COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 20. August 2007, 19.30 Uhr Sisyphus im Freizeitclub Was Jugendarbeit leisten kann Ein Feature von Barbara Zillmann Atmo 1 Musik in einer Halle, Fete, Jugendliche O-Ton 1 Collage Mädchen Ich bin hierher gekommen, ich dachte mir, einfach mal gucken hier, wer hier alles so ist, ja und mit Kollegen so einfach chillen. Junge Sei ma ruhig Alter, bist du Biene? - also mein Name is Ilias, ich komm zu den Parties, weil ich das hier sehr amüsant finde, weil man draußen nichts zu tun hat, und weil ich finde, dass die Jugendlichen sich alle hier versammeln können und zusammen Spaß haben können, ohne auch illegale Sachen zu machen, wenn ich das mal so sage. Atmo 2 Glassplitter Spr. vom Dienst Sisyphus im Freizeitclub? Was Jugendarbeit leisten kann Ein Feature von Barbara Zillmann Sprecherin Sie kommen in Gruppen, mit Kapuzenpullis in schwarz, rosa oder hellblau. Mit Strähnchen oder Rastazöpfen, mit Mütze oder Glatze. Jugendliche in einem Dortmunder Vorort, am Freitagabend. Security - Leute tasten jeden ab, auch die Mädchen. Draußen ein Polizeiauto. Eine Turnhalle ist zur Disko umgebaut: mit farbigen Strahlern, mit einem Soccer- Feld und einer Kletterwand. Dazwischen Stände mit Verhütungsinfos und Drogenberatung. Draußen ein ?Schminkbus? für die Mädchen. O-Ton 2 Collage (Junge) Für die Weiber vielleicht so mit mehr Spiegel! (albern herum) oder mehr Möglichkeiten zu haben, wo wir uns selber einrichten können, weil die Erwachsenen denken erwachsen, wir denken halt anders. (Junge, laut) und wir wollen unsere Ruhe! ? Tschö! Lachen O-Ton 3 Maria Volkery Die laufen rein und raus, gucken drinnen, die lassen sich noch nicht fest nieder, die lassen sich nicht festnageln. Weil sie noch nicht wissen, was die Kolleginnen und Kollegen da draußen machen. Und das müssen sie noch mitkriegen. Die sind noch sehr unruhig da drin. Atmo 3 - ruhiger, im Schminkbus. (hängt am O-Ton 3), im Folgenden unterlegen Sprecherin Maria Volkery, Leiterin einer benachbarten Freizeitstätte. Mit anderen Sozialpädagogen und dem Jugendamt Dortmund hat sie die Party organisiert, Genauer: das ?Event?. ?Geile Zeit? heißt es, und soll die Jugendlichen von der Straße holen. Aber ohne Druck. Ein wichtiges Prinzip der offenen Jugendarbeit. Atmo 3 in dem Bus, Sängerin kurz freistellen O-Ton 4 Maria Volkery Termine haben die schon genug, die haben sie in der Schule, haben die im Sportverein, bei der Polizei, im Elternhaus. Unsere Arbeit beruht auf Freiwilligkeit, das ist n ganz wichtiger Aspekt dieser Jugendphase. Ich kann freiwillig kommen, ist trotzdem jemand da, mit dem ich reden kann, ich darf auch wieder freiwillig gehen. Und ein anderer wichtiger Punkt, den wir also auch sehr beherzigen, dass man ganz schnell versucht, alle Namen zu kennen, jeder wird mit Handschlag begrüßt, dadurch wird jeder Besucher wahrgenommen als Persönlichkeit, und nicht als ?die Jugendlichen?. Und das ist n ganz wichtiger Aspekt: wahrgenommen zu werden: Bitte, mich gibt?s ja auch noch! Atmo 4 (Toncollage, herstellen) gemütliche Musik geht über in laute Musik und Krach - Flaschen zerschellen, Polizeisirene, Straßenbahn bremst Sprecherin Rückblick Zitator Mit einem großen Polizeiaufgebot begegnete die Polizei am Wochenende zahlreichen Treffen von Jugendlichen im Bezirk Brackel, die sich dort, wie an den Wochenenden zuvor, zusammengefunden hatten. Sprecherin Dortmunder Stadtanzeiger, 21.Februar 2007 Weiter Zitator Meist zogen die alkoholisierten Jugendlichen in Gruppen von 5 bis 25 Personen durch den Dortmunder Osten und fielen durch Sachbeschädigungen und Verunreinigung von Plätzen und Gehwegen auf. Die Polizei sprach insgesamt 67 Platzverweise aus. Weil elf Jugendliche den Platzverweisen nicht folgten, nahm die Polizei sie fest. Sprecherin Jugendrandale: Nicht nur in Paris oder Berlin, sondern auch in Dortmund-Brackel. Am Hellweg, der Ost-West-Achse quer durch die Stadt. Treffpunkt wurde ausgerechnet der Kirchplatz in einem bürgerlichen Bezirk: die Straßenbahnhaltestelle ?Brackel-Kirche?. Erst 50, dann 100, später 300 Jugendliche versammelten sich hier am Wochenende. Was war passiert? Jörg Bitter ist Jugendpfleger der Stadt Dortmund: O-Ton 5 Jörg Bitter Das war zum einen die Schließung einer von Jugendlichen stark frequentierten Disko in einem benachbarten Stadtteil, der Soundgarten, so wie er hieß, dort haben sich dann relativ viele Jugendliche an diesen Treffpunkt Brackel Kirche zurückgezogen, zeitgleich wurde dann ein türkisches Café eröffnet gegenüber dieser Haltestelle in Brackel, die am Wochenende eine Jugenddisko mit 1-Euro Parties im Prinzip angeboten haben, das wurde dann bedingt auch stark angenommen, wobei in dem Lokal wenig los war, die haben vorher getrunken, sind da mal kurz reingegangen, warn überwiegend auf der Straße - hatten also auch ne Bühne , sag ich jetzt mal einfach so. Sprecherin Dabei machten Wodka- und Bierflaschen die Runde, eine nächtliche Freiluft-Disko brachte die Anwohner um den Schlaf, und am nächsten Morgen lag vor der Brackeler Kirche ein Scherbenmeer. Auch die Fenster einer Bank gingen zu Bruch, die Bürgerschaft war empört. Anlass für Jörg Bitter, einen Runden Tisch einzuberufen - aus Bezirksvertretern, Anwohnern, Gewerbetreibenden, und der Polizei. Anlass auch für heftigen Parteienstreit über die Jugendpolitik der SPD-regierten Stadt. Immerhin bewilligte die Bezirksvertretung - nach einer Periode drastischer Kürzungen - nun Vorhaben, die schon lange in den Schubladen lagen. Man stellte jetzt kurzfristig Mittel bereit für den ?Jugendbus?, ?Event- Parties? wie die in der Turnhalle, und sogar für einen ganz neuen Jugendtreff - bis Ende 2007 ist die Finanzierung gesichert. Bis dahin dürfen auch einige Streetworker auf 10,- Euro-Basis beschäftigt werden. In Dortmund Brackel ist es seitdem etwas ruhiger geworden. Atmo 5 Straßenbahn, Autos Sprecherin Der Hellweg war zu einem ?informellen Jugendtreff? geworden, wie es in der Sprache der Sozialarbeiter heißt. Jörg Bitter betont: Jugendliche dürfen sich auch abends und nachts frei draußen aufhalten. Bis 24 Uhr ganz legal, sagt das Jugendschutzgesetz. Sie dürfen ab 16 sogar rauchen und Bier trinken. Aber wo und wie? Und mit wem? Vanessa, Sina und Ronja erklären, warum es so viele an den Hellweg zog. Sie sitzen in der Kinder- und Jugendfreizeitstätte Wickede im Bezirk Brackel. Draußen regnet und donnert es. O-Ton 7 Vanessa Bis viertel vor zehn kann man ja hier hin. Und danach weiß man wieder nicht weiter und muss dann auf die Straße sozusagen. Sina wenn hier halt zu ist, dann müssen wir halt alle raus und dann Ronja verteilen sich die Mengen auf den Hellweg. Sina Ich mein, man hat ja nicht nur eine Freundin und einen Freund. Der Freund hat dann wieder viele Freunde und dann kommt das alles zusammen halt so alles zusammen. Sprecherin Und dann ist es immer das gleiche, sagt Ronja: jemand flippt aus, die Nachbarn beschweren sich, die Polizei kommt. Eltern protestieren: ihre Kinder würden ?kriminalisiert?. Denn Saufen, Pöbeln und Zerstörung - damit wollten viele Mädchen nichts zu tun haben. Und die meisten Jungen eigentlich auch nicht. Sie fühlen sich von den ?Anführern? unter Druck gesetzt: - O-Ton 8 Jungs Die trinken zuviel, und die machen zuviel Scheiße, und so was wollen wir einfach nicht. Fertig. O-Ton 9 Ronja manchmal teilen wir uns ja auch, dann gehen halt die manchen dahin, die manchen dahin, weil halt die Polizei da war, rufen wir se an, fragen wo se sind, und dann - das letzte Mal warn wir auch am Robinson, saßen da, hatten auch unsere Ruhe, bis halt wieder andere vom Hellweg kamen und da halt wieder Terror gemacht haben, ja und dann sind wir da weg wieder. Sprecherin Ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Jugendlichen und der Polizei. Die ihre Pflicht tut, aber ohne Erfolg. Gymnasiasten, Hauptschüler, ganz normale Jugendliche und die, die voller Aggression stecken, alle zog es an den Hellweg. Jörg Bitter: O-Ton 10 Bitter Also, der Treffpunkt Brackel Kirche, den?s ja jetzt im Moment nicht mehr gibt, hat sich zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Jugendgruppen aus dem ganzem Stadtgebiet angereist sind, sicher auch gefördert durch die sehr intensive Presseberichterstattung, da musste man einfach dabei sein, da stand ja jeden Montag wieder was in der Zeitung, und da kamen dann die Rollergangs aus Hörde, und fuhren da einmal lang und flanierten da, man musste sich mal sehen lassen. Atmo 6 Motorrad aufdrehen Sprecherin Ist die ?heutige Jugend? gefährlicher und gefährdeter als die von gestern? Oder ist alles nur so, wie es immer schon war, angereichert um ein paar neue Requisiten der ?Halbstarken?: Video-Handy, Techno-Music, Geld genug für Schnaps und Drogen? Immer wieder heißt es: Gewalterfahrungen, Rücksichtslosigkeit und besinnungsloser Alkoholkonsum nehmen zu. Auf der anderen Seite zeigte die jüngste Shell-Jugend-Studie, Freundschaft und Vertrauen stehen bei vielen Jugendlichen hoch im Kurs. Und der Unicef-Bericht zur Lage der Kinder und Jugendlichen betont, viele vermissen das Gespräch mit den Eltern. O-Ton 13 Bliesener Wir neigen zum Verdammen der Jugendphase, das kennen wir aus dem Altertum, dass es da relativ gleichlautende Klagen bereits gegeben hat über die Jugend - Sprecherin sagt der Jugendpsychologe Thomas Bliesener von der Universität Kiel. O-Ton 14 Bliesener Wir müssen einfach sehen, dass die Jugend eine sehr schwierige Phase ist, das hat zu tun mit sehr unterschiedlichen Anforderungen an Jugend zu tun, Jugendliche sollen sich ablösen, sollen nach außen gehen, sollen neue Sozialpartner, gleichaltrige Sexualpartner finden, sollen auch eine neue Orientierung finden über die eigene Zukunft ? gleichzeitig ist die Jugendphase eine Phase erhöhter Sensationssucht, also ich will Reize erfahren, ich will Spaß haben. Ich will etwas erleben - und dieser Reizhunger will und muß befriedigt werden, und dafür müssen wir auch Räume schaffen. Sprecherin Thomas Bliesener beschreibt den Zustand der Heranwachsenden so: O-Ton 15 Bliesener Randale in den Hormonen und letztendlich unüberlegtes Verhalten in den Hirnen, weil die Fähigkeit nicht voll ausgebildet ist, diese Konsequenzen zu überschlagen - das gelingt recht gut, wenn die Jugendlichen in Ruhe darüber nachdenken können, aber gerade in den hochdynamischen Reaktionen in der Gruppe, wenn jemand anstachelt, wenn auch Alkohol im Spiel ist, wenn plötzlich alles ganz schnell gehen muss und wenn sozialer Druck ausgeübt wird, dann zeigt sich doch, dass diese Planungs- und Entscheidungsprozesse bei weitem noch nicht so gut sind, wie es dann einige Jahre später gelingt. Sprecherin Viele Jugendliche tun deshalb Dinge, die sie eigentlich gar nicht wollen, werden Mitläufer, lassen sich von anderen zu delinquentem, abweichendem Verhalten anstiften. Offene Jugendarbeit auf freiwilliger Basis habe hier ein besonderes Problem, meint Thomas Bliesener, denn jene Jugendlichen, die sozial auffällig sind, würden sich hier sammeln, weil sie in Vereinen mit festen Regeln erst gar nicht aufgenommen werden. Und die Jugendarbeiter oder Erzieherinnen seien in einem Dilemma - sie möchten auf der einen Seite die Jugendlichen akzeptieren wie sie sind, das Stichwort heißt ?akzeptierende Jugendarbeit? - und wenn sie auf die Einhaltung fester Regeln pochen, verlieren sie bestimmte Jugendliche auch wieder. Der Jugendpfleger Jörg Bitter kennt das: O-Ton 16 Bitter Und da fängt genau der Punkt an, wo wir sagen ok, wir müssen im Prinzip zwei Standbeine der Arbeit haben. Zum einen die festen Einrichtungen, mit den ganz klaren Regeln und Vorschriften, die wir einfach haben, Hausordnung nennt man?s auch, wo die Jugendlichen eine Orientierung für sich finden, was sehr wichtig ist in unserer heutigen Gesellschaft, auf der anderen Seite sehen wir natürlich auch, dass wir dadurch einen Teil der Zielgruppe nicht erreichen, die es eigentlich nötig hätte. Sprecherin Jörg Bitter weiß, wie wichtig - neben den Freizeitstätten - auch die ?aufsuchende Jugendarbeit? im Stadtbezirk Brackel ist. Freitags und samstags zwischen 19 und 1 Uhr sind vier Streetworker unterwegs. Dort, wo es wieder mal krachen könnte. Oder einfach dort, wo die Jugendlichen herumstehen. Dann geht es um ?Beziehungsarbeit?. sagt Jörg Bitter, der selbst einmal Streetworker war. O-Ton 17 Bitter Beziehungsarbeit heißt einfach, auf die Jugendlichen zuzugehen, sich zu ihnen zu setzen, ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen, und ihnen einfach das Gefühl zu vermitteln, du interessierst mich, erzähl doch mal einfach was los ist. Vielmehr hat man nicht, man hat kein Kickertisch, man hat kein Billardtisch, um da so Kontakte zu halten und auszubauen, um dann so über sone erste Ebene hinweg dann sone Hilfestellung auch anzubieten. Sprecherin Denn Jugendliche, die sich viel auf der Straße aufhalten, kommen oft aus problembeladenen Familien, sind Schulschwänzer, nehmen Drogen. Das kann, wenn mehrere Faktoren zusammen kommen, in eine kriminelle Karriere münden. In der ?Delinquenz-Forschung?, der Forschung über Jugendgewalt und sozial abweichendes Verhalten, hat man bisher vor allem die Risikofaktoren untersucht. Thomas Bliesener hat die Frage einmal andersherum gestellt und forscht über ?Resilienz??, das innere Rückgrat sozusagen: Wie kann jemand gut erwachsen werden, auch wenn er aus schwierigen Verhältnissen kommt? O-Ton 18 Bliesener Dazu zählt zum Beispiel die Überzeugung, die der Jugendliche erst entwickeln muss, dass er auch in gewisser Weise selbst Gestalter seines Lebens, seines Schicksals ist. Es gehört dazu auch ein ganz wichtiger Bereich, auch ne Bindung an eine fürsorgliche Person, das muß nicht immer ein Elternteil, kann auch ein Nachbar oder Verwandter sein, eine Person, die dann auch so?ne Rückmeldung gibt über richtiges, angemessenes und unangemessenes Verhalten, das ist zum Beispiel sehr wichtig. O-Ton 19 Jansen Und diese Rückmeldung - die müssen sie einfach haben. Und wenn sie die nicht kriegen und immer rauskomplimentiert werden, du gehörst nicht dazu, du bist zu schwierig - da fragen die sich: warum bin ich schwierig. Die sind doch gar nicht in der Lage sich selbst zu reflektieren. Sondern da brauchen sie jemand, und son Klima zu schaffen, des ist Aufgabe. Atmo 7 Kickboxen weiter O-Ton Ich frag mich gerade, wie ich es mache. Ich beobachte, gucke und reagiere auf diesen Menschen. Und ich reagiere so, dass sie es mitkriegen: ich kann dich nicht leiden, so wie du drauf bist. Sprecherin Thomas Jansen war einmal Profi-Boxer. Heute ist er Sporttrainer in Berlin - in einem Präventionsprojekt gegen Gewalt. Das Problem der jugendlichen ?Anführer?, der Stimmungsmacher und Gewalt- Machos kennt er gut. O-Ton 20 Thomas Jansen Ich frag dann oft, wenn ich so?ne Leute habe, und ich merke, dass die andern Angst vor denen haben, und deswegen sich nicht trauen den Mund aufzumachen - und ich tret schon an den heran und frage ihn oft, wie er det eigentlich sieht, und dann sagt der oft, das sind seine Freunde, und ich sage: sind Freunde die, die Angst vor einem haben, oder sich nicht trauen was zu sagen? Ist das das Idealbild von Freundschaft? Sprecherin Thomas Janssen fühlte sich auch einmal ?ganz oben? und ?ganz stark?, alle hatten Angst vor ihm, - bis er sehr einsam wurde, sein Leben aus den Fugen geriet. Diese Erfahrung kann er weitergeben - und auch, wie Gruppenprozesse einen aggressiven Jugendlichen verändern können. Zum Beispiel den 18jährigen, der immer wieder mit Wodkafahne zum Eishockey kommt. O-Ton 21 Thomas Jansen Und dann sagen wir: die Regeln sind die und die! Das heißt - kein Alkohol, keine Drogen, keine Gewalt - und was sollen wir jetzt machen, sollen wird dich nachhause schicken? Du spielst nicht mit, du bleibst aber hier. Da ist er schon mal in einer Position - er steht außen. Er muss seiner Gruppe zugucken beim Spielen. Die nimmt ihn plötzlich ganz anders wahr. Weil die merkt, dass ihm det wehtut, dass er sich nicht wohlfühlt. Da entwickelt die Gruppe schon die Kompetenz, ihn reinzuholen. Beim nächsten Mal kam der nüchtern, weil er spielen will. Sprecherin Erzieherische Phantasie ist also gefragt, vor allem bei jenen Jugendlichen, bei denen die Eltern längst desinteressiert oder ratlos sind. Auch Jörg Bitter in Dortmund traut den Brackeler Kids zu, dass sie ohne Randale auskommen. Deshalb sucht er nach einem freien Platz, der ausdrücklich zum Jugendtreff erklärt werden kann, vielleicht sogar von den Jugendlichen selbst verwaltet wird. O-Ton 22 Sina, Ronja, Vanessa So?n Park oder so, einfach wo man sich hinsetzen kann, dass n Dach drüber ist, wenn?s regnet, und dann, dass wir da halt sitzen können. Und machen, was wir wollen - und dass keiner denn da hinkommt - seid mal leiser oder geht hier weg und all so was.- Und dass wir da auch Ruhe haben, man kann ja da auch drauf achten, dass manche Leute keinen Terror da machen, aber dass halt nicht die Polizei immer sofort kommt. Sprecherin Schon jetzt gibt es eine Sprechergruppe, die sich mit Anwohnern trifft und um Verständnis wirbt. Jörg Bitter zeigt auf einen weitläufigen Rasenhügel mit Sitzsteinen, zwischen einer Pferderennbahn, einem großen Hundeauslaufplatz und etwas entfernt liegenden Häusern. Für ihn ein idealer Ort - mit einem Haken: hier wie überall heißt es: Ja, die Jugendlichen sollen einen Platz haben, aber bitte nicht vor unserer Haustür. Atmo 8 improvisierte Session, Gesang, Trommel, Reggae Darüber Sprecherin Szenenwechsel: Bernau im Land Brandenburg. Hier fanden Jugendliche einen Raum, den sie in der Öffentlichkeit nicht haben. O-Ton-23 Collage Michael Mir ist ja sehr wichtig, dass ich hier viele Leute kenne und kennenlerne, die ich halt anderweitig nicht kennen würde. Zum Beispiel meinen Freund aus dem Asylbewerberheim, den hätt ich sonst nie kennengelernt, wenn?s das hier und die Jugendarbeit nicht gäbe - Hazal Also man fühlt sich hier total wohl. Man weiß, keiner ist gegen dich, keiner guckt dich blöd an, weil du dunkle Hautfarbe hast oder so, deswegen - also man fühlt sich wirklich wohl. Chris Für mich ist die Offene Hütte auf jeden Fall n Ort - ein n sehr toleranter Ort... du kannst hier jede Meinung äußern, du kannst immer mit andern Leuten Spaß haben, reden, Du kannst soviel Mist bauen, solange nichts kaputt geht. (Lachen) Atmo 9: mit Geschirr Sprecherin Die Tassen und Teller waschen die Jugendlichen hier alleine ab. Sie haben die Wände mit Ornamenten bemalt. Von außen erinnert das evangelische Jugendzentrum an jenes Haus aus 8 Strichen, das Kinder gerne malen: viereckig, mit Spitzdach und Schornstein, in der Mitte die Tür. Es steht vor einer riesigen Backsteinkirche bei der alten Stadtmauer von Bernau. In den Fenstern mit großen Buchstaben der Namenszug ?Offene Hütte?, gleitet wird sie von Dieter Gadischke. O-Ton 24 Dieter Gadischke Hier in Bernau ist es nach der Wende so gelaufen, dass wir erstmal ein totales Loch hatten, die Jugendlichen mußten sich alle erst mal neu orientieren, wir haben erstmal geguckt, was hat sich verändert, merkten dann aber dass sich so wahnsinnig viel nicht verändert hatte, dass viele nach Sinn im Leben suchten, nach Themen, die ihnen wichtig sind und haben hier ne ziemlich lebendige Jugendarbeit gehabt, die zum Teil auch sehr durchmischt war von allen möglichen Jugendstilrichtungen, damals suchten viele mehr. Sprecherin Auf der Suche waren auch Jugendliche, die erst seit kurzem bei Bernau lebten: in den Asylbewerberheimen mitten im Wald, in ehemaligen ?Stasi-Objekten?. Dieter Gadischke fuhr hin und lud sie in seine ?Offene Hütte? ein. Aber die Jungen und Mädchen aus Jugoslawien, Afghanistan oder Tschetschenien - sie trauten sich zunächst kaum auf die Straße. O-Ton 25 Gadischke Weil sie damals in Schulbussen und in öffentlichen Bussen mindestens schief angeguckt wurden, in der Regel beleidigt wurden und manchmal auch geschlagen, manche erzählten später, dass ihnen Kaugummis in die Haare gedrückt wurden, dass sie angespuckt wurden, sie sich nicht hinsetzen durften. Sprecherin In der Offenen Hütte war Platz für die Erfahrungen der Flüchtlingskinder, aber auch für die Unsicherheit der einheimischen Jugendlichen, die viele Veränderungen zu bewältigen hatten. Das evangelische Jugendzentrum bekam Besuch von Neonazis, die ihre Parolen mit Gewalt verbreiten wollten. Immer wieder kamen aber auch Einzelne aus dem rechten Umfeld, die neugierig Kontakt suchten. Zum Beispiel Steffen. Es interessierte ihn, wie Massud aus Afghanistan mit einem Überfall am Bahnhof fertig geworden war. Seinen rechten Kumpels wollte er davon erzählen. O-Ton 26 Steffen Dass sie denn nicht diesen Weg einschlagen müssen, dass sie Ausländer hassen müssen, dass es auch ganz wichtig ist, - als Botschafter oder so - hört sich jetzt vielleicht doof an - aber zu sagen, wie die Leute nun fühlen, oder reagieren, wenn auf einen eingehackt wird. Dass sie denn auch sagen, na so richtig is es ja nun nicht, was wir so machen. Man weiß es ja selber, wenn man auf der Straße angemacht wird, gefällt einem det nicht oder so. Sprecherin Steffen entwickelte Respekt und sogar Freundschaftsgefühle für Massud, und der nahm solche Begegnungen gelassen. O-Ton 28 Massud Die wollten jetzt wissen, wie Ausländer sind, die haben Vorurteile gehabt, die haben nur gehört, dass wir irgendwelche Jobs wegnehmen, und nur gedacht, dass wir alle kriminell sind, dann kamen sie her und dann wußten sie, dass wir eigentlich mit Leuten, die kriminell sind, gar nichts zu tun haben. Wir gehen zur Schule und lernen, wollen unseren Spaß haben. Atmo Jugendliche Reggae, bisschen frei, darüber Sprecherin Der Jugendclub ?Offene Hütte? in Bernau: ein Ort ungewöhnlicher Begegnungen. Die Werbeversuche der Rechten waren hier ohne Chance. Inzwischen habe sich die Neonazi-Szene verhärtet, sagt Jugendleiter Dieter Gadischke. Die Pädagogen in Bernau und Umgebung zogen daraus Konsequenzen. Sie bildeten ein Netzwerk gegen Rechtsradikale - und grenzten sich ab. O-Ton 29 Gadischke Die sind ideologisch zu und von einem untergründigen Haß, einem Rassismus durchsetzt, der Kommunikation eigentlich unmöglich macht, gerade wenn auch Leute dabei sind, die noch dunklere Hautfarben haben oder am Akzent erkennbar sind, dass sie nicht Muttersprache deutsch sprechen, da sind manche völlig neben sich, die können das gar nicht aushalten in einem Raum miteinander. Sprecherin Die ausländischen Kinder und Jugendlichen dagegen gewannen an Selbstbewußtsein. Einige arbeiten inzwischen als Jugendleiter in der Offenen Hütte, und gestalten die Sommerfreizeiten für die Jüngeren mit. Atmo 11 (Vorbereitung) Jetzt müssen wir mal überlegen, was wir mitnehmen ... Bastelzeug ...Hazal: deine Gitarre! ... Liederhefte ...alles ganz schön lustig. Sprecherin Hazal, eine 16jährige Kurdin, ist zum zweiten Mal dabei. Sie läßt sich nicht einschüchtern, obwohl sie im letzten Jahr Belastendes erlebt hat. Beim Ausflug zu einem Geländespiel. In einem brandenburgischen Dorf, unter den Augen der Anwohner. Zitator: Ausländische Kinder und Betreuerin in Heinersdorf beschimpft. Ein Mann hat im Rüstzeitheim Heinersdorf bei Fürstenwalde ausländische Kinder und eine dunkelhäutige Betreuerin beschimpft und bedroht. Wie die Polizei am gestrigen Montag mitteilte, rief der 27jährige den Kindern zu, sie seien hier ?nicht erwünscht? und sollten sich ?verpissen?. Sprecherin: Der Tagesspiegel, 22. August 2006 Zitator Als die ausländische Betreuerin einschreiten wollte, habe der Mann sie mit sexistischen Beschimpfungen und "Belehrungen über die Herrenrasse" beleidigt. O-Ton 30 Gadischke Und da ist der dann völlig ausgetickt und hat sie total beschimpft und is richtig mit seinem Gesicht 20 Zentimeter auf ihres zugekommen, hat sein Augenlied runtergezogen und hat gesagt: Guck mal, Herrenrasse. O-Ton 31 Hazal und also eine Gruppenleiterin war ja auch dabei, die mich dann auch da weggezogen hat, also war schon sehr heftig, - und die Kinder hatten halt sehr, sehr große Angst und ich hatte Angst und es war echt ne schlechte Erfahrung für mich gerade beim erstenmal. O-Ton 32 Gadischke Wir haben danach mit den Kindern und den Betreuern überlegt, was wir damit machen - manche sagten, wir hören soviel Zeug, da hörn wir lieber weg - und wir hatten dann überlegt, ob wir noch mit dem reden, und die große Mehrheit meinte: nee, das bringt gar nichts mehr, und wir haben dann ne Anzeige gestellt. Sprecherin Doch aus dieser Anzeige folgte lange nichts. Erst in diesen Tagen, ein Jahr später also, steht der Beschuldigte vor Gericht. Auch weil er inzwischen einen Brandanschlag auf ein Eiscafe verübt hat, der Besitzer war türkischer Herkunft. Das hätte nicht passieren müssen, wenn man ihre Anzeige ernster genommen hätte, meinen die Jugendlichen aus der Offenen Hütte enttäuscht. Für Hazal bleibt es aber wichtig, dass sie damals den Mund aufmachte, und vom Ferienlager heimgekehrt, die Unterstützung der anderen erlebte. Viele Kinder aus Flüchtlingsfamilien fühlen sich inzwischen in Bernau zuhause. Ein Widerspruch aber bleibt, sagt Dieter Gadischke. O-Ton 33 Gadischke Wenn sie in die Schulen gehen, wenn sie z. T. über Kontakte auch andere Freundschaften schließen, gibt es eigentlich fast n Selbstlauf von Integration. Aber für die Kinder und Jugendlichen gibt es manchmal natürlich Probleme, die man nicht lösen kann - also wenn jemand ne andere Hautfarbe hat, und Diskriminierung erfährt, das kann man nicht lösen. Das ist Sisyphusarbeit, also da müsste eigentlich die weiße Gesellschaft etwas tun und nicht der einzelne kann etwas tun. Sprecherin Aber viele Menschen in Bernau lassen die Rechten gewähren. So erlebte es Hazal auf dem diesjährigen Hussitenfest, einem Historienspektakel. Da führte sie mit der Theater-AG ihrer Schule ein Stück auf. Sie spielte eine mittelalterliche Marktfrau. Zuschauer beschimpften sie grob wegen ihrer Hautfarbe. Die Umstehenden lachten, und niemand griff ein. Atmo 12 O-Ton 35 Thomas Jansen Ich sag jetzt nicht, wir müssen die respektieren, wie sie sind, sondern wir müssen sie halt respektieren - was sie wollen. Und die wollen nichts schlechtes - die wollen einfach auch genauso den Hintern an die Wand bekommen, wie die Generationen vor mir, wie meine Generation, die wollen einfach ihr Auskommen haben, die wollen Bildung haben, die wollen zufrieden leben! Sprecherin sagt Thomas Janssen, der ehemalige Boxer. Er glaubt, dass man auch die Hartgesottenen unter den Jugendlichen erreichen kann. Ob es arabische Machos in Kreuzberg sind, einzelne Rechte in Bernau oder die Randalierer in Dortmund. Man müsse nur eines sehen: ihren heimlichen Wunsch nach Anerkennung, nach Vorbildern, nach Unterstützung und Korrektur. O-Ton 36 Thomas Jansen Und nicht: jetzt haben wir gewalttätige Jugendliche - oh, die müssen wir irgendwie ruhigstellen. Wir müssen die nicht ruhigstellen! Wir müssen denen ein Sprachrohr geben, ne Plattform, wo sie sich entwickeln können. Sprecherin Stattdessen aber haben Politiker und Finanzplaner die Jugendarbeit ?zusammengespart?. Projekte mussten aufgeben, auch wenn sie Erfolg hatten, und Stellen werden im Dreimonatsrhythmus vergeben. Bei den Jugendlichen wird mühsam aufgebautes Vertrauen immer wieder zerstört, wenn es heißt: Für euch haben wir kein Geld. Kein Ohr. Keinen Raum. Geht doch auf die Straße. O-Ton 37 Thomas Jansen Die Langfristigkeit, die fehlt einfach. Und das macht mich wütend. Weil ich sage: ey Leute, in 20 Jahren sind diese Leute einfach die, die unsere Gesellschaft am Leben halten, dass es funktionieren soll. Und da streicht ihr Gelder! Da sagt ihr, die 14jährigen müssen in den Knast! Strafverschärfung - die Gesetze müssen schärfer werden. Nee! Wir müssen uns verändern - wir als Gesellschaft müssen uns verändern! Um Werte zu vermitteln. Und nicht sagen: ihr seid die Bösen. Denn wir warn selber böse - oder? Atmo 13 mit Scherben Spr. vom Dienst Sisyphus im Freizeitclub? Was Jugendarbeit leisten kann Ein Feature von Barbara Zillmann Es sprachen: Nina West und Andreas Thieck Ton: Boris Hofmann und Eugenie Kleesattel Regie: Beate Ziegs Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2007 18 1