COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. DEUTSCHLANDRADIO KULTUR Forschung und Gesellschaft am 17. Dezember 2009 Redaktion: Peter Kirsten Vom Himmel der frühen Menschheit Methoden und Erkenntnisse der Archäoastronomie Von Rolf Cantzen (Musik: Fanfare "Indiana Jones" kurz stehen lassen, dann dem Folgenden unterlegen.) Zitator 1: Der Blick zum Boden wäre für ihn tödlich; der Blick zum Himmel ebenfalls. Nur mit (geradem Blick) nach vorne kann er das Gleichgewicht halten und schafft sein Überleben. Die Rede ist vom Seiltänzer. Was für ihn selbstverständlich ist, muss die deutsche Wissenschaft noch lernen, nämlich zwei völlig unterschiedliche Blickrichtungen unter Fach zu bringen. O-Ton: Zitat IndianaJones (14.30) Ich habe es geschafft. Zitator 1: Mit der Gründung der "Gesellschaft für Archäoastronomie" 2008 in Berlin ist sie allerdings auf gutem Wege. Seit hundert Jahren sind deutsche Archäologen und Astronomen sich meistens aus dem Wege gegangen oder stritten sich heftigst, wenn es um die astrale Deutung von Sakralbauten oder Funden ging. ( ... ) Aber sie ist geglückt. ( ... ) Gemeinsame Früchte gibt es bereits zu bestaunen. (Musik aus) Erzählerin: Unter dem Titel "Den geraden Blick gewinnen" stellt sich die "Gesellschaft für Archäoastronomie" vor. Ihre Ziele unter anderen: Zitator 1: Die interdisziplinäre, wissenschaftliche Forschung in der Archäoastronomie und Ethnoastronomie, sowie damit verbundener Fachgebiete zu fördern. Archäoastronomische Kulturdenkmäler in Deutschland im Sinne der Heimatpflege erfassen und bewahren. Erzählerin: Die Archäologie erfreut sich steigender Beliebtheit. Die Zahl der Archäologie-Studierenden steigt. Bestseller verrühren Mystery und Archäologie. Hollywood machte den Archäologen "Indiana Jones" zum Helden. O-Ton 1: Zitat IndianaJones Das gehört in ein Museum! Erzählerin: Dann gibt es noch die "Himmelscheibe von Nebra". Die von Raubgräbern 1999 ausgegrabene und von Fachleuten aufpolierte Scheibe - mit Sonne, Mond und Sternen - und ihre nicht minder hübschen Nachbildungen machten eine sehr erfolgreiche Tournee durch Deutschland. Was den genauen astronomischen Wert der Scheibe angeht sind sich die Experten nicht einig. Zitator 2: ... ein astronomisches Codesystem ... Zitator 1: ... Protokolliert die Sonnenfinsternis vom 16. April 1699 vor Christus ... Zitator 2: ... eine "Master Disc" geheimen Mysterien-Wissens. Erzählerin: Aufwändige und in ihren Deutungen verblüffende Bücher erschienen ? etwa das des astronomischen Laien Thomas Lorenz: Zitator 1: "Weltwunder Himmelsscheibe. Die Entschlüssellung des Wissens der frühen Menschheit. O-Ton 2: Zitat IndianaJones Du hast es? - Ooooh! Erzählerin: Die Vermarktung ist professionell. Die "Himmelsscheibe" gibt es auf Teller, Tassen, T-Shirts, auf Kalendern und Postkarten, sogar auf Keksen zum Kaffee. Auch die Kooperation von Archäologie und Medien funktionierte prächtig: Fernsehreportagen über die "Astronomie unserer Vorfahren", Diskussionen in Internetforen, Berichte in Zeitungen und Magazinen. Der Hype um die Himmelsscheibe findet seine Ergänzung mit dem "Goldhut", der nach Meinung einiger Archäoastronomen kalendarische Funktionen gehabt haben soll. O-Ton 3: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Der Goldhut ist natürlich wirklich ebenfalls wie die Goldscheibe ein ästhetisch kolossal ansprechendes Gebilde. Man hat das Gefühl, nicht nur vor einem .. schönen Objekt zu stehen, sondern vor einem, das man eigentlich verehren muss. Die Schönheit ist geronnen zu einer solchen Pracht, dass man nur sagen kann: Besser kann es auch heute niemand machen. Und die Pracht ist nicht eine Pracht für sich, nein, sie enthält furchtbar viel Information. Erzählerin: Professor Theodor Schmid-Kaler ist der 1. Vorsitzende der "Gesellschaft für Archäoastronomie". O-Ton4: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Archäoastronomie ist eigentlich die Astronomie unserer Vorfahren ? insbesondere der Vorfahren, die keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben, bezeichnen wir als Archäoastronomie, wo man also aus dem, was an Relikten noch übrig geblieben ist, erschließen muss. Darin liegt zugleich die Schwierigkeit. Der Archäologe findet etwas, es ist hochinteressant. Er ist gespannt, er kann genau sagen, wie das technisch gemacht worden ist, wo die Materialien herstammen. Er macht viele wirklich wundervolle Untersuchungen, aber er weiß nicht, wozu wurde es denn benutzt und wie und was ist herausgekommen. Da setzt der Astronom ein. Ich bin ja von Hause aus Astronom gewesen und der sagt ja, wenn ich den Himmel mit bloßem Auge betrachte, dann sehe ich die und jene Dinge. Das haben die damals auch schon gesehen. Erzählerin: ... doch was die Menschen in schriftlosen Kulturen über Sonnenwenden, Mondumläufe und die Bewegungen der Sterne am nächtlichen Himmel wussten, und ob, wie und wozu sie sich Kenntnisse verschafften, ob sie einen Kalender kannten ? das ist schwer zu ermitteln. Zitator 2: Sind Steinkreise wie die von Stonehenge oder mitteleuropäische Kreisgrabenanlagen Kalender? Enthalten die etwa 37000 Jahre alten Höhlenzeichnungen in Frankreich oder 5500 Jahre alte Kultgegenstände aus dem heutigen Deutschland astronomische Kenntnisse? Erzählerin: Die "Gesellschaft für Archäoastronomie" empfiehlt eine interdisziplinäre Herangehensweise: O-Ton 5: Dr. Michael A. Rappenglück Das bedeutet, dass diese Einheit, die damals für die Menschen gang und Gäbe gewesen sind, dass die für uns nicht mehr vorhanden sind. Wir zerlegen die Dinge und wir müssen sie mühsam wieder zusammen setzen. Dazu brauchen wir diese verschiedenen Disziplinen. Erzählerin: ... meint Dr. Michael A. Rappenglück. Er ist Schriftführer der Gesellschaft für Archäoastronomie. Der interdisziplinär forschende Philosoph und Astronom verweist auf die Bedeutung der Ethnodisziplinen. Die Kenntnisse und Verfahren heutiger Schamanen in Südamerika oder Sibirien helfen bei der Entschlüsselung archäologischer Funde. O-Ton 6: Dr. Michael A. Rappenglück Das kann man betrachten als eine Art Semantik, ein Deutungsschema, das zusätzlich sein muss, damit man überhaupt das, was man formal von den Archäologen beispielsweise ausgegraben wird, deuten kann. Sonst geht das nicht. Deshalb braucht man die Ethnodisziplinen und Religionswissenschaften und anderes mehr, um überhaupt eine Idee zu haben, worum es sich handeln kann.. Erzählerin: Der Charme der Archäoastronomie ist ihre Methodenvielfalt, die für kreative Menschen allerlei Deutungsmöglichkeiten eröffnet. O-Ton7: Prof. Dr. Klaus Schmidt Archäoastronomie ist natürlich ein Fall von Interpretation, wo wir uns sehr weit vorwagen in der Interpretation, vom eigentlichen materiellen Befund wir uns sehr weit weg wagen in Bereiche, wo es dann zunehmend schwierig wird, einen wirklichen Nachweis zu führen. Und da kann es leicht vorkommen, dass die Grenze des Nachweisbaren überschritten wird und eigentlich zunächst gute Ergebnisse verwässert werden durch Unbeweisbares, was mit eingemischt wird. Erzählerin: ... warnt der Professor für Archäologie am Deutschen Archäologischen Institut Klaus Schmidt, betont aber: O-Ton 8: Prof. Dr. Klaus Schmidt Archäoastronomie ist in jedem Falle eine seriöse Wissenschaft. Es gibt sehr viele Arbeiten, die sehr wichtig sind. (Musik: Fanfare "Indiana Jones" kurz stehen lassen, dann dem Folgenden unterlegen.) Zitator 1: Der paläolithische Mensch war Großwildjäger. ( ... ) Er brauchte dafür Orientierung in Raum und Zeit. Er brauchte sie direkt für das Überleben, nämlich die erfolgreiche Jagd. Wie konnten sie den Tag der gemeinsamen Jagd bestimmen? (Musik zurückblenden.) Erzählerin: Diese Annahmen ? hier aus einem Aufsatz von Theodor Schmidt-Kaler ? wiederholen sich in anderen Publikationen: Die zentrale Aussage: Zur Verabredung einer Jagd in großen Verbänden seien kalendarische Kenntnisse notwendig. Etwa: Die Jagd beginnt im Herbst dann, wenn Vollmond ist und sich die Sterne der Plejaden nach einigen Monaten erst mals wieder zeigen. In prähistorischen Felszeichnungen glauben Archäoastronomen die Plejaden in Zusammenhang mit Wildtieren erkennen zu können. (Musik wieder aufblenden und unterlegen.) Zitator 1: Man musste den Zyklus von Vollmond zu Vollmond gut beachten, und bei Erfolg der Jagd lieferte der volle Mond die Festbeleuchtung für den Schmaus. (Musik aus.) Erzählerin: Professor Schmidt-Kaler ist sich mit einigen seiner Kollegen einig, dass die vorgeschichtlichen Menschen das Datum nicht nur direkt aus dem Himmel ablesen konnten, sondern auch riesige Kalender schufen, die in Mitteleuropa archäologisch erschlossenen Kreisgrabenanlagen. O-Ton 9: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Die Kreisgrabenanlagen haben mit absoluter Sicherheit kalendarische Bedeutung. Erzählerin: Eine der größten dieser Anlagen in der Nähe von Dresden hat der Archäologe Harald Stäuble vom Landesamt für Archäologie in Leipzig erschlossen und ausgewertet. O-Ton 10: Dr. Harald Stäuble ... das kann aus einem Gaben bestehen, diese Kreisgrabenanlage, oder sie kann bis zu vier konzentrische Gräben haben ? und noch ein Charakteristikum ist: es gibt verschiedene Toröffnungen oder Eingänge, Tordurchlässe, die können aber auch durchaus variieren in der Anzahl. Es gibt welche mit zwei oder drei oder auch mit vier Zugängen. Und was die Örtlichkeiten betrifft, die sind im Grunde genommen fast in ganz Mitteleuropa auffindbar. Erzählerin: Spezielle Fotos aus Flugzeugen machen am Bewuchs von Feldern und Wiesen erkennbar, wo frühere Bebauungen gewesen sein könnten. Archäologen beginnen dann zu messen und zu graben und wurden sehr häufig fündig. O-Ton 11: Dr. Harald Stäuble Es sind Gräben, Spitzgräben eigentlich, die ringförmig angelegt sind. Und die sind eigentlich von der Größe her so beeindruckend. Die sind zwischen 50 Metern im Durchmesser und 150, mittlerweile gibt es sogar Anlagen mit knapp 200 Metern im Durchmesser. Das ist das Besondere. Erzählerin: Etwa 150 dieser frühen imposanten Anlagen hat man bisher entdeckt. Ausgegraben hatte man sie damals mit gewaltigem personellen Aufwand und einfachen Werkzeugen, mit Geweihschaufeln und ähnlichem. Die Orte ? so die vorsichtigen Deutungen der Archäologen ? könnten Heiligtümer, Kultstätten, Versammlungsorte, Begräbnisstätten gewesen sein. Wie alt diese Anlagen sind? O-Ton12: Dr. Harald Stäuble Da gibt es verschiedene Untersuchungen dazu und dadurch weiß man, dass das das relativ eng auf 2 Jahrhunderte einschränken kann und zwar so zwischen 4800 und 4600 vor Christus. Erzählerin: Innerhalb der kreisähnlichen Gräben fanden Archäologen Grabstätten, Keramikscheiben sowie verstreute Tier- und Menschenknochen. Palisaden aus Holzstämmen umgaben die teilweise 2 bis 4 Meter tiefen Gräben. Archäoastronome interessieren sich vor allem für die Zugänge der Anlagen: Diese, so glauben einige nachweisen zu können, seien nach astronomischen Gesichtspunkten ausgerichtet. Es gäbe Öffnungen im Norden und dort, wo zur Winter- und Sommersonnenwende die Sonne auf- und untergeht. Diese Zeitpunkte seien wichtig, so ist in vielen Artikeln zu lesen, um den Zeitpunkt der Aussaat und Ernte bestimmen zu können. Bei einigen Anlagen ist das in stilisierten Skizzen nachvollziehbar. O-Ton 13: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Die Kreisgrabenanlagen haben mit absoluter Sicherheit kalendarische Bedeutung. Erzählerin: Der Archäologe und Spezialist für diese Anlagen Harald Stäuble hat da seine Zweifel: O-Ton 14: Dr. Harald Stäuble Fakt ist, dass wir diese Öffnungen, nur die können wir letztlich berücksichtigen, diese Tordurchlässe, wenn man die kartiert, dann merkt man, dass es praktisch alle Richtungen als Zugang gab. Dass die alles anpeilen können, 360 Grad, im Kreisrund, man kann alles darin sehen, je nachdem, an welchem Tag, das kann man sich richtig aussuchen, was man da sehen möchte, und dann ist es denn auch da. Dann habe ich die Idee im Kopf und möchte dass das ein Observatorium ist und dann brauche ich gar keinen Befund. O-Ton 15: Zitat IndianaJones Archäologie ist die Suche nach Fakten! Erzählerin: ... Zitat aus dem Film: "Indiana Jones und der Tempel des Todes", aber so lässt sich einschränkend hinzufügen: Bloße Fakten sind langweilig, wenn sie sich nicht zu weitergehenden Erkenntnissen verbinden lassen. Theodor Schmidt-Kaler ist vom kalendarischen Wissen fasziniert. Er untersuchte Prunkäxte aus dem 4. Jahrtausend vor Christus, also etwa 1200 Jahre nach dem Bau der Kreisgrabenanlagen und kommt zu dem Ergebnis: Zitator 1: Prunkäxte haben kalendarische Funktion. O-Ton 16: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Prunkaxt deswegen, weil sie mit Sicherheit nicht zum Holzhauen oder zum Kampf benutzt wurde, besteht aus einem kostbaren Stoff, der also jadeähnlich ist, ein wunderschönes Stück, das sicher ein Häuptling oder ein Schamane als sein edelstes Werkzeug benutzte, wo er die Verbindung mit den Göttern der Oberwelt und des Himmels mit demonstrieren konnte. Aber das war auch seine Bibliothek, wo er nachrechnen konnte, was da drin passiert. Denn da sind in Gestalt eines Lebensbaumes sind da Zweige wie ein Tannenzweig aufgeführt, die die Jahre abrechnen. Dann kommt ein Querstrich als Abschluss dieses Lebensbaumes, das was die Sonne zeigt, jedes Jahr wächst der Baum ein Stück weiter,. und dann darüber Bögen ... (O-Ton langsam ausblenden, Erzählerin über den O-Ton) Erzählerin: Der Astronom Schmidt-Kaler und der Märchenforscher Ralf Koneckis analysieren diese Prunkäxte in der Fachpublikation "Acta Praehistorica et Archaeologica": Die Prunkaxt von Wegwitz-Wallendorf hat an der Spitze Striche in einer Art Fischgrätenmuster mit 8 Grätenpaaren. Für die Autoren symbolisiert das Grätenmuster den Baum des Lebens oder die Ruder eines Totenschiffes. Darüberhinaus schreiben sie: Zitator 1: Wenn jeder Strich ein Sonnenjahr von 365 1/4 Tagen bedeutet, so haben wir insgesamt 2 mal 8 gleich 16 Jahre mit 5844 Tagen. Erzählerin: Über den Fischgräten befinden sich zwei unregelmäßige Bögen, in den Bögen jeweils 5 Striche, rechts und links neben diesen Bögen je drei Strichelchen. O-Ton 18: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Welches Gestirn macht Bögen, Bögen macht die Venus, von der Sonne weg und wieder zu ihr zurück. Als Morgenstern im Westen aufgehend, wenn die Sonne untergegangen ist wird sie hell und bewegt sich immer weiter von der Sonne weg bis sie die größte Elongation hat und dann weiter auf einem anderen Wege, also mit einer größeren oder kleineren Höhe zurück zur Sonne. Diese Bögen sehen wir auch auf der Axt, zwei solcher Bögen, aber es sind zehn, denn es sind fünf Striche jeweils, wie die fünf Finger einer Hand und das besagt, wir haben hier zehn solcher Perioden der Venus. Die Periode ist 584 Tage im Mittel und das mal zehn zu nehmen, dann haben wir 5840 Tage. Wenn wir aber 8 Jahre oder vielmehr 2 mal 8 Jahre, 16 Jahre mit 10 multiplizieren, dann bekommen wir dasselbe und diese Gleichung sehen wir da. Die Leute hatten also bemerkt, dass die Venus nach 16 Jahren genau am gleichen Punkt des Himmels mit genau der gleichen Helligkeit mit größtem Glanz zum Beispiel wieder erscheint: Dieselben Sterne als Hintergrund, dieselbe Lage zur Sonne. Das ist überwältigend. Erzählerin: Allerdings nur dann, wenn man die zwei mal drei kleinen Strichelchen am Rand neben den Bögen, die den Lauf der Venus darstellen, irgendwie berücksichtigt. Und das ist möglich. Denn die 8 Sonnenjahre ? also "unsere" Jahre haben 5844 Jahre, 10 Venusjahre ? so die Prunkaxt ? nur 5840 Tage. Es ergibt sich also eine Differenz von ? unglücklicherweise - 4 Tagen. 6 Tage wären besser, dann hätte man die 6 Strichelchen addieren können und alles wäre perfekt gewesen. Aber es sind nun einmal 4. Doch da hilft die Schwankungsbreite der synodischen Periode der Venus. Zitator 1: Die Differenz zwischen sechs und vier liegt völlig innerhalb der eben ermittelten erwarteten Schwankungsbreite. Erzählerin: Das Fazit: Zitator 1: Eine einfache, logisch aufgebaute und in sich konsistente kalendarische Interpretation des vollständigen Dekors der Wegwitzer Axt ist möglich, beruhend auf (mindestens) 16-jähriger Beobachtung von Sonne und Venus als Morgen- bzw. Abendstern. Erzählerin: Diese Prunkäxte ? sieben Stück haben Archäologen inzwischen vor allem südlich von Magdeburg gefunden ? belegen nach Auffassung von Professor Schmidt-Kaler und Ralf Konneckis, dass vor 5500 Jahren Menschen im heutigen Deutschland über präzise astronomische Kenntnisse verfügten. Eine Erkenntnis, die zu neuen kulturhistorischen Einschätzungen führt. Denn, so Wilfrid Menghin, emeritierter Archäologie-Professor am Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte: Zitator 1: Astronomie und Mathematik im vorzeitlichen Europa konnte nicht sein, denn, ex oriente lux. Erzählerin: ... das bedeutet: Das Licht ? im übertragenen Sinne die Erkenntnis ? kommt aus dem Osten, also nicht aus dem Norden, nicht aus Mitteleuropa, nicht aus Deutschland. Mit ihrer Deutung neuer Funde ? Kreisgrabenanlagen, Prunkäxten, Himmelsscheibe und Goldhut - wollen Menghin und Schmidt-Kaler dem entgegenwirken. O-Ton 20: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Das Licht kam wahrscheinlich nicht aus dem Osten. Erzählerin: Wilfried Menghin schlägt eine Deutung der Verzierungen des Goldhutes als Kalender vor, trifft damit aber nicht immer auf die Zustimmung seiner Kollegen. Zitator 2: Die Punkte und strahlenförmigen Symbole auf dem Hut Goldhut sind Verzierungen ohne erkennbaren Sinn. Erzählerin: ... meint der Astronomie Professor Wolfhard Schlosser von der Ruhr ? Universität Bochum. Menghin kaufte das oft als Zauberhut verspottete Objekt für 1, 5 Millionen Mark. Weil der Goldhut illegal in den Kunsthandel kam, ist der genaue Fundort unklar. Dieser Goldhut-Kalender sei älter als vergleichbare babylonische, deren Anwendung Schmidt-Kaler um das Jahr 500 vor Christus datiert. O-Ton 21: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Und der Kalender auf dem Goldhut von Berlin, der stammt aus dem Jahre 1000. Es könnte eher andersherum die Information gelaufen sein. Aber ob dafür genug Argumente da sind, vermag ich nicht zu entscheiden. Erzählerin: Die Schlussfolgerung wäre dann: Nicht "ex oriente lux", sondern "ex-septentrione-lux" ? das Licht kommt aus dem Norden, aus dem ? so ließe sich zuspitzen ? vorgermanischen Norden. O-Ton 22: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Viel älter aber ist jedenfalls die Kenntnis der Prunkaxt von Wegwitz-Wallendorf. Die stammt etwa aus dem Jahr 3500 vor Christus und die babylonischen Kenntnisse der Venus, die ältesten stammen aus dem Jahre 1800 Jahre vor Christus, sind also 1700 Jahre später. Und sie sind nicht ganz so gut wie diejenigen, die wir aus der Wegwitzer Axt entnehmen. Erzählerin: Die nordischen Völker als Kulturbringer - diese Behauptung war vor 100 Jahren ein wesentlicher Bestandteil völkischer Ideologie und sollte die Überlegenheit und den Dominanzanspruch des nordischen Menschen begründen. Zitator 2: Die Urgermanen trieben Astronomie ... Erzählerin: ... schrieb der "Spiegel" 2002 unter dem Titel "Sternenkult der Urgermanen" und hebt hervor, das werfe ... Zitator 2: ... eine neue Sicht auf die deutsche Vorgeschichte. Fast scheint es als müsste die gesamte Landkarte der Vorgeschichte umgezeichnet werden. Bislang standen allein die Hochkulturen des Südens im Zentrum des Interesses: die Babylonier (Erfinder der Astrologie), die Ägypter (Erbauer der Pyramiden), die Minoer (mit Wasserklos im Palast des Minos) ? das waren die Frontleute des Fortschritts. Nun treten jäh auch aus dem nordischen Hain Mathematiker und gewiefte Kosmologen. Nebra beweist: In Urgermanien lebten kleine Einsteins. O-Ton 23: Prof. Dr. Klaus Schmidt Eine Gefahr liegt darin, wenn es völkisch interpretiert wird, wenn wir zum Beispiel bei Anlagen jetzt gerade bei uns in Mitteleuropa, wenn wir ein Germanentum pflegen und kultivieren, das eben in alter Weise als überlegen anderen Kulturen gegenüber angesehen wird ? da liegt nun ganz klar, das muss man nicht weiter ausführen, eine große Gefahr, der man zwar nicht so häufig begegnet, die aber existent ist in manchen Bereichen. Erzählerin: ... so der Archäologe Klaus Schmidt. O-Ton 24: Zitat IndianaJones Wir können es uns nicht leisten, Mythologien kritiklos hinzunehmen ... Erzählerin: ... sagt Dr. Jones aus Hollywood. In seinem Buch "Mythen und Märchen. Was uns die Sterne darüber verraten" hinterfragt der Archäoastronom und Märchenforscher Ralf Konneckis die Mythen und Märchen und kommt zu dem Schluss: Märchen sind kosmische Merksätze ... O-Ton 25: Ralf Koneckis ... und im Grunde sehe ich meine Aufgabe im meiner Forschung darin, diese Merkbilder wieder verstehbar zu machen. Erzählerin: ... und für die Archäoastronomie nutzbar. Denn der Mythos, so die Überzeugung, kann für archäologische Funde Deutungsmuster bieten. O-Ton 26: Ralf Koneckis Und auch beim Wolf und den sieben Geißlein, da weiß man ? aha, der Wolf ist der Mond und die sieben Geißlein natürlich, das ist das Siebengestirn, das ist das einzige Gestirn, was so aussieht wie eine kleine Ziegenherde und dann ist natürlich die Ziegenmutter die Venus, die dann die Plejaden besucht, dann macht sie eine Schleife und in Zwischenzeit hat der Mond-Wolf die Plejaden gefressen. Das heißt, astronomisch gesehen spricht man von einer Sternbedeckung. Aber die Menschen, die haben diese astralen Bilder genannt und benutzt und haben exakt das ausgedrückt und das sieht man daran, dass ja der Mond nicht das ganze Siebengestirn bedecken kann. Also wenn er das Obere mitnimmt, bleibt unten eins übrig und umgekehrt. Genau wie im Märchen. Es bleibt ja ein Zicklein übrig. Das liegt ja daran, dass der Mond, dass die Plejaden etwas größer sind als der scheinbare Durchmesser des Mondes. O-Ton 27: Zitat IndianaJones Möge der, der dieses hier erleuchtet hat, auch mich erleuchten.(Trompete) Erzählerin: Das Märchen vom Hans im Glück, von Hase und Igel - alles illustrierte astronomische Merksätze, Relikte einer schriftlosen Kultur, meint Ralf Koneckis. O-Ton 28: Ralf Koneckis Ich habe noch keinen gefunden, der gesagt hätte, es kann nicht sein. Man muss zuerst einmal in der Lage sein, sich auf so etwas einzulassen, das ist die erste Hürde. Und wenn die gemeistert ist, dann ist das so einsichtig, dass man das nicht mehr vergisst, dann wirkt es wieder, wie es früher wirkte. Erzählerin: ... früher, als man in den sieben Geißlein noch die sieben Sterne der Plejaden erkannte, die allerdings kaum als sieben Sterne zu erkennen sind, deren Beobachtung aber wichtig gewesen sein soll für Aussaat und Ernte. Zitator 2: Wenn das Gestirn der Plejaden, der Atlastöchter, heraufsteigt, Fanget die Ernte an; aber die Saat dann, wenn sie hinabgehn. Erzählerin: ... heißt es bei Hesiod, 700 vor Christus. O-Ton 29: Dr. Michael A. Rappenglück Die Plejaden sind tatsächlich eine der wichtigsten astralen Objekte, die man da sehen kann, ein besonderer Sternhaufen. Erzählerin: Dr. Michael A. Rappenglück beschäftigt sich innerhalb der interdiszipliär forschenden Archäoastronomie mit den Ethnodisziplinen. O-Ton 30: Dr. Michael A. Rappenglück Man muss auch daran denken, dass die Plejaden eine besondere Rolle spielen ? übrigens zusammen mit den Hyaden ? weil sie die Bahn des Mondes mit abstecken und weil man sie sehr gut als eine Art Marke am Himmel sehen kann, als ein Zeitsignal, auch zum Teil als eine Art Raumsignal sehen kann. Erzählerin: In den etwa 37.000 Jahre alten Höhlenzeichnungen von Lascaux hat er über dem Rücken eines Auerochsen 6 Punkte entdeckt, die er als Plejaden deutet, sechs Punkte, die er auch in den Tipis der Navajo - Indianer und Häusern der Hopis und in einer kosmografischen Karte der Tschuktschen in Sibirien fand. Zitator 2: Die integrale Methode ist ein interdisziplinärer Weg mit dem Daten und Verfahrensweise aus der Archäologie, Astronomie, Ethnologie, Kartographie, Mathematik, Mythologie, Phänomenologie, Religionswissenschaft, Semiotik, Symbolik und benachbarten Fächern berücksichtigt wurden. Erzählerin: ... schreibt Rappenglück. O-Ton 31: Dr. Michael A. Rappenglück Das ist nicht ganz einfach, weil wir heute ja mit unserem Methodenbewusstsein .. recht spezialisiert sind und dieses mehr integrale Denken, was die Alten gehabt haben, wir uns erst mühsam wieder selber aneignen müssen. Erzählerin: Klaus Schmidt ? er ist Professor für Archäologie, Experte für die Alt-Steinzeit, das Jungpaläolithikum, ist Leiter einer weltweit beachteten Ausgrabung "Göbleli Tepe" in der Türkei ? Klaus Schmidt bleibt skeptisch: O-Ton 32: Prof. Dr. Klaus Schmidt 398- Wie weit können wir Sternbilder in die Vergangenheit zurückverfolgen? Können wir die zum Beispiel die schon im Jungpaläolithikum annehmen, können wir annehmen, dass in den Wänden der Höhlen, in den jungpaläolithischen Höhlen, dass die dortigen Darstellungen von Tieren und von vielen Geschehnissen, dass sich da schon Sternbilder widerspiegeln. Das können wir nicht ausschließen, aber beweisen, beweisen können wir das eigentlich nicht. Erzählerin: Und was ? so argumentiert Klaus Schmidt für die Kreisgrabenanlagen in Deutschland und die viel spätere Steinkreisanlage in Stonehenge gelten möge, dass sie kalendarische Funktionen gehabt haben könnten, trifft auf seine Ausgrabung kaum zu. O-Ton 33: Prof. Dr. Klaus Schmidt Am Göbelki-Tepe haben wir wieder Steinkreise, aber eben anderer Art, ganz anderer Art und hier wird es nun meiner Meinung nach schwieriger astronomische Orientierungen wieder erkennen zu wollen. Also ich selber habe das jetzt nicht intensiv verfolgt, aber was wir im Grabungsbefund sehen, schreit nicht danach, astronomisch interpretiert zu werden. Erzählerin: Doch das hält den Archäoastronomen Professor Theodor Schmidt-Kaler nicht davon ab, es zu versuchen: O-Ton 34: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Wenn wir jetzt zum Beispiel ganz neue Dokumente bekommen. Hier bei dieser Tagung hat der Entdecker und Ausgräber von Göbekli Tepe gesprochen, hoch interessant. Tonnenschwere Säulen wurden von den Leuten vor 10000 Jahren für Tempel aufgerichtet und mit Skulpturen versehen. Die Skulpturen zeigen Füchse. Warum denn das? Schlangen. Warum denn das? Mal ein Skorpion, Löwen, und wieder Schlangen und wieder Füchse, Vögel, Kraniche. Was bedeutet das? Da können wir zurückgreifen auf Dinge, die wir beispielweise ganz wo anders vorfinden. Wir finden beispielsweise die Tatsache, dass der Kranich als Symbol des Mondes gilt. Warum der Kranich? Der Kranich hat einen Schwanz, den er ausbreitet, ein männlicher Kranich, wenn der seinen Werbe- und Brauttanz macht. Das sieht sehr schön aus, .. und da machen sie Gebilde wie Vollmond und Gebilde wie Halbmond. Erzählerin: Doch die Reliefs zeigen Vögel mit kurzen gebogenen Raubvogelschnäbeln, eher Adler oder Geier als Kraniche. Doch wer kann ausschließen, dass Kraniche vor 12000 Jahren keine Krummschnäbel hatten? O-Ton 35: Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler Deswegen schlage ich vor dem Kollegen Schmidt, probieren wir einmal, geben Sie mir mal ihre ganzen Skulpturen, geben Sie mir die Lagepläne Ihrer Tempel, dass ich sehe, wie die aufgebaut sind, auch in der Architektur der Tempel, da spiegelt sich das Wissen um den Kosmos dieser Leute von damals wieder: Für sie ist der Tempel ein Spiegelbild der Welt und das Innen und Außen der Welt wird da wieder gegeben. Wenn ich also den Grundriss des Tempels sehe, dann sehe ich den Grundriss der Welt, wie die Leute ihn meinen. Dann kann ich ihm Tipps geben, was die Skulpturen bedeuten. O-Ton 36: Zitat IndianaJones Dr. Jones, viel Glück, seien Sie vorsichtig. Sie können keinem Menschen trauen. Erzählerin: Reliefs aus der Steinzeit sind Kalender oder stellen kosmische Ereignisse dar, die Himmelsscheibe als Masterdisc für geheimes Mysterien-Wissen oder als Beweis einer urgermanischen Hochkultur, der "europäische" oder gar deutsche Goldhut als weltweit genauester Kalender - diese spektakulären, oft schwungvoll als Tatsachen präsentierten Deutungen lassen sich zweifellos besser in den Medien präsentieren als die zögerlichen Vermutungen vorsichtiger Wissenschaftler. Und wenn Gelder für teure Objekte wie den Goldhut oder aufwändige Ausgrabungen eingeworben werden müssen, dann liegt es nahe, auch die Öffentlichkeit zu mobilisieren: O-Ton 37: Dr. Harald Stäuble Wir Archäologen wir brauchen schon die Öffentlichkeit, brauchen auch das Verständnis der Leute, aber bitte jenseits von Indiana Jones. Erzählerin: ... so der Archäologe Harald Stäuble. Doch Wissenschaft muss sich immer mehr und besser auf dem Markt verkaufen. Die Forschungsgelder sind knapp, die Begehrlichkeiten der Konkurrenten groß. Die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit verschafft Marktvorteile. O-Ton 38: Dr. Harald Stäuble Das ist das Dilemma: Im Prinzip sind wir darauf angewiesen. Ich will nicht sagen, dass es die Schuld der anderen ist oder der Presse, dass man so hineingetrieben wird. Es ist durchaus auch so, dass viele Archäologen da gar nicht groß aufgefordert werden müssen. Ich glaube, die Leute verlangen es nicht, dass man nur noch Sensationen präsentiert. Ich glaube, die Leute würden es verstehen, dass wichtige Sachen auch ernsthafter diskutiert werden. (Musik: Fanfare "Indiana Jones". Musik unter dem Folgenden einblenden und unterlegen.) O-Ton 39: Zitat IndianaJones (15.03) "Wir werden dann über mein Honorar bei Essen und Champagner reden. Und Du zahlst." ? "Ich zahle." (Musik aufblenden, dann aus.) ***** 15 15