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Trotzdem wirkt das Springen wie ein Familiensportfest. Atmo 2: Applaus in Meinerzhagen SPRECHER Etwa 100 Zuschauer sehen die weltbesten Skispringerinnen. Daniela Iraschko schafft 68 einhalb Meter: neuer Schanzenrekord! O-Töne 2 Iraschko Ich bin eher der Fliegertyp und mag die kleinen Schanzen nicht so. Deswegen bin ich eher traurig, dass wir auf so kleinen Schanzen springen. SPRECHER Von der Schanze in Meinerzhagen geht es eben nicht weiter. 68 Meter sind das Maximum. Nicht nur das schränkt Daniela Iraschko und ihre Kolleginnen ein. Im Sommer muss die Studentin aus der Steiermark arbeiten gehen, um im Winter springen zu können. O-Ton 3 Iraschko Aber wenn ich das vorbei hab, habe ich Kohle für den Winter und gebe Vollgas! Man wird nicht so gefördert wie die Herren und muss auch über die Runden kommen. SPRECHER Typisch für die Pionierphase: Frauenskisprung ist ein Amateur-sport von Schülerinnen und Studentinnen. Wettkämpfe gibt es kaum. Die Springerinnen üben sich in Bescheidenheit. O-Ton 4 Ganster Wenn man die gesamte Entwicklung betrachtet, ist es enorm. Es wird die Breite immer stärker und es können heutzutage 5,6, 7 8 Leute gewinnen. Es wird immer spannender und immer enger. SPRECHER Eva Ganster ist im Jahr 2004 bereits die große alte Dame des Ski-sprungs. Die 26jährige kennt also die Geburtswehen der Disziplin. Atmo 3: Anlauf auf Schanze SPRECHER 1994 war die Kitzbühlerin mit 16 Jahren bei den Olympischen Winterspielen in Lillehammer gestartet – aber nur als Vor-springerin der Männer! Frauenwettbewerbe wurden von der FIS, dem zuständigen Weltverband, strikt untersagt. Der Aufsprungdruck sei beim Landen zu groß. Das Springen sei deshalb für Frauen ungeeignet, ja sogar gesundheitsschädlich. Das ist Unsinn, wie man heute weiß. Schon damals hat sich Eva Ganster nicht um solche Vorurteile geschert. O-Ton Ganster 5 Das mit den großen Schanzen macht zwar sehr viel Spaß, doch es kostet auch viel Kraft. Ich trainiere vier fünf mal die Woche, ich gehe etwa zweimal Springen. Je nach Trainingsperiode. SPRECHER Eva Ganster segelte bereits 1997 von der Flugschanze in Kulm 167 Meter weit. Weltrekord! Musik 1: Steve Miller (Komponist und Interpret): „Fly like an Eagle“, Label: King Biscuit (ohne LC), ca. 10 Sek. Freist. SPRECHER Der erste Weltrekord im Frauenskifliegen schaffte es zwar ins Guinness-Buch der Rekorde, doch blieb er ähnlich unbeachtet wie sechs Jahre später Daniela Iraschkos erster und bislang einziger Flug auf 200 Meter – ebenfalls in Kulm am 30. Januar 2003. Das ist fast genau zehn Jahre her! Atmo 4: Schülertraining Sauerland Wie steht es heute mit den springenden Frauen? O-Ton 6 (Henriecke,8) Ich hab das im Fernsehen gesehen und habe meine Mutter den ganzen Sommer genervt: „Wann ist endlich Winter, wann darf ich endlich Skispringen?“ Und jetzt mache ich es. SPRECHER Die achtjährige Henriecke springt beim Skiclub Willingen. O-Ton 7(Jörg Pietschmann) Bundesweit ist auch diese Erfahrung, dass eben immer mehr Mädchen versuchen, diesen Sport anzufangen. In Sachsen sind relativ hohe Zahlen, auch in Bayern. Der Startschuss ist gemacht. Das merken wir auch. SPRECHER Jörg Pietschmann vermittelt Jungen und Mädchen gemeinsam in einer Übungsgruppe die Sprungtechnik. Die acht- bis 13jährigen Mädchen können durchaus bei den gleichaltrigen Jungen mithalten: O-Ton 8 Pietschmann Jungs versuchen am Schanzentisch richtig mit Kraft weg zuspringen, um auf Weite zu kommen. Mädchen schauen sich das an und sagen sich: „Wenn der so ehrgeizig ist, diese Weitee zu erreichen, dann versuche ich das auch mal!“ Und oftmals mit dem Körpergefühl, das die Mädchen besser haben, schaffen die es, ohne, es mit viel Kraft zu machen. SPRECHER Eins ist sicher: Im Schüleralter widmen sich mehr mutige Mädchen dem Skisprung als noch vor Jahren. Nach Angaben des Deutschen Skiverbandes gibt es 120 organisierte Springerinnen in Deutschland. Darüber hinaus machen einige Dutzend Schüler-innen zumindest ein Schnuppertraining. Womöglich werfen die Olympischen Spiele von Sotschi schon kleine Schatten voraus. Vorfreude herrscht jedenfalls bei den etablierten Springerinnen des Deutschen Skiverbandes. O-Ton 9a+b (Katharina) Auch schön zu wissen, dass für Frauen olympisch ist und dass wir auch die Chance haben, so der ganzen Öffent-lichkeit zu zeigen, was wir können. (Melanie) Das Ziel ist mit Olympia jetzt fest geworden, ein festes Datum. Da freut man sich und geht ein Stück weit motivierter ins Training oder an die Schanze. SPRECHER Katharina Althaus aus Oberstdorf und Melanie Faist aus Baiers-bronn zählen zu den deutschen Kader-Athletinnen. Faist war übrigens schon als 14jährige in Meinerzhagen 2004 am Start. Doch im Vergleich zu damals hat sich einiges geändert: Haupt-amtliche Trainer kümmern sich nun um die Frauen. Trainiert wird regelmäßig auf 100-Meter-Schanzen. Atmo 5: Sprechfunk der Trainer an der Schanze Oberstdorf SPRECHER In Oberstdorf beispielsweise - beim DSV-Lehrgang. Nicht nur deutsche Springerinnen üben dort im vor-Olympischen Winter. Auch Franzosen und Niederländer testen die Allgäuer Sprung-anlage. Bastian Tielmann, Trainer des Niederländischen Teams. O-Ton 10 Die Schanze in Sotschi wurde mit dem gleichen Profil gebaut wie die 100m-Schanze von Oberstdorf. Es ist ein schönes modernes Profil und inhaltlich zum Lernen extrem gut zum Lernen, weil man sich keinen Fehler erlauben darf - wird jeder kleine Fehler gleich bestraft. SPRECHER Gut ein Dutzend Winter-Sportnationen verfügen seit einigen Jahren über eigene Frauen-National-Teams. Seit 2011 präsen-tieren sie sich sozusagen in der ersten Liga, dem Weltcup, an dem weltweit 16 Nationen teilnehmen. Bundestrainer Andreas Bauer: O-Ton 11 Alle Länder betreiben das Damenskispringen jetzt professioneller, sei es vom Personal, vom Material, von vielen Bereichen. Da merkt man auf breiter Front eine Aufbrauchstimmung. SPRECHER Ein fester Betreuerstab kümmert sich um 15 Kader-Athletinnen im Deutschen Skiverband. Insgesamt wendet der DSV 1,5 Millionen Euro für Springer und Springerinnen auf: für Material, Lehrgänge und Wettkampfreisen. Die DSV-Frauen bekommen den deutlich geringeren Teil. Dabei trainieren sie mit der gleichen Ernsthaftigkeit wie die männlichen 50 Kader-Springer. Ob auf der Schanze – oder im Kraftraum, wo Schnellkraft, Ausdauer und Koordination verbessert werden. O-Ton 12 Häfele Es ist halt unterschiedlich, es kommt drauf an, was die jeweilige Sportlerin braucht, es gibt welche, die drücken mit der Hantelstange paar Kilo. Ein paar, die machen nur paar Hürdensprünge oder sonstige Variationen vom Springen. Atmo 6: Kraftraum Oberstdorf SPRECHER Anna Häfele aus Willingen imitiert den Absprung an einem Metall-Gestänge. O-Ton 13 (C. Bruder) Im Prinzip die Absprungbewegung, wie ich am Schanzentisch aus meiner Anfahrtshocke raus springen soll. Wenn ich da fehler-hafte Bewegungen mache, komme ich mit der „Krücke“ nicht hoch. SPRECHER Co-Trainer Christian Bruder betreut zusammen mit Cheftrainer Andreas Bauer das A-Nationalteam. Ein Technik-Betreuer und eine Physiotherapeutin ergänzen die Mannschaft. Ihre Schützlinge sind auch nach vielen Trainingsjahren noch mit Leib und Seele dabei. O-Ton 14 (Katharina Althaus) Für mich ist das schönste am Skispringen, dass man nach dem Absprung ne Zeit lang in der Luft fliegen kann, also fast schwerelos ist. (Juliane Seyfarth) Das Fliegen und die Geschwindigkeit. Es ist halt ne einzigartige Sportart. SPRECHER Skispringen erfordert Mut. Von klein auf sind die jungen Frauen daran gewöhnt: O-Ton 15 (Juliane Seyfart) Mein Papa war auch Skispringer, aber nur als Kind. Ich habe mit neun Jahren erst mit Langlauf angefangen und bin mit zehn zu den Nordischen Kombinierern gegangen und seitdem springe ich halt. SPRECHER Mädchen beginnen wie Jungen als acht- bis zehnjährige mit dem Training. Zunächst gehen sie auf 12- und 15-Meter-Schanzen. Atmo 7: Schülertraining Willingen O-Ton 16 (Michelle) Wir üben erst mal, wie man hier runter fährt, wie die Anfahrtshocke geht und wie man abspringt. Die Flughaltung ist bisschen schwierig, da muss man sich alles merken. SPRECHER Trotzdem wissen die Kleinen, wohin sie wollen. Die achtjährige Michelle und ihre Freundinnen haben durchaus ihre Vorbilder: O-Ton 17 (Lea) Mein Idol ist Anna Häfele. Ich finde sie klasse. (Emelie): Sarah Takanashi aus Japan, weil die ist erst 16 und hat schon zwei Weltcupsiege. (W-3) Anna Häfele! Wir kennen die auch persönlich und die nehme halt ich als Vorbild. SPRECHER Für die jungen Springerinnen aus Willingen sind Olympische Spiele ein ferner Traum. Sotschi ist dagegen für die Elite in Reichweite. O-Ton 18 Das ist das Ziel bis 2014 zu den Olympischen Spielen. Ich entscheide das von Jahr zu Jahr, wenn ich verletzungsbedingt durchkomme, spricht sicher nichts dagegen, dass ich das weiter mache. So lange ich Spaß habe, werde ich Ski springen. SPRECHER Daniela Iraschko, mit 29 Jahren immer noch in der Weltspitze, mischt seit gut 14 Jahren mit: Schon 1998, als Frauen erstmalig im Rahmen der Junioren-Weltmeisterschaft der Herren in St. Moritz ein eigener Wettkampf zugestanden wurde. Danach ging es Schlag auf Schlag: 2004 wurde der weltweit ausgetra-gene Continentalcup eingeführt, bei dem Iraschko über die Jahre 46 Einzelsiege gewann. MUSIK 2: CD: Go for Gold – The unforgetable Sporthits, 1991, Nr. 12 “ Titel: The final countdown”, Interpret: “Europe” (Hardrock-Band), Komponist: Joey Tempest LC-Nr: 7719 SPRECHER 2009 nahm der Weltverband FIS die erste Frauen-Weltmeisterschaft ins Programm! 2011 kam die zweite WM: Dort schaffte Daniela Iraschko den bisher größten Erfolg und wurde Weltmeisterin. Ende 2011 organisierte die FIS den Frauen-Weltcup, der es dann auch ins Fernsehen brachte. O-Ton 19 Iraschko Es ist sicher der richtige Schritt und perfekt für uns! Ich sage, du kannst noch so einen guten Sport machen, wenn er nicht in den Medien ist, hast du nichts davon. SPRECHER Mit dem Fernsehen wuchs allmählich auch das Publikumsinter-esse vor Ort. Bei der ersten Weltcupserie 2011/12, die 13 Springen umfasste, kamen in Slowenien immerhin 3500 Zuschauer zur Schanze. Bundestrainer Andreas Bauer ist zuversichtlich, dass die zweite Weltcup-Serie das noch steigern wird. O-Ton 20 (Bauer) Wir haben in diesem Jahr 16 Weltcup-Springen plus zwei WM-Springen. Man hat auch das Mixed-Team neu aufgenommen. Da war die Premiere im Sommer, ein ganz interessanter Wettkampf, wo zwei Jungs und zwei Mädchen springen, da sieht man schon, dass sich das entwickelt. Und in ein paar Jahren werden wir 20 Weltcupspringen haben. Dann sind wir sehr gut aufgestellt. O-Ton 21 (Gräßler) Ich denke, dass das Mixt-Team dazu beiträgt, dass ab und zu mehr Zuschauer kommen, weil sich viele sagen: Wenn ich die Männer und die Frauen springen sehe, das ist ja nicht schlecht.“ Und in Schonach und Hinterzarten, wenn da das Wetter mitspielt, da sind ja auch die Kombinierer, da werden viele kommen, ich freue mich über jeden einzelnen. SPRECHER Die 25jährige Oberwiesenthalerin Ulrike Gräßler wurde 2009 in Liberec Vize-Weltmeisterin und hat ihren Sport gut ein Jahrzehnt lang ohne Fernsehpräsenz ausgeübt. Erst in den letzten beiden Jahren stehen vereinzelt Kameras an den Schanzen, die das Frauenskispringen auch über die Wintersportorte hinaus bekannt machen. Zugleich wächst durch Fernsehbilder das Interesse der Sponsoren. Inzwischen nutzen die Skispringerinnen – wie die Männer - Ski und Mützen als Werbefläche. Es locken Werbe-Einnahmen. Bislang sind sie noch ein Zubrot und kaum mit den Werbegeldern der Männer vergleichbar, meint Melanie Faist: O-Ton 22 Die Medien werden auf uns aufmerksam und dann sehen sie, dass das ne Werbeflächen sind. Genauso wie bei den Herren. Aber es wird bis nach Olympia dauern, bis die großen Sponsoren - bis Redbull oder Milka - keine Ahnung wer noch - vor der Tür stehen. Aber es finden sich schon immer mehr Ski- und Kopfsponsoren. SPRECHER Alle DSV-Springerinnen tragen den Namen eines Sponsoren auf Mützen und Stirnbändern: Einheit in der Außendarstellung. Intern herrscht ordentlich Konkurrenz, so Bundestrainer Bauer. O-Ton 23 Wir haben in der Mannschaft so etwas wie den Kampf jung gegen alt. Da sind die älteren Arrivierten wie Ulrike Gräßler, Melanie Faist, Juliane Seyfarth, dann kommen einige junge wie Svenja Würth, Carina Vogt und auch Katharina Althaus. Das ist jetzt ein bisschen ein Generationenkampf. Wir sind eine sehr ausgeglichene Mannschaft und haben aber nur sechs Startplätze und in Sotschi können nur vier an den Start gehen. Deshalb machen wir auch die gemeinsamen Trainingslager, und wenn sich gemeinsam im Trainingslager sieht, weiß man genau: „Wo starten die anderen?“ SPRECHER Dabei wird die Konkurrenz innerhalb des Teams unterschiedlich erlebt. O-Ton 24 (Svenja Würth) Wir haben recht häufig interne Wettbewerbe, um auszuspringen, wer überhaupt einen Weltcupstart kriegt. Da muss man schon mal die Ellenbogen ausfahren und sich durchsetzen können. Aber ich finde es gut. Wenn man dann zu den sechs gehört, die im Weltcup springen, weiß man, dass man vorne mit springen kann. (Anna Häfele) Es ist schon eine Einzelsportart, aber trotzdem ist es dieses Zusammengehörig-keitsgefühl vom Team sehr wichtig, weil man sich gegenseitig hilft und auch aufbauen kann. Es bauen sich überall innerhalb des Teams Freundschaften auf. SPRFECHER Viele kennen sich auch von der Ausbildung. Im Unterschied zur Pionierzeit sind die meisten Kader-Athletinnen – ähnlich wie die Herren - beruflich abgesichert. Seit 2007 können sie – wie Männer - bei der Bundeswehr Dienst leisten oder bei der Bundespolizei eine Ausbildung machen. Mit klaren Vorteilen, so die Weltcup-Achte des letzten Jahres, Melanie Faist: O-Ton 25 Durch die Bundeswehrstelle, wo ich zum 1.1. diesen Jahres bekommen habe, wird es professioneller. Ich habe einen festen Arbeitgeber. Ich kann mich professionell morgens und nachmittags mit Skispringen beschäftigen. Dann hat man einen anderen Tagesablauf. Wenn man zur Schule geht oder Studium macht, ist das Training dem Studium untergeordnet. Jetzt habe ich durch die Bundeswehr optimale Trainingsbedingungen. SPRECHER Nicht alle Adlerinnen gehen diesen Weg. Kathrina Althaus ist mit 16 Jahren jüngste DSV-Topspringerin. O-Ton 26 Ich gehe noch zur Schule, Fachoberschule, da habe ich eine Woche Schule, eine Woche Praktikum, und gehen ann am Nachmittag ins Training. Wir trainieren fünfmal die Woche. SPRECHER Skispringerin Ramona Straub hat die Schule bereits absolviert. Derzeit wird die 19jährige Schwarzwälderin stark durch ihre Ausbildung gefordert: O-Ton 27 (Straub) Ich mache ne Ausbildung als Einzigste hier. (Lachen) Ich lerne Zierpflanzengärtner. Meistens bin ich von halb acht bis fünf sechs am Arbeiten und gehe dann ins Training. Dann ist der Tag wieder rum. Atmo 9: Nachwuchs im Sauerland SPRECHER Während die Sprungelite etwa zehnmal pro Woche trainiert, müssen Nachwuchssportlerinnen mit weniger Aufwand auskommen. Dazu die C-Kader-Trainerin des DSV, Catrin Schmid: O-Ton 28 Die sind in der Regel in der Woche zweimal an der Schanze, sonst in der Halle, ganz normal Koordination, Schnellkraft trainiert wird, also vielseitig - so fünf Trainingseinheiten. SPRECHER Wer derzeit zu den zwölfjährigen Talenten zählt, wird 2014 keinesfalls in Sotschi starten können. Trotzdem nimmt man Nachwuchsförderung natürlich ernst, meint Ulrike Gräßler mit Blick auf den eigenen Landesverband. O-Ton 29 Ich muss sagen, Sachsen hat jetzt ein gutes Projekt eingeleitet vor kurzem, da bin ich auch Patin. Das heißt „Juniorteam Sachsen“, da sind die Nachwuchsspringerinnen drin, die müssen bestimmte Kriterien im Alpencup oder im Schülercup erfüllen. Dann kriegen die Material wie Ski, Schuhe, Helm - das gab es bei mir gar nicht – das ist auch schon mit der Perspektive nicht für 2014, aber für 2018 die Mädchen ran zu bringen. SPRECHER Während Ulrike Gräßler vor 15 Jahren als einzige Schülerin mit Jungen trainierte, werden in Sachsen zurzeit sieben Mädchen zwischen zehn und dreizehn Jahren durch ihren Verband unter-stützt - bis hin zur Kaderreife. Mit 15 oder 16 können sie dann - je nach Talent - schon mit Erwachsenen konkurrieren. Ein Beleg dafür ist die Altersspanne im Nationalteam: Die zehn besten DSV-Adlerinnen sind zwischen 16 und 25 Jahre alt. Wer im Skisprung in die Weltspitze will, braucht nicht unbedingt zehn Jahre Trainings-„anlauf“. Auch Jugendlichen gelingt be-reits der große Sprung. Bestes internationales Beispiel ist Sandra Hendrickson. Die US-Amerikanerin gewann 2012 den ersten Frauenweltcup mit gerade einmal 18 Jahren. Sie dominierte neun von dreizehn Weltcupspringen! Technisch war sie deutlich über-legen, sagt Sportwissenschaftler und Sprungtrainer Bastian Tielmann: O-Ton 30 Sie bringt einen Strecksprung zusammen inklusive einer Hüftstreckung, der sehr schwer zu koordinieren ist. Das hatte sie eigentlich schon immer, aber jetzt gelingt es ihr, das ganze n die Flugphase zu übersetzen. Und das macht sie zurzeit fast unschlagbar. SPRECHER Noch jünger als Hendrickson war die Dritte des letztjährigen Weltcups: die Japanerin Sara Takanashi mit knapp 16! Obwohl Skispringen ein komplizierter und technisch anspruchsvoller Sport ist, kommen Jugendliche ziemlich oft aufs Podest. Bundestrainer Andreas Bauer: O-Ton 31 Die haben natürlich auch weniger erlebt, und die haben auch weniger Leistungsdruck, weil sie noch nicht so viel erreicht haben. Und sie haben einen anderen Aufbau, im Skisprung ist ja auch viel Gefühlssache. Sie haben viel mehr trainiert in jungen Jahren. Man macht ungefähr um die 800 bis 1000 Sprünge im Jahr. Früher haben Mädchen mit 15 und 16 vielleicht 200 bis 300 Sprünge gemacht. Aber die Generation, die jetzt kommt, hat ne ganz andere Basis, die haben viel mehr Sprünge gemacht in ihrem Leben und drum geht alles von der Technik her viel leichter und viel selbstverständlicher. SPRECHER Ulrike Gräßler spürt als 25jährige schon seit einiger Zeit die junge Konkurrenz im Nacken. O-Ton 32 Erstmal denke ich, die meisten sind unbeschwerter, die meisten haben vielleicht noch keinen Sturz gehabt, nie nen Rückschlag gehabt. und wenn sie talentiert sind und gut drauf, gehen sie an die Schanze und springen, sind noch nicht ausgewachsen als Frau, haben dann nen kleinen körperlichen Vorteil. (…) Von denen wird noch nichts erwartet. Ich denke, das wird dann jede mitmachen, dass mal eine Verletzung dazu kommt, dass das Training nicht optimal läuft auch mal andere Sachen im Leben wichtiger werden. SPRECHER Ältere Springerinnen haben bereits Verletzungen und Rück-schläge erlebt. Sie kennen auch die Selbstzweifel, die entstehen, wenn sich bei der Sprungtechnik Fehler einschlei-chen und es einfach nicht gelingt, sie abzustellen. Eine Geduldsprobe, sagt Anna Häfele aus Willingen, inzwischen 23 Jahre alt. O-Ton 33 Die Trainer sagen einem ziemlich genau, wo es jetzt der Haken ist, warum der Sprung nicht richtig funktioniert. Manchmal ist so, dass man kein richtiges Gefühl dafür entwickeln kann, um selber den Fehler zu spüren. Da ist es halt wichtig, dass man dafür das Gefühl aufbaut, wenn man das Gefühl nicht hat. Und das kann manchmal auch sehr lange dauern, manche haben überhaupt kein Problem damit, das gleich anzusteuern. SPRECHER Viele Faktoren können beim Springen den sportlichen Erfolg gefährden: Einer davon ist das ständig wechselnde Wetter - sogar innerhalb eines Wettkampfs. Ausnahme-Könnerin Daniela Iraschko weiß das nur allzu genau. Bei der WM 2009 war die Österreicherin Topfavoritin und landete einen tadellosen er-sten Sprung. Im zweiten Durchgang konnte sie ihre Siegchancen begraben. Wegen einer kräftigen Windböe wurde sie nur Vierte. O-Ton 34 Es war alles ärgerlich, es war glaube ich nicht die beste Werbung fürs Damenskispringen. Wir hatten sehr widrige Bedingungen, es ist alles gecancelt worden, aber Hauptsache Damen lassen wir springen, so auf gut Glück, und das war nicht gerade die fairste Weltmeisterschaft, muss ich auch dazu sagen. SPRECHER Ihr Groll hat sich inzwischen gelegt. Trotzdem bleibt der Skisprung so etwas wie ein Glücksspiel, sagt Ulrike Gräßler. O-Ton 35 Man hat nur die zwei Sprünge, man hat nur die drei Sekunden. Im Biathlon, wenn man gut drauf ist, erstmal haben die auch mehr Wettkämpfe, mehr Chancen. Aber ich springe bisschen zu spät, dann fehlen mir zehn Meter, dann weiß ich schon: “Okay, ich kann vielleicht noch zehnte werden und das wars!“ Das ist manchmal schon extrem krass, wenn es mal so sagt. SPRECHER Keine Springerin will sich vor Sotschi unnötig verrückt machen. Ruhe vor dem Sturm? Die meisten beschäftigen sich mit ihren Nah-Zielen. O-Ton 36 (Ramona) Wir haben wieder die Junioren-WM, und da könnten wir eine Medaille mitnehmen. (Gräßler) Ich gucke immer von Saison zu Saison. Jetzt steht erstmal ein Winter mit einer WM bevor in Val di Femme, worauf ich auch hinarbeite. SPRECHER Vereinzelt tauchen Gedanken an Sotschi auf. Wer kann tatsächlich das Olympia-Ticket lösen? O-Ton 37 Ulrike Gräßler. Im Endeffekt muss man sage, die vier besten werden mitgenommen zu dem Zeitpunkt Januar 2014, und vorher gar nicht! Ich kann jetzt den ganzen Winter gewinnen, ich kann den Sommer dominieren und im Winter 2013 läuft es gar nicht gut, da bleibe ich auch daheim! Musik 3: Steve Miller (Komponist und Interpret): „Fly like an Eagle“, Label: King Biscuit (ohne LC), etwa 20 Sekunden SPRECHER Das DSV-Team ist stark und ausgeglichen: Anderswo herrscht weniger interne Konkurrenz: Das österreichische Team wird seit Jahren von Daniela Iraschko dominiert. Höchstens eine Verletzung könnte sie vom Olympia-Debüt abhalten. Ähnlich die Situation in Norwegen: Gerade hat Routinier Annette Sagen ihren 15. nationalen Titel errungen! Stets siegreich in den Niederlanden ist Wendy Vuik. Die 24jährige ist zwar keine Springerin für das internationale Podest. Sie hat jedoch schon einige Weltcup-Punkte gesammelt. Sie weiß schon heute, welche Qualifikationsleistung das Nationale Olympische Komitee ihres Landes für Sotschi verlangt: Eine Top-Acht-Platzierung im Weltcup. Dazu Trainer Bastian Tielmann: O-Ton 38 Für Wendy halte ich das für realistisch, aber nicht mit den Sprüngen, die sie jetzt macht. Aber wenn wir es zusammen-bringen, wie wir uns das vorgestellt haben, dann werden wir den achten Platz schaffen, den wir brauchen. SPRECHER Der internationale Kampf um Podestplätze ist bei den Frauen sehr offen. Etwa zehn Sportlerinnen kommen dafür infrage. O-Ton 39 Ulrike Gräßler Bei uns ist es fast spannender, weil jede Nation eine Topspringerin hat. Und jede Nation mal den Weltcup gewinnen kann oder unter die ersten Drei, das ist bei uns immer gut durchmischt das Podium. Nicht immer nur Deutschland und Österreich, sondern auch mal ne Italienerin, ne Kanadierin, ne Französin. Für die Entwicklung ist es sehr wichtig, weil jeder Verband sieht, wenn ich das fördere kann ich vielleicht ne Medaille mitnehmen. Nicht nur Deutschland und Österreich können die Medaillen abgreifen, sondern auch Italien oder Frankreich, oder Kanada, die bei den Sprungherren gar keine Chance haben. Atmo 10: Sprungansage SPRECHER Viele rechnen sich in der jungen Sportart Chancen aus. Das macht sie so spannend. Daher denkt zurzeit kaum eine DSV-Springerin ans Karriere-Ende. Kein ausschließlich deutsches Phänomen: Die Weltmeisterinnen von 2009 und 2011, Lindsey Van und Daniela Iraschko, brennen auf Sotschi. Im Jahr 2014 werden sie als älteste um die 30 Jahre alt sein. Ein Nachteil? DSV-Trainer Andreas Bauer: O-Ton 40 Eine Schnellkraftsportart wie Skispringen kann man auf jeden Fall bis 30 und darüber hinaus machen. Das ist ja auch das Ziel. Viele junge Frauen haben jahrelang dafür gekämpft, wie Ulrike Gräßler, dass es olympisch wird. Jetzt haben sie eine riesige Motivation, dabei zu sein, aber sie haben auch den Konkurrenzkampf mit den viel jüngeren, wie die Sarah Hendrickson, die Seriensiegerin des letzten Jahres, oder Sarah Takanashi, die gute Japanierin. Musik 4: Emerson, Lake & Palmer: The Best of Elp, T. 6, “Fanfare for A Common Man”, LC 0116, 20 Sekunden SPRECHER Die Aussicht, in Sotschi die ersten Olympischen Medaillen gewinnen zu können, wird viele bei der Stange halten. Ökono-misch betrachtet ist die Zeit nach 2014 wohl lukrativer als die gesamte Frauensprunggeschichte zuvor, so Bastian Tielmann: O-Ton 41 Alles andere bislang sind dagegen nur Peanuts - wie erste Weltmeisterin oder zweite Weltmeisterin, ist alles schön und gut. Aber wer eine der ersten olympischen Medaillen holt, das ist soviel wichtiger und soviel größer, dass sie im monetären Sinne blöd wären, wenn man sie nach Sotschi aufhören würden, weil sie im Zweifelsfall, wenn sie da ne Medaille holen, in den zwei Jahren danach, mehr Geld verdienen können, als in ihren ganzen Karriere zuvor. SPRECHER Die Verdienstmöglichkeiten der Frauen werden trotzdem noch einige Zeit weit hinter denen der männlichen Konkurrenz zurückbleiben. Ein kleiner Trost: Erfolge bei den Herren können auch den Frauen Rückenwind verschaffen. Der Kölner Sportökonom Christoph Breuer: O-Ton 42 Man muss sagen, bezogen auf Deutschland sind die Ausgangs-bedingungen günstig, weil Skispringen zwar keine Breitensport ist, jedoch eine sehr beliebte TV-Sportart. Dazu haben ja auch die Erfolge der deutschen Athleten beigetragen. Wir wissen aus vielen Studien, dass das Interesse in einem Land an einer Sportart besonders groß ist, wenn auch die nationalen Athleten erfolgreich bei internationalen Wettbewerben teilnehmen. Da kann schon ein Transfer vom Herren- zum Frauen-Skisspringen stattfinden. SPRECHER Vieles spricht dafür, dass Sotschi zum absoluten Höhepunkt im Frauenskisprung wird. Ob das Jahr 2014 dann auch für einen Generationswechsel auf der Schanze sorgen wird, ist für Anna Häfele nicht unwahrscheinlich. O-Ton 43 Ich glaube eher, dass es ist so Karriere-Höhepunkt und gleichzeitig auch Karriere-Schluss. Weil das sind ja schon so Jahrgänge, wo Frauen auch schon mehr an Familiengründung denken und sie sich langsam zur Ruhe setzen wollen, denn die nächsten vier Jahre zur nächsten Olympia-Periode sind doch noch mal vier Jahre, wo man auch vier älter wird. Ich glaube, das war im Laufe der Entwicklung von vielen auch Ziel: einmal bei Olympia dabei und dann, das war es das aber auch. SPRECHER Die Willingerin liegt mit 23 Jahren altersmäßig in der Mitte. O-Ton 44 Ich bin selbst noch so ein bisschen am Hadern, ob ich, wenn ich in Sotschi dabei sein sollte, noch ein zwei Jahre weitermache oder ob ich aufhöre. Ich habe gerade so das Alter, wo man noch weitermachen könnte, wenn man noch Lust hat. SPRECHER Manchmal kann sich Anna Häfele ein ironisches Lächeln nicht verkneifen. Wie viele ihrer Mitstreiterinnen segelt sie schon fast 15 Jahre lang von Schanzen. Und trotz zweier Frauen-Weltmeisterschaften und der zweiten Weltcup-Saison gibt es immer noch große Tageszeitungen, die nicht einen Satz über den Frauen-Weltcup verlieren. Für Männer-Berichte ist dort stets Platz. Schade eigentlich für eine große Wintersportnation im vor-Olympischen Winter. SCHLUSS-MUSIK Länge bis Wortende: 27:30 Min. 2