- KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : Reihe : Literatur Kostenträger : Titel der Sendung : „Tanzen und nicht vergessen – Deutsch-israelische Beziehungen aus Sicht Junger Autoren “      Autor: : Carsten Hueck Redakteurin : Jörg Plath Sendetermin : 29.03.2015 Regie : Beatrix Ackers Besetzung : Carsten Hueck, Florian Lukas, Claudia Eisinger, Simone Kabst und Mirco Böttcher. Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig © DeutschlandradioDeutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Atmo O-Ton Norbert Kron Seit 2005 gibt es eine Autoren-Fußballmannschaft. Ich kam 2006 nach der WM dazu und hab festgestellt, was für eine unglaublich tolle Sache das ist, weil man dadurch eben mit den Schriftstellern ungefähr des gleichen Alters auf eine ganz andere Weise zusammenkommt. Wir reden über Literatur, aber wir reden über Literatur immer aus dem Blickwinkel sozusagen des Fußballfeldes. Die Wahrheit liegt auf dem Platz, spielt immer eine große Rolle. Und eben 2008 kam die DFB-Kulturstiftung und das Auswärtige Amt auf die Idee, wir sollten doch mal da in Israel fragen, ob die nicht auch so eine Fußballmannschaft kreieren wollen und dann unter dem damaligen Teamkapitän Assaf Gavron hat sich eben diese Truppe zusammengefunden, und so ist diese Brücke entstanden. Sprecher Norbert Kron, Schriftsteller und Journalist, Jahrgang 1965. Musik (Hatikwa) O-Ton Moritz Rinke Wir haben hier auf dem Gelände gegen die israelische Mannschaft gespielt. Das war insofern bemerkenswert, weil es das Olympiagelände war, wo 1936 Hitler seine Olympischen Spiele ausrichtete. Und auf diesem Gelände spielte dann also die israelische Mannschaft gegen die deutsche Mannschaft. Und es erklangen die Hymnen, die israelische Hymne, auf dem Olympiagelände. Sprecher Moritz Rinke, Dramatiker und Autor, Jahrgang 1967. Er war Stürmer, als 2008 Autoren aus Israel und Deutschland, gegeneinander kickten. O-Ton Moritz Rinke Da mussten viele der Israelis und auch wir… also wir waren wirklich den Tränen nahe, weil einige dieser dritten Generation wirklich das erste Mal nach Deutschland kamen, hier teilweise ihre Großeltern verloren hatten, und nun das erste Mal deutschen Boden betraten und dann wenige Stunden nach Ankunft bereits auf diesem Olympiagelände die israelische Hymne sangen. Das war, ja, bewegend. O-Ton Norbert Kron Und ich hab dann Amichai Shalev, der auch in der Autoren-Nationalmannschaft der Israelis spielt, angesprochen, hab den gefragt: Was hältst du davon? Wir machen zusammen ein Buch. Du bringst israelische Freunde und Schriftsteller deiner Generation, ich bringe deutsche Autoren meiner Generation und ein bisschen jünger zusammen, und wir lassen die über das andere Land schreiben; über den Besuch im anderen Land, über, Gefühle und Gedanken. Also, Fiktion in erster Linie, fiktive Storys, aber kann auch ins Essayistische gehen. Und ihm hat die Idee gefallen. Und so haben wir dann einfach die Autoren angesprochen. Sprecher Amichai Shalev, geboren 1973 in Israel. O-Ton Amichai Shalev It was very ironic, because at the same time, I was thinking about doing something similar; just Israeli’s writing about Germany in some anthology, also got a green light from a publishing house how to go forward with it. But his idea was like, much better. And we started making a concept, and here we are today. Overvoice Das hat schon eine gewisse Ironie, denn zu der Zeit habe ich gerade mit dem Gedanken gespielt, etwas Ähnliches zu machen. Israelische Autoren sollten über Deutschland schreiben, ich hatte schon grünes Licht dafür von einem Verlag bekommen. Aber Norberts Idee war noch besser. So machten wir uns an ein Konzept – und das kam dabei raus. Sprecher Im Frühjahr 2015 ist es soweit. Nicht nur auf dem Rasen, sondern auch auf dem Papier zeigen nun eine deutsche und israelische Auswahl – insgesamt neunzehn Männer und Frauen beider Nationen – was sie können. In der Anthologie „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen“ treffen sie aufeinander. Um das runde Leder geht es allerdings nicht, vielmehr um den Austausch von Erfahrungen, um Literatur, die das deutsch-israelische Verhältnis 50 Jahre nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen erkundet. O-Ton Norbert Kron Von vornherein war es ganz wichtig auch, dass das Buch in beiden Sprachen erscheint...Und dass man mal so ein Kompendium hat einer Generation, in Anführungszeichen, also dieser dritten Generation, wo so eine gewisse Auswahl drin ist, die exemplarisch ist und von beiden Seiten gelesen werden kann. Da, dachte ich, kann man einfach Diskussionen führen, kann man wirklich dann mal das vergleichen, die Gemeinsamkeiten und auch die Differenzen sehen. Sprecher Norbert Kron, der deutsche, und Amichai Shalev, der israelische Herausgeber, haben jeweils auch eine Geschichte zu ihrem Band beigesteuert. Und keine stilistischen Vorgaben gemacht. Die Beiträge sind so unterschiedlich wie die beteiligten Autoren selbst, unter ihnen Lyriker, Dramatiker, Journalisten und Erzähler. Zentral für das Buch ist der Blick auf den anderen. Die Generation der 30- bis 50-jährigen ist überraschend aufgeschlossen. Sie kann über eigene Vorbehalte lachen und nimmt auch den anderen oft humorvoll wahr. Diese Generation lebt und schreibt nicht mehr unter dem Diktat der Vergangenheit, auch wenn sie ihr jeden Augenblick präsent ist. Deutsche wie Israelis sind heute in der Lage, neugierig und entspannt sogar vom Sex und von Liebesverhältnissen miteinander zu erzählen. Das Deutschlandbild der Israelis hat sich offensichtlich weit von dem entfernt, das viele Israelis, auch Autoren wie Amos Oz oder David Grossman lange Zeit davon abhielt, sich bei Besuchen in Deutschland wohl zu fühlen: Deutschland als das Land der Täter. Und auf der anderen Seite ist die Haltung der Deutschen zu Israel ist nicht mehr allein geprägt von Scham. Musik Sprecher Die meisten Autoren von „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen“ sind zum ersten Mal auf Deutsch oder Hebräisch zu lesen. Daher ist die Anthologie nicht nur ein bedeutsames Zeitdokument, das Einblick in die aktuellen deutsch-israelischen Beziehungen jenseits der Diplomatie vermittelt, sondern auch ein literarisches Zeugnis – leider eines mit vielen Flüchtigkeitsfehlern. Die deutschsprachige Ausgabe ist in kurzer Zeit von einer einzigen Übersetzerin, Barbara Linner, übertragen worden. Die Herausgeber haben keine stringente Gliederung vorgenommen. Sie mischen deutsche und israelische Geschichten in drei Kapiteln: „Fiktionale Annäherungen“, „Autobiographisches Nachdenken“, „Überzeichnete Realität“. Auffälligerweise siedeln vier deutsche Autoren und Autorinnen ihre Geschichten in Israel bzw. dem Libanon an: Marko Martin, Rainer Merkel, Sarah Stricker und Katharina Hacker. Moritz Rinke, Eva Menasse und Jochen Schmidt reflektieren ihr Verhältnis zu Israel essayistisch und autobiographisch. Schmidt, 1970 in Ost-Berlin geboren, beschreibt seine Faszination für die Briefmarken, die sein Großvater in der DDR mit einem alten Freund tauschte, der nach Israel gezogen war. Es ist ein origineller Text und der einzige, der etwas über das Verhältnis des zweiten deutschen Staates zu Israel aussagt. Zitat (Jochen Schmidt, „Briefmarken aus Israel“) Auf den israelischen Marken war dieselbe Schrift zu sehen wie am Portal unserer Kirche, wo uns unser Vater bei jedem Kirchenbesuch das "Jahwe" entzifferte. Er konnte diese Schrift lesen und hatte als Student eine jiddischsprachige Zeitung aus Warschau abonniert, die in hebräischer Schrift erschien. Das war ein Hauch von weiter Welt in unserem engen Land, und sicher konnten die Zensoren das nicht lesen. Als ich später das erste Mal in Israel war, habe ich aus Signifikantenhunger tagelang leidenschaftlich die Buchstaben gelernt. Ich erinnere mich an das Glück, das ich empfand, als ich auf der Rückseite einer Zeitung den Schriftzug "Mammon" entziffern konnte, und es sich tatsächlich um den Finanzen-Teil handelte. Eine Doktorarbeit meines Vaters über das Jiddische kam nie zustande, weil sie von seinem Institut nicht unterstützt wurde, Jiddisch stand nicht auf der Tagesordnung, Israel war schließlich ein imperialistischer Aggressor. Sprecher Als einziger wagt sich der Dramatiker und Lyriker Albert Ostermeier, Torwart der Autorennationalmannschaft, an die lyrische Form. Er greift auf die klassische Ode zurück und widmet sie der israelischen Schriftstellerin Zeruya Shalev. Zitat ( Albert Ostermaier, „ode an zeruya“) dein herz hat keine klagemauer es hat wände durch sie zu gehen du kennst keine grenzen ausser denen die du überwindest mit grenzenlosigkeit dein herz platzt und hat doch platz für die liebe deine sätze sind ein fluss die zu ihm fliessen und aus ihm spricht das meer wenn die wellen deine lippen gleichen deine worte branden in den sand wo geschrieben steht was sie sagen werden Sprecher Mit diesem lyrischen Erguss dürfte Albert Ostermaier höchstens in der 2. Liga spielen. Es ist nicht die einzige Enttäuschung: Die Herausgeber haben vor allem inhaltliche, weniger qualitative Kriterien bei der Auswahl der Texte walten lassen. So kommt es zu einer Häufung des „Berlin-Motivs“ bei den Israelis. Sie beschreiben fast durchgehend Besuche von Israelis in Deutschland, vorzugsweise in Berlin. Natürlich kann man dann schön die Variationen vergleichen: Liat Elkayam, Sara Blau und Yiftach Ashkenazy erzählen realistisch, Galit Dahan Carlibach poetisiert, Assaf Gavron, Idit Elnatan und Amichai Shalev verzerren ins Groteske. Tagespolitik fehlt hier wie dort: kein Krieg mit den Palästinensern, kein aktueller Antisemitismus. Man will sich nicht wehtun. Für die Leser in beiden Ländern – die hebräische Ausgabe erschien im Februar 2015 zur Jerusalemer Buchmesse – ist das Buch dennoch eine Tanzfläche, auf der sich eine Choreografie des Dialogs entwickelt. Das ist das Verdienst dieses Buchprojekts: Autoren als Tänzer. Der Boden, auf dem sie sich bewegen, das spürt man beim Lesen, vibriert. Alle wissen, sie tanzen auf Gräbern. Nein, vergessen kann und will niemand. Aber tanzen, das will diese Generation jetzt auch. Musik Zitat (Liat Elkayam, „Die Leugnung der gestundeten Zeit“) 1. Plausibilität Es ist möglich, dass Pauls Großvater ein Nazi war. 2. Gewissheit Ich habe ihn geliebt. 3. Glaube Wenn das hier schon ins Deutsche übersetzt wird und die Aussicht besteht, dass du es lesen wirst, ist es nur fair, bevor ich anfange, dir, lieber Paul, direkt zu sagen: Ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt, das hast du sicher gewusst. Doch das Jahrzehnt der Naschkatze, falls du es vergessen hast, ist vorbei. Aber ich vergesse und verzeihe nicht, bis heute nicht. Mir natürlich. Dafür, dass es einen Augenblick gab, in dem ich nicht glauben konnte. An die Liebe. 4. Im Ernst Jetzt, scheint mir, kann ich anfangen. Sprecher Liat Elkayam, väterlicherseits marokkanischer, mütterlicherseits deutsch-polnischer Abstammung, 1975 in Tel Aviv geboren. Sie arbeitet für die angesehene israelische Tageszeitung „Ha’aretz“, unterrichtet Schreiben und veröffentlicht Kurzgeschichten. Ihre Erzählung „Die Leugnung der gestundeten Zeit“ ist die radikalste der Berlin-Besuch-Geschichten in diesem Buch. Sie trifft ins Herz deutsch-israelischer Beziehungen: Die israelische Erzählerin thematisiert ihre Liebe zu einem Deutschen und den Versuch, ein gemeinsames Leben jenseits des historischen und kulturellen Erbes aufzubauen. O-Ton Liat Elkayam We were a couple. And he was staying in Israel for a year, he was volunteering. And then, when he went back, after some time I went to visit him and stay with him; and I considered the option of living in Berlin: yes or no. It is just a question of: Is this relationship going to work or not? Overvoice Wir waren ein Liebespaar. Er hat für ein Jahr freiwilligen Sozialdienst in Israel geleistet. Als er wieder in Deutschland lebte, habe ich ihn besucht und überlegt, ganz nach Berlin zu ziehen. Die entscheidende Frage war: Wird unsere Beziehung funktionieren oder nicht? Zitat (Liat Elkayam, „Die Leugnung der gestundeten Zeit“) 8. Staunen Unter der Steppdecke strich ein sommersprossiger Finger über eine Tätowierung. „Ich habe sie schon machen lassen, noch bevor ich Sex hatte“, sagte sie. Sie hatte sechs davon. „Die erste mit achtzehn, sofort als ich konnte, und die da, nachdem Rabin ermordet wurde.“ Sein Finger verharrte bei der dritten Tätowierung auf dem Handgelenk, tänzelnd. Sie legte seinen Finger an ihren Mund, küsste ihn. „Die da nach dem Militär“, sagte sie. (Ich würde gerne etwas über den Sex schreiben. Pardon, wie wir uns liebten. Es war gut. Sehr gut. Jeden Tag, mindestens einmal. Er war 21, also stand er ihm immer, und in dem Zustand besteht kein Unterschied von wegen Vorhaut, aber darüber hinaus – ich kann mich schlicht an nichts erinnern.) O-Ton Liat Elkayam And then, when I arrived to Berlin – reality kind of hit me in the face, because being in Berlin was like being inside… you are inside the spectre, and then there is this other image imposed on reality, like, like the classic thing that Israeli says: We sit on the train. We look at the older people, and we wonder, which ones were alive during the Holocaust....There was that movie at the time about the Hitler-Bunker. And we went to see the film. And - for me, it was very, very hard, because I found myself realising that people are sitting and watching a Hitler-movie, eating popcorn. And it was too much for me. I remember later that night, I had this crazy dream about being in a like a Luna-Park, who is a concentration camp, like, they make you smell the burning… like an amusement park of the Holocaust … I felt, everything was so commercialized in a way, like: Somebody is actually selling popcorn in relation to the Holocaust. Overvoice Als ich nach Berlin kam, war das ein Realitätsschock. Plötzlich war ich mittendrin. Das klassische Schreckgespenst tauchte auf, so geht es vielen Israelis: Man sitzt im Zug, sieht alte Menschen und fragt sich, was haben die während des Holocaust gemacht? Damals lief gerade „Der Untergang“ im Kino. Wir gingen rein, und plötzlich wurde mir klar, dass sich die Leute einen Hitler-Film anschauten und dabei Popcorn aßen. Das war zu viel für mich. In derselben Nacht träumte ich, dass ich in einem Lunapark sei, der ein KZ war, man konnte das Verbrannte riechen, es war ein Holocaust-Vergnügungspark. Alles war kommerzialisiert, da wurde Popcorn im Zusammenhang mit dem Holocaust verkauft. Sprecher Trotz bester Absichten kann sich Liat Elkayms autobiographische Heldin in der neuen deutschen Hauptstadt nicht von den Schatten der Vergangenheit befreien. Die Autorin schildert mit großer Offenheit, mit Humor und ohne die Verantwortung für ihre Gefühle dem anderen, dem Deutschen, zuzuschieben, ihr Unwohlsein. Ihre israelische Mentalität erkennt sie plötzlich als historisch geformt. O-Ton Liat Elkayam All the time, when I was in Germany, I felt, I felt, I am understanding something about the Israeli culture, because Israelis … they need everything to be disorganised. They need it. It is necessary for us to be able to change plans, move things around, not think too much, not organize, go out sidelines. In Germany, it is just the other way around. And I think, it is our reaction to all that, like: We have to be different from Germany. We have to be as different as we can. Overvoice Während meiner Zeit in Deutschland wurde mir etwas über die israelische Kultur klar: Israelis brauchen das Durcheinander. Wir müssen Pläne ändern können, spontan reagieren, wollen nicht zu viel nachdenken, organisieren, festzurren. Deutschland steht für das Gegenteil. Und ich glaube, all das Israelische ist eine Reaktion darauf. Wir müssen uns mit aller Kraft vom Deutschen unterscheiden. Sprecher Am Ende ihrer Geschichte bietet Liat Elkayam dem Leser eine Zusammenfassung ihrer Erfahrungen an. Sie tut dies in einer Aufzählung, sachlich, übersichtlich und geordnet, sehr deutsch. Inhaltlich jedoch rebelliert sie gegen jegliche Eindeutigkeit. Inhalt und Form wie Wunsch und Erfahrungen lassen sich nicht vereinen. Das verschafft dem Leser Spielraum. Sehr israelisch. Zitat (Liat Elkayam, „Die Leugnung der gestundeten Zeit“) Es folgt eine Serie von Sätzen, die alle möglich, zum Teil jedoch zwangsläufig gelogen sind: a) Pauls Großvater war kein Nazi, er ist immer noch ein Nazi und lebt unter anderem Namen in einem kleinen Dorf in den Karpaten. b) Gut, ich übertreibe. Er lebt nicht mehr, aber er hat mit Sicherheit in der 38. Division der SS gedient. c) Pauls Großvater ist schon im Ersten Weltkrieg gefallen, aber seine Großmutter ist eine andere Geschichte. d) Pauls Großmutter war Jüdin. f) Vielleicht will ich mich auch einfach nicht genau erinnern. Denn das ist mir an der Geschichte nicht wichtig. g) Was mich betrifft: Meine Großmutter mütterlicherseits kam aus dem Jemen nach Israel, mit der zweiten Alija, deren Mitglieder von jüdischen Vorarbeitern aschkenasischer Herkunft bis zum Gehtnichtmehr unterdrückt wurden. Diese Immigranten wurden bestenfalls wie Sklaven behandelt und in der hebräischen Presse mehrmals als „schmutzige Menschenaffen“ bezeichnet. Möglicherweise steht der Holocaust nicht ganz oben auf der Liste meiner nationalen Traumata. Und jetzt – 1. Der Leser/ die Leserin sind aufgefordert, einige Sätze zu kombinieren, die eine Fortführung des Romans zwischen der Israelin und dem Deutschen ermöglichen. 2. Der Leser/ die Leserin sind gebeten, davon auszugehen, dass die vollständige, genaue Antwort unbedingt mehr als zwei Sätze zu enthalten hat. 3. Der Verfasserin ist bewusst, dass es ebenso gut möglich ist, doch, diese Möglichkeit besteht sicher, dass keine Kombination annehmbar ist. Auf alle Fälle, das ist mit Sicherheit – das Ende. Sprecher Liat Elkayam lässt scheinbar Unvereinbares gleichberechtigt nebeneinander bestehen. Voraussetzungen für ein glückliches Ende sind vorhanden, betont sie und fordert den Leser auf, diese Geschichte weiter zu erzählen. O-Ton Liat Elkayam You know, I was in love, so, what I remember the best was the boy with. He is really a nice guy, and we are still in good relationship. And I was trying, was trying not to mix the personal with the historical, which is obviously not possible. But that was my intention. I thought myself very smart and very cynical, we were making jokes about it all the time. This is the constellation, you know. He is making a torment by being with me, because I am such a difficult person. So, this is the torment for the German: to be with a difficult Jewish girl. But I was trying just like escape it, I think, in a way, and not, not think about it. But as I said: It was impossible. Overvoice Ich war damals eben verliebt. Das Beste, an das ich mich erinnere, war mein Freund. Er ist ein netter Kerl, wir verstehen uns immer noch. Ich habe versucht, das Persönliche nicht mit dem Historischen zu vermischen. Das war offensichtlich nicht möglich, aber ich wollte es. Ich hielt mich für sehr schlau und zynisch. Die ganze Zeit witzelten wir, dass der Deutsche solche Qualen erleiden muss, weil er mit einem komplizierten jüdischen Mädchen zusammen ist. Aber ich wollte dem Ganzen eigentlich nur entkommen und nicht daran denken müssen. Das ist mir, wie gesagt, nicht gelungen. Sprecher Persönlich mag Liat Elkayam gescheitert sein. Doch das Ende ihrer Erzählung ist offen. O-Ton Liat Elkayam I think let each side tell his own story. I see, some of the people wrote about the New Future, which I find interesting, because we need to imagine something. We need to imagine this relationship, because for now, I think, the relationship between Israelis and Germans, it is impossible on the national level, but possible on a personal level. And so we have to try imagine the future. Overvoice Jede Seite soll ihre Geschichte erzählen. Manche schreiben über eine „Neue Zukunft“. Das gefällt mir, denn wir müssen uns etwas vorstellen können. Besonders in dieser Beziehung, die bislang auf persönlicher Ebene funktioniert, aber noch nicht auf nationaler. Deshalb müssen wir versuchen, die Zukunft zu erfinden. Musik Sprecher Den gewagtesten Ausblick in die Zukunft deutsch-israelischer Beziehungen wirft Herausgeber und Autor Norbert Kron. Sein actionreicher Politthriller erzählt von einer Zeit in gut fünfzig Jahren, an deren Ende eine überraschende Lösung gleich mehrerer Probleme durch einen einzigen Staat steht: „One state solution“. Zitat (Norbert Kron, „One state solution“) Es hatte nicht viele Menschen gegeben, die an den Erfolg des neuen Staates geglaubt hatten - wie groß war die Zahl der Skeptiker und erbitterten Gegner, die jahrelang gegen diese Vereinigung gekämpft hatten. Selbst in den Reihen der Befürworter waren Stimmen laut geworden, die den staatlichen Brückenschlag als Notkonstruktion betrachteten, mit dem die internationale Gemeinschaft von ihrem eigenen Versagen abzulenken versuchte, ein weiterer, verzweifelter Versuch, das über ein ganzes Jahrhundert blutig schwelende Nahostproblem in Schach zu halten. Aber nun brach der Vorabend des zwanzigsten Jahrestags an, feierte der "Vereinigte Staat", wie er offiziell hieß, den Eintritt in die dritte Dekade mit einem Nationalfeiertag, der diesen Namen wie kaum ein anderer auf der Welt verdient hatte. O-Ton Norbert Kron Also, so einen Text hätte ich mir vor fünf Jahren eben nicht zu schreiben getraut. Ich wäre auch nicht auf den Gedanken gekommen, so was zu schreiben. Ich hab damals, 2009, einen Roman angefangen, der eben eher von diesen Verklemmungen, sozusagen von so einem inneren Woody-Allen-Gefühl handelt, wenn man nach Israel kommt. Und das hat sich über die Jahre so aufgelöst, dass man auf ganz andere Gedankenspiele kommen kann, und dass man plötzlich eine Freiheit bekommt; eine Freiheit bekommt, Gedankenspiele zu äußern, wo man nicht das Gefühl gleich hat: Dafür wird einem der Kopf abgehauen. Zitat (Norbert Kron, „One state solution“) Dani Baum war 38 Jahre alt, es war zwei Jahre her, dass er zum Sicherheitschef in Tel Aviv ernannt worden war, der Nationalfeiertag war seine bisher größte Bewährungsprobe. Sein Vater hatte zu den kämpferischen Befürwortern der Einstaatenlösung gehört, gegen die es damals gerade in der älteren Bevölkerung vehemente Widerstände gegeben hatte. Doch die Volksabstimmung hatte ein unanfechtbares Ergebnis erbracht, ein Ergebnis, das die Welt in Staunen versetzte: die absolute Mehrheit für die Vereinigung von Israel, Palästina und Deutschland. O-Ton Norbert Kron Darf man eine Vision haben, dass Deutschland, Israel und Palästina sich vereinigen zu einem Land? Ist das nicht möglicherweise irgendwie antisemitisch? Diese Frage würde sofort im Raum schweben. Klar, ich frag mich auch nach wie vor. Das ist natürlich schon eine, auch ein gewisser, eine Provokation gegenüber der Idee des jüdischen Staates, die Israel darstellt. Zitat (Norbert Kron, „One state solution“) Soziologen hatten später Zweifel daran angemeldet, dass es den Wählern um die Lösung des Nahostkonflikts gegangen war – vor allem sei der wirtschaftliche Faktor ausschlaggebend gewesen: Nach der Implosion der Europäischen Union mit der verheerenden Weltwirtschaftskrise von 2041 (mit den fürchterlichen Auswirkungen in Afrika) erwartete sich die Mehrzahl der Menschen vom "Vereinigten Staat", im Volksmund auch "Dschina" für "Deutschland-Israel-Palästina" genannt, eine Konsolidierung der eigenen Binnenwirtschaft. O-Ton Norbert Kron Aber eben, es ist möglich, solche Gedankenspiele zu äußern. Und wenn ich im Vorfeld, die konnten den ja nicht lesen, den Text, meinen israelischen Freunden von dem Text erzählt hab, dann haben die gesagt: Vereinigung zwischen Deutschland und Israel? Hey, das wäre das Beste, was uns passieren könnte. Die lieben Berlin. Und wenn man denen sagt: Ja, was haltet ihr von der Idee, dass sich Deutschland und Israel vereinigen?, dann fänden die das super. Musik O-Ton Galit Carlibach We discuss in Israel about the stereotype of Berlin. This is very convenient and very promised land. This is what we issued now. I don’t like it, because I think this is a destiny or in Arabic “maktub”. If I was born in Israel, this is important that I was born in Israel; and despite it is very, very difficult to live in Israel, because, you know, I came from Sderot, the bombed city. You have been there? No? So, all my family, I was born there, all my family came from Sderot, after they came from Morocco. And for me to be in Israel, it is not because - but despite, despite the difficulties. Overvoice In Israel reden wir viel über Berlin. Eine sehr angenehme Stadt, eine Verheißung. So der derzeitige Tenor. Ich mag das nicht. Wenn du in Israel geboren worden bist, ist das Schicksal. Oder wie die Araber sagen: Maktub – so steht‘s geschrieben. Wenn ich in Israel geboren bin, dann soll das so sein. Auch wenn es sehr sehr schwer ist, in Israel zu leben. Ich stamme aus Sderot. Der Stadt, die immer bombardiert wird. Meine ganze Familie lebte dort – nachdem sie aus Marokko gekommen war. Ich lebe in Israel trotz aller Schwierigkeiten. Sprecher Galit Dahan Carlibach, 1981 geboren, Mutter von zwei Kindern, unterrichtet „Kreatives Schreiben“ und arbeitet als Fremdenführerin in Jerusalem. Ihre Romane wurden in Israel mehrmals ausgezeichnet. „Linber“ heißt die Geschichte, die sie für die Anthologie verfasst hat. Der Titel dreht die zwei Silben von Berlin um. Carlibach hat – anders als die meisten ihrer Generation – die deutsche Hauptstadt noch nie besucht. Ihr Text ist eine Annäherung, ein imaginatives Experiment. Zitat (Galit Dahan Carlibach, „Linber“) Wenn du mich mit nach Berlin nimmst, werde ich nichts fragen. Wenn du mich nach Berlin mitnimmst, mache ich Linber daraus, für dich. Die Stadt wird in voller Pracht für uns erstrahlen, und wir werden nicht in deiner Geschichte herumstochern. Ich will nicht wissen, ob dein Vater, irgendein Heinrich Ludwig, früher einmal SS-Offizier war, und ich muss auch nicht unbedingt herausfinden, was deine Mutter, irgendeine Gisela, in der Kristallnacht gemacht hat. Mein Gehirn wird in der fließenden Gegenwart enden. In der elastischen, honigartigen Gegenwart, die mich ausfüllt. Wir werden in Berlin Tegel landen und in die Stadt aufbrechen, die uns zulächelt. Und ich verspreche, mein Blick wird auf keinen der Stolpersteine fallen, auf denen Namen um Namen eingraviert sind. Namen von Juden ohne Körper. Ich werde nicht hinunterschauen, mich nicht blenden lassen, nur die Augen schließen, mit der warmen Sonne auf meinen Lidern, und mich von den linberischen Bürgersteigen wiegen lassen. Wir werden ausgelassen herumstrolchen, vielleicht bleibe ich ein oder zwei Mal stehen, und du, meine Liebe und mein Geliebter, hältst mich sicher an der Hand. Wir werden über die glatten Pflastersteine treiben, die ein luxuriöses Kanalisationssystem verbergen, sauber, durchdacht, präzise. O-Ton Galit Carlibach When the editor asked me: Do you want to join an Anthology of Berlin? Have you ever been in Berlin? I told him: Not, but I am writer. So, this is a real test. If I am a real writer, I can write about anything. This is an imagination. And then, I wrote about Linber. Berlin in the imagination. So, this was the first time that I thought about it. Overvoice Als mich der Herausgeber fragte, willst du bei dieser Anthologie mitmachen, warst du schon mal in Berlin?, sagte ich nein, das nicht, aber ich bin Schriftstellerin. Das war für mich die Probe auf’s Exempel. Wenn ich tatsächlich Schriftstellerin bin, kann ich über alles schreiben. Das heißt ja, Vorstellungskraft zu haben. Und so schrieb ich über Linber, über Berlin in der Phantasie. Es war das erste Mal, dass ich über die Stadt nachdachte. Zitat (Galit Dahan Carlibach, „Linber“) Wenn du mich nach Linber mitnimmst, werden keine Vampire aus den Abwasserkanälen unter den Stolpersteinen heraufflattern. Keine Maskierten werden losstürzen, keine Horden sich zusammenrotten, keine Schuhe übers Pflaster nageln. Keine Vergewaltigungen, niemand wird sich mitschuldig machen, keine Hälse werden ausgesaugt und umgedreht. Und nachher, des Nachts, liebst du mich auf dem Bett des Hotels Berlin Mitte, mit gerötetem Gesicht, wirst mich lieben und zum Lachen bringen. Im Fenster wird eine seltsame Wolke auftauchen, und auf der Kommode nebenan brennt eine Zigarette im Aschenbecher. Deine Hand wird die Reise über meine Haut antreten, nicht die zitternde Haut eines Muselmans, die verzweifelt schon in Leichentücher eingewickelt sein will. Und wenn meine Kleider fallen, werden dir keine Knochen ins Auge stechen, sondern mein straffer, satter Körper. Wir werden nicht mehr Goi und Jüdin sein. Kein Goi wird sich über eine Jüdin erheben. Und wenn ich den Blick hebe, werde ich entdecken, dass die Wolke, die ans Fenster pocht, nur Nebel ist. O-Ton Galit Carlibach The point in literature for me: This is an imagination place. And also, this is a private place. I don’t believe in ideologia. And yesterday I told my students about this. I told them: Excuse me, if you want to write a story about a good man, because you want to pass a message, it is no work, it doesn’t work. But if you want to do something, because this is an art, so it will be amazing. Overvoice Für mich ist Literatur vor allem ein Ort der Imagination, und gleichzeitig ist es ein privater Ort. Ich glaube nicht an Ideologien. Gestern habe ich meinen Studenten gesagt: wenn ihr über einen guten Menschen schreibt, um eine Botschaft zu transportieren, wird das nicht gelingen. Wenn ihr aber Kunst schaffen wollt, dann wird man staunen. Sprecher Die Autorin ruft Stereotype herauf – die kühle, saubere Funktionalität noch der deutschen Kanalisation, die Gewalt von Neonazi-Horden, die Wolke aus Rauch – und überführt sie in ganz anders geartete, gegenwärtige Situationen. Durch diese Beschwörung mit nachfolgender Verneinung nähert sich Galit Carlibach spielerisch der deutsch-israelischen Wirklichkeit. Sie stammt aus einer Familie marokkanischer Juden, die vom Holocaust nicht betroffen war. Ganz anders ist das bei der 1973 geborenen Sara Blau. Ihre Großeltern mütterlicherseits überlebten Auschwitz, der Vater ihres Vaters wurde in Buchenwald ermordet. Sie ist religiös orthodox aufgewachsen und arbeitete viele Jahre an einem Institut für Holocauststudien. In der autobiographischen Erzählung „Nett“ beschreibt auch sie einen Besuch in Berlin. Lange hatte sie eine Reise in das Land der Täter abgelehnt. Dann erhielt sie eine Einladung zu einer Lesung. O-Ton Sara Blau I said: Okay. But something very surprising happened. I mean, I thought: I was sure that when I go to Berlin, the first time, I mean, all the history will come alive. All the lectures they get about the Germany by the Third Reich, and I was sure, I mean, everyone prepared me: Oh, it’s gone to be very interesting for you, Berlin, because your worked in the Holocaust-Institution… And when I stepped from the plane, I remember: Something shocking happened. Overvoice Ich sagte zu. Und dann geschah etwas sehr Überraschendes. Ich dachte, wenn ich zum ersten Mal nach Berlin komme, wird die ganze Geschichte lebendig werden. Alles, was ich über das Dritte Reich gelernt hatte. Jeder sagte mir: Das wird für dich hochinteressant, weil du dich doch so lange schon mit dem Holocaust beschäftigt hast. Ich stieg aus dem Flugzeug und etwas Schockierendes passierte. Zitat (Sara Blau, „Nett“) „Also wie findest du denn Berlin?“, fragte man mich von allen Seiten, und das einzige Wort, das in meinem Gehirn auftauchte, war „nett“. O-Ton Sara Blau I arrived to that nice hotel. I walked in the streets, in all the places… nothing occurred. I mean, I am just there. As far as I concerned, it was a very, very nice European city. And the history wasn’t there. And I start to check myself. In the beginning, I was a little bit in a panic. I said: Where is it? I mean, what happened? How come Berlin in just a nice city for me? How come, how could it be? And it didn’t change. Overvoice Ich fuhr zu meinem hübschen Hotel. Ging durch die Straßen, über die Plätze. Nichts geschah. Ich war einfach nur da. Was ich bemerkte: ich war ich in einer sehr, sehr netten europäischen Großstadt. Und die Geschichte, die Historie war nicht da. Ich musste mich vergewissern, denn ich drohte panisch zu werden: Wo ist sie denn nun? Was passiert hier mit mir? Wie kann Berlin eine nette Stadt für mich sein? Wie ist das möglich? Aber es blieb dabei. Zitat (Sara Blau, „Nett“) Und ich erinnere mich an die feststehenden Sätze, die ich jahrelang den Studenten des Holocaustinstituts immer wieder bei ihrer Vorbereitung auf die Reise nach Polen gesagt habe. „Ihr müsst verstehen“, ich räusperte mich immer, um die Bedeutung der Sache herauszustellen, „dass es sein kann, dass ihr dort steht, in Auschwitz, neben der Gaskammer, und nichts empfindet. Ja, das passiert, und gar nicht selten, dass Schüler von der Polenfahrt ‚enttäuscht’ zurückkommen. ‚Ich konnte nicht weinen’, sagen sie, ‚ich habe gar nichts gefühlt’. Zieht in Betracht, dass euch das auch passieren kann. Polen ist wie der Groschen im Bewusstsein, der eine Weile braucht, bis er fällt. Das kann ein oder zwei Monate dauern oder ein Jahr, und manchmal passiert es auch gar nicht. Erschreckt nicht, berücksichtigt das einfach, und zwingt euch nicht ‚zu fühlen’. Ich warte immer noch. Sprecher Mit der Beschreibung des „Nicht-Fühlens“ bricht Sara Blau ein Tabu. Denn heute werden stärker denn je Jugendliche in Israel von den Schulen und der offiziellen Politik des Landes emotional auf den Holocaust als Grundnarrativ der Nation eingeschworen. Sara Blau verweigert diese Manipulation. Und ist damit nicht allein. Interessanterweise berichtet auch ein anderer Autor der Anthologie, Yiftach Ashkenazy, davon, dass er im Land der Täter zwar nicht nichts, aber doch etwas anderes fühlt als das, was die Stifter der nationalen Identität wünschen. Dabei beschäftigt sich auch Yiftach Ashkenazy, der 1980 geboren wurde, beruflich – wie Sara Blau - mit dem Holocaust. Er unterrichtet Gruppen in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem. Berlin kennt er aus seiner Studienzeit. Seine Geschichte trägt den Titel „Wenn man neben Albert Speer wohnt“. Ashkenazy ist sich bewusst, dass er sich in einem historisch aufgeladenen Raum bewegt, hält aber an der Gegenwartsperspektive fest. Die Vergangenheit wird gebannt. Zitat (Yiftach Ashkenazy, „Wenn man neben Albert Speer wohnt“) Es war im letzten Sommer, als ich versuchte, Ingeborg Bachmann zu entschlüsseln, und in Kreuzberg in der Melchiorstraße wohnte, nicht weit von einem Gebäude, das Albert Speer entworfen hat. Der Inschrift nach stammte es von 1938, doch dieses schicksalhafte Jahr hatte es nicht sichtbar geprägt. Der Bau, der wie ein bürokratisches, aber kein totalitäres Ungeheuer wirkte, war von meinem Zimmerfenster aus zu sehen, allerdings nicht direkt gegenüber. Durchs Fenster sah ich nicht auf das Gebäude, sondern auf eine Reihe städtischer Tennisplätze. Samstags und sonntags, wenn ich nicht lernte, war das die morgendliche Geräuschkulisse. An diesen Tagen erwachte ich mit den Schlägen und Seufzern einer jungen und allem Anschein nach talentierten Tennisspielerin, deren Hauttönung ihre afrikanischen Herkunft verriet, so dass ich wenigstens an diesen Morgen zu den Stimmen des neuen Deutschlands aufwachte. O-Ton Yiftach Ashkenazy I actually wrote about my experiences, the story about when you live next to Albert Speer. So, I have like a close to Albert Speer place, but I lived close by to his building, one of his buildings... it exists. But it is not something that change the way that you see all the reality. Actually Berlin was a place of breaking a lot of stereotypes also inside, like, … When they tell you all the time: Beware of anti-Semitism, and I didn’t found any anti-Semitism in Berlin. So, no one was care about the fact that I don’t look German. The Turkish care, they thought that I am Turkish and always spoke Turkish with me. I get upset. I lived in Kreuzberg, so every time that I didn’t speak, answering in Turkish, they were very upset of me, because they were sure that I am a Turkish guy, who doesn’t want to speak in their language. Overvoice Meine Geschichte handelt von der Erfahrung, neben Albert Speer zu leben. Ich wohnte direkt neben einem seiner Gebäude. Es stand da. Aber es hat meine Wahrnehmung von Berlin nicht verändert. Berlin half mir, viele Klischees abzubauen. Auch wenn man mich immer vor Antisemitismus warnte – ich habe ihn nicht kennengelernt. Niemand scherte sich darum, dass ich nicht deutsch aussah. Nur die Türken. Die sprachen mich immer auf Türkisch an. Ich wurde irgendwann sauer. Ich lebte in Kreuzberg und immer wenn ich nicht auf Türkisch antwortete, wurden sie sauer. Sie hielten mich einfach für einen Türken, der sich verleugnete. Sprecher Deutlich schwerer fällt es dem Protagonisten in Amichai Shalevs Geschichte „Wurst mit Colageschmack“ sich bei seinem Berlinbesuch der mitgebrachten Klischees zu entledigen. Shalev beschreibt einen jungen Mann, der zu einer Tagung in die deutsche Hauptstadt reist. Sinnigerweise soll dort über das Thema „Sprache als Instrument zu gesellschaftlich-politischem Wandel und Erzeugung von Realität“ debattiert werden. Shalevs Hauptfigur mit seiner verzerrten Wahrnehmung ist Opfer des israelischen Diskurses, was typisch deutsch sei. Er ist ein Produkt der durch Sprache erzeugten Realität: Die Angestellte im Hotel erscheint ihm „distanziert unzugänglich“ , die Gespräche anderer Gäste erinnern ihn an das „Rasseln von Krebsscheren“, das Wort „Friedrichstraße“ hört sich für ihn wie „der Befehl eines SS-Mannes“ an. O-Ton Amichai Shalev When you land in Germany, an Israeli, you get your sense of humour, your black humour. Everything can be a symbol: trains, potatoes, german language. But still I think: in our mind Germany is something else. Emotionally, the most painful thing is to think about Auschwitz and all the death camp, not Berlin itselve and the German. I think it is still different things, of course connected, but I need to invested more. I think things are trying to change, when you know more about history and about present times and you meet Germans. Flesh and blood. And you see, they are nice people and not evil with little moustaches and so. Overvoice Wenn ein Israeli nach Deutschland kommt, aktiviert er seinen schwarzen Humor. Alles kann jetzt ein Symbol sein, Züge, Kartoffeln, die deutsche Sprache. Aber ich glaube, Deutschland ist in unserem Kopf noch etwas anderes. Am schmerzhaftesten ist es, an Auschwitz zu denken und an die Todeslager – nicht an Berlin und an das Deutsche. Das sind zwei Dinge. Natürlich hängen sie zusammen, aber ich muss einfach den Blick weiten. Dinge ändern sich, wenn man mehr über die Geschichte weiß, und mehr über die Gegenwart erfährt und Deutsche aus Fleisch und Blut trifft. Dann begreift man, es sind nette Leute, nicht kleine Teufel mit Schnauzbart. Sprecher Die selbstironische Haltung des Autors gegenüber den Empfindungen seiner von Holocaust-Bildern traumatisierten Hauptfigur, entspricht der Haltung vieler junger Israelis dieser Generation, die sich mit Humor und Sarkasmus jeglicher Verpflichtung zum Gedenken verweigern. Denn schon in der Jugend war Deutschland für sie mehr als das Land der Täter. O-Ton Amichai Shalev So it was, when you’re a teenager, a young teenager, it is a bizarre mixture of Nazis, porn-star and Euro-pop...In the 80ies, there were a lot of German bands, pop-bands, Europe pop-bands like Alphaville, Modern Talking, and after that dark wave music, a lot of Germans, a lot of good music; a lot of bad music as well. But since I was very fond of music, it was all my life there. : So, something had change emotionally. When you love a band like Alphaville and you sing their songs and you know they are Germans, so something really happens to you, even in subconscious. Overvoice Für einen Heranwachsenden war Deutsches eine bizarre Mischung aus Nazis, Pornostars und Europop. Ich rede von den 80er Jahren, als es eine Menge deutscher Bands gab, Alphaville, Modern Talking, Dark Wave Musik. Viel gute Musik, schlechte natürlich auch. Aber als ich diese Musik liebgewonnen hatte, wurde sie ein Teil meines Lebens und veränderte es. Wenn man Alphaville mag und ihre Lieder mitsingt und weiß, dass sie Deutsche sind, macht das etwas mit einem. Auch im Unterbewusstsein. Musik (Alphaville) Sprecher Während der Protagonist in Shalevs Geschichte offensichtlich keine Erfahrungen mit deutscher Musik gemacht hat und auch im Berlin dieser Tage immer noch - in einer Mischung aus Faszination und Ekel - die Fratze der Nazizeit gewärtigt, schwelgt der Held in Assaf Gavrons Text „Wuppertal-Vohwinkel“ bei seinem Besuch ganz im Hier und Jetzt. Vielleicht liegt es daran, dass der Autor ihn in die deutsche Provinz schickt und nicht in die ehemalige Reichshauptstadt. Und auch nicht in das benachbarte Wuppertal-Elberfeld, das als Wohnort von Joseph Goebbels durchaus historischen Kitzel geboten hätte. Am Rande des Bergischen Landes, in das sich kaum ein israelischer Tourist verirrt, lässt Gavron einen israelischen Journalisten in eine handfeste Menage à trois mit einem deutschen Basketballfan und dessen Frau geraten. Zitat (Assaf Gavron, „Wuppertal-Vohwinkel“) Klaudia schnappte nach Luft, und ich drang weiter ein, bis ich zur Hälfte in ihr war. Ich begann mich zu bewegen, koordinierte meine Stöße mit Karl unter ihr. Wir füllten sie beide, und sie tobte hemmungslos zwischen uns, genoss jede Sekunde, kam noch einmal, bis ich mich irgendwann nicht mehr beherrschen konnte, sie so eng und gespannt spürte, und mit einem Schwung tiefer als bisher in sie hineinstieß, und sie schrie etwas auf Deutsch, und ich blieb tief in ihr drin, meinen Kopf nach oben, ins Licht gereckt, und kam, bis mich ihre Muskeln gewaltsam hinausstießen, sie nicht mehr konnte. Ich fiel so auf das Bett, dass ich den Fußboden sah – große viereckige Platten mit vielen Paar Schuhen, eins davon seltsamerweise mit roter Spitze. Sprecher Intensiver und zugleich verstörender kann eine deutsch-israelische Begegnung wohl kaum ausfallen. Assaf Gavron stellt ein gängiges Klischee, das vom sexbesessenen Juden, auf den Kopf. Seine subversive Umwidmung zeigt die Deutschen aufreizend und schamlos – in der Sauna, in der Umkleidekabine oder im heimischen Wohnzimmer. Gavron und die anderen israelischen Autoren gehen spielerisch und frech mit den Tretminen der Geschichte um. Sie verstoßen mitunter lustvoll gegen den guten Geschmack. Sie lassen sich nicht von einer drückenden, nicht zu vergessenden Vergangenheit fesseln, sondern suchen „Normalität“ zu beschreiben. Und sie sind erleichtert, dieser Normalität im heutigen Deutschland zu begegnen -- nicht anders als auf der anderen Seite Norbert Kron und Moritz Rinke. Aufgewachsen mit der historischen Verantwortung für die Untaten der Großelterngeneration erfahren sie in Israel plötzlich, was die Israelis in Deutschland erfahren: Beschwingtheit trotz Erblast. O-Ton Norbert Kron Ich bin vorher auch mit extremen inneren Verspannungen, was das Thema angeht, durch die Welt gegangen. Ich bin auch noch in Israel am Anfang und in Tel Aviv mindestens zwei Jahre lang durch die Straßen gelaufen mit so einem Gefühl: Ich hab ein riesiges Schild auf, über dem Kopf hängen. Da ist ein Pfeil, und auf dem Pfeil steht: Achtung! Deutscher! Nach und nach hab ich festgestellt: Es gibt diese Verspannung eigentlich von Seiten der Israelis, der jungen Israelis zumindest, überhaupt nicht. O-Ton Moritz Rinke Wenn man das erste Mal nach Israel reist, reist man natürlich auch immer mit der Geschichte und mit der, mit dem, was man in der Schule über den Holocaust gelernt hat, und man hat die Schuld oder die Scham im Gepäck. Dass es eine dritte Generation gibt, die mit einer ganz großen spielerischen Lässigkeit Deutschen begegnet, das wusste ich ja damals noch nicht oder vielleicht gab’s die auch vor 14, 15 Jahren noch gar nicht. Das kam erst viel später. Also, meine ersten Erfahrungen waren in Israel eine Mischung aus Scham, aus, fast so ein Wiedergutmachungsinstinkt, dass ich auch meinen Teil beitragen muss. Sprecher Zwei deutsche Autorinnen gehen anders vor als ihre Kollegen: Katharina Hacker und Sarah Stricker. Sie legen Geschichten vor, in denen sie als Deutsche aus israelischer Perspektive erzählen. Auch lebensgeschichtlich verfügen sie über eher ungewöhnliche Erfahrungen. Die Buchpreisträgerin Katharina Hacker lebte als junge Frau einige Jahre in Tel Aviv. Sie lernte Hebräisch und begann dort ihre erste Erzählung zu schreiben. O-Ton Katharina Hacker Ich war ja ziemlich jung, als ich da hingegangen bin, 23 muss ich gewesen sein. Und war bestimmt unbefangener als viele andere Deutsche, die nach Israel gehen, weil in meinem Elternhaus ein Gutteil der Freunde und Bekannten jüdisch waren, und deswegen war das für mich ganz normal und unaufregend, eigentlich. Und trotzdem war ich auch schlicht zum ersten Mal im Ausland. Das heißt, es war die erste Begegnung mit dieser Möglichkeit, überhaupt sich von innen und von außen anzugucken und zu spüren, dass es auch ein anderes Innen geben könnte für mich selber, biografisch. Sprecher Von Unbefangenheit kann allein Katharina Hacker sprechen, denn selbstverständliche, unaufgeregte Kontakte mit Juden im Elternhaus kann sonst keiner der Autoren und Autorinnen vorweisen. Hackers Text „Durch das Eisengitter“ scheint aber unberührt von diesen Erfahrungen. Die deutsche Autorin verschwindet hinter ihrer Geschichte, in der sie die Begegnung einer namenlosen jungen Frau mit einem geheimnisvollen alten Haus in Jerusalem beschreibt. Zitat (Katharina Hacker, „Durch das Eisengitter“) Ich ging alle paar Tage an dem Gebäude vorbei auf irgendeinem Weg, zu Freunden, zu meinen Gymnastikstunden, zu meinem Lieblingscafé. Manchmal sah ich einen, der stand hinter dem Fensterkreuz, ein Schemen. Das Haus trägt seinen alten Namen: „Haus der Aussätzigen“. Keiner, den ich fragte, wusste, was sich heute in dem Haus befindet. Es ist ein schwarzes Loch in der täglichen Geographie: kein Zeichen, kein Hinweis dringt hinaus. O-Ton Katharina Hacker Der Text hat natürlich eine Innenperspektive, weil ich da einfach gelebt habe und irgendein Thema genommen habe als jemand, die in Israel lebt und anfängt zu schreiben – ohne Hinsicht auf deutsch-jüdische Problematik oder sonst irgendwas. Also, es ist ein ganz innerisraelischer oder innerjerusalemischer Text, müsste man ja vermutlich sagen. Sprecher Warum sich dieser „innerisraelische“ Text in der Anthologie findet, bleibt offen. Über das deutsch-israelische Verhältnis sagt er explizit nichts aus. Allerdings lässt sich die Unwichtigkeit der deutschen Identität für Hackers Figur, ihr Aufgehen in der israelischen Umgebung auch als eine Möglichkeit lesen, den überkommenen Belastungen auszuweichen. Vergleichbar mit Hackers Haltung ist die von Sarah Stricker in der Erzählung „Der neue Deutsche“. Ihre Ich-Erzählerin Maya ist Israelin. Zitat (Sarah Stricker, „Der neue Deutsche“) Woran es eigentlich liege, dass die Leute immer gleich wüssten, dass er Deutscher sei, fragte er. Er wirke doch gar nicht so, „don’t you think?“ Aber, sagte Maya, sie verstehe gar nicht, warum er nicht deutsch aussehen wolle, das sei doch nichts Schlechtes! Ja, das verstehe wiederum er nicht, „how could it not be bad?“ „Why would it? Because of the Holocaust?”, fragte Maya, “but that was such long time ago!” Die neuen Deutschen seien doch ganz anders als die alten. Man dürfe nicht nur das Negative sehen. Der Deutsche schaute noch immer skeptisch, es sei ja nur, „to know that it was all because of my people that so many were killed…“ Nicht doch!, rief Maya wieder, es seien doch nicht allein die Deutschen gewesen! Stalin habe doch noch viel mehr Menschen umgebracht als Hitler! Da aber wurde der Deutsche plötzlich laut. Das könne man doch nicht vergleichen, rief er, man könne, nein: man dürfe überhaupt nichts mit dem Holocaust vergleichen, Stichwort: Verharmlosung, der massenhafte Völkermord an den Juden sei das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte und damit völlig einmalig. Und die Schuld, ja, die trügen die Deutschen, das sei überhaupt keine Frage, beziehungsweise, es dürfe keine Frage sein, denn damit würde man die Gräueltaten nur relativieren, „and to make things relative, no, that forbids itself!“ O-Ton Sarah Stricker Ich hab hier oft das Gefühl, dass Deutsche, die in Israel zu Besuch sind, gar nicht merken, wie sehr sie den Israelis ihre Schuld zum Teil aufdrängen. Ich hab’s wirklich schon erlebt, dass Deutsche im Supermarkt die Verkäuferin gefragt haben, wie viele Menschen sie eigentlich im Holocaust verloren hat. Man erkennt die Deutschen auch sofort. Die Deutschen sind hier ganz anders als andere Europäer, nicht nur, weil sie so wahnsinnig Wert darauf legen, dass nur ja niemand merkt, dass sie Deutsche sind, was meiner Meinung nach nicht nur mit der Geschichte zu tun hat. Also, mit nichts kann man einen Deutschen glücklicher machen, als dass man ihn für irgendwas anderes hält: Franzose, Italiener, Spanier, zur Not auch Skandinavier, Hauptsache nicht Deutscher. Und dann merken sie oft, dass die Israelis dem Thema aber eigentlich ganz anders begegnen, dass Israelis Holocaust-Witze machen, dass sie diese Schuld auch gar nicht wollen. Die Deutschen schießen oft übers Ziel hinaus. Sprecher Sarah Stricker kam mit einem Stipendium nach Tel Aviv, verliebte sich in die Stadt und blieb. Sie spricht gut Hebräisch, hat einen israelischen Freund, ist selbstbewusst Deutsche und kann beide Perspektiven einnehmen, die der Deutschen auf Israelis und die der Israelis auf Deutsche. Für eine Schriftstellerin eine ideale Voraussetzung. Dass sie aber, um etwas über Deutsche zu erzählen, eine personale Erzählerin aus Israel wählt, kann man auch als Ausweichmanöver verstehen, als Scheu vor der direkten Konfrontation mit dem Deutschsein. Ihre israelische Kollegin Liat Elkayam kritisiert diese Art der Identifikation mit dem anderen: O-Ton Liat Elkayam It was a rather difficult experience, because I read, I read the stories told by German; and they speak from a [p.o.v.], from a point of view of an Israeli, both the stories I read. And I don’t like it when people do that. I have a lot of friends who make movie; and sometimes they make movie from the Palestinian p.o.v. And I don’t like it, when they do that either. I think let each side tell his own story. Overvoice Als ich die zwei Geschichten von den Deutschen las, die aus israelischer Sicht erzählen, hat mich das ziemlich verstört. Ich mag so etwas nicht. Viele meiner Freunde sind Filmemacher. Und manchmal drehen sie Filme aus palästinensischer Perspektive. Das mag ich auch nicht. Ich finde, jede Seite sollte die eigene Geschichte erzählen. Sprecher Die Geschichten der israelischen Autoren zeigen, dass sie mit Lust am Spiel schmerzhafte Widersprüche zwischen historischer Lehre und gegenwärtiger Erfahrung aushalten können. Die deutschen hingegen neigen mitunter zu Pathos und Überidentifikation. Erst mit den Opfern, nun mit den neuen Freunden. Als ob sie sich selbst immer noch nicht über den Weg trauen würden. O-Ton Norbert Kron Für mich war sehr überraschend, in Tel Aviv festzustellen, und wenn ich mit den Leuten dort war, dass ich dachte: Das ist ganz komisch. Ich fühle mich eigentlich den anderen europäischen Völkern hier in Mitteleuropa weniger nahe als den Israelis. Oder anders gesagt: Ich liebe die Italiener: Aber sie sind unglaublich fremd auf eine gewisse Weise. Man versteht sie nicht in ihrer Eigenart. Und die Israelis, die Tel Aviver, eben diese Familien, die ich kennen gelernt habe, dieses Leben ist extrem deutsch, wenn man so will. Es ist wie bei uns. Diese alte Lebenskultur, die mitteleuropäisch ist wie bei uns, die spürt man dort. Und die lässt einen sozusagen etwas spüren von dem Deutschsein, was man auch hat, was man vorher nicht wusste. O-Ton Moritz Rinke Ich kann freier sprechen. Ich kann freier mit den Israelis mittlerweile reden, weil durch diese junge Generation ich die Kraft bekommen habe, klarer auf diese Situation zu schauen und auch den Mut bekommen habe zu kritisieren, also das, was die deutsche Politik nicht kann. Also, was es natürlich bräuchte, der politische Dialog bräuchte genau das, was dieses Buch versucht zu vermitteln, nämlich eine gewisse Lässigkeit, Entspannung. Dann werden natürlich die einen wieder rufen: Das kann niemals entspannt sein. Ihr Deutschen habt natürlich mit einer vorgehaltenen Hand in dieses Land zu reisen und mit vorgehaltener Hand über unsere Belange zusprechen. Das können Israelis verlangen, und ich glaube, viele würden ihnen hier Recht geben. Die Frage ist nur: Tut man ihnen damit Gutes? Wir müssen, glaube ich, irgendwann verstehen, dass man Schuld, so schlimm sie auch ist und so groß sie auch ist, nicht ewig weitertragen kann. Sprecher Beinahe alle Texte der Anthologie „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen“ sind wunderbar undiplomatisch, manche gar ungeschliffen. Diese deutsch-israelische Autorengeneration ist neugierig aufeinander und geht ohne allzu große Peinlichkeiten selbstverständlich miteinander um. Wer mit globaler Pop-und Massenkultur aufgewachsen ist, ist sich auch in vielem ähnlich – was es leichter macht, das Trennende auszuhalten. Die gemeinsame grauenvolle Vergangenheit ist ein Fakt – und Vergangenheit. Gemeinsame Parties und Diskussionen sind die Gegenwart. O-Ton Liat Elkayam I think the most complex relationships Israel have with any other countries with Germany. I hope it for my daughter let’s put it this way: There will be the ability to forget, because forget and forgive. I hate this line ... We won’t forget, we won’t forgive. I hate it, because I think, not forgiving takes a lot of torn on the person, who is being angry, you know. So, I wish, we were taught to forgive. And I think my generation already has the ability … I like myself, I sat there and I realised, there were a lot of German people, going through some difficult serious shit during the war. I mean we were both traumatized, we’re both post-traumatic, when it comes to the Holocaust. And so, maybe we can cure each other as well. I hope we can. Overvoice Unsere Beziehungen zu Deutschland sind von allen die komplexesten. Ich hoffe für die Generation meiner Tochter, dass sie die Fähigkeit entwickeln wird, zu vergessen und zu vergeben. Ich hasse dieses „Nicht vergeben und vergessen“. Ich hasse es, weil nicht zu vergeben bürdet einem eine große Qual auf. Man bleibt wütend. Deshalb wünsche ich mir, dass man uns das Vergeben lehrt. Meine Generation hat damit, glaube ich, schon begonnen. Beide Seiten sind traumatisiert. Wenn es um den Holocaust geht, sind wir alle post-traumatisch. Und deswegen können wir uns vielleicht gegenseitig heilen. Ich hoffe es jedenfalls. O-Ton Sarah Stricker Genauso wenig wie die Deutschen immer die Täter sein wollen, möchten die Israelis eben nicht immer die Opfer sein. Und manchmal ist es da einfach leichter, eine extreme Liebe zu entwickeln, die vielleicht auch manchmal ein bisschen übers Ziel hinausschießt, als immer weiter mit dieser Wunde herumzulaufen. Also, ich glaube, manchmal wird da auch ein bisschen die Geschichte in Liebe ertränkt. Andererseits führt die gemeinsame Geschichte eben zu einem wahnsinnig engen Band. Ja, natürlich ist das Verhältnis nicht normal. Das wird’s auch auf absehbare Zeit nicht werden. Aber das ist auch nicht zwangsläufig was Schlechtes. Musik 1