COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 31.August 2009, 19.30 Uhr Parolen, Phrasen, Plattitüden Wie mit Sprache Politik gemacht wird Von Thomas Klug Sprecher: Habseligkeiten Sprecherin: Geborgenheit Sprecher: lieben Sprecherin: Augenblick Sprecher: Rhabarbermarmelade Sprecherin: Kleinod Sprecher: blümerant Sprecherin: Dreikäsehoch Sprecher: Labsal Sprecherin: bauchpinseln Sprecher: Augenstern Sprecherin: fernmündlich Sprecher: Lichtspielhaus Sprecherin: hold Sprecher: Schlüpfer Sprecherin: Dideldum. Autor: Es gibt schöne Wörter, sehr schöne sogar. Wörter, die sich in die Ohren schmeicheln, die ein Lächeln auf Gesichter zaubern. Wörter, deren Klang belebt. Und es gibt Politiker. Dafür können die Wörter nichts. Aber die schönen Wörter, die eleganten Sätze, die intelligenten Formulierungen, sie flüchten, sobald ein Politiker auch nur zu riechen ist. Mit Politikern, da sind sich all die schönen Wörter, all die originellen Sätze einig, mit Politikern wollen sie nichts zu tun haben. Gar nichts. Und so kommt es, dass in dem Augenblick, in dem ein Politiker an ein Mikrofon tritt und den Mund öffnet, nur noch die sprachlichen Sonderangebote vorhanden sind. Collage: Politiker-Sprech - kurz freistehend, dann im Hintergrund Autor: Eine rhetorische Resterampe: Versatzstücke im Zehnerpack, Schachtelsätze in Sonderlänge und Floskeln im handlichen Fünf-Kilo-Paket. Es sind nur: Sp. v. D.: Parolen, Phrasen, Plattitüden Collage 1: Politiker-Sprech - kurz freistehend Sp. v. D.: Wie mit Sprache Politik gemacht wird Collage 1: Politiker-Sprech - kurz freistehend Sp. v. D.: Ein Feature von Thomas Klug Collage 2: Politiker-Sprech - etwas längere Ausschnitte, am Ende verfremden Sprecher: Taumatawhakatangihangakoauauotamateaturipukakapikimaungahoronukupoka iwhenuakit Autor: Dieses Wort in der Sprache der Maori gilt als das längste Wort der Welt. Es ist der Name eines Hügels in Neuseeland. 78 Buchstaben. Was gibt es dagegen im Deutschen? Sprecher: Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz Autor: Im Schweriner Landtag debattierte man 1999 tatsächlich über ein Gesetz mit diesem Namen. Das hat schlappe 63 Buchstaben und beinhaltet das Versprechen, dass es einiger Übung bedarf, um es flüssig über die Lippen zu bekommen. In der Politik lieben sie derlei Namen. Take 01 Als Rhetorikprofessor habe ich da natürlich eine differenzierte Meinung. Sprecherin: Professor Joachim Knape: Take 01 weiter Ich würde sofort fragen: cui bono, wem nutzt das? Für wen ist so ein Begriffsmonster in irgendeiner Form geeignet oder nicht. Für den politischen Sprachgebrauch würde ich es einfach für völlig verfehlt halten. Für engen amtlich-juristischen Sprachgebrauch könnte es sinnvoll sein, obwohl ich mir vorstellen könnte, dass es auch bessere Lösungen für dieses Monstrum gibt. Autor: Der Schweriner Landtag hat eine bessere Lösung gesucht. Zumindest eine andere. Das Gesetz wurde verabschiedet unter dem Namen Sprecherin: Rinderkennzeichnungs - und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. Autor: Warum auch sollte Sprache leicht verständlich und gar handhabbar sein? So ein Begriff, so ein unaussprechlicher, hat Vorteile: Wer die Zeit hat, seiner Aussprache bis zur letzten Silbe zu lauschen, hat eine faire Chance, seine Bedeutung zu erfassen - wenn er am Ende des Wortes nicht schon wieder den Anfang vergessen hat. Aber es kommt noch besser: Von dem Begriff geht keine Gefahr aus, dass er sich in das Floskel-Repertoire der fabulierenden Klasse einschleicht - zu speziell, zu unhandlich und er kostet zuviel Zeit, gerade, wenn man sich kurz fassen muss. Da bleiben die Dauerredner der Republik lieber bei den Versatzstücken, die angesichts von Mikrofonen, Kameras und Notizblöcken wie von selbst aus den offenen Mündern fallen. Die Versatzstücke sind erprobt, tun nicht weh und ermöglichen einen einfachen Umgang mit der Sprache, der deutschen, mit der es ohnehin genug Kämpfe auszufechten gibt. Sprecher: Schiffbruch erleiden Sprecherin: zeitnah Sprecher: in trockene Tücher Sprecherin: die Menschen draußen Sprecher: den Wähler erreichen Sprecherin: inhaltliche Erneuerung Sprecher: schärfer durchgreifen Sprecherin: rückhaltlose Aufklärung Sprecher: in 2010 Sprecherin: beim Wort nehmen Sprecher: Standort Deutschland Sprecherin: ehemalige DDR Autor: Die politische Klasse scheint mitunter eine stotternde Klasse zu sein. Aber leider gilt: Eben diese Klasse ist stilbildend: Sprecher: Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher als die anderen. Sprecherin: George Orwell, Farm der Tiere. Autor: Eines ist offenkundig: Die Kunst der großen Rede ist nicht jedem gegeben: Sprecherin: Joachim Knape, Direktor des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen: Take 02 Die Politiker haben alle einen bestimmten Sozialisationshintergrund, den sie ihr Leben lang mit sich führen. Politik lernt man ja nicht, sondern man wächst in bestimmten Phasen seines Lebens hinein und dann wird man, wenn man ein bestimmter bayerischer Spitzenpolitiker ist, eine bestimme Form des nuscheligen Bayerisch nie wegkriegen, was selbst die Landsleute für ziemlich verfehlt halten, weil sie doch klare Ausdrucksweise und einen gemäßigten Dialekt für das politische Geschehen bevorzugen. Man nimmt aber so etwas mit und die Frage ist, wie gehe ich im Laufe meines politischen Lebens damit um. Manche verbessern sich im Stil, manche verbessern sich in der Ausdrucksweise, manche kriegen bestimmte Gewohnheiten nicht los. Autor: Politiker reden. Nicht jede Rede ist ein Glücksfall, nicht jede Rede kann eine Sternstunde werden. Genau deshalb können ja die guten Redner unter den Politikern auffallen. Dann, wenn sie Reden halten, die neue Erkenntnisse liefern, die glaubhafte Visionen aufzeigen. Dann, wenn es wirklich um etwas geht. Richard von Weizsäcker hat so eine Rede gehalten. CD von Weizsäcker, 8.Mai Autor: Rhetorisch geschliffen und gedanklich brillant. Vielleicht ist dieser Zusammenhang die Voraussetzung für gute Reden. Vielleicht muss es auch wirklich um etwas Entscheidendes gehen, nicht um die dritte Lesung der Ergänzung der Ausführungsbestimmungen des Gesetzes für rheinische Gartenzwergaufstellung in der Sonderausführung für weibliche Gartenzwerge namens Ursula. Manchmal haben Politiker einfach nichts zu sagen - und müssen doch eine Rede halten oder zumindest Rede und Antwort stehen. Oder sie müssen sich staatstragend geben. Collage: "amtliche" Politikerreden, als Endlosschleife, kurz freistehend, dann leise im Hintergrund. Take 03 Wenn amtliche Reden gehalten werden vorm Bundestag, da ist ja so klar, dass viele Dienststellen mitwirken, einzelne Absätze werden von ganz bestimmten Fachreferenten formuliert, weil da ja das Wissen aus den einzelnen Abteilungen rein muss. Entsprechend sind die Reden so eine Art Patchwork-Teppich, wo alle möglichen Leute mitgearbeitet haben. Hier wirken viele Beamte mit, die so eine Art Verlautbarungsmechanik dann da haben. Das schlägt sich leider auch in vielen Reden nieder, die dann insbesondere von Regierungsseite gehalten werden, weil man vorsichtig ist und immer die amtliche Seite ins Spiel bringen will. Das bremst den Redefluss, es bremst auch die ganze Textsorte Rede natürlich aus. Take Schröder Hol mir mal ne' Flasche Bier! Take 04 So jemand wie der frühere Bundeskanzler Schröder hat, wenn er jedes Manuskript fallen lies und in der freien Rede oder im Gespräch sich ausdrücken musste, sehr gut reagiert, er konnte sehr gut mit den Bürgern sprechen, er war geradezu volkstümlich, seine Aussprüche gingen dann ja auch durchs Land: Bitte mal eine Flasche Bier oder so etwas, wo er bewusst populär sich gegeben hat. Wenn der Mann in den Bundestag ging und versuchte, ein Manuskript abzulesen, war das für mich immer sehr, sagen wir mal, unangenehm, weil er das nicht richtig hingekriegt hat. Das war also niemand, der geschickt vorgefertigte Reden runterlesen konnte. Autor: Ja, es gibt auch Verständnis für Politiker: Wohl kaum eine Berufsgruppe muss so reichlich Rede und Antwort stehen, wie das Führungspersonal der Parteien. Ein Schicksal, das Politiker höchstens noch mit Profifußballern teilen. CD Sportreportage oder Fußballerinterviews direkt nach dem Spiel Autor: Man soll Politiker nicht unterschätzen. Politiker wollen verstanden werden. Sie wollen ihre Ziele bekannt machen. Kommunizieren, nennen sie das. Sie wollen, gewählt werden. "Die Menschen erreichen", nennen sie das. Take 05 Ich denke, dass wir gerade ab den 90er eine Tendenz haben, bei der Politiker schon versuchen, gut anzukommen, eine möglichst volksnahe Sprache zu verwenden oder auch eine möglichst einfache Sprache zu verwenden mit einfachen Bildern. Sprecherin: Martin Haase, Professor für romanische Sprachwissenschaft an der Universität Bamberg: Take 06 Haase Ganz besonders ist es ja aufgefallen, insbesondere in Italien, so bin ich darauf ja auch aufmerksam geworden, dass Fußballmetaphern eine ganz besondere Rolle spielen, vor allem bei populistischen Politikern. Selbst die Partei, die Berlusconi gegründet hat, hieß dann Forza Italia, das ist der Schlachtruf der italienischen Fußballfans, "Los, Italien! Abseits, das sind genau die Metaphern in der deutschen Politikersprache. Daran sieht man, dass die deutschen Politiker schon bemüht sind, möglichst einfache Bilder zu verwenden. Autor: Die Stunde der Metaphern schlägt. Metaphern sind anschaulich, verdeutlichen auch mal komplizierte Sachverhalte. Aber Metaphern sind nie so ganz richtig. Und präzise schon gar nicht. Aber wollen Politiker präzise sein? Take 07 Das kann sich der Politiker nicht leisten, weil er ja möglicherweise sein Gesetz verkaufen muss. Man sieht das sehr schön an dem Beispiel der kürzlichen Gesetzgebung, das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz. Kaum ein Politiker nennt das so. Autor: Das Gesetz, welches im Internet den Zugriff auf Seiten mit kinderpornographischen Inhalten, ja was eigentlich, verbieten, verhindern, erschweren soll. Take 08 Und viele vertun sich auch, auch wenn man etwas darüber liest, da steht da plötzlich Zugangserschwernisgesetz, es heißt aber Zugangserschwerungsgesetz. Da sieht man, das ist nicht so griffig. Ich denke, dass diese Bezeichnung des Gesetzes schon der Versuch ist, von Juristen, es möglichst präzise zu etikettieren. Das lässt sich aber nicht verkaufen. Wenn Sie jetzt die politischen Reden dazu sehen, von den Befürwortern und von den Gegnern, dann nennen die das immer anders. Da gibt es dann so Bezeichnungen wie Gesetz gegen Kinderpornographie oder Netzsperren oder Zensurgesetz. Aber all diese Wörter treffen vielleicht nur Aspekte des Gesetzes. Es ist wirklich nicht präzise benannt. All diese Wörter transportieren ein Empfinden. Man nennt das in der Linguistik Konnotation, also etwas, was über die eigentliche Bedeutung hinausgeht. Collage: Internet-Sperre Take 09 Man hört Zensurgesetz, dann läuten gleich die Alarmglocken, klar, Zensur, das will niemand. Wenn man aber hört, Gesetz gegen Kinderpornographie oder Sperre von Kinderpornographie, ja eigentlich, gegen Kinderpornographie sind wir alle, also ist doch so eine Sperre gut, nur, es wird da nichts gesperrt. Also die Bezeichnung passt irgendwie gar nicht. Gerade Netzsperre, es wird ja nur praktisch der Zugriff auf illegale Inhalte in gewisser Weise erschwert, dass die halt nicht so leicht zu finden sind, dass der Zugriff vielleicht umgeleitet wird auf ein Stoppschild, das man auch wieder umgehen kann. Autor: Teil des sogenannten Zugangserschwerungsgesetzes (das sind übrigens 27 Buchstaben) sollte einen Richtervorbehalt sein, also ein unabhängiger Richter sollte die Sperrlisten überprüfen - unabhängig eben. So steht es nun im Gesetz - zumindest auf den ersten Blick: Take 10 Jetzt gibt es einen Vorbehalt, nur ist es kein Richtervorbehalt, sondern die sogenannten Sperrlisten sollen geprüft werden von Leuten, die die Befähigung zum Richteramt haben. Das klingt jetzt so gut, als seien das praktisch Richter. Aber das ist nicht der Fall. Die Befähigung zum Richteramt erwirbt man ja dadurch, dass man das Zweite juristische Staatsexamen hat, dass man also Jurist ist oder Volljurist, wenn man das so nennen will. Die meisten Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes sind Juristen, also hätte man auch gleich schreiben können, wird durch Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes oder auch eben andere, aber eben durch Juristen geprüft und das ist natürlich nicht dasselbe, wie ein Richtervorbehalt, aber es wirkt fast so. Es wird bewusst so eine Art Missverständnis in Kauf genommen. Und das ist etwas, was über die Sprache hinausgeht. Es ist nicht einfach ein anderes Wort für etwas, was man nicht so klar darstellen will, sondern es wird so ein Anschein erweckt durch die Art der Formulierung, aber es wird tatsächlich eine qualitative Veränderung durchgeführt. Sprecher: Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen. Sprecherin: George Orwell, 1984 Autor: Die Dinge wollen benannt sein. Der Bedarf an neuen Wörtern wächst beständig. All die neuen Dinge, die mit Computern und dem Internet zu tun haben, benötigen neue Namen. Der Einfachheit halber bedient man sich der entsprechenden Begriffe aus dem Amerikanischen. Bei komplexen Sachverhalten wird es schwierig. Und wenn es um Machtfragen geht, also wenn die Politik ins Spiel kommt, dann darf man den neuen Begriffen gern erst einmal misstrauen. Denn bei der Begriffsbildung darf immer eine Absicht vermutet werden. Sprecherin: Prof. Martin Haase Take 11 Politiker wollen ihr Anliegen möglichst leicht an den Mann oder an die Frau bringen, möchten diese Anliegen "verkaufen", da müssen sie entsprechend die Dinge so benennen, dass sie sich verkaufen lassen, also möglichst Wörter verwenden, die positives Empfinden vermitteln, also diese positiven Konnotationen. Das ist auch zu beobachten. Take 12 Interview Norbert Geis Geis: ...Wenn Sie aber ganz konkret fragen, ich bin natürlich dafür, dass wir einen potenziellen Aggressor, einen Terroristen, der unser Land bedroht, dass wir den natürlich liquidieren können müssen ... Autor: Am 9. Juli 2007 gibt Norbert Geis dem Deutschlandfunk ein Interview. Norbert Geis ist CSU-Rechtsexperte. Er setzt sich dafür ein "potentielle Aggressoren zu liquidieren". Take 12 weiter Geis: ... sonst setzen wir uns unnötig unter Umständen einem Anschlag aus. Wenn ich dadurch Anschläge verhindern kann, muss es möglich sein, solche Anschläge schon im präventiven Bereich abzuwehren. ...Wir wollen ja nur die potenziellen Gefährder in so etwas wie Unterbindungsgewahrsam, den wir ja jetzt auch schon haben, natürlich unter engen rechtlichen Voraussetzungen. Wir können Hooligans abfangen und können zunächst einmal die Freiheit entziehen, wir können sie also unterbringen, so lange, bis beispielsweise ein Fußballspiel vorbei ist. Take 13 Gerade "Gefährder", das ist eben kein bürokratischer Terminus, sondern ein Terminus der Politiker-PR kann man vielleicht sagen. Was ist ein Gefährder? Ein Gefährder ist jemand, der möglicherweise stört. Also ein potentieller Störer. Störer ist dann der Rechtsterminus. Also ein Gefährder ein potentieller Störer. Und ein potentieller Gefährder ist ein potentieller potentieller Störer. Da sieht man eben, da stimmt etwas nicht. In der Tat ist das so ein Wort, das nicht gut passt bzw. es passt auf eine besondere Vorstellung, was Recht bewirken soll, nämlich dass man möglicherweise mit der Gesetzgebung präventiv vorgehen kann, also möglicherweise Vorsorge treffen kann oder Menschen erziehen kann oder so. Und das ist eigentlich nicht das Rechtssystem, das typisch ist für einen Rechtsstaat. Take 14 Geiss Aber ich glaube, dass dann, wenn der Gefährder wirklich erkannt ist, ich halte es für unverantwortlich, diesen Gefährder weiter unter uns ganz zwanglos leben zu lassen. Also da bin ich schon eher für die Sicherheit und würde sagen oder sage, dann muss der Gefährder auch hinter Schloss und Riegel, er muss also in Sicherungsverwahrung gebracht werden. Sprecher: Gefährder Sprecherin: negative Deckungsreserve Sprecher: Arbeitgeber Sprecherin: Arbeitnehmer Sprecher: Steuerentlastung Sprecherin: Solidarzuschlag Sprecher: Stabilisierungseinsatz Sprecherin: umstrittene Verhörmethode Sprecher: Thermische Abfallbehandlung Sprecherin: Gesundheitskarte Sprecher: Preisanpassung Sprecherin: Soziale Marktwirtschaft Take 15 "Soziale Marktwirtschaft" ist letzten Endes, denke ich, kein Begriff der funktionieren kann. Ich glaube, dass an und für sich der Begriff "sozial" in unserer Debatte, Sozialdemokratie, soziale Marktwirtschaft usw., dass dieser Begriff auch an Bedeutung verloren hat in unserer Debatte und dass es ganz neue Sprachschöpfungen geben könnte, die die sozialen Grundideen unseres Staates neu vermitteln. Autor Die Sprache in der Politik ist mehr als Rhetorik, mehr als schöner Klang. Es werden Ideen beschrieben, Inhalte vermittelt, die Gesellschaft gestaltet - all das passiert mit Worten. Ist die politische Sprache also etwas besonderes? Sprecherin: Elisabeth Wehling, kognitive Linguistin an der Berkley University, Kalifornien: Take 16 Was wichtig ist an politischer Sprache ist das Bewusstsein darüber, welche Macht Sprache eigentlich in der öffentlichen Debatte hat. Und zwar die Macht, Ideen miteinander in Verbindung zu bringen und dadurch neuronale Schaltkreise im Gehirn der Zuhörer zu stärken und zu schaffen. Autor: Wann ist ein Krieg ein Krieg? Soldaten marschieren in ihrer Dienstzeit auf Befehl und mit ihrer gesamten Ausrüstung in ein anderes Land. Franz-Josef Jung, Verteidigungsminister. Das Wort Krieg verwendet er nicht, sondern andere, wenig konkretere Begriffe, wie Martin Haase festgestellt hat. Take 17 Aber dann gibt es noch viele andere Wörter, die keine offiziellen Bezeichnungen sind, die aber gerne verwendet werden, um den Krieg in das gewünschte Licht zu bringen und da gibt es halt Bezeichnungen wie Friedensmission, das passt ja nicht so richtig, da wo Leute sterben oder getötet werden, ist eigentlich keinen Fall von Frieden oder es wird ganz unklar von Einsatz gesprochen. Oder sogar Jung sagt an einer Stelle, es gibt eine Situation in Afghanistan. Situation ist natürlich auch eine Verschleierung. Es hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass er da eine Lehnübersetzung aus dem Englischen macht - das englische Wort situation ist eben nicht einfach mit Situation zu übersetzen, sondern heißt schwierige Lage auf Deutsch. Da wird dann mit der Lehnübersetzung ein bisschen gespielt. Er sagt Situation und man weiß gar nicht, was er meint. Sprecher: Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke. Sprecherin: George Orwell, 1984 Autor: Es ist ein altes Prinzip: Die Politik und die Werbung unterscheiden sich da nicht voneinander: Sollen die Preise erhöht werden, spricht man von Preisanpassung, nicht etwa von Erhöhung. In der Politik heißt es dann "Reform". Take 18 Wehling Nehmen wir ein Beispiel, den Begriff Steuererleichterung, der zwei Ideen miteinander in Verbindung bringt und zwar Steuern und die Idee von Erleichterung, die in einem Kontext, in einem Sinnzusammenhang steht mit Ideen von Belastung, mit einer Belastung, von der man erleichtert werden kann. Das heißt, zwei Ideen werden sprachlich miteinander verknüpft, aber eben nicht nur sprachlich, sondern im Kopf des Hörers gemeinsam aktiviert und dadurch neuronal gestärkt und das ist eben so ein Beispiel dafür, wie Sprache eben nicht objektive Gegebenheiten widerspiegelt, sondern Sinnzusammenhänge schafft und zwar Sinnzusammenhänge schafft, die uns oftmals unbewusst sind, die wir aufnehmen, die wir berechnen im Gehirn, aber die wir nicht in Frage stellen, über die wir uns nicht weiter Gedanken machen, weil wir eben oftmals keine Vorstellung davon haben, wie unser Gehirn Sprache verarbeitet. Autor: Es setzt sich fest. Steuern sind schlecht. Steuern schaden. Steuern stören. Aber doch war da einmal etwas anderes: Steuerzahlungen haben ihr Gutes. Es hat etwas mit Gemeinwohl zu tun. Der Begriff "Steuererleichterung" allerdings verdrängt das völlig. Sprecherin: Elisabeth Wehling Take 19 Es ist eine Bewertung, eine Einschätzung von Steuern, die hier sprachlich mitgeliefert wird, die aktiviert wird im Kopf, denn immer wenn wir ein Wort in der Debatte verstehen wollen, dann gibt es Gehirnaktivität, das heißt, diese Ideen werden aktiviert im Kopf und sie sind eine bestimmte Interpretation von Steuern, aber keine wertfreie Interpretation. Es ist die Sicht auf Steuern aus einer bestimmten Perspektive. Was dabei interessant ist, dass in dem Moment, wo wir die Idee von Steuern zum Beispiel mit Last gemeinsam aktivieren durch Sprache in der Debatte, werden andere Verständnisse von Steuer ausgeschlossen, denn das Gehirn kann nicht zeitgleich sich gegensätzliche, sich widersprechende Ideen aktivieren. Das bedeutet andere mögliche Verständnisse von Steuern sind in dem Moment ausgeschlossen. Autor: Steuererleichterung: Ein scheinbar objektiver Begriff entpuppt sich als ein Stück Ideologie, denn es kommt nur die Interpretation eines Begriffs im Gehirn an. Take 20 Wehling Richtig, weil es in der Debatte so nicht mehr thematisiert wird oder nicht genug bzw. weil wir uns nicht darüber bewusst sind, dass kleine Worte wie Steuererleichterung von denen wir normalerweise denken würden, ach das ist nur ein Wort, da steckt nicht viel dahinter, weil solche Worte nicht hinterfragt werden, weil wir die Bewertung von Steuern, die Bedeutung dessen, was Steuern für unsere Gesellschaft bedeuten, nicht sprachlich einbringen in die Debatte, nicht sprachlich aktivieren in unseren Köpfen. Ideen, die nicht gemeinsam aktiviert werden, die werden nicht neuronal gestärkt und werden nicht zu unserem Common sense, zu unserem politischen Verständnis der Situation. CD: Zapping Autor: Misstrauen ist angebracht - gerade bei den Begriffen, die Tag für Tag medial verbreitet werden. Nicht jedes Wort ist versuchte Manipulation, nicht jeder Satz eine gute getarnte Vernebelung. Aber sind Floskeln Zufall? Sprecherin: Martin Haase, Professor für romanische Sprachwissenschaft an der Universität Bamberg: Take 21 Nein, Floskeln sind kein Zufall. Da gibt es ja verschiedene Herangehensweisen. Einmal die bewusste Herangehensweise, dass jemand Floskeln bewusst verwendet, um eben auch Dinge zu beschönigen oder eben als nicht hinterfragbar darzustellen. Und dann gibt es das berühmte Nachplappern, was auch sehr verbreitet ist, wo man etwas aufschnappt und weil es so gut klingt, einfach wiederholt. Oder weil man denkt, dass wird schon irgendwie seine Richtigkeit haben, es wird sogar möglicherweise eine gewisse Präzision damit transportiert, dass man eben genauer ist, ohne dass man genauer ist, wie man bei "internationaler Terrorismus" sehen kann. Da gibt es verschiedene Phänomene, die da zusammenkommen, deshalb sind Floskeln ja immer so erfolgreich. Autor: Ein Politiker denkt sich einen verschleiernden Begriff aus. Am nächsten Tag steht der Begriff als Zitat in der Zeitung. Am übernächsten Tag schon wird er verwendet, als wäre er eine offizielle Definition. Take 22 Das ist es oft Nachplappern. Das merkt man auch, dass es da besondere sprachliche Phänomene gibt, bei diesen sogenannten Floskeln. Die werden oft schneller gesprochen, so ein bisschen verkürzt gesprochen und verschliffen. "Ehemalige DDR" so schnell gesprochen, dass man gar nicht richtig das Wort versteht. Das gibt es häufig. Autor: Journalisten haben leider einen Anteil am Nachplappern. Mal wird so Politik gemacht. Mal einfach nur die Sprache verschandelt. Take 23 Sehr interessant ist auch Folter, dann wird eben gesagt statt Folter umstrittene Verhörmethode. Das ist jetzt nicht wirklich positiv, umstritten ist ja nicht positiv, aber das eigentliche Wort wird vermieden, sozusagen ein sprachliches Tabu. Man sagt nicht Folter, sondern umstrittene Verhörmethode. Und das sieht man dann sogar in der Tagesschau. Eigentlich ist es nicht gut. Wenn es Folter ist, sollte man es auch Folter nennen. Autor: Es scheint schlecht auszusehen, für die Sprache. Doch: Eine wertfreie Sprache gibt es nicht. Und gegen sprachliche Verzerrungen kann man sich wehren. Vor einiger Zeit sollten europäische Flughäfen mit einem neuen Gerät ausgerüstet werden - wieder einmal im Namen der Sicherheit - das funktioniert immer. Doch diesmal ging etwas schief, selbst aus Befürwortern der neuen Geräte wurden Gegner. Politisch war da nichts mehr zu gewinnen. Es lag wohl an dem Namen, unter dem die neue Technik bekannt wurde: Nacktscanner. Take 24 Wenn es da von den Befürwortern gelungen wäre, vielleicht einen positiven Begriff zu finden, hätte man das vielleicht machen können, vielleicht passiert das ja noch, vielleicht kommen die Nacktscanner ja noch einmal neu auf dem Markt und haben dann eine Bezeichnung, die sehr positiv klingt, bei der man dann sagt, das ist ja etwas, was wir wollen. Autor: Wenn auch immer wieder furchtbare Begriffe aufkommen und wenn wieder arglose Wörter einfach zweckentfremdet werden - es gibt Trost, ein klein wenig: Die Verschleierung wirkt nicht unendlich, es gibt etwas, was man vielleicht Selbstheilungskraft der Sprache nennen könnte: Take 25 Es ist dann vielleicht auch der heilsame Effekt der Sprache, dass die damit verbundenen Empfindungen, die damit vermittelt werden, die sogenannten Konnotation eben auch abgebaut werden. Wenn ein Wort immer häufiger verwendet wird, dann verliert das diesen emotionalen Gehalt und dann wird es wirklich fast wertfrei. Das kann in der Tat passieren. Dann kann man sich immer noch kritische Gedanken machen, wie das aufgekommen ist oder ob man es vielleicht noch mal anders sagt. Man kann natürlich durch die Veränderung des Wortes auch wieder einen Aha-Effekt erzielen, aber es ist schon so, dass mit der Zeit eben Wörter da eben auch sich abnutzen und dann eben ganz wertfrei verwendet werden können. Autor: Aber bis es soweit ist, heißt es, Begriffe kritisch hinterfragen. Sprache ist nicht objektiv. Und wenn jemand behauptet, nur die Wahrheit zu sagen, und das auch noch ganz objektiv, dann heißt es, besonders kritisch hinzuhören. Und außerdem gilt: Sprache kann auch schön sein. Sprecher: Habseligkeiten Sprecherin: Geborgenheit Sprecher: lieben Sprecherin: Augenblick Sprecher: Rhabarbermarmelade Sprecherin: Kleinod Sprecher: blümerant Sprecherin: Dreikäsehoch Sprecher: Labsal Sprecherin: bauchpinseln Sprecher: Augenstern Sprecherin: fernmündlich Sprecher: Lichtspielhaus Sprecherin: hold Sprecher: Schlüpfer Sprecherin: Dideldum. Sprecher vom Dienst: Parolen, Phrasen, Plattitüden Wie mit Sprache Politik gemacht wird Ein Feature von Thomas Klug Es sprachen: Katrin Klein, Tim Lang und der Autor Ton: Inge Görgner Regie: Rita Höhne Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 1