Deutschlandradio Kultur Länderreport Eine Frage des Umgangs... Kommunen, Länder und ehemals Sicherungsverwahrte Autorin Arlt, Susanne Redaktion Stucke, Julius Länge 19'59'' Sendung 09.08.2012 - 13 Uhr 07 Der Europäische Gerichtshof hat die Regelungen zur Sicherungsverwahrung in Deutschland kassiert und auch das Bundesverfassungsgericht forderte, dass sich die Sicherungsverwahrung hierzulande deutlich vom Gefängnis unterscheiden müsse. Nach den beiden Gerichtsurteilen mussten inzwischen mehr als 80 Sicherungsverwahrte aus dem Gefängnis entlassen werden. Sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren, scheint ausgesprochen schwierig zu sein - wenig verwunderlich, nachdem der Staat den Menschen jahrzehntelang erzählte, dass in der Sicherungsverwahrung vor allem nicht resozialisierbare Straftäter einsäßen. Die Bundesländer haben bislang kaum Konzepte erarbeitet, wie man diese entlassenen Straftäter erfolgreich in die Gesellschaft integrieren kann. Zwei Beispiele aus Hamburg und dem Dorf Insel in Sachsen-Anhalt zeigen, wie problematisch der Versuch einer Wiedereingliederung ist... M A N U S K R I P T B E I T R A G Im Juli 2011 ziehen Günther G. und Hans-Peter W. von Freiburg im Breisgau nach Sachsen-Anhalt. Ein Bekannter hat ihnen in dem Dörfchen Insel die neue Bleibe vermittelt. Ein hölzernes Schild am Ortseingang heißt jeden herzlich Willkommen. Viel Gepäck haben sie damals nicht dabei. Ihnen sind vor allem die zwei Wellensittiche wichtig, die sie in einem großen weißen Käfig mit nach Insel nehmen. Anfangs heißen auch die Nachbarn sie willkommen. Die Menschen aus dem Altmarkdorf freuen sich eigentlich über jeden, der her- und nicht wegzieht. Noch wissen sie nichts über die Vergangenheit ihrer neuen Nachbarn. 26 Jahre lang saß Günter G. im Gefängnis, Hans-Peter W. 25 Jahre lang. In den 70er und 80er Jahren hatten sie mehrfach Frauen vergewaltigt. Immer war Alkohol dabei im Spiel. Das Gericht verurteilte sie zu jeweils fünf Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Erst 2010 kommen die beiden durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wieder frei. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung verstoße gegen die europäische Menschenrechtkonvention, erklärten die Richter. Seit zweieinhalb Jahren ist den Justizbehörden also bekannt: Mehrere hundert Sicherungsverwahrte müssen aus der Haft entlassen werden. Konzepte, wie man diese Menschen wieder in die Gesellschaft integriert, sind bis heute rar gesät Das Magdeburger Justizministerium ist für die beiden Männer zuständig. Günter G. und Hans-Peter W. gelten als gefährlich, müssen darum Auflagen erfüllen. Alkohol ist tabu, ebenso Saunabesuche. Ein Bewährungshelfer soll sich um die beiden kümmern. Polizisten bewachen sie. Man beschließt, den Umzug geheim zu halten. Transparenz und Offenheit seien hier fehl am Platz, sagt Justizministerin Angela Kolb. In den Köpfen vieler Menschen sei leider verankert, dass Sicherungsverwahrte eine Gefahr für die Öffentlichkeit seien und man sie darum wegsperren müsse. Um diese Einstellung zu ändern, müsse der Staat jetzt viel Aufklärungsarbeit leisten, sagt Kolb. Ich glaube, eine Verbesserung kann man nur erreichen durch Beispiele einer gelungenen Integration. Das geht aber immer nur, wenn das Umfeld tatsächlich dazu bereit ist. In dem Moment, wo man nur Widerstände hat, ist es also so gut wie nicht möglich, eine Integration in die Gesellschaft zu erreichen. Und da stößt Staat dann eben auch auf Grenzen. Die zweieinhalb Jahre Vorbereitungszeit haben dem sachsen-anhaltischen Justizministerium offenbar nicht ausgereicht. Das zeigt das Beispiel Insel. Trotz des anonymen Umzugs ist es mit der Ruhe schon nach wenigen Wochen vorbei. Eine Indiskretion im Jobcenter - und die Information über die beiden verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Der Ortsbürgermeister der CDU ruft zum Protest auf. Die Menschen in Insel sind verunsichert. Sie wollen nicht Tür an Tür mit Sexualstraftätern leben, sagen sie. Sie bilden eine Bürgerinitiative, melden Demonstrationen an. Immer montags, mittwochs und freitags postieren sie sich vor dem Haus der beiden Männer. Das Ziel ist von Anfang an klar. (Atmo / O-Ton Demonstranten) Das sind Verbrecher. ... Soll der Innenminister sie doch nehmen. In Magdeburg ist soviel frei, in Berlin ist so viel frei. ... Wir sind früher im Ort immer hier rum gelaufen, haben gespielt und gemacht. Traut sich doch keiner mehr raus. ... ... Aber auf jeden Fall gehören die zwei Zigeuner hier nicht rein. Ein Gericht, das Monate später die Demonstrationen vor dem Haus der beiden Männer untersagt, argumentiert mit einer "pogromartigen Stimmung". Anderer Ort, selbes Thema, ähnliche Szenen. In Hamburg-Jenfeld laden gleich drei Senatoren im Dezember vergangenen Jahres die Anwohner zu einer Bürgerversammlung ein. In dem Schreiben, das einige Tage zuvor an etwa 400 Haushalte verschickt wurde, deuten die drei SPD-Politiker an, dass demnächst in Hamburg-Jenfeld drei ehemalige Sicherungsverwahrte leben werden. (Zitat) Hierauf ist Hamburg vorbereitet. Der Senat hat ein umfassendes Konzept erarbeitet, welches eine betreute Wohneinrichtung vorsieht. Darüber hinaus ist ( ... ) ein umfassendes Sicherungskonzept entwickelt worden. Wochenlang haben die drei Senatsverwaltungen an dem Konzept gearbeitet, eine Berliner Werbeagentur hat mitgeholfen. Doch es dauert nur eine Viertelstunde bis das Volk ihnen jede Illusion auf eine friedliche Wiedereingliederung in ihre Gesellschaft raubt. Aus dem sachlichen Informationsgespräch wird eine hitzige Debatte. Einen Ausschnitt davon kann man sich heute noch im Internet ansehen. Justizsenatorin Jana Schiedek versucht den mehr als 300 Bürgern zu erklären, wieso ein ehemaliger Sicherungsverwahrter aus Freiburg jetzt in Hamburg lebt: (Schiedek) Er ist ein freier Mensch, man kann ihn daran nicht hindern. Er sucht sich seinen Wohnort frei aus. Und das Konzept, dass wir uns jetzt vorstellen, ist deutlich besser geeignet ihn zu stabilisieren, ihm ein Umfeld zu geben, um eben eine Rückfallwahrscheinlichkeit immer weiter zu minimieren. (Einwurf Bürgerin) Von 1.200 Kindern und drei Kindergärten, da wollen Sie sie stabilisieren? Dass ein Vergewaltiger nicht zwangsläufig ein Kinderschänder ist, scheint zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr im Saal zu interessieren. Die heftige Reaktion scheint die Senatorin aus dem Konzept zu bringen. Schnell schiebt sie hinterher: Der Standort am Elfsaal in Jenfeld sei ja nur auf ein knappes Jahr begrenzt, dann müsse eine neue Lösung her. Im Hamburger Abendblatt kann man am nächsten Morgen nachlesen, was viele Bürger von der Idee halten, gleich mehrere Sicherungsverwahrte an einem Standort unterzubringen. "Dilettantischer Senat", "Vergewaltiger und Mörder in Jenfeld? - Das schminken Sie sich bitte ab!" Oder "Sie werden scheitern. Wir machen Ihnen die Hölle heiß." Dass die Männer ein Recht darauf haben, in diese Gesellschaft wieder integriert zu werden, davon hört man an diesem Abend wenig. Sven Billhardt, Pressesprecher der Justizsenatorin, erklärt später, warum man sich in Hamburg für diese transparente Herangehensweise entschieden habe: Weil wir die Bürger in dem Prozess mitnehmen wollten. Selber die Bürgerinnen und Bürger darüber informieren aus welchen Gründen die Personen aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden und dass wir sie auch resozialisieren müssen. Wir haben jede Menge Aufklärungsarbeit geleistet, sagt Sven Billhardt. Lokalpolitiker und Journalisten wurden vorab informiert, Vertreter der Senatsverwaltung haben mit Schulen, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen geredet, eine telefonische Hotline wurde geschaltet, eine E-Mail-Adresse eingerichtet. Inzwischen liegen beim Justizministerium Anfragen im mittleren zweistelligen Bereich vor. Welche Frage hat die Bürger am meisten beschäftigt? Darüber möchte Sven Billhardt lieber nichts sagen. Auch nicht, wie es Ende November weitergehen wird. Denn dann müssen die drei Männer aus ihrer Bleibe in Jenfeld wieder ausziehen. - Egal ob anonym oder transparent. Es scheint schwierig, ehemalige Sicherungsverwahrte in die Gesellschaft wieder zu integrieren. Vor allem dann, wenn es sich um Sexualstraftäter oder Gewalttäter handelt. (Sebastian Scharmer) Die Sicherungsverwahrung ist vor allen Dingen ein Instrument, mit dem man Gefangenen stigmatisiert als gefährlich. Was aber gerade auch mögliche Therapieanstrengungen, Resozialisierungsbemühungen ad absurdum führt. Deswegen glaube ich, generell ist dieses Instrument überholt. Sicherungsverwahrung sei eine reine Präventivmaßnahme, kritisiert der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer. Er vertritt zurzeit 50 Mandanten, die in der Sicherungsverwahrung sind. Wie lange sie noch hinter Gittern bleiben erfolge allein aufgrund einer Prognose. Nämlich der, dass die Inhaftierten gefährlich seien, sagt Scharmer. Da untersuchen eben Gutachter und Gerichte alle zwei Jahre, ist jemand noch gefährlich oder nicht und holen dann möglicherweise noch so ein Sachverständigengutachten ein. Und meine Erfahrung ist, dass diese Sachverständigengutachten in aller Regel die Gefährlichkeit weiter annehmen, weil sie eben auch keine anderen Anhaltspunkte haben, die sie widerlegen würden. Die Sicherungsverwahrung stellt unsere Rechtsphilosophie vor erhebliche Probleme. Der Täter büßt nicht für eine begangene Straftat, sondern wird präventiv für mögliche gefährliche Straftaten in Sicherung genommen. Gutachter würden Sicherungsverwahrte aber oft falsch einschätzen, moniert Scharmer. Wissenschaftliche Studien aus Bochum und Tübingen zeigen, dass die bisherigen Methoden womöglich nicht ausreichen, um eine verlässlichen Diagnose über das Ausmaß ihrer Gefährlichkeit zu erstellen. Die Strafrechtsexperten kommen auf eine Rückfallquote von zehn Prozent. Der allgemeine Schnitt bei Haftentlassungen liegt höher. Kein Politiker aber wagt zu diskutieren, ob ein Rechtsstaat hundert Menschen wegsperren darf, weil vielleicht zehn von ihnen rückfällig werden. (Sebastian Scharmer) Insofern muss man einfach mit Vorstellung aufhören zu denken, man könne Straftaten grundsätzlich verhindern. Das wird in einem Rechtsstaat nie möglich sein. Das ist die erste Wahrheit, die man in der Politik mal kundgeben müsste. Das ist natürlich überhaupt nicht populär. Und die zweite Wahrheit ist, dann kann man überlegen, wie man diese Straftaten möglichst effektiv verhindern kann, insbesondere bei Rückfalltätern. Und dann müsste man den Strafvollzug komplett umändern. Denn das was, wir in den 70er Jahren einmal eingeführt haben als den Resozialisierungsstrafvollzug, das ist lange nicht mehr existent. Es wird in der Regel verwahrt, es wird weggesperrt, aber es wird mit den Menschen nicht gearbeitet. Im vergangenen Jahr reichte Sebastian Scharmer Verfassungsbeschwerde ein. Die Karlsruher Richter gaben ihm Recht. In ihrem Urteil forderten sie eine ausreichende, psychologische Betreuung der Sicherungsverwahrten. Die Bild-Zeitung titelte einen Tag später: "Wer schützt uns vor diesen Richtern", sprach von einem Skandalurteil. Zurück zum Beispiel Insel. Wer gehofft hatte, in dem Dorf wäre inzwischen Ruhe einkehrt, der irrt. Vor dem Haus der beiden steht bis heute ein Polizeiwagen. Die Beamten observieren aber nicht mehr die zwei Männer, sondern schützen sie inzwischen vor den aufgebrachten Bürgern. Monatelang verliehen sie mit Trillerpfeifen, Trommeln und "Verlasst Insel"-Rufen ihrer Forderung lautstarken Nachdruck. Sie schreckten auch nicht davor zurück, gemeinsam mit Neonazis zu demonstrieren. Im Oktober fand eine Landtagsdebatte dazu statt. In Insel selbst ließ sich dagegen selten ein Landespolitiker blicken. Kein direktes Wort an die zornigen Bürger, dass die beiden Männer ein Recht haben, in Insel zu leben oder dass die Menschenrechte für alle Bürger gelten. Auch für ehemalige Sicherungsverwahrte. Die Proteste gingen weiter. Der CDU-Innenminister versuchte schließlich mit dem Superintendenten der evangelischen Kirche die beiden Männer zum Wegzug zu überreden. Das SPD-geführte Justizministerium wollte dabei gerne helfen. Sören Herbst, rechtspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, kritisiert deshalb die schwarz-rote Landesregierung, allen voran SPD-Justizministerin Angela Kolb: (Sören Herbst) Die Landesregierung hat sich im Falle Insel ja von vorne herein völlig unfähig gezeigt. Das muss man einfach so mal konstatieren. Das Justizministerium war einfach nur untätig, es war offensichtlich auch überfordert, es hatte keinen Plan. Ich glaube, dass es hier eine Verweigerung von Verantwortungsübernahme gegeben hat. Im Mai dieses Jahres verlässt der jüngere der beiden Insel. Er ist auf der Suche nach einem Job und beugt sich wohl auch dem Druck der Bürger. Die Bildzeitung berichtet wenige Tage später darüber, veröffentlicht ein Foto seiner neuen Wohnstätte, titelt: Sex-Gangster aus Insel wohnt jetzt in Chemnitz. Dort ruft die NPD zu Protesten auf. Am nächsten Tag steigt Hans-Peter W. in den Zug und fährt zurück nach Insel. Ein paar Tage später versuchen Einwohner und Rechtsextreme die Wohnung der beiden Männer zu stürmen. Danach riegelt die Polizei die Straße komplett ab. Ministerpräsident Reiner Haseloff erklärt Anfang Juni endlich öffentlich, die Würde des Menschen ist unantastbar: Deswegen distanzieren wir uns ganz klar von den zum Teil beschämenden Handlungsweisen einzelner Bürger. Drei Tage später fahren 70 Landtagsabgeordnete mit ihren Mitarbeitern nach Insel. Sie wollen ein unmissverständliches Zeichen setzen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Zu jeder Zeit, überall, an jedem Ort. Hans-Jochen Tschiche öffnet das Gartentor, steigt die Treppe hinauf zur Wohnung der beiden Männer. Der über 80-jährige frühere Bürgerrechtler besucht sie regelmäßig. Er fährt mit ihnen in den Zoo, lädt sie zum Grillabend ein, man feiert zusammen Geburtstag. Günther G. und Hans-Peter W. nennen Hans-Jochen Tschiche inzwischen liebevoll Opa. Günter G. stellt zwei Tassen dampfenden Instantkaffee auf den Tisch. Im Hinterzimmer zwitschern die Wellensittiche. Hans-Jochen Tschiche nippt kurz an dem Getränk, kramt dann Fotos aus seiner Jackentasche, Schnappschüsse von ihrem Ausflug in den Zoo. Die Stimmung unter den drein - freundschaftlich. Und die Stimmung im Dorf? Günther G. zuckt mit den Achseln. Seit acht Wochen schallen keine lautstarken "Raus aus Insel"-Rufe mehr durch das Dorf. Der Besuch der Parlamentarier und des Ministerpräsidenten haben ihre Spuren hinterlassen. Hans-Jochen Tschiche glaubt, dass sich innerhalb der Bürgerinitiative schon vorher Risse aufgetan haben. Manche von ihnen wollen mit den Neonazis nichts mehr zu tun haben. Andere haben sich offiziell von der BI losgesagt. (Hans-Jochen Tschiche) Ich möchte gerne, dass in diesem Dorf Frieden eintritt. Und ich hoffe, dass es eben immer noch zu Kompromissen kommt. Ich habe also so was wie einen Glauben, dass sich Menschen ändern können bei den beiden als auch bei den anderen, die jetzt also rumkrakeelen. Der harte Kern der Bürgerinitiative besteht aus siebzehn Frauen und Männern. Vor dem Haus der beiden Männer dürfen sie nicht mehr demonstrieren. Darum organisieren sie jetzt spontane Spaziergänge. Die Polizisten lassen sie gewähren. Vor einem halben Jahr hatte Günther G. noch gehofft und gesagt: Es müssten Gespräche stattfinden von beide Seiten, es muss auch ein Gesprächsthema da sein, grad Sicherungsverwahrung. Wie wollt ihr euch verhalten, wie könnt ihr euch verhalten, uns gegenüber verhalten. Das muss alles langsam aufgebaut werden. Ich glaube, dass das möglich ist. Aber es wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Heute sagt der 65-jährige lieber nichts mehr. Zumindest nichts mehr ins Mikrophon. Mit Journalisten haben die beiden Männer nur schlechte Erfahrungen gemacht. Und dann erzählt er doch noch von seiner Zeit in der Sicherungsverwahrung. Zu den Anstaltstherapeuten habe er kein Vertrauen aufbauen können. Die wollten nur von ihm wissen, ob er wieder Alkohol getrunken habe. Seine Geschichte, seine Gefühle, seinen Frust und seine Wut haben dort niemanden interessiert. Darum habe ich weitere Resozialisierungsmaßnahmen auch abgelehnt, sagt der 65-jährige und schaut ein bisschen trotzig. Dass deshalb seine Sicherungsverwahrung immer wieder verlängert wurde, weiß er selbst am Besten. Am Ende seiner 26 Jahre hinter Gittern habe er die acht Gutachten miteinander verglichen. Alle bauten auf das erste auf, sagt Günther G. Bislang halten sich die beiden an ihre Auflagen. Auf Bitten der Bürgerinitiative will die Landesregierung trotzdem ein neues psychologisches Gutachten über sie anfertigen lassen. (Ingo Siebenthaler) Gefährdungsanalysen, auf welcher rechtlichen Grundlage? Also sonst müsste man ja auch von denen, die draußen rumlaufen, also vor denen bekomme ich langsam Angst, auch mal eine Analyse fordern. Sind die denn gefährlich, schmeißen die mir demnächst die Fenster ein, nur weil ich hier im Radio was sage? Im Haus gegenüber wohnt Ingo Siebenthaler. Der Familienvater akzeptiert seine beiden neuen Nachbarn, grüßt sie auf der Straße, leiht ihnen auch einen Spaten, wenn sie einen brauchen. Es gibt eine Handvoll Menschen im Dorf, vor allem Frauen, die sich um die beiden kümmern, erzählt Siebenthaler. Anfangs habe er noch mit den Anhängern der Bürgerinitiative reden wollen, das habe er aber aufgegeben. Er sei einfach niedergebrüllt worden: Es gibt nur noch Freund und Feind und das ist traurig. Und wenn´s auch nur die Kinder sind, die im Kindergarten miteinander spielen. Wenn sie von verschiedenen Fraktionen sind, möchte ich es hier mal nennen, dann kriegen die Kinder zuhause gesagt, sie dürfen nicht mit diesen anderen Kindern spielen. Wie weit soll das hier noch gehen, ja? In Hamburg-Jenfeld halten seit acht Monaten jeden Tag um 18 Uhr Bürger ein Mahnwache an einer großen Straßenkreuzung ab. Anfangs waren es 150 Anwohner, jetzt sind oft nur noch ein Dutzend. Auf ihren Bannern steht nicht mehr: "Hier ist kein Wohnort für ehemalige Sicherungsverwahrte." Jetzt liest man: "Keine zentralisierte Unterbringung von Ex-Sicherunsverwahrten in Wohngebieten." Wir sehen das Ganze jetzt differenzierter, sagt Carsten Schlumbom, Mitglied der Bürgerinitiative "Wohnen auf eigenen Gefahr": Natürlich als erste Reaktion sagt man, warum wir, das geht so nicht, die sollen in den Knast gehen oder was auch immer aber doch nicht hier. Und dann setzt man sich damit auseinander. Und wir haben mehrfach gesagt, dass man mit einem sicherlich gut lebe könnte und müsste. Doch mit der zentralisierten Unterbringung sei der Senat zu weit gegangen, findet Schlumbom. Ab und zu trifft er einen der drei Männer auf der Hundewiese in Jenfeld. Er habe ihm erzählt, dass sich die drei gegenseitig nicht ausstehen können. Wie lebt es sich da in einer Wohnung mit 40 Quadratmeter Größe, Seite an Seite mit einem Nachbarn, den man nicht leiden kann, fragt sich Schlumbom. Der Resozialisierungsgedanke, der da immer vom Senat vorne angestellt wird, der findet ja hier gar nicht statt. Weil wenn sie jemanden resozialisieren wollen, dann müssen sie ihn irgendwo einzeln und anonym unterbringen und ihn nicht vorführen. Die Beispiele aus Insel und Hamburg-Jenfeld zeigen ein Dilemma auf. Was zählt mehr? Die Ängste der einen oder das Grundrecht auf Freiheit der anderen? Das neue Gesetz zur Sicherungsverwahrung soll Ende Mai 2013 in Kraft treten. Einige Bundesländer pochen nach wie vor darauf, die nachträgliche Sicherungsverwahrung wieder einzuführen. Wie auch immer man sich entscheiden wird, Konzepte für die Wiedereingliederung von ehemaligen Sexual- oder Gewalttätern aus der Sicherungsverwahrung sollten dabei nicht fehlen. -E N D E- 9