COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachpiel am 15. März 2009 Fußball unterm Hakenkreuz Fans graben die Geschichte ihrer Vereine aus Autor: Ronny Blaschke Atmo Pauli-Stadion Vereinshymne Autor: Am Anfang steht die Leidenschaft. Sie ist die Voraussetzung. Der Antrieb. Im Fall von Gregor Backes liegt dieser Antrieb auf St. Pauli. Im Kiez und im Verein. O-Ton Backes "Im Grunde ist das ganze Leben dieser Menschen hier im Viertel, mit denen ich zu tun habe, hat irgendwie auch mit diesem Verein zu tun, weil es natürlich auch ein Stadtteilverein ist, der mit diesem Viertel eng verwurzelt ist und eben nicht wie der HSV jetzt ein Verein irgendwo draußen in Stellingen, wo man alle zwei Wochen mal hinfährt und sich ein Fußballspiel ansieht." Autor: Gregor Backes weiß seine St. Pauli-Familie zu schätzen. Für seinen Verein ist er aus der Provinz nach Hamburg gezogen. Nun lebt er drei Gehminuten von der Reeperbahn entfernt in der Nachbarschaft seines Klubs. Backes verpasst kein Heimspiel seit fast zwanzig Jahren. Oft macht er sich schon eine Stunde vor dem Anpfiff auf den Weg ins Millerntorstadion. Er bindet seinen Schal um, trifft sich mit Freunden und schaut in der Fankneipe vorbei. Anschließend nimmt er seinen Platz im Stehblock ein. Sitzen kommt für ihn nicht in Frage. Er will mitfiebern, mitjubeln, mitleiden. Atmo Pauli-Stadion Sprechchöre kurz hochfahren Autor: Doch für Gregor Backes muss das Leben als Fan mehr bieten als Klatschen, Singen, Trauern. Er ist Klubmitglied und interessiert sich für das Innenleben des FC St. Pauli. Für Wirtschaft, Infrastruktur - und für die Vergangenheit. Backes ist Anfang vierzig, auf dem zweiten Bildungsweg studiert er Geschichte. Seine Abschlussarbeit soll den Verein im Nationalsozialismus beleuchten. Er hatte sich dafür bewerben müssen, er wollte den Zuschlag unbedingt. Nach einem Vorstellungsgespräch im Präsidium erhielt er den Auftrag. Nicht als Fan - sondern als Historiker. O-Ton Backes "Natürlich, muss man sagen, klammheimlich, wenn ich lese in irgendwelchen Tageszeitungen nebenbei, dass St. Pauli den HSV nun 5:0 geschlagen hat, dann freue ich mich auch heute noch darüber. Aber in erster Linie geht es dann schon darum, meine Arbeit vernünftig zu machen." Autor: Der FC St. Pauli möchte die Arbeit im kommenden Jahr veröffentlichen, wenn er seinen hundertsten Geburtstag feiert. So wühlt sich Gregor Backes seit Monaten durch Berge von Akten, Zeitschriften, Büchern. Er muss graben, graben, graben. Stur und Geduldig wie ein Detektiv. O-Ton Backes "Schon so, dass es tatsächlich auch Unterlagen gibt aus der Zeit und über diese Zeit, aber vermutlich noch niemand danach gesucht hat. Manchmal auch ne nicht besonders erfreuliche Arbeit, wenn man wirklich drei Tage im Archiv sitzt und auch einfach mal drei Tage nichts findet." Autor: Mit den Emotionen auf der Tribüne hat diese neue Seite des Fanlebens wenig gemeinsam. Es ist eine seltene Form der Unterstützung, vielleicht ist sie gerade deshalb so wichtig. Gregor Backes kommt dem FC St. Pauli in aller Stille näher. Und manchmal auch in der Dunkelheit. O-Ton Backes "Diesen klassischen Raum, wie man sich gemeinhin ein Archiv vorstellt, den habe ich bisher tatsächlich nur in der Staatsbibliothek hier in Hamburg gesehen, und dort auch nur in diesem Mikrofilmlesesaal. Das ist eben wirklich ein abgeschlossener Raum, ganz unten in der Ecke, ohne Fenster, mit künstlichem Licht und riesigen Leseapparaten, die einfach spätestens nach ner Stunde Kopfschmerzen bereiten und wo wirklich irgendwann die Luft stickig wird." Autor: Backes steht mit seinen Forschungen am Anfang. Eine Prognose, wie sich der FC St. Pauli im Dritten Reich genau verhalten hat, kann er noch nicht abgeben. Als belastet gelten Vereine, die schon vor der Machtübernahme 1933 offen für die Nazis Position bezogen hatten. Die frühzeitig ihre Stadien für Aufmärsche zur Verfügung stellten oder einen hohen Prozentsatz an NSDAP-Mitgliedern in ihren Reihen zählten. Was auch immer Backes aufdecken wird, an seinem Verhältnis zum Verein wird dessen Vergangenheit nicht viel ändern. Backes wird für St. Pauli weiter klatschen, singen - und forschen. Atmo Pauli-Stadion Autor: Der FC St. Pauli unterstützt die Forschungen finanziell. Das ist eine Ausnahme im Profifußball. In der Regel liegt das Interesse woanders: Es geht um Meisterschaft oder Klassenerhalt. Um Tore oder Paraden. Rendite oder Konsolidierung. Die düsteren Geheimnisse ihrer Geschichte interessieren die Vereine wenig. Sie schleppen sie mit wie lästigen Ballast. Das Geschichtsbewusstsein wird an der Basis gepflegt. Im besten Fall dulden die Klubs die Forschungen ihrer Fans. Manchmal blockieren sie sie auch. In Nürnberg wurde zum Beispiel ein Student aus dem Vereinsarchiv geworfen. Klubs und Verbände wollen ihr Gedächtnis nicht strapazieren, nach dem Motto: Erinnerungen könnten schädlich sein. Westernhagen "Versuch dich zu erinnern" (Nahaufnahme2005), Warner Music, LC 04578 O-Ton Schulze-Marmeling "Insgesamt, klar, neigt der Fußball dazu, seine Geschichte schön zu schreiben, Kritiker als Nestbeschmutzer zu denunzieren, nicht nur dieses Thema betreffend, sondern auch andere Themen betreffend. Das Problem ist, glaube ich, dass Sie heute in den Vereinen häufig Leute haben, für die die Geschichte dieser Vereine überhaupt erst mit der Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit für diese Vereine beginnt und die das schlichtweg nicht interessiert. " Autor: Dietrich Schulze-Marmeling hat viele Bücher über die Geschichte des Fußballs veröffentlicht. Über Helden und Versager, Titel und Abstiege. Aber das allein hat ihn nie zufriedengestellt. Der Publizist aus der Nähe von Münster hat im Fußball mehr gesehen als die schönste Nebensache der Welt. Er hat sich für die politischen Hintergründe interessiert. Der Fußball ist für ihn ein Kulturphänomen, eine Metapher. Je tiefer er bohren muss, desto mehr Freude bereitet ihm die Arbeit. Oft werden seine Bücher am Ende doppelt so umfangreich, wie anfangs geplant. Zu entdecken gibt es schließlich genug. O-Ton Schulze-Marmeling "Also eigentlich machen solche Bücher bisschen mehr Spaß. A weil sie ja inhaltlich, wissenschaftlich anspruchsvoller sind, weil sie einen einfach als Person viel mehr fordern als andere Fußballbücher und b, weil man ein gutes Gefühl dabei hat, weil man denkt, man kann über solche Bücher auch etwas bewegen." Autor: Der Deutsche Fußball-Bund symbolisierte lange Zeit die Verdrängungskultur des deutschen Sports. Der Verband ließ noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg verharmlosende Schriften über sich erstellen. Von Autoren, die selbst im Naziregime verwickelt waren. Wenn überhaupt, stellten sich Funktionäre als Mitläufer da. Niemals als Täter. Sie brüskierten damit die wahren Opfer. Verantwortung für die Vergangenheit? Keine Spur. O-Ton Schulze-Marmeling "Ich glaube, dass sehr lange Zeit im DFB eine ganz merkwürdige Form vorherrschte, nach der man gesagt hat, egal wie schwarz die Schafe sind, sie sind welche von uns, und wir haben die Pflicht, über sie die Hand zu halten. Und der DFB ist da wirklich sehr, sehr spät über die Ziellinie gegangen, aber immerhin, man muss sagen, er ist mittlerweile über die Ziellinie gekrochen." Autor: Dass der DFB sich ins Ziel geschleppt hat, ist dem öffentlichen Druck zu verdanken. Der Verband hatte seine Meinungs- und Interpretationsherrschaft an kritische Fans verloren. Es war dann Theo Zwanziger, der sich für eine Erinnerungskultur stark machte. Der Präsident des DFB gab Anfang dieses Jahrtausends eine Studie in Auftrag. Sie untersucht die Rolle des DFB im Nationalsozialismus. Den Vorwurf, dass diese Studie Jahrzehnte zu spät kommt, kann und will Zwanziger nicht entkräften. O-Ton Zwanziger "Ich habe nie einem Kritiker, der diese Behauptung aufgestellt hat, entgegen halten können aus Überzeugung: früher wär's nicht möglich gewesen. Wir wollen nichts unter den Teppich kehren, denn wenn wir unter den Teppich kehren, übernehmen wir Verantwortung für negative Entwicklungen in der Zukunft." Autor: Zwanziger ist einer der wenigen Fußballfunktionäre, die sich um den Nachlass der Geschichte kümmern. Ihm war es wichtig, einen unabhängigen Autoren für die Studie zu finden. Über drei Jahre finanzierte der Verband die Forschungen von Nils Havemann. Der Mainzer Historiker zeichnet nach, wie der DFB im Dritten Reich durch das Regime profitierte. Das Echo nach dem Erscheinen seiner Studie war überwiegend positiv. Zwanziger redet sich fast in Rage, wenn er an die Verharmlosungen von manchen Kollegen denkt. O-Ton Zwanziger "Das ist eben etwas, wo ich anfange, mich aufzuregen, wenn mir entgegen gehalten wird, ach, das ist doch jetzt so lange her und jetzt muss man das doch mal ruhen lassen. Und das ist genau die falsche Botschaft. Ganz im Gegenteil: du musst, je mehr du dich davon entfernst und je mehr in den heranwachsenden Generationen sicherlich der Gedanke vorherrscht, na ja, dass ist doch vor langer Zeit gewesen, und heute kann das ja alles nicht mehr passieren, umso mehr, denn es kann heute genauso passieren, wie es damals passiert ist." Nick Cave As I Sat Sadly By Her Side (No more shall we part, 2001) Mute Records, LC 05834 Autor: Gleichgültigkeit gegenüber der Geschichte? Anton Löffelmeier hat davon mehr als genug erlebt. Inzwischen ist er gelassener geworden. Löffelmeier sitzt schließlich direkt an der Quelle. Seit zwanzig Jahren arbeitet er im Münchner Stadtarchiv. Noch länger ist er Fan des TSV 1860. Schon als Kind ging er ins Grünwalder Stadion und jubelte für die Löwen. Stehplatz natürlich. Mittlerweile geht er nicht mehr so oft zum Fußball. Die moderne Arena am Stadtrand ist nicht seine Welt. Sie ist ihm zu kommerziell, zu sehr Wohnzimmer. Doch Löffelmeier muss nicht im Stadion sitzen, um seinen Verein hautnah zu erleben. Im Gegenteil. Vermutlich weiß niemand so viel über den TSV 1860 wie er. Atmo Archiv Regale quietschen Autor: Anton Löffelmeier kennt die Geräuschkulisse aus Archiven und Bibliotheken. Das Quietschen der Regale, das Rascheln der Bücherseiten, die Schritte auf dem Holzfußboden. Vor fünfzehn Jahren begann er mit der Erforschung des Münchner Fußballs. Der Historiker hatte damals den Nachlass eines Funktionärs aus dem 19. Jahrhundert erhalten. Für Löffelmeier war dieser Fund ein wahrer Schatz. Inzwischen, so vermutet er, hat er vier bis fünf Meter an Fußballakten durchgearbeitet. Ende April erscheint sein Buch über den TSV 1860 im Nationalsozialismus. Das Stöbern lässt ihn nicht los. Auch zu Hause nicht. Dass er mit seinen Forschungen nur ein kleines, dafür aber politisch interessiertes Publikum erreicht, nimmt er gern in Kauf. O-Ton Löffelmeier "Ich komme ja aus einem Bereich, in dem die Auflagenhöhen sehr begrenzt sind. Wenn ich in irgendeiner Fachzeitschrift einen Aufsatz veröffentliche, dann sind das bei 800 oder 1000 Exemplaren. Bei dem Fußballbuch können es vielleicht ein bisschen mehr sein, aber das sind natürlich Dimensionen, in denen man kein großes Geld verdienen kann. Da kann man natürlich ein paar Mal fein essen gehen, aber damit hat sich's schon. " Autor: Einfach sind die Recherchen nicht gewesen. Anton Löffelmeier musste bei null anfangen, denn einen lückenlosen Nachlass gab es nicht. Für den 50-Jährigen ist das keine Ausnahme - eher die Regel. Museen oder Archive gibt es bei den Vereinen selten. O-Ton Löffelmeier "Man muss natürlich auch sagen, dass Sportvereine oder Fußballvereine generell zur Schriftlichkeit eher ein gespaltenes Verhältnis haben. Viele Fußballvereine führen kaum ein Archiv, sind froh, wenn sie ihre tägliche Ablage irgendwie hinkriegen. Da gehen immer wieder Teile des Schriftguts oder der Altregistratur verloren." Autor: Firmen haben Archivpflicht, Fußballvereine nicht. Beim TSV 1860 zeigt sich das besonders. Während des Zweiten Weltkrieges wurde viel Material zerstört. Auch um den Restbestand kümmerten sich die Vorstände nicht. Bei einem Wasserschaden und beim Verkauf des Klubheims gingen ebenfalls Akten verloren, den Rest soll der frühere Vereinspräsident Karl- Heinz Wildmoser achtlos weggeworfen haben. Für Anton Löffelmeier war das ein Hindernis, aber kein Grund aufzugeben. Er erstellte mit Hilfe des kommunalen Schriftverkehrs ein Gerüst für seine Studie. Weniger Unterstützung erhielt er von Zeitzeugen. Er schaltete ein Inserat im Vereinsmagazin. Darauf hin rief ein älterer Herr bei ihm an. Er beschimpfte seinen Sohn, der zufällig am Telefon war. Löffelmeier versucht sich in seine Lage zu versetzen. O-Ton Löffelmeier "Man ist auch in gewisser Weise unsicher, was wird gefragt, wie wird es ausgewertet, werde ich vielleicht persönlich mit involviert, schadet es mir persönlich, schadet es dem Verein? Da sind natürlich auch emotionale Hürden zu überwinden, bevor man jetzt ein vertrauensvolles Gespräch führen kann." Westernhagen "Versuch dich zu erinnern" (Nahaufnahme, 2005), Warner Music, LC 04578 Autor: Immer wieder fand Löffelmeier in den Dokumenten Notizen und Passagen, die einen braunen Schatten auf seinen Verein warfen. Einige Führungskräfte des TSV 1860 sind früh einen Pakt mit den Machthabern eingegangen. Zum Beispiel Sebastian Gleixner. Der ehemalige Fußballabteilungsleiter engagierte sich schon in den zwanziger Jahren für die NSDAP im Kampf gegen Gewerkschaften. Er zettelte Saalschlachten an und sorgte dafür, dass Sozialdemokraten und Kommunisten ins Konzentrationslager kamen. O-Ton Löffelmeier "Wenn man diese persönlichen Schicksale nachliest, dann lässt einen das nicht kalt, dann wird man auch innerlich berührt." Autor: Der TSV 1860 München hat dieses Thema lange verschwiegen. Auch der Studie von Anton Löffelmeier stand die Klubführung zunächst skeptisch gegenüber. Wie würden die Sponsoren auf belastende Beweise reagieren, lautete eine sorgenvolle Frage. Was würden die Boulevardzeitungen schreiben? Und wie würden die Fans damit umgehen? O-Ton Löffelmeier "Meines Erachtens ist diese Sorge unbegründet, erst wenn man mehr weiß über diese Vergangenheit, über die NS-Zeit, wird man sich auch damit auch besser auseinander setzen können. Und man sieht's ja auch, dass die Firmen, die sich zum Beispiel mit der NS-Zeit befasst haben, eigentlich eher einen Imagegewinn davon getragen haben." Autor: In den neunziger Jahren hatte eine Debatte um jüdische Zwangsarbeiter und Enteignungen Empörung ausgelöst. Konzerne wie die Deutsche Bank, BMW oder Siemens öffneten auf Druck ihre Archive. Die Ergebnisse, auch wenn sie schockierend waren, konnten die Unternehmen in ihre Öffentlichkeitsarbeit einbinden. Sie schärften ihre Identität, gaben sich verantwortungsvoll und geschichtsbewusst. Der Fußball hinkt dieser Erkenntnis um Jahre hinterher. Schalke 04, Borussia Dortmund, Werder Bremen oder Eintracht Frankfurt haben ausgiebige Recherchen zwar unterstützt, aber die meisten Vereine wollen nicht einmal den Marketingwert der Geschichte anerkennen. O-Ton Löffelmeier "Das Bewusstsein dafür, dass man hier auch Geld investieren kann, genauso wie man in Merchandising Geld investiert, oder in andere Werbemaßnahmen, dass das genauso gut investiert ist, dieses Bewusstsein ist bei den allerwenigsten Vereinen." Autor: Das gilt auch für den FC Bayern. Der deutsche Rekordmeister interessiert sich wenig für seine Zeit vor 1945, dabei hätte er kaum schlechte Schlagzeilen zu befürchten. Die Münchner wehrten sich lange gegen die Machthaber und schützten ihre jüdischen Mitglieder. Der aktuellen Vereinsführung ist diese Geschichte bekannt. Das behauptet sie zumindest. O-Ton Karl-Heinz Rummenigge "Ja, die ist mir bekannt. Wir hatten während dem Zweiten Weltkrieg einen Präsidenten namens Landauer, und dieser Herr Landauer war jüdischer Abstammung und äh ... diese Geschichte ist sehr wohl bekannt, ja." Autor: Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern, im September 2004 vor einem Spiel bei Maccabi Tel Aviv. Rummenigge kennt den Namen, nur die Zahlen anscheinend nicht. Kurt Landauer war nicht während des zweiten Weltkrieges Vereinspräsident, sondern davor. 1939 musste er in die Schweiz fliehen. Diese Ungenauigkeit Rummenigges verdeutlicht die Haltung der Münchner. Der FC Bayern orientiert sich an einem globalen Markt, für die nationale Geschichte ist kaum Platz. O-Ton Löffelmeier "Ich finde es ein bisschen bedauerlich, weil natürlich auch die Bayern ein Verein sind mit langer und großer Tradition und eigentlich ihre Vereinsgeschichte erst so in den sechziger und dann in den siebziger Jahren pflegen." Autor: Dass es heute an der Arena einen Kurt-Landauer-Weg gibt, ist nicht dem FC Bayern zu verdanken. Den Antrag haben im Stadtrat die Grünen gestellt. Am 28. Juli dieses Jahres wird der Geburtstag Landauers 125 Jahre zurückliegen. Ob der FC Bayern einen Erinnerungstag oder gar eine tiefgründige Studie plant, ist unklar. Eine schriftliche Anfrage ließ der Klub unbeantwortet. Anton Löffelmeier hätte nichts dagegen, auch über den FC Bayern im Nationalsozialismus ein Buch zu schreiben. Er ist Anhänger der Blauen, aber wenn es um Erinnerung geht, würde er auch den Roten helfen. Westernhagen "Versuch dich zu erinnern" (Nahaufnahme, 2005), Warner Music, LC 04578 O-Ton Koerfer "Je ferner das Dritte Reich uns ist, desto näher soll es uns sein, aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn eigentlich ist der Kenntnisstand über das Dritte Reich verschwindend gering, beziehungsweise wir leben alle, also die nicht professionellen Journalistenkollegen von Ihnen, und so weiter, die ich kenne, leben alle von ihren eigenen Grundüberzeugungen, sagen wir's vorsichtig, oder nennen wir es Vorurteile." Autor: Bald werden es 50000 wissenschaftliche Publikationen sein, die den Nationalsozialismus zum Thema haben - auf den Sport entfällt nur ein Bruchteil. Auch deshalb hat Daniel Koerfer nicht lange gezögert. Der Geschichtsprofessor der Freien Universität Berlin hat ein Buch über Hertha BSC im Nationalsozialismus verfasst. Es erscheint Ende April. Koerfer hat auf diesem Weg ein Brachland der Wissenschaft erschlossen. Es ging ihm dabei nicht um Belastung oder Reinwaschen. Er wollte die Zwischentöne herausarbeiten, die lange Zeit vernachlässigt und verschwiegen wurden. O-Ton Koerfer "Das Dritte Reich ist nach dem Untergang tabuisiert worden, und eigentlich wollte keiner drüber reden, und es ist ja auch verständlich. Alle waren, die miteinander drüber redeten, hätten reden können, waren irgendwie beteiligt. Entweder als Täter in irgendeiner Form oder als Opfer. Auf jeden Fall: Gab immer ein Element des Konfrontativen." Autor: Es ist jedoch unmöglich, die Jahrzehnte der Verdrängung aufzuholen. Bald werden auch die letzten Zeitzeugen sterben und damit sinkt die Chance einer authentischen Nachbetrachtung. O-Ton Koerfer: "Wird immer schwieriger, eigentlich bin ich schon zu spät. Ich bin eigentlich drauf angewiesen, oder wäre gewesen, Zeitzeugen zu finden. Und was habe ich gefunden? Einen lebenden. Den letzten Mittelstürmer, der ist jetzt 86. Von 43 bis 45 gekickt bei Hertha. Das ist doch viel zu wenig für ein richtiges Bild. Ich brauche viel mehr." Autor: Der Fußball, heißt es, sei ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und so offenbart auch die beliebteste Sportart der Deutschen das Wegschauen einer Gesellschaft. Ein Menschenleben lang haben sich Kirche, Verlage oder Banken vor einem Blick zurück gescheut. Eberhard Schulz ist Kuratoriumsmitglied der Versöhnungskirche Dachau, wo er immer wieder auch Fans begrüßen darf. Für Schulz ist der Fußball kein Nachzügler. Er hat dafür gesorgt, dass der Holocaust-Gedenktag auch in den Bundesliga-Stadien Erwähnung findet. Verdrängte Vergangenheit macht krank, glaubt er, und wirft einen Blick über die Grenzen hinaus. In vielen Ländern hat der Fußball von seinen Diktaturen profitiert. In Spanien unter Franco, in Chile unter Pinochet. Eine ernsthafte Aufklärung der Verstrickungen gab es nicht. O-Ton Schulz "Was verdrängt ist, das wirkt im Untergrund. Und wenn es nach außen kommt, wenn es gespiegelt wird, wenn es erkannt wird, verliert es auch seine Kraft und seine Bedeutung, und zwar seine negative Bedeutung." Autor: Die Folgen sind besonders in Italien zu spüren. So sehr der faschistische Führer Mussolini den Fußball schon in den zwanziger Jahren instrumentalisiert hat, so sehr benutzen ihn Rechtsradikale in der Gegenwart. Ganze Stadionkurven werden von Faschisten beherrscht. Paolo Di Canio, ehemaliger Spieler von Lazio Rom, konnte mehrfach den Hitlergruß zeigen. Er blieb ohne Strafe. Viele italienische Politiker und Funktionäre haben sich nie ausreichend von Rechtsextremen distanziert. Auch nicht von deren Vergangenheit. Coldplay Parachutes (Parachutes, 2000) EMI Records, LC 0299 Tor-Atmosphäre Walter Autor: Fritz Walter wird als einer der größten Helden des Fußballs verehrt. Nicht nur bei seinem Heimatklub, dem 1. FC Kaiserslautern. Walter hat seinen Verein nie verlassen, galt als Heimat verbunden, loyal, bodenständig. Fans nennen ihn das gute Gewissen des Sports. O-Ton Walter "Ja, da bin ich um sechs Uhr aufs Fahrrad, bin hoch zum Betzenberg. Da waren noch die steilen Treppen, hab' ich's Rad auf den Buckel genommen. Hab's hingestellt an den Zaun, bin drüber geklettert, morgens um sechs, und hab' meine Runden gedreht, so wie ich mir gedacht hab, dass es richtig ist, war um sieben zu Haus, hab' mich ans Wasser stellt. Da gab's noch kein Bad und kein' Brause, bissl kalt abgeduscht. Und um halb acht hab ich auf der Stadtsparkasse gesessen und hab gearbeitet." Autor: Markwart Herzog ist seit seiner Schulzeit Fan des 1. FC Kaiserslautern. Auch er hält den 2002 verstorbenen Fritz Walter für ein Idol des FCK. Dass die Verehrung der Pfälzer noch weiter reicht, erfuhr Herzog vor wenigen Jahren. Der Historiker aus Kaufbeuren erforschte in seiner Freizeit die NS-Vergangenheit des Vereins. Ein Projekt mit Nebenwirkungen. Vor allem die älteren Lauterer Anhänger hatten Angst, dass ihr Denkmal posthum stürzen könnte. O-Ton Herzog "Der größte Skeptiker, den ich hatte, war am Anfang der Rudi Michel, der erst kürzlich verstorbene Sportreporter. Der stand meinem Projekt zunächst sehr ablehnend gegenüber. Und für mich war's dann sehr schön im Lauf der Jahre, ich habe ihm dann auch immer meine Manuskripte zugeschickt, von meinen Aufsätzen, er hat die alle Korrektur gelesen. Und im Laufe der Jahre konnte ich ihn davon überzeugen, dass diese Arbeit eine sinnvolle Arbeit ist. Und als dann am Ende noch raus kam, dass am Fritz Walter nichts hängen bleibt, dann war für ihn die Welt wieder in Ordnung." Autor: Im November 2006 erschien Herzogs Studie. Nach acht Jahren Forschung. Sie wurde in der Pfalz mit Respekt und Wohlwollen aufgenommen. Die Quellenlage war schlecht gewesen, mehr als zwanzig Archive und Bibliotheken hatte Herzog besucht. Die Kosten überstiegen das Honorar seines Verlages bei weitem. Dutzende Gespräche hatte er mit Zeitzeugen und Nachfahren geführt. Noch immer hält er losen Kontakt zu etwa sechzig Informanten. Auch zu dem Neffen des ehemaligen Lauterer Spielers Albert Conrad. Und das, obwohl Herzog nichts Positives über dessen Onkel herausfinden konnte. O-Ton Herzog "Bei den Recherchen im Archiv bin ich dann darauf gestoßen, dass es sich bei diesem Mann um einen ganz üblen SA-Schläger gehandelt hat. Da hat's Prügeleien gegeben, Schießereien gegeben, mit vielen Verletzten. Und wie dann diese Sache raus war: wie soll ich diesem Neffen gegenüber treten und dem das klar machen? Also für den muss ja eine Welt zusammenbrechen. Ich bin dann zu dem Neffen hingegangen und hab dem das erzählt, ich hab das und das gefunden, und wir haben nach wie vor das beste Verhältnis." Autor: Für Markwart Herzog war es der Impuls eines leidenschaftlichen Fans, die Forschungen aufzunehmen. Ihn reizte die Verlockung des Neuen. Doch als es um die Veröffentlichung von brisanten Fakten ging, spürte er die Zufriedenheit eines Historikers. Beim FCK gab es wie bei vielen Vereinen Profiteure und Mitläufer. Aber auch tragische Opfer. O-Ton Herzog "Es gab in der Tat einen jüdischen Arzt im 1. FC Kaiserslautern. Der musste 1936 in die USA immigrieren, weil man ja den jüdischen Ärzten in Deutschland ja die Daseinsgrundlagen einfach entzogen hat. Der wollte vorausreisen nach New York und ist mit den Verhältnissen in der neuen Welt nicht zu Recht gekommen, und hat sich dann dort das Leben genommen. Und sein einziger Sohn, der heute noch lebt, der musste dann mit seiner Mutter 1936 dem Vater hinterher reisen zur Beerdigung. Das ist so eine der Geschichten, die mich sehr traurig gemacht haben." Autor: Markwart Herzog verschickte viele Dokumente an Erben früherer Mitglieder des 1. FC Kaiserslautern. Er konnte Fragen klären, auf die Familien Jahrzehnte lang keine Antwort wussten. Herzog half anderen, doch er half auch sich selbst: Sein Vater war ein bekennender Nationalsozialist gewesen, ständig lagen sie deshalb im Streit. Dieser Konflikt prägte die Beziehung. Vielleicht sind Herzog die Spuren der Geschichte auch daher so wichtig. Mit seinem Buch tritt der 50-Jährige nicht nur als Historiker in Erscheinung, auch als Pädagoge. O-Ton Herzog "Und ich weiß auch von Lehrern, die mein Buch im Geschichtsunterricht verwenden, weil diese Lehrer teilweise die Jugendlichen mit dem Thema Nationalsozialismus nicht mehr erreichen, aber mit dem Thema Fußball durchaus. Insofern ist Fußball als Massenmedium sicher ein probates Mittel, um auch Initiativen gegen Rassismus zu unterstützen." Autor: Der Rechtextremismus ist ein gravierendes Problem des Fußballs. Farbige Spieler werden beschimpft, bespuckt, geschlagen. Jüdische Teams sind vor Übergriffen nicht sicher. Oft mündet die Fremdenfeindlichkeit in Gewalt. Abseits der Stadien gehen NPD und Kameradschaften in Amateurvereinen auf Stimmenfang. Funktionäre wirken ratlos, wenn sie nach Gegenmaßnahmen gefragt werden. Dass sie Antworten auch in der Historie finden können, will ihnen nicht bewusst werden. O-Ton Herzog "Ich meine schon auch, dass es eine Verpflichtung von jedem deutschen Sportverein ist, sich der eigenen Geschichte bewusst zu werden. Und auch der Schattenseiten, und die solide und gründlich und auch von unabhängiger Seite aufarbeiten zu lassen und dafür dass bisschen Geld bereit zu stellen, das dafür nötig ist. Und wenn man sich jetzt den Etat eines großen Vereins wie VfB Stuttgart oder Werder Bremen anschaut, um so eine Vereinsgeschichte schreiben zu lassen, oder speziell eine Geschichte dieser zwölf dunklen Jahre des Nationalsozialismus, also das kann man wirklich aus der Portokasse bestreiten." Autor: Die Forderung von Markwart Herzog dürfte ein Wunschtraum bleiben. Was tiefgründige Recherchen bewegen können, zeigte sich in Gelsenkirchen. Der ehemalige Nationalspieler Fritz Szepan wurde beim FC Schalke 04 lange als Idol verehrt, er übernahm Mitte der sechziger Jahre sogar dessen Vorsitz. Bis heraus kam, dass Szepan 1938 ein Geschäft günstig erwarb, dass Juden zuvor enteignet worden war. Der FC Schalke zog nach der Enthüllung den Antrag zurück, in der Nähe seines Stadions eine Straße nach Szepan benennen zu wollen. Diese Entwicklung ist eine bemerkenswerte Ausnahme. Im Fußball gilt die Plattitüde: nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Von Geschichtsunterricht ist keine Rede. So werden die Vereine auch künftig auf die Initiative FF angewiesen sein. Auf die Initiative der forschenden Fans. Westernhagen "Versuch dich zu erinnern" (Nahaufnahme, 2005), Warner Music, LC 04578 ENDE