COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 23. Mai 2011, 19.30 Uhr Fluchtpunkt mit Perspektive? Vor 35 Jahren entsteht das erste deutsche Frauenhaus Ein Feature von Mandy Schielke Musik: Malaria: Kaltes, klares Wasser (Intro 1.10 min) O-Ton Kette: (Regie, bitte abwechselnd von recht und von links im Raum, leicht überlappend) O-Ton Barbara Kavemann: Es gab ja nicht einmal den Begriff Gewalt gegen Frauen. O-Ton Sinep: Ich will natürlich keine neue Beziehung jetzt. O-Ton Barbara Kavemann: Der wurde in dieser Zeit geprägt. Zweite Hälfte der Siebziger Jahre. Einspielung SFB: Das Frauenhaus in Berlin besteht jetzt schon zwei Jahre. O-Ton Margit Brückner: Es war die Hoffnung, dass die Frauen jetzt ganz schnell aufbrechen können aus ihrer Gewaltsituation. O-Ton Sinep: Gut ist es, wenn man in Not ist, dann wird einem geholfen. O-Ton Barbara Kavemann: Es war ja eine kämpferische Zeit. Und alles wurde auch in kämpferischem Vokabular formuliert. Sprecherin: Fluchtpunkt mit Perspektive? Vor 35 Jahren entsteht das erste deutsche Frauenhaus Ein Feature von Mandy Schielke Atmo: Babygrummeln Sprecherin: Katharina hält ihren Säugling im Arm. Er ist noch keine zwei Wochen alt. O-Ton Katharina: Mein Lebensgefährte hatte mich mal ziemlich heftig vor der Geburt geschlagen. Dann habe ich gemerkt, dass er überhaupt nicht darauf reagiert, wenn ich mir etwas ausbitte, wenn ich eine Änderung haben möchte. Und eskaliert ist das Ganze, weil er im Internet gechatted hat und dann irgendwelche Liebesangebote von anderen Mädchen bekommen hat. Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass das nicht geht in der Beziehung. Er hielt das alles für eine Lappalie. Dann fing er an mich zu hauen. Das hat ganz schön wehgetan. Sprecherin: Kathrina ist vierzig Jahre alt. Müde sieht sie aus. Die junge Mutter lebt seit Weihnachten im Frauenhaus. Sie hat die gelben Vorhänge zugezogen. Und so fällt an diesem Nachmittag nur wenig Licht in das Zimmer, in dem sie mit ihrem Sohn Arthur untergekommen ist. Drei Stockbetten, ein Waschbecken, ein kleiner Tisch, vier Stühle. Es sieht aus wie in einer Jugendherberge. Durch die Tür aus Pressholz dringt jedes Geräusch. In Zimmer dreizehn ein Stockwerk darüber wohnt Sinep mit ihrem Sohn. O-Ton Sinep: Warum bin ich hier? Wegen meinem Mann! Es fing an vor einem Jahr. Davor war er nie handgreiflich. Dann fing er an mich zu schlagen, mich zu Hause einzusperren, mich übel zu beleidigen, über mich zu entscheiden, was ich zu tun habe und was nicht. Das wurde schlimmer und schlimmer. Und ich wurde immer abhängiger von ihm. Auch was das Finanzielle angeht. O-Ton Beate Herok: Wir haben überdurchschnittlich mehr Frauen, die nicht über eine qualifizierte Berufsausbildung verfügen. Sprecherin: Beate Herok ist Sozialarbeiterin in diesem Frauenhaus am Rand von Frankfurt am Main. Dort ist Platz für 38 Frauen und Kinder. Sie bleiben im Schnitt vier bis fünf Monate im Haus - manche allerdings auch länger als ein Jahr. Die Frauen, die sie betreut nennt die Sozialarbeiterin Klientinnen. Und die kommen, so Beate Herok, zumeist aus sozial schwachen Verhältnissen. Sie flüchten ins Frauenhaus, weil sie sich ein Hotelzimmer nicht leisten können und sozial oft so isoliert sind, dass es niemanden gibt, bei dem sie mehr als ein zwei Nächte unterkommen können. Traurig, traumatisiert, depressiv, erschöpft, so beschreibt Beate Herok den Zustand ihrer Klientinnen, wenn sie ihr das erste Mal gegenüber sitzen. O-Ton Sinep: Ich habe keine Eltern. Und bei einer Freundin war ich aber wie lange kannst Du bei einer Freundin bleiben, wenn Du ein Kind hast. Ich hatte keine andere Wahl. Ich habe auch eine Wohnung vorher gesucht, aber das war gar nicht so einfach, ich habe ja kein Geld vom Amt bekommen. Ich musste alles von vorn anfangen. Sprecherin: Sinep lebt jetzt seit fünf Monaten im Frauenhaus. Inzwischen ist ihr Antrag auf Hartz Vier bewilligt. Das Jobcenter bezahlt auch die Unterkunft für sie und Leon im Frauenhaus. 380 Euro im Monat. O-Ton Sinep: Gut ist es, wenn man in Not ist, dann wird einem geholfen. Nachteile: Man hat eine Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftstoilette. Meine Betreuerin hat mir in jeder Hinsicht geholfen, was das Amt angeht, sowieso Behörden, Kindergeld: Ich musste ja von Offenbach nach Frankfurt. Das war solch ein Chaos. Auch mal so Privates, wir haben viel gesprochen. Meine Betreuerin war immer da, wenn ich sie gebraucht habe, manche Dinge hat sie schon erledigt bevor ich sie darauf ansprechen konnte. Sprecherin: Unser wichtigstes Produkt ist Sicherheit, sagt Beate Herok. Adressen von Frauenhäusern sind in keinem Telefonbuch zu finden. Das ist seit der Gründung des ersten Frauenhauses in West-Berlin so und habe sich bewährt. Schließlich flüchten Frauen aus Gewaltsituationen, sagt die Sozialarbeiterin. Sie wollen raus aus der Angst und sicher sein, dass sie nicht gefunden werden. O-Ton Katharina: Der hasst mich jetzt, glaube ich. Er konnte jetzt einen Tag das Kind nicht sehen, dann flippt er aus. Sprecherin: Katharina aus dem Frauenhaus in Frankfurt am Main redet von ihrem Lebensgefährten. Dabei hat alles so vielversprechend angefangen, erzählt sie. Er wohnte im gleichen Mietshaus wie sie, half ihr, als sie damals einzog, mit den Möbeln. Als das Baby unterwegs war, freute er sich sogar. Aber irgendwie kam Andreas mit meiner Art nicht klar, sagt sie schüchtern. Sie hält sich jetzt selbst für einen Problemfall. So drückt sie es aus. Ob sie ihn noch liebt, weiß sie nicht. Katharina lebt wie Sinep von Hartz Vier. Zu ihren Eltern konnte sie nicht, Freunde habe sie nicht. Das Frauenhaus gibt ihr jetzt die Struktur, die sie braucht, um weiterzumachen, sagt die 40-Jährige. O-Ton Katharina: Montags haben wir manchmal um 17 Uhr Yoga, dienstags haben wir Frauentreffen, einmal in der Woche treffen wir uns mit der Sozialarbeiterin, da werden die Weichen gestellt, zum Jobcenter gehen, da fällt der Sozialarbeiterin auch manchmal was ein, was man zu seiner Verbesserung machen kann. O-Ton Beate Herok Ich kann nur sagen aus der Arbeit, die wir her machen. Priorität Nummer eins ist, die Frauen in ihren Wahrnehmungen, in ihren Wünschen und der Entwicklung von Wünschen ernst zu nehmen und sie entscheiden zu lassen. Priorität Nummer eins ist Verselbstständigung. Komm ich mit einer Alltagsstruktur zurecht, kann ich Prioritäten setzen. Das sind die Fragen, die dann auftauchen und dann fallen die Frauen zum Teil aus allen Wolken und werden stinksauer. Da sind wir Sozialarbeiterinnen, die sie mit der Realität zu konfrontieren haben. Da geht es nicht darum, Du Arme. Atmo: Fernsehrauschen Einspielung SFB (läuft weiter unter Sprecherin): Das Frauenhaus in Berlin besteht jetzt schon seit zwei Jahren. In dieser Zeit hat es bereits 1200 von ihren Männern misshandelten Frauen und ihren 1800 Kindern Zuflucht gewähren müssen. Der Senat unterstützt dieses Projekt mit jährlich 100.000 Mark. Weitere 350.000 Mark gewährt das Familienministerium. Sprecher: Eine Szene in schwarz-weiß. 1978. Eine Fernsehreporterin mit dauergewelltem Haar und riesiger Brille steht auf einem Bürgersteig im West-Berliner Stadtteil Grunewald. Zwei Jahre zuvor, im November 1976, wird dort das erste Frauenhaus der Republik gegründet. Atmo: im Gartenlokal O-Ton Barbara Kavemann: Diese Villa lag in einem hochwertigen Wohnviertel. Man muss sich das vorstellen: eine Villa im Grunewald. Hatte einen großen schmiedeeisernen Zaun vorn. Ein Haus, das für eine Familie und die entsprechenden Dienstboten eingerichtet worden war. Und dann diese Massen von Menschen. Da waren zum Teil achtzig Frauen mit ihren Kindern. Stockbetten waren in den Zimmern, die waren von mehr als einer Familie belegt. Die Frauen lebten damals mit den Kindern auf engstem Raum. Atmo: Fernsehrauschen Einspielung SFB: Einige Zeitungen haben auch wiederholt vor den - wie sie meinen - diskriminierenden Praktiken gewarnt. Ehemänner zum Beispiel, die mit ihren Frauen sprechen wollen, werden grundsätzlich nicht ins Frauenhaus eingelassen. Und auch männliche Mitarbeiter sind von den Mitarbeiterinnen im Haus nicht erwünscht. Eine solche Praxis kann natürlich Misstrauen erzeugeng... Sprecher: Seit den 1960er Jahren bilden sich in vielen westlichen Industriestaaten - auch in der Bundesrepublik feministische Bewegungen, die ihre Ziele offensiv vertreten. Chancengleichheit, Selbstbestimmung über den Körper, Kampf gegen die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. O-Ton Barbara Kavemann: Es war ja eine kämpferische Zeit. Und alles wurde auch in kämpferischem Vokabular formuliert. In dem Moment, wo Frauen sich mit politischen Interessen der Gesamtsituation von Frauen in der Gesellschaft zusammen taten, kam man sich auch persönlich sehr nah. Man erfuhr plötzlich auch persönlich ganz viel übereinander. Da waren diese Schuppen, die einem da plötzlich von den Augen fielen. Eine Erkenntnis jagte quasi die nächste. Sprecher: Es ist die Zeit, in der Frauen Gesundheitszentren, Verlage, Buchläden und Zeitschriften gründen. Frauenforschung hält Einzug an Universitäten. Die Idee von Frauenhäusern dringt vor allem über Berichte aus Großbritannien in die Öffentlichkeit. Unter dem Titel "Die Frau als Opfer der Männer" greift die Wochenzeitung "Die Zeit" im Februar 1976 das Thema auf, im April veröffentlicht die Illustrierte "Stern" nach einer Umfrage eine Zahl: Jede fünfte Frau in der Bundesrepublik wird in ihrer Ehe zum Sex gezwungen. Im selben Monat läuft im Fernsehen die Dokumentation "Schreien nützt nichts - Brutalität in der Ehe". Sprecherin: Die frühen Frauenhaus-Aktivistinnen hierzulande sind jung und akademisch ausgebildet. Barbara Kavemann ist eine von ihnen. Mitte der Siebziger Jahre ist sie Ende 20. O-Ton Barbara Kavemann: Es war damals ein ganz starker Umschwung in der Diskussion der Frauenbewegung - vom Thema Unterdrückung zum Thema Gewalt. Man kam zusammen, man stellte fest, es ist kein individuelles Schicksal, es betrifft ganz viele. So wechselte die Frauenbewegung vom Thema Unterdrückung, was ja strukturell grundsätzlich alle Frauen betraf zu diesem sehr konkreten, belasteten Themen von Gewalt, sexueller Gewalt. Das Verhältnis von Männern und Frauen schien uns allen damals total von Gewalt bestimmt und strukturiert zu sein. Sprecherin: Der Mann als Feind der Frauen. Die Frauenaktivistinnen laden sich ideologisch auf. Sprecher: Im November 1976 gründen Frauen in Westberlin die erste Zufluchtstätte für misshandelte Frauen. O-Ton Barbara Kavemann: Das waren Frauen mit einem bestimmten beruflichen Hintergrund: Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen, Erzieherinnen, die in ihrem jeweiligen beruflichen Kontext immer wieder konfrontiert gewesen waren, mit Frauen, die in Misshandlungsbeziehungen lebten. Und der Tatsache, dass es überhaupt keinen Schutz gab. Aus der Mischung aus politischem Engagement und hochgradig persönlichem Engagement in der Frauenbewegung und dem beruflich, professionellen Blick auf das Problem, das kam alles zusammen und eine Gruppe fand sich, die das erste Frauenhaus gründeten. Sprecher: Barbara Kavemann gehört nicht zu den Gründerinnen des Hauses. Die Wissenschaftlerin kommt erst ein Jahr später dazu, arbeitet dort als Erzieherin. O-Ton Barbara Kavemann: Wenn wir mit den Kindern spazieren gingen durch das Viertel, wurden wir angebrüllt aus den Häusern. Wir sollten die Kinder vom Grundstück fern halten, weil alle befürchteten, jetzt kommen hier die Asozialen und verderben uns unsere Wohngegend. Sprecher: Der Widerstand von außen schweißte die Gruppe aus traumatisierten Frauen und politischen Aktivistinnen zusammen. Aber diese Gruppendynamik habe nicht nur Rückhalt gegeben, sondern setzte die Frauen auch unter Druck. Jede sollte über ihre privaten Erlebnisse reden. Die Gruppen duldeten nicht, dass man nicht über sich sprach, sagt Margit Brückner. Sie ist Professorin für Soziologie und Frauenforschung an der Fachhochschule in Frankfurt am Main und war dabei, als das erste Frauenhaus in ihrer Stadt gegründet wurde. O-Ton Margit Brückner: Es war die Hoffnung, dass die Frauen jetzt ganz schnell aufbrechen können aus ihrer Gewaltsituation. Die Idee wurde damit verbunden, dass die Frauen nur einen Anstoß brauchen und das Haus dann von allein übernehmen und organisieren. Ich glaube, dass diese Idee sehr wichtig war, diese Idee, dass Frauen autonom sind und Frauen ihr Leben selbst organisieren können. Was wir damals falsch eingeschätzt haben, ist, dass Frauen, die aus einer Gewaltsituation kommen psychosozial sehr belastet sind, dass es eine Überschätzung ist, sie können jetzt dieses Haus organisieren. Sprecher: Es dauerte also nicht lange bis vielen klar wurde, dass es mehr braucht als Energie, politischen Willen und den biologischen Umstand weiblich zu sein, um Frauen und Kindern, die Gewalt erlebt haben, den Weg in ein neues Leben zu ebnen: Nämlich ausgebildete Erzieher, Sozialarbeiter, Psychologen, die den Frauen professionell helfen. O-Ton Margit Brückner: Und das hat die Gruppe gespalten. Die eine Fraktion, die gesagt hat: Wir brauchen das. Weil das ansonsten eine absolute Überforderung ist und die andere Gruppe, die gesagt hat. Das ist das Ende der politischen Arbeit. MUSIKAKZENT Lysistrara: "Sag mir nicht mehr was mir fehlt, sag mir nicht mehr, wo es lang geht...lass mich mit Deinem Müll in Ruh. Ich bin ich und Du, Du bist Du.... Sprecherin: Heute - 35 Jahre sind seit der Gründung des ersten deutschen Frauenhauses in Westberlin vergangen - gibt es im ganzen Land etwa 350 Frauenhäuser, ein Viertel davon in Ostdeutschland. Sie haben kirchliche oder kommunale Träger oder sind autonome Einrichtungen. O-Ton Margit Brückner: Alle Frauenhäuser haben sich professionalisiert. Sprecherin: So die Einschätzung der Professorin für Soziologie und Frauenforschung. O-Ton Margit Brückner: Eine Verstätigung von Bewegungen - das gilt für alle sozialen Bewegungen nicht nur für die Frauenbewegung - entweder sie geht unter oder es professionalisiert sich und verstetigt sich dadurch. Dieser Wunsch nach der permanenten Revolution, der lässt sich leider nicht verwirklichen. Sprecherin: Inzwischen sind nahezu alle Frauenhäuser in der Bundesrepublik professionell geführte Einrichtungen der sozialen Arbeit. Sie arbeiten unter ähnlichen Bedingungen und mit ähnlichen Maßstäben wie Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Sprecher: Bürokratie und Kosten wachsen in die Höhe. Zuschüsse werden immer wieder gekürzt. Viele Kommunen haben ihre ehemals pauschalen Zuwendungen umgestellt auf Tagessätze. Das heißt, die Arbeitsagentur oder das Jobcenter zahlen nur für einen tatsächlich belegten Platz: Pro Tag, pro Frau. O-Ton Barbara Kavemann: Es ist eine enorme Qualifizierungsbewegung gewesen die Frauenhausbewegung. Sprecherin: Meint die Sozialwissenschaftlerin Barbara Kavemann. O-Ton Barbara Kavemann: Sie hat enorm Wissen zusammengetragen und Wissen verbreitet über die Lebenssituation von Frauen die in gewaltförmigen Beziehungen leben und ihre Bedürfnislage. Das war der größte gesellschaftliche Beitrag. Dieses Wissen ist kein Geheimwissen der Frauen Häuser und hat sich gesellschaftlich verbreitet. Das Wissen gibt es inzwischen auch in ganz vielen anderen Einrichtungen. Da können sie zum Jugendamt gehen und einen Mitarbeiter treffen, der ein großes Verständnis davon hat. Da können sie zur Polizei gehen und jemand sachkundiges antreffen. Sie können in eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle gehen oder in eine Erziehungsberatungsstelle und Leute antreffen, die alles darüber wissen. Sprecherin: Neben Frauenhäusern gibt es inzwischen zahlreiche ambulante Beratungsangebote für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Die öffentliche Debatte über Gewalt gegen Frauen hat sich außerdem in Gesetzen niedergeschlagen. Es dauerte allerdings zwanzig Jahre bis es soweit war. Sprecher: Am 5. Juli 1997 stellt der Gesetzgeber in der Neufassung des Paragraphen 177 STGB den Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe. Vier Jahre später tritt das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Es folgt dem Prinzip: "Der Schläger geht, das Opfer bleibt". Danach müssen Frauen oder Männer, die häusliche Gewalt erfahren haben oder von ihr bedroht sind, nicht mehr den gemeinsamen Haushalt verlassen und in einem Frauenhaus Zuflucht suchen oder zu Obdachlosen werden. Sie können nun per Eilanordnung leichter vor Gericht durchsetzen lassen, dass ihnen die gemeinsame Wohnung zeitlich befristet oder dauerhaft zur alleinigen Nutzung zugewiesen wird. Ob verheiratet oder nicht. Sprecherin: Ein Riesenschritt für Frauen und Kinder, die in Gewaltbeziehungen geraten sind, sagt Barbara Kavemann. O-Ton Barbara Kavemann: Ganz am Anfang der Frauenhausbewegung stand eine ganz große Hoffnung, dass wenn die Frau sich trennt, definitiv trennt und ein gewaltfreies Leben leben kann. Da wurde die Hoffnung allein in der Trennung gesehen. Es gab keinen Glauben daran, dass ein Mann, der einmal gewalttätig geworden ist, aufhören würde mit der Gewalt. Sprecherin: Auch das hat sich in den vergangenen 35 Jahren verändert. O-Ton Beate Herok: Wir arbeiten nicht daran, dass sie sich trennen muss. Das ist nicht Voraussetzug im Frauenhaus sein zu dürfen. Sprecherin: Sagt die Sozialarbeiterin Beate Herok aus dem Frauenhaus in Frankfurt am Main. Bedingung sei vielmehr, dass die Frau kooperativ ist, gewillt ist zum Beispiel zum Jobcenter zu gehen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Und das müsse dann auch durch die Unterschrift unter einem so genannten Betreuungsvertrag bekundet werden. Denn nur dann fließe schließlich Geld ans Frauenhaus. Wir müssen inzwischen auch wirtschaftlich denken, sagt Beate Herok. Ihre Arbeit begreift sie als Dienstleistungsangebot. Den Anspruch als Frau eine andere Frau zu retten, hat sie nicht. Nach wie vor sind Männer im Frauenhaus Tabu. Das Frauenhaus betracht sich - Professionalisierung hin oder her - aber auch nicht als ein Ort für Eheberatung oder Paarcoaching, sagt Beate Herok. Trotzdem. O-Ton Beate Herok: Wir nehmen Impulse auf von den Klientinnen, wenn sie das wünschen und helfen dabei, Beratungsstellen zu finden. Wenn sie wünschen die Zeit im Frauenhaus dazu zu nutzen einen Blick auf ihre Beziehung zu werfen, unterstützen wir sie natürlich. Wir respektieren jede Entscheidung, ob sie in die Beziehung zurückkehren möchte oder nicht. Aber wir sind nicht dazu da, um Partnerschaftsprobleme zu bearbeiten. MUSIKAKZENT/TRENNER Lysistrara Sprecher: 25 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen zwischen 16-65 werden laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums ein oder mehrmals in ihrem Leben Opfer körperlicher und sexueller Gewalt durch den männlichen Partner. Sprecherin: Der Anteil der Migrantinnen im Frauenhaus in Frankfurt hat in den vergangenen zehn Jahren zugenommen, sagt Beate Herok. Sprecher: Sinep ist Migrantin. Ihre Eltern kamen in den 70er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Frankfurt am Main. Ihren Ehemann, von dem sie inzwischen geschieden ist, hat sie in der Türkei getroffen. Drei Jahre haben sie gemeinsam in Offenbach in der Nähe von Frankfurt gelebt. Du brauchst nicht zu arbeiten, sagte er zu ihr. Und Sinep gefiel das - eine Zeit lang jedenfalls. O-Ton Sinep: Ich war total abhängig von dem, ob ich jetzt für zu Hause Lebensmittel kaufen will oder irgendeine Kleinigkeit. Ich musste ihn immer ansprechen. Im Nachhinein weiß ich, was ich für Fehler gemacht habe, wie dumm ich sein konnte. Ich war echt dumm. Aus den Fehlern lernt man. Das würde ich nie wieder machen. Sprecher: Zu einer Männerhasserin hat das Frauenhaus die 25-Jährige nicht gemacht. O-Ton Sinep: Ich will natürlich keine neue Beziehung jetzt. Aber irgendwann werde ich jemanden kennen lernen. Das ist Tatsache, da kann ich jetzt erzählen was ich will. O-Ton Beate Herok Wir haben einen ganz hohen Prozentsatz an Frauen, die zu ihren Partnern zurückgehen. Und das würden die nicht machen, wenn wir hier solch eine explizite Linie hätten, die Frauen müssen ihre Männer hassen. Das verbietet die Profession. Natürlich gehen wir manchmal einen Schritt voraus aber nicht in Richtung: Hasse Deinen Mann, sondern schau nach was Du brauchst. Wo sind Deine Ressourcen? Schau Dir das hier an im Frauenhaus. Und wenn diese Fähigkeit dahin geht, zu sagen: ich will diese Partnerschaft noch einmal probieren, denn ich entdecke an mir Fähigkeiten nein zu sagen, zum Grenzen setzen. Sprecherin: Laut einer aktuellen Statistik der Caritas gehen weniger als ein Drittel der Frauen nach ihrer Flucht ins Frauenhaus zurück zu ihrem gewalttätigen Partner. Schon 1978 macht eine Mitarbeiterin im Frauenhaus in West-Berlin eine ähnliche Aussage. Atmo: Fernsehrauschen Einspielung (RIAS): Wie viele Frauen - haben Sie da einen Überblick - gehen zurück in ihre Familien und wie viele benutzen das Frauenhaus als Einstieg in ein neues Leben? Also im letzten Jahr waren es etwa 30 Prozent der Frauen von denen wir wussten, dass sie direkt zum Misshandler zurückgehen. Atmo: Fernsehrauschen Sprecher: Der Vorwurf, Frauenhäuser machen aus Frauen Männerhasser kommt aus der Männerbewegung, die eng verflochten ist mit der Väterbewegung, sagt Barbara Kavemann und habe aus ihrer Sicht mit der Gegenwart in Frauenhäusern nicht viel gemein. So etwas wie das Sprachrohr der Frauenhauskritiker ist der Soziologe Gerhard Amendt aus Bremen. Er will klarstellen, dass Frauen ebenso gewalttätig und aggressiv sind wie ihre Partner. Sprecherin : Gewalt geht auch von Frauen aus. Allein im Frauenhaus geht sie nur vom Manne aus. O-Ton Barbara Kavemann: Und das ist schlechterdings verkehrt. Wenn es so wäre, dann hätten wir längst ein massiv gesellschaftliches Problem von misshandelten und verletzten Männern, die überall auflaufen - vom Jugendamt bis zum Krankenhaus bis zur Hausarztpraxis. Und das haben wir nicht. Wir haben nicht die Situation Männer betreffend, wie wir sie hatten als die Frauenhäuser gegründet wurden. Sprecher: Zum Vergleich: In Berlin gab es 2008 offiziell knapp 16.500 Fälle häuslicher Gewalt, 24 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Tatverdächtigen waren zu 77 Prozent Männer. Sprecherin: Und trotzdem gibt es immer wieder Forderungen, Frauenhäuser abzuschaffen oder sie beispielsweise in Familienhäuser umzuwandeln. O-Ton Barbara Kavemann: Ich halte jetzt wenig von Familienhäusern. Ich bin der Meinung es braucht Frauenhäuser. Unter Familienhäusern stelle ich mir vor, dass die gesamte Familie inklusive des gewalttätigen Partners dann zusammen leben unter Beobachtung mit pädagogischer Betreuung, das ist nicht das, was ich nicht für richtig halte, weil es nicht die Möglichkeit eröffnet, man könnte auch ohne diesen Mann leben. Sprecher: Der Realitätscheck nimmt den Frauenhausgegnern jedenfalls viel Wind aus den Segeln. Es hat sich gezeigt, nach Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes und nach Inkrafttreten der neuen Polizeigesetze, dass die Nutzung der Frauenhäuser keineswegs nachgelassen hat. Sprecherin: Auf der Warteliste auf dem Schreibtisch der Sozialpädagogin Beate Herok stehen derzeit die Namen von fünfzehn Frauen aus Frankfurt am Main und Umgebung, die ins Frauenhaus wollen aber ausharren...wo auch immer. MUSIKAKZENT Lysistrara: "Du bist ein Mann und ich, ich bin eine Frau" Sprecher: Das erste deutsche Frauenhaus, das im November 1976 in Westberlin gegründet wurde, gibt es seit zehn Jahren nicht mehr. Insgesamt ist die Anzahl der Frauenhäuser zurückgegangen. Waren es 2002 noch 434 sind es heute etwa 350. Jede zweite Bewohnerin kommt heute aus dem muslimischen Kulturkreis oder aus Osteuropa. O-Ton Margit Brückner: Viele Frauen, die gesellschaftlich ganz gut dastehen, bezogen auf Einkommen und ähnliches, die suchen Frauenhäuser heute seltener auf als in der Anfangszeit, sondern die haben andere Möglichkeiten ambulanter Art, Beratungen, das Gewaltschutzgesetz in Anspruch zu nehmen, das heißt in der Wohnung zu bleiben: Wer schlägt der geht. Diese Sachen, die ja durchgesetzt worden sind, kommen diesen Frauen erheblich mehr zu Gute, als Frauen in sozial prekären Situationen. Und Migrantinnen sind deshalb häufig in Frauenhäusern nicht weil sie Migrantinnen sind, sondern weil sie in sozial prekären Situationen leben. Sprecher: Wir wollen nicht nur betreuen, sondern wir wollen die Gesellschaft verändern! Der kämpferische Anspruch ist in den meisten Frauenhäusern hierzulande der professionellen Betreuungsarbeit von Einzelfällen gewichen, sagt Margit Brückner, Professorin für Soziologie und Frauenforschung an der Fachhochschule in Frankfurt am Main. Durch die Professionalisierung endet die Revolution. Heutzutage sind die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus Expertinnen, Reformerinnen, die auch bei der Gesetzgebung beraten. O-Ton Margit Brückner: Das Neuste sind Familienverfahrensrechtsveränderungen, wo es darum geht, dass es schnelle Verfahren geben soll bezogen auf Sorgerechte. Das ist zu Beispiel ein Punkt, wo sich die Frauenhäuser sehr explizit in die Politik einschalten. Weil es darum geht, dass Sorgerecht zum Wohle der Kinder zu gestalten und nicht nur Väterrechte durchzusetzen - egal ob sie nun gewalttätig sind oder nicht. Auf der konkreten fachpolitischen Ebene passiert nach wie vor sehr viel. Sprecher: Die Öffentlichkeit ist sensibilisiert für das Thema Gewalt gegen Frauen, sagt die Sozialwissenschaftlerin Barbara Kavemann aus Berlin. Dafür müssen wir nicht mehr kämpfen. Die Herausforderungen sind andere geworden. O-Ton Barbara Kavemann: Wir haben ein völlig uneinheitliches Finanzierungssystem, das ist abhängig von der jeweiligen Stadt, dem jeweiligen Landkreis, dem jeweiligen Bundesland. Es gibt x verschiedene Finanzierungsmodelle und es gibt im Moment eine Initiative, ob man das nicht bundesweit vereinheitlichen solle...Die Finanzierung weiter unsicher und unzureichend zu halten, ist absolut unverantwortlich von Seiten der Politik. Die Frauenhäuser sind Kriseneinrichtung der sozialen Arbeit. Bei allem politischen Anspruch haben die eine bestimmte Arbeit zu tun und dafür sind sie da und sie sind nicht dafür da, vierzig bis fünfzig Prozent ihrer Arbeitszeit damit zu verbringen, um Finanzierung zu kämpfen, damit sie dieses Angebot aufrecht erhalten können. Sprecher: Um den Kampf für eine solide Finanzierung zu gewinnen, muss sich die Frauenhausbewegung neue Fragen stellen. O-Ton Barbara Kavemann: Wie können sich Frauenhäuser spezialisieren für Frauen mit extremen Sicherheitsbedürfnissen, Schutzbedürfnissen oder gibt es eine Möglichkeit in Ballungsräumen, Frauenhäuser - geschützte Räume zu gründen - für Suchtkranke oder psychisch kranke Frauen. Es gibt kaum Zugang zu Frauenhäusern für behinderte Frauen, eine Frau im Rollstuhl, eine behinderte Frauen. Es gibt da ganz wenig Zugang, weil Frauenhäuser nicht auf alles eingestellt sein können. Sprecherin: Die neuen Herausforderungen liegen also nicht in der Verteidigung der Frauenhausidee gegenüber Kritikern aus der Väterbewegung. Vielmehr geht es um das Vorantreiben der eigenen Professionalisierung und darum, dass sich die Frauenhäuser an die realen Bedürfnisse von misshandelten Frauen 2011 anpassen. Sprecher: Für die 25-Jährige Sinep ist die Zeit im Frauenhaus am Stadtrand von Frankfurt am Main fast zu Ende. Sinep hat in Frankfurt eine kleine Wohnung für sich und ihren Sohn gefunden. Jetzt muss noch renoviert werden und irgendwo muss sie Möbel auftreiben. O-Ton Sinep: Wenn ich die Wohnung erst einmal habe, muss ich erst einmal sehen, wie ich mich da so zurechtfinde. Tapezieren, einziehen, pi, pa, po. Dann möchte ich meine Ausbildung nachmachen, die habe ich damals ja leider abgebrochen. Ich habe mich auch schon darum gekümmert. Und dann mal schauen mit meinem Sohn. Sprecher: Katharina braucht noch Zeit bis sie wieder Pläne schmieden kann. Mit ihrem Baby wird sie noch ein paar Monate in der Kriseneinrichtung bleiben. Sie wünscht sich irgendwann so selbstbewusst zu sein, wie Sinep es jetzt ist. O-Ton Sinep: Wollte mich auch noch einmal bei meiner Betreuerin bedanken, weil sie mir sehr geholfen hat. Sie war immer bei mir, ob bürokratisch, auch emotional. Ich bin sehr froh, dass ich sie kennen gelernt habe - auch wenn ich hier raus bin, werde ich versuchen mit ihr im Kontakt zu bleibt. Ich habe aus meinen Fehlern gelernt, was ich tun würde und was ich nicht mehr tun würde. Ich würde meinen Job nicht mehr aufgeben, niemals. Ich will mein eigenes Geld verdienen. Mein eigenes Revier bleibt. Spr. vom Dienst Fluchtpunkt mit Perspektive? Vor 35 Jahren entsteht das erste deutsche Frauenhaus Ein Feature von Mandy Schielke Es sprachen: Eva Kryll und Viktor Neumann Ton: Ralph Perz Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 1