COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel am 26.12.07 ?Die Flachlandtiroler kommen? ? Wintersport jenseits der Berge Autor: Sebastian Holzapfel Atmo Skihalle Pistenfreuden unterm Hallendach. Wir sind in Wittenburg - Mecklenburg Vorpommern. Hier, direkt an der A24 zwischen Hamburg und Berlin steht der ?Snowfunpark? - Deutschlands jüngste Skihalle. 30 Meter ragt das Riesengebäude in die Höhe. Im November 2006 wurde es eröffnet. Laut Eigenwerbung handelt es sich um das größte Indoor-Skigebiet Europas. Atmo hoch Auf einem gut 300 Meter langen Abhang vergnügen sich an diesem November-Mittwoch einige Dutzend Ski-Freunde und trotzen den milden Temperaturen, die draußen herrschen. Track 1 VOXPOPS (Umfrage) Frau: ?Es ist überhaupt der erste Versuch, aber es macht Spaß?.? ? Mann: Ist ne beeindruckende Halle, ist klasse, ja. Bringt viel Spaß. Ich fahr zwischendurch auch gelegentlich Ski, aber nen bisschen aufzufrischen zwischendurch ist das ne ganz klasse Sache. Und es bringt eben Spaß.? ? Mann: Für den Anfang ist es hier o.k, sich warm laufen, und dann richtig in die Alpen gehen auf die Piste. Frau: Supertoll. Das erste mal überhaupt auf Skiern?. Frau: Ich sach mal: mit richtig Skifahrn ist es nicht zu vergleichen, aber so zum Einstimmen auf den Winter: Wunderbar. Wozu braucht der Skifahrer Berge? Viel wichtiger ist eine Autobahnausfahrt, dachten sich wohl die Betreiber und investierten rund 72 Millionen Euro in die Anlage. Sehr zur Freude von Wittenburgs Bürgermeister Norbert Hebinck. Endlich ist mal was los in seinem beschaulichen 5.000-Einwohner-Städtchen. Take Hebinck Für uns, für die Stadt hatte das ne ganz große Bedeutung, weil wir hier doch so ein bisschen Dornröschen-Dasein gefristet haben. Ich mein: so attraktiv ist Wittenburg auch nicht und durch den ?Snowfunpark? ist man so richtig in die Schlagzeilen gekommen. Und man ist überall präsent, über die Medien, über Zeitungen. Man wird bekannte, man bekommt viele Anrufe, Nachfragen. Und insgesamt steigt das Image unserer Stadt. Fast 2000 Menschen täglich braucht es, um eine Anlage wie die in Wittenburg wirtschaftlich unterhalten zu können. Im ersten Jahr wurde die Marke noch verfehlt. Für Geschäftsführer Stephan Ulbrich nur eine Momentaufnahme. Take Ulbrich 3 Das Ziel 730.000 Besucher werden wir möglicherweise knapp verfehlen..., so dass wir davon ausgehen, dass wir an die 680.00 Besucher rankommen und nach und nach jetzt merken, dass das Produkt angenommen wird. Dass eben nach und nach erkannt wird, dass es mehr als nur eine Skihalle ist. Mehr als eine Skihalle, das heißt: Sechs Restaurants und Bars mit insgesamt 1.700 Plätzen. Eine Kart-Bahn und ein Hochseilgarten. Hinzu kommt ein Hotel mit 256 Betten. Skiurlaub im Hochsommer ? in Wittenburg ist das keine Utopie mehr, sondern Realität. Take Ulbrich 6 Wie schön ist das denn: 35 Grad im Schatten, kurze Hose, das Weizenbier auf dem Knie und dann zum Abkühlen in die Skihalle reinzugehen ist ja durchaus ein Bild, das man sich sehr gut vorstellen kann. Musik, Sprecher drauf Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefährdet der Klimawandel in den nächsten 20 Jahren etwa 60 Prozent der Skiregionen in Deutschland. Fast drei Viertel der Wintersportgebiete in Österreich sind betroffen. Die Alpen im Schwitzkasten. Entfernt sich der Wintersport deshalb aus seinen angestammten Revieren in den Bergen? Emanzipiert sich der Wintersport vom Winter? Musik hoch Dass die Klimaveränderungen gewaltige Auswirkungen auf den Schneesport haben, weiß auch Tobias Luthe. Er ist Umweltdirektor beim Deutschen Skiverband. Schon jetzt, so Luthe, sei in Bezug auf den Breiten- und Leistungssport ein Umdenken erforderlich. Take Luthe 2 Es ist halt so, dass über einen langfristigen Zeitraum gesehen, die Schneewahrscheinlichkeit abnimmt oder schon abgenommen hat, das ist ganz klar. Und damit muss man jetzt zurecht kommen. Und eine Möglichkeit ist natürlich, dass man Alternativen findet, die den Schnee nicht ersetzen können, da muss man sich nichts vormachen. Aber wenn er denn nicht da ist, dann muss man sich andere Dinge ausdenken. Atmo Skihalle Zum Beispiel eben solche künstlichen Riesen-Kühlschränke wie den ?Snowfunpark?. Hier trotzt man den Unwägbarkeiten der Natur. Geschäftsführer Stephan Ulbrich. Take Ulbrich 4 Das ist der Auftrag einer Skihalle. Menschen an den Skisport heranzuführen und zu sagen: Probiert?s doch mal für transparentes, überschaubares Geld. Und vor allem mit der tatsächlichen Garantie 365 Tage im Jahr eine Schneesicherheit zu haben, was natürlich die Alpenländer, was wir alle vom letzten Jahr in guter Erinnerung wissen, nicht immer gewährleisten. Insofern wird der Anspruch an eine solche Skihalle immer bedeutender. 25 Tonnen Schnee wurden hier aufgeschüttet. Jede Nacht wird die Piste neu präpariert. Ob August oder Januar ? jeden Tag gibt es die exakt gleichen Bedingungen. Dennoch: einen Großteil ihres Umsatzes machen Skihallen in den klassischen Wintermonaten zwischen November und Februar Take Ulbrich 5 Es nicht leicht, den psychologischen Effekt zu überwinden, der da eben heißt: im Sommer schalte ich schlicht und ergreifend einfach Schnee aus, blende ich aus in meinem Kopf, weil ich mich da lieber mit Strand und Sonne, Sand und Meer beschäftige. Und im Winter beschäftigt man sich gerne mit Schnee. Damit kann Stephan Ulbrich dienen. Mit dem ursprünglichen Bild vom Skifahren ? von Bergen, frischer Luft und Alpenpanorama - hat das Schnee-Erlebnis in den künstlichen Winterwelten allerdings nicht mehr viel zu tun. Meint auch DSV Umweldirektor Tobias Luthe. Take Luthe 3 Dem Naturerlebnis spricht das mit Sicherheit entgegen. Es ist also ein ganz anderes Produkt ?Schneesport in Skihallen?, als es in den Bergen ist. Dennoch werden sie sicher eine wachsende Bedeutung haben. Wir haben fünf Skihallen in Deutschland, ca. 20 bis 30 weltweit. Und es werden im nächsten Jahr weitere 20 bis 30 gebaut werden weltweit. Musik, Sprecher drauf Auch auf den Spitzen-Wintersport hat der Klimawandel einen gewaltigen Einfluss: Im vorigen Winter sind an die 30 Weltcup-Wettbewerbe in den Sportarten Langlauf, Skispringen, Alpinski, Nordische Kombination und Snowboard wegen Schneemangels ausgefallen. Noch einmal so viele mussten an anderer Stelle, ein weiteres Dutzend zu einem neuen Termin durchgeführt werden. Auch Sommer-Training auf Gletschern ist mittlerweile kaum noch möglich. Für den Deutschen Skiverband heißt das: Die Wettkampf- und Trainingspläne müssen umgestellt werden. Auch dabei rücken Skihallen immer mehr in den Fokus der Veranstalter und Offiziellen. Take Luthe 4 In Leistungssport-Hinsicht ist es so, dass Trainings durchaus in den Skihallen stattfinden können, [es werden viele Produkttests gemacht von Skifirmen, weil dort quasi Laborbedingungen herrschen.] und aus Rennsicht aus Veranstaltungssicht können evtl. Slaloms da veranstaltet werden oder auch Sprungcontests, also alles was mit Halfpipes zu tun hat. Offizielle Weltcup-Rennen unterm Hallendach. Auch das ist also keine Zukunfts-Musik mehr. Sehr zur Freude von ?Snowtropolis- Geschäftsführer Stephan Ulbrich. Take Ulbrich 2 Wir können ganz aktuell verkünden, dass wir den Weltcup 2008 hierher bekommen. Wir haben die offizielle Zusage von der FIS, dass also der Snowboard-Weltcup vom 05. bis zum 9. November hier im Snowfunpark stattfinden wird. Und gleiches gilt für den alpinen Rennsport. Wir sind ganz stolz und glücklich darüber, dass wir bereits in diesem Jahr ohne große Akquise bereits zwanzig verschiedene Rennteam-Nationen hier hatten. Musik, Sprecher drauf Für Rennveranstalter sind sie also eine mögliche Antwort auf klimatische Veränderungen, bei Umweltverbänden jedoch stehen Skihallen als nimmersatte Energiefresser in der Kritik. Denn eine solche Anlage auch im Hochsommer auf Minusgrade zu kühlen, das ist eine kosten- und energieaufwändige Angelegenheit. Etwa 2.400 t CO2 pro Jahr werden von einer solchen Anlage wie der in Wittenburg jährlich in die Luft geblasen. Das entspricht dem Stromverbrauch von ca. 1.200 Familien. Geschäftsführer Stephan Ulbrich wiegelt ab. Take Ulbrich 7 Letztendlich sind Skihallen ja nicht die Verursacher des Klimawandels. Das vorweg. Also ich bleibe dabei: es ist eine gute Chance, im Kinder-Nachwuchs und Schulsportbereich neue Akzente zu setzen. Und wir uns davon freischwimmen müssen, dass Klimawandel nicht eine Beeinträchtigung ist durch Skihallen. Auch Tobias Luthe vom deutschen Skiverband relativiert das Problem des Energieverbrauchs. Er verweist darauf, dass das Betreiben einer Skihalle nicht viel energieaufwändiger sei als das eine Thermalbades. Und spannt den Bogen von der Halle in Wittenburg zum Skitourismus in den Alpen. Take Luthe 6 Wenn man das Thema Skihallen im Gesamtkontext betrachtet muss man auch weitergehen in den Bergtourismus in den Alpen, in denen 90 Prozent direkt oder indirekt vom Tourismus leben, dass in der Fläche, in den so genannten ?Trittsteinbiotopen? wie wir sie nennen, also dort, wo neue Schneesportler generiert werden, in den stadtnahen Bereichen, in den Mittelgebirgen. Wenn dort weniger Schnee liegt, dann ist das Thema Schnee nicht selbstverständlich in den Köpfen und weniger Leute werden zum Schneesport kommen. Und deswegen ist auch für das Überleben des Bergtourismus ein wichtiger Gesichtspunkt, dass Schneesport in den Städten ein Thema ist. Musik, Sprecher drauf Dass auch in Zukunft die Schneewahrscheinlichkeit weiter abnimmt, da sind sich die Klimatologen einig. Schon wenn die durchschnittliche regionale Jahrestemperatur um ein weiteres Grad Celsius steigt, so Klimaexperten, seien nur noch rund 500 der 666 Skigebiete in den Alpen schneesicher. Für die betroffenen Wintersport-Orte wären die wirtschaftlichen Einbußen enorm. Musik hoch Und so treibt die Furcht vor dem Klimawandel die Wintersportorte in einen Wettbewerb um immer aufwändigere Projekte. Und das nicht nur in den Alpen. Besonders die Mittelgebirge sind vom Schneemangel betroffen. Immer öfter versucht man auch dort, dem Winter künstlich auf die Sprünge zu helfen. Atmo Wind/Schneekanone Willingen im Hoch-Sauerland auf 800 Meter Höhe. Ein deutsches Mittelgebirge im beginnenden Winter. Die Hänge hier sind grün, vom Winter keine Spur. Wie so oft in den vergangenen Jahren. Doch damit soll bald Schluss sein. Die Gemeinde hat insgesamt 50 Skikanonen angeschafft. Kostenpunkt rund 11 Millionen Euro. An diesem Tag werden sie getestet. Der Traum vom Winter auf Knopfdruck soll hier bald Wirklichkeit werden. Take Trachte 1 Wir erhoffen uns von den neuen Anlagen, dass wir die Wintersaison absichern. Eine gute Wintersaison mit viel Schneebetriebstagen führt zu sehr guten Auslastungszahlen. Dann ist unser Ort mit 10.000 Gäste-Betten zu 90 Prozent ausgebucht. Und wir erhoffen uns durch diese Beschneiungsanlagen diese Situation zukünftig zu festigen. Sagt Willingens Bürgermeister Thomas Trachte. Fünf Millionen Euro aus der Gemeindekasse hat er für dieses Projekt locker gemacht. Gegen den massiven Widerstand von Umweltverbänden. Die fürchten die ökologischen Folgen. Auch Thomas Schütz vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Willingen hat lange gegen den Einsatz der Schneekanonen gekämpft. Take Schäfer Die Auswirkung auf die Vegetation ist unheimlich groß. Dadurch, dass der Schnee härter ist und dadurch weniger Sauerstoff an den Boden kommt und auch die Beschneiung länger dauert, also der Skibetrieb länger dauert, wird die Vegetation absterben. Zweitens brauchen wir unheimlich viel Energie, um diese Anlagen zu betreiben. Und selbst mit dem massiven Einsatz der Schneekanonen ist der Winter noch lange nicht garantiert. Denn auch für ihren Betrieb braucht es kalte Winter. Erst bei Temperaturen von unter Null sind künstliche Beschneiungsanlagen einsatzfähig. Nicht nur Thomas Schütz zweifelt daran, dass sie auf so geringen Höhen wie in Willingen in Zukunft effektiv eingesetzt werden können. Bürgermeister Thomas Trachte dagegen glaubt daran, dass die Winter in Willingen auch in Zukunft - wenn schon nicht weiß, dann wenigstens kalt werden. Take Trachte 2 Wenn die Winter mild bleiben und keine Minustemperaturen kommen, dann funktioniert die Anlage nicht, dann wäre das ne Fehlinvestition. Ich sach es aber noch mal: Es ist umfassend untersucht worden und jede Investitionsentscheidung in der Wirtschaft hat ein Restrisiko. Sollte es jetzt einen rasenden Klimawandel geben, dass von heute auf morgen keine Winter und keine Temperaturen mehr in den Mittelgebirgsregionen sind, dann sprechen wir nicht mehr vom Klimawandel sondern von einer Naturkatastrophe. Musik Aus den deutschen Mittelgebirgen wie dem Sauerland bezieht der Deutsche Skiverband den Großteil seines sportlichen Nachwuchses. Sie sind, so sagt DSV-Umweltreferent Tobias Luthe, die "Trittsteinbiotope", die erst zum alpinen Skiraum führten. Deshalb befürwortet Luthe den Einsatz der Schneekanonen auch in solchen Regionen. Take Luthe 7 Natürlich unterstützen wir zunächst mal generell die technische Beschneiung. Die technische Beschneiung? ist zunächst mal nichts anderes als ein natürlicher Schnee, der technisch erzeugt wird. Das heißt als Wasser, der unter Druck durch kleine Düsen geblasen wird und bei entsprechend kalten Temperaturen zu Schneekristallen kristalliert. Generell haben wir es im letzten Winter sehen können, dass viele Bergsport-Orte definitiv nur eine einigermaßen gute Bilanz haben konnte aufgrund der technischen Beschneiung. Die ist in Zukunft nicht mehr wegzudenken. Musik Schon jetzt liegen die Kosten der künstlichen Beschneiung insgesamt bei geschätzten drei Milliarden Euro. Im Augenblick können rund 24.000 Hektar Skipisten mit Schneekanonen beschneit werden. Der Wasserbedarf dafür ist laut Umweltverbänden so hoch wie der einer Großstadt mit 1,5 Millionen Einwohnern. Die Fläche für die künstliche Beschneiung soll in den kommenden Jahren vervierfacht werden. Musik Damit das ?Thema Schnee? auch in schneefreien Regionen in den Köpfen der Menschen bleibt, entfernt sich der Skisport mehr und mehr aus seinen angestammten Revieren in den Bergen. Immer öfter hält die Karawane auch in den Ballungsgebieten des Flachlands. Experten sprechen von einer ?Urbanisierung des Skisports?: Musik, Atmo Arena Schalke Startschuss, Sprecher drauf Beispiel Biathlon in der Arena AufSchalke Gelsenkirchen. Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr fällt dort der Startschuss zum World Team Cup. Zwei Dutzend der weltbesten Biathleten treten unterm Hallendach auf künstlichem Schnee in einem gemischten Team- Wettbewerb gegeneinander an. Die Publikumsresonanz ist seit Jahren enorm, die Halle jedes Mal bis auf den letzten Platz ausverkauft. Atmo Arena hoch Das Erfolgsrezept des Wettbewerbs ist simpel: Spitzensport plus ausgelassene Aprés-Ski-Atmosphäre. Angeheizt von Glühwein und Bier feuern die Biathlon-Fans aus dem Ruhrpott die Athleten an. Atmo Gesänge Auch für den viermaligen Sieger Ole-Einer Björndalen immer wieder eine besondere Erfahrung. Take Björndalen Das ist Wahnsinn, das kann man nicht beschreiben. Das ist eine von meine tolleste Gefühle, die ich gehabt in Biathlon. Das kannst du vergleichen vielleicht mit Oberhof im Weltcup, wenn das Stadion voll ist, aber hier ist noch mehr Stimmung, noch mehr Druck und beim Schießen spürst du das Wahnsinn und das ist für mich eine wahnsinntolle Erfahrung und auch sehr gutes Training. (20 sec.) Erfinder der Veranstaltung ist der ehemalige Schalke-Manager Rudi Assauer. Für ihn ist die enorme Publikumsresonanz keine Überraschung. Take Assauer Davon bin ich ausgegangen, weil ich wusste, dass ungefähr 50 Prozent der Besucher in Ruhpolding sind Leute aus dem Ruhrgebiet, die runter gefahren sind. Und warum sollen sie immer runter fahren? Wir bringen sie hier ins Ruhrgebiet rein. (12 sec.) Wintersport in Ballungsgebieten: ein Zukunftsmodell? Die deutsche Spitzen-Biathletin Kati Wilhelm, seit Jahren in Gelsenkirchen mit von der Partie, glaubt das schon. Take Wilhelm Ich denke, es ist auf jeden Fall ne gute Sache, weil es bringt den Fans den Sport auch noch mal nen bisschen näher. Gerade in die Orte, wo der Wintersport eben nicht oben ansteht. Und hier sind wahnsinnig viele Biathlon-Fans und es ist gut für unseren Sport. Es sind wirklich auch Insider dabei, die einen auch kennen und die einen auch bei den ganzen anderen Weltups verfolgen. Also, man kriegt ja auch Fanpost und man sieht, dass es halt auch hier in der Gegend, wo Wintersport nicht so aktuell ist, sehr viele mitfiebern. Auch Düsseldorf ist seit 2002 Schauplatz eines Wintersport-Höhepunkts: Beim Langlauf-Weltcup säumen regelmäßig bis zu 250.000 Menschen die Loipen. Ein riesiger Publikumserfolg auch das. Für den Langlauf- Bereich hat der Deutsche Skiverband allerdings auch noch andere Pläne in der Schublade. DSV-Umweltdirektor Tobias Luthe. Take Luthe 8 Das Thema Langlauf wird sich sicherlich auch in manchen Regionen im Bereich von künstlichen Anlagen entwickeln. Da gibt es Pläne von Seiten der Wirtschaft, wo möglicherweise ein Langlauf-Tunnel gebaut werden könnte. Also eine Röhre, eine verglaste Röhre, in der im Endeffekt mit Sicherheit auch Langlauf gefahren werden kann. So was gibt es auch schon, in Finnland beispielsweise. Musik, Sprecher drauf Derzeit ist ein solcher Tunnel in Oberhof in Bau. Und auch andernorts schmiedet man an der Verwirklichung von Wintersport-Träumen. Zum Beispiel im weit entfernten Land Brandenburg. Atmo Bauarbeiten, Sprecher drauf Bad Freienwalde, etwa 60 km nordöstlich von Berlin, nahe der polnischen Grenze. Rund 800 km entfernt von den alpinen Wintersport-Regionen hämmert man hier am Traum von Deutschlands nördlichstem Skigebiet. In einem schattigen Waldareal namens Papengrund ist gerade eine 60-Meter- Schanze in Bau. Zwei kleinere Schanzen sind bereits fertig gestellt. Zum Skispringen an die Oder und nicht in die Alpen, so stellt man sich hier die Zukunft vor. Sven Luedeke ist der Tourismus-Beauftragte von Bad Freienwalde und einer der Initiatoren des anfangs belächelten Projekts. Take Luedeke 1 Am Anfang warn wir ja nicht nur für die Thüringer und die Bayern die Spinner, sondern auch für die Leute, die uns hier oben so beobachtet haben, aber inzwischen haben wir uns entsprechend Respekt auch verschafft. Denn wir haben unsere Ideen und Visionen wirklich umgesetzt. Eigentlich sollte die 60-Meter-Schanze schon im vergangenen Oktober eröffnet werden. Doch der regenreiche Sommer machte Luedeke und seinen Helfern einen Strich durch die Rechnung. Take Luedeke 4 Es ist natürlich ein besonderes Bauwerk, was seine Tücken hat und was auch nicht leicht zu bauen ist. Jeder kann sich vorstellen in welcher steilen Hanglage man dort aktiv ist mit dem Bagger und so weiter. Das ist nicht ganz einfach. Die Kosten für das Schanzenprojekt mussten mittlerweile auf 1,8 Millionen Euro nach oben korrigiert werden. Und noch immer ist ein Ende der Bauarbeiten nicht absehbar. Atmo Bauarbeiten, Kreuzblende Atmo Arbeitseinsatz, Sprecher drauf Sven Koch steht auf dem matschigem Grund und koordiniert den Arbeitseinsatz. Wie fast jeden Tag haben sich einige Freiwillige vom örtlichen Wintersportverein eingefunden, um mitzuhelfen. Atmo hoch Sven Koch ist beim DSV als Jugend-Skisprung-Trainer angestellt. Seit 2005 versucht er hier in der brandenburgischen Skisport-Diaspora Talente zu finden und zu fördern. Doch zum Trainieren kommt der ehemalige Leistungssportler im Augenblick kaum. Eher verdingt er sich als Bauarbeiter. Take Koch 3 Es war zuletzt ? das letzte halbe Jahr ? ziemlich frustrierend, weil aus verschiedenen Gründen ging es einfach nicht vorwärts. Wir mussten bei den kleinen Schanzen auch die Matten abdecken, haben dann öfter mal nen Baustopp gehabt und dann ging im Auslauf nichts weiter und dann hab ich ein halbes Jahr nicht trainieren können mit den Kleinen vor Ort. Der Oberhofer versteht seinen Einsatz in Brandenburg auch als Entwicklungshilfe in Sachen Skisport. Take Koch 4 Diese ganzen feineren Arbeiten: da kennt sich hier oben eh niemand mit aus in dieser Region. Und da ist es schon ganz gut, wenn man das so machen kann, wie man das gerne möchte. Und wo man dann auch weiß, dass es funktioniert. Und da stell ich mich gerne auch mal her und mach dann mal einen auf Bauarbeiter. Das Problem hier ist, dass es im Moment noch keine gewachsenen Strukturen und auch keine Tradition in Sachen Skifahren gibt. Einige Kinder fahren mit ihren Eltern zum Alpinurlaub. Die haben schon mal auf Skiern gestanden, aber den meisten muss man das von Grund auf lernen. Für Koch ist es das Ziel, die vielen schlummernden Talente in dieser Region zu entdecken, die normalerweise nie mit dem Skisport in Berührung gekommen wären. Auch Nachwuchsspringer aus dem benachbarten Polen sollen hier einmal trainieren. Take Koch 1 Talente gibt es ja überall ? die kann man auch an der Küste finden. Da weiß man ja nie, ob da einer dabei ist, der auch Skispringen kann. Von daher ist es nötig, die nötige Infrastruktur dazu zu schaffen. Dazu gehört zunächst einmal die 60-Meter-Schanze. Da es in dieser niederschlagsarmen Region so gut wie nie schneit, soll sie ? wie die anderen Schanzen ? für den Sommerbetrieb mit Matten belegt werden. Dann, so der Traum von Sven Luedeke, werden in der brandenburgischen Provinz irgendwann einmal die weltbesten Skispringer vom Schanzentisch abheben. Take Luedeke 2 Der Sommer-Grandprix der Weltelite findet in Hinterzarten und Oberhof statt. Warum kann der nicht auch in Bad Freienwalde stattfinden? Im Sommer macht es vielleicht noch mehr Spaß für die Zuschauer, weil es einfach wärmer ist, weil es viel schöner ist, weil es länger hell ist. Und da kann man sich so ne Veranstaltung viel genüsslicher angucken als im Winter, wo es doch auch mal kalt ist, wo es auch Unterbrechungen des Wettkampfs geben kann. Weitere zwei Großschanzen, eine Wintersportarena mit 40.000 Zuschauerplätzen, ein 1300 Meter langer Abfahrtshang inklusive Sessellift, eine 2000 Meter Loipe sowie eine Sommerrodelbahn sollen hier einmal entstehen. Damit will Freienwalde an alte Traditionen anknüpfen. Bereits in den 20er Jahren fanden hier Skispringen statt. Luedeke 5 Es tut dem Wintersport natürlich gut, wenn nicht nur aus den Gebirgsregionen junge Sportler nachkommen und vielleicht um olympische Medaillen kämpfen, sondern wenn wir es auch in dieser Region schaffen. Wir haben ja einen riesigen Einzugsbereich?..da schlummert Potenzial. Glaubt jedenfalls Sven Luedeke. Doch das Projekt findet im Ort nicht nur Zustimmung. Jeder fünfte hier ist arbeitslos. Da meinen viele: Die 20 Millionen Euro, die das Ganze kosten soll, seien anderswo besser aufgehoben. Die Bad Freienwalderin Gisela Ziem. Take Ziem Für Menschen, die nen Blick für die Natur haben ist es ein Irrsinn, das würde ich schon sagen. Ich finde das ist ein Projekt, das weder zur Größe der Stadt Freienwalde noch zu den besonderen Ressourcen passt. Also für meine Vorstellungen passt da so ein wahnwitziges Schanzenprojekt nicht hin. Freienwaldes parteiloser Bürgermeister Ralf Lehmann will von Wahnwitz und Irrsinn jedoch nichts wissen. Für ihn ist das Rennen um den Titel ?Deutschlands nördlichstes Wintersportgebiet? längst in vollem Gange. Take Lehmann Soweit ich das mitbekommen habe, gibt es noch nördlichere Städte, die das versuchen. Mal sehen, wer am Ende der Sieger ist. Schaun mer mal! Musik Atmo Rollski, Sprecher drauf Skitraining in der Großstadt. Von Schnee ist auch hier ? im Berliner Bezirk Rudow - keine Spur. Dennoch bittet Thomas Staacks zweimal wöchentlich 20 seiner Schüler der Clay-Oberschule auf die Skier. Auf Rollski, um genau zu sein. Der besteht aus einem Holm und je nach Modell aus zwei bis vier Rädern, die darunter angeschraubt sind. So ist Skifahren auch im Sommer möglich. Take Staacks 3 Der Vorteil von dem Sommertraining mit dem Rollski ist in irgendner Weise, dass man wirklich, wenn man auf den Rollskiern gut trainiert hat sich auf die Skier stellen kann und innerhalb von fünf Minuten die Umstellung geschafft hat auf Skiern und kann eigentlich alle Techniken identisch 1:1 umsetzen. Thomas Staacks ist Lehrer und im Berliner Skiverband zuständig für den so genannten ?Nordic?-Bereich. Neben Rollski stehen in seiner Sport AG weitere Wintersportarten auf dem Programm, die man auch ohne Schnee betreiben kann. Diese Disziplinen haben in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Take Staacks 1 Ich denk schon, dass viele ersatzweise umsteigen, weil sie im Winter nicht mehr dazu kommen richtig Langlauf zu machen und entsprechend suchen sie sich den Ersatz im Sommer. Die wollen dann auch fit sein, WENN dann mal Schnee da ist, dass man das auch genießen kann. Schon zwei Millionen Menschen in Deutschland betreiben beispielweise ?Nordic Walking.? Und es werden immer mehr. Am Anfang stand dabei schlichtes Training: Nordische Kombinierer in Finnland mussten den Sommer überbrücken. Heute ist Nordic Walking Fitnessbewegung mit ärztlicher Empfehlung. ?Nordic Blading?, ?Skiking? oder Nordic Snow-Shoeing? ? so heißen die Disziplinen, die im Gefolge des ?Nordic Walking? in Deutschland Einzug gehalten haben. Dass der Trend zu solchen Sportarten ungebrochen bleibt, glaubt auch Tobias Luthe. Take Luthe 9 Was dort sich mit Sicherheit weiterentwickeln wird, sind schneeunabhängige Formen, also Rollski, Ski-Inline und es gibt Sommer-Biathlon, es gibt verschiedene Versionen, die aber nicht auf Schnee fußen werden. Die Vielfalt und die Verwandtschaft der verschiedenen Bewegungsformen insbesondere aus dem nordischen Bereich in den Sommer zu übertragen, nicht auf Schnee das ist eine Entwicklung, die schon seit vielen Jahren stattfindet Schon 2001 hat der DSV das Programm "Nordic aktiv" ins Leben gerufen. Es soll dafür sorgen, dass sich der Nachwuchs nicht nur auf der Skipiste austoben kann. Nach dem Motto: Wenn Schnee da ist, gut - wenn nicht, macht auch Walking Spaß. Take Staacks 2: Ich denke die Leute nutzen das wirklich als Alternative. Weil soviel fahrn die Leute aus meiner Trainingsgruppe auch nicht weg. Die fahren ein oder zweimal für ein längeres Wochenende im Winter mal weg und ansonsten machen sie auch nur dieses Training hier. Und entsprechend kann man sagen, dass die Nordic-Sportarten, die man ohne Schnee betreibt, mittlerweile so etabliert sind, dass man das ganze Jahr Sport damit machen kann. Und das ist der entscheidende Faktor da. Neben dem Spaß-Faktor. Die Schüler von Thomas Staacks jedenfalls sind mit großer Freude dabei - beim Skitraining ohne Schnee. Auch wenn einer von ihnen ausspricht, was alle denken: Schön wär?s schon, wenn es mal wieder so richtig schneien würde. Musik bis - Ende Musik: Royksopp Live Ep: Royksopp S Night Out Audio CD (9. Juni 2006) Anzahl Disks/Tonträger: 1 Label: Japan (Megaphon Importservice) ASIN: B000CBO0SU 20