COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 9. August 2010, 19.30 Uhr Der Widerspenstigen Zähmung Kann die Politik die Finanzmärkte kontrollieren? Von Conrad Lay Spr. vom Dienst Der Widerspenstigen Zähmung Kann die Politik die Finanzmärkte kontrollieren? Von Conrad Lay TAKE 1 Brüderle Aus der Krise lernen wir, wir brauchen eine stärkere Regulierung und Aufsicht. Der internationale Flugverkehr ist streng reguliert, der internationale Finanzverkehr dagegen nicht. Das kann nicht ganz so richtig sein. Sprecher Rainer Brüderle, FDP, Bundeswirtschaftsminister im November 2009. TAKE 2 Ackermann We should not... ...determination. darüber: Wir sollten nicht einfach zum business as usual zurückkehren, und wir werden es auch nicht. Die Banken haben in dieser Richtung große Schritte unternommen, aber ganz klar, wir müssen kräftig und bestimmt mit unseren Bemühungen weitermachen. Sprecher Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank im November 2009. TAKE 3 Distelrat Den Menschen ist bewusst, dass diese kurzfristige Spekulation die Krise ausgelöst hat, unter der sie jetzt alle leiden, das ist ein ganz klares Votum dafür, endlich an ei- ne Eindämmung der aufgeblasenen Finanzmärkte heranzugehen, da Luft abzulassen und endlich auch an die Krisenursachen zu gehen. Sprecher Frauke Distelrat, Pressesprecherin Attac im Dezember 2009. Sprecherin Ob Politik, Wirtschaft oder Globalisierungskritiker - am Anfang steht der Schock über die Krise, am Anfang scheinen sich alle einig zu sein: jetzt muss der Finanzsektor kontrolliert werden, jetzt muss die Politik die Banken bändigen. Aber kann die Politik die Banken überhaupt kontrollieren? Und dienen die vorgeschlagenen Instrumente diesem Ziel? Sprecher Mit der Zähmung der Widerspenstigen hat sich schon William Shakespeare in seinem bekannten Theaterstück beschäftigt. Wie ist es dem Protagonisten Petrucchio gelungen, seine Katharina zu bändigen? Zunächst, indem er ihr ge- schmeichelt hat. TAKE 4 Petrucchio: "Guten Morgen, Käthchen, denn so heißt Ihr, hör ich." - Katharina: "Wer von mir spricht, nennt sonst mich Katharina." - Man sieht, Ihr lügt, man nennt Euch schlechtweg Käthchen, also lustiges Käthchen, auch das böse Käthchen. Erfahre denn, weil alle Welt nur Deine Sanftmut preist, hat mich's bewegt, zur Frau Dich zu begehren." - "Bewegt, nun gut, so bleibt doch in Bewegung und macht, dass Ihr Euch schleunigst heimbewegt, Ihr scheint beweglich." - "So? Was ist beweglich?" - "Ein Klappstuhl." - "Bravo. Also sitz auf mir". - "Die Esel sind zum Tragen , so auch hier." - "Die Weiber sind zum Tragen, so auch hier." - "Ertragen, meint Ihr, doch nicht Narren wie Euch." Sprecher Die Banken "ertragen" oder auf Händen tragen - was ist die richtige Methode zur "Zähmung" des Finanzmarktes? Es sind vor allem drei Instrumente, die zur Dis- kussion stehen: Bankenabgabe, Finanztransaktionssteuer, Finanzaktivitätssteuer. Doch mit den vorgeschlagenen Maßnahmen werden sehr unterschiedliche Ziele ver- folgt. Genannt werden: Sprecherin 1. die Verursacher der Krise in die Haftung nehmen und sie an den finanziellen Lasten der Krisenbewältigung beteiligen. Das wäre eine Maßnahme, die auf die Ver- gangenheit bezogen ist. Sprecher 2. die internationale Finanzspekulation dämpfen, die Märkte entschleunigen. Das wäre eine Maßnahme, die auf die Gegenwart bezogen ist. Sprecherin 3. einen Versicherungsfonds aufbauen, um bei einer künftigen Krise gewappnet zu sein. Das wäre eine Maßnahme, die auf die Zukunft bezogen ist. Sprecher Mitte Januar 2010 prescht US-Präsident Barack Obama vor. TAKE 5 Obama We want our money back and we wanna get it. Übersetzer Wir wollen unser Geld zurück und wir werden es kriegen. TAKE 6 Obama My commitment is to recover every single dime the American people are own. Übersetzer Ich will jeden einzelnen Cent wiederholen, der den Amerikanern gehört. Sprecher Zu diesem Zweck will die US-Regierung eine Bankenabgabe einführen, mit der in den nächsten zehn Jahren 90 Milliarden US-Dollar aufgebracht werden sollen, um damit die Verluste aus dem amerikanischen Bankenrettungsprogramm zu decken. Obama versteht seinen Vorstoß als Kampfansage an die Finanzlobby: TAKE 7 Obama If these folks want a fight, it's a fight I'am ready to have. Übersetzer Wenn diese Leute den Kampf wollen, dann bin ich bereit dazu. Sprecherin Von der Finanz- und Bankenlobby wird die Kampfansage durchaus zur Kenntnis ge- nommen. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos Ende Januar 2010 kritisiert Josef Ackermann die Bankenschelte Obamas mit den Worten: TAKE 8 Ackermann We don't think... . ... more stabile darüber Wir glauben nicht, dass es besonders klug ist, jetzt mit neuen Vorschlägen, neuen Regeln zu kommen, weil das nur zur allgemeinen Verunsicherung beiträgt und den Prozess zur Stabilisierung des Finanzwesens verlangsamt. Sprecherin Nochmals: laut Ackermann würden neue Regeln "nur zur allgemeinen Ver- unsicherung" beitragen, ja sie würden sogar der "Stabilisierung des Finanzwesens" entgegenstehen. Klarer kann man wohl kaum Lobbyinteressen der Banken for- mulieren. Ackermann versteht es, sich das eine Mal brüsk, das andere Mal ganz geschmeidig zu zeigen. Zum Abschluss des Weltwirtschaftsforums gibt er sich nahe- zu gezähmt: er stehe einer globalen Bankenabgabe, mit der ein Versicherungsfonds für künftige Krisenfälle gespeist werden könnte, durchaus positiv gegenüber. Sprecher Dass ein Banker von sich aus und freiwillig eine Bankenabgabe gut heißt, mag wi- dersprüchlich klingen. Es ist, als ob Ackermann von Shakespeares Katharina gelernt hätte, wie man sich mal kratzbürstig, mal unterwürfig zeigt, Hauptsache, man setzt seine Interessen durch. TAKE 9 Shakespeare Petrucchio: "Ich hörte, Du seiest rau und spröd und wild, und sehe nun, dass Dich der Ruf verleumdet. Lass Deinen Gang Dich sehen. Nein, Du hinkst nicht." - Kathari- na: "Geh Narr, befiehlt den Leuten, die Du zahlst." - "Hat je Diana so den Wald ge- schmückt, wie Kätchens königlicher Gang das Zimmer." - Wo habt Ihr die gelehrte Rede erlernt?" - "Ist nur ex tempore. Mein Mutterwitz." - "Oh, witzige Mutter ohne wit- zigen Sohn." Sprecherin Immerhin sind feine Unterschiede zu bemerken: während Obamas Bankenabgabe darauf aus ist, die Banken für die vergangene Krise bluten zu lassen, möchte Acker- mann künftige Krisen absichern. Sprecher Auch in Berlin vernimmt man die kämpferischen Töne Obamas. Auf einer Klausur- tagung beschließt die CDU ihre "Berliner Erklärung". Darin heißt es: Übersetzer Wir setzen uns für eine internationale Finanztransaktionssteuer ein. Eine solche weltweit eingeführte Steuer kann überbordende Spekulationen dämpfen und einen Beitrag leisten, die finanziellen Lasten der Krisenbewältigung in fairer Weise zu tra- gen. Sprecher Das globalisierungskritische Netzwerk Attac fühlt sich gestärkt. Es sammelt in weni- gen Monaten 200.000 Unterschriften zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Frauke Distelrath, Attac-Pressesprecherin: TAKE 10 Distelrath Wir versprechen uns von diesem großen Erfolg, dass damit der Druck auf die Politik, auf die Bundesregierung endlich groß genug ist, dass sie sich, wie Bundeskanzlerin Merkel immer angekündigt hat, wirklich für die Finanztransaktionssteuer stark macht, innerhalb der EU. Sprecher In der Tat stehen die Chancen für eine Finanztransaktionssteuer Anfang des Jahres nicht schlecht. Neben Angela Merkel haben sich auch Frankreichs Premier Nicolas Sarkozy, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sowie der britische Premier George Brown dafür eingesetzt, der allerdings kurze Zeit später abgewählt wird. Sprecherin Der politische Druck, den Finanzmark zu regulieren ist, ist groß, aber noch ist nicht klar, welche Instrumente auf nationaler und internationaler Ebene effektiv durch- gesetzt werden. Bereits sind skeptische Stimmen zu hören, so etwa Joseph Stiglitz, amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger: TAKE 11 Stiglitz I am not... ...at all. darüber Ich bin nicht überzeugt, dass sich etwas ändert. Die Banken nutzen ihren politischen Einfluss, sie arbeiten, z.B. in den USA an den Kongressmitgliedern, nein, es wird sich nichts Grundlegendes ändern. Sprecher Ende März beschließt die Bundesregierung Eckpunkte zur Stabilisierung des Fi- nanzmarktes. Angela Merkel befürwortet nun nicht mehr eine Finanztransaktions- steuer, sondern eine Bankenabgabe; sie soll einen Sonderfonds füllen, der von der Finanzmarktstabilisierungsanstalt Soffin verwaltet werden soll. In den Fonds sollen alle Banken einzahlen; die Höhe der Abgabe soll sich nach dem Risiko der Finanz- geschäfte richten, also nach der Größe der Bank, ihrer Systemrelevanz sowie ihrer Vernetzung im Finanzmarkt. Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU- Bundestagsfraktion: TAKE 12 Kauder Es wird eine Bankenabgabe geben, die Größenordnung kann man noch nicht viel sagen, aber es wird so sein, dass die Banken mit einem höheren systemischen Risi- ko, die also eigene Verbriefungen haben, die Handel treiben, dass die mehr zur Kasse gebeten werden, als beispielsweise Volksbanken und Sparkassen, die ja für die systemischen Risiken nicht verantwortlich sind. Sprecher Vergleicht man die Bankenabgabe Obamas mit dem Vorschlag der Bundesregierung, dann fällt auf, dass ein und dasselbe Instrument, nämliche eine Bankenabgabe, nicht unbedingt immer für das gleiche Ziel steht. Obama will eine Bankenabgabe, um sich das Geld für die Rettung des Finanzsektors zurückzuholen. Die Bundesregierung möchte eine Bankenabgabe, um im Voraus finanzielle Ressourcen für eine künftige Krise zur Verfügung zu haben. Sprecherin Warum aber stimmen die Privatbanken der Bankenabgabe zu? Ist sie für die Banken - wie bei Shakespeare - Ausdruck einer "klugen Unterwürfigkeit", die ihnen härtere Eingriffe ins Geschäft erspart? Shakespeares Katharina jedenfalls lobt ihren Herrn und Gebieter so überschwänglich, dass es schon wieder verdächtig ist: TAKE 13 Shakespeare Dein Gatte ist Dein Herr, ist Dein Erhalter, Dein Licht, Dein Haupt, Dein Fürst. Er sorgt für Dich und Deinen Unterhalt, gibt seinen Leib mühselger Arbeit preis zu Land und Meer, und fordert dafür keinen ander'n Lohn als Liebe, frohe Blicke und Gehorsam, zu kleine Zahlung für so große Schuld. Sprecher Die "kleine Zahlung" einer Bankenabgabe kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung so: Übersetzer Die Abgabe kann bessere staatliche Regulierung der Finanzgeschäfte nicht er- setzen. Für die Banken ist die Abgabe das kleinere Übel, das ihnen härte Eingriffe ins Geschäft erspart. Kein Wunder, dass sich ihre Kritik in engen Grenzen hält. Sprecher Selbstverständlich wird die "kleine Zahlung" von der politischen Opposition kritisiert. Joachim Poss, Finanzexperte der SPD: TAKE 14 Poss Es ist eine Mogelpackung. Weil das Volumen überhaupt nicht ausreichend ist. Wenn man Geld hat für Boni, kann man auch mehr Geld für die Mitfinanzierung der Kosten der Krise aufbringen. Sprecher Ähnlich argumentiert Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag: TAKE 15 Trittin Allein die Rettung der Commerzbank hat uns 18 Milliarden gekostet, bloß die erste Tranche zur Rettung der Hypo Real Estate 35 Milliarden. Also, wenn man das Auf- kommen dieser Bankenabgabe hochrechnet, darf es die nächsten 50 Jahre keine Bankenkrise geben, sonst muss wieder der Steuerzahler einspringen. Sprecher Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble rechnet mit jährlichen Einnahmen von et- wa eins bis 1,2 Milliarden Euro durch die Bankenabgabe. Auf die Kritik, dass das zu wenig sei, entgegnet er: TAKE 16 Schäuble Also am besten leisten wir uns solche Krisen überhaupt nicht mehr, dafür arbeiten wir ja auch, dass wir das vermeiden für die Zukunft. Sprecher Verfolgt man wirklich das Ziel, einer künftigen Krise vorzubeugen, wie hoch müsste dann der Fonds sein, der prophylaktisch anzulegen wäre? Oder wäre eine solche Summe gar nicht zu schultern, also eine Bankenabgabe ein untaugliches Mittel, das nur so tut, die Widerspenstigen zu zähmen? Musik Sprecherin Eine effektive Bankenabgabe mildert zwar den Zorn der Menschen auf eine Finanz- wirtschaft, die ihnen die Krise eingebrockt hat, würde aber diese längerfristig de- stabilisieren. Darauf weist Stephan Schulmeister hin, Ökonom am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung in Wien. Er fürchtet, mit der Bankenabgabe würde "das falsche Schwein geschlachtet", denn mit der Bankenabgabe würden nicht spezifisch spekulative Aktivitäten belastet, sondern das allgemeine Bankgeschäft: TAKE 17 Schulmeister Ein zweiter Punkt, der mir besonders wichtig ist, besteht darin, dass hier die Politiker einem gewissen Populismus gefolgt sind, so als wären die Banken schlechthin irgendwie böse und müssten jetzt belastet werden. Banken sind von unglaublicher Wichtigkeit für eine kapitalistische Marktwirtschaft. Nicht die Banken an sich sind zu kritisieren, sondern bestimmte Aktivitäten bestimmter Banken. Also es würde sich lohnen, wenn eine Vielzahl von Aktivitäten der Deutschen Bank kritisch überprüft würde und eventuell auch durch eine Transaktionssteuer belastet würde, ich kann aber nicht einsehen, warum örtliche Volksbanken, Sparkassen, die den Mittelstand finanzieren, mit Investitionskrediten, auch zur Kasse gebeten werden sollen. Hier liegt ein grobes Missverständnis vor. Sprecherin Während etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie eine Bankenabgabe grundsätzlich für besser geeignet hält als eine Finanztransaktionssteuer und auch auf internationaler Ebene eine Bankenabgabe als ein probates Mittel gilt, eine Trans- aktionssteuer zu umgehen, zieht Stephan Schulmeister exakt die umgekehrte Kon- sequenz. Sprecher Der österreichische Ökonom geht davon aus, dass die Instabilität des Finanzmarktes mit seiner Expansion in den letzten 30 Jahren enorm zugenommen hat: das Volumen der weltweiten Finanztransaktionen ist 74 Mal höher als die Wirtschaftsproduktion der gesamten Welt. Die Finanzmärkte haben sich von der Realwirtschaft ab- gekoppelt. Sprecherin Diese Aufblähung des Finanzsektors, die mit einer enormen Beschleunigung des Handels einhergeht, ist auf die Dominanz kurzfristig-spekulativer Transaktionen zurückzuführen. Stefan Schulmeister: TAKE 18 Schulmeister Die kurzfristigen Transaktionen, d.h. Aktivitäten auf dem Finanzmarkt, wo jemand z.B. um neun Uhr zehn Millionen Dollar kauft im Devisenhandel, um sie schon wenige Minuten später wieder zu verkaufen. Diese ganz kurzfristigen Transaktionen versuchen, schubartige Bewegungen auf allen diesen Märkten - seien es Be- wegungen am Devisenmarkt oder am Aktienmarkt - profitabel auszunützen. Sprecher Aufgrund eines Übermaßes an Liquidität sind die Finanzmärkte insgesamt instabil geworden. Technische Systeme verstärken diese Muster. Je besser die Spekulati- onssoftware wird, desto schneller kann spekuliert werden, desto mehr expandiert der sogenannte "technische Handel", bei dem Kaufsignale automatisch ausgelöst werden. Eine Finanztransaktionssteuer, also eine Steuer auf grundsätzlich alle Finanzprodukte, würde auf die Fortschritte der Spekulationssoftware mit den gleichen Methoden antworten. Sie könnte - so Stephan Schulmeister - zur Stabilisierung des Marktes beitragen und die Gefahren, die vom automatisierten Handel ausgehen be- grenzen. Die Transaktionssteuer wäre demnach eine Antwort auf Augenhöhe: TAKE 19 Schulmeister Wenn ihr schon alle Transaktionen elektronisch erfasst, wenn ihr schon durch elektronische Spielsysteme, wo es auf Millisekunden ankommt, immer mehr Geld aus Geld machen wollt, dann verwenden wir genau diese Systeme, um auch dem Gemeinwesen, dem Staat einen gewissen Beitrag zukommen zu lassen. Sprecher Schulmeister, der als einer der bestinformierten Kenner der Finanztransaktionssteuer gilt, nimmt an, dass bereits ein Steuersatz von 0,05 Prozent ausreichen würde, um die Hälfte der Spekulationen unrentabel zu machen. Der sehr geringe Steuersatz würde einerseits dazu führen, dass die Realwirtschaft so gut wie nicht belastet wird, andererseits aber die unerwünschte, kurzfristige Spekulation treffen. TAKE 20 Schulmeister Wenn Sie jetzt im Ausmaß von 10.000 Euro Aktien kaufen, einmalig, weil sie Aktien haben wollen, dann zahlen sie dafür 2,50 Euro, weil als Käufer zahlen sie nur die Hälfte von diesen 0,05 Prozent. Also praktisch einen verschwindend kleinen Betrag. Wenn Sie ein professioneller Spekulant sind, der am Tag 500 Millionen Dollar an Vermögenswerten 30 Mal hin und her schiebt, also verkauft, kauft, verkauft, kauft, dann werden jedes Mal die 0,05 Prozent bzw. 0,025 Prozent fällig, und das summiert sich natürlich dann auf. Sprecher Was die Transaktionen zudem gefährlich macht, ist die sogenannte Hebelwirkung, auch "leverage" genannt, wonach auf wenig Eigenkapital sehr viel Fremdkapital ein- gesetzt wird. Eine Transaktionssteuer, eine Umsatzsteuer für den Finanzsektor, wür- de allerdings auf den gesamten Umsatz fällig, wäre also deutlich spürbar. Wer z.B. Öl für 100.000 Euro einkauft und nur 10.000 Euro als Eigenkapital einsetzt, müsste eine Steuer auf die gesamte Summe zahlen, und das wäre für einen Spekulanten eine spürbare Verteuerung. Sprecherin Technisch wäre eine Finanztransaktionssteuer leicht umzusetzen, denn alle Trans- aktionen sind computermäßig erfasst und würden entsprechend elektronisch ab- gebucht. Stephan Schulmeister schätzt, dass eine Transaktionssteuer von 0,05 Prozent in Deutschland einen steuerlichen Jahresbetrag von 28 Milliarden Euro erbringen würde, also ein Vielfaches der diskutierten Bankenabgabe von 1,2 Milliarden Euro. Sprecher Mitte April nimmt auch der Internationale Währungsfonds zu der Debatte Stellung. Er erkennt zwar an, dass eine Transaktionssteuer ein hohes Steueraufkommen bringen und die Spekulation eindämmen könnte, lehnt sie aber trotzdem ab. Denn, so die Begründung, die Transaktionssteuer wäre eine dauerhafte Maßnahme, der IWF habe aber nur das Mandat, Vorschläge für eine Beteiligung der Banken an den Kosten der gegenwärtigen Krise zu machen. Stattdessen schlägt der IWF eine erweiterte Bankenabgabe vor, eine sogenannte "Finanzaktivitätssteuer", die auch Gewinne und Boni der Banker erfassen soll. Stephan Schulmeister sieht darin eher ein Entgegen- kommen gegenüber populistischen Strömungen: TAKE 21 Schulmeister Das ist irgendwie ein Mittelding, wobei die populistische Komponente besonders stark ist. Dabei geht es darum, dass man übermäßige Gehälter oder Bonus- zahlungen als Basis für eine zusätzliche Steuer nimmt. Nun bin ich persönlich kein Freund davon, dass Menschen zehn, 20 oder 50 Millionen Euro im Jahr verdienen, dennoch verkennt es das Problem. Die Finanzkrise ist nicht deshalb entstanden, weil gierige Banker sich zu hohe Bonuszahlungen haben zukommen lassen. Das ist eine Art Nebenerscheinung. Dass Menschen gierig sind, insbesondere vielleicht auch Banker, das hat es immer gegeben. Wir müssen uns überlegen, wie wir das System, die Spielanordnung, die Anreize so verändern, dass es sich mehr lohnt für Bank- manager, Banken wieder zum Diener der Realwirtschaft zu machen, zu einem Serviceunternehmen, das unendlich wichtig ist, aber letztlich doch eine dienende Funktion hat gegenüber der Realwirtschaft, letztlich soll es das Sparen der privaten Haushalte möglichst gut anlegen, aber bitte sehr in der Realwirtschaft, durch eine Sonderbehandlung von Bonuszahlungen kann ich das nicht spezifisch eindämmen. Sprecherin Kanzlerin Angela Merkel wendet sich weiterhin gegen eine Transaktionssteuer, so Mitte Mai auf dem DBG-Kongress: TAKE 22 Merkel Also ich mach' jetzt folgenden Vorschlag: Michael Sommer fährt ja demnächst wieder zu den internationalen Gewerkschaftstagungen und wenn dann die G20- Gewerkschaften gemeinsam die jeweiligen Staats- und Regierungschefs dazu bringen, einhellig eine Finanzmarkttransaktionssteuer zu fordern, dann werde ich mich dem nicht entgegenstellen. Sprecher Doch der Druck wird stärker, innerhalb weniger Tage ändert Bundeskanzlerin Merkel wiederum ihre Meinung. Vorausgegangen waren heftige Diskussionen über die Grie- chenland-Hilfe. Zum zweiten Mal stand zu befürchten, dass der Steuerzahler für die Spekulanten zahlen sollte, die diesmal gegen den Euro und gegen Griechenland spekuliert hatten. Um des Volkes Zorn zu bändigen, schwenkt man im Regierungs- lager um. Sprecherin Auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer setzt sich jetzt für eine Trans- aktionssteuer ein - aber mit was für einer Begründung! TAKE 23 Seehofer Ja, ohne wenn und aber, denn wir müssen diese Branche, diese Finanzbranche ins- gesamt, der wir ja zum großen Teil diese Wirtschafts- und Finanzkrise leider zu ver- danken haben, bei der Bewältigung der Kosten auch heranziehen, das ist meine fes- te Überzeugung. Sprecherin Als ob mit der Transaktionssteuer Geld von den Banken zurückgeholt werden sollte!! Seehofer verwechselt die Transaktionssteuer mit Obamas Bankenabgabe. Immerhin wird an solchen Äußerungen deutlich, wie sehr die Debatte von Populismus bestimmt wird. Prof. Thomas Heidorn von der Frankfurt School of Finance kann sich diese Hal- tung durchaus erklären: TAKE 24 Heidorn Momentan ist es mehr eine Hasskampagne, klar, es ist einzusehen, warum soll der Bürger für einen Sektor bezahlen, in dem überdurchschnittlich hohe Löhne bezahlt werden, die sich durch hohe Gewinne auszeichnen, da ist es leicht zu kommunizie- ren, dass die dafür bluten müssen. Sprecher Doch die Regierungskoalition bewegt sich. Selbst die FDP, bislang die striktesten Gegnerin einer Finanztransaktionssteuer, kann sich mit ihr anfreunden. Am gleichen Tag, an dem FDP-Generalsekretär Christian Lindner die Besteuerung von Finanz- geschäften als "reine Blendgranate" bezeichnet, rückt Birgit Homburger, Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, im Rahmen eines neuen Koalitionskonsenses davon ab: TAKE 25 Homburger Wir sind der Auffassung, dass der Finanzmarktsektor an den Kosten der Krise be- teiligt werden soll. Sprecher Und sie fügt hinzu: TAKE 26 Homburger Das kann eine Finanzmarktaktivitätssteuer sein, das kann aber auch eine Finanz- markttransaktionssteuer sein, das ist die Formulierung, die wir gefunden haben. Sprecherin Die Regierung legt sich also zunächst nicht fest, will aber international für eine Finanztransaktionssteuer werben. Bereits bei der Vorbereitung des G20-Gipfels Ende Juni in Toronto zeigt sich, dass Gastgeber Kanada von einer international ab- gestimmten Regulierung des Finanzsektors nichts hält. Sprecher Weder Bankenabgabe noch Transaktionssteuer habe Kanada notwendig, so Tiff Macklem, der kanadische Finanzstaatssekretär. Kanada ist selbst nur wenig von der Finanzkrise betroffen, weil das Land schon zuvor die Banken sehr strikt kontrolliert hatte. Sprecherin Der internationalen Finanzlobby kommt die kanadische Haltung zupass. Josef Ackermann, zugleich Vorsitzender des Internationalen Bankenverbandes, droht da- mit, bei verschärften Finanzregeln könnten zehn Millionen Arbeitsplätze verloren gehen. Finanzminister Schäuble bereitet die Öffentlichkeit bereits darauf vor, dass eine internationale Regulierung nicht beschlossen werde: Viele Banken machten wieder Milliardengewinne, nicht zuletzt dank staatlicher Rettungsmaßnahmen, so gesteht Schäuble ein, die Finanzlobby stelle die Notwendigkeit von Finanzmarkt- Reformen in Frage. Entsprechend sieht Thomas Heidorn von der Frankfurt School of Finance keine Notwendigkeit der Regulierung, sondern nur einer besseren Banken- aufsicht: TAKE 27 Heidorn Für mich ist das in weiten Zügen ein völliges Versagen der Aufsicht. Es ist nicht eine Frage der entsprechenden Regulierung, sondern die Frage, welche Möglichkeiten hat eine Aufsicht, rechtzeitig auf Missstände hinzuweisen, und welche Fähigkeiten hat eine Aufsicht, auf diese Dinge rechtzeitig zu kommen. Sprecher Ende Juni dann der G20-Gipfel in Toronto, auf den seit Monaten alle Erwartungen gerichtet sind. Kann die Politik die Finanzmärkte kontrollieren? Bundeskanzlerin Mer- kel legt sich vor dem Gipfel darauf fest, eine internationale Finanztransaktionssteuer zu verfechten. Mindestens aber eine Bankenabgabe als kleinster gemeinsamer Nen- ner müsse her, so Merkel: TAKE 28 Merkel Ansonsten, so ist es zumindest in Deutschland, werden die Menschen an uns ver- zweifeln, wenn wir uns zwar entscheiden, wir brauchten eigentlich eine Banken- abgabe. Nur wenn es dann wieder drei Länder gibt, die sagen, aber wir sind davon nicht betroffen, dann ist das extrem frustrierend und kann uns letztlich nicht voranbringen. Musik Sprecher Kann die Kanzlerin die Banken zähmen? Oder wird sie selbst gezähmt? Vielleicht von Barack Obama? Shakespeares Katharina jedenfalls gibt sich am Ende reumütig: TAKE 29 Shakespeare Weshalb ist unser Leib zart, sanft und weich, kraftlos für Müh' und Ungemach der Welt, als dass ein weiches Herz ein sanft Gemüte als zarter Gast die zarte Wohnung hüte? Jetzt seh ichs, unsere Lanzen sind nur Stroh, so schwach wie wir, schwach wie ein hilflos Kind. Sprecher Werden die Lanzen der Kanzlerin zerbrechlich wie Stroh sein? Das Terrain ist zer- klüftet: nicht nur Kanada und mehrere Schwellenländer wenden sich gegen eine in- ternationale Regulierung der Finanzmärkte. Auch US-Präsident Barack Obama lenkt die Aufmerksamkeit auf ein anderes Gleis: Nachdem er zuhause in Washington die Finanzmarktreform durch einen Kompromiss gerettet hat, drängt er nun darauf, die Wirtschaft mit neuen Schulden ankurbeln. TAKE 30 Obama We need an acted concert... ...linked. Übersetzer Wir müssen gemeinsam vorgehen, denn diese Krise zeigt doch, wie sehr unsere Wirtschaften voneinander abhängen. Sprecher Mit Obamas Eingreifen verschiebt sich die Diskussion von der Finanzmarkt- regulierung auf die Staatsverschuldung. Eine Regulierung des Finanzmarktes kommt nicht zustande. Prof. Peter Bofinger, einer der fünf Wirtschaftsweisen, macht aus seiner Enttäuschung keinen Hehl: TAKE 31 Bofinger In politischer Hinsicht ist das ein Armutszeugnis, weil es fast drei Jahre nach Aus- bruch der Finanzkrise nicht gelungen ist, wirklich verbindliche Beschlüsse zu fassen, es wird wieder mal vertagt. Sprecherin Angela Merkel umschreibt den Misserfolg der internationalen Verhandlungen so: TAKE 32 Merkel Also ich glaube, dass jeder dieser Gipfel doch Erfolge hat und Punkte, an denen wir noch nicht einer Meinung sind. Ich bin jetzt erst einmal froh, dass wir Klarheit haben. Dass es keine globale Finanzmarkttransaktionssteuer geben wird, bei der Banken- abgabe gibt es mehr Länder, die so etwas befürworten, aber damit haben wir Klarheit und können innerhalb der Europäischen Union dann miteinander besprechen, was wir tun können, oder gegebenenfalls sogar im Euro-Raum. Das wird im Herbst statt- finden, und diese Diskussion werden wir dann miteinander führen. Sprecherin Frankreichs Premier Nicolas Sarkozy bestätigt, in diesen Anstrengungen sei er sich mit Merkel und dem britischen Premierminister David Cameron einig. Auf letzteren, genauer gesagt: auf den Finanzplatz London, kommt es besonders an. Denn wenn die Finanzmärkte ausschließlich in Deutschland, Frankreich und den anderen Ländern der Euro-Zone besteuert würden, würden in der Londoner City die Sekt- korken knallen. Die Regulierung wäre ins Leere gelaufen. Sprecher Zu guter Letzt knickt auch Barack Obama noch ein. Um seine Finanzmarktreform sicher durch den Senat zu bringen, kommt er den oppositionellen Republikanern entgegen und verzichtet auf die zuvor so kämpferisch angekündigte Bankenabgabe. Musik Effekt: Gong (aus dem Archiv) Übersetzer Meine Damen und Herren, das Schauspiel "Der Widerspenstigen Zähmung" fällt leider aus. Wir bedauern die enttäuschten Erwartungen und verweisen Sie auf den Spielplan der nächsten Saison. Spr. vom Dienst Der Widerspenstigen Zähmung Kann die Politik die Finanzmärkte kontrollieren? Von Conrad Lay Es sprachen: Ulrike Stürzbecher, Udo Schenk und Gerd Grasse Ton: Inge Görgner Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 8 1