf die Beine gestellt. Autorin (auf Musik, dann übergehend in Atmo): Die Rede ist von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, 1896 in Palermo geboren, vollkommen verarmter, letzter Abkömmling eines alteingesessenen sizilianischen Adelsgeschlechts. Mit einer umtriebigen baltischen Prinzessin und Pionierin der Psychoanalyse namens Lissy Wolff Stomersee verheiratet, kultivierte Tomasi di Lampedusa sein Leben lang den Müßiggang, bis er mit Ende fünfzig plötzlich zu schreiben begann und den imposanten Fürsten Don Fabrizio Salina erfand, den Helden seines großartigen Romans Der Leopard. (ATMO) Ich bin bei seinem Adoptivsohn und Cousin Gioachino Lanza Tomasi zu Gast. Der zierliche Herr ist der Intendant des San Carlo, der Oper von Neapel, und die Liebenswürdigkeit in Person. In einem Barocksaal des San Carlo bewirtet er mich mit Kaffee, den er auf den mosaikverzierten Marmorboden tröpfelt und erzählt mir von seinem unglücklichen Verwandten. Regie: Musik (unten einblenden), Nino Rota, Music for film, Il gattopardo, Track 27 Regie: O-Ton Gioachino Lanza Tomasi (voice over)/ Sprecher 1 (4) 1945 ist unsere Familie nach Sizilien zurückgekehrt, ich war damals elf Jahre alt. Mein Vater hat unseren Palazzo restaurieren lassen, und es begann ein glanzvolles mondänes Leben. Tomasi di Lampedusa war unser Cousin. Gemeinsam mit seiner Frau kam er zu unseren Festen, meine Eltern gaben Cocktailparties mit hundert, zweihundert Gästen. Später habe ich ihn dann näher kennen gelernt, weil ich Musik studierte und es in Palermo einen Musikkritiker gab, der regelmäßig Schriftsteller, Komponisten und Musiker, die in Palermo Station machten, nach Hause einlud. (MUSIK) Es waren andere Zeiten, das Leben war einfacher, man war nicht dauernd mit dem Flugzeug von Termin zu Termin unterwegs, und die verschiedenen Sphären waren nicht so strikt getrennt. Jedes Mal, wenn Schriftsteller eintrafen, kam auch Lampedusa. Er war eher still, aber seine wenigen Kommentare waren immer sehr treffend. Wir wurden Freunde und lästerten über unsere Familie, wir neigten beide ein bisschen zur Gehässigkeit. Autorin (auf Musik): In dieser Zeit begleitete Tomasi di Lampedusa seinen Cousin Lucio Piccolo auf einen Schriftstellerkongress nach Norditalien. Lucio verfasste zum Zeitvertreib dann und wann ein Gedicht und sollte jetzt mit einem Preis geehrt werden. Die Preisverleihung war für Tomasi di Lampedusa eine Initialzündung: sein stoffeliger Cousin wird für seine Freizeitgedichte ausgezeichnet, dabei konnte er, Tomasi, doch viel besser schreiben! Innerhalb weniger Monate entwarf er die erste Fassung des Leoparden. Regie: O-Ton Gioachino Lanza Tomasi (voice over)/ Sprecher 1 (5) Das ist schon eine bemerkenswerte Sache, denn er war ein Mann, der in seinem Leben nie auch nur irgendetwas gemacht hatte. Bis der Vater starb, führte er ein würdiges Dasein, er war Einzelkind, wurde vergöttert, seine Eltern gaben ihm Geld, nicht viel, aber schon ein bisschen, so dass er reisen konnte. Später geriet er in ewige Erbstreitigkeiten hinein, fürchterliche Zankereien mit Cousins, Tanten, Onkeln, und nach dem Krieg war er wirklich ruiniert. Aber dann lernten wir uns 1953 kennen, zwei Jahre später kam noch Francesco Orlando hinzu, er fing an, uns private Vorlesungen über Literatur zu halten. Es war seine Frau, die ihn dazu anregte. Denn er hätte nie auch nur einen Schritt unternommen, er war ein gebrochener Mann, Lissy hingegen hat immer gekämpft. Sie besaß viel Kraft, sie sagte, ?Verabrede Dich mit diesen jungen Leuten, sie sind aufgeweckt, sie wollen sich mit Kultur beschäftigen, verbring? Deine Zeit mit ihnen?. Tomasi di Lampedusa begann ein zweites Leben. Er interessierte sich wieder für das, was ihn umgab. Regie: Musik, Nino Rota, Music for films, Track 12 Autorin: Und der melancholische Fürst schaffte es, seine reiche Kultur samt der Erinnerungen in eine ästhetische Form zu bringen. Sein Roman Der Leopard setzt 1860 auf Sizilien ein. Garibaldi hatte mit seinen Freischärlern die Bourbonen in die Flucht geschlagen; die Gründung eines italienischen Königreichs steht kurz bevor. Don Fabrizio Salina kann das alles nicht ernst nehmen, schließlich hat sich seine Familie seit Jahrhunderten mit ausländischen Machthabern arrangiert. Nur sein geliebter Neffe Tancredi begeistert sich für die neuen Ideen und will auch noch die Tochter des mafiosen Verwalters Don Calogero heiraten, was wenige Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre. Regie: Filmausschnitt, übergehend in Filmmusik, Nino Rota, Music for films, Track 26 Autorin (auf Musik): Tancredi ist ein Sendbote der Umwälzungen, und sein Ausspruch, alles müsse sich ändern, damit alles beim Alten bliebe, wurde in Italien zum geflügelten Wort. Gattopardismo nennt man in Anlehnung an den Romantitel das passive Beharren auf den Gegebenheiten bei oberflächlichem Aktionismus. Hellsichtig hat Tomasi di Lampedusa damit ein Prinzip der italienischen Politik formuliert. Zugleich liefert er eine Interpretation des Risorgimento aus sizilianischer Perspektive. 1860 tritt ein neuer Menschenschlag auf den Plan: korrupte Verwalter, die Bauern und Tagelöhner unterdrücken und sich an den landwirtschaftlich desinteressierten Feudalherren bereichern. Leute wie Don Calogero füllen ein gesellschaftliches Vakuum. Eine aufgeklärte, bürgerliche Schicht mit politischen Ambitionen gibt es nicht, die Aristokraten sind voller Standesdünkel und entziehen sich der Verantwortung. Selbst ein kluger Kopf wie der Fürst erliegt dieser Haltung. Er, einst wie sein Wappentier ein stolzer Leopard, ist kaum mehr als eine harmlose Wildkatze, die müde mit der Pranke wedelt. Als ihm der piemontesische Abgesandte Chevalley den Posten eines Senators anträgt, winkt er ab. Zitator: ?In Sizilien ist es nicht von Belang, richtig oder falsch zu handeln: die Sünde, die wir Sizilianer niemals verzeihen, ist schlicht und einfach die, überhaupt `zu handeln´. Wir sind alt, Chevalley, uralt. Seit mindestens fünfundzwanzig Jahrhunderten tragen wir die Last großartiger heterogener Kulturen auf unseren Schultern, alle bereits vollendet und vervollkommnet, keine einzige, in der wir den `Ton´ angegeben haben; wir sind Weiße, wie Sie, Chevalley, und wie die Königin von England; und dennoch sind wir seit zweitausendfünfhundert Jahren Kolonie. Ich sage das nicht, um mich zu beklagen: es ist zum großen Teil unsere Schuld; trotzdem sind wir müde und ausgelaugt.? Regie: O-Ton Gioachino Lanza Tomasi (voice over)/ Sprecher 1 (6) Für den ganzen Süden trifft diese Feststellung bis heute zu. Die Sizilianer verzeihen es nicht, wenn jemand handelt. Man kann die Aussage noch ein bisschen differenzieren: was die Sizilianer nicht verzeihen, ist, wenn andere für sie handeln. Denn hier bei uns steht einfach fest, wer die Macht inne hat. Daher erlaubt man anderen nicht, etwas zu verändern. Gut, auch die Bevölkerung ist dagegen, weil sie grundsätzlich keine Veränderungen erträgt. Aber die normale Bevölkerung zählt bis zu einem gewissen Grade. Es sind die jeweiligen Machthaber, die nicht wollen, dass jemand etwas unternimmt. Unsere süditalienischen Gesellschaften sind allesamt gelähmt. Vielleicht werden ab und zu die Führungskräfte ausgetauscht, aber es gibt keine wirkliche Auseinandersetzung, keine Entwicklung, der jeweilige Machthaber nimmt die Sache in die Hand und lässt sich nichts sagen. Wir liegen hier immerhin auf halber Strecke zum Orient. Im Orient ist es genauso, der Anführer hat seine Truppen, es ist unwesentlich, ob sie ehrlich sind oder nicht, es sind seine, das reicht. Zu handeln, etwas zu tun, gehört sich einfach nicht. Regie: Musikakzent, Nino Rota, Greatest Hits, Il Gattopardo, Track 23 Zitator: ?Lieber Chevalley: die Sizilianer werden nie den Wunsch haben, sich zu verbessern, aus dem einfachen Grund, weil sie glauben, vollkommen zu sein: ihre Eitelkeit ist stärker als ihr Elend; jede fremde Einmischung, sei es wegen der fremden Herkunft, sei es aus Unabhängigkeitsgeist, bringt ihre Träume von einer erreichten Vollkommenheit durcheinander, ja sie könnte ihr selbstzufriedenes Warten auf das Nichts in Frage stellen?. Regie: Musik, Track 23 ab 0?28, kurz hoch und weg Regie: O-Ton Gioachino Lanza Tomasi (voice over)/ Sprecher 1 (7) Noch während Tomasi di Lampedusa an seinem Manuskript arbeitete, las er uns daraus vor. Die Reaktionen waren gar nicht so eindeutig. Die einzigen, die den literarischen Wert des Buches erkannten, waren zwei Ausländerinnen. Die eine war Tomasis Frau Lissy, die andere war meine Mutter, eine Spanierin. Alle anderen, die Sizilianer, haben es eher als eine Anekdotensammlung begriffen. So ein Reigen aus Tratsch und Kaffeehausgeschichten, die sowieso alle kannten. Meine Tante Lucia, die eigentlich eine gewiefte Leserin war, meinte: ?Ach, all? diese Toten, lassen wir sie doch in Frieden ruhen, man darf über sie nicht lästern?, so als wollte sie sagen, ?Diese alten Geschichten haben uns geschmerzt und das Leben schwer gemacht, jetzt kommen sie auch noch in Büchern vor, also nein, basta, es reicht?. Regie: Musik, Nino Rota, Greatest Hits, La dolce vita, Track 1, ab 1?51 (unten einblenden) Autorin: Aber Lissy sollte Recht behalten: als Der Leopard 1958 erscheint, wird er nicht nur in Italien gefeiert, sondern steigt in den Olymp der Weltliteratur auf. Tomasi erlebte den Triumph nicht mehr. Am 23. Juli 1957 war der Fürst einem Krebsleiden erlegen. Er sei ohne jede Bitterkeit gestorben, versichert mir sein Adoptivsohn, voller Zufriedenheit, dass er seinen einzigen Roman habe abschließen können. Gioachino Lanza Tomasi bietet mir noch einen Kaffee an, wir unterhalten uns eine Weile über Palermo, ab und zu weht eine Arie von der Vormittagsprobe durch die geöffneten Fenster. Schließlich verabschiede ich mich, durchquere den labyrinthischen Bau des San Carlo und stehe plötzlich im gleißenden Sonnenlicht auf der Piazza Trento e Trieste, Ecke Via Toledo. (MUSIK) Genau an dieser Stelle hatte Curzio Malaparte, gefeierter Schriftsteller, Salonlöwe und Kriegsreporter des Corriere della Sera, seinen umstrittenen Roman Die Haut beginnen lassen, der von Neapel im Jahre 1943 kurz nach der Befreiung durch die Amerikaner erzählt. Zitator (auf Musik): Gruppen zerlumpter Gassenjungen, vor ihren mit Splittern von Perlmutt, von Seemuscheln und Spiegelscherben überzogenen Holzkästen kniend, trommelten mit den Kanten ihrer Bürsten auf die Kästendeckel, ununterbrochen schreiend: ?Sciuscià! Sciuscià! Shoe-shine! Shoe-shine!? und packten indessen im Fluge mit der fleischlosen, gierigen Hand nach einem Hosenbein der Negersoldaten, die, in den Hüften sich wiegend, vorbeischlenderten. Hässliche, zerlumpte Frauen, mit bemalten Lippen, mit abgezehrten, schminkeverkrusteten Wangen, abscheuerregend und erbarmungswürdig, standen an den Straßenecken und boten den Vorübergehenden ihre traurige Ware feil: Knaben und Mädchen, von acht bis zehn Jahren, denen die Marokkaner, Inder, Algerier, Madagassen prüfend unter die Kleider tasteten oder mit der Hand zwischen die Knöpfe der kleinen Hosen griffen. Die Frauen priesen gellend an: ?Two dollars the boys, three dollars the girls?. Autorin: In seinen grellen Schilderungen klagt Malaparte den moralischen Pestbefall Neapels an und entwirft ein grausiges Panorama des Niedergangs. Malaparte war eine schillernde Gestalt. Ich treffe Francesco Durante, Chefredakteur der Tageszeitung Corriere del Mezzogiorno, Literaturwissenschaftler, Malaparte-Kenner. Der energiegeladene Blattmacher stammt aus Capri, wo sich Malaparte Anfang der vierziger Jahre eine atemberaubende Villa bauen ließ, ein rötliches Gebilde, das wie ein Schiff ins Meer hinaus ragt. Regie: O-Ton Francesco Durante (voice over)/ Sprecher 2 (8) Das Großartige an dem Haus ist seine einsame Lage. In unmittelbarer Umgebung gibt es dort gar nichts, bis heute nicht. Der Bau ist auch nicht sonderlich störend. Vielleicht haben wir uns daran gewöhnt, aber das Haus schmiegt sich an das Kliff von Capo Masullo, es verschmilzt mit der Landschaft, auch wenn die rote Farbe wie ein Signal wirkt. Die große Freitreppe, die vom Boden bis aufs Dach führt mit ihren vielen schmalen Stufen scheint die ansteigende Form der Felsen nachzubilden. Autorin: Zum Ärger seiner Verwandten hinterließ der Schriftsteller seine Villa der Chinesischen Republik Mao Tse-Tungs. Typisch für diesen Mann. Regie: O-Ton Francesco Durante (voice over)/ Sprecher 2 (9) In meinen Augen ist Malaparte ein typischer italienischer Intellektueller der Moderne. Ein Typus, den etwas früher auch D?Annunzio oder Marinetti verkörperten, alle drei Figuren des öffentlichen Lebens. Sie beherrschten die Szene und verdrängten alle anderen, ohne sich dabei sonderlich um die Kohärenz der eigenen Haltung zu scheren. Malaparte war Weggenosse sehr unterschiedlicher Gruppen, eine Zeit lang sah er im ländlich-dörflichen Italien den Kern der Kultur, dann schlug er sich auf die Seite der Futuristen, die das Gegenteil vertraten, dann war er ein glühender Nationalist, schließlich ein überzeugter Faschist und gestorben ist er als Kommunist. Regie: Musik (unten einblenden), Nino Rota, Greatest Hits, La dolce vita, Track 1, ab 2?31 Autorin (auf Musik): Von Frauen verehrt und in sämtlichen Salons zwischen Rom, Stockholm, Berlin und Paris beheimatet, brachte Malaparte frischen Wind nach Italien. Der Kosmopolit verstand sich auf effektvolle Selbstinszenierungen. Oft zog er sich drei Mal am Tag um und reiste nie ohne Manschettenknöpfe und passende Krawatte. Regie: O-Ton Francesco Durante (voice over)/ Sprecher 2 (10) Curzio Malaparte war ganz einfach ein Dandy. Ich besitze ein Foto von ihm, es hängt in meinem Badezimmer auf Capri, ein wunderbares Bild. Er liebte es, sich für ein Foto in Pose zu werfen. Also, auf diesem Bild ist er mit nacktem Oberkörper beim Rasieren zu sehen, irgendwo in Afrika, und vor ihm steht ein eingeborener Soldat in Uniform und hält den Spiegel. Malaparte mit bloßer Brust, seinen schwarzen Haaren und dem Rasiermesser in der Hand, das ist wirklich spektakulär. Er war ein schöner Mann, was er natürlich wusste, und hier erkennt man sein narzisstisches Dandytum. Autorin: Gleichzeitig war er ein gewiefter Schriftsteller und kluger Journalist. In seiner weltweit gefeierten Kriegeschronik Kaputt von 1944 hatte Malaparte eine bedrängende Studie der Physiognomie des Nationalsozialismus geliefert. Auch Die Haut, 1949 erschienen, spart nicht an Drastik. In den schimmeligen Behausungen der neapolitanischen Gassen verhökern die Bewohner ihre Seele und bieten das letzte an, was ihnen geblieben ist: ihre Haut und ihren Körper. Zitator: Das Mädchen warf die Zigarette zu Boden, ergriff mit den Fingerspitzen die Zipfel ihres Kleides und hob es langsam hoch: Zuerst erschienen die Knie, eng von der knappen Seidenhülle der Strümpfe umschlossen, dann die nackte Haut der Schenkel, dann der Schatten des Schamhügels. Sie blieb einen Augenblick in dieser Stellung ? eine traurig stimmende Veronika, mit strenger Miene, den Mund verächtlich halb geöffnet. Dann legte sie sich langsam hintenüber, streckte sich auf dem Bett aus und öffnete ganz ruhig und allmählich die Beine. Wie es das grausig anzusehende Hummerweibchen bei der Liebeswerbung macht, wenn es langsam die Zange seiner Scheren öffnet und das Männchen mit seinen kleinen, runden, schwarz leuchtenden Augen anstarrt und bewegungslos drohend verharrt, so tat das Mädchen, indem es langsam die schwarze und rosige Zange des Fleisches öffnete, so verharrte und die Zuschauer fest anblickte. Regie: Musik, Nino Rota, Greatest Hits, Rocco e i suoi fratelli, Track 5 Regie: O-Ton Francesco Durante (voice over)/ Sprecher 2 (11) In Malapartes Neapel sind die Sitten vollständig verfallen. Die Lage ist paradox. Auf der einen Seite handelt es sich bei den Amerikanern um die erste höfliche Armee, die Neapel je gesehen hat, und Neapel hat schließlich viele Armeen erlebt. Auf der anderen Seite beinhaltet diese Höflichkeit und Humanität dennoch die Zerstörung der Welt, denn am Ende explodiert natürlich alles. Viele der stärksten Momente von Die Haut besitzen diese Symbolik. Am besten wird das in der Tat in der Szene deutlich, in der das neapolitanische Mädchen seine Jungfräulichkeit ausstellt und die Soldaten Schlange stehen, um sie zu sehen. Zitator: Tiefes Schweigen herrschte im Raum. ?She is a virgin. You can touch. Put your finger inside. Only one finger. Try a bit. Don?t be afraid. She doesn?t bite. She is a virgin. A real virgin?, sprach der Mann, seinen Kopf durch den Vorhangspalt ins Zimmer schiebend. Ein Neger streckte die Hand aus und probierte mit dem Finger. Irgendwer lachte, es erschien, als erhebe er Einspruch. Die ?Jungfrau? rührte sich nicht, aber sie warf dem Neger einen hasserfüllten, angstvollen Blick zu. Ich sah mich um: Alle waren bleich, alle waren bleich vor Angst und Hass. ?Yes, she is like a child?, sagte der Neger mit heiserer Stimme und ließ den Finger langsam kreisen. Regie: O-Ton Francesco Durante (voice over)/ Sprecher 2 (12) In dieser Szene gibt es ein doppeltes Register. Neapel verkauft sich, ganz Europa bietet sich feil, aber ? und daran erkennt man das antike Erbe, das Malaparte in sich trägt ? auch wenn sich die Neapolitaner verkaufen, können sie wegen ihrer über tausendjährigen Weisheit ihre Jungfräulichkeit, ihre Reinheit bewahren. Und sei es nur auf oberflächliche Weise. Autorin: Als Die Haut 1949 heraus kam, war man in Neapel entsetzt. Es hagelte Proteste, der Vatikan setzte es auf den Index, Kollegen warfen dem einstigen Starjournalisten seine frühere Nähe zum Faschismus vor. Gekränkt zog sich Malaparte nach Capri zurück. Acht Jahre später stirbt er, am 19. Juli 1957, wenige Tage vor Tomasi di Lampedusa. Eine merkwürdige Überschneidung, denn kurz darauf verliert Italien einen dritten Schriftsteller. Den großen Triestiner Lyriker Umberto Saba, 1883 geboren, auch er lange verkannt. Ein karstiger Typ. Seine Gedichte stehen im schroffen Gegensatz zu allem, was damals Mode war ? keine Spur von symbolisch erhöhter Dunkelheit, keine Spur von sprachschöpferischen Wortspielen. Sabas Texte sind von bezwingender Naivität. Regie: Musik, Einaudi, Eden Roc, ?Ultimi fuochi?, Track 7 Zitator: Ich hab? die ganze Stadt durchquert. Dann bin ich einen Hang emporgestiegen, der unten bewohnt ist, oben verödet, abgeschlossen von niedriger Mauer; ein Winkel ist da, in dem allein ich sitze; und mir scheint, mit ihm endet die Stadt. Autorin (auf Musik): Triest, am äußersten Rand Italiens gelegen, das Erbe Habsburgs wabert durch die Gassen. Ich schlendere über die Piazza Unità, begutachte die Farbe des Meeres, das dunkelblauer zu sein scheint als in Neapel und gehe schließlich in die Via San Nicolò, eine schmale Straße mit ernsten Fassaden. Das Haus Nummer 30 beherbergt das Antiquariat Umberto Saba. Der Laden ist noch heute im Besitz von Mario Cerne, dem Sohn des Kompagnons von Umberto Saba. Regie: O-Ton Mario Cerne (voice over)/ Sprecher 1 (13) 1919 besaß Saba ein Kino, er erfuhr von dem Verkauf dieser Buchhandlung und erwarb sie, eher aus Spaß, er wollte sie eigentlich gleich weiter verscherbeln. Aber dann hat ihm die Sache gefallen, er gab das Kino auf und wurde Buchhändler, es halfen ihm immer irgendwelche Lehrlinge. 1924 kam mein Vater zu ihm, der damals 17 Jahre alt war. Bis 1938 haben sie hier zusammen gearbeitet, mein Vater als Angestellter, Saba als Chef, es gab außerdem einen stillen Teilhaber, den Likörfabrikanten Lionel Stock. Als 1938 die Rassengesetze in Kraft traten, haben Saba, der mütterlicherseits Jude war, und Lionel Stock die Buchhandlung auf dem Papier meinem Vater verkauft, um so ihre Beschlagnahmung zu vermeiden. Saba ging nach Paris, Florenz, dann nach Rom. Als er zurückkam, führten mein Vater und er den Laden gemeinsam, nach Sabas Tod wurde die Tochter Linuccia ausbezahlt, und mein Vater wurde sein Nachfolger, bis ich die Geschäfte übernahm. Regie: O-Ton Saba (verrauschte Aufnahme, als Atmo benutzen) (14) Primavera che a me non piaci, io voglio dire di te che di un strada l?angolo svoltando, il tuo presagio mi feriva come una lama?.. Zitator: Ein düstrer Laden, ein Antiquariat, öffnet sich in Triest auf eine stille Straße. Fleckiges Gold auf alten Bänden ? Wohltuend für das Auge, das über die Regale schweift. In dieser Sphäre lebt, für sich, ein Dichter. Mit den Toten in diesem lebendigen Lapidarium tut er sein Werk, ehrlich und zufrieden, in Gedanken bei der Liebe, unbekannt, allein. Regie: Atmo- Buchhandlung, Gesprächsfetzen, Kassenklingeln Autorin (auf Atmo): Freunde und Kollegen lud Saba ins Hinterzimmer ein, aber auf Kunden war der Antiquar eher schlecht zu sprechen, erzählt Mario Cerne und überreicht mir feierlich ein altes Tonband mit einer Lesung von Saba. Regie: O-Ton Mario Cerne (voice over)/ Sprecher 1 (15) Hier habe ich noch etwas Besonderes. Das ist Sabas handgeschriebenes Manuskript für die Ausgabe von 1945, hier, dieses ist sein schönstes Gedicht, Saba beschreibt Triest, er sagt Triest besäße diese spröde Schönheit.... Triest hat eine spröde Grazie für den, dem es gefällt, wie ein rauer und gieriger Knabe mit blauen Augen und viel zu großen Händen um eine Blume zu verschenken, wie eine eifersüchtige Liebe Regie: Musik, Einaudi, Eden Roc, Track 7, ab 0?51 Autorin (auf Musik): Ich bedanke mich bei dem freundlichen Buchhändler und gehe zum Café San Marco, schon zu Maria Theresias Zeiten ein Treffpunkt der Intellektuellen. Der Germanist, Schriftsteller und Habsburgspezialist Claudio Magris erwartet mich. Mit wedelnden Gesten erinnert er sich an Saba. Regie: O-Ton Magris (voice over)/ Sprecher 2 (16) Ich habe Saba nur ein einziges Mal gesehen. Saba war das, was Nietzsche gern gewesen wäre. Absolut jenseits von Gut und Böse. Er besaß eine unglaubliche Maßlosigkeit. Saba hat die schönsten und die schlechtesten Gedichte des Jahrhunderts geschrieben. Aber er war von einer völligen Amoralität. Wie ein Kind. Ein anderthalb jähriges Kind, dass ein Insekt sieht und es zerquetscht. Saba war ungeheuerlich, er war ein beunruhigender Mensch. Und darin besaß er auch eine Größe. Regie: O-Ton Saba (als Atmo benutzen, unter Autorin weg ziehen) (17) Uomo, la tua sventura è senza fondo. Sei troppo e troppo poco. Con invidia (tu pensi con disprezzo) guardi gli animali, che immuni di riguardi e di pudori, dicono la vita e le sue leggi. (Ne dicono il fondo) Autorin (auf Atmo): Saba war ein Außenseiter, auch in seiner Ästhetik. Die Klarheit des Meeres und die Düsternis der Stadt lagern sich in seinen Gedichten ab. Hinter den alltäglichen Begebenheiten verbergen sich Todesahnungen und seelischer Schmerz. Regie: O-Ton Magris (voice over)/ Sprecher 2 (18) Wenn man an diese Geschichte denkt mit dem kleinen Jungen Federico Almansi, das ist eine furchtbare Sache. Ich meine damit gar nicht die homosexuelle Komponente, sondern dass Saba ihn bei sich wohnen lässt, sich mit den Eltern arrangiert und sich wirklich verliebt, denn er schreibt diese wundervollen Verse, aber gleichzeitig zerstört er ihn, wie eine Katze, die sich auf eine Maus stürzt. Wenn Saba sich verliebte, besaß er etwas Unfassbares, etwas ganz Intensives, er schrieb großartige Dinge und gleichzeitig war er vernichtend. Regie: O-Ton Saba, als Atmo (19) ?guardi gli animali, che immuni di riguardi e di pudori, dicono la vita e le sue leggi. (Ne dicono il fondo) Zitator: Es gibt in Triest eine Straße, in der ich mich spiegle in den langen Tagen verschlossener Trauer: Via del Lazzaretto Vecchio heißt sie. Zwischen Häusern wie Spitälern, uralt und gleich, ein Zug auch, nur einer, von Heiterkeit: das Meer, am Ende der Seitenstraße. Regie: Musik, Einaudi, Eden Roc, ?Giorni dispari?, Track 8, ab 1?28 Autorin (auf Musik): Claudio Magris begleitet mich zur Via del Lazzaretto Vecchio, wo heute eine Tafel an Saba erinnert. Von tiefer Schwermut geplagt, war er am 23. August 1957 gestorben. Seine Gedichte liegen immer noch wie feiner Nebel über den Straßen der Grenzstadt. Eine unsichtbare Linie führt von hier über die Adria und das ionische Meer bis nach Sizilien und von dort nach Neapel. Drei Stimmen erzählen von diesen Orten, drei große Stimmen, die innerhalb eines Sommers verstummen. Umberto Saba, Curzio Malaparte und Tomasi di Lampedusa. Regie: O-Ton Collage, Regie: O-Ton Magris (over voice) Sprecher 2 (20) - Saba schrieb großartige Dinge und war gleichzeitig vernichtend. Regie: O-Ton Durante (voice over)/ Zitator (nur hier) (21) ? In meinen Augen war Malaparte ein typischer italienischer Intellektueller der Moderne. Regie: O-Ton Lanza Tomasi (voice over)/ Sprecher 1 (22) ? Lampedusas Leben war ein fortwährender Niedergang, eine Tragödie. Regie: Musik weg (ev. Collage von Musik einrahmen, dann hoch und weg) 1