Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 25. November 2013, 19.30 Uhr Sie sind unter uns Die Reservisten der Bundeswehr der Zukunft Von Heiner Kiesel Musik 1: Detroit Philharmonic Orchestra: Aaron Copland: Fanfare for the Common Man Geräusche: Marschieren, Üben, Manöver, darüber: O 0 Intro: (Passant 6) Und... was sind das für Leute? Sind die auf Reserve oder... Reservisten, gibt's das heute überhaupt noch? (Oliver Eckstein) Nach der Auflösung der Heimatschutzverbände seinerzeit hingen wir ein bisschen in der Luft... (Peter Schelzig) Diese Reservisten und Reservistinnen müssen uns länger zur Verfügung stehen... (Christian Mölling) Die Reserve wird damit in den Teilen die übrigbleiben zur Folklore, ja. Sprecher: Sie sind unter uns Die Reservisten in der Bundeswehr der Zukunft Ein Feature von Heiner Kiesel Atmo 1 Biwakplatz Atmo 2 Geschirranlegen, Karabiner. OT 1 Hauptfeldwebel Ingo Nötzel: So alle Halbkreis!! OT 2 Hauptfeldwebel Ingo Nötzel: Der Stabsfeldwebel Pietta tut dann hinten eine Seilrutsche aufbauen, dass ihr dann mit der Winde runterfahren könnt und das Gefühl mal habt, wie es ist da runterzufahren. Autor: Ein nebelgrauer Samstagmorgen in der Rhön. Drei Dutzend Männer in Tarnfleckuniformen der Bundeswehr stellen sich um einen Hauptfeldwebel auf, der ihre nächste Aufgabe beschreibt: Abseilen in einem Tragetuch. Verletzte in schwierigem Gelände retten. Der Ton ist kollegial, die Zuhörer sind entspannt, aber aufmerksam. Es sieht nach Bundeswehr aus, aber es sind keine aktiven Soldaten. Reservisten im Freizeiteinsatz. Drei Tage Campen für Erwachsene - nur spartanischer. Einer aus der Gruppe deutet auf die grünen Mannschaftszelte am Rand. OT3 Julian Wünsch: Kalt, ein wenig nass - ab und zu hat man einen Tropfen abbekommen. Feldbetten, der Schlafsack ist in eigener Regie mitzubringen, die Nacht war recht kalt trotz der Jahreszeit, aber es ließ sich aushalten. (Lachen) Autor: Ein Wochenende in der Natur, das geht auch komfortabler. OT 4 Reinhold Fröhlich: Das hätte den Reiz wohl net, den Reiz auch zu diesem Zeitpunkt mal heraußen in der freien Natur zu sein und praktisch für das Vaterland tätig zu sein. Da ist schon auch ein wenig Idealismus dabei. A 3 Laufen flach/steil M2: Clint Eastwood: Flag Rising, Flags of Our Fathers, Autor: Der Trupp macht sich auf zu den Basaltfelsen im Wald. Das Abenteuer wartet. Ein Zivilleben haben, trotzdem dem Vaterland dienen, in Uniform und unter Gleichgesinnten. Das hat Zukunft. So sieht es das Verteidigungsministerium, so sieht es Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Und dieser Generalleutnant soll es wahr machen. OT5 Peter Schelzig: Peter Schelzig, seit 1. Mai der Stellvertreter des Generalinspekteurs. Der Generalinspekteur ist der höchste truppendienstliche Vorgesetzte aller Soldaten und in dieser Linie stehe ich als sein Vertreter. Als besondere Aufgabe übernehme ich da für ihn die Verantwortung für die Reservisten. Ich bin sein Beauftragter für die Reservisten der Deutschen Bundeswehr. Sprecherin: Schelzig hat sein Büro im Berliner Sitz des Verteidigungsministeriums, dem Bendlerblock. Hier wurde die Devise "Breite vor Tiefe" für die Reform der Bundeswehr ausgegeben. Die deutschen Streitkräfte sollen danach irgendwie noch alles können, aber nicht mehr alles mit der gleichen Ausdauer - die Militärs sprechen da von Durchhaltefähigkeit. Die Neuausrichtung der Bundeswehr: Weniger Soldaten, die Verteidigung Deutschlands weit weg am Hindukusch und anderswo, Blauhelmeinsätze. Dazu die Aussetzung der Wehrpflicht, Sparzwänge. Das verursacht Lücken. General Schelzig soll sie mit Reservisten füllen. OT6 Peter Schelzig: Also weg von einer Reserve, die der Bundeswehr diente um schnell aufzuwachsen im eigenen Land, schnell verfügbar zu sein - hin zu einer einsatzorientierten Armee, die auch einsatzorientierte Reserve hat. Ich denke mal, das ist der große Unterschied und deswegen haben wir im letzten Jahr auch eine neue Konzeption der Reserve geschrieben, beziehungsweise der Minister hat sie unterschrieben, letztes Jahr im Februar. Musik 3: Thomas Newman: Jarhead: Welcome to the suck Sprecherin: Um die 400 Mann, also rund sieben Prozent der Truppe im Auslandseinsatz sind Reservisten. Andere ersetzen ihre Kameraden, die fort müssen, machen Urlaubsvertretungen, bessern Landepisten aus, machen Verwaltungsarbeit in den Stäben. 36.000 Gelegenheits-Soldaten, für die es einen fest geplanten Dienstalltag gibt. Neu ist, dass den Reservisten künftig eine zentrale Rolle im Heimatschutz zugewiesen wird, also bei der Landesverteidigung, der Abwehr von Terroristen und der Katastrophenhilfe. Und in den vergangenen Monaten sind eigens 30 neue Kompanien mit Reservisten aufgestellt worden, die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte, kurz RSU-Kräfte. Insgesamt 3.000 Mann. So etwas Ähnliches gab es bis 2007 schon einmal, damals wurden die Heimatschutzverbände aufgelöst. Diese Einheiten der Reservisten hielt man für überflüssig. Jetzt dürfen sie diese Aufgabe wieder schultern. Heimatschutz: Atmo 4 Parcour Autor: Ein Kiefernwald in Brandenburg. In Fünfergruppen hasten sie über einen Hindernisparcours. Mit vollem Gepäck und geschulterter Waffe. Teilnehmer der Deutschen Reservistenmeisterschaft. In diesem Jahr ist sie so etwas wie die Leistungsschau der neuen RSU-Kompanien. Schießen, Kleiderschwimmen. Es gibt Stationen, an denen Sandsäcke gestapelt und Brandopfer versorgt werden. Gehört auch dazu - Begeisterung ist aber vor allem bei den militärischen Aufgaben zu spüren. Atmo 5 Zieleinlauf/Atmo 6 Schnaufen/Stimmen (ein Take) Autor: Stabsunteroffizier Oliver Eckstein, im Zivilleben Student und Start-Up-Unternehmer, hat sein Team über die Ziellinie gebracht. OT 7 Oliver Eckstein: Ja, man bemüht sich sehr, die Reservisten wieder einzubinden. Auch die Terminologie ändert sich, dass man nicht mehr Reservist, sondern Teil der Reserve ist, die wiederum elementarer Bestandteil der aktiven Truppe ist und die unterstützt, weil viele Bereiche von der aktiven aus verschiedenen Gründen gar nicht mehr geleistet werden können. Nach der Auflösung der Heimatschutzverbände seinerzeit hingen wir ein bisschen in der Luft und jetzt versucht man den Reservisten wieder eine militärische Heimat zu geben, dass sie wieder in den aktiven Truppenalltag eingegliedert werden und nicht nur so - wie es manche auch mal kolportieren - Soldaten zweiter Klasse sind, was eh nicht der Fall ist. Atmo 7 Schießen Autor: Zufrieden ist auch Gerd Kropf. Der Brigadegeneral und Verantwortliche für die Reservisten beim Kommando Territoriale Aufgaben steht gut zwei Kilometer weiter auf dem Schießplatz und blickt ernst in Richtung Schützen. Er braucht sie. Die Hälfte seines Kommandos besteht aus Reservisten. OT 8 Gerd Kropf: Ich beobachte grundsätzlich hier, dass diejenigen die angetreten sind zur Meisterschaft hervorragend fit sind, geistig und körperlich. Ich beobachte aber auch, dass wir Nachholbedarf haben bei denjenigen Reservisten, die weniger Zeit haben zum Üben. Und hier müssen wir nachsteuern durch Ausbildungsinhalte und - angebote. Musik 2 Flag Rising Sprecherin: Die fitten und auch die unfitten Reservisten haben noch eine Aufgabe, die in den Augen der Planer im Verteidigungsministerium immer wichtiger wird: Eine Art Dauer- PR für die Sache der Bundeswehr. Mittler in die Gesellschaft, heißt das in der Konzeption. Früher gab es überall Kasernen, Wehrpflichtige verbreiteten flächendeckend ihr Wissen von der Truppe. Heute befürchtet die Bundeswehr, dass ihre Akzeptanz in der Bevölkerung schwindet, weil keiner mehr Bescheid weiß. Was bleibt - so die Sorge - ist gerade mal freundliches Desinteresse. OT 9 Peter Schelzig: Wir werden ja auch immer weniger. Also denke ich, ist es wichtig, die Reservisten in den Regionen in denen sie verwurzelt sind, an uns zu binden, um der Gesellschaft vermitteln zu können: Was ist die Bundeswehr eigentlich? Und was man nur im Fernsehen sieht, wenn was in Afghanistan passiert. Oder - Gott sei Dank! - wenn wir sie bei einer Katastrophe haben, dass wir sie im Heimatland haben, um den Leuten zu helfen. Aber darüber hinaus wird das weniger und auch hier spielen die Reservisten eine ganz wichtige Rolle für uns. Musik 3 Welcome to the Suck Sprecherin: General Schelzig stößt bei den Reservisten auch damit auf viel Zustimmung. Endlich wird ihre Rolle in der Gesellschaft angemessen gewürdigt. Nur - hin und wieder gibt es Anlass, daran zu zweifeln, dass die Reservisten die optimalen Mittler sind. Da gibt es Webseiten von Reservistenkameradschaften, auf denen zu lesen ist, was man im Wüstenkrieg, damals, hätte besser machen können. Ein streckenweise ehrendes Andenken der Hitler-Wehrmacht. Der Reservistenverband bemüht sich darum die Rechtsextremen aus seinen Reihen zu entfernen. NPD-Mitglieder mussten ihre Mitgliedsausweise abgeben. Reservisten bieten auch mal aufregende Fahrten für Kinder im historischen Kettenfahrzeug und es werden Jugendfreizeiten in der Verbandszeitschrift präsentiert unter dem Titel "Angetreten zum Ferienspaß". Und währenddessen haben große Teile der Bevölkerung schon vergessen, dass es diese Reservisten und Mittler der Bundeswehr in die Gesellschaft überhaupt noch gibt. Atmo 8 Straße mit Trompeter O 10 Voxpop: Passant 1: Ich bin kein Reservist der Bundeswehr - Kennen Sie einen? - Nö, was ist denn überhaupt ein Reservist der Bundeswehr. P6 Und was sind das für Leute? Sind die auf Reserve oder... Reservisten, gibt's das heute überhaupt noch. Gab's doch früher mal. P17 Reservist ist ja eigentlich....er ist nicht unbedingt....ähm. P18 Ich bin zwar 18 Monate bei der Bundeswehr gewesen, war aber nie Reservist, ich war auch nie bei einer Reserveübung. Sprecherin/Autor: Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr sind (1.) frühere Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die ihren Dienstgrad nicht verloren haben, sowie (2.) sonstige Personen, die auf Grund einer vom Bund angenommenen Verpflichtung zu einer Wehrdienstleistung [...] herangezogen werden können. §1 Reservistengesetz Voxpop (Nachsatz): P18 Ja ist das so? Wenn das so ist, dann bin ich Reservist, oder gewesen. Sprecherin: Strenggenommen gibt es nach dem Gesetz über eine Million Bundesbürger, die zur Reserve gehören. Selbst ungediente Wehrpflichtige müssten im Verteidigungsfall Hilfsdienste leisten. Das Verteidigungsministerium fasst diese Allgemeine Reserve jedoch enger. Immerhin 600.000 sollen es sein, die sich der Bundeswehr noch verbunden fühlten und im Bedarfsfall freiwillig dienen würden. Tendenz fallend. Auch regional gibt es große Unterschiede in Deutschland. Vereinigungsbedingt wenige Reservisten stehen in den ostdeutschen Bundesländern bereit. Die meisten leben in Bayern. OT 12 Voxpop Reservedienst/Arbeit: (1) Aber die gu(ten), die alten Zeiten sind natürlich vorbei, wo der Arbeitgeber gesagt hat: Iss so! Die Bereitschaft beim Arbeitgeber ist schwierig zu vermitteln. (2) Für jeden Arbeitgeber ist es von Vorteil, wenn wir versuchen es am Wochenende zu machen. (3) Man erzählt dann mal was und hat vielleicht auch Bilder davon, aber es ist sehr schwer zu vermitteln, was wir machen. (4) Mal stößt man auf Verständnis, mal auf Unverständnis. Wir haben einen schweren Stand, aber wir bemühen uns, unsere Aufgaben rüberzubringen - gerade gegenüber unseren Arbeitgebern, die uns für diese Veranstaltung ja auch freistellen. OT 13 Peter Schelzig: Diese Reservisten und Reservistinnen müssen uns länger zur Verfügung stehen. In der Regel kommt ein Reservist zu uns für Wochen, zwei drei vier Wochen - es sei denn er geht in den Einsatz. Das ist mittlerweile nicht mehr so einfach, das dem Arbeitgeber zu vermitteln. Ein Reservistendienst, der früher tatsächlich Pflicht war, baut jetzt zunehmend auf Freiwilligkeit. Wir müssen in einen Trialog eintreten mit allen Betroffenen - das ist die Bundeswehr, der Arbeitgeber und der oder die Betroffene, der oder die bei uns Reservist werden möchte. Musik 4 /Geräusch Flappen The Doors - The End (Apoclypse Now) Sprecherin: 22.500 Männer und Frauen verlassen die Bundeswehr jedes Jahr. Peter Schelzig darf davon ausgehen, dass sie der Truppe auch nach ihrem Ausscheiden positiv gegenüber stehen. Bessere finanzielle Entschädigung, stellt sich der General vor und gute Ausbildungsangebote sollen sie locken. Eine Perspektive bei der Lebensplanung. Die jeweiligen Vorgesetzten sollen sich darum bemühen, dass die Botschaft ankommt. Das könnte klappen. Härter muss die Bundeswehr um die Zustimmung der Unternehmer kämpfen. OT 14 Peter Schelzig: So und ich muss mich selbst auch manchmal bremsen was auch realistisch und in naher Zukunft umsetzbar ist und was vielleicht mittelfristig und langfristig umsetzbar ist. Das ist sehr wichtig, dass wir das auch machen, aber am Ziel wollen wir nicht vorbeigehen. Es geht um Professionalisierung. Wir müssen die Leute gewinnen für die Bundeswehr, aber auch für die Reservistenarbeit. Es muss für den Arbeitgeber, für den Soldaten, den Reservisten auch irgendwo attraktiv, ansprechend sein. Sprecherin: Der General denkt über Modelle nach, in denen die "Verfügungsgewalt über einen Arbeitnehmer" stufenweise von der Bundeswehr auf einen Arbeitgeber übergeht. Durch geschicktes Personalmanagement sollen Engpässe vermieden werden. OT 15 Peter Schelzig: Also wenn der Arbeitgeber sagt, vor allem ein mittelständischer Betrieb, der voll in der Produktion steht, weil er einen Auftrag hat, ich kann es mir nicht leisten, weil er einen Auftrag hat, der kann es sich nicht leisten, diesen Arbeitsplatz unbesetzt zu lassen. Also muss man möglicherweise über Modelle nachdenken, wo dieser Arbeitsplatz und gleichzeitig dieser Dienstposten bei der Bundeswehr doppelt besetzt wird. Das sind Modelle, aber wir müssen uns damit auseinandersetzen. Autor: Das habe natürlich alles ein Preisschild, gesteht Peter Schelzig. Der aktuelle Sparzwang lässt vermuten: Es könnte schwierig werden mit der Finanzierung. Aber noch steht man am Anfang mit der Umsetzung der Konzeption der Reserve. Es ist die Zeit der Ideen. OT 16 Peter Schelzig: Ich bin dankbar für jede gute Idee in diesem Zusammenhang und wenn sie verfolgenswert ist, wird sie auch verfolgt. OT 17 Kiesewetter: Damit das von Interesse ist, für die Firmen, die mittelständischen insbesondere, als auch für den einzelnen Reservisten, kann man den Firmen anbieten, dass es in konjunkturell schwierigen Zeiten, Reservisten von der Bundeswehr weiterqualifiziert werden, ohne, dass Kosten für die Betriebe entstehen und damit der Reservist qualifizierter zu seiner Firma zurückkommt. Hier gibt es im Bereich Gefahrgut, Sprachenausbildung, Bürokommunikation hervorragende Angebote, wo die Bundeswehr in nichts den zivilen Arbeitgebern nachsteht, im Gegenteil äußerst moderne Ausbildungsverfahren anbietet. Musik 3: Welcome to the suck Sprecherin: Roderich Kiesewetter darf davon ausgehen, dass seine Vorschläge aufmerksam angehört werden. Der Unionsabgeordnete im Deutschen Bundestag ist Präsident des Verbandes der Reservisten der Bundeswehr. Seine Organisation vertritt 118.000 Mitglieder aus ganz Deutschland und kümmert sich mit Aus- und Fortbildungen um all diejenigen Reservisten, die nicht regelmäßig herangezogen werden. Allgemeine Reservistenarbeit. Der Oberst a.D. freut sich ausdrücklich über die Konzeption der Reserve. Zeitweise zweifelt er, ob sich die einzelnen Truppenteile der Bundeswehr überhaupt richtig um die Reservisten kümmern können. Die kämpfen ja mir ihrer eigenen Neuausrichtung. Trotzdem hofft Kiesewetter, dass mit der Reservistenkonzeption endlich Arbeits- und Dienstalltag der Verbandsmitglieder besser vereinbar werden. OT 18 Kiesewetter: ...dass Soldaten oder Reservisten, die einen solchen Zusatzdienst leisten in der Reserve nicht mehr ihren privaten Urlaub aufopfern, das ist ja eine zum Teil sehr verlogene Vorgehensweise, weil sie sich nicht trauen, dies ihren Betrieben zu sagen. Sondern, dass Soldaten, die eine entsprechende Zahl von Tagen in Wehrübungen aufweisen, dies auf die Lebensarbeitszeit angerechnet bekommen. Das würde die Anreize zum Dienen natürlich erheblich erhöhen. Und das gerade in Zeiten, wo das Thema Altersvorsorge nicht nur Thema an den Stammtischen, sondern auch intensiverer anderer Untersuchungen ist. Geräusch: Flappen Sprecherin: Natürlich hängt auch an Kiesewetters Vorschlägen so etwas wie ein "Preisschild". Doch der Verbandschef denkt daneben über ideelle Anreize nach. OT 19 Kiesewetter: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich Betriebe, die sich hier verdient machen, um die Sicherheit unseres Landes für FW, THW und insbesondere die Bundeswehr Reservisten bereitstellen, besonders ausgezeichnet werden. Zum Beispiel, dass sie getreu unserem Motto "Tu was für dein Land", dass sie ein Zertifikat erhalten, unterzeichnet vom Bundespräsidenten, dieser Betrieb tut etwas für unser Land. Atmo 9 Werkshalle/Gemurmel Autor: Dieser Betrieb würde dann wohl ganz oben stehen auf der Liste des Bundespräsidenten: Die Dr. Herrmann-Unternehmensgruppe. Busverkehr. Fahrdienste, Fahrschule. Unternehmenschef Christian Herrmann steht bei zwei Mechanikern in der Werkshalle, schaut, wie sie an den beiden Kaffeeautomaten schrauben, die sie aus einem aufgebockten weißen Reisebus geholt haben. Herrmann, ein sportlicher Mittdreißiger mit wachen Augen baut auf Ex-Soldaten im Betrieb. OT 20 Herrmann: Ich habe 180 Mitarbeiter, davon sind etwa 80 ehemalige Soldaten der deutschen Bundeswehr und etwa 20 im Dienst der Reserve. Und der Rest hat in andern Streitkräften gedient, sprich in der Volksarmee und dann haben wir noch Mitbürger die aus der ehemaligen Sowjetunion kommen, die waren dort u.U. auch Zeit- und Berufssoldaten. Haben Sie auch Zivildienstleistende? Ja zwei. Autor: Herrmann hat natürlich gedient und ist Oberstabsgefreiter der Reserve. An einem Finger steckt der Wappenring der 2. Kompanie des Wachbataillons beim Verteidigungsministerium. Sein Vater war hoher NVA-Offizier, ein Onkel in der Bundeswehr. Dem Vaterland dienen. 200 Jahre Familientradition, für die Kameraden da sein. Technisches Hilfswerk macht er ebenfalls. Dauereinsatz als Fluthelfer. Herrmann ist aber auch Unternehmer und als solcher verweist er gern auf die Vorteile dabei, Gediente zu beschäftigen. Gute Ausbildung. Klare Ansagen. OT 21 Herrman: Also wir schreien uns hier nicht an. Aber wenn Notfälle sind, dann müssen wir sehr schnell reagieren. Wir sind 24 Stunden einsatzbereit ...und da muss ein Fahrer da sein, da muss ein Omnibus da sein und er muss beim Kunden stehen. Und das kann man nur erreichen, wenn man kurz und knapp die Anfrage stellt und kurz und knapp die Antwort bekommt. Autor Vielleicht nicht der typische deutsche Betrieb, um über die Probleme zu reden, die Reservisten in der Belegschaft mit sich bringen. Aber selbst für Herrmann, der seine Mitarbeiter gerne für die Bundeswehr freistellt ist es nicht einfach. In manchem Jahr summieren sich die Fehltage aller Reservisten auf 18 Monate. OT 22 Herrmann: Der Gau, es wird eng. Wir haben es jetzt beim Hochwasser erlebt aber wir haben es hinbekommen. Man muss natürlich das Verständnis bei den anderen Mitarbeitern auch suchen. Dass die dann im Prinzip für die anderen Mitarbeiten müssen, mit dienen würde man bei der Bundeswehr sagen. Oder nehmen wir Auslandseinsätze, das ist dann genau das Gleiche. Wenn ein Mitarbeiter für vier oder sechs Monate im Ausland wäre, dann muss der ersetzt werden. Autor: Es wäre eine gute Idee, wenn die Bundeswehr beim Ersatz helfen könnte, meint Herrmann und es würde ihm viel nützen, wenn ihm als Unternehmer gesagt würde, welche Aufgaben seine Leute eigentlich übernehmen. Mehr berufliche Fortbildung während der Wehrübungen wünscht er. Und die Sache mit der Auszeichnung durch den Bundespräsidenten? Herrmann tippt auf sein Revers. Ehrenkreuz der Bundeswehr. OT 23 Herrmann: Ach nee, Orden hab ich genug, danke! Nein, ich meine, vernünftige Kommunikation wäre schon viel wert. Musik 5 : Thomas Newman: Jarhead, Desert Storm Sprecherin: Die Reservisten der Bundeswehr, sie sind unter uns, aber sie werden immer weniger. Ihr Verbandschef Kiesewetter und der für sie zuständige General Schelzig kämpfen beide gegen den Zeitgeist, wenn sie diese Entwicklung bremsen wollen. Dabei ist es gar nicht so, dass die Bundeswehr irgendwie als Ganzes abgelehnt würde. In Umfragen sprechen ihr die Deutschen hohes Vertrauen aus - mehr als dem Bundespräsidenten. Es sieht auch nicht so aus, als ob die Bereitschaft, sich für die Gemeinschaft zu engagieren verschwindet: 100.000 im Bundesfreiwilligendienst, große Nachfrage zum Freiwilligen Sozialen Jahr, 400.000 Ehrenamtliche beim Roten Kreuz, eine Million bei der Freiwilligen Feuerwehr. Es wird geübt, geholfen und unterstützt. Ohne Waffen und Tarnfleck. OT 24 Reiner Pommerin: Wenn Sie das Gefühl haben, ich habe nur mich liebende Nachbarn, die alles mit mir teilen werden, dann ist die Bereitschaft, Militär zu bilden verständlicherweise gering. Wenn es also Bedrohungsperzeptionen gibt, wie sie vielleicht im kalten Krieg vorhanden waren, dann ist es natürlich leichter, Soldaten und natürlich Reservisten zu gewinnen. Indem die unmittelbare Bedrohung nicht mehr so sichtbar ist. Wird das natürlich schwieriger - unabhängig natürlich von dem Abschaffen Wehrpflicht, die es ja in vielen Staaten nicht gibt - aber auch dort gab es immer Reservisten. Menschen, die sich freiwillig meldeten, um im Falle des Falles zur Verfügung zu stehen. Bedrohungsperzeption und die Bereitschaft zu dienen als Reservist sind eng miteinander verbunden. Musik 6: Georg Solti: Siegfried, Vorspiel erster Akt Autor: Reiner Pommerin, der Militärhistoriker und Sprecher des Beirats Innere Führung der Bundeswehr erinnert an die Zeiten, in denen die Armeen des Warschauer Paktes in Schach gehalten werden sollten. OT 25 Reiner Pommerin: Ja ich habe mir extra noch ein paar Zahlen besorgt, welchen Umfang das gehabt hat, wenn man von der Präsenzarmee zur Mobilmachungsarmee überwechseln musste. Da gab es eben die Teilstreitkräfte: Die Marine brauchte 30 Prozent Reservisten, die Luftwaffe 50 Prozent, das Heer fast 60 Prozent. Man kann also sagen, von den 1,3 Millionen waren über 800.000 Reservisten. OT 26 Konrad Adenauer: Wir werden dieses Ziel erreicht haben, wenn die gemeinsame potentielle Abwehrkraft der Verbündeten zu jedem Zeitpunkt ein zu großes Risiko für jeden möglichen Angreifer bedeutet. Musik 7 Holst: The Planets, Op.32 - 1. Mars, The Bringer Of War Sprecherin: Militärgeschichtlich ist der Reservedienst relativ jung. Er begann Ende der napoleonischen Kriege mit einem Engpass. Um die von Frankreich aufgezwungene Truppenbegrenzung zu umgehen, verfiel der preußische General Scharnhorst auf die Idee, rasch immer neue Rekruten auszubilden und sie gleich wieder zu entlassen. Diese "Krümper" wurden im Kriegsfall dann einberufen und sorgten für die nötige Kampfkraft. Im Kaiserreich wurde der Reservedienst mit vaterländischem Pathos aufgeladen und ermöglichte sogar den gesellschaftlichen Aufstieg. Als Hauptmann oder Leutnant der Reserve konnte auch ein Bürgerlicher in gehobenen Kreisen reüssieren. OT 27 Reiner Pommerin: Diese übersteigerte Wertschätzung in der wilhelminischen Zeit wird natürlich sich niemand zurückwünschen und ich finde es natürlich gut, dass der Status in der Gesellschaft nicht durch den Rang eines Reservedienstgrades mitbestimmt wird. Ich habe als Student mich eher dafür verteidigen müssen, wenn ich für das Studentenparlament kandidiert habe, dass die Leute sagten: Du bist doch so ein netter Kerl, warum bist du denn Reserveoffizier, obwohl ich mir vorstelle, dass es den einen oder anderen gibt, der das toll fände, wenn jemand vom Bürgersteig ginge, wenn er kommt, aber das dürften Einzelfälle sein. Autor: Immer stand mit der Wehrpflicht und den Reservisten die Frage im Raum, ob da nicht eine Bevölkerung durch die Obrigkeiten beeinflusst und diszipliniert werden sollte. Andererseits fürchteten die Führungsstäbe des Militärs, dass sie mit liberalem Gedankengut unterwandert werden könnten. Aus dieser Angst ist nach dem zweiten Weltkrieg eher so etwas wie eine Hoffnung geworden. Die Skepsis auf bürgerlicher Seite ist aber noch da. Was machen die da, bei ihren Wehrübungen, in ihren Reservistenzirkeln? Musik: Fanfare for the Common Man OT 28 Reservist Oliver Eckstein: Ich sehe mich nach wie vor im Dienst Deutschlands und zwar auch als nichtaktiver Soldat und zwar bis zu dem Alter, das mein Dienstherr mir gesetzt hat und in diesem Rahmen ist es mir möglich Deutschland zu unterstützen. OT 29 Voxpop Da will man eigentlich gar keine Berührungspunkte mit haben. Vielleicht ist es notwendig, wir wissen es nicht. P1: Wir wissen es nicht? Wir wissen es schon: Es ist nicht notwendig. Da gibt es Leute, die haben Spaß am Militärischen, die haben ja jetzt wieder so eine Schlacht nachgestellt. Da gibt es halt so Leute, die haben Freude dran, ein bisschen Krieg zu spielen. OT 30 Klaus Obermaier: Was das tragende des Ganzen ist: Die Kameradschaft und dass man eine wichtige Aufgabe macht. Das im zivilen Umfeld zu vermitteln, ist nicht einfach. Was macht man eigentlich. Viele sagen man hüpft durch den Wald uns spielt Krieger. Aber das ist es nicht. Wenn man da beim Hochwasser die Pumpe wieder zum Laufen bringt und der alten Dame der Keller nicht vollläuft... Man ist selbst erleichtert, die Frau schaut einen an als großen Helfer. Es ist einfach wunderbar, dass man helfen kann. Musik/Geräusch: Flappen, ggf. zum Outro hin ausspielen OT 31 Mölling: Die Gesellschaft bewegt sich weg von der Reserve und von der Bundeswehr und die Reserve wird in den Teilen die übrigbleiben zur Folklore, ja, das ist so. Sprecherin: Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik beschäftigt sich vor allen Dingen mit Außen- und Sicherheitspolitik. Er versucht die Reserve wie sie ist und wie sie sein soll aus einer strategischen Perspektive einzuschätzen. Zur Landesverteidigung im herkömmlichen Sinn wird sie in absehbarer Zeit kaum gebraucht, ihre militärische Verwendung im Auslandseinsatz erscheint ihm schwierig umzusetzen. Was bleibt? OT 32 Mölling: Natürlich ist es, wenn sie sich die Hochwasserkatastrophen in diesem und im letzten Jahr ansehen, sind da viele Reservisten, die man dafür einziehen kann und das ist natürlich hilfreich und sinnvoll und hilft auch der Bundeswehr, weil es ihr ein positives Bild gibt, aber Katastrophenschutz kann man auch anders organisieren. Autor: 30 Milliarden Euro jährlich sind im Gespräch, wenn es um die Bundeswehr und ihre Reserve geht. Eine Armee, die vor allem nicht eingesetzt wird. Die Bevölkerung scheint das so zu wollen, die Bundesregierung handelt dementsprechend. Die Reserve neu denken, über ein Feigenblatt für die geschrumpfte Bundeswehr hinaus? Christian Mölling hat einen Vorschlag: OT 33 Mölling: Wir haben neben der Bundeswehrreserve eine große Masse von Leuten, die Hilfsdienste leisten, die derzeit wesentlich näher an der Konzeption deutscher Außen- und Verteidigungspolitik sind, nämlich nicht militärisch zu intervenieren, sondern Hilfsleistungen zu erbringen, dass an sich fragen muss, warum wir nicht viel intensiver aus den Menschen, die dazu bereit sind, einen internationalen Hilfskorps auf, mit dem Geld, dass der Staat dafür bereitstellt. Damit dienen wir den derzeit nach vorne getragenen Interessen einer Bundesregierung mehr, als damit Geld in eine Armee hineinzustecken und damit auch in eine Reserve hineinzustecken, die wir eigentlich gar nicht einsetzen wollen. Sprecher v. Dienst: Sie sind unter uns Die Reservisten in der Bundeswehr der Zukunft Ein Feature von Heiner Kiesel Passant : Ich bin leider kein Reservist, aber warum sind sie denn auf der Suche nach Reservisten? (Weil ich ein Feature über Reservisten mache. Es gibt theoretisch über eine Million in Deutschland und ich habe gedacht, ich müsste doch mal einen finden) Ich weiß nicht, ob Kreuzberg da der richtige Ort ist um zu suchen Es sprachen: Julia Brabandt und der Autor Ton Ralf Perz Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2013 1