COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Ein Rheinland-Pfälzer in Berlin ... - ...und seine ganz persönlichen Beobachtungen - Autor Rainer Brandes Mod./Red. Stucke, Julius Sendung 15.06.2011 (13 Uhr 07) Länge Beitrag 17'50'' MANUSKRIPT BEITRAG ATMO/GERÄUSCH U-Bahn / Verkehr AUTOR Hier steh' ich nun also. Berlin. Millionenstadt! Autobahnen rauschen mitten durch Wohngebiete, hektische Menschen springen in letzter Sekunde in die U-Bahn und rennen dabei jeden um, der ihnen im Weg steht. Fahrradfahren ist auch nicht wirklich entspannt. Zwar darf ich auf der Busspur radeln, doch wenn das dem Busfahrer grad nicht passt: ATMO/GERÄUSCH Hupen AUTOR Da war ich anderes gewohnt. ATMO Ruhige Straße AUTOR Rheinland-Pfalz, genau genommen: Trier an der Mosel. Ruhige Straßen, entspannte Autofahrer, die auch mal Rücksicht auf Radfahrer nehmen. Der Moselfranke an sich ist eben ein gemütlicher Mensch. Verschlossen, muffig, ATMO Kirchenglocken AUTOR und vor allem katholisch und traditionsbewusst. MUSIK HARTER SCHNITT ZU "Berlin 2011" [kurz frei, dann unter den Text blenden] AUTOR Berlin ist hip, cool und schnell. Denkt man zumindest, wenn man nicht von hier kommt. Berlin ist anders, denkt man. Stimmt! Das zeigen schon die Werbesprüche! ATMO Verkehr [mischen mit Musik] AUTOR "Be open, be free, be Berlin" oder "Sei kreativ, sei lebendig, sei Berlin". Diese Sprüche kleben die Berliner in leuchtendem Rot überall hin: auf ihre Busse genauso wie auf Mülleimer. Sehr befremdlich. Will ich wirklich einen lebendigen Mülleimer? Spricht nicht unbedingt für die Hygiene der Großstadt. Oder der hier: "Sei waschecht, sei flüssig, sei Berlin." Gut - was auch immer das heißen soll: Berlin will anders sein und modern. Dat is schon wat anersdesch als in Trier an der Musel: MUSIK "Oh Mosella" [unter dem Text] Da klebt auf den Mülleimern auch ein Spruch: "Uns schöner Trier" - also für alle, die kein Moselfränkisch verstehen: "Unser schönes Trier." Weiter reicht die Phantasie des Trierers nicht. Aber wenigstens das Busfahren: Das ist hier in Berlin genauso unterhaltsam wie an der Mosel: Achtlose Menschen bleiben in der Lichtschranke stehen, die Türen gehen nicht zu, der Busfahrer blafft durch den Lautsprecher: "Soll ick hier ewig rumstehen, oder wat?" ATMO U-Bahn hält AUTOR Mit der U-Bahn nach Alt-Tempelhof. ATMO Vogelzwitschern [kurz frei stehen lassen, dann unter den Text legen] AUTOR Im Süden der Hauptstadt. Nicht Prenzlauer Berg, nicht Kreuzberg, nein, Tempelhof. Hier wohne ich jetzt. Große, vierstöckige Wohnblöcke aus den 1930er-Jahren. Riesige, begrünte Innenhöfe. Modern und hip ist hier nichts. Tatsächlich habe ich das Gefühl, hier ist die Zeit stehen geblieben. Die Fenster in den grau verputzten Häusern haben jeweils zwei Holzrahmen hintereinander - Wärmedämmung anno 1950. Hinter den Scheiben weiße Spitzengardinen. Irgendwie bin ich hier im Oma-Viertel von Berlin gelandet. ATMO Fahrrad auf Kopfsteinpflaster (kurz stehen lassen, dann unter den Text) AUTOR Und die Straßen! Kopfsteinpflaster! Das ist ja ganz schön anzusehen, aber mein Fahrrad und mein Hintern machen da einiges mit. Die ganze Siedlung wirkt kleinstädtischer und provinzieller als manch ein Hunsrückstädtchen. Hier gehen die Uhren auch nicht schneller als in meiner alten Heimat. ATMO Verkehr AUTOR Abends fallen mir die Straßenlaternen auf, in ihrer altertümlichen Form mit dem zylinderförmigen, olivgrünen Aufsatz, unter dem eine tropfenartige Glasabdeckung hängt. Vor allem aber das Licht. Es ist irgendwie anders, goldgelber. Es stammt auch nicht aus einer elektrischen Birne, sondern aus vier kleinen Leuchtpunkten. Schließlich das ganz leise Rauschen, das aus der Laterne dringt: Es sind tatsächlich noch Gaslaternen. Und die stehen nicht nur hier in Tempelhof. Ich entdecke sie an den verschiedensten Orten in Berlin und lerne: Berlin ist die Welthauptstadt des Gaslichts. Angeblich steht hier über die Hälfte aller weltweit existierenden Gaslaternen. Mehr noch: In der Stadt tobt - völlig unbemerkt vom Rest der Republik - ein Kulturkampf. Die Kontrahenten: Der Senat, der gern modern sein möchte und elektrisches Licht propagiert, gegen den "Gaslicht-Kultur e.V.", der die Gaslaternen erhalten will. O-TON Kujath 1(0'05''): "Ich bin Berthold Kujath, bin Vorsitzender des Fördervereins Gaslicht-Kulttur e.V. in Berlin. AUTOR In Charlottenburg treffe ich die Gaslicht-Verfechter. Ausgerechnet unter dem grellen Licht einer elektrischen Laterne. O-TON Kujath 1(0'25''): Wir sind jetzt hier in der Sophie-Charlotten- Straße. Und diese Straße hatte früher Gas-Reihenleuchten. Die sollten elektrifiziert werden damals, und wir haben durchgesetzt durch Anwohnerinformationsveranstaltungen und Unterschriftensammlungen, dass diese Straße als gasbeleuchtete Straße erhalten wird und sogar darüber hinaus noch eine neue Beleuchtung bekommt. Wir haben nämlich hier die einmalige Situation in Berlin, wo wir Hängeleuchten haben, die zur Fahrbahn hin leuchten, und Schinkel-Aufsatzleuchten zum Fußgängerbereich." AUTOR Berthold Kujath und sein Kollege Christian Sperling haben viel über die Laternen zu erzählen. ATMO Fahrad auf Kopfsteinpflaster [unter den Text legen] AUTOR Auf einer nächtlichen Fahrradtour durch Berlin-Charlottenburg erfahre ich alles über die verschiedenen Gas-Leuchten-Typen, ihre Funktionsweise, ihr Alter und ihre ästhetische Form. REGIE [Atmo weg] O-TON Sperling 1 (0'15''): "Hier haben wir in der Gard-du-Corps- Straße die sogenannte Modellleuchte, im Volksmund bekannt als Schinkelleuchte. Diese Schinkelleuchte ist eigentlich die bekannteste, in ihrer Form vielfach nachgeahmt. Hier haben wir das Original!" AUTOR An diesem Abend wird mir klar: Laterne ist nicht gleich Laterne. Was dem Rheinland-Pfälzer sein Wein ist, das ist diesen Berlinern ihre Gas-Beleuchtung. Ein Klischee muss ich jedenfalls aufgeben: dass der Berliner keinen Sinn für Tradition hat. Ganz im Gegenteil: Berthold Kujath und Christian Sperling lieben die gute alte Zeit. Da fühl' ich mich fast wie zu Hause. O-TON Kujath 2 (0'09''): "Das Gaslicht aus Gas ist Teil der Berliner Identität. Es ist stadtbildprägend und es ist 'ne Berlin-typische Alltagskultur, die es nirgendwo auf der Welt in der Form, in diesen flächendeckenden Ausmaßen, gibt." AUTOR Genauer müsste man sagen: Das Gaslicht ist Teil der West- Berliner Identität. Denn im Osten herrschte der Motor des Fortschritts, der Sozialismus, sprich: Die Ost-Berliner Behörden ließen die Straßen planmäßig von Nord nach Süd durchelektrifizieren. Als sie es fast geschafft hatten, da fiel die Mauer. Wahrscheinlich konnten die Ost-Berliner einfach das in grellem elektrischem Licht erstrahlende Elend nicht länger ertragen. Die West-Berliner jedenfalls - habe ich das Gefühl - hätten auch noch zwanzig Jahre länger in ihrem ummauerten gold-gelben Gas-Licht-Paradies zubringen können. So prägt die längst vergangene Teilung dieser Stadt bis heute das Stadtbild und auch die Lebenseinstellung ihrer Bewohner. In Rheinland- Pfalz hat mich niemand gefragt: Ziehst du nach West- oder Ostberlin? In Berlin selbst höre ich diese Frage öfter. ATMO S-Bahn Abfahrt DANN: Moselviertel Höchste Zeit also, mal in den Osten zu fahren, um zu sehen, ob es dort wirklich so anders ist. Berlin-Weißensee, im Nord-Osten der Hauptstadt. Zuerst einmal: ähnlich ruhig wie in Tempelhof. Die Straßennamen klingen sehr vertraut: Trierer Straße, Bernkasteler Straße, Neumagener Straße. Man nennt die Gegend hier auch das Moselviertel. Genauso gibt es Ecken, wo alle Straßen nach Eifelstädtchen, Hunsrückkäffern oder Dörfern in der Pfalz oder dem Westerwald benannt sind. Die Sehnsucht des Berliners nach dem Provinziellen scheint ähnlich ausgeprägt zu sein wie die Sehnsucht des Rheinland-Pfälzers nach dem Großstädtischen. Jedes rheinland-pfälzische Dorf, das etwas auf sich hält, hat eine Berliner Allee. Und die Hauptstadt revanchiert sich mit Straßennamen, deren Herkunftsstädte kein Berliner auf einer Landkarte zeigen könnte. Oder ist das etwa ein Vorurteil? O-TON Orph 2 (0'07''): "Äh, Trier is' - äh - irgendwo - äh - Richtung Saarland, aber noch nicht ganz Saarland, würd' ich sagen. NRW, oder? Nee ... " ATMO Moselviertel [unter dem Text] AUTOR Vor einer verwaisten Musikschule treffe ich ein paar junge Leute aus dem Kiez. Sie haben handgemalte Plakate an das Gebäude geheftet. "Räumt Knäste - keine Wohnungen" steht darauf. Daneben eine Antifa-Flagge. Als ich mit meinem Mikrofon auftauche, telefonieren die Hausbesetzer erst mal ihren Pressesprecher herbei. Das sei nun einmal so die Regel. Klar: Wer in der Hauptstadt keinen Pressesprecher hat, den nimmt niemand ernst. Wenige Minuten später erscheint ein großgewachsener Mittzwanziger mit langen blonden Haaren. Er nennt sich Enrico. Sein wirklicher Name bleibt geheim, denn Namen spielen keine Rolle. Nur die Gemeinschaft zählt. O-TON Orph 1 (0'02''): "Ich glaub Trier, ist das nicht in Schleswig- Holstein?" AUTOR Warum heißen die Straßen hier eigentlich so? O-TON Orph 3 (0'03''): "Ja, das ist 'ne gute Frage. Das weiß ich nicht. Also auf'm Orph haben wir das in unserem Lexikon noch nicht so drinne. Wir werden's einfach aufnehmen." AUTOR Was, bitte, ist ein Orph? O-TON Orph 4 (0'18''): "Wir sind die Orphs. "Orph" ist eigentlich nur ein Ausspruch und ein Name, der sich zufällig gefunden hat, aber das sind einfach Bewohnerinnen, die den Kiez unterstützen, die sich einmischen in Stadtentwicklung von unten. Das heißt also, diejenigen, die versuchen, hier die Stadt, unter anderem auch das Moselviertel, zu gestalten. All diejenigen, die solche Prozesse mitmachen, die könnte man als "Orphs" bezeichnen." AUTOR Da fahre ich seit Tagen durch ganz Berlin, immer auf der Suche nach dem Alternativen und Kreativen, das diese Stadt doch angeblich ausmacht. Und ausgerechnet hier, im ruhigen Moselviertel in Weißensee, treffe ich endlich zum ersten Mal Menschen, die dieses Klischee erfüllen, das man als unbedarfter Hinterwäldler so hat. Linke Socken, die leer stehende Häuser besetzen. O-TON Orph 5 (0'11''): "Also, linke Socken hat uns noch keiner gesagt. Ich weiß auch nicht, warum wir, nur weil wir Orphs sind, automatisch in die Kategorie Links fallen. Wir kennen diese Kategorie nicht in unserer Welt. Aber gut, offensichtlich fallen wir in diese Kategorie. Damit müssen wir wohl umgehen." AUTOR Und schon habe ich mich wieder als Nicht-Berliner zu erkennen gegeben. In Rheinland-Pfalz jedenfalls ist jeder, der auf die Idee käme, ein Haus zu besetzen und eine Antifa-Flagge davor aufzustellen, eindeutig eine linke Socke. In Berlin jedoch hat man offensichtlich das Links-Rechts-Denkschema längst hinter sich gelassen. Hier verkauft die Regierungspartei "Die Linke" städtische Gebäude an den Meistbietenden, während Menschen, die sich nicht als "links" bezeichnen lassen wollen, diese Gebäude besetzen. O-TON Orph 6 (0'04''): "Also, wir gehen jetzt auf die Neumagener Straße, 7 bis 14 ist, glaub ich, die Hausnummer. AUTOR Enrico nimmt mich mit auf einen spontanen Rundgang durchs Moselviertel, vorbei an einem großen, rötlich-braunen Backsteinbau mit bunt gestrichenen Fensterrahmen. Hier waren die Orphs schon erfolgreich. Aus der ehemaligen Oberschule wurde gegen den ursprünglichen Willen der Stadt ein Kulturzentrum. Direkt daneben bleibt Enrico stehen und zeigt auf ein Rasenstück vor einem Wohngebäude, das von einem Bauzaun umschlossen ist. Auf rot umrandeten Schildern steht: "Betreten verboten. Eltern haften für ihre Kinder. Liegenschaftsfonds Berlin". O-TON Orph 6 (0'23''): "Dieses Grundstück soll ebenfalls verkauft werden an den Meistbietenden als Baugrundstück und dagegen haben Leute etwas gehabt offensichtlich. Also, sie haben so Zaungitter-Elemente rausgenommen, also das Grundstück wieder geöffnet, und zu Ostern zu einem Osternest aufgebaut. Mittlerweile ist der Zaun wieder korrigiert. Und das Anliegen der Anwohnerinnen ist schon, das soll 'ne Grünfläche bleiben. Dieser hässliche Zaun steht schon seit Jahren und der stört uns." AUTOR Einfache Bürger, die mal eben so für Ostern einen Bauzaun öffnen, um ein sinnlos abgesperrtes Wiesestück fürs Osterfrühstück zu nutzen: Diese Einstellung gefällt mir. Bevor sich Enrico verabschiedet, sagt er noch, dass die Orphs große Unterstützung für ihre Aktionen im Viertel bekämen - auch und gerade von älteren Anwohnern. Und tatsächlich, kurze Zeit später treffe ich auf zwei ältere Damen. Die Hausbestzungen der Orphs finden sie prima. Der Liegenschaftsfonds habe schon viel zu viel öffentliches Eigentum verkauft. Solch rebellische Omas findet man an der Mosel selten. Wir Rheinland-Pfälzer haben scheinbar die alte preußische Hauptstadt in Sachen Obrigkeitshörigkeit überrundet. Apropos Mosel: Die beiden Damen erklären mir, dass die Straßen hier im Moselviertel gezielt nach bekannten Weinstädten benannt wurden. Warum, das wissen sie allerdings nicht. Waren sie denn schon mal an der Mosel? O-TON Oma 1 (0'06''): "Nein." "Nein." "Ostler und ... es war nicht möglich. Jetzt sind wir bald ein bisschen zu alt." AUTOR Auch sonst wissen sie wenig über die Städte, nach denen ihre Straßen benannt sind. Heute finden sie das schade, aber der Westen war nun mal weit weg. O-TON Oma 2 (0'20''): "Zu Ostzeiten, wir sind alle arbeiten jegangen. Wir hatten jar nicht die Zeit, uns mit irgendwelchen Leuten zu befassen. Dit ging gar nicht." "Also, ik wohne hier 40 Jahre und da war das eben nicht machbar, dass wir uns mit der Jeschichte auseinander setzen konnten." "Und waren wir ooch zu jung zu. Ham wer kein Interesse jehabt früher. Dit kommt auch noch dazu, ja?" "Ja." AUTOR Schade eigentlich. Wären die beiden mal an der Mosel gewesen, hätten sie dort eine anständige Kneipen-Kultur kennenlernen können. Mit Riesling, Elbling oder - gegen den Durst - frischem Viez auf der Karte. ATMO Kneipenatmo [kurz freistehen lassen, dann unter den Text legen] AUTOr Dagegen Berlin: Egal ob mittags, nachmittags oder abends: Vor den Bars und Kneipen sitzen Berliner und trinken mittelmäßiges Bier. Und wenn doch mal Wein auf der Karte steht, dann ist es irgendein italienischer Importwein. Selbst hier im Moselviertel gibt es nicht eine Weinhandlung. Wie überlebt man da als Rheinland-Pfälzer? Am besten mal echte Rheinland-Pfälzer in Berlin fragen. Tja, aber wo finde ich die? Als Bayer hätte ich da kein Problem. Die haben natürlich einen Verein der Bayern in Berlin. Aber uns Rheinland-Pfälzern als Bürger eines Bindestrich-Landes fehlt einfach die gemeinsame Identität - und damit auch die Vernetzung. Doch immerhin: Ich finde den "Verein der Pfälzer in Berlin e.V.", gegründet 1910. Jetzt hat der Moselfranke zwar im Allgemeinen nicht sehr viel mit den Pfälzern gemein, aber immerhin die Liebe zum Wein. ATMO nächste Station: Westend AUTOR S-Bahnhof Westend, das passt zur Pfalz! ATMO Ausstieg links AUTOR Man trifft sich in Sichtweite des Schlosses Charlottenburg in einem gut-bürgerlichen Lokal, umgeben von hohen, alten Bäumen. ATMO Stammtisch [kurz frei stehen lassen, dann unter den Text legen] AUTOR Zwölf Vereinsmitglieder sitzen um einen langen Holztisch, auf der einen Seite die Frauen, auf der anderen die Männer. Sie sind alle um die 60 oder älter und trinken - Berliner Kindl! Ein Pfälzer Stammtisch ohne Pfälzer Wein? O-TON Schuck 1 (0'14''): "Trinken wir schon, auch. Aber wenn man bedenkt, dass in der Pfalz, in dem schönen Weinland, auch mehr Bier getrunken wird als Wein, dann ist das gar nicht so schlimm, wenn wir in Berlin auch 'nen Bier trinken. Wir trinken unsern Wein schon." AUTOR Nun gut, man muss sich ja auch ein bisschen in die Mehrheitskultur integrieren. Das fällt einem Pfälzer hier sowieso schon schwer genug. "Willste noch wat? Oder kann ick zumache'?" Solche Sprüche von der Kellnerin kommen mir als Moselfranke bekannt vor. Unfreundlichkeit als Dienstleistungsmerkmal: Da stehen die Trierer den Berlinern in nichts nach! Wer aber die sprichwörtliche Pfälzer Gemütlichkeit gewohnt ist, für den ist Berlin eine harte Prüfung. Der Vereinsvorsitzende Klaus Rieger hat sich auch nach über 30 Jahren in Berlin nicht daran gewöhnen können. O-TON Rieger 1 (0'24''): "Die Mentalität ist 'ne völlig andere. Wenn ich mich im Bekanntenkreis umhöre, und dann erfahr' ich immer wieder, ja, bei euch wächst Wein und wo Wein getrunken wird, sind die Leute gemütlicher - ausgeglichener. Und das is' in Berlin einfach zu hektisch. Jeder denkt nur an sich. Der Egoismus ist sehr groß geworden." AUTOR Dabei hat der Verein in den vergangenen hundert Jahren alles versucht, Pfälzer Lebensart nach Berlin zu bringen und dort zu erhalten - mit Winzertänzen in Pfälzer Trachten und Wandertouren. Doch heute will kaum mehr jemand etwas davon wissen - nicht einmal die eigenen Kinder der Pfälzer. Zwanzig Mitglieder hat der Verein noch. Vor hundert Jahren war das anders, erzählt der Geschäftsführer Amin Anders. O-TON Anders (0'20''): "Da waren es ca. 400 bis 450 Mitglieder in diesem Verein, die dann auch am Wochenende mit 300 bis 350 Leuten zum Wandern gegangen sind. Und das ist also unser Erbe, was wir übernommen haben. Wir pflegen das auch weiter, denn wir gehen einmal im Monat wandern und dann redde mer aach widder en bissl Pälzisch, damit das aach alle Leit verstehe." AUTOR Lange wird es diesen Verein wohl nicht mehr geben, meint der Vorsitzende. Die Mitglieder sterben aus. Ist das das Schicksal der rheinland-pfälzischen Migranten in Berlin? Entweder verschwinden in der Anonymität der Großstadt oder mitsamt der eigenen Kultur einfach aussterben? Aber heißt nicht einer der Berlin-Sprüche: "Sei Multi, sei Kulti, sei Berlin"? Muss da nicht auch für uns Rheinland-Pfälzer und unsere Weinkultur Platz sein? Vielleicht doch. Heinrich Schuck, der Bier trinkende Pfälzer, findet versöhnliche Worte: O-TON Schuck 2 (0'16''): "Ich will aus meiner Sicht sagen, dass die Berliner zumindestens dem Pfälzer en bisschen ähnlich sind. Berliner sind auch lebenslustig, die feiern auch gern und die machen auch gern ihren Spaß. Also irgendwo passt das alles." AUTOR Stimmt. Da gleicht der Berliner uns Trierern. Wenn wir mal lustig sind, merkt's der Außenstehende auch nicht gleich. -ENDE BEITRAG - 13