DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 15.06.2010 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 ? 20.00 Uhr Der Krieg, der Mob und das Gotteshaus Die Ferhadija-Moschee in Banja Luka Von Sebastian Meissner und Hartwig Vens URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo: Gewalttätige Ausschreitungen bei der Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Ferhadija-Moschee 2001. Vogelgezwitscher. Menge skandiert: "Karadzic, Karadzic" und "Serbia, Serbia". Hubschrauber. - Quelle: Alternativer Fernseh-Lokalsender ATV Sprecherin 1: 7. Mai 2001: Bei Ausschreitungen tausender Serben gegen den Neubau einer Moschee sind am Montag in der nordbosnischen Stadt Banja Luka mindestens 70 Menschen verletzt worden. Die neue Moschee soll auf dem Grundstück errichtet werden, auf dem Serben vor genau acht Jahren die 1579 errichtete historische Ferhadija-Moschee zerstört hatten. Sie stand unter dem Schutz der UN-Kulturorganisation UNESCO. Die Vereinten Nationen hatten den Wiederaufbau der Moschee als Teil des Versöhnungsprozesses angeordnet. Musik O-Ton Alexander Trifunovi?: Übersetzer Wir haben eine ähnliche Situation wie vor dem Krieg: Wir hassen einander mehr als je zuvor, und wir haben ein religiöses Gebäude, das uns trennt, nicht verbindet. Es ist sehr wichtig, dass die Ferhadija-Moschee wieder in Banja Luka steht, am selben Platz. Denn das bedeutet, dass wir eine normale Gesellschaft sind, und dass wir eine Art Schuldgefühl haben für diese Zeit. Das haben wir jetzt wohl nicht, und das ist schlecht. Atmo Sprecherin 2: Alexander Trifunovi? ist der Gründer des Zentrums für informationelle Dekontamination der Jugend und Herausgeber von BUKA, einer Initiative, die in Banja Luka eine Zeitschrift herausgibt, einen Fernsehsender hat und die ein Nachrichtenportal betreibt. O-Ton Alexander Trifunovi?: Übersetzer Mit dem Wiederaufbau von Moscheen wird man Banja Luka nicht multi-ethnisch machen, und beim Wiederaufbau von Ferhadija werden wir auf jeden Fall Wachschutz für das Gebäude geben. Es wird ein weiteres Beirut oder Jerusalem werden. Es wird ein Objekt sein ohne Menschen darin und es wird nicht das frühere Ferhadija-Gefühl sein, denn Ferhadija war ein Ort, an den alle Nationalitäten kamen. Die Ferhadija war eher ein Symbol Banja Lukas. Künftig wird sie ein Symbol des Islam sein. Musik Sprecher 1: Der Krieg, der Mob und das Gotteshaus Die Ferhadija-Moschee in Banja Luka Ein Feature von Sebastian Meissner und Hartwig Vens Atmo O-Ton Tanja Topic: Banja Luka war vor dem Krieg bekannt gerade durch die Ferhad Pasina Dzamija ? durch diese Moschee. Und das ist die Identität der Stadt gewesen. Sprecherin 2: Die Journalistin Tanja Topic ging während des Bosnienkrieges ins Exil nach Deutschland. 1997 kehrte sie zurück und leitet heute das Büro der Friedrich Ebert Stiftung in Banja Luka. O-Ton Tanja Topic: Immer wenn jemand nach Banja Luka gekommen ist, das erste, was ich ihm gezeigt habe, war diese Ferhad Pasina Dzamija und noch eine, die nicht so alt gewesen ist, Arnaudija. Und das waren die Symbole dieser Stadt. Aber ? wir waren ja diejenigen, die das zerstört haben. Musik Sprecherin 2: Die Ferhat-Pa?ina-Dzamija, besser bekannt als Ferhadija-Moschee, stand bis 1993 im Zentrum Banja Lukas und war eines der schönsten Beispiele der islamischen Architektur des 16. Jahrhunderts in Bosnien-Herzegowina. Die Moschee wurde 1579 im klassisch osmanischen-Stil erbaut. Der Erbauer Ferhad Pascha Sokolovic war ein im 16. Jahrhundert zum Islam konvertierter Serbe. Die für den Bau benötigten rund 300 000 Dukaten hatte er vom österreichischen General von Auersperg als Lösegeld für dessen Sohn erhalten. Banja Luka ist heute die Hauptstadt der Republika Srpska, der Republik der bosnischen Serben, die zu großen Teilen der serbisch-orthodoxen Kirche angehören. Vor dem Bosnien-Krieg bestand ein fünftel der Bevölkerung aus meist katholischen Kroaten und meist muslimischen Bosniaken. Im Zuge des Krieges begann ein Prozess der Serbifizierung, den die orthodoxe Kirche maßgeblich unterstützte. Bewohner der anderen Volksgruppen leben heute kaum noch in Banja Luka. Atmo Sprecher Die Stadt wirkt sauber und aufgeräumt. In der Fußgängerzone herrscht reger Betrieb. Das Angebot ist üppig, internationale Markenware dominiert. Die Schönen und Reichen zeigen sich im Café des Hotel Bosna. Nur die durchgestrichene Pistole an der Eingangtür lässt ahnen, dass es dort auch anders als friedlich zugehen könnte. Über die ethnischen Grenzen hinweg sind sich die Bewohner Banja Lukas einig, dass der Bürgermeister Dragoljub Davidovi? die Stadt vorangebracht hat. Musik Sprecherin 2: Der Franziskanermönch Marko Orsolic gründete schon vor dem Bosnienkrieg das Internationale und Multireligiöse Zentrum IMIC in Sarajewo. Er engagiert sich seither für den Dialog zwischen den Religionen in Bosnien-Herzegowina. Musik O-Ton Marko Orsolic: Die Zerstörung der Gotteshäuser, ob katholische oder orthodoxe oder islamische ? der Grund dafür waren die sogenannten ethnischen Säuberungen. Wenn man die Gotteshäuser, die Religion zerstört, dann zerstört man auch die Anwesenheit der Nationalität auf diesem Gebiet. So wurden praktisch 1000 Moscheen, meistens auf serbischem Gebiet, total zerstört. Inzwischen sind viele von denen wieder aufgebaut. So weit ist es auch sehr schön, sehr wichtig, dass man auch Ferhadija wieder aufbaut. Aber es sind auch neue Gotteshäuser aufgebaut worden, wo es gar nicht die Menschen gibt. In Bosnien-Herzegowina fehlen noch 25 Prozent der Bevölkerung. Fast eine Millionen der Bevölkerung ist vertrieben worden und nicht zurückgekehrt. Und jetzt auf einmal haben sie neue Gotteshäuser ohne religiöse Menschen. Sie wollen nur eine falsche Anwesenheit dieser Bevölkerung sichtbar machen in diesen Gebieten. Die Gläubigen sollen Gotteshäuser haben, die sie wirklich brauchen zur Ausübung ihrer Religion, und nicht um zu zeigen, dass sie hoch ist oder dass sie groß ist. Kein Gott braucht das. Musik/Atmo Sprecherin 2 Im November 1995 beendete der Vertrag von Dayton nach dreieinhalb Jahren den Bosnien-Krieg. Bosnien-Herzegowina ist seither in zwei weitgehend unabhängige Republiken geteilt. Die eine ist die bosniakisch-kroatische Föderation, in westlichen Medien oft auch als muslimisch-kroatische Föderation bezeichnet, mit Sarajewo als Hauptstadt. Die andere die Republika Srpska mit der Hauptstadt Banja Luka. Die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas in zwei weitgehend autonome Teilrepubliken, ist das größte Problem des Landes. Die öffentliche Verwaltung mit ihren zehn Kantonen, elf Ministerpräsidenten und 140 Ministern verschlingt 70 Prozent des staatlichen Haushaltes. Musik Sprecherin 1: «Serbische Brüder, islamische Horden werden unsere Stadt heute mit Unterstützung von internationalen Vertretern angreifen, um die Saat des Islams hier neu auszubringen» - Flugblatt, verteilt vor der Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Ferhadija-Moschee am 7. Mai 2001. Atmo O-Ton Tanja Topic: Man hat eine gewisse Spannung gespürt aber niemand hat geglaubt, dass so etwas wirklich passieren würde. Es gab eine schlimme Atmosphäre einige Tage davor. Man hat die ganze Zeit versucht, eine Meinung zu produzieren, dass man alle Kräfte dafür einsetzen soll, dass es zur Grundsteinlegung und dem Wiederaufbau von Ferhadija nicht kommt. Und man hat es so dargestellt, als wäre es eine Provokation gegen die serbische Bevölkerung, und vor allem, dass viele Gläubiger aus der Umgegend nach Banja Luka kommen. Und es sind viele Gläubige aus Bihac, aus der Krajina zur Grundsteinlegung gekommen. Sie sind mit insgesamt 13 Bussen nach Banja Luka gefahren und es wurden alle 13 entzündet und dann verbrannt. Musik/Atmo Sprecherin 1: DPA und AFP, 7. Mai 2001 Unter denen, die im Haus der islamischen Gemeinde Zuflucht suchten, waren der UNHCR-Beauftragte für Bosnien, der Leiter der OSZE-Mission in Banja Luka, der britische Botschafter und der bosnische Außenminister. «Wir sind von einem wütenden Mob von Betrunkenen, Radikalen und Extremisten umgeben», sagte der UN-Gesandte Jacques Klein der Nachrichtenagentur AFP am Telefon. Nach seinen Worten saßen bis zu 35 Menschen in dem Haus fest. Die Polizei versuchte, sie in kleinen Gruppen zu evakuieren. Zuerst sollten ältere Menschen und Kinder in Sicherheit gebracht werden, die sich in das Gebäude geflüchtet hatten. Ein erster Evakuierungsversuch der Friedenstruppe SFOR schlug fehl, weil die Demonstranten ein SFOR-Fahrzeug angriffen. Aufgebrachte Serben hätten mit Sprechchören wie «Wir wollen keine Moscheen, baut Kirchen» gegen das Vorhaben, protestiert. Als Zeichen ihrer religiösen Intoleranz trugen die Extremisten Schweineschädel, was für Moslems besonders beleidigend ist. O-Ton Tanja Topic: Ich war auch drin, und erst abends hat sich das beruhigt und wir konnten alle rausgehen. Ein Mann wurde totgeschlagen, ein 60-jähriger Gläubiger, der zur Grundsteinlegung gekommen ist, wurde getötet. - Ich war sehr traurig, ich denke, dass ich geweint habe, weil es traurig und unvorstellbar ist, dass wir im 20. Jahrhundert jemanden töten und dabei jubeln, nur weil er einen anderen Namen trägt und weil er eine andere Nationalität hat. Musik/Atmo O-Ton Tanja Topic: Dann gab es später auch ein Problem mit den Medien. Ein Fernsehsender, das ist ein lokaler Sender, alternatives Fernsehen, die haben das alles aufgenommen und auch gezeigt. Und dann hatten sie Probleme mit der serbischen Bevölkerung hier, auch mit der Politik, warum sie das gezeigt haben und warum so ein schlimmes Bild über uns vermittelt wurde. Die Thesen wurden irgendwie falsch gesetzt: Niemand hat sich gefragt, was haben wir denen getan und warum haben wir das getan ? Nein, wir haben uns Gedanken gemacht, warum so ein Bild über uns in die Welt gegangen ist. Das wurde als die große Provokation gesehen, weil es ist ja immer noch nicht die Zeit. Wenn wir uns so verhalten, dann kommt nie die Zeit. Dann werden die Serben immer sagen, oder woanders die Kroaten oder Bosniaken: Es ist immer noch nicht die Zeit. Wann ist dann die Zeit, wenn die nächste Generation oder...? Musik/Atmo: Baustelle, Wiederaufbauarbeiten der Ferhadija-Moschee Sprecherin 1: DPA 18 Juni 2001 Der höchste islamische Würdenträger in Bosnien-Herzegowina, Mustafa Ceric, hat heute den Grundstein für den Wiederaufbau der Ferhadija-Moschee in Banja Luka gelegt. Erneut kam es zu Ausschreitungen bosnisch-serbischer Nationalisten. Die bosnisch-serbische Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein, um etwa 1200 Serben abzudrängen. Die Behörden hatten 2200 Mann in Banja Luka zusammengezogen, damit sich Szenen wie im Mai nicht wiederholen. Damals hatten serbische Demonstranten Fahrzeuge und Häuser angezündet und die Zeremonie der Grundsteinlegung gewaltsam beendet. Musik/Atmo: Baustelle, Wiederaufbauarbeiten der Ferhadija-Moschee Sprecherin 2: Der Architekt und Architekturprofessor Muhamed Hamidovi? leitet seit 2010 den Wiederaufbau der Ferhadija-Moschee. O-Ton Muhamed Hamidovi?: Übersetzer: Die islamische Gemeinde, hatte die Idee für den Wiederaufbau der Ferhadija-Moschee. Damals war ich Dekan der Fakultät für Architektur, also kamen sie in mein Büro und fragten, was ich für den Wiederaufbau tun könne. Rekonstruktion, Wiederaufbau und Rehabilitierung des Gebäudes hängen von der historischen und architektonischen Authentizität ab. 70 Prozent der Steine, die beim Wiederaufbau verwendet wurden, sind Originale. Wir haben sie an drei Orten, sogar auf Müllhalden gefunden. Wir wollen für den Wiederaufbau nicht ein Kilo Beton verwenden, nur Originalmaterial. Wir versuchen, jedes Fragment an seinem originären Platz einzufügen. Deshalb scannen wir jeden Stein, um zu sehen, wie er zu den anderen passen könnte. "Symbol der Versöhnung" ? das könnte ein Slogan sein, aber es gibt Leute in Banja Luka, die darüber scherzen: Ihr könnt sie wieder aufbauen, aber wir werden sie wieder zerstören. Atmo: Gesang O-Ton Tanja Topic: Ein guter Freund von mir, der ist ein Bosniake. Der ist die ganze Zeit während des Kriegs geblieben, der ist ein Journalist jetzt, der hatte so was wie Arbeitspflicht. Der wurde festgenommen und musste dann täglich seine Aufgaben erledigen. Sein Haus wurde ihm auch weggenommen. Sprecherin 2: Die Rede ist von Erduan Katana. Der gelernte Ingenieur betrieb einen Metallhandel in Banja Luka. Im Krieg wurde er zu Zwangsarbeit verpflichtet und mehrfach inhaftiert. Sein Geschäft wurde enteignet. O-Ton Erduan Katana: Übersetzer Ich stamme aus Banja Luka. Eigentlich ist meine gesamte Familie sehr religiös. Mein Vater war sogar Hodscha also ein islamischer Geistlicher. Mein Urgroßvater hatte eine islamische Stiftung gegründet. Meine Großmutter war auch gläubig. Aber ich bin in Jugoslawien kommunistisch aufgewachsen, sodass ich überhaupt nicht religiös bin. Musik Sprecherin 1: 12. August 1992, Washington Post Banja Luka - Dies ist eine Stadt, in der es tagsüber Verhaftungen gibt, nachts Prügeleien und rund um die Uhr Terror. Serbische Kämpfer fahren durch die Stadt, einige davon mit schwarzen Gesichtsmasken aus Leder. Sie feuern mit ihren Gewehren in die Luft und schreien nationalistische Slogans. Die wichtigste Moschee der Stadt, sie ist über 400 Jahre alt, wurde von Maschinengewehrfeuer zersiebt. Aus Angst vor der Deportation in Gefangenenlager oder vor dem zwangsweisen Einzug in die serbische Armee, verstecken sich viele muslimische und kroatische Männer in ihren Häusern. "Wir leben wie Ratten", sagt ein Muslim, der seinen Namen nicht nennen will. Seine Eltern bringen ihm die Lebensmittel. "Ich war ein Idiot", fügt er hinzu. "Ich dachte nie, dass es hier ,ethnische Säuberungen' geben würde." Musik/Atmo O-Ton Erduan Katana: Übersetzer Die Lage war nicht leicht, als 1993 alle Moscheen zerstört wurden hier in Banja Luka. Es gab überhaupt kein religiöses Leben mehr. Auf dem großen Militärgelände außerhalb der Stadt waren viele Hodschas und andere Geistliche in einem Lager inhaftiert. Für die meisten Bürger von Banja Luka war die Ferhadija eher ein kulturelles als ein religiöses Objekt. Beim ersten Zerstörungsversuch waren auch viele Serben zur Moschee gekommen, die gegen die Zerstörung waren. 10 Minuten nach der Ferhadija-Moschee wurde dann die zweitbekannteste Moschee, die Arnaudija Moschee, zerstört. Und in den nächsten zehn Tagen alle 16. Der damalige Mufti, Draham Halimovic, hatte gebeten, dass man den Schutt dalässt, damit man alles wieder aufbauen kann. Aber das wurde nicht erlaubt, es hieß, das gefährde die Sicherheit. Und zwei Tage später wurde befohlen, dass alles wegtransportiert wird. Es wurde auf die Müllhalden oder in den Fluss Vrbas geschmissen. Atmo/Musik O-Ton Tanja Topic: Die Stadt nach dem Krieg... Es gab ja gar keine Kommunikation mit der restlichen Welt sozusagen. Man konnte nicht verreisen und das war eine Stadt im Dunkeln würde ich sagen. In Banja Luka gab es keine kriegerischen Auseinandersetzungen. Es gab keine direkten Folgen, die man sehen konnte. Die direkten Folgen gab es insofern, dass alle Moscheen, die in Banja Luka gewesen sind, das waren insgesamt sieben, die waren alle zerstört. Das Problem, wie man den Krieg erlebt hat, war mehr auf der zwischenmenschlichen Beziehung in dem Sinne, dass jeden Tag viele von den Leuten, die ich kannte, die Stadt verlassen mussten. Dass einige Familienmitglieder verloren haben. Dass viele Jungen mobilisiert waren, die ich kannte, aus dem Freunde- und Verwandtenkreis. Und das Schreckliche, das sie erlebt haben und das sie uns erzählt haben, das sind dann so die Sachen, die man in sich weiterträgt. Musik/Atmo Sprecherin 1: 21. Juni 2003, AFP Vor dem Krieg lebten 1991 neben rund 105 000 Serben noch jeweils fast 30 000 Moslems und Kroaten in Banja Luka. Heute wird die 300 000-Einwohner-Stadt fast ausschließlich von Serben bewohnt; seit dem Krieg kehrten nur 6000 Moslems und 2000 Kroaten in ihre Heimat zurück. Atmo/Musik O-Ton Erduan Katana: Übersetzer Das Problem, das alle Städte in Bosnien-Herzegowina haben, ob in der Föderation oder hier, ist, dass die Struktur der Bevölkerung in den Städten sich völlig geändert hat. Heute sind 70 Prozent der Serben in Banja Luka Flüchtlinge aus Glamoc aus Pec oder aus Kroatien und es leben nur noch sehr wenige Altbürger hier, seien es Serben oder Moslems. Das Ergebnis ist, dass die Serben weder die Moslems noch die Kroaten hassen - die Serben hassen die Serben. Wenn Sie Serben aus Serbien nach den Hiesigen fragen, dann werden die sagen: das sind Bosnier. Und dass sie mit denen nichts zu tun haben. Während die hiesigen Serben versuchen, bessere Serben zu sein als die im eigentlichen Serbien. Das gleiche Problem haben die Kroaten in der Herzegowina ? Sie wollen bessere Kroaten als die eigentlichen Kroaten sein, die in Kroatien leben. Beide haben die gleichen Motive, Bosnien-Herzegowina nicht zu lieben. Während des letzten Krieges hat mir ein hochrangiger Offizier der jugoslawischen Volksarmee gesagt, es wäre alles viel leichter gewesen, hätte es die Moslems nicht gegeben. Die Serben und Kroaten hätten das Land einfach untereinander aufgeteilt. Die Serben sind eines der wenigen Völker, die mit ihren eigenen Geschichtsmythen noch nicht zurechtgekommen sind, besonders mit ihrer Kosovo-Geschichte. Sie konnten die Niederlage gegen das Osmanische Reich nicht akzeptieren, als ob davon die ganze Welt abhängig wäre. Danach schimpften sie auf alles, was irgendwas mit den Türken zu tun hatte. Die islamische Gemeinschaft war hier eigentlich nie so stark wie die katholische Kirche. Deshalb möchte ich den heutigen Großmufti von Bosnien Herzegowina zitieren, der gesagt hat: "Danke an Radovan Karadzic, weil er den Moslems deren Glauben zurückgegeben hat." Viele Moslems, die hier geblieben sind, leben in Mischehen. Die hiesigen Moslems waren keine arabischen Moslems. Das sind bosnische Moslems, spezifische Moslems. Vor dem Krieg waren die bosnischen Moslems nicht so richtig religiös. Die haben eher selten die Moschee besucht, haben selbst Alkohol getrunken und Schweinefleisch gegessen. Sprecherin 2 Der in Bihac aufgewachsene Schriftsteller Nihad Hasanovic lebt heute in Sarajewo. O-Ton Nihad Hasanovic: Übersetzer Wenn die Leute über den zweiten Weltkrieg sprechen, sagen sie nie: es gab Kämpfe zwischen protestantischen Kampfverbänden aus den USA und, sagen wir, einigen katholischen Batallionen aus Bayern. Aber im Bosnienkrieg sprach man von serbischen Truppen und muslimischen Truppen. Die religiöse Eigenschaft der bosniakischen Armee, wurde ständig überbetont, aber nicht die der serbischen oder kroatischen Streitkräfte. Ein merkwürdiger Umgang der westlichen Medien mit dem Islam auf dem Balkan. Seitdem haben die Leute viele Stereotype über Moslems im Kopf. Menschen mit Messern zwischen den Zähnen und langen Bärten. Es gab nur eine einzige Einheit in Zentralbosnien ? und das ist wahrscheinlich das schlimmste, was der bosnische Armee passiert ist ? die etwa 1000 Mann stark war, und die aus ausländischen Mudschahedin aus Nordafrika und dem Nahen Osten bestand. Aber wenn man die vergleicht mit 100 000, 150 000 Mann in der bosnischen Armee insgesamt, ist das nur ein kleiner Prozentsatz. Musik O-Ton Tanja Topic: Da werden auch seitens der islamischen Gemeinschaft einige Politiker als Verräter bezeichnet, als jemand der das muslimische Interesse verraten hat, der zu Gunsten des Feindes handelt. Dann rufen die meistens bei den Wahlen auf, wen die Bürger wählen sollen. Und da entscheiden in den letzten Wahlzyklen auch praktisch die islamischen Gemeinschaften, wer von den bosniakischen Parteien gewinnt. O-Ton Nihad Hasanovic: Übersetzer Was hier in Bosnien mit dem Islam passiert, betrifft den Islam in der ganzen Welt. Das eine folgt aus dem anderen. Eins sollte von islamischen Dogmatisten und Gelehrten, die eine rigide Version des Islam predigen, akzeptiert werden: Der Islam sollte als menschliches Wissen oder als eine menschliche Erfahrung behandelt werden, die kritisiert werden und über die gesprochen werden muss. Die Menschen können sich nicht nach dem Motto verhalten: Wenn du dem Koran widersprichst oder das Leben meines Propheten kritisierst, dann beleidigt mich das. Das ist kein guter Weg zu einem Dialog. Denn die Leute haben unterschiedliche Meinungen: wenn du etwas nicht magst, kannst du nicht so tun als wärst du ein Kind, das immer beleidigt ist, weil es etwas mag, das du nicht magst. Wie ein Teenager: Du magst die Band nicht, die ich mag ? also mag ich dich insgesamt nicht, ich will nicht dein Freund sein. Der Islam ist eine Art flexibler Totalitarismus. Für mich ist es schwierig, darüber zu sprechen, denn ich bin auch Teil dieser Welt, ich komme aus einer muslimischen Familie. Ich bin kein religiöser Mensch, aber ich lebe hier. Wir stecken fest mit diesem Dayton-Vertrag und den Mechanismen, die es festgelegt hat. O-Ton Tanja Topic: Einige Priester und einige Vertreter der orthodoxen Kirche, die waren direkt mit der Waffe an der Front. Und da haben sie sich auch fotografieren lassen. Die haben wieder die Rolle bekommen, die sie früher im Kommunismus nicht hatten. Die sind wieder im Vordergrund gewesen, konnten sich in der Öffentlichkeit zeigen. Ich denke, dass sie sehr viel mitbewirkt haben, und ich habe nicht den Eindruck, dass sie viel zur Versöhnung beigetragen haben. Musik/Atmo O-Ton Tanja Topic: Wir waren alle so vermischt, dass man überhaupt nicht wusste, wer zu welcher ethnischen Gruppe gehört. Und das war auch nicht wichtig, denn ethnische Identität war nicht die bedeutendste Identität der Menschen damals in Bosnien und Herzegowina. Zum Beispiel in der Schulklasse waren wir von allen ethnischen Gruppen. Niemand wusste und ich wusste auch nicht als Kind nach Namen oder wie ich jetzt unterscheiden kann, wer ein Kroate, ein Serbe oder ein Bosniake ist. Das Schöne an diesem gemeinsamen Leben war, dass wir alles zu den Feiertagen von unseren Freunden, Kollegen aus der anderen ethnischen Gruppe ? dass wir alle dabei waren, und umgekehrt, dass die anderen zu unseren Ostern, Weihnachten gekommen sind und alle irgendwie gemeinsam gefeiert haben. Diese ethnische Identität hatte im Alltag gar keine Rolle gespielt, vor allem unter den Jugendlichen. - Das war wunderschön.. Atmo: Gesang O-Ton Marko Orsolic: Nationale und nationalistische Parteien oder Ideologien können nicht aus Bosnien einen Staat machen. Weil Bosnien-Herzegowina ist ein spezielles Gebilde, das hat Tito allein durchschaut. Schon 1939 hat er klar gesagt: Bosnien-Herzegowina ist ein historisches Gebilde. Was das heißt, wissen wir auch nicht. Aber alle, die aus Bosnien-Herzegowina einen Rest von Serbien, Rest von Kroatien und ein Muslimanien machen wollen, werden nie Erfolg haben. O-Ton Amir Husak: Das erste Mal, als ich nach dem Krieg in Banja Luka war, 2008, war es sehr seltsam. Ich kenne die Stadt von vor dem Krieg. Meine Tante hat dort gelebt usw. Aber jetzt war diese Stadt etwas anderes. Die Stadt wirkt irgendwie betäubend für mich, weil alles so ziemlich sauber ist. Dort wurde nicht gekämpft, die meisten Gebäude sind da. Und alles ist irgendwie aufgeräumt, schöne Cafés, einen schönen Park haben die auch in der Stadtmitte. Ältere Menschen sitzen da und spielen Schach. - Aber: als ob nichts passiert ist. Sprecherin 2: Amir Husak, floh mit seiner Familie wegen des Krieges aus Bosnien. Er lebte zunächst einige Jahre in Deutschland, inzwischen in den USA. Als Filmemacher und Medienwissenschaftler beschäftigt er sich mit den Verhältnissen in seiner ehemaligen Heimat. O-Ton Amir Husak: Als ich kurz in dieses Touristenbüro gegangen bin und mir diese Touristenbroschüren angeguckt, sah ich, dass wirklich nicht viel über die Geschichte der Stadt erzählt wird. ZUM BEISPIEL nichts über Ferhadija. Oder über den Krieg gab es vielleicht einen Satz in dieser Broschüre. Einen Satz der sagt, Banja Luka Wirtschaftsschwierigkeiten hatte. Das war alles. Im öffentlichen Raum findet man überhaupt nichts, das sagen könnte, dass da auch andere Menschen gelebt haben, und dass da was schreckliches passiert ist. Das ist, glaube ich, ein großes Problem: Dass die Stadt ihre eigene Geschichte nicht anerkennt. O-Ton Alexander Trifunovi?: Übersetzer Wir haben eine ziemlich gleichförmige Öffentlichkeit. 90 Prozent der Leute denken, alles sei Okay, dass wir eine Art glückliches Königreich sind. Die Wirklichkeit ist anders: Wir sind eine arme Gesellschaft mit viel Nationalismus, einem schlechtem Erziehungs- und Gesundheitssystem. Etwa 70 Prozent der Leute wollen dieses Land für immer verlassen. Das ist die Wahrheit, wir müssen darüber reden und nachdenken. Musik Sprecher 1: Kasim Mujcic ist Vorsitzender der Muslimischen Gemeinde von Banja Luka. O-Ton Kasim Mujcic: Übersetzer Ich schaue in erster Linie durch das Prisma der Religion, aber ich bin auch realistisch: Banja Luka ist die schönste Stadt in Bosnien-Herzegowina. Als die Bürger die Stadt verließen, ging niemand, weil er Banja Luka hasste, sondern weil er musste. Ich würde niemals jemandem empfehlen, nach Banja Luka zurückzukommen, wenn er nur zu Hause sitzen müsste, nichts tun könnte und unter schlechten Bedingungen leben müsste. Insofern müssten sich die Bedingungen noch deutlich verbessern. Aber besonders junge Leute, die eine Existenz aufbauen wollen, würden gerne nach Banja Luka zurückkehren, wenn es für sie möglich wäre, sich zu entfalten. Atmo O-Ton Alexander Trifunovi?: Übersetzer Ich kann nicht verstehen, dass heute in dieser Welt, in Europa, in einem Land nur in den Kategorien von Nation und Ethnizität gedacht wird. Im Umkreis von 300 Metern um die Ferhadija-Moschee hat man die drei größten Religionen der Welt ? ohne irgendeine Kommunikation. Das Erziehungssystem, die Medien müssen das Bewusstsein stärken, dass es etwas Normales und Gutes ist, dass wir verschiedene Religionen in unserer Stadt haben. Wir verlieren den Sinn für den Mitmenschen und das gilt nicht nur für Banja Luka. Wir verlieren das Bewusstsein, dass unser Nachbar wichtig ist, dass man den Schlüssel in seinen Briefkasten wirft und ihn bittet, auf die Wohnung aufzupassen, wenn man verreist. Ich bezweifle, dass in den religiösen Gemeinschaften viele normale Leute sitzen. Wir setzten unseren Krieg fort. Es geht um unseren Staat: Wenn wir unseren Staat säkular nennen, muss er säkular sein. Momentan ist das aber nicht der Fall, es steht nur auf dem Papier. Die Religion hat großen Einfluss auf die Politik und ich glaube nicht, dass sich das in naher Zukunft ändern wird. Musik O-Ton Nihad Hasanovic: Übersetzer Es müssen hier in Bosnien-Herzegowina politische Kräfte entstehen, vielleicht mit Hilfe der EU und den USA, die andere politische Grundsätze, eine andere Rechtsordnung schaffen. Individuen und Bürger in Bosnien Herzegowina müssen gestärkt werden, nicht nur ethnische Gruppen. Momentan haben wir drei ethnische Gruppen: Serben, Kroaten und Bosniaken. Aber es gibt eine vierte Gruppe, die im politischen Sinne unsichtbar ist, und die muss machtpolitisch sichtbarer werden, im Parlament, überall. Wenn du hier in Bosnien Roma oder Jude bist, kannst du kein Mitglied des Staatspräsidiums werden, weil es für Bosniaken, Kroaten und Serben reserviert ist. So ist es mit fast jedem wichtigen öffentlichen Amt. Es gibt keine speziellen Gesetze, aber wenn du kein Kroate, Bosniake oder Serbe bist, kannst du keine politische Macht ausüben. Aber genau das sollte in Gesetzen oder der Verfassung festgeschrieben werden, finde ich. Wenn zum Beispiel alle Richterstellen von Serben besetzt werden und sie machen ihre Sache gut ? wo ist das Problem? Das ist das Hauptproblem: warum werden manche Leute geringer geschätzt während andere Leute, die sich als Serben, Bosniaken und Kroaten bezeichnen, wichtiger sind? Sie sind sogenannte "konstitutive ethnische Gruppen" - Also was sind dann die anderen ... Insekten? Musik Sprecher Ein Anwohner der Ferhadija erinnert sich, dass er einen Glassplitter in die Hand bekommen habe, als die Moschee in die Luft gesprengt wurde. Er sagt, die Sprengung damals sei eine der größten Sünden in der Geschichte der Stadt gewesen. Und wenn sie sie wiederaufbauen, sollten sie das schnell tun. - Aber so wie sie bauen, wird es 50 Jahre dauern. Atmo Absage Der Krieg, der Mob und das Gotteshaus Die Ferhadija-Moschee in Banja Luka Ein Feature von Sebastian Meissner und Hartwig Vens Es sprachen: Hüseyin Michael Cirpici Kerstin Fischer Stefanie Mühle und Volker Risch Sie hörten eine Autorenproduktion im Auftrag des Deutschlandfunks 2010 Redaktion: Hermann Theißen 20