COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Die Kleine Sprachgeschichte. Berlinisch - Oder : Warum die da so anders sprechen - SendeScript Autor Claus Stephan Rehfeld Red. Julius Stucke Sdg. 30.10.2012 - 13.07 Uhr Länge 19.03 Minuten Spr. Frank Arnold (Aufnahme 26.09. - 14'22") Spr. Ulrike Hempel (Aufnahme 14.09. - 04'24") Regie Claus Stephan Rehfeld Moderation Hirn und Zunge des Berliners pflegen ein polyglottes Verhältnis. Doof ist niederdeutscher Herkunft, Pelle erinnert ihn an holländische Siedler. Schlägt er sich die Plauze voll, huldigt er slawischer Vorfahren. Obersächsischen Wesens ist die Bemerkung "Er lernt mir" - was selten zu hören ist. Aus de Lamäng ist ihm französisches Vokabular erinnerlich. Und bei der Mischpoche beruft er sich auf jiddische Wortgaben. Dies nur als Vorspiel zur Kleinen Sprachgeschichte. Berlinisch. Oder warum die da so anders sprechen. Bitte. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag GERÄUSCH Völkerscharen / Pferde / Schritte 3'35" REGIE Geräusch kurz frei & unter Sprecher legen So war es schon immer in Berlin. Ein ewiges hin und her, rein und raus. Völkerscharen. Da kommen gerade die Semmnonen an. Es tut uns leid, dies hier sagen zu müssen, aber : im Anfang waren sozusagen die Schwaben. Die germanischen Semmnonen, ein Stamm der Sueben. Wir berufen uns nur auf Tacitus, den Römer. Hier, sehen Sie? : Germania, Kapitel 38 bis 40. Die Semmnonen saßen schon vor unserer Zeitrechnung hier - östlich der Elbe im Havel- und im Spreegebiet. Einige Stammesverwandte zogen dann weiter und erschufen ... Schwaben. Das war vor unserer Zeitrechnung. Bei den Schwaben-Trecks seit 1990 unserer Zeitrechnung handelt es sich also um Spätheimkehrer. Jetzt, wo die Stadt fertig ist. REGIE Geräusch hart weg, Einspiel trocken (Herr K.) "Na, so ist det aba: Erst haun se ab und denn kommt die dicke Tante zurück. Wer willn dit?" (lacht) (9") REGIE Geräusch Völkerscharen wieder hoch & unter Sprecher legen Das müssen die Slawen sein ... die Heveller und die Sprewanen ... Sprewanen - die an der Spree siedeln, Anwohner der Spree ... Aber das wissen Sie ja. Sprachaufnahmen sind eine absolute Rarität, aber ihre Selbstbezeichnungen lassen eine Ahnung ob des Zungenschlages aufkommen : Stodorane ... Zpriauuani ... so in etwa. (kurze Pause) Und da, ein Friese! REGIE Geräusch weg GERÄUSCH Holztreppe aufsteigend Die Sprachgeschichte. Die Sprachtreppe (Stufe knarrt) macht sie uns hörbar. Diese Stufe markiert Indogermanisch. (knarrt) Die : Germanisch. (knarrt) Dann : Westgermanisch. (knarrt) Die Hochdeutsche Stufe! (knarrt) Die Mitteldeutsche (knarrt), diese muss die Ostmitteldeutsche sein. (knarrt gewaltig) (holt kurz Luft) Jetzt Brandenburgische Dialekte / Märkisches Platt (knarrt). Und hier, ganz oben, der Höhepunkt : Berlinisch. (knarrt eigenartig) Sie konnten nicht Schritt halten? Gut, also die linguistische Treppe ... aber diesmal runter. Zum Mitschreiben : GERÄUSCH Holztreppen absteigend, aber schnell, dito Sprechtempo Berlinisch - Brandenburgische Dialekte / Märkisches Platt - Ostmitteldeutsch - Mitteldeutsch - Hochdeutsch - Westgermanisch - Germanisch - Indogermanisch. Die ganze bucklige Verwandtschaft. GERÄUSCH knarrende Schwelle, mehrfach Und diese Holzschwelle ist die Benrather-Linie. Wer sie nördlich überschreitet, muss maken sagen, geht er südlich zurück, heißt es? ... : machen. (springt hin und her) maken-machen, maken-machen. Sie wissen schon, Nieder- und Mitteldeutsch. Berlin nun liegt justament an der Benrahter Linie. Das hat Folgen. Hier hat überhaupt alles Folgen! GERÄUSCH alte Straße Da, die nächsten Herrschaften kommen ... als Herrscher : Die Wettiner und die Askanier. Das wird ein Hauen und Stechen geben. (kurze Pause) Also ein Kommen und Gehen ist das hier ... Typisch Berlin. GERÄUSCH Straße "Unter den Linden" / Touristen (japanisch) 2'35" Halt. Eigentlich müsste die Sendung heißen : Berlinisch - wie es wurde das es war. Spricht ja kaum noch einer. Ick bin so'n Kaumnocheener. Also ziemlich einzeln. Warum? Erinnern Sie sich noch an die geteilte Stadt? Berlin war ja 2 mal geteilt. Wir meinen jetzt nicht die Teilung von 1442, sondern die letzte, die im gestrigen Jahrhundert, zweite Hälfte. Mit dem Mauerbau verlernte der West-Berliner das Berlinisch, mit dem Mauerfall erging es dem Ost-Berliner nicht anders. Merke : Neue Herren, andere Sprache. Also ran an'n Sarch und mitjeweent. REGIE Geräusch hart weg (Hinterhof / Ruf aus dem Fenster Frau H.) "Jakkeliene komm oben bei Mutter." (4" + Atmo) GERÄUSCH Hinterhof, spielende Kindern REGIE Geräusch kurz frei & unter Sprecher legen Hierorts wurde nicht immer berlinert. Sprachwissenschaftler beäugten die geographische Lage sowie diesen und auch jenen Beleg und konstatierten : Im 13. Jahrhundert lag Berlin da, wo es heute noch liegt, also im Sprachbereich des Niederdeutschen, auch Plattdeutsch genannt. Die Umgangssprache war freundlich. Die vielen holländischen Siedler brachten diverse Sprachgaben mit : die Stulle, den Flieder, viele Kacheln, manches fanden sie belämmert. So sind sie halt. Das große Umland von noch Klein-Berlin war slawisch geprägt. Die Lanke als einen Flußnamen haben wir den Slawen zu verdanken. Danke. Und die Bezeichnung Kiez ... sehr angenehm, danke. Das die Bezeichnung Berlin aus dem Altpolabischen kommt, alte slawische Sprache, ist noch erinnerlich. Sind ja gebildet. brl heißt, wie es sich auf der Zunge anfühlt, soviel wie Sumpf, Morast. Der Suffix -in steht für Ort, Ansiedlung; also : Stadt im Sumpf, Stadt am Sumpf, neudeutsch : Sumpfstadt. GERÄUSCH quakender Frosch (Herr K.) "Im Westteil ist vielleicht Sumpf, wir sind auf Sand gebaut." (4") Danke, der Herr. (kurze Pause) Merken Sie sich diese Jahreszahl! 1323. Markgrafen und Kurfürsten aus hochdeutschem Gebiet ergriffen die Landesherrschaft. Der Berliner musste plötzlich Hochdeutsch parlieren, hatte er von Amtswegen beim Amte amtlich vorstellig zu werden. War er wieder draußen, verschaffte er sich Plattdeutsch Luft. Im 15. Jahrhundert trat eine Lage ein, die uns an die Wende- und Nachwendezeit in Ostdeutschland erinnert. Als die Hohenzollern die Landesherrschaft an sich nahmen, reagierte der Berliner zunächst widerwillig, er betonte sein Niederdeutsch. Half aber wenig, der Landesherr setzte sein Hochdeutsch durch, also was der damals so unter Hochdeutsch verstand. Das fränkische Personal in der kurfürstlichen Kanzlei in Cölln half kräftig mit. Das kam hierorts nicht gut an. (Treppe/Tür/Klingel/Mann) "Hörnse mir bloß uff mit den Verein. Ick hab die Schnauze voll davon! Schön' Tach noch." (knallt Tür zu) (10") Ja, und ab wann berlinerte der Berliner nun? Moment, erst musste er noch das Fundament für die Basis vorbereiten. Das war im 16. Jahrhundert. Der Berliner schaute nicht mehr nach Norden, sondern nach Mitteldeutschland. Wandel durch Handel - damals, jetzt sprachlich gemeint. Dem Hansischen Platt folgte das Meissnische Deutsch. Der Obersächsische Dialekt tauchte in Berlins Straßen auf, unterm Arm die ostmitteldeutsche Übersetzung von Luthers Bibel, und er klopfte an den Türen der Platt sprechenden Berliner an. Und siehe da, aus det Hus, was ne Hütte war, wurde das Haus. Früher tuftete der Straßenmüll, nun duftete er. GERÄUSCH Fußballspieler 2'07" REGIE Geräusch kurz frei & unter Sprecher legen 18, 19, 20, 21 - in Jahrhunderten gemeint - war eine Achterbahn für Berlinisch. Aufstieg und Fall. Die Schule paukte Hochdeutsch, die besseren Herrschaften sprachen es. Von wegen "Jargon", was ja auch keine hochdeutsche Vokabel ist. Hier sprachen sogar Könige das Berlinische. Bitte, 1709, Friedrich I : "Ich kontinuiere noch alle abendt tobac zu rochen ... " Und hier : Friedrich Zwo "( ... ) und Suche Dich mit Essen und Schlafen so vihl zu erholen, wie Möchlich." 1755. Der Könich! An den Kammerdiener! (kurze Pause) Ist das möchlich ... wir lieben die spirantische Qualität des g. (Herr K.) (lacht) "Det jefällt mir ooch." (lacht) (5") Da wir schon mal dabei sind. Der Akkudativ des Berliners - ein Fall für Genußsüchtige. (Küche / Frau H.) "Ick liebe dir, ick liebe dich, wie't richtig is, det weeß ick nich un is mich ooch Pomade. Ick lieb' dir nich in dritten Fall, ick lieb' dir nich in vierten Fall, ick liebe dir uff jeden Fall." (18") Wir sehen in dem abweichenden Gebrauch von Dativ und Akkusativ einen sprachlichen Widerstandsakt hierorts. Jenen, die ihn als einen Fehler bezeichnen, sei die Sprachgeschichte erinnert. Um 1800 herum war in der niederdeutschen Mundart in und um Berlin mi statt mir und mich sowie di statt dir und dich üblich, also richtig. Dann setzte sich die Dativform mir für mir, mich und dir für dir, dich durch. Als die Jebildeten zunehmend den Akkusativ bemühten, blieben die anderen Berliner, also die meisten, bei ihrem Berlinisch, weil : Berlinisch ist kein Hochdeutsch. Da gelten andere Gesetze! Außer ! es dient der Wahrheitsfindung, im privaten Kreis. (Frau H.) Mutter kommt von der Reise nach Hause, fragt : "Na, wie wart denn?" Tochter : "Et waa nischt weita. De Nachbarin hat jestan bei mich jeschlafen." Vater "Bei mir, Tochter, bei mir." Tochter : "Nee, det waa vorjestan." (18" + Geräusch) GERÄUSCH feiernde MännerGesellschaft 1'51" Es heißt nicht der laute Berliner, sondern die Laute des Berliners. Die zweite deutsche Lautverschiebung. Hochdeutsche Dialekte oder Niederdeutsch - das war die Frage. Ne jut jebratne Janz is ne jute Jabe Jottes. Schöner Spruch, schönes Beispiel. Der hochdeutsche Verschlusslaut g verliert gegen den Reibelaut j. Warum, das weiß keiner so genau. Und auch das Regelwerk der Experten, wann der Berliner denn jott, also den Reibelaut j in den Mund nimmt, kennt sehr viele Ausnahmen. Auch teilte uns ein Sprachwissenschaftler teilte mit, im Inlaut nach l höre man das j nicht mehr und nach r selten. Und dann meinte er : "Foljen ist praktisch ausgestorben ... Sorjen wird kaum noch gebraucht." (1) DAS stimmt nicht! Hier hat allet Foljen! Und Sorjen jibts jenuch. (1) Schlobinski : Berlinisch für Berliner, S. 97, arani, 5. Auflage, 1988 (Balkon / Frau H.) "Der Berlina jrillt jerne jemütlich im Jrünen." (10") Berlin war immer eine Frontstadt ... zwischen hochdeutschen Dialekten und dem Niederdeutschen. Das formte den Berliner und seine Spreche; wichtigste Regel : Hier steh ick, ick kann ooch andas. Heißt es Plattdeutsch up und anderswo auf, dann wird hierorts daraus uff. up + auf = uff. Einfach zu merken. Gleiches gilt für det : dat + das = det. Die Formel kennt unzählige spRechenbeispiele. Wie nun kam das c in das ick? Nischt jenauet weeß man nich. Wahrscheinlich eine berlinische Höflichkeit gegenüber der Lautverschiebung. ik ohne c ist plattdeutsch, dies plus ich aus dem Mittelniederdeutschen ergibt ick mit ck. ik + ich = ick. Typisch ... dieser Hang zur Sprachkultur. Der Berliner gebraucht ick und icke etwa so wie der geliebte Franzose, wenn der je und moi sagt. Weiter. Oh! mit h sagen die Touristen, o ohne h, also das lange o, ist des Hiesigen Eigenart. Wie bereits gesagt : sprachliche Frontstadt das Berlin. Spricht Ihr Gegenüber ein o statt ein au, dann ist das Wort plattdeutschen Ursprungs. Aber : Im Obersächsischen haben sie ooch den Boom. Der Berliner grüßt also nach beiden Seiten, ooch wenn er einkooft und seine Oogen verdreht. (Herr K.) "Eine ätzend lange Schlange. Und plötzlich steht ein Ehepaar in der Schlange und da sagt die Frau zu ihrem Mann: (Sächsisch) "Du, mir Berliner mir kriegen nachher gar nischt mehr." (lacht herzhaft) Tosendes Gelächter, die Schlange wäre bald zusammengebrochen. (lacht) "Du, mir Berliner kriegen gar nischt mehr." (lacht herzhaft) (23") Ja, die Benrather Linie ist in Bewegung. Aber wo wandert sie hin? Drei Jahrhundert sprach der Hiesige mit plattdeutscher Zunge, dann drängelten sich die hochdeutsche Schriftsprache und die obersächsische Umgangssprache rein. Folge, wieder eine Folge! : Das Oberdeutsche offen drängte das Niederdeutsche open zurück. Bis vor ein paar Tagen. Jetzt demonstratives Bekenntnis zur Sprache der Uralt- Berliner. Schilder an den Geschäften zeigen es an : Die sind jetzt "open" statt "offen". Hoffnung, ick hör dir sprießen. GERÄUSCH Regentropfen im Innenhof 3'11" Hoffnung hieß hierorts jahrzehntelang ein Mauerblümchen. In jener Zeit, da man im Westen der Stadt dalli, dalli sagte, im Osten des Areals dawai, dawai kannte. Im dallidalli-Distrikt gab es drei Besatzer und viele Zuzüge, davon die wenigsten aus dem Ostteil der Stadt. Die meisten Auswärtigen kam aus westdeutschen Landen und aus beliebten Urlaubsländern - Türkei, Griechenland, Italien. Im "Schaufenster des Westens" wurde nur noch wenig berlinert. Sendungen wie "Damals wars. Geschichten aus dem alten Berlin" hatten den Charakter von Gedächtnisveranstaltungen. Anders im dawaidawai-Rayon. Dort gab es zwar nur einen Besatzer, aber ebenfalls viele Zuzüge, darunter fast keine aus dem Westen. Aber viele aus Sachsen. Den Berliner focht es wenig an, er kultivierte unbekümmert seinen Plusquamperfekt, um später am Kamin erzählen zu können : Ich war dabeijewesen. Als die Sachsen dann sagten "Nu machen Se ma hinne", da hörte sich das nicht nur sehr eigenartig an, sondern führte zum Einsturz der Mauer. (Herr Biskupek, sächselnd) "Es hat irgendwas mit dem Saund zu tun, dem Saund, den mir draufhaben, der ist immer ... kannste machen, was de willst." (lacht) (6") Das in Ostberlin noch weit verbreitete märkische Platt bestand den Test-the- West-Test nicht. Das verhochdeutsche Plattdeutsch folgt dem Kopfsteinpflaster - es verschwindet hörbar. Wie der Trabi. Auf diesem hier steht zwar noch Trabant drauf, aber sonst : E 11 (Mann) "Die Armaturen sind aus nem Skoda, der Tank ist aus nem Wartburg, die Sitze sind denn leider schon aus dem Westen, aus nem SEAT, die Spiegel sind von nem VW Korado (phon.), die Bremsen sind von nem VW Golf, die Räder sind von nem Opel Calibra (phon.) Also alles wild zusammengetragen." (23") GERÄUSCH Metallwerkstatt (mit Musik & Straßengeräusch) 4'20" Nun, Berlinisch ist eine Haltungssprache. Das Rückgrat signalisiert Selbstbewusstsein und lehnt an der Straßenecke : "Lebenslauf, ick erwarte dir." (Nante, Glaßbrenner) Der Berliner schöpft aus dem Leben, er ist ein Sprachschöpfer. Seine Denkweise kricht schnell die Kurve ... mit Bildern und Vergleichen. Der Rollmops kommt als Eisbein mit Lenkstange daher, der Verkehrsunfall auf dem Tisch ist eine lose Blutwurst mit Kartoffeln. (Café / Frau H.) "Kopp weg, Beene weg! Det andre jeht alleene weg." (4" + Geräusch) Wer ihm kommen will, der jibt an wie ne Tüte Mücken oder wie ein Sack nasser Affen. Der Berliner ist schließlich nicht mit 'n Klammerbeutel jepudert. Kurzum, der Berliner ist schwer zu beeindrucken. (Café / Frau H.) "Und mitte de Ohrn könnse nischt?" (4" + Geräusch) Die Schlagfertigkeit ist ihm angeboren und eine große Lust. Wochenmarkt in Berlin. Eine Frau schaut sich gründlich die Kirschen an. Dann die Frage : Sind die aus dem Ausland? Die Händlerin : Nawattn! Nawattn! Wollnse mit die sprechen? GERÄUSCH U-Bahn 40" Sagt einer zu Ihnen "Ich bin ein Berliner", dann glauben sie ihm kein Wort. Der ist unecht oder sein Jedächtniswärmer kaputt. Des echten Berliners Selbstverständnis ist : "Ick bin Berlina." - so kommt berlinisches Selbstbewusstsein daher - kurz, bestimmt, direkt. Kann man gar nicht oft genug sagen : Icke, icke bin Berlina, wer mir haut, den hau ick wieda" (3) QUELLE . Buntes Berlin. / Erstes Heft. / Seite 4 / Zweite Auflage. / Berlin, 1838. / Plahn'sche Buchhandlung. (Herr Wiese) "Das sind so nette Drohungen, aber von denen man eigentlich merkt, es passiert nichts. Heute passiert gleich was. Da wird gar nicht mehr gedroht, ja." (9") Die Neigung zu bündiger Zusammenfassung komplexer Zusammenhänge kann beim Urberliner als ausgeprägt bezeichnet werden. Unverhältnismäßige Länge bei der Darstellung einfacher Sachverhalte schläfert ihn ein. Sarickma ist bündig- kurz, das sage ich mal erscheint ihm endlos lang-weilig. (Café / Frau H.) Dkannawonichwasein! Jibsjajanich. Hamwanich, kennwanich, brauchnwanich, kommtoochnichmehrrin. (9" + Geräusch) GERÄUSCH Menschenmenge 4'27" REGIE Geräusch kurz frei & unter Sprecher legen Ach so, sagt Ihnen das was? 1, 6 Millionen? Fast 50 Prozent? Und : 15 Jahre? . Sollten Sie sich merken! Denn : Von 1991 bis 2006 - und jetzt ganz langsam - haben 1,6 Millionen Berliner diese Stadt hier verlassen! Das ist fast die Hälfte von Alle. Weg! Und 1,66 Millionen strömten rein. Da ist alles anders! Da kommt man sich als Ur-Berliner schon mal ganz schön fremd vor. REGIE Geräusch weg Aber irgendwann wird der Rucksackberliner, er weiß es nur noch nicht, seine Intonation ändern. Seine Redeweise, die Wort- und Satzmelodie, seine Pausensetzung und Atemholung - alles wird er ändern. Weil : Berlinisch ist die Sprache dieser Stadt. Eine Stadtsprache; kein Dialekt, aber bestes Mundwerk. Und die Stadt ist wie die Mischpoke - man wird sie einfach nicht mehr los. Auch nicht im Prenzlauer Berg! Des schwäbische Dimunitiv is scho arg selte zu höre. Prenzle Bergle ... (Herr K.) (4") "Sonnabends steht da ne Schlange wie zu Ostzeiten beim Bäcker. Und denn kamen irgendwelche Typen rein, kamen wirklich aus allen Bezirken, und hatten sich da angestellt. Und dann meinte der eene zu der Bäckersfrau: Hätt gern 10 Schrippen und zwei Berliner. Und da dreht sich die Frau um und meint: Denn suchen se sich eenen aus, hier stehn jenuch rum." (lacht) (30") GERÄUSCH Großstadt (Straßenverkehr / U-Bahn) 2'24" REGIE Geräusch kurz frei & langsame Blende -AUSENDESCHLUSS Beitrag- -folgt Literaturverzeichnis- zitierte Quellen Brandenburgisch-Berlinisches Wörterbuch Akademie Verlag Berlin Hans Ostwald Der Urberliner Paul Franke Verlag, Berlin, 1925 Meyer Der Richtige Berliner in Wörtern und Redensarten Hermann Verlag Berlin, 1904 Glaßbrenner Buntes Berlin. Erstes Heft. Zweite Auflage. Plahn'sche Buchhandlung, Berlin, 1838 Schildt/Schmidt (Hrg.) Berlinisch 2. bearb. Auflage, Akademie Verlag Berlin 1992 Schlobinski Berlinisch für Berliner 5. Auflage arani-Verlag Berlin 1988 Tacitus Germania Literatur zum Thema Lasch "Berlinisch" Hobbing Verlag Berlin, o.J. Schadewaldt Berlin und die Berliner Propyläen Verlag Berlin, 1963 Habel Das Berlinische Verlag Särchen, Baruth (Mark), 1936 Brendicke Berliner Wortschatz zu den Zeiten Kaiser Wilhelms I. Verlag des Vereins für die Geschichte Berlins, 1897 Trachsel Glossarium der berlinischen Wörter und Redensarten Plahn'sche Buchhandlung Berlin, 1873 -ENDE Literaturverzeichnis- 4