COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport ABSCHIED VOM KIRCHTURMDENKEN - Was bleibt von der Kulturhauptstadt für die Zukunft der "Metropole Ruhr"? Autor: Stefan Keim Red.: C. Perez Moderation: "Haben Sie mal 365 Tage Zeit?" Die selbstbewusste Frage prangte auf Plakaten im gesamten Ruhrgebiet. Essen und die Region waren ein Jahr lang Kulturhauptstadt, Events und Festivals jagten sich. Doch es sollte nicht nur um kurzfristige Hochglanzprojekte gehen, sondern um viel mehr - um die Neudefinition einer Landschaft über die Kultur. "Nachhaltigkeit" war das Wort, das die Verantwortlichen der Ruhr 2010 oft im Munde führten. Und an dem sie nun, am Ende des Hauptstadtjahres, gemessen werden. Stefan Keim geht der Frage nach, welche Impulse bleiben werden. Beitrag Musik X-Vision Ruhr 2010-Hymne Darüber: Drei Millionen Menschen auf der gesperrten Autobahn 40, eine Mischung aus Volksfest und lebender Kunstinstallation. Über 300 gelbe Ballons, schwebend über den ehemaligen Schachteingängen des Ruhrbergbaus. 60 000 Besucher singen gemeinsam im Fußballstadion Beethovens Ode an die Freude. Die Kulturhauptstadt hat große Bilder geliefert, keine Frage. Die Bevölkerung des Ruhrgebietes hat die Events angenommen und sich zu eigen gemacht. Ruhr 2010 - eine Erfolgsgeschichte? Klar, sagt Oliver Scheytt, Geschäftsführer der Kulturhauptstadt. O-Ton Scheytt "Es ist eine neue Marke entstanden, nämlich die Marke Ruhr. Und das Ruhrgebiet als Kulturmetropole in Europa, weil eine neue Gesamtwahrnehmung erfolgt ist. 110 000 Artikel weltweit sprechen da eine eindeutige Sprache, und die waren eindeutig positiv." Die wichtigste Seite der Kulturhauptstadt haben die überregionalen Artikel und Fernsehberichte weniger wahr genommen. Es sind die vielen kleinen Projekte, in denen Menschen ihre Geschichten erzählten. In denen Zuhören und Respekt im Mittelpunkt stehen. Und in denen ein Gemeinschaftsgefühl aufkommt, zwischen Alten und Jungen, Migranten und Einheimischen. Projekte wie "The Next Generation", ein Theaterstück am Bochumer Schauspielhaus mit Jugendlichen, die von ihren Träumen erzählen. O-Ton Calis "Da sie zu 90 Prozent aus zerrütteten Familien kommen, ist deren große Sehnsucht nach ner heilen Welt." Der Regisseur Nuran David Calis. O-Ton Calis "Je ärmer oder je schwächer um diese Person die Welt ist, je stärker sehnen sie sich nach dem Wertekanon, der dieses Land ausmacht, die Bürgerlichkeit. Du merkst, dass sie alle wahnsinnig daran interessiert sind, in diese Gesellschaft einzutauchen." O-Ton Laue "Für mich war immer dieser Gedanke sehr faszinierend, dass man die kulturelle Geschichte einer Region nicht über tote Dichter und eine wahnsinnig tolle Architektur oder Traditionen erzählt, sondern über die Geschichten der Menschen, die hier leben, und über die Art, wie sie ihr Zusammenleben organisieren." Thomas Laue, Chefdramaturg des Bochumer Schauspielhauses, will die Idee von "The Next Generation" weiter entwickeln. Durch Konzentration und Verdichtung. O-Ton Laue "Ich überlege im Moment - gemeinsam mit der Dramaturgie - , ob wir uns nicht mal einen viel überschaubareren Ort, vielleicht einen Stadtteil oder eine Straße angucken sollten und über einen langen Zeitraum diesen Ort bespielen, erforschen, anschauen, Menschen treffen sollten. Und zwar Menschen, die nicht so wie wir aus dem Kunst- und Kulturbereich kommen, sondern die aus ganz unterschiedlichen Sparten, Genres und Disziplinen kommen." Die Landesregierung hat auf einem Kongress bereits angekündigt, dass in Bochum 2011 eine neue Akademie entstehen soll. Ein Labor für die unterschiedlichsten Formen interkultureller Arbeit. Denn die Erkenntnis, dass es sich hier nicht nur um bunte, lustige Multikultievents handelt, sondern um Kunstprodukte, die eine von Migration geprägte Gesellschaft weiter entwickeln, hat sich allgemein durch gesetzt. Das ist vielleicht der wichtigste Erfolg der Kulturhauptstadt. Mit dem Tanzensemble Renegade Theatre aus Herne zum Beispiel, das klassische Tänzer mit Streetdancern zusammen bringt, arbeitet das Schauspielhaus Bochum nun regelmäßig zusammen. Thomas Laue: O-Ton Laue "2008/2009 war das ein ganz kleiner Laden. Jetzt feiern die Riesenerfolge bei uns im Schauspielhaus, verwischen vollkommen sämtliche Grenzen zwischen so genannter Subkultur und Hochkultur, machen weiter aber auch eigene Projekte ganz losgelöst von den großen Partnern und sind ganz sicher für die nächsten Jahre aufgestellt." Über den Kreis der Kulturfans hinaus denken, einen größeren Teil der Bevölkerung ansprechen - das ist eins der Hauptanliegen der Kulturhauptstadt. Einer großen Institution wie dem Bochumer Schauspielhaus fällt es leicht, hier weiter zu arbeiten. Aber sonst? O-Ton Laue "Ich spüre im Moment schon so etwas wie ein ganz deutliches Bekenntnis, das kann nicht alles gewesen sein, es muss unbedingt weiter gehen. Die große Frage ist: Wie?" "Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel" So hieß der Leitsatz der Ruhr 2010. In der Vergangenheit wurstelten die einzelnen Städte des riesigen Ballungsgebietes vor sich hin. An der eigenen Stadtgrenze hörte das Denken auf. Im Jahr der Kulturhauptstadt war das anders. Schüler wurden über die Stadtgrenzen hinaus in Museen geschickt, Theater, Orchester, Künstlergruppen arbeiteten zusammen. Essens Kulturdezernent Andreas Bomheuer sagt: Das bleibt so. O-Ton Bomheuer "Ich bin ganz sicher, dass die regionale Denke mit der Ruhr 2010 stärker Einzug genommen hat als vorher. Wir gucken sogar bei der kulturellen Grundversorgung, ob wir nicht (...) in den Nachbarstädten näher an unseren Grenzen Bibliotheken haben, ob wir Angebote machen können von den Musikschulen, ganz auf dem unteren Level, um mal nicht von Theaterfusionen zu sprechen." Die Sparzwänge schweißen zusammen. Mit dem Start der Kulturhauptstadt kamen die Horrormeldungen. Die kommunalen Etats brechen zusammen, viele Städte stehen kurz vor der Überschuldung oder haben diese Schwelle schon überschritten. Zuschüsse werden gekürzt, Projekttöpfe geleert, das Geld für die Kultur wird knapper. Rolf Dennemann ist Regisseur, Schauspieler und Festivalleiter. Er wohnt in Dortmund. O-Ton Dennemann "Ich seh das so, dass diese Ruhr 2010-Vision und die Wirklichkeit der Kommunen wie zwei verschiedene Welten sind, die parallel laufen aber nicht zusammen kommen. Da sind ja ein paar kluge Ideen dabei. Aber die kommen in dem grauen Alltag der Ratssitzungen nicht an. Der Kämmerer wird 2011 wohl bestimmen, schätze ich mal." Zum Beispiel Hagen. Die Stadt ist überschuldet, wie viele Kommunen des Ruhrgebietes. Die Verwaltung hat ein Sparpaket entworfen, das Mitte Dezember dem Rat vorgelegt wird. Darin steht, dass der Zuschuss für das Theater um mehrere Millionen gekürzt werden soll. In der Hoffnung, dass die Landesregierung einspringt und das Theater Hagen rettet. Intendant Norbert Hilchenbach: O-Ton Hilchenbach "Wir stehen bei 2,7 Millionen. Und sollte dieser eine Bestandteil - Landeszuschusserhöhung um 2,5 Millionen Euro - nicht statt finden, dann steht zumindest im Vorschlag der Verwaltung muss das eigenbespielte Musiktheater in Hagen aufgegeben werden." Das heißt: In Hagen gäbe es nur noch Gastspiele, kein eigenes Ensemble mehr. Die Landesregierung hat mehr Geld für die Theater zugesagt. Allerdings gibt es seit einigen Monaten eine rot-grüne Minderheitsregierung, die Haushaltsberatungen gestalten sich enorm schwierig, mit einer Verabschiedung rechnen die Landespolitiker erst im Mai 2011. Bis dahin könnte es für manche Bühne schon zu spät sein. Die Hagener SPD ist allerdings schon eingelenkt, auch Kommunalpolitiker anderer Parteien haben ein Umdenken angedeutet. Ähnlich war es in Essen und Moers, wo mitten im Kulturhauptstadtjahr die Theater am Rande des finanziellen Abgrunds standen. O-Ton Hilchenbach "Jetzt sind wir in ernsthaften Überlegungen, dass das Theater eine andere Rechtsform bekommt, dementsprechend aus den so genannten internen Leistungsverrechnungen entlassen werden könnte. Und dadurch sicherlich eine erkleckliche Summe einsparen könnte, wenn wir gewisse Leistungen auf dem freien Markt einholen könnten." Das bedeutet zum Beispiel: Im Augenblick gibt das Theater Hagen eine hohe sechsstellige Summe für Computer und IT aus. Dafür bekommt es Geräte, die nicht mal ein Audiofile empfangen und abspielen können. Für viel weniger Geld wäre eine größere Qualität möglich. Aber als Stadtbetrieb hängt das Theater Hagen in den Verträgen fest, die auch für Schulen und Behörden gelten. Man kann also noch sparen, aber nicht an den künstlerischen Etats, die schon auf ein Minimum zurück gefahren wurden. Immer wieder wurden im Jahr der Kulturhauptstadt Eckpfeiler der kulturellen Grundversorgung in Frage gestellt. Die Theater in Essen und Moers sind der drohenden Abwicklung gerade noch einmal entkommen. Und viele befürchten wie Rolf Dennemann, dass im nächsten Jahr die Dämme brechen werden und die große Schließungswelle beginnt. Dann wäre die Kulturhauptstadt gescheitert. Denn sie wollte ja die Region über Kultur neu definieren, ein tieferes Bewusstsein schaffen. Oliver Scheytt, Geschäftsführer der Ruhr 2010 GmbH, sagt, das sei geglückt. O-Ton Scheytt "Die Kultur ist mehrheitsfähig. Sie ist nicht eine Sache von Minderheiten. Und deshalb wird jeder Politiker nach dem Kulturhauptstadtjahr sich sehr genau überlegen, ob er sich mit diesen Mehrheiten, die alle für Kultur da sind, anlegt." Die Mehrheiten sieht Oliver Scheytt zum Beispiel in den Millionen, die auf der gesperrten A 40 mitgefeiert haben. Aber war das wirklich ein Bekenntnis zur Kultur? Oder nur die Teilnahme an einem kurzfristigen Massenevent, von dem die meisten gar nicht wussten, dass es "Still-Leben" hieß? Essens Kulturdezernent Andreas Bomheuer sagt: Man darf nicht alles in einen Topf werfen. O-Ton Bomheuer "Ich habe schon die Befürchtung nach dem Jahr der Kulturhauptstadt, dass wir kulturpolitisch in einen Diskurs kommen, wo wir uns mit Entertainmentangeboten gleich gesetzt sehen. Dann ist der Besuch im Museum Folkwang eine Freizeitbeschäftigung wie der Besuch auf Schalke oder der Besuch auf dem Still-Leben. Wenn das so ist, dann muss man sich tatsächlich fragen: Warum subventionieren wir das?" Oder noch weiter gefragt: Was ist Kultur? Die Ruhr 2010 vertritt eine sehr weite Spielart des Begriffs. Wovon zum Beispiel Rolf Dennemann begeistert ist. Er hat ein Jahr lang die Region bereist, war in fast allen der 53 Kommunen und hat Tagebuch geschrieben. Jede Stadt war in diesem Jahr eine Woche lang der Held, ein local hero. Da sollten sie sich und ihre Besonderheiten präsentieren. Die einen engagierten Prominente von außerhalb, andere bündelten ihre eigenen kreativen Kräfte. O-Ton Dennemann "Manche haben auch ihre Dichter aus dem Keller gezogen. Viele haben Kinder gebraucht. Das ging dann von Schulprojekten zu Afrika, die Kinder haben gemalt, und das wurde dann ausgestellt. Manche haben fast nur auf Jugend, da war dann ein Schulfest, da haben die Kinder und Jugendlichen dann die Ergebnisse einer Arbeitswoche gezeigt." In Dinslaken besuchte Rolf Dennemann morgens um 11 eine "Niederrheinische Kaffeetafel". O-Ton Dennemann "Und dann bin ich dahin und kam in einen Raum, wo eine große Tafel stand, die gedeckt war und drum herum ungefähr 30 mehr oder weniger ältere Herrschaften. Und die haben gemeinsam gefrühstückt. Und ich konnte dabei sitzen, und das war dann Teil der Kulturhauptstadt, fand ich grandios. Und all diese älteren Menschen haben das Wort local hero ausgesprochen, als wär das täglicher Sprachgebrauch. (...) Das ist genau so kurios wie liebevoll und schwachsinnig. Alles gleichzeitig, aber doch schön." Rolf Dennemann hat aus seinen Texten einen Leseabend zusammen gestellt. "Hab ich von gehört" heißt er, Dennemann tourt im Dezember und Januar durch die Off-Theater. Er liest jeden Abend etwas anderes. Stoff genug hat er: Fast jeden Tag wurde 2010 im Ruhrgebiet eine Ausstellung eröffnet. Theaterpremieren, Festivals, Konzerte jagten sich. Einige Veranstaltungen gingen einfach in der Menge unter. O-Ton Dennemann "Das Problem an dieser Masse an Veranstaltungen war ja nur, dass unsere Printmedien - sagen wir mal vorsichtig - sehr dünn sind. So dass viele Veranstaltungen nicht richtig wahr genommen wurden. (...) Man kniet vor den Redakteuren und sagt, macht doch bitte was. Und die sagen, würden wir ja gern, aber ist schon alles voll und solche Geschichten." Da prallen sie wieder zusammen: Anspruch und Realität im Ruhrgebiet. Auch Oliver Scheytt wird angesichts der Menge des Programms kurz nachdenklich. O-Ton Scheytt "Wir haben zum Teil etwas viel Projekte gehabt. Da denke ich manchmal drüber nach, ob ich zukünftigen Kulturhauptstädten diese Fülle empfehlen würde. Aber sie hat letztlich auch was mit der Fülle und Reichhaltigkeit dieser Metropole Ruhr zu tun. Wir mussten ja auch viele Projekte ablehnen. Manche, die abgelehnt wurden, waren enttäuscht. So komme ich beim reiflichen Nachdenken schon zu der Überlegung, wir haben fast alles richtig gemacht." Und wahrhaftig fragt man sich, welches Projekt wirklich überflüssig war. Zwar mögen manche Feuilletonisten beklagen, dass es für eine Kulturhauptstadt wenige Highlights der Hochkultur gab. Eine neue, eigens für das Ruhrgebiet komponierte Oper von Hans-Werner Henze entpuppte sich als schlappes Altersnebenwerk. Die Ruhrtriennale, das internationale Festival in den ehemaligen Industriebauten, erwischte ein rabenschwarzes Jahr. Und auch das Festival Theater der Welt bot zwar eine Menge faszinierender kleiner Produktionen, aber keinen großen Wurf. Doch darüber beschwert sich in der Region kaum jemand. Das Ruhrgebiet ist nicht Berlin und schon gar nicht New York. Auch wenn einige Marketingfuzzis das behaupten. Seine Kraft liegt in den bodenständigen, menschlichen Geschichten. Wie sie Rolf Dennemann gesammelt hat und auch die Theatermacherin Mirjam Strunk. Sie zog mit ihrem Memomobil durch die Region, einem 60 Kilo schweren Kasten. Darin hatte sie Gedächtniskarten und darauf eine Videokamera. Wer mehr Lust aufs Telefon hatte, konnte seine Geschichten auch einer Hotline erzählen. Zum Beispiel vom Kohlensammeln auf Eisenbahngleisen in den fünfziger Jahren. O-Ton CD "Ich hatte dabei einmal ein gruseliges Erlebnis. Während ich auf den Gleisen stand und meine Kohlen sammelte, hatte ich einen Fuß zwischen zwei Weichen. Und in dem Moment als ich gerade mein Bein da raus zog, schnappte die Weiche zu. Mein Bein wäre zerquetscht worden, und vielleicht wäre ich auch überrollt worden. Alles Liebe, die Ingrid, tschühüß." Eine der ergreifendsten Geschichten ist ein Migrantenschicksal der besonderen Art. Vor 30 Jahren kam sie ins Ruhrgebiet, gegen alle Warnungen, dass sie in der Fremde nicht überleben könne. Aber ein Mann aus Dortmund-Hörde hatte sich in sie verliebt, in die chilenische Andentanne. O-Ton CD "Und dann hat er sie trotzdem gekauft und hat diesen frischen Baum gehegt und gepflegt und hat sich die größte Mühe gegeben, hat Drainagen gelegt um diese Pflanzstelle, damit die nicht zu feucht ist und im Winter auch ein Flies darüber, damit der Baum auch nicht friert und so weiter." Der Mann zieht seine Andentanne auf, liebevoll, 30 Jahre lang steht sie in seinem Schrebergarten in Dortmund-Hörde. Aber in solchen Kleingartenanlagen gibt es Statuten, berichtet Mirjam Strunk. Eins davon besagt, dass nur heimische Gewächse angepflanzt werden dürfen. O-Ton Strunk "Und jetzt ging es darum, dass er in den Ruhestand ging und der neue erste Vorsitzende, der auch schon 70 ist, als erstes in seinem Garten stand und diese Tanne fällte. Und ganz Hörde, der ganze Stadtteil, stand Kopf und trauert bis heute dieser chilenischen Andentanne, diesem Fremdling im Ruhrgebietsidyll, nach." Viele solcher Erlebnisse hat Mirjam Strunk gesammelt, sie ergeben das "Gedächtnis des Ruhrgebietes". Bei der Präsentation stürmten die Besucher das Bochumer Schauspielhaus. Kultur stiftet Identität. Das hat oft geklappt in der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet. Doch wie geht es nun weiter? Die Netzwerke müssen weiter funktionieren, das Kirchturmdenken darf nicht wieder kehren. Darüber sind sich alle einig. Die Jugendprogramme sollen fortgeführt werden, darunter auch das deutschlandweit gerühmte Schulprojekt "Jedem Kind ein Instrument" oder kurz Jeki. Obwohl es in Finanzschwierigkeiten gekommen ist und deutlich teurer wurde als gedacht. O-Ton Scheytt "Jeki wird auf jeden Fall weiter geführt. Es muss modifiziert werden, es ist ein großer Aufwand da. Man hatte überschätzt, wie viel Geld von privater Seite kommen kann. Es gibt aber die klare Zusage des Landes, dass Jeki weiter geführt wird. (...) Man sollte darüber nachdenken, ob nicht nur Instrumentalunterricht und das Ausleihen von Instrumenten bei diesem Projekt eine Rolle spielen, sondern auch das Instrument, das man nicht ausleihen muss, weil man es hat, die menschliche Stimme." Foren zur regionalen Zusammenarbeit hat es schon vor der Kulturhauptstadt gegeben. Aber sie sind ausgebaut und gestärkt worden. Neu ist, dass sich die Kulturdezernenten der fünf großen Städte regelmäßig treffen. Andreas Bomheuer. O-Ton Bomheuer "Im Augenblick ist es so, dass die fünf Dezernenten sich ohne dass sie jemanden haben, der sie dazu anhält, miteinander ins Benehmen setzen und überlegen, wie können wir die Kooperation im Ruhrgebiet verstetigen und verbessern." Sie brauchen niemanden, der sie dazu anhält. In solchen Bemerkungen liegen manchmal Botschaften. In diesem Fall ist es die, dass es in Zukunft keine Dachorganisation wie die Ruhr 2010 GmbH mehr braucht, um die Kooperation weiter zu führen. Oliver Scheytt sieht das anders. Er will die Gesellschaft in eine Agentur umwandeln, die übergreifende Projekte koordiniert und die Region nach außen vertritt. Das Geld soll vom Land kommen und vom Regionalverband Ruhrgebiet, dem Zusammenschluss der Städte. O-Ton Scheytt "Wenn es gelingt, was ja derzeit diskutiert wird, dass der Regionalverband Ruhr die Umlage, die er für die Ruhr 2010 jährlich gezahlt hat, in Höhe von 2,4 Millionen Euro, verlängert, also ab 2012 für regionale Kulturaufgaben weiterhin eine Grundfinanzierung da ist, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das Land NRW dort auch mit hinein geht. Und sagt, bevor wir an die einzelnen Städte nur Geld geben, ist es sinnvoll, dass eine gemeinsame Kraftanstrengung erfolgt, die permanent die vorhandenen und neuen Netzwerke anstößt." Andreas Bomheuer hat eine andere Idee, er bevorzugt eine Stiftung. O-Ton Bomheuer "Was wir brauchen ist eine Organisation, die Anreize zur regionalen Kooperation gibt. Und so haben wir als Dezernenten im Augenblick den Aufschlag gemacht und gesagt, wir brauchen jemanden, der diese Anreize stiftet. Es gibt unseren Gedanken einer regionalen Stiftung. Das geht nicht ohne Finanzmittel." Wenn die fließen, wird es also weiter gehen mit der Zusammenarbeit in der Region Ruhr. Egal in welcher Form. Oliver Scheytt hat - zusammen mit den Oberbürgermeistern der Städte - ein neues Großprojekt im Blick. Für das Jahr 2020 und folgende. O-Ton Scheytt "Das nennen wir jetzt Dekadenprojekt. Und dabei geht es darum, den Ballungsraum mit seinen besonderen Fähigkeiten im Bereich Grün, Umwelt, Energie ins Bild zu setzen. Wir sind ja eine der grünsten Landschaften von Städten, die man sich vorstellen kann. Wir haben hier Industriekonzerne, die an den Elektromotoren arbeiten, neue Batterien sich ausdenken. Wir haben die Emscherrenaturierung bis 2020, die bis dahin abgeschlossen ist, wo neues Leben am Wasser möglich ist." Und dabei wird auch die Kultur eine wichtige Rolle spielen. Die Ruhr 2010 ist noch nicht beendet. Aber die Köpfe im Ruhrgebiet rauchen weiter. Musik X-Vision Ruhr 2010-Hymne