COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Geier und Ginseng Walsrode in der südlichen Lüneburger Heide Von Michaela Gericke Sendung: 03. März 2012, 15.05h Ton: Alexander Brennecke Regie: Karena Lütge Redaktion: Claus Bredel Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 REGIE Jingle und Kennmusik SPRECHER ... jetzt, da die Zeit herankommt, dass die Heide sich zum Frühlingsfeste rüstet, nun sie ihr fröhlichstes Kleid anlegt, da bleibt sie allein für sich, denn die Menschen in der Stadt haben keine Kunde davon, wie lieblich sie ist in ihrer Bräutlichkeit. Wie ein stilles, halb verlegenes, halb schalkhaftes Lächeln in einem schönen, ernsten Frauengesicht ist das Aufwachen des Frühlings im Heidlande, langsam bereitet es sich vor, fast unmerklich tritt es in Erscheinung durch schüchtern sprießende Gräser, verschämt hervorbrechende Blättchen, zaghaft sich öffnende Blüten, bis nach und nach die Büsche und Bäume sich voll begrünen und jede Wiese ein einziges Blumenbeet ist. AUTORIN: Die Heide - aus der Sicht des Heimatdichters Hermann Löns. Mein buntes Buch nannte er 1913 seine Beobachtungen in der Natur. Es ist eines von vielen, in denen er Fauna und Flora beschrieb. Hermann Löns, geboren am 29. August 1866 im westpreußischen Kulm, gestorben 1914 als freiwilliger Soldat in der Nähe von Reims. Der Schriftsteller, Journalist, Naturliebhaber und Jäger war manches Mal Gast im niedersächsischen Walsrode, wo er alljährlich gefeiert wird - und gleichzeitig in Vergessenheit gerät. REGIE MUSIK Akkordeon Golden Oldies Lied von der Heide ..../ darauf ... REGIE O TON 1: ('28) Stephan Heinemann meiner Meinung nach spielt er keine große Rolle mehr. es ist sicherlich 'ne Generationsfrage, dass die Generation 60 plus sicherlich mit ihm noch was anfangen kann, mit seinen Werken, aber die Jüngeren werden zu ihm nichts mehr sagen können, er wird in der Schule nicht mehr behandelt, was vor einigen Jahrzehnten noch der Fall war, aber ich denke, es ist im Grunde nur noch der Verein, der die Fahne hoch hält, aber im öffentlichen Leben ist er nicht mehr präsent. Sprecher v. D.: Geier und Ginseng - WALSRODE - in der südlichen Heide Eine Deutschlandrundfahrt mit Michaela Gericke REGIE ATMO 1: Zugfahrt AUTORIN Von Hannover aus rauscht Erixx Richtung Heide, und das seit Dezember 2011. Erixx hat die "Heidebahn" abgelöst, ist schneller als sie und beglückt damit viele Pendler. REGIE ATMO 1: Ansage: nächste Station Walsrode .... AUTORIN: Die Hermann - Löns - Stadt heißt es in blauen Buchstaben auf grauem Grund unterm Stationsschild Walsrode. Das alte Bahnhofsgebäude ist mit Graffiti besprüht und wirkt vollkommen verwaist; von hier aus geht es linkerhand über das Flüsschen Böhme ins Zentrum der Kleinstadt mit ihren knapp 25 000 Einwohnern. Höchstens ein, zwei Geschosse hoch sind die Häuser, manch schönes Fachwerk steht seit Jahrhunderten. Die Hermann-Löns-Straße beginnt am anderen Ende der Innenstadt, an einem großen alten Baum. Gleich daneben steht der kleine Mann mit Hut und Hund aus Bronze. In der linken Hand hält er ein Gewehr, in der rechten einen Schreibblock und einen Stift. Um seinen Hals hängt ein Fernglas, die Jacke ist bis oben zugeknöpft, ein Schnurrbart bedeckt die dünne Oberlippe und tiefe Falten ziehen sich im schmalen Gesicht von den Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln. Froh sieht er nicht aus, der Löns, eher ein wenig verkniffen. Die Bronzefigur ist klein, aber lebensgroß. Er war ja nur einen Meter sechsundsechzig groß, sagt Monika Seidel. Sie ist seit vielen Jahren Vorsitzende und seit 2009 Präsidentin des Verbandes der Hermann- Löns-Kreise in Deutschland und Österreich. Um die Figur in Auftrag geben zu können, hat sie gekämpft und schließlich Spenden gesammelt. Monika Seidel - eine entschiedene Verfechterin des Dichters: REGIE O TON 2: ('46) Monika Seidel Er war hier ganz viel und Löns hat in seinen Büchern das oft erwähnt, Walsrode, hat hier aus der Ecke viel geschrieben, ... und er war jede freie Minute hier. er hat in Hannover gearbeitet, hat ja die Zeitung dort mitbegründet und war an den Wochenenden und manchmal ne Woche, 14 Tage hier in der Heide, er liebte die Heide und er hat ... in Bremen vor über 400 Lehrern, als er ne Lungenentzündung hatte, diese berühmte Rede "Der Naturschutz oder Naturschutzphrase" gehalten .... oder er sagte die Industrialisierung rast im 100 km Tempo durch die Heide, der Naturschutz geht knickebeinig hinterher. das sind so berühmte Aussprüche, oder erst stirbt der Mensch, dann die Natur. das ist alles aus dieser berühmten Rede. AUTORIN: Mit einem Bürgermeister, der es wagen wollte, die Tafel am Bahnhof abzuschaffen und der überhaupt Die-Hermann-Löns-Stadt als Aushängeschild für Walsrode in Frage stellte, hat Monika Seidel, als sie noch Walsroder Ratsfrau war, regelrecht Krieg geführt, erzählt die sportliche, und energisch burschikose Frau, die immerhin schon 72 Jahre alt ist. Seidel hat einen Jagdschein in der Tasche, singt in der Kantorei, spielt Klavier und auch Akkordeon: zum Beispiel in der Gruppe Golden Oldies: REGIE ATMO 2: AKKORDEON AUTORIN Monika Seidel führt an diesem kalten Wintertag zum Freilichtmuseum auf der Hermann Löns Straße: Das Heidemuseum ist das erste in der Reihe der traditionellen Heidehäuser, die hierhin versetzt wurden. Ein Rauch-, ein Bienen-, ein Backhaus - typische historische Fachwerk- Gebäude der Region. Das Heimatmuseum ist mit Reet gedeckt, REGIE ATMO 3 aufschließen AUTORIN drinnen im Saal ist es eisig kalt, kein Holz glimmt in der Feuerstelle, im Dunkeln stehen ein Spinnrad, ein Webstuhl und andere Geräte aus der traditionellen Landwirtschaft. REGIE ATMO 4: Aufschließen und Stufen hinauf AUTORIN Monika Seidel steigt die Treppe hinauf ins Obergeschoss, deutet auf die Bilder des Bordesholmer Altars, den der in Walsrode geborene Hans Brüggemann im 16. Jahrhundert schnitzte. Am anderen Ende des Saales öffnet sie noch einmal eine Tür: Dahinter verbirgt sich ein mit antiquarischen Möbeln eingerichtetes Zimmer. REGIE O TON 3: ('8) Monika Seidel: Und hier ist Hermann Löns zu Hause gewesen, das sind seine Möbel von Bückeburg und Hannover, aus der Zeit. AUTORIN Langsam: 1892 kam Löns das erste Mal nach Walsrode, zu Hause war er hier allerdings nicht; man kannte ihn vor allem in Bückeburg und in Hannover. Station machte er auch in Berlin, Davos, Innsbruck, Wien, Zürich, Wiesbaden, Münster und Wesel. Das Zimmer hier ist inszeniert. Die Dinge darin sind aber alle aus dem Nachlass des Dichters und Schriftstellers, versichert Monika Seidel: Ein Sofa mit Samtbezug, ein Sekretär, ein Teppich, viele Zeichnungen aus seiner Hand, jede Menge Bücher hinter Glas: Auf beinah jedem Buchrücken steht der Name Hermann Löns: REGIE O TON 4: (,'9) Monika Seidel Löns war unheimlich fleißig, das bekannteste ist der Wehrwolf, er hat aber auch den kleinen Rosengarten geschrieben, diese vielen Gedichte, die dann vertont wurden. .... SPRECHER / CLAUS! : Der Rosengarten Ich weiß ein Garten hübsch und fein, da blüht ein rotes Röselein; Und darum ist ein Heckenzaun, im Sommer grün, im Winter braun. Und wer das Röslein brechen will, muss kommen stumm, muss kommen still; Muss kommen bei der dustren Nacht, wenn weder Mond noch Sternlein wacht. Ich wollte meinem Glück vertraun, stieg heimlich übern Gartenzaun; Das rote Röslein war geknickt, ein andrer hatte es gepflückt. Das Gärtchen ist nun kahl und leer, das rote Röslein blüht nicht mehr; Betrübt muss ich von weitem stehn und nach dem Rosengarten sehn. AUTORIN Löns, ein Mann mit zwei Gesichtern: zärtelnder Dichter und gleichzeitig enorm kampflustig; ein Kriegsfreiwilliger. Löns: ein faustischer Typ, so beschreiben ihn Biografen. Nicht zufällig hieß eines seiner letzten Bücher: Das Zweite Gesicht. Viel Autobiografisches ist darin zu finden, über den Mann, der die Heide liebte, die Frauen, den Alkohol und das volkstümlich Germanische. "Der Wehrwolf" - erschien zum ersten Mal 1910: Ein Roman, der in der Zeit des Nationalsozialismus Bestseller und den Flak-Helfern und Hitlerjungen mit in den Zweiten Weltkrieg gegeben wurde. "Der Wehrwolf": laut Löns eine "Bauernchronik" aus dem Dreißigjährigen Krieg; Hermann Löns wetterte damals bereits gegen Kritiker: Sein Wehrwolf - mit H geschrieben - habe nichts zu tun mit dem zum Tier werdenden Menschen. SPRECHER: "... Dass das weiter nichts bedeutet, als dass Harm Wulf sich wehrt, da kommt kein Mensch drauf. Faseln sie da alles mögliche zusammen" AUTORIN Doch auch im Wehrwolf von Löns wird gemordet und geschlachtet, der Mensch zu Hackfleisch gemacht, dass es den Leser nur so graust. SPRECHER: Zitat: "Junge", sagte der alte Mann, "das war ein Spaß! Was haben wir die krummen Hunde geweift! So Stükker zwanzig habe ich allein vor den Brägen geschlagen, daß es nur so ballerte, denn sie hatten alle Kappen aus Blech auf. Na, und denn habe ich zum Andenken die blanken Kümpe mitgebracht. Machen sie sich da nicht fein?" Mit den Römern waren die Bauern bald fertig geworden, aber dann kam der Franke, und der war zähe wie Aalleder. Holte er sich heute auch eine Jacke voll Schläge, morgen war er wieder da. Ein Wulf war dabei gewesen, als Weking das fränkische Heer am Süntel zu rohem Mett hackte, aber zwei von den Wulfsbauern waren auch unter den Männern, die Karl an der Halsbeeke bei der großen Fähre wie Vieh abschlachten ließ. Als darauf alles, was ein Messer halten konnte, ihm an den Hals sprang, waren auch drei Wulfs dabei; sie waren nicht zurückgekommen. ..... ... der Wulfsbauer hatte beizeiten Wind gekriegt und die Frauensleute, die Kinder und das Vieh und alles, was Geldeswert hatte, im Bruche geborgen; er selber aber und seine Leute hatten sich mit den anderen Bauern zusammengetan, und wo sie einen Haufen Fußvolk oder Reiter trafen, denen ging es schlecht. Über zweihundert von ihnen schossen und schlugen die Bauern tot. Wenn sie sie eingruben, lachte der Wulfsbauer und sagte: "Man soll alle Arbeit mit Freuden tun, vorzüglich, wenn sie sich lohnt"; damit meinte er dann die Waffen und das bare Geld, das die Kriegsleute bei sich hatten. AUTORIN Hermann Löns, der kleine Mann mit Hut und Hund, mit Fernglas und Gewehr, mit Schreibblock und Stift: ein labiler Typ, sagt der Historiker Stephan Heinemann, geboren 1970 in Walsrode. REGIE O TON 5: (1'11) Stephan Heinemann Walsrode liegt ja nun mitten in der Heide und Löns war ja auch mehrere Male als Tourist da und hat sehr viel über die Heide geschrieben, und war einer derjenigen, der dieses Gebiet touristisch erschlossen hat und durch seine Texte sind natürlich viele Ausflügler der nahen Großstädte Bremen und Hamburg Hannover als Sommerfrischler in die Heide gekommen, das ist so ne Art Dankbarkeit, der hat das mit angestoßen. .... es ist im Grunde so, dass die jüngere Generation ihn sehr viel kritischer sieht. Wenn ich mit Leuten aus meiner Generation spreche, die Löns noch als vom Namen her kennen aber ihn als provinziell ansehen oder als deutschtümelnd, und so als verkitschten Naturliebhaber, denn im Grunde ging es ihm weniger um die Bewahrung der Natur, sondern ich denke, er war eher ein Flüchtling, der von Industrie und Technik sich zurückgezogen hat und so ein sehr heimeliges Naturbild, umgeben von Hasen und Füchsen, gepflegt hat. REGIE MUSIK Interpret: FUN HORNS Titel: Der Mond ist aufgegangen CD: Track: 1 Moonday Komponist: Volker Schlott Text: LC/Best.-Nr.: KLANGRÄUME 6035 AUTORIN Gefragt sei der Hermann Löns kaum noch, erzählt eine Mitarbeiterin der Heine Buchhandlung in Walsrode. Ein Laden mit auffallend großen Schaufenstern und überaus geräumig; im hinteren Salon gibt es ein Café mit Leseecke; Wein und Whiskey gehören ebenso zum Sortiment wie etliche Neuausgaben des Heidedichters. Die Buchhandlung ist ein kultureller Treffpunkt. Hier stellt auch Stephan Heinemann seine neuesten Bücher vor. Obwohl er inzwischen in Berlin zu Haus ist, beschäftigt ihn die Geschichte von Walsrode immer wieder: Seit seiner Jugend interessiert ihn ein bis in die 1990er Jahre kaum beachtetes Kapitel der Walsroder Vergangenheit: REGIE O TON 6: (1'09) Stephan Heinemann: 1988, 50. Jahrestag Pogromnacht, ich war damals im Walsroder Gymnasium und es ging im Stadtrat ein Streit um, sollte man an diesen tag erinnern, sollte man nicht, gab es überhaupt Juden in Walsrode oder sollte man nicht. das war so eine Initialzündung, was war mit dem jüdischen Leben in Walsrode, ... ich hab damals angefangen als Schüler Zeitzeugen zu suchen, sie einfach zu befragen. Welche jüdischen Menschen lebten am Ort, was für'n Verhältnis hattet ihr zu denen, was ist aus ihnen geworden und ich hab das später im Studium weiter vertieft. ... und Kontakt zu noch lebenden Familien in England und in Frankreich aufgenommen, und das ganze dann zu meiner Dissertation verarbeitet. .... - von den ersten Ansiedlungen 1714 bis zur Deportation 1943. ... SPRECHER In der niedersächsischen Kleinstadt Walsrode, am südwestlichen Rand der Lüneburger Heide zwischen Hamburg, Bremen und Hannover gelegen, haben über 200 Jahre Juden gelebt und gewirkt. Alles begann mit Abraham Jacobs, der sich am 15. Mai 1714 am Ort niederließ. AUTORIN so schreibt Stephan Heinemann in der Broschüre "ERINNERTE LEBEN" am Anfang seiner "Einblicke in die jüdische Geschichte Walsrodes". Daniel Moses, Edith Hurwitz, Familie Neuberg und Familie Seckel: Sie waren die letzten Juden in Walsrode. REGIE O TON 7: ('52) Stephan Heinemann In den 20er Jahren waren es eigentlich nur noch vier Familien, es war so, dass durch die wirtschaftliche Entwicklung - Walsrode hat erst 1890 einen Bahnanschluss bekommen, und war insofern davor ziemlich abgehängt von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, so dass viele jüdische Familien diese Stadt verlassen haben und im Grunde genommen nach 1900 nur noch vier jüdische Familien Ende des 19. Jahrhunderts dort blieben, die alle ein Textilhandelsgeschäft betrieben haben und einer hat mit Fellen und Altmetall gehandelt. Diese Familien sind dort geblieben, eine konnte emigrieren, einer ist verstorben und zwei sind deportiert worden bzw. nach Bremen und Hannover gezogen und von da aus deportiert worden. AUTORIN Für Edith Hurwitz setzte der inzwischen europaweit bekannte Kölner Bildhauer Gunter Demnig im November 2009 den ersten Stolperstein am Walsroder Kirchplatz ins Straßenpflaster. Der blanke Messingstein mit eingeprägtem Namen, Geburts- und Todesjahr erinnert daran, dass Edith Hurwitz von hier aus vertrieben und schließlich 1943 ermordet wurde. Ihr Haus war bereits in der Reichspogromnacht angezündet worden, "von SA-Leuten", wie es in der Broschüre heißt. REGIE O TON 8: (1'19) Stephan Heinemann Im Grunde hab ich durch meine Arbeit beweisen können, dass die SA Leute durch die Pogromnacht das Haus einer jüdischen Geschäftsinhaberin in Brand gesteckt haben, dass die aus dem Ort selber kamen. Bis zu dem Zeitpunkt gab es immer noch den Mythos, dass es SA Leute waren, die von irgendwoher kamen und hiernach auch wieder verschwunden sind, dass die Bevölkerung da nichts für konnte und eher davon überrumpelt wurde. Aber dem ist nicht so, denn es waren Walsroder, die zum einen das Haus angezündet haben und ne Absperrkette gebildet haben, es waren aber auch Walsroder, die dann eingeschritten sind und gesagt haben, in diesem Haus sind noch Leute, wir müssen sie rausholen. Allerdings bis heute werden die Namen der Beteiligten nicht genannt von den letzten noch lebenden Zeitzeugen. Sie wissen, wer das war, aber mir gegenüber als Historiker geben sie keine Auskunft. AUTORIN Stephan Heinemann war nach seinen Recherchen ein gefragter Mitarbeiter für das Projekt "Erinnere Dich!", das von vier Schulen in Walsrode initiiert wurde. Alle Beteiligten baten schließlich den Kölner Künstler Gunter Demnig mit seinem europaweit bekannten Projekt der Stolpersteine auch nach Walsrode zu kommen. Viele Schüler haben diese Aktion vorbereitet und waren dabei, sie legten Rosen nieder und schrieben kleine Artikel über die verfolgten Juden in ihrer heutigen Schulstadt. Teilgenommen hat auch die Felix-Nussbaum Schule, eine Hauptschule in der Nähe des Bahnhofs. In einem schlichten, nicht sehr einladenden Funktionsbau aus den 70er Jahren ist sowohl die Felix-Nussbaum-Schule, als auch die Realschule mit zusammen 800 Schülern untergebracht. Und manche Projekte gelingen gemeinsam: REGIE ATMO 5: Schulfoyer REGIE ATMO 6 : Klassenraum und MUSIK der Band der Realschule REGIE O TON 9: ('22) Schüler auf unsere Schule bin ich richtig stolz, wir sind sehr oft in der Zeitung, weil wir uns engagieren, ... z.B. zur Mahn und Gedenkfeier am 9.November, findet jedes Jahr statt, da halten wir 'ne Rede, die Schüler, wer will, freiwillig, Herr Strack, die Bürgermeisterin. AUTORIN Cinar Tabur und Alexander Kornikov: die Schulsprecher der Felix- Nussbaum Schule. REGIE O TON 10: (1'05) Cinar ich komm eigentlich aus der Türkei, wohn jetzt seit 14 Jahren mit meinen Eltern hier und .... erst war ich auf der Realschule gewesen, dann bin ich runter gekommen auf die Hauptschule. A:C: Ich komm aus Sibirien, meine Oma war Deutsche und mein Vater auch, dann wollte sie irgendwann zurück in ihre Heimat, da hat sie die ganze Familie mitgenommen, so leben wir seit 8, 9 Jahre in Deutschland. ... wurde ich gleich zwei Klassen zurück versetzt, weil ich kein Deutsch kannte und deshalb bin ich jetzt schon bald 18, auf jeden Fall diese Schule ist toll, 1:24 die Lehrer sind alle freundlich, der Schulleiter ist immer offen, hört immer zu, wenn wir Anliegen haben, Sekretärin Frau Wiechers immer freundlich, wir sind hier halt alle immer bisschen zusammen, das ist toll an dieser Schule. Auch wenn man einen Abschluss möchte: die Lehrer helfen auch wirklich, wenn man wirklich irgendwo Probleme hat, die sind immer hilfsbereit. AUTORIN Alexander Cornikow ist nicht nur Schulsprecher, er ist eine Art PR- Mann: Reporter und Fotograf für alles, was die Schule ins Internet stellen möchte. Mediengestalter will er werden und hat mit seinem Realschulabschluss nun gute Chancen, sich dafür weiter zu bilden. Cina mit einem Notendurchschnitt von 2,0 im letzten Halbjahr hofft ebenfalls auf einen Realschulabschluss. Die Felix-Nussbaum-Schule, inzwischen überregional bekannt, entspricht in keiner Weise dem Bild der ins Gerede gekommenen "Hauptschule". Die fast familiäre Atmosphäre spornt zum Lernen an, die Gruppen-Arbeit hat einen besonderen Stellenwert und Schule hier offenbar viel mit dem Leben zu tun. An diesem Tag versammeln sich die beiden Schulsprecher der Felix- Nussbaum-Hauptschule mit einigen Realschülern in einem großen Klassenraum: Sie sitzen im Kreis, damit jeder jeden ansehen kann. Auf dem Fußboden in der Mitte steht ein Karton mit ungezählten Din A 4 Bögen. Eine rote Hand auf weißem Papier ist da auf jedem Blatt zu sehen, und auf der Handfläche in weiß ein kleiner Soldat. Die Aktion red hands soll ein alarmierender Aufruf sein: Kinder als Soldaten einzusetzen, das verstößt gegen Menschenrecht, finden die Schüler, die an diesem Tag Besuch von einem Bundestagsabgeordneten des Landkreises haben. Er will die Kiste mit den vielen roten Händen nach Berlin bringen: REGIE O TON 11: ('33) Abgeordneter Grindel Und alle roten Hände, die dort zusammen getragen werden, werden dann von der Kinderkommission des Deutschen Bundestages, also vom Parlament der UN übergeben. 15:47 weil wir schon glauben, dass das die entscheidende Institution ist, die jetzt versucht, vieles Gutes zu machen im Kampf gegen Kindersoldaten, aber wir wollen, dass diese Anstrengungen verstärkt werden, das soll eine Aufforderung sein. Die Aktion läuft ja auch in andern Ländern der Welt, aber gerade aus Deutschland wollen wir hier einen kräftigen Impuls setzen und das wird zum ersten Mal in dieser Form gemacht ... REGIE O TON 12: ('11) Alex: Kinder sollten Kinder bleiben, solang die noch jung sind, ... im Sandkasten spielen, die Eltern ärgern und nicht mit Knarren durch die Gegend laufen. 4:46 AUTORIN Die Schüler und Schülerinnen haben im Kunstunterricht der vorangegangenen Wochen nicht nur ihre Hände in rote Farbe getunkt und dann auf weißes Papier gedruckt, sie haben auch auf jedes Blatt Botschaften geschrieben: REGIE O TON 13: Alexander ich hab geschrieben, Kinder sollten Kinder bleiben. 6:24 AUTORIN Red hands und "Erinnere Dich!": Nur zwei von vielen Aktionen, mit denen die Schule immer wieder positive Schlagzeilen macht. Im Sommer soll die Felix-Nussbaum-Schule als Hauptschule aufgelöst werden, dann gibt es nur noch die Oberschule in einem gerade entstehenden Neubau, gegenüber dem jetzigen Gelände. Der Name aber, nach dem jüdischen Maler, der in Auschwitz von den Nationalsozialisten ermordet wurde, bleibt; das hofft zumindest Schulleiter Rüdiger Strack: REGIE O TON 14: ('49)Rüdiger Strack Den haben wir uns 1999 zugelegt, ganz bewusst, ... aus meiner Logik heraus kann man diesen Namen nicht untergehen lassen, ... die Realschule hat keinen Namen, es gibt keine Konkurrenz zwischen zwei Namen, mit Felix Nussbaum hat man einen sehr wertvollen Menschen und Namen und wenn man in der Geschichte Nussbaums nachschaut, dann hat der geschrieben, wenn ich untergehe, dann lasst meine Bilder nicht sterben. Dass man in Walsrode den Namen Felix Nussbaum untergehen lässt, das kann ich mir nicht vorstellen, dass das hier passiert, insofern bin ich ganz zuversichtlich, dass die Oberschule ab 1. 8. 2012 Felix Nussbaumschule, Oberschule in Walsrode heißt. AUTORIN Rüdiger Strack, ein großer schlanker Mann mit streichholzkurzem Haar, ist seit 1994 mit dieser Schule vertraut und seit zehn Jahren Schulleiter. Er kommt aus Nordrhein-Westfalen und hat sich in einer kleinen Ortschaft bei Walsrode niedergelassen. Dass er nun ausgerechnet in der Hermann-Löns-Stadt, wie Walsrode sich bezeichnet, seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat, das beschäftigt ihn nicht allzu sehr: REGIE O TON 15: (1'27) Rüdiger Strack Ich persönlich hab mich mit Löns wenig auseinander gesetzt, kenne zwei drei Texte von ihm, aber er hat für mich keine nachhaltige Bedeutung. Dass Hermann Löns trotzdem in der ganzen Bundesrepublik bekannt ist und auch auf Straßennamen in Großstädten danach benannt worden sind, versetzt mich in Erstaunen, und wenn das 'nen Werbeeffekt hat, ist das auch o.k. wir haben es in der Schule nie großartig thematisiert, es liegt vielleicht auch daran, dass der Schulleiter und viele andere auch Zugereiste sind, ... die Identifizierung mit diesem Hermann Löns, der ja auch nicht ganz unumstritten ist, da auch ein bisschen fehlt. Ich selber erachte Hermann Löns als nicht so wichtigen Zeitgenossen, dass wir uns als Schule intensiv mit ihm auseinander setzen müssen, da finde ich es viel spannender, mit Felix Nussbaum sich auseinander zu setzen und mit dem Teil der deutschen Geschichte und zu kucken, was können wir daraus lernen, was können wir in unser jetziges Leben einbeziehen. AUTORIN Und die Schüler ? Was wissen sie vom Heide- und Heimatdichter Hermann Löns? REGIE O TON 16: ('28) Schüler Alexander Wir haben so ne Statue bei uns, glaub ich, ganz sicher bin ich mir nicht, aber wir haben Richtung Schwimmbad da steht ne Statue und ich glaub, mit nem Hund geht er spazieren, weiter weiß ich auch nicht. AUTORIN Das hat Monika Seidel, Präsidentin des Verbandes der Hermann Löns- Kreise in Deutschland und Österreich allerdings schon anders erlebt. Einige Schüler der Felix-Nussbaum-Schule haben mitgeholfen, den zwei Kilometer von Walsrode entfernten Tietlinger Wacholderhain zu pflegen: rund um den großen Feldstein mit den Worten: Hier ruht Hermann Löns. REGIE MUSIK Interpret: FUN HORNS Titel: Der Mond ist aufgegangen CD: Track: 4 Samba behind the moon Komponist: Volker Schlott Text: LC/Best.-Nr.: KLANGRÄUME 6035 Archiv Nr AUTORIN Hermann Löns zog 1914 freiwillig in den Krieg. Eigentlich hätte er nur Reporter sein sollen, aber er wollte unbedingt mitkämpfen: SPRECHER Zitat Löns: Ich bin Teutone hoch vier. Wir haben genug mit Humanistik, National- Altruismus und Internationalismus uns kaputt gemacht, so sehr, daß ich eine ganz gehörige Portion Chauvinismus sogar für unbedingt nötig halte. (Natürlich paßt das den Juden nicht...) AUTORIN Noch im ersten Kriegs-Monat starb Löns durch einen, wie es heißt, Kopf- oder Herzschuss bei einem Sturmangriff in der Nähe von Reims. Monika Seidel, die Präsidentin des Verbandes der Hermann-Löns- Kreise in Deutschland und Österreich, ist kaum zu bremsen, wenn sie einmal anfängt, über Löns zu sprechen, z. B. in der Gaststätte Eckernworth: Hier erinnert an der Fassade eine Tafel daran, dass Löns gern in der Wirtschaft weilte: REGIE O TON 17: (1'58) Monika Seidel Löns ist ja mehrmals umgebettet worden und wenn man so überlegt, dass er in seinen ersten Kriegstagen nach einer Notausbildung hingekommen ist und ist auf dem Feld im Morgengrauen gleich gefallen und ein Krieg hört ja nicht auf, wenn da ein Soldat tot ist, dann ist da viel immer wieder Sand drüber gegangen und bis man ihn dann endlich gefunden hatte, hat man ihn an dieser besonderen Marke erkannt und an diesem Schuh eines deutschen Soldaten. ... und dadurch dass der Pflug da sicher ein paar mal rüber gegangen war, konnte man zunächst nicht einwandfrei feststellen, ist es Infanterie oder Füsilier-Regiment, aber man hat dann anhand verschiedener Merkmale doch gesehen, dass es Löns ist; abgesehen davon ist uns Löns-Freunden das ziemlich egal: ist er es nun wirklich oder ist er es nicht, ... und ist auch nachher als er hier herkam, auf Anweisung Adolf Hitlers hier her gekommen, der wollte den deutschen Dichter hier her holen und .... der Löns war da schon so lange tot, da war kein Fleisch und nix mehr, und als ... der Bestattungsunternehmer, der uns den hier hergebracht hat, da waren das nur noch Gebeine, .... weil er Angst hatte, dass man die womöglich auch noch klauen, hat er die in Speckpapier eingewickelt und ... hat diese Gebeine mitgenommen unters Bett gelegt .... und dann haben sie ihn in der Friedhofskapelle in Fallingbostel aufbewahrt. wusste keiner, wohin damit, .... und dann hat sein Freund Wilhelm Asche gesagt, wenn ich auch dahin komme, dann gebe ich euch ein paar Hektar meines Landes, da könnt ihr ihn begraben, da ist Heide, da gehört er hin...... AUTORIN Die Heide, immer wieder beschrieben von Hermann Löns, der - wie es heißt - unter einem großen Feldstein im Tietlinger Wacholderhain ruht. Nur wenige Meter entfernt hat Löns ein monumentales Denkmal bekommen: aus großen Steinen gebaut. Die Landschaft drum herum: violett im Herbst, Bäume sind hier rar, manche wachsen schief und krumm, sind gebeugt von vielen Stürmen, die über die flache Heide fegen. REGIE O TON 18: ('39) Monika Seidel Um diese Landschaft zu erhalten, die ja ne künstliche ist, ist ja nicht so gewachsen und wir müssen deswegen die Heide pflegen, das machen wir ja auch mit der Felix Nussbaum Schule, die nicht nur das Museum mitpflegt, sondern auch die Heidefläche, sonst kommen die Bäume wieder hoch und dann ist das bald wieder Wald. Und der Wald ist ja draufgegangen, als man die Wildsau entdeckt hatte, die sich in der Salzlache suhlte und das weiße Gold, das Lüneburg bekannt und reich gemacht hat, das war das Holz, was hier überall stand, und dann hat man das abgeholzt, weil man das zum Verbrennen brauchte und zum Schiffbau; Lüneburg ist ja Hansestadt auch. AUTORIN Mittlerweile ist der Heideboden in der Nähe von Walsrode mit einer anderen Pflanze "vergoldet" worden: REGIE O TON 19: ('06) Heinrich Wischmann Also dieser Heidesand ist schon nicht schlecht. 3:00 kann ruhig bisschen Lehm haben, is schon nicht schlecht. AUTORIN Heinrich Wischmann, der Mann mit schlohweißem, dichtem Haar und einer gesunden Gesichtsfarbe, sitzt im Obergeschoss eines alten Fachwerkhauses. Wir sind in Bockhorn, wenige Kilometer von Walsrode entfernt. Die Gaststätte im Erdgeschoss ist an diesem eisigen Wintertag kaum besucht. Umso schneller ist der Service. Jeder Besucher bekommt erst einmal eine Tasse heißen Tee spendiert; jeder, betont Gesine Wischmann, nicht nur Journalisten .... Etwas bitter schmeckt er, der Tee, doch er wärmt. Blickfang in dem geräumigen Saal sind die großen Einweckgläser mit den darin eingelegten gelben Wurzeln. Sie erinnern an Miniatur-Menschenkörper und wirken in den Gläsern aufgereiht wie eine Choreografie aus gelenkigen Tänzern. Deshalb heißt das - an sich - asiatische Gewächs "Menschenwurzel", besser bekannt als Ginseng: Vor 30 Jahren hatte Heinrich Wischmann die Idee, die Pflanze hier in der Heide zu kultivieren: REGIE O TON 20: ('35) Heinrich Wischmann Im Lexikon hab ich einmal gelesen, in alter alter Zeit, dass die Pflanze den damals Herrschenden vorbehalten war, dass sogar die Kaiser oder Könige in China oder sonst wo - die haben Soldaten ausgeschickt, um die Pflanze zu suchen, und sie wurde auch in Gold aufgewogen. Das war das Faszinierende da dran und es fasziniert ja schon, wenn man das liest, ... oder die ganze Aura der Pflanze drehte sich ja darum, dass die sehr kostbar war. Goldne Wasserhähne haben wir auch noch nicht, aber wenn's gut gemacht wird, kann man da auch von leben. AUTORIN Die gesamte Familie arbeitet mit auf der Florafarm Ginseng. Auch Gesine Wischmann, die Tochter, ist an ihren Geburtsort zurückgekehrt, denn die Geschäftsidee Ginseng hat sie überzeugt. Als sie noch Schülerin war, überraschte der Vater die Familie mit seiner Idee: REGIE O TON 21: ('13) Gesine Wischmann Am Anfang hat er das gar nicht gesagt, was er vorhat, und dann fand ich das toll. alle andern Bauern haben mehr Kühe genommen oder mehr Schweine, aber so was Exotisches, das war großartig! AUTORIN Im Hausflur hängen Fotos, auf denen etliche prominente Sportler, Künstler, Politiker zu sehen sind: Sie gehörten oder gehören zum Kundenstamm. Loki Schmidt und ihr Mann Helmut beispielsweise. Aber bis zum Erfolg der Vermarktung der Menschenwurzel war es ein weiter Weg. Heinrich Wischmann schaut aus dem Fenster. In der Ferne liegt eines der Ginsengfelder gerade unter Schnee und erinnert doch an den Anbau von Spragel. Die langen Rillen - schmale Gräben entlang der Pflanzenreihen - sind auch jetzt zu erkennen. Abflussrinnen, damit die Wurzeln nicht unter Wasser stehen. "Der Ginseng schläft jetzt", sagt Wischmann. Lange, hohe Metallstäbe stützen die schwarzen Planen, die vom Frühjahr an vor Sonne schützen. Momentan sind die zusammengerollt. REGIE O TON 22: (1'09) Heinrich Wischmann Der Pflanze müssen Sie einen waldähnlichen Charakter schaffen, sie ist Sonnenlicht empfindlich, die muss abgeschattet werden oder beschattet werden, das muss alles vor der Saat passieren,... da ist auch nichts zu sehen, der obere Teil stirbt wie Laub ab, und der Stängel auch und es kommt ein völlig neuer Trieb im Frühjahr heraus, aber zuerst: es muss gesät werden, im Herbst, im Frühjahr kommt es raus als Sämling, hat zwei Blätter, ganz unscheinbar, und ... sie verändert sich auch nicht mehr, sie hat diese zwei oder drei Blätter und dann ist Schluss, dann wird sie wieder welk und im nächsten Jahr aber, dann mit mehr Blättern, aber auch noch klein. und erst ab drittem Jahr zeigt sie ihre Samen, es kann schon mal passieren, im zweiten Jahr auch schon, aber die Masse der Pflanze kommt im dritten Jahr mit Samen, und so vergrößert sie sich mehr, aber sie wird nicht mehr als 60, 70 cm, dann sind sie schon sehr gut. AUTORIN Im sechsten Jahr hat sie ein optimales Gewicht erreicht, kann aber viel älter werden, erzählt Heinrich Wischmann, der ihr in der Regel sechs Jahre gibt. Das Ergebnis des aufwändigen Anbaus zeigt sich bei der Ernte im Herbst: inzwischen sind das über 1000 Kilo Ginseng-Wurzeln im Jahr, also mehr als eine Tonne. REGIE O TON 23: (1'08) Gesine Wischmann Dann rode ich eigentlich so viel, wie ich den Tag auch aufsammeln kann, wir versuchen das in Schönwetterperioden zu machen, das ist das Schönste, wenn ich weiß, es ist jetzt zwei Wochen lang gutes Wetter, .. und dann wird es an dem Tag oder gleich am nächsten gewaschen, das machen wir hier auf dem Hof, ... Dann kommen sie in einen Trocknungscontainer. die großen können 6 - 8 Wochen brauchen, ... zunächst werden sie kalt getrocknet, nach ein paar Tagen wird umgestellt auf wärmere Luft. aber auch die wird nicht wärmer als 35, 38° C. AUTORIN Viel Handarbeit, viel Geduld, viel Mühe ist mit dem Ginsenganbau verbunden. Gesine Wischmann in ihrem orangen Wollmantel mit riesigen weißen Knöpfen strahlt eine überzeugende Portion Energie aus, nicht zuletzt durch ihre wachen Augen. Kein Wort der Reue, in diese Gegend zurückgekehrt zu sein, die flach ist und menschenarm, aber faszinierend - vor hundert Jahren auch schon für den Heidedichter Hermann Löns: REGIE O TON 24: ('58) Gesine Wischmann (lacht) Hermann Löns ist mir erst bewusst geworden, als ich wieder in diese Region zurück gegangen bin, ... aber in meiner Schulzeit nicht so sehr. aber ich persönlich muss sagen, ich habe, wenn sich diese Region als Hermann Löns Region präsentiert, find ich das für mich zu wenig, das ist für mich nach hinten gewendet und das find ich bisschen schade. REGIE MUSIK Interpret: Titel: In the Mood for love CD: Original soundtrack from the Motion Picture Track: 1 Yumeji's theme Komponist: Shigeru Umebayashi Text: LC/Best.-Nr.: Virgin n.a. Archiv Nr REGIE ATMO 8: KINO Atmo AUTORIN Walsrode am Abend. Capitol heißt das Kino mit langer Geschichte in der Innenstadt. Die Plakate in den Schaufenstern werben für Filme in den Sälen 1 - 4. Und das in einer Kleinstadt, die schon nach Sonnenuntergang und Ladenschluss wie ausgestorben wirkt. Wäre da nicht die schon erwähnte Heinrich Heine Buchhandlung und jenes Kino, schräg gegenüber. Gleich neben der Kasse hängen 3-D-Brillen, altmodische, die schon beim Anblick Kopfschmerzen auslösen, und neueste Modelle für die modernste 3-D-Technik: REGIE O TON 25: ('26) Günther Scheele Alle vier Kinos haben Digitalanlagen, alle 4 Kinos haben 3D und dann haben wir auch zwei versch. Satellitenempfangsanlagen und einige Filme empfangen wir auch schon über Satellit. Nichts mehr in der Hand, nur noch Datenmengen, die hier hin und her bewegt werden .... gehen Sie hier ruhig vorbei, dahinten stehen noch die analogen ... AUTORIN Günther Scheele ist Betreiber des Lichtspielhauses in der dritten Generation. Er macht das mit großem Vergnügen, erzählt er im ruhigeren Büro, nebenan. REGIE O TON 26: Günther Scheele Gegründet ist das Kino 1926 in einem Tanzsaal einer Gaststätte. so ist auf dem Lande überhaupt das Kino entstanden, da war denn schon mal der Saal da, dann wurde 'ne Leinwand eingebaut, dann wurden alle Stühle in die richtige Richtung gerückt, die Tische beiseite geräumt und dann wurde am Wochenende Kino gemacht. So ist in den kleinen Orten überhaupt Kino entstanden, nachher gab's dann auch täglich Vorstellungen. AUTORIN Günther Scheeles Kinoerlebnisse in der Kindheit, das waren Winnetou- und Walt Disney-Filme. Er wusste schon früh, dass er das Kino in Walsrode weiter betreiben würde. Um dafür auch technisch gewappnet zu sein, machte er eine Ausbildung zum Rundfunk- und Fernsehtechniker. Die rasante Entwicklung der Digitalisierung bedeutet für ihn keinerlei Bedrohung, im Gegenteil. Aus dem gesamten Umkreis kommen heute Besucher, um in Walsrode die neuesten Filme anzusehen. AUTORIN Zurück im Vorführraum zeigt Günther Scheele auf die schweren alten Geräte, die alle noch einsatzbereit sind. Kein gleichmäßiges Schnarren der Filmspule ist hier zu hören, Lärm macht nur der Zentralcomputer. Scheele tippt mit einem Finger auf den Bildschirm. Lauter kleine Rechtecke tauchen auf, darin stehen die Titel der Filme und die exakte Dauer: REGIE O TON 27: (1'37) Günther Scheele Es kommt noch vor, dass wir Film auch in 35 mm Material spielen, und dann läuft diese Maschine hier noch, ist noch vom Zustand her einwandfrei ... es gibt so Filmkunstfilme, da gibt es noch keine elektronischen Festplatten, da kriegt man ganz normal ne Filmkopie zugeschickt, ...... hier hört man das Rattern und das Laute an denen sind die Lüfter-Motoren, weil die Computer, die da eingebaut sind, müssen ständig gekühlt werden. im ganzen Kino sind die Projektoren vernetzt, man kann von hier aus jeden einzelnen Film aufrufen, hier sieht man, was als nächstes anfängt, die Maschinen starten automatisch, 20:15 gehen alle Filme los und dann sieht man hier, was gezeigt wird und dann haben wir die Playlist, da sieht man genau, die ganze Veranstaltung dauert 2 Stunden, 8 Minuten und 35 sec. .... REGIE ATMO 8: Kinosaal AUTORIN Im größten und ältesten Saal der einstigen Capitol-Lichtspiele leuchtet ein warmes Rot: samten sind Sitze und Wände, dunkelrot mit goldenen Sternen der Vorhang. Opéra heißt die Ausstattung, ein passender Name, denn hier finden auch Live-Übertragungen aus berühmten Konzertsälen der Welt statt: REGIE O TON 28: ('38) Günther Scheele Da geht es in diesem Jahr los, dass wir die Opernübertragungen aus der MET, New York, direkt ins Kino auf die Leinwand bringen, die ganz interessanten nehmen wir ins Kino I, wir haben aber auch im zweitgrößten Saal die Möglichkeit, die Live Übertragung zu machen. .... Wir haben in dem Saal 'ne immerhin zehn Meter breite Leinwand, 4m hoch und dann sind natürlich auch bei der Übertragung ...., das läuft sehr professionell, das läuft mit verschiedenen Kameras, dass man dann eben auch schon beinah im Orchester die einzelnen Mitwirkenden sehen kann, als wenn man selbst dabei ist. AUTORIN Als im Capitol das Silvesterkonzert aus der Berliner Philharmonie übertragen wurde, kamen dafür viele Besucher extra ins Kino, obwohl es auch in Fernsehen zu sehen war. Günther Scheele blättert in einer Broschüre, an der auch der Historiker Stephan Heinemann mitgearbeitet hat. "Komm, wir geh'n ins Kino!" - 75 Jahre Kino in Walsrode. Das Heft erschien im Jahr 2001, damals lebte noch der Vater des heutigen Betreibers, der genauso hieß wie der Junior. 1926 gegründet, hatten die Walsroder Lichtspiele zwischenzeitlich auch eine Ära, in der der Saal als Theater Schlagzeilen machte, und zwar über die Region hinaus, erzählt Stephan Heinemann: REGIE O TON 29: (1'39) Stephan Heinemann Da war es so, dass ein Kaufmann aus Berlin, Hilmar Stock, der in den 30er Jahren in Berlin in mehreren Theaterclubs Mitglied war, den hat es in die heide verschlagen und der .... hat es geschafft, dass viele in die Heide kamen und kleine Rezitationsstücke spielten, u.a. viele Leute, die in den 60er, 70er Jahren berühmt waren: Knef oder Kinsky, ... er hat es geschafft, die bekanntesten Stücke und die bedeutendsten Schauspieler in den 50er, 60er Jahren und 70er nach Walsrode zu holen, so dass all die namhaften Bühnenstars der damaligen Zeit: Quadflieg, Elisabeth Bergner, Marianne Hoppe, die haben alle in Walsrode gespielt, teilweise Stücke, ... dass Theaterkritiker aus Hamburg, Hannover, andern Großstädten angereist sind, um in Walsrode diese Stücke zu sehen, und ein Journalist der ... hat mal einen dieser Artikel übertitelt mit Walsrode "Weltstadt für zwei Stunden".... AUTORIN Für überregionale Aufmerksamkeit sorgen heute aber gelegentlich auch die Hells Angels, die dem Image der Stadt gehörig schaden und so manchen Reisenden verschrecken; und die Debatte um den Bau der so genannten Y- Trasse, einer Bahnstrecke, die Hannover, Hamburg und Bremen verbinden und damit auch nach Walsrode und Umgebung führen soll. Bahnchef Grube kam in diesem Jahr sogar zum Neujahrsempfang, um das Projekt erneut zu diskutieren. Gegner gibt es auch hier, denn eine zerschnittene Heidelandschaft wäre vielen ein Graus; wenngleich andere Bürger schon lange davon träumen, Walsrode zu einem ICE Haltepunkt zu machen. Günther Scheele vom Kino Capitol sieht das gelassen. REGIE O TON 30: ('26) Günther Scheele Wie das im Moment aussieht, wird das noch mindestens 20 Jahre dauern, es heißt ja immer, die wird gebaut, wenn genügend Geld da ist, aber es ist nicht abzusehen, dass das irgendwann mal so sein könnte. Es wird zwar immer drüber geredet, dass es dann auch einen Haltepunkt für den ICE geben sollte, aber da glaub ich nicht so recht dran, ... das wäre dann der kleinste ICE Haltepunkt Deutschlands hier, da soll man sich keine Illusion machen. 18:25 AUTORIN Günther Scheele fährt natürlich gelegentlich auch nach Hannover. Früher tat er das am liebsten mit dem Auto. REGIE O TON 31: ('20) Günther Scheele Für die 60 km hat die Bahn so 11/4 Stunde gebraucht, da war man mit dem Auto natürlich wesentlich schneller, jetzt bin ich letztes Mal das erste Mal mit dem neuen Erixx gefahren, der schafft das in 47 Minuten vom Walsroder Bahnhof zum Hauptbahnhof Hannover zu kommen, .. das ist ne schöne Verbindung. ... AUTORIN Auch, um zum größten Vogelpark Europas zu kommen, mit dem Walsrode seit langem wirbt: SPRECHER Geier-Flugstaffel soll Leichen finden. Truthahngeier als Spürnase der Kriminalpolizei: Erste Trainingsflüge für "Sherlock", "Miss Marple" und "Columbo". AUTORIN Drei Geier aus Südamerika, jetzt zuhause im Walsroder Vogelpark, sollen Niedersachsens Kripo unterstützen, Moorleichen zu finden, so die Nachrichten aus dem vergangenen Jahr. Die Tiere aber brauchen eine Schonzeit, Erholung vom Trubel der Publicity. Erst Mitte März öffnet der Vogelpark wieder und lockt mit seinem bunten Federvieh. Manch Schnabeltier hätte sicher auch Löns inspiriert: Und "Ein sonderbarer Vogel" - das war auch er: SPRECHER / CLAUS Über die Heide flogen die Schwalben, Annemarie, sie grüßten dich von mir, Über die Heide riefen die Raben, Annemarie, Antwort, Antwort von dir. Über die Heide pfeifen die Winde, Annemarie, und alles ist voll Schnee, Über die Heide ging einst mein Lieben, Annemarie, ade, ade. ERKENNUNGSMUSIK DEUTSCHLANDRUNDFAHRT Sprecher Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt mit Michaela Gericke Ton: Regie: Karena Lütge Redaktion: Claus Bredel Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2012 1 Deutschlandrundfahrt Walsrode 3.März 2012