Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio DLR Kultur Nachspiel 21.07.2013 Große Welle, kleine Welle - Surfen in Deutschland Von Kerstin Ruskowski Redaktion: Hanns Ostermann Musik: Otis Redding - The Dock of the Bay Komponist: Steve Cropper Label Code: LC 00120 01 Möwengeschrei 02 Atmo Meer, Wind, Möwen 03 Torsten: Wenn sie jetzt, wie in den Ferien, voll beladen ist, ist das Optimum. Torsten Camps sitzt am Strand von Warnemünde im Sand und beobachtet, wie die Scandlines-Fähre aus dem dänischen Gedser auf den Hafen zusteuert. Und wenn du jetzt schon diesen Schaum da vor dem Bug siehst, dann sieht das schon vielversprechend aus. Ne, man sieht auch immer die blaue Kante unten, ne - je schmaler die natürlich ist, da weißt du: Boa, das Ding ist richtig fett tief im Wasser, ne. Und dann kann man sich schon drauf freuen. Torstens Vorfreude gilt den Wellen, die durch die Fähre in die Warnemünder Bucht gedrückt werden. 04 Torsten: Es gibt so in der Regel immer drei Sets und die laufen immer unterschiedlich. Was ich jetzt dieses Jahr festgestellt habe, ist, das erste und zweite Set sind sehr dicht aneinander, dass man das schlecht unterscheiden kann, ob das nun ein ganzes war und dass es nur zwei nachher gibt oder ob das wirklich zwei Sets waren, ne. Set, damit meinen Surfer eine Gruppe von mehreren Wellen, die relativ dicht aufeinanderfolgen. Normalerweise entstehen diese Wellengruppen auf natürliche Weise. Nicht so an der Ostsee. Für die Fährwelle sind das optimale Voraussetzungen: Denn je glatter die Meeresoberfläche ist und je weniger Wind weht, desto besser rollen die Wellen. Musik hochziehen Um diese Wellen hat sich in Warnemünde eine kleine Surferszene gebildet. Etwa alle zwei Stunden zieht sich eine Handvoll Leute die Neoprenanzüge an und läuft mit dem Surfbrett unter dem Arm in die Ostsee. Die Wellen, die durch den stumpfen Bug der Fähren in die Warnemünder Bucht schwappen, sind zwar nicht riesig, aber sie sind zuverlässig. Schließlich laufen Schiffe aus dem dänischen Gedser immer nach Fahrplan in den Warnemünder Hafen ein. Anders als an von Natur aus wellenreichen Stränden ist der ganze Spaß in Warnemünde allerdings nach etwa 20 Minuten schon wieder vorbei. Für Surfer bedeutet das: schnell sein. 05 Torsten: Das ist Stress, also du surfst die Welle, freust dich, möchtest aber in diesem einen Set noch mindestens eine, vielleicht sogar zwei noch abkriegen und dann paddelst du ganz schnell wieder zurück, sofort wieder da ins Line-up da hinten, um die nächste mitzukriegen. Und das ist dann wirklich nachher, das powert dich auch ganz schnell aus. Und dann haste Zeit zum Durchatmen, dann kommt das zweite so nach fünf, sechs Minuten - ah, guck mal das baut sich schon auf da. Recht dicht. Die sind jetzt hier sogar noch viel dichter. Und das ist jetzt schon das zweite Set. Wirst du nachher auch sehen, dann sitzen die da zum Schluss, bei den letzten Wellen, nicht mehr auf dem Board, sondern stehen sie dort in der Sandbank und versuchen dann halt die aus dem Stehen heraus zu nehmen, weil das einfacher ist. Du hast einfach nicht mehr so viel Zeit. Denn nicht immer gibt es noch ein drittes Set. Sicher ist nur, wann die Wellen kommen, aber wie gut sie sind und wie lang sie dauern, hängt von verschiedenen Faktoren ab: von der Beladung des Schiffes, vom Wind und nicht zuletzt auch von der Sandbank, über der die Welle bricht. Und die verändert sich von Jahr zu Jahr. Der 42-jährige Torsten ist zwar erst seit vier Jahren Surfer, doch selbst er findet, dass die Wellen früher insgesamt größer waren. Bis zu einem Meter 50. 06 Torsten: Das sind Wellen, wo ich jetzt sagen würde, die gehören der Geschichte an. Von Jahr zu Jahr ist das immer schlechter geworden. Trotzdem liebt Torsten die Warnemünder Fährwelle und surft sie, so oft er kann - auch im Winter. Dass ihn manche Surfer deswegen belächeln, stört Torsten nicht. 07 Torsten: Wenn du Leute hier hast, die aus Australien kommen oder aus Amerika oder sowas und du erzählst denen, du surfst hier ne Fährwelle, die dann so wie jetzt hier - das sind 30 Zentimeter oder sowas, was du jetzt grad hier reinlaufen siehst. Die sagen: Häh, was? Da surfst du? Da geh ich gar nicht rein. Aber, das ist so: In München haben die dann halt ihren Eisbach. Wir haben dann hier die Fährwelle, die mit einer Garantie dann etwa alle zwei Stunden kommt, ne. Musik: The Ventures - Pipeline Komponist: Brian Carman, Bob Spickard Label Code: 00562 Surfen auf dem Eisbach - auch so eine Sache, die sich passionierte Binnen-Wellenreiter ausgedacht haben. In München wird schon seit Jahrzehnten am Rande des Englischen Gartens auf einer stehenden Welle gesurft. 08 Quirin: Das ist ne Welle, die in München ist, und München liegt ungefähr 800 Kilometer entfernt zum nächsten Meer und man kann trotzdem Surfen gehen und letztendlich jeden Tag irgendwie sich sein Brett unter den Arm klemmen und hierher radeln oder fahren und n bisschen surfen gehen. Das ist irgendwie, das ist trotzdem Surfen. Ist halt Flusssurfen, aber trotzdem ne tolle Alternative, wenn man nicht am Meer lebt. Quirin Rohleder hat Ende der 80er Jahre, mit etwa zwölf Jahren, auf dem Eisbach mit dem Surfen angefangen. Die stehende Welle gibt es dort auf einer Breite von etwa vier Metern und entsteht im Grunde durch eine Steinstufe - an der Stelle, wo der Eisbach mit ziemlichem Druck aus einem unterirdischen Bachsystem schießt. 09 Atmo Eisbach Damals, als Quirin und ein paar andere Jungs anfingen, auf der Eisbachwelle zu surfen, war sie noch einigermaßen naturbelassen. 10 Quirin: Die Welle war früher schon anders. Also, mittlerweile sind da ja so ein paar Konstruktionen drin, es hängt unten n Brett drin, damit die Welle noch n bisschen steiler ist. Wenn man von oben runter schaut auf der linken Seite sind diese Balken, die verhindern, dass das Kehrwasser zurückfließt. Also, da hat sich schon n bisschen was getan. Früher war's halt einfach komplett naturbelassen und die Welle lief damals einfach nicht so oft wie... ich mein heute, solange Wasser drin ist, steht die Welle eigentlich. Legal war das Surfen auf dem Eisbach damals allerdings nicht. Denn die Steinstufe macht die stehende Welle auch gefährlich: Wer unglücklich ins Wasser fällt, riskiert, auf den Steinen aufzuschlagen. Aus diesem Grund sah man bis vor ein paar Jahren noch regelmäßig Jungs in Neoprenanzügen mit einem Surfbrett unterm Arm barfuß über die Prinzregentenstraße vor der Polizei flüchten. Musik: The Surfaris - Wipeout Komponist: Fuller, Connally, Wilson Label Code: LC 00316 Wer heute auf der Eisbachwelle surft, tut das auf eigene Gefahr. Das Surfverbot fiel 2010, als die Stadt München die Eisbachwelle mit dem Freistaat Bayern tauschte - gegen ein anderes Stück vom Englischen Garten. Die Stadt hat offenbar weniger Angst als der Freistaat, nach eventuellen Unfällen auf der Eisbachwelle verklagt zu werden. Oder zumindest scheint der Nutzen der Surfer größer zu sein: Denn die Stadt weiß, dass die Eisbachwelle ohnehin längst in sämtlichen Reiseführern verzeichnet ist und dass sich oft mehr als hundert Schaulustige auf der Brücke über der Welle tummeln, um den Surfern bei ihren Tricks zuzuschauen. Musik hochziehen Quirin kann sich noch gut an die alten Zeiten am Eisbach erinnern. Einmal wurde ihm das Surfbrett abgenommen und er musste mit seinem Vater auf die Polizeiwache, um es wieder auszulösen. 11 Quirin: Es ist manchmal schon ganz lustig, wenn ich unten steh und surfe und ein Polizeiauto von irgendwo anfahren sehe - ist halt lustig, dass sich wahrscheinlich nur zwei oder drei Prozent von den Leuten, die dann da neben mir stehen und surfen, überhaupt dran erinnern können, wie es damals eben war und dass man eben, sobald man ein Polizeiauto gesehen hat, dann einfach wegrennen musste, weil die einen wirklich zum Teil gejagt haben. Tao Schirrmacher surft erst seit ein paar Jahren auf dem Eisbach - und auch mehr aus Not. Sooft er kann, fliegt er irgendwo hin, wo er auf dem offenen Meer, auf echten, sich bewegenden Wellen surfen kann. 12 Tao: Ich glaub, das reicht keinem. Also, die meisten, die ich kenne, die sind halt schon viel unterwegs. Und als Freiberufler nehm ich mir halt schon recht viel Zeit, um auch wegzukommen, ans Meer zu fahren. Aber wenn man in München lebt, dann geht man halt hier Surfen. Auch Quirin surft lieber auf dem Meer als auf dem Eisbach. Trotzdem liegen hier seine Surfwurzeln. 13 Quirin: Der Eisbach war letztendlich weichenstellend für mein Leben, ich bin über den Eisbach zum Wellenreiten gekommen und das hat letztendlich mein ganzes restliches Leben wahnsinnig beeinflusst. Quirin Rohleder ist der lebende Beweis dafür, dass man auch ohne Meer ein erfolgreicher Surfer werden kann. 14 Quirin: Ich war halt, sag ich mal so, der Vorreiter am Eisbach, was das Surfen angeht und die Manöver und die Tricks, die man da machen kann. Und da hab ich dann relativ schnell auch Sponsoren gefunden, die mich unterstützt haben. Aber letztendlich war mein Ziel eigentlich nach meinem Schulabschluss dann einfach ans Meer zu ziehen. Quirin qualifizierte sich mehrfach für die Europa- und Weltmeisterschaften und schnitt dabei auch ganz gut ab. Mit 25 erfüllte er sich schließlich seinen Traum, packte seine Sachen und wanderte aus - an den Atlantik, nach Frankreich. Seit einer Weile ist er nun zurück in München, bei seiner Familie, alten Freunden und - am Eisbach. 15 Quirin: Jetzt ist es so, dass ich mich hier in München einfach wahnsinnig wohl fühle, weil meine ganzen wirklich guten Freunde einfach hier sind und das ist mir mittlerweile wichtiger, dieser Austausch, als jeden Tag irgendwie Surfen gehen zu können. Musik: The Sandals - Theme from The Endless Summer Komponist: Gaston Georis, John Blakeley Label Code: LC 00040 Wem keine gute Alternative zu natürlichen surfbaren Wellen einfällt, hält sich an den alten Leitsatz: Wer surfen will, muss reisen - spätestens seit 1966 gern zitiert. Damals veröffentlichte Bruce Brown seinen Dokumentarfilm "The Endless Summer". Es ist die Mutter aller Surf-Filme. Darin folgt der Produzent zwei kalifornischen Surfern auf ihrer Suche nach immer neuen Orten zum Wellenreiten rund um den Globus. Die Idee für die Reise war, dem Sommer nachzureisen, um das ganze Jahr über Surfen zu können. Heute steht hinter der Motivation fürs Reisen oft der Wunsch, an möglichst unentdeckten, leeren Stränden zu surfen. Neben Hawaii, Kalifornien und Australien zieht es daher auch immer mehr Wellenreiter nach Südostasien und Afrika. Xenia Goffaux hat es nicht ganz so weit weg verschlagen, aber dennoch dauerhaft ans Meer: Als Surflehrerin kann sie ihre Leidenschaft fürs Wellenreiten sogar mit der täglichen Arbeit verbinden. Nach vielen Jahren der Pendelei zwischen Contis Plage an der französischen Atlantikküste und Köln ist die 43- Jährige vor kurzem ganz mit ihrer Familie nach Frankreich gezogen. Seitdem surft sie mehr - zumindest im Winter. Denn im Sommer gehen die Bedürfnisse der Surfschüler natürlich vor. 16 Xenia: Surfschule Das ist ganz schön so. Dann bin ich am Strand, dann kann ich auch mal zwischendurch ins Wasser gehen oder mit den Schülern ins Wasser. Aber ich unterrichte auch leidenschaftlich gerne. Mir macht das total viel Spaß mit Anfängern im Wasser zu sein, ich nehm mir da auch gerne selber n Softboard mit und - ich finde das ist einfach immer toll, also, nur im Wasser sein finde ich toll. Hört sich bescheiden an. Dabei hat Xenia schon eine kleine Wettkampfkarriere hinter sich: Vier Mal trat sie mit dem deutschen Nationalteam bei den Europameisterschaften an und ebenfalls vier Mal bei den Weltmeisterschaften. Eine Platzierung war dabei nie drin, dafür sammelte sie eine Menge Erfahrung. 17 Xenia: Wettkämpfe Auch diese intensive Auseinandersetzung mit sich, seiner Leistung, mit anderen über ne ganze Woche lang, das ist schon toll. Ich hab auch sehr viel dadurch gelernt. Musik: Xavier Rudd - Follow The Sun Komponist: Xavier Rudd Label Code: 01494 Doch nur selber zu surfen reichte Xenia irgendwann nicht mehr. Nach ihrem Studium an der Deutschen Sporthochschule wollte sie auch wissen, wie Surflehrer ausgebildet und -Wettbewerbe organisiert werden - beispielsweise die Deutschen Meisterschaften. Darum kümmert sich in Deutschland seit 20 Jahren der Deutsche Wellenreitverband, kurz DWV. Dazu gehören etwa 600 Einzelmitglieder sowie bundesweit neun Surfvereine. Seit 2011 ist Xenia Goffaux die Präsidentin des DWV. Der wiederum gehört sowohl zur European Surfing Federation, ESF, als auch zur International Surfing Association, ISA. Bei den Olympischen Spielen fehlt die Disziplin Wellenreiten allerdings bisher. Nach Auffassung des Internationalen Olympischen Komitees ist Surfen ein völlig neuer Sport - anders als beispielsweise Snowboarden oder BMX, die als Teildisziplinen des Ski- beziehungsweise Radfahrens gelten. Eine ganz neue Sportart bei Olympia zu etablieren, ist schwer: Interessenskonflikte innerhalb des IOC sind programmiert, denn für jeden neuen olympischen Sport fliegt ein anderer raus - und die IOC-Mitglieder sind alle selbst Sportfunktionäre. Allerdings kommt keiner von ihnen aus der Surfsparte. Dass es beim Surfen eigentlich einen Weltverband zu viel gibt, macht das Ganze nicht gerade einfacher. 18 Xenia: Dilemma Also, wir sind in dem Kanon der Sportarten mit drin, olympisch anerkannt nennt sich das, aber Medaillensportart wird immer abgelehnt, dadurch dass wir keinen echten Weltmeister haben, weil es halt zwei Verbände gibt, die da ihren Weltmeister küren, ne. Der andere Weltverband neben der ISA ist die ASP, die Association of Surfing Professionals. Auch die ASP ermittelt jedes Jahr im wohl bekanntesten Surfwettbewerb überhaupt, der ASP World Tour, den besten Surfer der Welt. Qualifizieren kann sich jeder, der Mitglied in der ASP ist, und zwar über die Wettbewerbe der WQS, der World Qualifying Series. An dieser Tour nehmen dann die Weltranglistenersten teil. Das sind aktuell insgesamt 34 Männer und 17 Frauen. Anders als bei den Europa- und Weltmeisterschaften von ESF und ISA gibt es also keinen Ländervergleich, keine Teilnahme nach nationalem Vorentscheid. Wie der Name schon sagt, treten bei diesen Wettbewerben schlicht die besten professionellen Surfer der Welt gegeneinander an. 19 Xenia: Das können fünf Australier sein, n paar Hawaiianer und vielleicht ein, zwei Europäer. Das sind so, die sagen, die Elite des Weltsurfens und das ist nicht nach Ländern gruppiert. Und weil die einzelnen Termine der World Tour sich oft mit den Terminen anderer Verbände überschneiden, nehmen Mitglieder der ASP-Auswahl nur relativ selten an den anderen Wettbewerben teil. 2009 durfte zum ersten und bisher einzigen Mal ein Deutscher an der ASP-World-Tour teilnehmen: Marlon Lipke, 28 Jahre. Trotzdem ist die ASP World Tour auch in Deutschland ungleich bekannter als die Meisterschaften von ESF und ISA. Das liegt vor allem an einer Person: Kelly Slater, 41 Jahre, aus Florida, USA. Er ist der wohl bekannteste Surfer der Welt, nicht zuletzt, weil er schon elf Mal den Titel geholt hat. Xenia Goffaux: 20 Xenia: Man weiß ja schon irgendwie oftmals im Herbst, Kelly Slater wird wieder World Champion, obwohl die Tour noch gar nicht zuende ist, weil schon zu errechnen ist: Er kann nicht mehr getoppt werden. Denn bei der ASP World Tour läuft es ähnlich wie bei der Formel Eins: Die Tour hat mehrere Stopps, das heißt, mehrere Einzelwettbewerbe, bei denen die Teilnehmer über Monate hinweg Punkte sammeln. Dabei reist der Tross tatsächlich jedes Jahr mit mehreren Einzelwettbewerben einmal um die Welt: Hawaii, Südamerika, Südafrika, Australien oder Asien. Diese vielen Stopps sind sozusagen historisch gewachsen: In den 70er Jahren tauchten in Sydney, Rio, Florida und Durban Surfwettbewerbe auf. 1976 wurden sie dann miteinander verbunden - die Geburtsstunde der ASP World Tour. Bei vielen Unterschieden zwischen ISA und ASP ist eines dann aber doch gleich, sagt Xenia Goffaux: 21 Xenia: Es geht immer drum, dass man halt einfach ne gute Welle aussucht, die über die längstmögliche Länge ausfährt und immer an dem umschlagenden Teil der Welle ganz dicht dran bleibt. Und dazu muss man wirklich ganz steil gefahrene Manöver fahren, also wirklich senkrecht die Welle runter und rauf. Weil da kriegt man den meisten Schwung her, die meiste Geschwindigkeit und wer das schafft, kriegt die höchste Punktzahl. So, das ist auf jeden Fall gleich für beide, für ISA-, ASP-Wettbewerbe. Musik Beach Boys, Surfing' Safari K Wilson und Love LC 00148 Bis man solche Manöver beherrscht und auf der Welle Haken schlagen oder Sprünge machen kann, dauert es normalerweise eine ganze Weile. Für viele bleibt es auch einfach beim gemütlichen Abgleiten der Wellen. Eines braucht man aber in jedem Fall, wenn man Surfen lernen will: Geduld. Anfängern wird das meist in der ersten Kursstunde vermittelt. 22 Atmo Wellenrauschen 23 Brett (englisch) + VO Surfen ist kein einfacher Sport. Ok? Also seid nicht frustriert, wenn Ihr nicht aufstehen könnt. Ich unterrichte eine Menge Leute, die es am ersten Tag nicht schaffen aufzustehen. Surfen ist ein sehr anspruchsvoller Sport und man muss körperlich sehr fit sein. Wer nicht fit genug ist, den verlassen im Wasser schnell die Kräfte. Vor allem dann, wenn man das das erste Mal versucht. Kristina Kiauka hat diese Erfahrung an der französischen Atlantikküste gemacht. weiterhin Atmo Wellenrauschen 24 Kristina Das hat überhaupt nicht geklappt. Ich bin liegen geblieben (lacht) beziehungsweise runtergefallen. Woah, ich kann das Ding überhaupt nicht mehr... Ich hab das Gefühl, ich hab überhaupt keine Kraft mehr. Oh. Bin ich froh, dass jetzt erstmal Feierabend ist für heute. Atmo Wellenrauschen raus Da hilft nur eins: regelmäßiges Training. Doch wie soll man sich in Deutschland gezielt fit halten? Schließlich haben die wenigsten das Glück, an Nord- oder Ostsee oder wenigstens in München zu wohnen. Doch Surfen üben kann man auch ohne Wellen: In Köln treffen sich jeden Mittwoch etwa 20 bis 40 Mitglieder des Kölner Surfclubs NoShore zum Training. 25 Atmo Warmlaufen Dieses Fitnesstraining ist sportartspezifisch. Trainer Christian Klein weiß aus eigener Erfahrung, wie ärgerlich es ist, wenn einen schon am zweiten Tag am Meer der Muskelkater ausbremst. Der 27-jährige studierte Sportwissenschaftler surft selbst seit fünf Jahren. 26 Chris Diese klassische Paddelfitness, wie man sie auch nennt, ist natürlich ne ganz spezielle, die man so im Alltag gar nicht beansprucht und entsprechend, wenn man dann das erste Mal aufm Brett liegt und rauspaddeln muss, dann merkt man relativ schnell die Schultern. Der Rücken, also der obere Rückenbereich, Nackenbereich, Halswirbelsäule sind ziemlich beansprucht und wir versuchen uns diese Fitness übers ganze Jahr hinweg so n bisschen zu erhalten beziehungsweise zu erarbeiten, damit wir dann im Urlaub auch fit sind und den Urlaub auf den Wellen genießen können und nicht vorzeitig die Session beenden müssen, weil die Muskulatur ermüdet ist. Trotzdem: Surfen bleibt ein körperlich sehr anspruchsvoller Sport - egal wie trainiert man ist, findet NoShore-Mitglied Andreas Brendt. 27 Andi: Surfen ohne Muskelschmerz, Muskelkater gibt es einfach nicht. Weil, solange man noch weitersurfen kann, macht man auch weiter. Man geht immer an die Grenzen muskulär und deswegen hat man auch so viel Muskelkater. 28 Atmo Übungen erklären (anschließend stehen lassen) In jedem Fall kann man diese Grenzen aber ein bisschen ausweiten, indem man jede Woche zum Training kommt. Trainer Chris bemüht sich dabei immer um Abwechslung. Heute müssen die gut 20 Trockensurfer in der kleinen Turnhalle einer Grundschule am Rande des Kölner Stadtteils Ehrenfeld verschiedene Stationen durchlaufen. Chris hat mehrere Gruppen gebildet, die nacheinander jeweils zwei Minuten lang Seilchenspringen, Liegestütze machen, schnell über eine Bank laufen oder die Schultermuskulatur mithilfe eines elastischen Thera-Bands dehnen müssen. Wenn die Zeit abgelaufen ist, pfeift Chris und die Gruppen wechseln zur nächsten Station. 29 Atmo Seilchenspringen Manchmal ist das Training aber auch deutlich ruhiger als heute. Dann wird intensiv am Gleichgewichtssinn oder der Technik beim Aufstehen auf dem Brett, dem Takeoff, gefeilt. Zum Beispiel, indem eine Bank schräg in eine Sprossenwand eingehängt wird. So simuliert Chris die Neigung des Bretts auf der Welle. Doch egal, welche Übungen die NoShore-Mitglieder in der Halle machen, selbst Chris muss zugeben, dass das Trockentraining in der Turnhalle nie so ganz an die Situation auf dem Brett in der Welle herankommt. 30 Chris: Eins zu eins lässt sich das natürlich gar nicht kopieren und versuchen wir auch gar nicht, sondern wir versuchen sinnvolle Ergänzungen zu machen. Der einzige Versuch, das zu imitieren sind vielleicht Indo-Boards, die wir haben: Das kann man sich vorstellen wie ein Brett, das auf ner Rolle liegt und dadurch sehr instabil ist. Und das ist n ganz gutes Training zur Gleichgewichtsfähigkeit. Ansonsten trainieren wir natürlich die Muskelgruppen, die benötigt werden, aber versuchen jetzt nicht uns vorzustellen, dass wir auf dem Brett stehen und irgendwelche Wellen grade abreiten, das eigentlich weniger. Ein bisschen verrückt ist es natürlich schon, als Surfverein in Köln ein wöchentliches Training anzubieten. Das gibt auch Harald Oppelcz zu. Der 33-Jährige ist der stellvertretende Vorsitzende des NoShore Surfclubs Cologne. 31 Harry: Als Surfer in unseren Breiten muss man sowieso nicht ganz normal sein. Das ist ja einfach so. Wie auch viele andere im Verein versucht Harry so oft wie möglich zumindest an die holländische Küste zu fahren, um ein paar Wellen zu erwischen - zusätzlich zum mehrwöchigen Surfurlaub auf Bali oder wenigstens an einer europäischen Atlantikküste. Surfen ist ein ziemlich kostspieliges Hobby: möglichst mehrere Reisen im Jahr, mindestens ein eigenes Brett (besser mehrere), Neoprenanzug (oder mehrere) - günstig ist das alles nicht. 32 Harry: Ja, also wenn man Surfen mal rein ökonomisch betrachtet, das ist echt der Witz: Man fährt stundenlang irgendwo hin, fliegt stundenlang irgendwo hin, gibt ein Heidengeld aus und am Ende von nem guten Surfurlaub hat man dann alles in allem vielleicht 20 Minuten aufm Brett gestanden. Das ist eigentlich totaler Blödsinn, aber trotzdem macht es Spaß und wir machen es immer wieder. Musik: Beach Boys - Stoked Komponist: Brian Wilson Label Code 00148 Denn wenn es gut läuft, man die Welle im richtigen Moment erwischt und mit dem Aufstehen auf dem Brett alles klappt, gleitet man bis zu mehrere Minuten lang über den Scheitelkamm der Welle. Für geübte Surfer Zeit genug, auch ein paar Manöver auszuprobieren. Das Gefühl dabei ist ein ganz besonderes, das Surfer gerne als "stoked" bezeichnen. Es ist wohl der Grund dafür, dass einige ihr Leben mehr oder weniger nach der Möglichkeit ausrichten, sooft es geht Wellenreiten zu können. 33 Paul: Viele Entscheidungen bei mir im Leben sind halt echt tatsächlich aus dem Surfen entstanden, dass ich gedacht hab: Ah, wenn ich das mache, dann kann ich das irgendwie mit Surfen verbinden und wenn ich die Ausbildung mache, dann heißt das, ich bin mit den Jobs dann eher am Meer. Paul Reisberg ist 30 Jahre alt, aufgewachsen in Bielefeld, zur Zeit wohnt er in Bristol, Großbritannien. Seit seiner ersten Welle vor ungefähr 14 Jahren hat ihn die Begeisterung fürs Surfen nicht mehr losgelassen. Bielefeld hat er deshalb schnell den Rücken gekehrt: Seinen Zivildienst hat Paul auf Sylt gemacht, einem der wenigen Orte in Deutschland, wo man surfbare Wellen findet. Für seine Ausbildung zum Bootsbauer zog er dann nach Wales und nutzte dort jede freie Minute in den Wellen. Dadurch hat Paul natürlich vielen deutschen Surfern eine Menge Praxis voraus. Trotzdem sieht er sich eher als Hobbysurfer. Die echten Profis, das ist eine ganz andere Liga, findet er. 34 Paul: Das, was man in den Medien über Surfen sieht, ist was völlig anderes als das, was man in seiner eigenen Realität erfährt und was man selber kann. Wenn man halt Pro-Surfer sieht, die wirklich ihren Lebensunterhalt damit verdienen, irgendwie um den Globus zu fliegen und erstklassige Wellen zu surfen - das sieht mal halt immer, das ist auch die Außenwirkung: So ist auch die Werbung aufgebaut, das ist so das Bild vom Surfen, was viele auch haben, aber die Realität ist halt ne völlig andere. Und die sieht eben für die meisten so aus, dass sie pro Jahr ein bis zwei Mal jeweils zwei Wochen in den Surfurlaub fahren. Dann nutzen sie die Wellen jeden Tag, denn die Zeit am Meer ist knapp. Für viele ist das aber die Idealvorstellung: Am Meer leben, Surfen, wenn die Wellen gut sind, und Arbeiten, wenn sie nicht so gut sind. Das gilt auch für Paul. 35 Paul Und dann ist es auch nicht so, dass man dann unbedingt ins Wasser muss und alles rausholen muss und das ist auch nicht mehr so ne Sensation, sondern es ist sowas, was dazugehört. Was so ganz selbstverständlich im Leben dazugehört. Und weil ich halt auch selbstständig bin, kann ich dann so n bisschen meinen Alltag auch organisieren: Wenn halt die Wellen richtig gut sind, geht man halt Surfen und dann arbeitet man dafür n bisschen mehr, wenn die Wellen nicht so gut sind. Richtig gut sind die Wellen manchmal sogar in Warnemünde. Wenn der Wind richtig kräftig, mit einer Stärke von 30 Knoten oder mehr, wahlweise aus nordöstlicher oder aber nordwestlicher Richtung bläst, entstehen Sturmwellen - und die können manchmal sogar überkopf-groß werden. Diese Bedingungen gibt es leider nur etwa zwei Mal im Jahr, aber dann zieht es auch Hannes Winter ins Wasser. Für die Fährwelle steigt der 29- Jährige nicht mehr so oft in den Neoprenanzug. Vielleicht auch gerade deshalb, weil er vor etwa acht Jahren einer der ersten war, die auf der Fährwelle gesurft sind. 36 Hannes Hier ist das halt immer so: Tag für Tag kommt die Welle, 8:20 Uhr. Meistens ist die Welle irgendwie gleich, bewegt sich in so nem Rahmen von nem halben Meter bis 1,50 Meter, aber es ist nie so, dass man jetzt sagt: Oh, heute ist mal ganz was anderes. Das ist dann bei Windwellen und da gehen wir ständig raus. Das ist dann eher das reizende. Heute verbringt Hannes daher mehr Zeit in seinem Surfshop als im Wasser vor Warnemünde. Andere, wie Torsten, versuchen möglichst jeden Tag mindestens ein Mal auf der Fährwelle zu surfen. Unter Umständen könnte es damit nämlich bald vorbei sein. Denn eigentlich sollten die beiden Fähren mit dem stumpfen Bug schon dieses Jahr durch neue, modernere mit einem schneidigeren Bug ausgetauscht werden. Die würden dann wahrscheinlich keine Wellen mehr in die Warnemünder Bucht spülen. Aber wer weiß. Bisher gibt es zumindest noch keinen festen Termin für einen Austausch der Fähren. 37 Torsten Man muss denn abwarten. Surfen wir noch jetzt diese Fährwelle und nachher, wenn das neue Schiff kommt, vielleicht haben wir Glück, ne. Vielleicht ist die sogar noch besser, wer weiß. MUSIK Bayon - Ballata