COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Deutschlandrundfahrt, 5.2.20100 "Wintersport ade" Die unausweichliche Wandlung von Oberwiesenthal in Sachsen Von Matthias Eckoldt O-Töne für COLLAGE: (O-Ton1)O-Ton(CD 2/20/0:30): Wir machen uns selbstverständlich Gedanken über die ganze Thematik Klimawandel. Wir haben ja hier vor Ort eine Wetterwarte - Und wir müssen schon konstatieren, dass wir eine Erwärmung haben und auch weiterhin bekommen werden. Das ist erstmal klar. (O-Ton2)O-Ton(CD7/11/2:00): Ich hab davon noch nichts gemerkt. Weil soviel Schnee wie in den letzten drei Saisons hatten wir ewig nicht mehr. Und so lange Saisons. Wir hatten von Mitte/Ende November bis Mitte/Ende April durchgängig Schnee und ich weiß nicht, was los ist, aber vielleicht entsteht hier auch grad ein Gletscher. (O-Ton3)O-Ton(CD3/23/0:30): Solange wie wir Schnee haben, haben wir immer eine Auslastung. Wenn der Schnee aber irgendwann mal weg ist, und wir haben keine Alternativangebote, dann haben wir ein Problem. Deswegen sage ich: Jetzt die Alternativangebote schaffen und dort langfristig denken. (O-Ton4)O-Ton(CD6/17/5:32): Im Winter gibt es ja diese Rundloipen, und im Sommer machen wir dann auch diese Rundwanderwege, die werden dann komplett ausgeschildert nach bestimmten Schwierigkeitsgraden. Es werden dazu Höhenprofile erstellt, und da kann dann jeder Urlauber testen, was er für Kondition dann hat. Sprecherin: "Wintersport ade" Die unausweichliche Wandlung von Oberwiesenthal in Sachsen Eine Deutschlandrundfahrt mit Matthias Eckoldt Regie: Bahngeräusche unterlegen. Autor: Die Dampflok gibt noch einmal Vollgas, um den steilen Anstieg nach Oberwiesenthal zu meistern. Dicke Rauschschwaden senken sich in die Landschaft. Nostalgie pur in der verschneiten Winterwelt. Regie: Blenden Musik 1: "Grüß mir Oberwiesenthal" Komponist: Herbert Roth Interpret: Bernd Barthel Eigenaufnahme Regie: Blenden mit Lok-Atmo. Autor: Während sich die Lok draußen abrackert, ist es drin gemütlich und warm. Im Salonwagen der Schmalspurbahn sitzt man auf samtgepolsterten Bänken und wird bestens versorgt mit regionalen Alkoholika. (/2') (O-Ton5)O-Ton(CD1/10/0:07): Wir haben unter anderem den Oberwiesenthaler Tropfen. Das sind unsere eigenen Sachen. Vogelbeere ist typisch für uns. ... Ganz lecker! / Schön süß. / Schön süß. (10'') Autor: Mit bis zu vierundfünfzig Prozent sind die Kräuterschnäpse der Gebirgsregion sehr kräftig und steigern innere Wärme und Wohlempfinden im Handumdrehen. (O-Ton6)O-Ton(CD1/6/0:07): Das ist also alles wunderschön! So schön für uns, das erste Mal das zu sehen mit den Gardinchen da an den Fenster. Also einfach herrlich! (10'') Autor: Harry Bauer aus Regensburg will seiner Frau Oberwiesenthal zeigen. Er kennt Deutschlands höchstgelegene Stadt gut. (O-Ton7)O-Ton(CD1/1/0:11): Mein Vater hat also die Eisenbahn von Oberwiesenthal nach Cranzahl gefahren. Und 1940 ist er dann nach Litzmannstadt versetzt worden, und die Familie musste leider Gottes mit. Und da sind wir weg von Oberwiesenthal. Und als die Grenzöffnung war, da habe ich meine Schwester gepackt, und dann sind wir nach Oberwiesenthal gefahren. Und oben an der Grenze in Gottesgab, da hat meine Schwester gesagt: "Da unten ist dein Geburtsort!" Und das ist mir dermaßen den Rücken runter. Das war Wahnsinn. Unwahrscheinlich. (40'') Regie: Bahngeräusche aus und blenden. (Atmo2)O-Ton(CD4/24/0:02): Ja, komm! (Schlittengeräusche) Autor: Natürlich gibt es hier oben am Fichtelberg auch Straßen und Autos. Mehrere großflächige Parkplätze stehen für die Wintersportler bereit, die als Tagestouristen nach Oberwiesenthal kommen. Doch einmal auf dem Nostalgietrip, kann man sich auch vom Pferdeschlitten ins Hotel bringen lassen. Der Einspänner fährt durch die engen Gassen des Städtchens. Quer über den von schmiedeeisernen Kandelabern gerahmten Markt. Die hohen Schneeberge zu beiden Seiten dämpfen die Geräusche. An den Liften und der Schwebebahn vorbei geht es in den dicht verschneiten Wald hinein. Wenn man sich - eingehüllt in Felle und Decken - durch diese Landschaft fahren lässt, ist es schier unvorstellbar, dass es in dieser Region einmal keinen Winter mehr geben wird. Aber genau das sagen die Klimaberichte vorher: Schneelose Zeiten in den europäischen Mittelgebirgen. Für den Oberwiesenthaler Tourismus wäre das verheerend. Doch vorerst liegt ja noch Schnee. Mehr denn je, sagen die Einheimischen. (O-Ton8)O-Ton(CD1/40(0:00): (Glocke) Hallo Herr Eckoldt! Freut mich, dass Sie da sind! ... So, Sie haben Appartement 202. Appartement Innsbruck. Ich zeigs Ihnen erstmal. (15''/4') Regie: Ab hier unter nächsten Autor-Text legen. (Atmo3)O-Ton(dito): Da sind wir. Unsere Appartements haben ja verschiedene Größen. Sie haben eins für zwei bis vier Personen mit getrenntem Wohn-Schlafraum, Küche Bad. So, der Lichterbogen brennt schon. ... Das muss sein. Das ist halt so ein Synonym fürs Erzgebirge. Autor: Freundlich lächelnd steht Jens Weissflog hinter dem Empfangstresen. Der berühmteste Sohn der Stadt, durch den Oberwiesenthal in der Welt bekannt wurde, hat immer noch die knabenhafte Figur eines Skispringers. Der mehrfache Olympiasieger und Weltmeister wagte nach seinem Karriereende 1996 einen weiteren riskanten Sprung - ins kalte Wasser des freien Unternehmertums. (O-Ton9)O-Ton(CD1/48(0:30): Das ist eine ganz andere Liga. Da würde ich jeden Spitzensport als Spaß beschreiben, weil der ist nicht existenzbedrohend. Jeder Sportler sollte mal ein halbes Jahr lang Unternehmer sein. Dann würde er merken, dass das, was er macht, zwar in dem Moment wichtig ist, aber es ist nicht risikobehaftet. Man nimmt sich ja als Sportler - das habe ich auch immer gemacht - sehr wichtig. Beziehungsweise meint man, die ganze Welt geht unter, wenn man mal nen schlechten Sprung macht, aber am Ende passiert gar nichts! Aber als Unternehmer sind das ganz andere Ansprüche. Man ist mit Haut und Haar verhaftet mit dem Unternehmen! (45'') (Atmo4) (WeissflogTelefon1 mp3): Klingeln: Herr Lehmann... Regie: O-Ton ab Klingeln unterlegen. Autor: Das Appartement-Hotel ist ganz auf die Person Jens Weissflog zugeschnitten. Vom Motto "Abspringen - Ausspannen - aktiv sein" über die Schautafeln, auf denen die Siege des Oberwiesenthalers dokumentiert sind, bis hin zur Gestaltung der Menükarte hat alles mit dem Ausnahmesportler zu tun. Obwohl seine Person derart im Mittelpunkt steht, wirkt Jens Weissflog bescheiden, manchmal sogar ein wenig schüchtern, wenn er von seiner zweiten Existenz erzählt. (O-Ton10)O-Ton(CD1/41(0:00): Ja, vor den Zimmern stehen ja Skier. Die Skier beziehen sich natürlich auf die Person Jens Weissflog. Das sind ja ehemalige Sprungski, die umlackiert wurden und die haben alle auch den Namen des jeweiligen Appartements drauf. Also die Namen eines Skisprungsortes - egal ob das jetzt Innsbruck ist oder Lillehammer, Oberstdorf. Also alles Orte, wo ich auch mal gesprungen bin. Und es gibt, glaube ich, auch nur einen Ort, wo ich nicht ganz oben stand: Charmonix. Wie kann das sein? Ja gut, auch so was gibt's! Da war ich nur Zweiter. Was haben wir dahinten noch? Lillehammer? Ja, Lillehammer und Planica. Lillehammer ist natürlich die Erinnerung: 1994, Olympische Spiele, die natürlich sehr erfolgreich für mich waren mit zwei Mal Olympiagold Planica, bekannt für die größte Skiflugschance der Welt. Was war der weiteste Satz in Ihrer Karriere? Mein weitester Satz war 201 Meter. Hat man da nicht Angst, dass man gar nicht mehr runterkommt? Man hat eher das Bestreben, nicht runterzukommen. (1,15') Regie: Musik blenden. Musik 2: "Wheelbarrow Walk" Interpret/Komponist: Michael Nyman Verlag: Virgin, LC 03098 EAN-Nr. 0724381107928 (Atmo5)O-Ton(CD3/27(1:17): (Atmo am Lift). Autor: Eine Erkundung des Oberwiesenthaler Skigebiets steht an. Alle dreizehn Pisten sind präpariert. Die Steighilfen laufen. Am Einstieg des Schlepplifts mit dem poetischen Namen "Himmelsleiter" steht der Liftwart und achtet darauf, dass die Anker korrekt unterhalb des Gesäßes Halt finden, bevor die Fahrt beginnt. Das gesunde Rot seiner Gesichtshaut wird von den weißen Nebelfahnen kontrastiert, die aus seinem Mund entweichen, wenn er spricht: (O-Ton11)O-Ton(CD3/28(0:55): Da kommen Leute, das sind meistens so Anfänger, die sind hier in den Ferien. Da haben wir sehr viel zu tun. Die liegen dann da kreuz und quer. Da müssen wir auch mal den Lift ausschalten. Der muss dann wieder frisch losgehen. Da muss ich dann den roten Knopf drücken und dann steht der. Dann muss ich die Leute wieder ordentlich hinstellen. Und dann geht das wieder von vorn los. So, jetzt kommen die nächsten Leute. Einwandfrei klappt das hier! Das sieht man gleich, wer da die Fortgeschrittenen sind. Dann haut das schon hin. (Atmo6)O-Ton(dito) Regie: Unterlegen. Autor: Der Liftwart entdeckt einen Snowboardfahrer, der die Trasse herunterfährt und sich mit kühnen Schwüngen um die Liftfahrer herumschlängelt. (O-Ton12)O-Ton(CD3/28(3:12): Das dürfen die nicht. Der kriegt jetzt erstmal einen kleinen Anschiss. Die Snowboarder sind die Raudis hier. Da kann man sagen jeder Dritte. Könnten Sie dem auch Liftverbot erteilen? Wenn der das noch mehrmals macht, kann ich sagen: So, das ist beendet. Jetzt nehm ich Dir die Karte weg. Auf der Trasse fahren ist verboten. Du machst das immer wieder. Ich weiß. Da waren Freunde von uns. Regie: Unterlegen. (Atmo7)O-Ton(dito) Autor: Der Raudi mit Stirnband und cool hängender Hose hört sich die Standpauke schuldbewusst an. Dann darf er weiter fahren. (O-Ton13)O-Ton(CD3/28(4:35): So, jetzt kommen die Leute vom Radio. Mal sehen, ob die das bringen. (Atmo8)O-Ton(dito) Autor: Der Selbstversuch beginnt. (O-Ton14)O-Ton(CD3/28(4:40): Also erstmal rein in die Spur. Und dann kommt der Knüppel. Und jetzt festhalten. Nur ziehen lassen. Ah, jetzt geht's aber los. Danke! (1'/10') Regie: Atmo unterlegen. (Atmo9)O-Ton(CD3/28(5:10): Atmo Liftgeräusche. (Atmo10)O-Ton(CD3/29(0:00): Atmo Liftgeräusche. Autor: Gemächlich wird man in sechs Minuten tausendeinhundert Meter durch den verschneiten Tannenwald auf den Fichtelberg hinaufgezogen. Die Äste der Bäume tragen schwer an der Schneelast. Im Sonnenlicht funkeln die Schneekristalle. Es fühlt sich an, als ob tausend Nadeln in die Haut stechen, wenn der Wind bei zehn Grad Minus über die Bergkuppe fegt. Auch der Ausstieg gelingt problemlos. Und nun geht es die laut Karte leichteste Piste mit der blauen Markierung ins Tal hinunter. Regie: Atmo mit Musik blenden. Musik 3: "Zwei Spuren im Schnee" Interpret: Vico Torriani Komponist: G.Winkler, F.Rauch Verlag: Telefunken, LC 00366 Regie: Musik mit Atmo blenden. (Atmo11)O-Ton(AtmoWaldeck): Atmo Autor: Unten am Lift fällt die Entscheidung zwischen einer erneuten Fahrt und einem Besuch in einer Baude leicht. Die Finger und Zehen sind kaum mehr zu spüren, die Nase ist vereist und die Knie zittern leicht. Dies jedoch weniger wegen der Kälte, sondern vor Anstrengung. Der Wirt im nur wenige Schritte entfernten "Waldeck" geht gleich zum "Du" über, als er aus seiner Speisekarte empfiehlt: (O-Ton15)O-Ton(CD3/25und26/0:05): Du warst ja heute auch sportlich aktiv am Berg. ... Also bei uns hier definitiv die hausgemachten Nudeln mit ner schönen Soße dazu. Da haben wir verschiedene. Das kräftigt Das kräftigt, füllt den Kohlenhydrathaushalt wieder auf und macht ordentlich satt. Und dazu. Ja, einen Jagertee. Wie machst du den Jagertee? Der Jagertee ist hergestellt aus einem Kräuterteekonzentrat von neunundneunzig verschiedenen Bergkräutern und das ganze versetzt mit Rum. Da muss ich ehrlich sagen: Hier muss man echt ein wenig trinkfest sein. Ich weiß nicht, ob das an der Höhenluft liegt, aber die Erzgebirgler machen schon gut los. Also das heißt nicht, dass die hier regelmäßig einen im Tee haben und sturzbesoffen durch die Gegend stiefeln, aber es wird schon ganz gerne einer gehoben. (1,15') Autor: Alex Schulz ist kein geborener Erzgebirgler, sondern kommt aus Potsdam bei Berlin. Als ihm 1996 eine Lehrstelle als Koch in der Oberwiesenthaler Gastronomie angeboten wurde, zog er in die Berge und wurde hier rasch heimisch. Nach einem einjährigen Ausflug in die haute cuisine des Fürstenhofes von Vaduz entschied er sich, wieder zum Fichtelberg zurück zu gehen. (O-Ton16)O-Ton(CD3/21/0:25): Diese Nähe zur Natur, diese Ruhe, die man sich nehmen kann, wenn man sie braucht, ist mir persönlich, mit meinem Weltbild, mehr Wert, als das kulturelle Programm, was einem eine Stadt bieten kann. Vom Einkaufen her ist es hier schon ein bisschen anders. Man hat halt kein Shopping-Center gleich um die Ecke und gerade im Winter kommt man gar nicht raus aus Oberwiesenthal - gerade wenn man selbständig und geschäftstätig ist, weil du wirklich 24 Stunden mit deinem Laden, nicht verheiratet, aber verschwägert bist. Ich finds herrlich. Ich hab jetzt Familie gegründet, bin ganz jung Vater geworden. Hab mich hier herrlichst eingerichtet in Oberwiesenthal. (45'') Autor: 2008 fasste Alex Schulz die Gelegenheit beim Schopf und pachtete die Sportbaude "Waldeck". Der sympathische dreißigjährige Flachländer wird mittlerweile von den Oberwiesenthalern akzeptiert. Nicht zuletzt, weil er mit den sportlichen Pfunden der Region zu wuchern versteht. Jeder der zwölf Tische im Waldeck trägt das Autogramm eines Olympiasiegers aus Oberwiesenthal. Dazu findet sich an der Wand eine Schautafel mit Urkunden von den großen Siegen der Rennrodler, Skilangläufer, Biathleten und Skispringer: (O-Ton17)O-Ton(CD3/14und18und19/1:08): Die Erste, die für Oberwiesenthal eine Goldmedaille geholt hat bei Olympia, war die Ortrun Enderlein 1964. Und aufgehört hats jetzt gerade bei der letzten Olympiade in Vancouver mit der Tatjana Hüfner. Da ist noch die dreizehnte Olympiasiegerin dazugekommen. Da sind wir jetzt dabei. Wir haben den Tisch schon parat stehen. Also es ist so, dass wir eine Handsignierung von den Sportlern bekommen. Und dann haben wir eine Kunsthandwerkerin hier vor Ort, die viel schnitzt - Pyramiden und so weiter und so fort - und die kommt und schnitzt dann praktisch dieses Relief nach, also kratzt Holz aus dem Tisch raus - immer dieser Unterschrift entlang. Und so hat man halt ein leichtes Relief in dem Tisch drin. Und die haben wir dann noch mal ein bisschen grün nachgefärbt, weil Grün ist unsere Waldeckfarbe und dadurch ist das dann recht gut ersichtlich. Wir sitzen jetzt direkt beim Thomas Köhler. Der ist Olympiasieger im Doppelrennrodeln gewesen mit dem Klaus Bonsack zusammen. Calgary 1988. Der lebt jetzt in Berlin und lässt sich unregelmäßig ein Mal im Jahr hier blicken. / Sitzt der auch hier an seinem Tisch? / Ja, oder er setzt sich beim Detlef hin oder bei der Ortrun Enderlein hin. Also er besteht dann nicht darauf. Was auf jeden Fall Fakt ist - das ist sogar in meinem Pachtvertrag verankert - aber das ist eigentlich Selbstverständlichkeit, dass die ... grundsätzlich Gäste des Hauses sind. (1,30') Regie: Atmo 11 wiederholen. Autor: Alex Schulz setzt sich auch mit einem Thema auseinander, über das in Oberwiesenthal niemand gern spricht. Der Klimabericht der Vereinten Nationen sagt nämlich voraus, dass sich im Zuge der Klimaerwärmung Skiregionen in Mittelgebirgslagen mittelfristig in unseren Breitengraden nicht mehr halten können. Die letzten schneereichen Winter, in denen in Oberwiesenthal die Lifte von Mitte November bis Ende April liefen, sind derzeit noch gute Argumente gegen aufkommende Zukunftsängste. Doch die globale Erwärmung wird wohl perspektivisch auch vor der Erzgebirgsregion nicht Halt machen. (O-Ton18)O-Ton(CD3/23/0:30): Dass wir uns hier nicht darauf verlassen können, dass der Winter ewig dauert, das ist auch der Grund, warum ich dieses Jahr im Juni hier ein Scott-Kids-and-technical-Bike-Park eröffnet habe. Wir haben hier noch ein Freigelände von tausend Quadratmetern. Da haben wir einen Fahrtechnikparcours gebaut für Montainbiker mit sechs Steilkurven und ner Wallright, also einer Holzwand, die leicht angeneigt ist, um dort hochzufahren. Das ist kein Dirt-Park, wie man das aus einigen Stadtrandgebieten kennt, wo man große Sprünge machen kann, sondern das ist wirklich angelegt für den Breitensportler, der dort sein fahrtechnisches Vermögen schulen kann. Ich hab hier auch keinen Winterfligher ausliegen im Winter, sondern ich mache Werbung nur noch für den Sommer. Dadurch dass es in Europa immer weniger Flächen werden, auf denen man Ski fahren kann, und die Nachfrage aber dieselbe bleibt - das soll nicht arrogant klingen - dadurch wird eine Auslastung in Oberwiesenthal immer wahrscheinlicher. Solange wie wir Schnee haben, haben wir immer eine Auslastung. Wenn der Schnee aber irgendwann mal weg ist, und wir haben keine Alternativangebote, dann haben wir ein Problem. Deswegen sage ich: Jetzt die Alternativangebote schaffen und dort langfristig denken. (1,15') Musik 4: "Roll wit me" Interpret / Komponist: GHG Verlag: Dance Street, LC 06813 Autor: Seit der Bergbau in der Oberwiesenthaler Region im zwanzigsten Jahrhundert nahezu vollständig zum Erliegen kam, stellt der Tourismus die einzige Einnahmequelle dar. Da etwa achtzig Prozent des Umsatzes in den Wintermonaten gemacht werden, wäre ein mit der Klimaerwärmung einhergehendes Abschmelzen der Pisten zum jetzigen Zeitpunkt verheerend. (O-Ton19)O-Ton(CD 2/20/0:30): Wir machen uns selbstverständlich Gedanken über die ganze Thematik Klimawandel. Wir haben die Trends auch. Wir haben ja hier vor Ort eine Wetterwarte - sogar eine Referenzwetterstation mit Bestandschutz für dreißig Jahre und haben natürlich auch gute Kontakte in Richtung des Deutschen Wetterdienstes, so dass wir auch durchaus informiert sind, wie diese Prognosen zustande kommen und welche Auswirkungen sie bis zum heutigen Tage haben. Und wir müssen schon konstatieren, dass wir eine Erwärmung haben und auch weiterhin bekommen werden. Das ist erstmal klar. Aber seitdem die Klimadiskussion aufgekommen ist, haben wir auch vermehrt gute Winter gehabt, was zum einen zwar ein Vorbote für den Klimawandel sein kann, zum anderen aber im Augenblick auch ein wenig Hoffnung verbreitet. Autor: Ein Besuch beim Bürgermeister Mirko Ernst. Er sitzt in einem modern eingerichteten Büro im ersten Stock des Rathauses am Markt der Stadt. An dem großen Konferenztisch bringt der per Direktwahl bestimmte neue Mann im Amt immer wieder verschiedene Interessengruppen, Landschaftsplaner, Tourismus- und Marketingexperten sowie Unternehmer zusammen, um ein zukunftsfähiges Konzept auf die Beine zu stellen. (O-Ton20)O-Ton(CD 2/20/1:35): Wir haben alles das, was wir jetzt an Investitionen beginnen, immer unter die Prämisse gesetzt, wir wollen das ganzjährig nutzen. Insofern hat man schon die Chance, dass wir solche Investitionen auch nachhaltig tätigen können und dass wir auch die Investitionen refinanzieren können. Man muss sich aber auch die Zeiträume mal anschauen. Wenn wir von Klimawandel reden, sind das alles sehr lange Zeiträume, die geringsten Prognosen sind fünfzig Jahre, bis sich so was deutlich auswirkt. Die Abschreibungszeiten für - zum Beispiel Liftanlagen - sind abhängig von der Liftanlage bis zu siebzehn Jahre. Und wenn ich dann Diskussionen höre von einigen Banken, wenn's um Kreditierungen geht: Wir wollen jetzt Klimagutachten auf fünfunddreißig Jahren haben, um eine Investition hier zu rechtfertigen, dann muss man das schon fast als Ausflucht werten, dass die Bank kein Geld geben möchte. (1,30') Autor: Mirko Ernst kommt aus Oberwiesenthal. Noch Monate vor der Wende floh er über Ungarn aus der DDR. In Frankfurt am Main machte er sein Abitur im zweiten Bildungsweg. Nach dem Studium der Elektrotechnik arbeitete er ein paar Jahre in Dresden, bevor ihn das Heimweh packte und er wieder nach Oberwiesenthal zurückkehrte. 2008 kandidierte er schließlich für das Bürgermeisteramt und setzte sich in der Stichwahl durch. Seitdem arbeitet er daran, eine Mehrheit für ein Konzept zur ganzjährigen Nutzung der Region hinter sich zu bringen. Dies ist von eminenter Bedeutung, egal, wie sich die Klimaerwärmung nun auf Temperatur und Schneehöhe auswirkt. (O-Ton21)O-Ton(CD 2/16/0:00): Wenn man unsere Auslastungskurven im touristischen Bereich anschaut, dann sieht das fast aus wie eine Badewanne. Das heißt, wir haben keine homogene Auslastung. Im Winter sind viele Gäste da, wenn wir gute Bedingungen haben - also sprich in Oberwiesenthal liegt Schnee, im Flachland liegt keiner - ist der Ort ausgebucht, und im Sommer haben wir kräftigen Nachholebedarf, da Oberwiesenthal als Wintersportort bekannt ist. Und der Stadtrat hat das erkannt und hat gesagt: Wir wollen das ändern, wir wollen hin zum Ganzjahrestourismus und hat aus diesem Beweggrund auch den Prozess zur Prädikatisierung angeschoben. Denn Oberwiesenthal ist ja gegenwärtig im Prozess zum Prädikat Staatlich anerkannter Luftkurort. Wir waren das im Übrigen auch schon einmal. Autor: Ein Erbe aus den Zeiten des Nationalsozialismus. Der damalige Gauleiter Mutschmann versah Oberwiesenthal mit diesem Zertifikat. Doch als die chemische Industrie - vor allem im nahegelegenen tschechischen Grenzgebiet - in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein flächendeckendes Waldsterben verursachte, erschien der tourismustaugliche Namenszusatz wie Hohn. (O-Ton22)O-Ton(CD 2/16und21/1:10): Wir haben vor, im Frühjahr diese Begehung zu vereinbaren mit dem Landesbeirat hier in Sachsen. Und da hoffen wir natürlich, dass wir die Prädikatisierung erfolgreich bestehen, so dass wir das Prädikat dann für zehn Jahre in Händen halten dürfen und haben dann natürlich auch die Chance, ganz andere Gästegruppen mit anzusprechen, gerade im Bereich des Aktiv- und Gesundheitstourismus. Da ist ein Thema zum Beispiel allergiearme Luft. Und auch das Reizklima, das wir hier oben haben. Denn Oberwiesenthal hat zwar eine Mittelgebirgslage, hat aber ein Hochgebirgsklima. Das ist auch nachgewiesen durch unsere Wetterstation. Man merkts eigentlich auch selbst, wenn man rausgeht. Gerade im Winter, da spürt man den Körper wieder hier oben. Das ist schon eine gute Heilanzeige. (1'/26') Autor: Über die reine Bergluft in Oberwiesenthal hat sich auch der ortsansässige Musikschullehrer und Chorleiter Bernd Barthel Gedanken gemacht, der für Urlauber im Duett mit seiner Tochter Lieder aus dem Erzgebirge singt: (O-Ton23)O-Ton(CD5/04/0:30): Und da ist nun von der ranen Bergluft die Rede - von der reinen Bergluft. Und die, die ist wie Arzenei. Und die kostet - zumindest bis jetzt noch - nichts. Aber vielleicht lassen sich da die Krankenkassen auch bald was einfallen. Musik 5: "Und reine Bergluft" Interpret, Komponist: Bernd Barthel Eigenaufnahme (Atmo12)O-Ton(CD6/16/0:00): Atmo: Schritte im Schnee. Autor: Auf dem Markt der Stadt wird die reine Bergluft derzeit noch vom Autoverkehr getrübt. Ein Manko, das die Oberwiesenthaler noch abstellen müssen, wenn sie ihre Stadt als Luftkurort staatlich anerkennen lassen wollen. (O-Ton24)O-Ton(CD3/06/0:05): Unser Hauptaugenmerk liegt auf dieser schneelosen Zeit, auf dem Gesundheits- und Aktivtourismus. Dafür wollen wir gern eine Verkehrsberuhigung des Marktes machen, denn wir wollen die Aufenthaltsqualität auf dem Markt deutlich verbessern und im Sommer haben wir auch nicht das große Problem mit einer Umfahrung dieses Marktplatzes, denn da sind die Witterungsverhältnisse in keiner Weise vergleichbar mit denen im Winter. Im Sommer wollen wir den Verkehr, bevor er den Marktplatz erreicht, möglichst ableiten, und nur wenig Verkehr auf dem Marktplatz zulassen. Ich denke, es ist auch notwendig, dem verbleibenden Verkehr das Überfahren des Marktes sehr schwer zu machen, so dass man einfach keinen Spaß daran hat, in die Ortsmitte zu fahren. ... Wir wollen schon die Geschäfte in der Innenstadt beleben. Und das gelingt nur, wenn wir wenig Verkehr haben. (1,20') Regie: Atmo 12 unterlegen Autor: Wenn man die mannshoch aufgetürmten Schneeberge am Markt sieht, gehört schon einige visionäre Kraft - beziehungsweise schwarzmalerische Phantasie - dazu, sich eine Zeit vorzustellen, in der es hier einmal Winter ohne weiße Pracht geben wird. (O-Ton25)O-Ton(CD3/01/0:20): In einem Durchschnittswinter fahren wir ungefähr fünf Mal die gesamte Stadt leer. Und die Stadt ist mit ihren ganzen Arbeitskräften hier selbst im Einsatz, und das möchte ich sagen, rund um die Uhr, so dass wir also dieser Lage Herr werden. Im Übrigen haben wir die höchsten Schneehöhen in den letzten Jahren bis fünf Meter fünfunddreißig gehabt. Das sind dann Schneewehen im Bereich des Grenzübergangs. Fünf Meter fünfunddreißig - Das ist Zugspitzenniveau! / Ja, ich denke, wir können da schon ganz gut konkurrieren, jawoll! Im Allgemeinen haben wir diese Schneehöhen schon und haben natürlich dadurch auch den Umgang mit dem Schnee gelernt. Es gehört zu Oberwiesenthal, und wir leben gut damit. Aber es kostet auch viel Geld und Energie. (1'/30) Autor: Wenn denn der Schnee wirklich eines Tages ausbleiben sollte, bringt jedoch auch das Zertifikat "Staatlich anerkannter Luftkurort" allein noch keine Gäste. Das Marketing-Stichwort hierfür heißt Gesundheitstourismus. Ein erster Baustein in dem mehrstufigen Plan ist ein ausgetüfteltes System von Rundwanderwegen, das kurz vor dem Abschluss steht. (Atmo13)O-Ton(CD6/18/0:00): Atmo Anfahrt Motorschlitten. Schon unter Autor legen. Autor: Verantwortlich für das Projekt ist der Wegewart Siegfried Ott, der mit seinem Motorschlitten im Wald unterwegs ist. Im Winter fährt er täglich die fünfundsechzig Kilometer gespurter Loipe ab. (O-Ton26)O-Ton(CD6/17/5:32): Wir wollen das jetzt so übernehmen, dass wir das wie im Winter machen. Im Winter gibt es ja diese Rundloipen, und im Sommer machen wir dann auch diese Rundwanderwege, die werden dann komplett ausgeschildert nach bestimmten Schwierigkeitsgraden. Es werden dazu Höhenprofile erstellt, und da kann dann jeder Urlauber testen, was er für Kondition dann hat, wo bestimmte Wattzahlen dann errechnet werden. Es ist für jeden was dabei. Es gibt eine blaue Loipe, das ist die leichte Loipe, dann die rote, die ist mittelschwer, und dann die Schwarze, das ist die schwere Loipe. Und so ähnlich werden wir dann diese Rundwanderwege im Sommer gestalten, dass nach bestimmten Farbprogrammen und bestimmten Höhenangaben diese gelaufen werden können. Und die schwarze Piste, was würde einen da erwarten? Die schwarze Piste, da muss man wirklich schon gute Kondition haben oder ein geübter Wanderer sein, also es werden schon drei- vierhundert Höhenmeter erreicht pro Runde. (1') Autor: Im vergangenen Jahr sammelte ein Team um Siegfried Ott und dem Bürgermeister alle verfügbaren Daten über die Rund-Wanderwege. Sie kartografierten nicht nur die Höhenprofile, sondern auch die Standorte von Schutzhütten, Wegweisern, Aussichtspunkten, Bachläufen, Bauden, Restaurants, Schwimmbädern, Ausleihstationen für Mountainbikes und Sehenswürdigkeiten aller Art. Die Daten wurden digitalisiert und sollen mit Beginn der diesjährigen Sommersaison den Interessierten via GPS zur Verfügung stehen. (O-Ton27)O-Ton(CD6/17/8:00): Das ist im Kommen, das einige schon mit diesen GPS-Gerät auf Wanderschaft sind. Und da kann er dann genau ablesen, an welchem Standort er ist und in welchem Kilometer im Höhenprofil er sich befindet. (15'') Autor: Dieses Navigationssystem für Wanderer soll letztlich in ein Gesamtkonzept des Gesundheitstourismus eingebunden werden. (O-Ton28)O-Ton(CD2/31und23/0:10): Man kann das Ganze auch noch kombinieren mit Herzfrequenzmessern. Oder mit Temperaturmessern. Und dadurch kann man natürlich auch Gesundheitsanwendungen stützen und diese Daten in die Gesamttherapie, die man da plant, mit einfließen lassen. Wir haben auch mit einigen Ärzten zu diesem Thema gesprochen, unter anderem mit einer Diplommedizinerin, die durchaus bereit ist, hier in Oberwiesenthal den Kur- und Badearzt zu gewährleisten. Sie wird also dazu auch eine Ausbildung machen... Wir wollen also dann präventive Angebote gestalten, zusammen mit den Häusern, die jetzt schon Physiotherapie mit dabei haben oder teilweise auch medizinische Betreuung. Und dann könnte beispielsweise ein Gast anreisen, könnte sich durchchecken lassen kann selbst mit bestimmten Geräten - beispielsweise Nordic-Walking-Stöcken oder eben auch mit dem Mountainbike bestimmte Wege dort abfahren oder begehen, so dass man also auch mit einer Leistungssteigerung zu rechnen hat. Und dann am Tag der Abreise wird die Fitness wieder gecheckt und damit kann man dann feststellen, hat sich das Ganze für mich gelohnt? Und damit hat man Vorsorge getroffen. (1,15') Regie: Atmo unterlegen (Atmo14)O-Ton(CD6/18/05:00): (Geräusch Motorschlitten.) ... Autor: Siegfried Ott lädt noch zu einer kleinen Spritztour ein. Mit sechzig kmh überwindet sein Motorschlitten spielend die vierhundert Meter Höhenunterschied zum Fichtelberg hinauf entlang jener Strecke, die als schwarze Piste für gesundheitsbewusste Wanderer geplant ist. Kurz vor dem Ziel verschwindet der Wald plötzlich. Nur noch einige Krüppelkiefern stehen hier oben. (O-Ton29)O-Ton(CD6/18/05:00): Das Winterwetter ist ja ziemlich rau hier im Erzgebirge. Jetzt ist gerade so im Erzgebirge bei zwölfhundert Metern eben dann Schluss. Da wachsen ein paar kleine Kiefern noch und ein paar kleine Fichten, aber so richtig groß werden die hier nicht. Das sind raue Bedingungen ... besonders für die Pflanzenwelt. Für die Pflanzen und auch für den Menschen, würde ich mal sagen. (Lachen Motorschlittengeräusch) Heute früh waren hier Schneewehen bis zu zwei Metern hoch. Die haben wir mit dem Pistenbulli erstmal glatt gemacht. (30'') Regie: Blenden. (Atmo15)O-Ton(CD6/19/00:05): Motorschlitten wegfahrend. Regie: Blenden. Musik 6: Titel: Wieder zusammen Interpret, Komponist: Kendy Kretzschmar Eigenaufnahme Regie: Musik teilweise unter Autor legen. Autor: Eine der schillerndsten Gestalten Oberwiesenthals ist zweifellos der Liedermacher Kendy Kretzschmar. Mit Filzhut, Bart und langen Haaren hat er ein wenig von der Ausstrahlung eines Einsiedlers. Dennoch ist für Stimmung gesorgt, wenn er als Ein-Mann-Combo auftritt. Regie: Lied bis zum Ende. (1,30') Autor: Lange bevor die Stadtverwaltung damit begonnen hat herauszustreichen, wie attraktiv die Region nicht nur für Skifahrer, sondern auch für Wanderer ist, entwickelte der gebürtige Oberwiesenthaler Kendy Kretzschmar seine Vision vom Wandern. Ihm geht es dabei nicht um die physische Dimension, nicht um Höhenprofile und Pulsmessgeräte, sondern um die psychische - genauer gesagt: die mentale Ebene des Wanderns. Der Markenname, den Kendy Kretzschmar für seinen Ansatz gefunden hat heißt: Bewusst Wandern. (O-Ton30)O-Ton(CD6/2/0:05): Dieser Wandergedanke ist da sehr breit gefasst. Normalerweise heisst das ja von A nach B gehen. Und beim Bewusstwandern ist das so, dass man auch zwischen Situationen wandert, oder auch in Gedanken wandert. Im Geiste, heißt es ja so schön. Und das versuche ich in einen ganzheitlichen Ansatz zu bringen, dass man dann auch unterwegs ist. Also in der Natur versucht, verschiedene Situationen wahrzunehmen. Man kann im Internet wandern, man kann auch zwischen verschiedenen Menüs wandern, also so in diesem Sinne. (45'') Autor: Was beim ersten Hören ein wenig esoterisch anmuten mag, fußt auf einer seriösen wissenschaftlichen Grundlage. Der studierte Neurobiologe Kendy Kretzschmar eröffnet Einblicke in die Funktionsweise unseres Nervensystems. Durch die bewusste Wahrnehmung der verschiedenen Ebenen, die unsere grauen Zellen bilden, soll es gelingen, zwischen Rationalität und Emotionalität hin und her zu wandern. Nicht nur, aber auch in der Natur. (O-Ton31)O-Ton(CD6/1/0:40): Unbewusst machen wir Dinge automatisch. Wenn wir sprechen, benutzen wir zum Beispiel die folgerichtig, rationale Funktionsebene des Nervensystems. Die ist auch evolutionsmäßig mit der Sprache gewachsen. Dann gibt es aber auch eine emotional-assoziative Funktionsebene, wo die Gefühle zu Hause sind. Auch das Bewegungsgefühl für Sportarten. Also nicht nur die Liebe oder der Hass. Und das ist oftmals der Sprache nicht so zugängig. Meistens verwischen die Grenzen im Alltag, und es ist manchmal gar nicht so gut, über Dinge zu sprechen, weil dann das Gefühl verschwindet oder nicht so Platz hat. Und es gibt auch noch eine Funktionsebene, die springen kann zwischen den Gedanken, die man hat auf dieser folgerichtig rationalen Funktionsebene. Man kann aber auch hin zum Gefühl springen ganz bewusst, um diese Möglichkeiten des Nervensystems besser zu nutzen und bewusster auch einzusetzen im Alltag. Deswegen mache ich die Musik auch gerne, weil da wieder eine andere Ebene aufgeht. Musik 7: s. Musik 6 Autor: Es ist erstaunlich, dass Kendy Kretzschmar seine Philosophie weder unter der kalifornischen Sonne, noch unter dem indischen Himmel, sondern in den Wäldern um Oberwiesenthal entwickelt hat. Den bewussten Wanderer verbindet eine starke emotionale Bindung mit seinem Heimatort. (O-Ton32)O-Ton(CD6/12/0:05): Am Anfang steht ja immer die Wahl des Umgebungssystems. Wenn man schon bewusst wandert, da wir schon bei dem Thema sind, dann ist das schon ein bewusster Entschluss gewesen zu sagen, wo willst du wirklich leben, wo willst du dich einnischen? Wo willst du auch deine Gefühle entstehen lassen. Ein Gefühl entsteht ja über sehr lange Zeiträume in einem Umgebungssystem. Da ist es schon schön, wenn man sich da Gedanken macht, wo soll das wachsen? Wenn man dann wieder weggeht, fängt man eigentlich fast wieder bei Null an mit gewissen Dingen. Also ich kenne hier die Wälder gut und auch die Menschen. Und ich mag das, wenn das sehr lange wächst. Geduld ist ja so ein Wanderstab Und es ist hier wunderschön. Es gibt einfach ein Stück Lebensqualität hier, deswegen bin ich auch gerne hier. Das ist einfach die frische Luft. Das ist das Wasser, das man trinken kann, wenn man unterwegs ist, ohne dass man da Sorgen haben muss. (1') Autor: Beleg für die Verbundenheit mit seiner Heimatregion mag auch sein, dass Kretzschmar nicht nur viele seiner Lieder in Mundart singt, sondern sich auch des traditionellen Liedguts verpflichtet fühlt. "Glück auf, der Steiger kommt" ist eines dieser alten Lieder, die auf die lange Bergbaugeschichte Oberwiesenthals verweisen. Musik 8: "Glück auf, der Steiger kommt " Interpret: Kendy Kretzschmar Komponist: unbekannt Eigenaufnahme Regie: Schluss mit Atmo blenden (Atmo16) (43)O-Ton(CD7/6/0:40): Atmo Einstieg in Schwebebahn. ... (O-Ton34)O-Ton(CD7/6/0:40): Das ist das Startsignal. / Der Kollege war aber genauso schnell. (Atmo17)O-Ton(dito) Regie: Atmo unter Autor legen. Autor: Ein offenkundiger Konflikt zwischen Traditionsbewusstsein und Modernität hat sich in Oberwiesenthal an der Schwebebahn entzündet. Seit 1924 bringt die an einem kühn gespannten Seil emporkriechende Kabine Wintersportler, Wanderer und Ausflugsgäste auf den Fichtelberg und ist damit die älteste Schwebebahn Deutschlands. Mittlerweile hat die Bahn über fünfundzwanzig Millionen Personen befördert. Sie fährt das ganze Jahr über, bei Wind und Wetter. Leider ist bei der Fahrt mit der Gondelführerin Sabine Hasel Sturm. Regie: Atmo 17 und 18 mischen. (Atmo18)O-Ton(CD3/30/): Atmo Windheulen. (O-Ton35)O-Ton(CD7/6/1:00): Jetzt kommen wir hier ins freie Feld... Jetzt greift der Wind so langsam an. Werden wir gleich merken. Man hörts schon. Können Sie da während der Fahrt noch was machen? Ich kann bremsen oder stehen bleiben. (Atmo19)O-Ton(dito) Autor: Die Fahrt zu verlangsamen, ist bei dem Geschaukel in knapp fünfzig Metern Höhe keine tröstliche Vorstellung, da sich dann die Fahrt noch weiter in die Länge ziehen würde. Am ersten Mast wackelt die Kabine gehörig. (O-Ton36)O-Ton(CD7/3/1:00): Was müssen Sie hier machen? Warum stehen Sie hier in der Bahn? Na, dass falls was passiert, ich den Leuten helfen kann. Gerade Abseilen, wenn die Bahn denn wirklich stecken bleibt und gar nichts mehr geht. Weder hoch noch runter. Dass wir dann die Leute abseilen. Also es gibt so ein Notfallplan. Ja, sicherlich. Muss es ja geben. (15'') (O-Ton37)O-Ton(CD7/6/2:45): Den ersten Mast haben wir genommen. Ja. Das war die gefährlichste Stelle, oder kommt die noch Kann man nicht sagen. Jeder Mast kann gefährlich sein. Aber Sie sind jetzt guter Hoffnung, dass wir heil durchkommen? Klappt schon! (45') Autor: Weniger guter Hoffnung ist man am Stammtisch in der Kneipe "Glück auf", wenn es um das Thema Schwebebahn geht. Der Stadtrat hat nämlich beschlossen, das Wahrzeichen Oberwiesenthals abzubauen und durch eine moderne Kabinenumlaufahn zu ersetzen. Ein Streitthema für das "zänkische Bergvolk", als das sich die Oberwiesenthaler selbst mit einem Augenzwinkern bezeichnen. Es wäre wohl an der Zeit für ein Streitgespräch mit dem Bürgermeister. Dem greifen wir im Radio schon einmal vor: (O-Ton38)O-Ton(CD1/23/0:20): Wir sammeln Unterschriften dafür, die Fichtelbergschwebebahn zu erhalten. Wir die Alten, wollen's erhalten. (O-Ton39)O-Ton(CD2(Bürgermeister)/9/0:55): Die Betriebserlaubnis erlischt am 31.12.2011, so dass wir in den letzten Monaten im Stadtrat sehr heftig diskutiert haben, wie soll es denn weiter gehen mit der Bahn? Und das Ergebnis, das wir dort hatten, ... wir wollen da eine moderne Kabinenumlaufbahn bauen mit zunächst achtzehn Gondeln. (O-Ton40)O-Ton(CD1/23 DITO): Und viele Bürger sind dagegen und wollen diese alte Bahn, die neben dem Jens Weisssflog ein Aushängeschild ist, erhalten. Und da sind jetzt Unterschriften zusammen gekommen und nun muss der Stadtrat entscheiden, ob sie da einen - wie heißt das Wort? - einen Bürgerbegehren durchführen. (O-Ton41)O-Ton(CD2(Bürgermeister)/19/1:00): Wir haben eigentlich ein sehr gutes Verhältnis zur Einwohnerschaft. Es sind aus meiner Sicht relativ wenige, die Probleme bereiten. Ich würde sie fast an ein oder zwei Händen abzählen. (O-Ton42)O-Ton(CD1/23 DITO): Wir wolln die alte haben! Na wenn Sie mal im Fernseher angucken, es kommt was von Oberwiesenthal. Das erste ist die Schwebebahn. Wie kann ich denn das abreißen? (O-Ton43)O-Ton(CD2(Bürgermeister)/9/DITO): In der heutigen Zeit ist es eben so, dass wir solche Anlagen nicht mehr erhalten können. Das wäre völlig unwirtschaftlich. Wir würden bei einer Reparatur keine einzige Person mehr auf den Berg schaffen. Das heißt, diese Defizite, die diese alte Dame heute schon einfährt, die könnten wir nicht wegschaffen. Im Gegenteil: Wir würden die Defizite vergrößern durch diese Investition - Reparaturkosten zum Beispiel. Und wir können auch nicht unsere Wirtschaftlichkeit riskieren, nur um einer Tradition zu frönen. (O-Ton44)O-Ton(CD1/23 DITO): Es gibt finanzielle Berechnungen, wo gesagt wird, für anderthalb Millionen könnte man die Bahn für die nächsten zehn, fünfzehn Jahre modernisieren. Das Skigebiet wird ja nicht größer. Die bringt zwar mehr Leute den Hang hoch, aber oben stehen sie an der Ampel an und müssen warten, bis sie grün haben. Daneben ist ein Sessellift. Und es gibt dann ohnehin Konkurrenz, im Winter nicht, aber im Sommer ergibt sich so eine große Konkurrenz, dass das auch wieder unwirtschaftlich wird. (1,30') (O-Ton45)O-Ton(CD2(Bürgermeister)/9/(03:45): Und an den historischen Bauwerken - Berg- und Talstation - ändern wir ja auch nichts, sondern wollen die ja tatsächlich erhalten. Und zum Beispiel kommt ja auf dem Berg dieser letzte Mast auch nicht weg. Und wir wollen dieses Tragseil auch abspannen nach diesem Mast und eine Gondel zwischen diesem Mast und der Bergstation hängen lassen, so dass man immer noch die Historie nachvollziehen kann. (2') Autor: Und was sagt Sabine Hasel dazu, die im Winter die Schwebebahn führt? (O-Ton46)O-Ton(CD7/3/2:50): Ich sag immer, es hat halt Vor- und Nachteile. Ich denke halt, man soll auch mal mit der Zukunft gehen. Das würde aber für Sie heißen, dass Sie nicht mehr mitfahren müssen. Weiß ich nicht, wie das dann wird und wie da die Vorschriften sind. Keine Ahnung. (30'') Autor: Die Gondelführerin würde auch durch die neue Kabinenbahn nicht arbeitslos werden. Sie findet hier ohnehin nur monatsweise Anstellung. Und in der Saison gibt es bei den Beförderungsanlagen immer genug zu tun. Regie: Musik unterlegen nach Refrain unterlegen. Musik 9: " 'S ist Feierabend" Interpret: Bernd Barthel Komponist: unbekannt Eigenaufnahme Autor: Nachdem der letzte Pfeiler genommen ist, verlangsamt die Schwebebahn ihre Fahrt, hört auf zu schaukeln und schlüpft passgenau in die Schneise der Bergstation. Regie: Lied ausklingen lassen. Autor: Abends trifft man sich in Oberwiesenthal im Prijut 12. In der rustikalen Holz-Hütte drängt sich die Jugend des Städtchens um die Bar und die sechs Tische. In punkto Klimawandel macht man sich hier keine Sorgen: (O-Ton47)O-Ton(CD7/11/2:00): Ich hab davon noch nichts gemerkt. Weil soviel Schnee wie in den letzten drei Saisons hatten wir ewig nicht mehr. Und so lange Saisons. Wir hatten von Mitte/Ende November bis Mitte/Ende April durchgängig Schnee und ich glaube nicht, dass so viele Alpenschneegebiete das von sich behaupten können. Ich weiß nicht, was los ist, aber vielleicht entsteht hier auch grad ein Gletscher. (20'') Autor: Bei den meisten Besuchern ist auch das Skifahren aus der Mode gekommen. Sie stehen tagsüber auf dem Snowboard: (O-Ton48)O-Ton(CD7/8/0:55): Es ist wie eine Einstellung. Man hat ein Mal damit angefangen und es ist wie eine Sucht. Es ist ein Gefühl, es ist eine Gemeinschaft, es ist die Community und der Sport selber. Das macht Spaß. Wobei das Snowboarden mittlerweile schon in den Mainstream geht, weil es halt wirklich viele Leute machen. (O-Ton49)O-Ton(CD7/8/1:30): Was mir beim Snowboardfahren Spaß macht ist dieses Gefühl, dass man absolut uneingeschränkt ist. Man fliegt und surft, man schwimmt irgendwie durch den Schnee. Das ist eine wahnsinnige Freiheit und je nach Steilheit auch Adrenalin. Das hat was ziemlich Bizarres. Autor: Bizarr ist auch die Modell-Eisenbahn, die nach dem Vorbild der Oberwiesenthaler Schmalspurbahn gebaut ist und hier allabendlich über den Köpfen der Gäste ihre Runden dreht. (O-Ton50)O-Ton(CD7/8/9:15): Wenn man ne Runde Schnaps für seine Tischgenossen bestellt, dann kommt der nicht per Kellnerin und Tablett, sondern wird da hinter dem Tresen auf so eine Eisenbahn gestellt und diese Eisenbahn fährt dann also ringsherum, bis sie dort ist, wo sie hin soll. Funktioniert aber nur für Schnaps, weil die anderen Gläser sind zu groß. Wollen wir das mal ausprobieren? ... Da gibt's Oberwiesenthaler und Fichtelberger. Der eine ist süß, der andere nicht. Und ansonsten gibt es was sehr Leckeres, das heißt Eisbär. Das könnte ich empfehlen. Okay dann bestellen wir mal: Drei Eisbär, einen Oberwiesenthaler bitte! (Atmo20)O-Ton(CD7/9/1:50): (Atmo Lok) (O-Ton51)O-Ton(CD7/9/1:50): ... Jetzt muss der Gentlemen der Wahl auf die Bank steigen und die Schnäpse runterholen. Gut, ich bin so groß, ich muss nicht auf die Bank steigen. So, ein Eisbär, das scheint der Oberwiesenthaler zu sein für mich. Na dann: Auf Oberwiesenthal! ... Haut weg. (1,30') Sprecherin: "Wintersport ade" Die unausweichliche Wandlung von Oberwiesenthal in Sachsen Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt mit Matthias Eckoldt Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2011 1