Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 20.09.2010, 19.30 Uhr Neue Netze braucht das Land Wie der Strom künftig in die Steckdose kommt Von Jan Uwe Stahr Atmo Viele Stimmen BDEW-Kongress .... Sprecher: Berlin im Sommer 2010 - im Nobelhotel "Intercontinental" hat sich die Deutsche Energiewirtschaft zu ihrem Jahrestreffen eingefunden. Rund 1500 Teilnehmer sind gekommen: Vertreter von Stadtwerken, lokalen und regionalen Stromanbietern, Netzbetreiber, Manager von international agierenden Energiekonzernen. Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien sind dabei wie auch Betreiber von Kohle- und Kernkraftwerken. "Zukunft möglich machen" - so lautet das Motto des Kongresses: 1.O-Ton Das Ziel heißt: eine CO2-neutrale Strom- und Energieerzeugung im Jahr 2050. Wir sind bereit und auch in der Lage dazu, den Umbau des Energiesystems aktiv voranzubringen. Sprecher: Egal wie letztlich der Streit um die Verlängerung der AKW-Laufzeiten ausgeht - sicher ist: bis 2050 wird es in Deutschland keine Kernenergie mehr geben. Und wenn Kohlekraftwerke dann noch Strom produzieren, müssen sie CO2-frei sein. Die erneuerbaren Energien werden also künftig die wichtigste Rolle bei der Stromerzeugung spielen. Das bedeutet: Ein gewaltiger Umbau der Energieversorgung steht bevor. Schon seit einigen Jahren wächst der Anteil der Erneuerbaren am Strommix im rasanten Tempo. Doch jetzt zeigt sich: Mit der Stromerzeugung muss sich auch das System der Stromverteilung grundlegend ändern. Atmo Brummen Freileitung/Mikroentladungen/Knistern (Archiv) Sprecher vom Dienst: Neue Netze braucht das Land - Wie der Strom künftig in die Steckdose kommt Von Jan Uwe Stahr Sprecher: Knapp drei Jahre ist es her, da hat sich Europas größter Kohlekonzern, RWE, eine neue Sparte zugelegt: "RWE-Innogy". Das Kunstwort aus "Innovation" und "Energie" soll symbolisieren: Von nun an geht der Konzern "vorweg" auf dem Weg in die Energie-Zukunft. Als Vorstand, für den neuen, schnell wachsenden Konzernbereich, hat man einen innovationserfahrenen Manager angeheuert: Fritz Vahrenholt, einst Umweltsenator in Hamburg, später Vorstand bei Shell-Solar und dann beim Windanlagenhersteller "Repower". Der Energiekonzern RWE habe erkannt, dass er weg muss von den Kohlendioxid- Emissionen bei der Stromerzeugung, sagt Vahrenholt. Und zwar schnell, denn sie machen die Stromproduktion in Zukunft teurer und teurer: 2.O-Ton Wir werden 2013 alleine 1,5 Milliarden an CO2-Zertifikaten zu zahlen haben. Und deswegen ist jede Tonne CO2, die ich durch erneuerbare Energie dem Portfolio der RWE hinzufüge, eine Entlastung und Verbesserung der Position. Sprecher: Knapp anderthalb Milliarden Euro pro Jahr, derzeit rund ein Fünftel der Gesamtinvestitionen des Konzerns, kann RWE-Innogy-Vorstand Vahrenholt in erneuerbare Energien investieren. Auch andere große Energieversorger setzen auf einen Strategiewechsel. Freilich ohne sich dabei schnell von ihren Atom- und Kohlekraftwerken trennen zu wollen. 3.O-Ton Die erwirtschaften den Cash-Flow, die finanziellen Mittel, die ich wieder ausgeben darf. Alles das was ich ausgebe, gibt die Kohle oder die Kernenergie nicht mehr aus. Sprecher: Nicht nur zum Geld-Verdienen werden Kohle- und Kernkraftwerke noch lange gebraucht, argumentieren ihre Betreiber. Auch für die Versorgungssicherheit. Denn schließlich sei die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien nicht zuverlässig: 4.O-Ton Die Natur ist nicht berechenbar. Der Wind kommt, wann er will, und auch die Sonne ist nicht zuverlässig und deswegen reden wir von fluktuierender Energie. Es gibt Tage, ganze Wochen, wo die Windenergie null Beitrag leistet und dann gibt es Situationen, wo eine starke Windfront über Deutschland zieht und es sind auf einmal fünfundzwanzigtausend Megawatt am Netz. Dann kriegen wir ein Problem, dass ein Überangebot an Strom da ist. Sprecher: Die Stromnetze dürfen - damit sie stabil bleiben - immer nur exakt soviel Strom aufnehmen, wie gleichzeitig aus ihnen entnommen wird. Das heißt die laufende Stromproduktion muss - oftmals binnen Sekundenbruchteilen - an die aktuelle Stromnachfrage angepasst werden. Schon seit fast einem Jahrhundert wird das mit Hilfe von Stromnetzen bewerkstelligt, an die sogenannte Grund-, Mittel- und Spitzenlastkraftwerke angeschlossen sind. Für die Grund- und Mittellast waren noch bis vor wenigen Jahren vor allem Atom- und Kohlekraftwerke zuständig. Für die schwankende Spitzenlast die flexibleren Gaskraftwerke. Diese Kraftwerke sind über Hochspannungsnetze miteinander verbunden. Von diesen überregionalen Übertragungsnetzen wird der elektrische Strom über Mittel- und Niederspannungsnetze weitergeleitet und dann verteilt - bis in die Steckdosen der Verbraucher. Doch nun, da immer größere und schwankende Strommengen aus erneuerbaren Energien in die Netze eingespeist werden, steht das alte Versorgungs- system unter Stress. Denn der klimafreundliche Wind- und Sonnenstrom genießt - gesetzlich garantiert - Vorfahrt in den Netzen. 5.O-Ton Die Windenergie hat absoluten Vorrang, wir müssen die Windenergie als erstes dem Verbraucher anbieten, das tun wir ja auch. Das heißt, wir müssen alles andere runterfahren. Das heißt, wir werden die Gaskraftwerke runterfahren, wir fahren die Kohlekraftwerke runter, wir fahren auch die Kernkraftwerke runter. Wir fahren die Kernkraftwerke sehr schnell, das ist den meisten nicht bekannt, runter. Wir können damit die Windenergie auspendeln. Sprecher: Eine wirklich gute Lösung ist dieses ständige Herunter - und Herauffahren von Atom- und Kohlekraftwerken allerdings nicht. Denn sie wurden für einen gleichmäßigen Grundlast- und nicht für einen schnell schwankenden Regel-Betrieb konstruiert. Die neue Aufgabe erhöht ihren Verschleiß und damit die Reparaturanfälligkeit. Die unregelmäßige Auslastung verschlechtert zudem ihre Wirtschaftlichkeit. Und beides zusammen verdirbt den Betreibern die Bilanzen. Ein weiteres Problem kommt neuerdings noch hinzu: Sogenannte "Negative Strompreise". 6.O-Ton Wenn jetzt mehr Windenergie noch zugebaut wird, dann kriegen wir langsam ein Problem. Weil dann natürlich auch beim Überschuss der Preis verfällt. Wir haben im letzten Jahr 70 Stunden lang einen negativen Strompreis gehabt. Es war soviel Strom in den Leitungen und im Markt, dass man einem Kunden noch Geld auf den Tisch legen musste, damit er die Kilowattstunden abgenommen hat. Das haben die Holländer gemacht, die Polen, die haben dann gesagt, wir machen die Schotten auf, wenn ihr dafür bezahlt wenn ihr bei jeder Kilowattstunde was drauflegt, dann her damit. Das ist ungesund, volkswirtschaftlich ungesund und das darf man auf Dauer ja so nicht betreiben. Sprecher: Es schmerzt vor allem die Betreiber von Atom- und Kohlekraftwerken. Einfach den Ausbau der erneuerbaren Energien immer weiter voranzutreiben, so wie es die Bundesregierung bisher gemacht hat, sei deshalb nicht mehr möglich, findet Fritz Vahrenholt. 7.O-Ton Das hat die Politik, glaube ich, bislang vernachlässigt. Sie hat sich darin gesonnt, ein Megawatt nach dem anderen hinzuzufügen, tausende von Megawatt, wir haben jetzt zehntausend Megawatt Solar in Deutschland, wir haben fünfundzwanzigtausend Megawatt Wind und jetzt erst reift die Erkenntnis - wie speichere ich das? Wie mache ich das? Wie bringe ich das an den richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt? Sprecher: Die marktbeherrschenden Stromkonzerne haben sich in der Vergangenheit nicht allzu viele Gedanken über die Speicherung und den Ausgleich von schwankenden Wind- und Solarstrommengen gemacht. Sie haben stattdessen ihre Lobbyisten ausgesandt und die erneuerbaren Energien bekämpft und behindert, wo es nur möglich war. Jetzt weiß man: So geht es nicht mehr weiter. 8.O-Ton Wir brauchen Pumpspeicherwerke in Deutschland. Wir brauchen Batterien, wir brauchen Speicher, unterirdische Luftdruckspeicher, um diese riesigen Mengen fluktuierende Energien besser speichern zu können. Wir brauchen bessere Leitungen, wir müssen große Leitungen haben nach Norwegen, nach Österreich, in die Schweiz, um den Strom weiter zu verteilen und ihn auch speicherfähig zu machen und das ist das Hauptaugenmerk, das in den nächsten zehn Jahren auf der Tagesordnung ganz oben stehen muss. Denn wir wollen ja am Ende 30, 40 Prozent innerhalb von 15 Jahren an erneuerbaren Energien im Strom haben. Sprecher: Mehr als 1,5 Millionen Kilometer Freileitungen und Erdkabel misst das heutige Stromnetz in Deutschland. Es gehört zu den zuverlässigsten der Welt. Und dennoch muss es dringend umgebaut werden. 9.O-Ton Früher, so vor zwanzig Jahren, da war der Fokus ja noch so gerichtet auf die Weiterentwicklung der einzelnen Quellen, Solarenergie usw. Bis man dann festgestellt hat, man kann die nicht einfach addieren, sondern das Zusammenspiel muss konzertiert werden - der Konzertmeister, das sind wir. Sprecher: Mit "wir" meint Professor Jürgen Schmid das Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel. Schmid kommt aus der Kernenergietechnik, beschäftigte sich in den siebziger Jahren mit Urananreicherung und nuklearer Sicherheit. Doch schon vor etwa 30 Jahren erkannte er, dass nicht der risikoreichen Atomenergie die Zukunft gehört, sondern der Wind- und Sonnenenergie. Und so erforscht der Wissenschaftler seitdem die erneuerbaren Energien und ihre optimale gegenseitige Ergänzung und Vernetzung. Heute ist Professor Schmid ein gefragter Experte, berät auch die Bundesregierung. Denn am Fraunhofer-Institut ist die Zukunft der Stromnetze schon Gegenwart. Ein Forschungsthema ist das "smart grid" - das intelligente Stromnetz, von dem jetzt so häufig die Rede ist: Atmo Labor 10.O-Ton So, wir sind jetzt in unserem Großlabor, wo wir einzelne Elemente von Smart Grids aufgebaut haben und die kann ich ihnen jetzt mal demonstrieren. Sprecher: In dem turnhallen-großen Laborraum des Institutes stehen verschiedene Versuchsaufbauten: Grau und rot lackierte Schaltschränke, viele Kabel und dazu einige Computer. 11.O-Ton Was Sie hier sehen, ist die Nachbildung eines elektrischen Netzes. Das heißt, wir können hier das Netz stark oder schwach machen. Das heißt einen langen Netzanschluss simulieren oder einen kräftigen, je nachdem. Wir können auch Störungen hier einbauen, die entstehen, wenn Sie einen großen Motor einschalten, oder was passiert beim Blitzeinschlag, wenn wir hohe Spannungen haben. Sprecher: Die deutsche Stromversorgung gilt im internationalen Vergleich als zuverlässig. Nur äußerst selten kommt es zu Stromausfällen in den Netzen. Bereits vor über hundert Jahren wurde mit ihrem Aufbau begonnen, danach wurden sie kontinuierlich ausgebaut, miteinander verbunden und verstärkt. Aber das grundlegende Prinzip der Stromverteilung blieb dabei unangetastet: 12.O-Ton Das heißt, wir hatten eine ganz klare hierarchische Ordnung. Ganz oben wurde der Strom produziert von den Großkraftwerken, dann transportiert, dann verteilt. Und dann den einzelnen Verbrauchern, den kleinen zugeführt. Der Stromfluss ging von oben nach unten, in eine Richtung. Genau das ändert sich jetzt massiv. Denn sobald wir anfangen, Fotovoltaikanlagen auf unsere Gebäude zu bauen oder Windkraftwerke an das Netz anzuschließen, haben wir am unteren Ende eben nicht nur Verbraucher, sondern auch Produzenten. Das gilt übrigens auch für die Kraft- Wärme-Kopplung, wenn sie mit Biomasse betrieben wird. Das heißt, aus den Verbrauchern wurden Produzenten und ein Mischung davon - man spricht dann auch von den "Prosumern". Also Produzenten und Consumern. Sprecher: Seit der Liberalisierung der Strommärkte, sind die Netze, die sich überwiegend im Eigentum von Konzernen und Stadtwerken befinden, für jeden Stromeinspeiser geöffnet. Doch dem neuen Pluralismus aus Produzenten, Verbrauchern und Prosumern sind die hierarchischen Netzstrukturen immer weniger gewachsen. So kommt es an sonnigen Tagen immer häufiger vor, dass in Gegenden, wo sehr viele Solaranlagen installiert sind, diese abgeschaltet werden müssen, damit das örtliche Stromnetz nicht zusammenbricht. Wertvoller, weil CO2-freier Solarstrom geht somit verloren. 13.O-Ton Wenn wir diese dezentralen Einspeiser haben und das Netzmanagement diese Stromflüsse optimal regulieren soll, dann muss der Netzbetreiber auf allen Netzebenen genau Bescheid wissen über die Spannung, über die Leistung. Man spricht davon, dass die Netze intelligenter werden und das bedeutet, dass auf der Niederspannungsebene und auch bei den Verteilnetzen sehr viel mehr Informationen vorhanden sein müssen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Die Niederspannungsnetze, die hat man in der Vergangenheit blind gefahren, da gibt es keinerlei Messeinrichtungen, die den Lieferanten informieren über den Zustand dieser Netze. Die konnten entweder nur eingeschaltet sein oder aus. Sprecher: Intelligente Netze dagegen ermöglichen es, dass der Stromverbrauch besser an das schwankende Stromangebot von Wind- und Sonnenkraftwerken anpasst werden kann. Und zwar über Preisanreize. Das bedeutet: Wenn gerade viel Strom in das Netz eingespeist wird, ist er billig. Wer jetzt seine Geräte betreibt, spart Geld. Intelligente Stromzähler - sogenannte "Smart Meters" - liefern die nötigen Informationen. Angeschlossene Geräte - Kühlschränke, Waschmaschinen oder zukünftig auch Elektroautos und stationäre Batteriespeicher - reagieren auf die Informationen aus dem Stromnetz. Im Großlabor des Fraunhofer-Institutes für Energiesystemtechnik in Kassel funktioniert das bereits: 14.O-Ton So, wenn Sie sich jetzt wenden um 180 Grad, dann sehen sie den Haushalt der Zukunft. Hier testen wir die Möglichkeiten von zeitvariablen Tarifen in Verbindung mit Smart Meters, also intelligenten Stromzählern, unter realistischen Bedingungen. Das heißt, wir haben hier Waschmaschinen, Kühlschränke - das ist die Simulation der Beleuchtung in einem Haus. Das Ganze kommuniziert über diese Internetverbindung, die sie dahinten blinken sehen mit dem übergeordneten Netz, von dem wir dann auch vom Energieversorger zeitvariable Tarife zur Verfügung gestellt bekommen. Und dieser Hauhalt optimiert sich dann nach optimalen Stromkosten, aber - noch mal - ohne Einschränkungen des Betreiber-Komforts. Jeder kann dann waschen, wann er will, die Kühlschränke sind immer kühl. Sie werden nie zu warm werden und auch alle anderen Verbraucher werden den Komfort des Nutzers in keiner Weise einschränken. Sprecher: Denn wenn der Sonnen- und Windstrom knapp wird, schaltet das intelligente Stromnetz flexible kleine Blockheizkraftwerke ein. Das können zum Beispiel Biogasanlagen beim Bauern und beim kommunalen Abfallentsorger sein. Oder auch gas- oder biodieselbetriebene Generatoren in privaten und öffentlichen Gebäuden - die Strom und Wärme produzieren können. 15.O-Ton Wichtig ist jetzt, dass diese Aggregate in Zukunft nicht dann laufen, wenn Wärme gebraucht wird, sondern dann, wenn der Strom gebraucht wird. Dann können wir zehn- oder hunderttausende dieser Aggregate motivieren. Zum Beispiel über die entsprechenden Tarife, dann in Betrieb zu gehen, wenn der Strom gebraucht wird. Und dann verhalten sich diese zehn- oder hunderttausende von Aggregaten wie ein sonst vorhandenes Großkraftwerk. Sprecher: Das intelligente Stromnetz ermöglicht so eine Stromproduktion, die viel dezentraler organisiert ist als bisher. Und damit nahe am Verbraucher. Der Vorteil: Netzgebühren, die für Stromtransport von weither und über verschiedene Netzebenen fällig werden, können eingespart werden. Diese Netzgebühren machen heute einen erheblichen Teil der Stromrechnung aus. Allerdings wird eine dezentrale Stromproduktion auch zukünftig nicht überall in der Lage sein den Bedarf zu decken, sagt Energieexperte Schmid. Zumal wenn große Stromverbraucher, wie Industrie oder Gewerbebetriebe, versorgt werden müssen. Deswegen werden für eine Stromversorgung aus erneuerbaren Energien nicht nur neue, intelligente Netze auf Verbraucher-Ebene benötigt, sondern zusätzlich auch neue Hochspannungs- Transportnetze. 16.O-Ton Die Stromnetze müssen sich auf allen Gebieten verändern. Zunächst einmal brauchen wir als eine der wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen ein stärkeres transeuropäisches Supernetz. Dieses Supernetz hat nichts zu tun mit dem, was heute in Europa steht, sondern es wird um Faktoren leistungsfähiger sein. Es wird mit Gleichstrom betrieben werden anstelle von Wechselstrom. Und es hat nicht nur die Aufgabe, Strom zum Beispiel von den Wüstengebieten Nordafrikas nach Zentraleuropa zu transportieren oder auch von den guten Windstandorten, die übrigens auch in Nordafrika zuhause sind, aber auch eben in Nordeuropa. Sondern es hat auch die Aufgabe den Ausgleich zwischen fluktuierenden Erneuerbaren Energien zu schaffen. Ein Beispiel. Wir haben analysiert, dass das Windangebot in Südeuropa und Nordafrika gegenläufig ist zu demjenigen von Nordeuropa. Man kann banal sagen, irgendwo in Europa weht immer der Wind. Sodass wir durch dieses Supernetz einen sehr schönen horizontalen Ausgleich dieser Schwankungen haben. Sprecher: Mit einem europäischen Supernetz ließen sich auch die großen Wasserspeicher Skandinaviens einbinden. Sie wären in der Lage einen großen Teil der für ganz Europa benötigten Ausgleichsenergie zu liefern, wenn Wind- und Sonnenstrom nicht ausreichen. Mit Hilfe eines europäischen "Super-Grid" ließen sich nach Berechnungen des Kasseler Fraunhofer-Institutes die Strom-Speicher-Probleme weitgehend lösen, die den schwankenden erneuerbaren Energien immer wieder vorgehalten werden - vor allem von den Betreibern konventioneller Großkraftwerke. Die Technik für ein derartiges verlustarmes Gleichstrom-Hochspannungs-Netz ist keineswegs ferne Zukunftsmusik - das zeigt ein Besuch in Erlangen. Musik-Akzent 17.O-Ton Man sieht hier Indien mit wahrscheinlich über einer Milliarde Einwohnern. Ein Land, das vom Pro-Kopf-Stromverbrauch etwa bei einem Zehntel von Deutschland liegt. Und wenn man sagt, dass Wohlstand eng korreliert mit dem elektrischen Energieverbrauch - das sieht man ja, was man alles an elektrischen Haushaltsgeräten hat - dann kann man erahnen, was da jetzt alles zugebaut wird. Und das reflektiert sich jetzt auch in den Ausbau der Stromtransportnetze. Sprecher: Dr. Michael Weinhold, Chief Technology Officer bei Siemens Energy steht vor einer Wand mit großen Landkarten. Die neuen Gleichstrom-Hochspannungsleitungen, die er und seine Mitarbeiter hier entwickeln und testen, werden in alle Welt verkauft. Vor allem aber in die neuen Wirtschaftswunder-Länder Asiens. Nach Indien zum Beispiel. Dort setzt man auf erneuerbare Energien in Verbindung mit modernsten Stromtransportleitungen "made in Germany". 18.O-Ton Man baut jetzt hier über deutlich mehr als tausend Kilometer ein Stromtransportsystem, was die Spitzenleistung Dänemarks quer durch Indien transportiert. Und dann sehr erzeugungsreiche Gebiete, wo sehr viel Wasserkraft ist, diese Gebiete zugänglich macht, den Regionen, wo Ballungszentren sind. Das sind schon spektakuläre Projekte, einerseits was die Entfernungen angeht, die man jetzt überstreicht damit. Wie weit man jetzt Energie transportiert, als auch welche Energiemengen. Sprecher: Große Energiemengen möglichst verlustarm und damit wirtschaftlich über weite Entfernungen zu transportieren - das ist eine wichtige technische Voraussetzung für eine wachsende Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, sagt Ingenieur Weinhold: 19.O-Ton Was wir ja sehen ist, dass vielfach die optimalen Standorte für erneuerbare Energien fernab der großen Ballungszentren sind, das heißt es geht darum, diese Energiemengen erstmal zu erschließen, zum Beispiel durch Windparks oder große solarthermische Kraftwerke und diese Energien dann höchst effizient in die Ballungszentren hinein zu transportieren. Sprecher: Die konventionellen Hochspannungsleitungen, die heute ganz Deutschland überziehen, erzeugen mit ihrer Wechselspannung hohe elektrische Widerstände, die einen weiträumigen Stromtransport unwirtschaftlich machen. Zudem sind die nationalen Stromnetze in Europa kaum kompatibel und nur über vergleichsweise "schmale" Strombrücken miteinander verbunden. Ein neues "Supergrid" und "Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungslinien" - wie die High-Tech-Kabel im Ingenieursdeutsch heißen, ließen Europa endlich auch elektrisch besser zusammenwachsen. Die notwendige Technik ist jedenfalls da: 20.O-Ton Die Herausforderung vor der das Energiekonzept steht ist, dass es sichere, bezahlbare und umweltverträgliche Energieversorgung bis zum Jahr 2050 beschreiben soll. Sprecher: Patrick Graichen, Regierungsdirektor im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, erläutert vor einem Fachpublikum die Ziele des "Energiekonzeptes", das die Bundesregierung jetzt erarbeitet hat. Zu diskutieren und zu entscheiden gibt es beim notwendigen Umbau des Energiesystems mehr als genug: Über neue Strommärkte, die künftig dezentraler organisiert sein müssen. Über Möglichkeiten der sogenannten Lastverschiebung, also die bessere Anpassung der Stromnachfrage an das Angebot. Über die Verbesserung der Energieeffizienz. Über neue Elektrogeräte, die sich mit Hilfe intelligenter Stromnetze steuern lassen. Und - natürlich - über den Bau neuer Stromleitungen zur besseren Vernetzung der verschiedenen erneuerbaren Energien. 21.O-Ton Die Frage ist, ob nicht auch beim Thema Netze man vom Ende her denken muss. Das heißt die Frage: wo erwarten wir, dass 2050 die Stromversorgung herkommt, wo sind dann die Erzeugungszentren und Verbrauchszentren? Und dann jetzt gleich die Netzinfrastruktur-Design-Frage so anzugehen, dass wir den langfristigen Pfad schon gleich mitplanen. Sprecher: Möglichst schnell muss auch geklärt werden, wie der Aus- und Umbau der Stromnetze bezahlt werden soll. Denn alleine für die bereits in Planung und Bau befindlichen Windparks vor Deutschlands Küsten müssen nach Berechnungen der Deutschen Energieagentur mindestens 800 Kilometer neue Hochspannungsleitungen verlegt werden. Bisher sind gerade mal 90 Kilometer genehmigt und im Bau. Eine öffentliche Aufklärung über die Notwendigkeit neuer Hochspannungsleitungen sei dringend notwendig, mahnt Fritz Vahrenholt, der Vorstand für Erneuerbare Energien beim Stromerzeuger RWE. 22.O-Ton Wer will schon gerne ne Leitung vor seinem Dorf oder seiner Stadt haben oder in der Nähe seiner Wohnung. Das gibt natürlich einen riesigen Widerstand, wenn sie Leitungen bauen. Der Strom kommt aus der Nordsee, der kommt aus dem Norden. In Bayern gibt's keinen Wind. Also müssen wir über 1000 Kilometer den Strom ins Hinterland bringen. Da gibt's heute gar keine Leitungen für. Das ist eine gesellschaftlich Akzeptanz, die man dafür braucht, die nicht da ist. Leitungsbau in Deutschland - nicht unter 12 Jahren zu kriegen- geht durch jede Instanz. - Bürgerinitiativen - alles verständlich. Aber man muss nun leider sagen, man kann Strom nicht ohne Leitungen transportieren. Sprecher: Für einen regierungsübergreifenden und gesellschaftlichen Konsens wäre es da sicherlich hilfreich wenn RWE und andere große Stromkonzerne sich kompromissbereiter beim Ausstieg aus Kohle- und Kernkraft zeigen würden. Auch Jürgen Schmid vom Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik fordert ein zügiges Vorgehen beim Ausbau neuer Stromleitungen. Um erneuerbare Energien europaweit zu vernetzen und so Kohle- und Atomkraftwerke möglichst bald überflüssig zu machen. Zusammen mit Wissenschaftlern anderer Forschungsinstitute hat Professor Schmid der Bundesregierung eine Studie vorgelegt, die zeigen soll, dass eine hundertprozentig erneuerbare Stromversorgung bis 2050 möglich und wirtschaftlich ist. Allerdings nur wenn die Stromnetze dafür da sind. 23.O-Ton Man muss jetzt schon beginnen. Die Genehmigungsfragen sind sicher sehr langwierig. Und wir werden auch nicht überall mit Freileitungen arbeiten können in kritischen Gebieten, das heißt man braucht Kabeltechnik, die zwar im Prinzip zur Verfügung steht, aber nicht in dem Umfang. Wir brauchen neue Kabelfabriken, wir brauchen neue Kabelverlegungstechnologien, hier muss quasi eine neue Industrie entwickelt werden. Genauso, wie man das jetzt beobachten kann für die Offshore- Windindustrie, dort werden nicht nur Windturbinen entwickelt, sondern auch gleich Schiffe und die gesamte Infrastruktur. Sprecher: Der Umbau der Stromversorgung und der Bau neuer Leitungen erfordern hohe Investitionen. Doch die machen sich schon bald bezahlt. Denn während die Wind- und Solarstromtechnik immer billiger wird, steigen die fossilen und atomaren Brennstoffkosten immer weiter an. Erste Beispiele zeigen, dass auch die weiträumige Vernetzung von Windparks mit Wasserspeichern in Skandinavien schon jetzt ein durchaus rentables Geschäft sein kann. 24.O-Ton Nämlich die Holländer haben bereits ein Kabel liegen nach Norwegen, das leistet nur 700 Megawatt, also so viel wie ein großes Kraftwerk, das hat aber innerhalb der ersten drei Monate bereits zehn Prozent der Gesamtinvestitionskosten wieder verdient, so attraktiv war dieser Ausgleich der Schwankungen. Das heißt, es gibt starke Indikatoren, dass der Netzausbau eine hochattraktive Geschichte sein wird. Sprecher: ...bei der allerdings die Betreiber von Kohle- und Kernkraftwerken auf der Verliererseite stehen, denn ihr Strom wird immer überflüssiger. Das ist auch ein Grund dafür, dass für den schnellen Ausbau eines europäischen Supernetzes noch viele Widerstände zu erwarten sein dürften. Auch in unseren Nachbarländern: Frankreich klammert sich aus nationalen Interessen noch sehr an seine staatliche, hochsubventionierte Atomindustrie und Polen an seine marode und kaum noch konkurrenzfähige Kohleindustrie. So könnte es sein, dass Deutschland wie beim Ausbau der erneuerbaren Energien auch beim Umbau der Stromnetze eine Vorreiterrolle übernehmen muss. Ein Nachtteil ist das nicht. Atmo Stimmen beim BDEW-Kongress Sprecher: Auf der Jahresversammlung der deutschen Energiewirtschaft in Berlin ist die Umbruchstimmung zu spüren. Aber auch, dass die Interessen sehr unterschiedlich gelagert sind. Zwischen denen, die ihre Besitzstände verteidigen wollen, und denen, die auf neue gute Geschäfte hoffen beim Umbau der Stromversorgung. Auf diese zukunftsorientierten Unternehmer setzt auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen: 25.O-Ton (Videobotschaft) Ich bin sicher, dass die allermeisten Besucher dieses Kongresses wissen, worauf es jetzt ankommt: Darauf, was uns verbindet, nämlich eine Vision: Eine Ressourcen-schonende Wachstums-Strategie für das 21. Jahrhundert. Bei der unser Land als führendes Land zu den Gewinnern gehört. Und die Weichen dafür werden heute gestellt. Sprecher: Rund ein Drittel der deutschen Stromproduktion soll bereits 2020 aus erneuerbaren Energien kommen. Mit den Stromnetzen von heute geht das nicht. Sprecher vom Dienst: Neue Netze braucht das Land Wie der Strom künftig in die Steckdose kommt Eine Sendung von Jan Uwe Stahr Es sprach: Viktor Neumann Ton: Hermann Leppich Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1 1