COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. DeutschlandradioKultur Nachspiel am 16.06.2013 Die Kobra kann gefährlich sein Verletzungen und Beschwerden beim Yoga Autorin: Silvia Plahl Musik Tenfold/ Layne Redmond/ Shakti Rhythms O-Ton Piu Haubner Jetzt nicht wie gewohnt, Katze, Kuh, sondern lasst jetzt nur den Bereich zwischen den Schulterblättern in der Ausatmung weit werden, wie wenn die Flügel sich voneinander entfernen wollen. Und Einatmen wieder... lasst den Brustkorb sinken... Autorin: Zwölf Yogaschüler stehen wie Vierfüßler auf den Matten: Knie, Füße und Handflächen sind auf dem Boden, den Rücken halten sie gerade. O-Ton Piu Haubner In der Einatmung wieder ... lasst den Schulterbereich sinken, so ganz kleine Bewegung zwischen den Schulterblättern... so der Kopf folgt nur ganz leicht der Bewegung, der ist nicht der Initiator ... Autorin: Katze und Kuh. Zwei bekannte Yogaübungen. Aus dem Vierfüßlerstand wird der Rücken in den Katzenbuckel hochgedrückt und in das Hohlkreuz wie bei einer Kuh wieder abgesenkt. Das soll die Wirbelsäule geschmeidig machen. Yogalehrerin Piu Haubner gibt jedoch zuerst eine andere Bewegung vor: Die Schultern weiten... O-Ton Piu Haubner ... in der Ausatmung rund... Autorin: .... und erst dann mit Bedacht die Wirbelsäule, das Becken und die Beine bewegen. Etwa vier Minuten lang. Danach gehen die Yogaschüler in die Mini-Kobra. Sie liegen auf dem Bauch und heben den Oberkörper leicht nach oben. O-Ton Piu Haubner (im Off) Haltet die Stabilität von eurem Becken aus gerichtet,... lasst euch weit werden im Schulter-Brustbereich,... tief atmen... Autorin: Von hier aus in die Sphinx: Die Unterarme schulterbreit auf den Boden legen, und wieder heben nur die Rückenmuskeln den Oberkörper hoch. O-Ton Piu Haubner Ihr wollt jetzt nicht den Kopf in den Nacken werfen, sondern lasst den Blick geradeaus und lasst die Schultern nochmal weg rollen von euren Ohren. Lasst jetzt keine Rille zwischen den Schulterblättern entstehen, sondern hebt euch, ja sehr gut. O-Ton Wissenschaftlerin Was mach ich? Begeb ich mich nich wieder irgendwie in falsche Haltungen, wo ich mich wieder verspanne? Man wird bei Fehlhaltungen korrigiert, aber ganz sanft. Und wohltuend. Und geht eigentlich nie tiefer in die Positionen, als es der eigene Körper erlaubt. Autorin: Die Yogaschülerin, 35 Jahre alt, fühlt sich wohl bei diesem Ablauf: Mit geweiteten Schultern und aufgewärmter Wirbelsäule in die Mini-Kobra und Sphinx. Diese beiden Haltungen oder Asanas sind einfachere Varianten der klassischen Kobra im Yoga - der schlangenartigen Aufrichtung des Oberkörpers in Bauchlage. In der Kobra wird sehr oft der Kopf nach hinten geklappt, und es besteht die Gefahr, sich zu überdehnen oder sogar kleine Risse in der Halsschlagader zu riskieren. Mini-Kobra und Sphinx hingegen gelten als besonders nacken- und rückenschonend. Piu Haubner nutzt sie für ihren Kurs "Yoga mit Rücksicht". Atmo "Tief einatmen, Herzbereich sinken lassen..." Autorin: Der Titel "Yoga mit Rücksicht" hat viele Kursteilnehmer angelockt. Eine große, athletische Frau ist beeindruckt: O-Ton Apothekerin Das Becken wird aufgerichtet, sowas hab ich in Gymnastik- oder Fitnesskursen nicht gehabt. Dass man auch wirklich die Bauchmuskeln nach innen anspannt oder den Nackenbereich entspannt, die Schultern nach hinten nimmt. Und erstmal ne Grundhaltung einnimmt, um überhaupt gesund die Übung durchzuführen. Autorin: Die Frau ist Apothekerin. 46 Jahre alt. Und hat erst vor kurzem mit Yoga begonnen. Musik Chandini Chowk/ Midival Punditz/ Shakti Rhythms Autorin: Yoga hat sich vom Nischen- zum Massenphänomen entwickelt. Etwa fünf Millionen Deutsche, so die Schätzung, üben heute regelmäßig den Sonnengruß, die Kobra und die Kerze. Den Übungen eilt ein guter Ruf voraus: Sie entspannen - den Körper wie den Geist, die Jungen wie die Alten, die Beweglichen wie die etwas Steiferen. So gehört Yoga für viele zum modernen Lebensstil: ein Muss in hippen Großstadtkreisen. Aber auch im Fitnessstudio oder an der Volkshochschule. Falsch praktiziert, können Kobra und Kerze und andere Yogahaltungen jedoch auch schaden. Das ist vielen nicht bewusst. Atmo Yogastudio Foyer Autorin: Piu Haubner ist Yogalehrerin und Physiotherapeutin in Berlin. Ihre Kurse gibt sie im Yogastudio "Sky", dem lichtdurchfluteten Dachgeschoss eines alten Backsteingebäudes in Kreuzberg. Ein Freitagvormittag. Laufend trudeln Schüler ein und gehen barfuß und in Socken in die Übungsräume. Atmo Autorin: Die Physiotherapeutin mit den dunklen halblangen Locken grüßt alle sehr herzlich. Piu Hauber ist 48. "Yoga mit Rücksicht" bietet sie bereits seit zehn Jahren an. O-Ton Piu Haubner Weil ich eben festgestellt habe, dass viele Leute Zipperleins haben und Wehwehchen. Und dass es schon entscheidend ist, was man auswählt in den Yoga-Asanas, was eben zuträglich is für den Körper. Da muss man eben ganz stark drauf achten, was die Leute haben. Und wie man die Stunde auch aufbaut. O-Ton Akademikerin Ich bin Wissenschaftlerin und als solche am Schreibtisch vor allen Dingen tätig. Und da schleichen sich natürlich Rücken- und Nackenverspannungen ein. Und in den Schultern. Autorin: Die 35-jährige hat erlebt, dass Yoga ihr gegen diese Verspannungen nicht automatisch hilft. Bei Piu Haubner aber, betont die eher zurückhaltende Frau, kann sie sich in Ruhe selbst beobachten. Sie hat während des Übens ausreichend Zeit, zu merken, bis zu welchem Punkt ihr eine Bewegung gut tut und ab wann sie schmerzt. Dieses Wissen nimmt die Schülerin auch mit in andere Kurse. O-Ton Piu Haubner Für mich ist es immer ganz wichtig, bei meinen Kursen Bauchmuskulatur zu stärken und da drüber ein Fundament auszurichten. Dass die Leute ne stabile Basis haben und nicht alles wackelig und krumm is. Man kann Probleme verstärken. Wenn man nich richtig übt. Wenn man sich da nich rausholt, kann es das verstärken. Musik Chandini Chowk/ Midival Punditz/ Shakti Rhythms Autorin: Yoga hat seine Wurzeln im indischen Buddhismus und Hinduismus und stützt sich auf eine Jahrtausende alte Philosophie. Sie besagt, dass ein Mensch Selbsterkenntnis und Wohlbefinden nur über den Weg der Meditation erreichen kann. Eine spezielle Atemtechnik, Pranayáma, und körperliche Übungen, die so genannten Asanas, helfen dabei, dieses spirituelle Ziel anzustreben. In der westlichen Welt ist Yoga vor allem im vergangenen Jahrhundert angekommen und hat sich bis heute als körperbetonte Sportart mit Meditationselementen durchgesetzt. Am bekanntesten wurde Hatha-Yoga. Die körperliche Disziplin im Hatha ist in der Yoga-Philosophie die erste Stufe auf dem Weg zur Erkenntnis. Die Asanas zielen eigentlich auf die Gesundheit der Organe. Starke Muskeln und ein straffer Körper sind nur angenehme Nebeneffekte. Hierzulande stehen die oft spektakulär aussehenden Asana-Haltungen meist im Mittelpunkt des Übens. Genau darin verbirgt sich die Verletzungsgefahr, findet der Berliner Arzt Günter Niessen. O-Ton Günter Niessen Da wird Yoga mehr so mit Körperertüchtigung und als Sport, als Akrobatik, als Herausforderung auf körperlicher Ebene gesehen. Und dann übertreibt man solche Sachen eben auch leicht. Und führt sich Verletzungen zu, die unnötig sind. Autorin: Yoga, erklärt Günter Niessen, verfolge doch eigentlich ein ganz anderes Ziel: sich Gelassenheit zu erarbeiten. O-Ton Günter Niessen Das Sanskrit-Wort Yoga, das ist ... Das Zur-Ruhe-Kommen oder Beruhigen, Stille finden des Geistes. Wenn man so übt, beispielsweise mit der Atmung sich bewegt, langsam und kontrolliert, dann kann man sich nicht verletzen. Wenn man aber mit Ehrgeiz übt, wenn man übt und möchte irgendwohin kommen, und denkt: Ja, wenn ich jetzt diese oder jene Körperhaltung geschafft hab oder diese oder jene Bewegung, die sieht so toll aus bei meinem Lehrer, bei meiner Lehrerin, und ich möchte die auch machen. Dann ist es wie in anderen Sportarten auch, dann kommt's irgendwo an Punkten zur Überforderung. Atmo Praxis Niessen Autorin: Der Mediziner Niessen arbeitet als Orthopäde und Yogatherapeut. Diese Kombination ist ungewöhnlich. Es kommen Patienten aus ganz Europa und auch aus Übersee in seine Praxis. Niessen setzt auf die Heilkraft im Yoga: Muskeln können gekräftigt werden, der Stoffwechsel angeregt. Die Asanas wirken positiv auf das Nervensystem und können die Blutwerte verbessern. Sogar das Immunsystem profitiert. All dies ist jedoch nur dann möglich, wenn achtsam geübt wird. Denn Yoga wirkt auch auf die immer gleichen gefährdeten Schwachstellen. O-Ton Günter Niessen Auf meinem Gebiet, also Bewegungssystem, die Knochen, Sehnen, Bänder, da liegt aus meiner Sicht die Hauptverletzungsebene. Da läuft ne ganze Menge in der Yogaszene vielleicht nicht so, wie ich's mir wünschen würde. Autorin: Zwanzig bis dreißig Prozent seiner Patienten, sagt der Orthopäde, kommen mit Beschwerden, die sie sich beim Yoga zugefügt haben. Allein vier bis fünf Personen pro Woche haben sich das Knie im Kurs verletzt. Auch fällt auf: Wenn am Wochenende wieder mal ein Guru in der Stadt war, sagt Niessen, melden sich bei ihm am Montag danach besonders viele schmerzgeplagte Yogis, die meisten von ihnen sind Fortgeschrittene. Sie haben sich in diesen Workshops übernommen. Der Arzt und Therapeut betont, natürlich müsse jeder immer selbst seine persönlichen Schwachpunkte und körperlichen Grenzen kennen und beachten. Es gebe aber auch Yoga-Bewegungen, die besonders heikel sind. O-Ton Günter Niessen Ja, man steht, streckt sich, und dann beugt man sich nach vorne mit den Händen in Richtung Boden und macht dabei entweder den Rücken rund oder lässt ihn möglichst lange grade, man beugt dabei die Knie oder lässt sie gestreckt. Und der oder die Patientin mit Rückenbeschwerden oder nem drohendem Bandscheibenvorfall oder ner Vorwölbung, die grade aktiviert ist, die macht die gleiche Bewegung eben auch mit gestreckten Knien und rundem Rücken und kann sich dabei sehr verletzen. Und ich denke, dass viele dieser Haltungen eigentlich entwickelt wurden für junge Leute in warmer Umgebung, die sehr beweglich waren, und das auch schon sehr früh begonnen haben. Musik Roots East Dub/ Ian Sandler/ Shakti Rhythms Autorin: Die Klientel hat sich verändert. In Europa und in den USA gehen die Menschen mit 30 und 40, 50 oder 60, und auch mit 70 Jahren zum Yoga, um ihrem Körper etwas Gutes zu tun. Hinzu kommen Angebote für Schwangere oder Kinder. Dass für sie alle nicht die stets gleiche Asana-Praxis gelten kann, ist naheliegend. William J. Broad, ein renommierter Journalist der New York Times, veröffentlichte 2012 ein Buch, das weltweit für Aufregung in der Szene sorgte und 2013 auch auf Deutsch erschien: "The Science of Yoga - Was es verspricht und was es kann." Broad, selbst ein Yoga-Praktizierender seit 40 Jahren, prangert die Gesundheitsrisiken im Yoga an und kritisiert auch die Lehrenden, die diese Risiken überhaupt nicht thematisieren - obwohl sie diese oft kennen. In der aktuellen Ausgabe des Yoga-Heftes "Viveka" greifen die deutschen Autoren Imogen Dalmann und Martin Soder diese Kritik auf. Sie nehmen dazu das Beispiel des Pflugs: Die Übenden liegen dabei auf dem Rücken, heben beide Beine in die Höhe und senken sie hinter dem Kopf wieder zu Boden. Redlicherweise, so schreiben Dalmann und Soder, müsste in einer Yogastunde die Ansage zum Pflug in etwa so beginnen: "Wir machen jetzt Halásana." Musik Tenfold/ Layne Redmond/ Shakti Rhythms Zitator: "Wenn Sie diese Übung die nächsten Monate bei mir im Unterricht regelmäßig üben, wird etwa ein Drittel von Ihnen dabei überhaupt keinen Schaden nehmen. Zwei Drittel werden eine Dehnung in der Halswirbelsäule erreichen, die deutlich über das normale Maß hinausgeht. Bei einigen wird dies dazu führen, dass der Nacken in ein ernsthaftes Ungleichgewicht gerät. Manche davon werden deshalb mit schmerzhaften Nackenproblemen zu kämpfen haben. Wenige, vielleicht nur ein oder zwei von Ihnen werden dieses Problem schließlich kaum mehr wieder loswerden und es wird lebenslang Ihre Schwachstelle bleiben." Autorin: Eine solche Ansage setzt voraus, dass Yogalehrer über ausreichend medizinisches Wissen verfügen. Der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland schätzt, dass 30- bis 50.000 Menschen hierzulande Yoga unterrichten. Angelika Beßler ist Vorstandsvorsitzende des Verbands. Sie geht davon aus, dass viele ordentlich ausgebildete Lehrer die anatomischen Grundlagen des Körpers inzwischen besser kennen als noch vor zwanzig, dreißig Jahren. Der Begriff des "Yogalehrers" ist jedoch nicht geschützt. Wer hier also mit wieviel Vorwissen seine Schüler anleitet, das muss in jedem Kurs hinterfragt werden. Und auch der Berufsverband hält seine Mitglieder dazu an, sich in medizinischen Grundkenntnissen weiterzubilden. Lehrer einer bestimmten Region etwa werden dabei unterstützt, sich gemeinsam einen Experten für eine solche Fortbildung einzuladen. (Atmo Yogastunde) Der Sportwissenschaftler und Yogalehrer Tom Beyer dreht den Spieß um: Er trainiert die Lehrenden in seinem selbst entwickelten Rücken- und Gelenkeyoga. O-Ton Tom Beyer ...Hier hast du jetzt die Möglichkeit, genauso ist es Christiane, hier hast du jetzt die Möglichkeit, wirklich zeitgleich wieder die Ferse wirklich nach außen zu schieben, indem du sie gegeneinander schiebst. Und dadurch entsteht wo Platz? Sag's mir... Autorin: Tom Beyer unterrichtet in seinem Studio in Berlin-Mitte. In einem ruhigen Hinterhof ganz nah am lauten Treiben der Großstadt. Hierher kommen vor allem Menschen, die mitten im Leben stehen, die ihr Leben gestalten wollen, sagt der Yogalehrer. O-Ton Tom Beyer Wenn du in einem Bereich des Körpers Raum und Platz schaffst, entsteht in anderen Bereichen des Körpers auch Raum und Platz. Von daher ist es letztendlich egal in der Yogastunde, wo du anfängst zu arbeiten mit den Schülern, ob du im Beckengürtel arbeitest, ob du im Schultergürtel arbeitest oder ob du entlang der Wirbelsäule arbeitest, um Raum und Platz zu erzeugen, um dich von innen nach außen zu entfalten... Autorin: Die Arbeit mit seinen Schülern, sagt der blonde 40-Jährige, habe ihn zu seinem Rücken- und Gelenke-Yoga inspiriert. Tom Beyer ist ein impulsiver, begeisterungsfähiger Mann. Seine spezielle Methode spricht sich herum. Gerade haben sie zehn Yogalehrerinnen an vier Wochenenden in über 80 Stunden erlernt. Nun findet die Abschlussstunde statt. Und Beyer demonstriert noch einmal sein Hatha-Yoga mit Gurten. O-Ton Tom Beyer Nehmen wir uns den Beingurt, Rumoren. Und wir gehen zurück zu total einfach..... Autorin: Die Gruppe stellt sich in die Kriegerposition: Die Beine gegrätscht, die Arme seitlich ausgestreckt. In dieser seitlichen Haltung wird das vordere Bein in den Ausfallschritt und der Oberkörper nach vorne gedreht. Tom Beyer zeigt, wie er den Beingurt einsetzt. Er schließt den Gurt zu einem Ring. Die eine Gurtschlinge spannt er sich um den Oberschenkel, der nach vorne gerichtet ist, auf der anderen Gurtschlinge steht der hintere Fuß. O-Ton Tom Beyer Du kommst aus der Haltung raus, wenn du in der Haltung das Gefühl hast, dass du dich überanstrengen musst, dass du kämpfen musst. Schieb nach außen und zieh nach oben. Und dann tönen wir einmal ganz sanft. Aaaah. Atmo (Chor:) "Schieben, ziehen, schieben, ziehen... Yuhu. Super, wow, wie viel einfacher das geht! Das waren vielleicht siebzehn Sekunden, würd ich mal sagen: Du bleibst für die siebzehn Sekunden wirklich bei dieser Übung und bei deiner Absicht, bei deiner Intention." Atmo Raum Autorin: Die zehn Yogalehrerinnen arbeiten nun selbstständig mit den Gurten weiter und suchen sich eigene Übungen dazu. Tom Beyer erklärt einstweilen noch einmal das Grundprinzip seiner Methode: O-Ton Tom Beyer Die Grenzen sind ganz klar aufgetreten in der Fähigkeit, den Körper zeitgleich in verschiedene Richtungen zu bewegen. Also den Körper sowohl nach vorne als auch nach hinten als auch nach links als auch nach rechts als auch nach unten als auch nach oben zu bewegen. Aus diesen Organisationszentren Schultergürtel, Beckengürtel heraus. Und wenn die das nicht machen, dann hängen die irgendwo drin. Und dann sammelt sich das Körpergewicht in einer Struktur, meistens in einem Gelenk - in diesem Fall jetzt was ich grad vormache - im Hüftgelenk, im Kniegelenk. Wenn du's mal machst, ist das alles nicht schlimm. Wenn du dauerhaft so übst, dann ist das natürlich ungesund. Autorin: Yogalehrerin Andrea unterrichtet seit sechs Jahren den Vinyasa-Yoga-Stil, eine sehr dynamische Richtung. O-Ton Andrea Durch diese Gurte hat man die Möglichkeit, sich zu entfalten, hat aber trotzdem ne Struktur, in der man fest steht, in der man auch Sicherheit spürt, aber trotzdem diesen Raum in dem Gelenk auch trotzdem dann spüren. Und nicht dieses Gefühl zu haben, ich bin jetzt ganz weit geöffnet, und sacke dann irgendwann in mich zusammen. Sondern man hat wirklich Aktivität und aber auch Leichtigkeit. Autorin: Andrea, eine energische Person, hat sich vorgenommen, künftig mit ihren Schülern einzelne Haltungen intensiver zu üben. Meist, sagt sie, wollen alle doch schnell voran kommen und wünschen sich sehr herausfordernde Asanas. Mit denen sie dann oft überfordert sind. O-Ton Andrea Das sieht man ganz deutlich. Also man sieht es, wenn das Gesicht sich verändert, wenn die Augen sich verändern, aber auch wenn die Bewegung nicht mehr nach außen geht, sondern wenn die nach innen geht, und man wird so ein bisschen klein und kugelig und man versucht sich halt zu schützen in der Position. Autorin: Die meisten Schüler glauben, erst das Erreichen einer bestimmten Position bringe einen körperlichen Nutzen. Denn die trainierten, beweglichen Lehrer machen genau diese perfekten Haltungen ja auch vor. So entsteht ein trügerischer, ein falscher Eindruck, kritisiert der Yogatherapeut Niessen. O-Ton Günter Niessen Dass einfach Ehrgeiz geschürt wird. Ja wenn ich da oder da hin komme, dann habe ich eine weitere Stufe erreicht. Ich erlebe halt viele Patienten, die möchten dann unbedingt in ne bestimmte Haltung, obwohl die Beweglichkeit ihrer Hüftgelenke das vielleicht gar nicht hergibt. Die sich dann chronische Instabilitäten im Bereich des unteren Rückens zuziehen. Oder Reizungen im Bereich der Innenseite des Kniegelenkes. Und dann find ich's schade und auch unnötig. Weil niemand muss in den Lotussitz, um Atemübungen zu machen. Musik Chandini Chowk/ Midival Punditz/ Shakti Rhythms Autorin: Ein Missverständnis. Yoga in seiner ursprünglichen Philosophie möchte dabei helfen, den Geist in Gleichmut zu üben. Die Asanas sind Übungen, die entwickelt wurden, um die Organe gesund und den Körper stark zu erhalten - in dem Wort Asana steckt die Bedeutung von "bleiben", "sein" und "sitzen". Diese Entschleunigung und Selbstkontrolle im Yoga fordert auch der Münchner Rocque Lobo. Er stammt aus Indien und lehrte bis 2006 als Professor für Sozialpädagogik. Rocque Lobo macht sich für die Gesundheitspädagogik stark und möchte den medizinischen Nutzen von Yogaübungen wissenschaftlich belegen. Er konzipierte einen Studiengang der "Sozialen Arbeit mit Marma-Yoga". O-Ton Rocque Lobo Das ist die Kopplung von Kopf und Körper, welche wir praktizieren im Marma- Yoga. Autorin: Lobos Ansatz: Viele wissen nicht, warum Sie einen bestimmten Schmerz oder eine Belastung empfinden. Ist dieser Auslöser entdeckt, können einfache Übungen den Schmerz lindern. So hilft zum Beispiel eine Handübung gegen die Nackenverspannung. O-Ton Rocque Lobo Das versuchen wir unseren Mitwirkenden oder Teilnehmern beizubringen, wie sie das lernen, ständig zu kontrollieren und ständig einsetzen, nicht durch übermäßig starke Übungen, wie Kopfstand, Schulterstand oder so - sondern durch diese einfachen Dinge. Autorin: Doch auch der emeritierte Professor erlebt den gegenläufigen Trend. O-Ton Rocque Lobo Sie machen Schulterstände pressen den Schmerz aus dem Nacken heraus und landen dann zum Schluss beim Neurologen. Autorin: Kopfstand und Schulterstand gelten als besonders gefährliche Übungen. Zu schnell, unvorbereitet und unkontrolliert ausgeführt, belasten sie den Nacken im Übermaß. Lange im Kopfstand zu stehen, kann aber auch zum Beispiel bedeuten, die Kontrolle über die Blase zu verlieren. O-Ton Rocque Lobo Beides ist möglich, aber meistens sind es die Langzeitfolgen, die viel gravierender sind als die kurzzeitigen. Autorin: Dieser unverantwortliche Umgang mit Yoga stört den bedachten und höflichen Mann sehr. Es müsste für jede Person die passende Palette angeboten werden, sagt er. Stattdessen gipfelt in Rocque Lobos Augen die Leichtfertigkeit im Yoga für Schwangere. Der Professor greift zu einem Buch, das er vor sich liegen hat und blättert darin. O-Ton Rocque Lobo Und ich kann sagen, aus meiner Praxis habe ich so viele wirklich schlimme Unfälle mit Fehlgeburten und sonst was erlebt - Sie steht auch auf dem Kopf in der Schwangerschaft. Das ist eigentlich tödlich, wenn du nicht geeignet bist für so was! Autorin: Die Krankenkassen unterstützen viele Yogakurse als Präventionsmaßnahme und übernehmen pauschal einen Teil der Kursgebühren. Bedingung dafür ist, dass die Anbieter des Kurses einen staatlich anerkannten Beruf im Gesundheitswesen haben - wie Physiotherapeuten oder auch Psychologen - sowie 500 Stunden Yogaausbildung in einer anerkannten Schule nachweisen können. Auf diese Kriterien haben sich alle Krankenkassen gemeinsam geeinigt, betont Heike Weinert von der Techniker Krankenkasse. O-Ton Heike Weinert Die haben wir geprüft. So dass wir davon ausgehen, dass die Qualität vor Ort auch stimmt. Ansonsten haben wir ja auch die Rückmeldungen von unseren Versicherten, die uns dann spiegeln: Also das stimmt dann doch nicht so ganz überein. Also da haben wir bisher noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Autorin: Yoga als Prävention gehört nach Definition der Krankenkassen zu den Entspannungskursen wie Autogenes Training. Gefördert wird ausschließlich Hatha-Yoga. O-Ton Heike Weinert Das ist ein körperbetontes Yoga. Also wenn ich mich jetzt ständig gestresst und erschöpft fühle, denke ich, ist es schon ne gute Idee zu kucken: Wie kann ich Entspannung finden. Und ich kann's probieren im Yogakurs. Es ist für alle Altersklassen möglich - wenn ich jetzt sagen wir mal eine starke Grunderkrankung hab, vielleicht einen Bluthochdruck oder starke Rückenschmerzen, würd ich empfehlen, erstmal mit dem Arzt zu sprechen. Autorin: Das bleibt jeoch jedem selbst überlassen. Heike Weinert ist Sprecherin der Techniker- Krankenkasse Berlin-Brandenburg und hat selbst einmal einen PowerYogaKurs im Fitness-Studio besucht. Doch da das für ihre Knie nicht das Optimale war, erzählt sie, habe sie wieder damit aufgehört. O-Ton Heike Weinert Ich weiß aber nicht, wieviel Menschen jetzt in einem Gesundheitskurs teilnehmen dürfen, damit einfach wirklich der Yogalehrer noch die Möglichkeit hat, drauf zu achten, ob die Übungen auch vernünftig ausgeführt werden, und dass da niemand irgendwas falsch macht und dann geht das ja auch nach hinten los. Autorin: Eine Teilnehmerbegrenzung wäre eine logische Voraussetzung für einen Präventionskurs. Viele Yogaräume sind viel zu voll. Yogalehrer müssen jedoch jeden Einzelnen sehen können. Das kann bei bis zu fünfzehn Personen ganz gut funktionieren, es darf jedoch auch keine Säule im Studio den Blick versperren. Den Krankenkassen werfen viele Yogalehrer vor, sie würden die geförderten Kurse überhaupt nicht kontrollieren. Was sich vor Ort tatsächlich abspielt, interessiere sie nicht. Musik Tenfold/ Layne Redmond/ Shakti Rhythms Autorin: Yvengar-Yoga, Jivamukti, Ashtanga Vinyasa. Power und Flow. Spirit- und Lachyoga. Im Dickicht der Stilrichtungen und ständiger neuer Begriffe findet man sich kaum noch zurecht. So stellen die Fachleute inzwischen oft selbst ein paar Regeln auf - für die Kursauswahl und auch für die Yogapraxis. Zitator: "Informieren Sie sich über die Yogarichtung, die Sie interessiert. Lassen Sie sich vor allem nach einer längeren sportlichen Pause ärztlich beraten. Achten Sie auf die Qualifikation eines Lehrers, räumliche Gegebenheiten und auch auf die Teilnehmerzahl in einem Kurs. Lehrer müssen wissen, wie es Ihnen körperlich ergeht. In der Yoga-Praxis sollten sie dann immer nur so lange in einer Haltung bleiben, wie Sie sich wohl fühlen. Setzen Sie sich mit dem Sinn der Asanas auseinander. Achten Sie auf ausgleichende Haltungen, am Ende einer Übungsfolge sollten Sie sich weder erschöpft noch euphorisch fühlen. Legen Sie sich nicht auf ein festes Programm fest." Autorin: Von Kursen mit allzu starren Asanas-Abfolgen rät der Berufsverband der Yogalehrenden strikt ab. Auch im Yoga bei 40° Celsius, dem so genannten Bikram-Stil, sieht Angelika Beßler eigentlich nur Gefahren: Ein dauerhaft erhitzter Körper vermittle zum Beispiel ein falsches Gefühl von Biegsamkeit, so könne man seine Grenzen gar nicht mehr erspüren, sagt sie. - Doch trotz all dieser Entwicklungen, einem missverstandenem Yoga als Leistungssport oder auch als Wellness- und Wohlfühlgarant - auch die Kritiker bleiben dabei: Yoga kann großen gesundheitlichen Nutzen bringen. Wer richtig übt, dem bringen die Haltungen, kombiniert mit der Atemtechnik und der Tiefenentspannung am Ende ein körperliches und geistiges Wohlbefinden. Selbst in den erklärten "Krankmachern" steckt dann ein Heileffekt. - Renate Czech leitet auch ihre Gruppe zur Kobra an. O-Ton Renate Czech ...Ja, die Brustwirbelsäulenrückstreckung, die verkümmert bei uns. Deshalb ist das so wichtig, dass wir die wieder aufbauen. Und das ist jetzt mit der Kobra sehr gut erklärt... Autorin: Ein kleiner Raum im Hochparterre eines Mietshauses im Berliner Stadtteil Wedding. Draußen rauscht der Verkehr vorbei. Drinnen ist der Fußboden mit Yogamatten zugepflastert. Neun Frauen und ein Mann liegen in bequemer Kleidung auf Handtüchern und Decken. Eine Frau trägt Jeans zur Kobra. O-Ton Renate Czech Wir atmen, Bauchseite oben, und kommen immer höher, immer höher! Erarbeiten Sie sich wieder die Rückstreckung, Bauch ist eingezogen, Leiste drückt in den Boden, wir ziehen uns auseinander! Und dann wieder loslassen.... Autorin: Während die Kursteilnehmer - im Alter bis zu siebzig Jahren - wieder zur Ruhe kommen, erklärt Renate Czech ein paar Grundregeln für sie. O-Ton Renate Czech Arbeiten Sie langsam an Ihrem Körper. Mit Yoga-Übungen erreichen Sie das weiße Blutgefäßsystem, das Lymphgefäßsystem, die Heilerzellen. Wenn Sie gesund werden wollen, dann arbeiten Sie langsam und kontinuierlich. Arbeiten Sie schnell mit Ihrem Körper, dann erreichen Sie mehr das Blutgefäßsystem Herz-Kreislauf, aber hier wollen wir ja gesund werden, deshalb arbeiten wir schön langsam... Autorin: Renate Czech führt ihren Kurs auch zur Kerze und in den Pflug. Sie bereitet jedoch mit extra Übungen intensiv darauf vor. Das kommt Mara, einer resoluten Krankenschwester, 54 Jahre alt, entgegen. O-Ton Mara Also die Übungen strengen mich schon an und ich geh da schon an ne Grenze, wo ich Schmerzen hab, die hab ich schnell, bei kleinsten Bewegungen eigentlich schon. Aber es ist nicht so, dass ich danach mehr Schmerzen habe. Autorin: Viele Ihrer Schüler, erzählt Renate Czech, waren auch ihre Patienten, etwa mit einer Störung in der Lendenwirbelsäule oder mit einem Rundrücken. Die Physiotherapeutin bildet sich gerade in Osteopathie fort. Osteopathie, sagt die energiegeladene 62-Jährige, lehre viel über Knochenerkrankungen, und die Yogaübungen können ihren Patienten einen Anschub geben, sich wieder sinnvoll zu bewegen. So ist es bei Lena Falkenhagen auch angekommen. O-Ton Lena Falkenhagen Ich nutz das Yoga jetzt - also ich bin kein esoterischer Mensch, ich kann mit Heilenergien nichts anfangen. Ich merke, das tut mir sehr gut, um einfach wieder bei mir selber anzukommen. Autorin: Die Schriftstellerin ging früher viel tanzen, doch nach einem Bandscheibenvorfall hatte sie neurologische Ausstrahlungen in die Füße. Das bedeutete taube Zehen und lange Zeit auch chronische Schmerzen. Jetzt, sagt Lena Falkenhagen, 39 Jahre alt, habe sie endlich wieder ein Gefühl in ihren Füßen. Schlussmusik Sangit Dub/ PFL With Sangit Familiy/ Shakti Rhythms Autorin: Gut aufgeklärt und persönlich angeleitet ist am Ende jeder Yogaschüler für sich selbst verantwortlich und kann erkennen, an welchen Stellen er besonders auf sich achten muss. Die "Kunst des Yoga" sind nicht bizarre Verrenkungen und eine erhöhte Puls, sondern ein beweglicher und stabiler Körper und Geist. Schlussmusik MUSIKEN ALLE TITEL: CD Shakti Rhythms: Flow with the pulse of life. Compiled by Shiva Rea. Sounds True, 2004. M820D. ISBN 1-59179-185-5 ° track 3 Chandini Chowk/ Midival Punditz, Album: Asian Massive. Six Degrees Records, 2002 ° track 6 Roots East Dub/ Ian Sandler, Album: Experimentals, Ian Sandler, 2004 ° track 7 Tenfold/ Layne Redmond, Album: Trance Union, Layne Redmond and Tommy Brunjes, 2000 ° track 10 Sangit Dub/ PFL With Sangit Familiy, Album: Namaste Experience Ibiza and Moonray/ Vol. 1, Moonrayrecords, 1999 EINSPIELLÄNGEN: ° Musik 1 Tenfold, L: 1'20 ° Musik 2 Chandini Chowk, L: 0'50 ° Musik 3 Roots East Dub, L: 0'38 ° Musik 4 Tenfold, L: 0'50 ° Musik 5 Chandini Chowk L: 0'50 ° Musik 6 Tenfold, L: 0'35 ° Musik 7/Schlussmusik Sangit Dub L: 2'47 1