Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Kaczy?skiland. Wie polnische Kultur und Geschichte umgedeutet werden Von Ma?gorzata ?erwe und David Zane Mairowitz Produktion: DLF/Radio Bremen 2017 Redaktion: Ulrike Bajohr Erstsendung DLF: Freitag, 24.03.2017 , 20:10-21:00 Uhr Regie: die Autoren Sprecherin: Monika Oschek Sprecher: Felix von Manteuffel Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Atmo: im Flugzeug Erzählerin: (Stewardess, auf Deutsch und Polnisch) Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten landen wir in Danzig. Zur Vorbereitung Ihrer Einreise hier ein paar nützliche ministerielle Ratschläge: O-Ton: Mariusz B?aszczak ostro o multikulti Erzählerin: Unser Innenminister, Mariusz B?aszczak, war verärgert, als er sah, dass man in Paris die Opfer des Charlie-Hebdo-Attentats mit Regenbogenfahnen ehrte. Also bitte unterlassen Sie es in unserem Land, Propaganda für Lesben, Schwule oder irgendwelche Transgenderpersonen zu machen. O-Ton: Nie! dla wegetarian i cyklistów Erzählerin: Außenminister Witold Waszczykowski sagte, dass seine Regierung „unser Land von ein paar Krankheiten heilen wolle“, wie zum Beispiel „von Radfahrern und Vegetariern, die nur erneuerbare Energie verwenden und jegliche Zeichen von Religion bekämpfen...“ Achten Sie also bitte auf gewissenlose Radfahrer und Vegetarier, bevor Sie die Straße überqueren. O-Ton: Jaros?aw Kaczyn?ski - wysta?pienie w Makowie Mazowieckim Erzählerin: Unser Schatten-Minister-ohne-Portefeuille, Jaros?aw Kaczy?ski, behauptet, syrische Flüchtlinge könnten Parasiten und „hoch gefährliche Krankheiten einschleppen, die in Europa seit langer Zeit nicht mehr gesehen worden sind.“ Wenn Sie also Parasiten und fremde Protozoen tragen, überlegen Sie sie sich zweimal, ob Sie aussteigen in … Atmo Flughafenankunft Ansage: Kaczy?skiland. Wie polnische Kultur und Geschichte umgedeutet werden Feature von Malgorzata Zerwe und David Zane Mairowitz Erzähler: Ich bin also, wie so oft in den letzten zehn Jahren, in Danzig an der Ostsee angekommen. Wie immer lande ich auf dem „Flughafen Lech Wa??sa“, benannt nach dem Solidarno??-Vorsitzenden, dem ehemaligen polnischen Präsidenten und Friedens-Nobelpreisträger. Erzählerin: Hoffentlich heißt der Flughafen noch so, wenn du wieder abreist. O-Ton: Danzig, KOD Demo, Ende 2015. Erzähler: Es ist Dezember 2015. Die rechts orientierte Partei „Recht und Gerechtigkeit“, kurz: PIS, hat im Oktober die Nationalwahlen mit nur 37% der Stimmen gewonnen. Hier auf dem ... auf dem ... Erzählerin: D?ugi Targ ... Erzähler: ... also auf dem Langen Markt in Danzig ist eine Protestdemo im Gange, organisiert vom KOD, dem Komitee zur Verteidigung der Demokratie. Atmo Demo. Slogans und Lieder Erzähler: Eine Dame steckt mir einen Button an den Mantel, auf dem steht... Erzählerin: "jestem gorszego sortu". Erzähler: Das heißt...? Erzählerin: „Ich bin Pole der schlimmsten Sorte“… O-Ton: Kaczyn?ski krytykuje donosicieli. Gorszy sort polaków Erzählerin: ...so nennt Pan Kaczy?ski Leute, die nicht mit ihm einverstanden sind. Erzähler: Also, Tausende von Demonstranten erklären sich hier zu „Polen der schlimmsten Sorte“. Atmo Demo, Lied in Rap song: Kaczor - Gorszy Sort feat. Erzähler: Jaros?aw Kaczy?ski, graue Eminenz und Strippenzieher der PIS, nennt seine „Feinde“ und Kritiker nicht beim Namen, sondern nur „die da“. O-Ton: Kaczynski redet über die Opposition. Erzählerin: "Die da“, sagt er hier, die handeln auf eine Art und Weise, die uns das Recht gibt, mit Gewalt gegen sie vorzugehen. Wir wollen keine Gewalt, es sei denn, sie lassen uns keine andere Wahl. Erzähler: Ein Zyniker also. Was wissen wir noch über ihn? Erzählerin: Nun, sein einziger Bettgefährte ist, wie er selber sagt, seine Katze Fiona. Und bis vor kurzem hatte er weder ein Bankkonto, noch einen Führerschein. Erzähler: Ein Asket. Erzählerin: Ja, seine Askese scheint charismatisch zu wirken. Jedenfalls auf seine Fans. Rap song hoch und weg. Atmo Straßenbahn O-Ton: Iwona Bigos Ich heiße Iwona Bigos. Ich war jahrelang die Direktorin von der städtischen Galerie in Danzig und auch der Galerie Günter Grass ... Atmo Straßenbahn Ok, ich finde schon sehr suspekt, wenn jemand, der keine Familie besitzt, der seit bis – weiß ich nicht, fast bis zu seinem 60. Lebensjahr mit der Mutter lebte, und mit Katzen, wie kann er dann ein Urteil fallen lassen, über Abtreibung, über Familie, über das Leben von jungen Frauen... Erzähler: OK, die PIS ist also an der Macht. Regime-Wechsel. Normal. Wo liegt das Problem? Erzählerin: Das „Polentum“ ist das Problem. Die polnische „europäische“ Kultur wird durch polnische „nationale“ Kultur ersetzt, und jeder, der das in Frage stellt, ... Erzähler: ...ist „anti-polnisch“? Erzählerin: Kaczy?ski will, ebenso wie Orban in Ungarn oder Erdo?an in der Türkei, Kultur und Gesellschaft vollständig transformieren, so dass es keinen Weg zurück mehr gibt. O-Ton: Lidka Makowska Ich heiße Lidka Makowska. Ich bin Kulturmanagerin und auch Expertin in Kulturpolitik in Europa.... In meinem beruflichen Leben habe ich für Kulturministerium gearbeitet, das war vor zehn Jahren und das war die Zeit in Polen, in der vor ersten Mal in Polen die Regierung von Jaroslaw Kaczynski regiert hat. Und damals haben wir schon eigentlich dieselben Methoden wie heute gesehen und erlebt. Die sind verbunden mit diesem Patriotismus, mit der Vaterlandsliebe, mit dem wirklich faschistischen Denken über Kultur. Die Politik "gegen", die Politik gegen alles. Atmo: Weihnachtsmarkt/ Demo Wolna Prasa! Erzähler: Gegenüber dem Weihnachtsmarkt in der Danziger Altstadt: Noch eine Demo!   Erzählerin: Für "Freie Medien". Gegen das neue Mediengesetz. Die Demonstranten stehen vor dem Gebäude, wo einige PIS-Parlamentarier ihre Büros haben. Erzähler: Ein Journalist drückt mir ein Flugblatt in die Hand. (liest) Also, „unter dem neuen Mediengesetz“, heißt es da, „sollen die nationalen Medien 'nationale Traditionen und patriotische und humanistische Werte wahren', um 'Verfälschungen der polnischen Geschichte entgegenzuwirken', 'Familienwerte' darzustellen und 'das christliche Wertsystem zu respektieren'. Das Parlament hat jetzt die direkte Kontrolle der staatlichen Medien und gelobt, die „soziale Pathologie zu eliminieren“, die unter der vorigen Regierung geherrscht habe. Erzählerin: Der Finanzminister hat jetzt die Macht, die Chefs der Sender anzustellen oder zu entlassen. Und „es wird möglich sein, jeden augenblicklich zu entlassen, der auch nur im Verdacht steht, in diese Pathologie verwickelt zu sein.“ O-Ton: Bogdan Borusewicz (Polnisch): Thema: 250 Journalisten schon entlassen. Erzählerin: Etwa 250 Journalisten sind schon gefeuert worden, einschließlich der prominentesten Nachrichtensprecher und Reporter Polens. Aus allen öffentlich-rechtlichen Medien. Einschließlich des Vorsitzenden der Journalisten-Gewerkschaft. Erzähler: Wer sagt das...? Erzählerin: Bogdan Borusewicz. Einer der Väter der Solidarno??. Jetzt ist er Vize-Marschall in unserem Senat. Er gehört zur oppositionellen PO, zur Bürgerplattform. O-Ton: Bogdan Borusewicz (Polnisch): Thema: Fernsehen ein Werkzeug in den Händen der Macht. Erzählerin: Das öffentliche Fernsehen ist jetzt vollständig in den Händen der PIS. Die „Nachrichten“ enthalten jetzt jede Menge Meinungen und werden auch dazu benutzt, mit politischen Feinden abzurechnen. Atmo Gazeta Wyborcza O-Ton: MIKOLAJ CHRZAN, am Telefon.. Erzählerin: Miko?aj Chrzan, Chef der Danziger Ausgabe der liberalen Zeitung Gazeta Wyborcza. Erzähler: Gazeta Wyborcza. Wenn ich mich recht erinnere, war das ursprünglich eine Solidarnosc-Zeitung, herausgegeben von Adam Michnik. Sie wurde zu einer der wichtigsten Tageszeitungen und lief ziemlich gut. O-Ton: MIKOLAJ CHRZAN M. Chrzan (Polnisch): Thema: GW war 1989 eine Oppositionszeitung. Sie wuchs zu einer bedeutenden Tageszeitung. Erzählerin: Ja. Bis die PIS an die Macht kam. O-Ton: MIKOLAJ CHRZAN M. Chrzan (Polnisch): Thema: Fernsehen ziemlich vergleichbar mit „Dziennik“ in kommunistischen Zeiten. Erzählerin: Seit dem neuen Mediengesetz erinnern die Fernsehnachrichten Miko?aj Chrzan an die "Dziennik”-Sendungen unter dem kommunistischen Regime. Erzähler: Das die Nachrichten ja auch benutzte, um politische Gegner niederzumachen. O-Ton: MIKOLAJ CHRZAN M. Chrzan (Polnisch): Thema: GW Feind von PIS, Feind der polnischen Nation. „Anti-polnisch“. Erzähler: So viel habe ich verstanden: „Anti-polnisch“. Erzählerin: Die Zeitung wurde zum „Feind der polnischen Nation“ und wird ständig attackiert. Und vergiss nicht: von den öffentlichen, also den von den Gebührenzahlern finanzierten Medien. O-Ton: MIKOLAJ CHRZAN (Polnisch): Thema: GWs Auflagen sehr niedrig. PIS sabotiert Inserate. Erzählerin: Die PIS betreibt hinter den Kulissen eine Art Terrorkampagne gegen die Gazeta Wyborcza. Sie macht massiv Druck auf Inserenten und sorgt dafür, dass die Kioske die Zeitung nicht mehr verkaufen. Wie andere liberale Zeitschriften, Newsweek z.B., ist die Gazeta Wyborcza aus sämtlichen Gerichtsgebäuden und vielen Ministerien verbannt - was ihre Verbreitung auf höchstens 10.000 Exemplare pro Tag reduziert. Atmo Gazeta weg / Atmo Bahnhof O-Ton: Magdalena Parys Ich heiße Magdalena Parys. Ich schreibe Bücher .... Erzähler: Ich kenne sie. Eine erfolgreiche polnische Schriftstellerin. Sie lebt in Berlin. O-Ton: Magdalena Parys Vor einem Jahr bin ich zu einem Autorentreffen nach Warschau gefahren, und was mir sofort ... auf dem Warschauer Bahnhof aufgefallen ist, das waren die Zeitschriften, und die neuen Zeitschriften, die ich überhaupt bis jetzt nicht gekannt habe. Ich weiß noch ganz genau, dass ich damals die Gazeta Wyborcza kaufen wollte, ich konnte nirgendwo Gazeta Wyborcza finden und das ist vor einem Jahr. Atmo Bahnhof O-Ton: Magdalena M. Parys: .. und ich habe nur schreiende Titel gesehen, wieder der Zweite Weltkrieg, wieder Hitler, wieder all das, was eigentlich, eigentlich wieder unfassbar für mich war, als ob ich im Jahr 1945/46 wäre, und nicht heute 2016, ja. Atmo Bahnhof O-Ton: Magdalena Parys. M. Parys: Die nächste war, als ich gesehen habe, wie viele von meinen Kollegen, also Moderatoren, Reporter, Journalisten, wie viele von ihnen entlassen worden sind, dazu getrieben worden sind dass sie gehen, oder einfach ihre Sendungen dermaßen gekürzt worden sind, dass sie einfach keine andere Chance haben, ja, als einfach zu gehen, aus dem jetzt neuen Nationalfernsehen. Erzähler: Das habe ich kürzlich auch bei polnischen Kulturarbeitern in Deutschland gesehen. O-Ton: MIKOLAJ CHRZAN Thema: Polnische Kulturinstitute im Ausland werden gereinigt. PIS- Politiker wie eine Sekte. Erzählerin: Die Säuberung der polnischen Kulturinstitute im Ausland wird von Miko?aj Chrzan bestätigt, obwohl es ihm schwer fällt, die Kulturpolitik der PIS ganz zu durchschauen; die PIS agiert manchmal geheim wie eine Sekte. Erzähler: Ich nehme an, all das führt instinktiv zu einer Schere im Kopf? O-Ton: Magdalena Parys Mir ist auch aufgefallen, dass ich unbewusst, wenn mich das nationale Fernsehen, so ist es nämlich, nach irgendetwas fragt, dass ich unbewusst manche Sachen nicht sage, weil ich ganz genau weiß, wenn ich von Gazeta Wyborcza spreche oder über irgendetwas, was der neuen Regierung nicht gefällt, dann weiß ich, es wird nicht ausgestrahlt, meine Äußerungen werden geschnitten, gekürzt, und es wird irgendetwas entstehen, was überhaupt nicht von mir gesagt werden wollte, ja. Erzähler: Es sieht so aus, als hätten alle polnischen Medien Zensur zu befürchten. Erzählerin: Nicht alle. Atmo Bahnhof weg. Erzählerin: Kurz nach der Wahl veranlasste die Regierung zum Beispiel die Zahlung von umgerechnet 6 Millionen Euro in einen Fonds zugunsten von Tadeusz Rydzyk, einem umstrittenen katholischen Priester und Direktor des berüchtigten Senders Radio Maryja. Erzähler: Radio Maryja? Erzählerin:   Der Sender attackiert die meisten PIS Opponenten live. Berühmt ist er für seine „anti-polnischen“ mitternächtlichen Verschwörungstheorien. Atmo: Kurzer Ausschnitt von Radio Maryja. Erzählerin: Hier ruft gerade eine Frau an, um ihre Version des Smolensker Crashs zum Besten geben: In Wirklichkeit, sagt sie, sei die Tupolew heil in Smolensk gelandet. Erst dann jagten sie Verbrecher in die Luft. Das ist täglich Brot für Radio Maria.  Erzähler: Und jetzt, wo die alten Medien „gesäubert“ worden sind: (liest) zitiert die „Financial Times“, Absolventen von Pater Rydzyks katholischer Hochschule, „dass sie erwarten, mühelos Jobs in den Hauptmedien zu finden - unter neuem Management, das `christliche Werte` durchsetzt.“ Atmo Patriotisches Lied O-Ton: Kultusminister Glinski über „Kultur der Scham“. Polnisch Erzählerin: Anfang 2016 forderte der polnische Kultusminister, Piotr Glinski, auch von der PIS, das Ende einer „Kultur der Scham“. Erzähler: Scham? Wieso Scham? Erzählerin: “Die Kunst soll Heldengeschichten erzählen, damit sich Polen endlich von den Knien erheben kann. Die Rhetorik der Scham muss endlich ein Ende haben.” O-Ton: Iwona Bigos Polnische Kunst ist schon seit Langem nicht auf den Knien, die Leute kennen das, die polnischen Künstler gehören zu der Spitze der Weltkunst, also ja, ich möchte nicht unhöflich sein, aber das ist ein Bullshit, was jemand da erzählt. Atmo Patriotisches Lied/ Atmo Wohnzimmer/TV/Film läuft Erzähler: Aber wer oder was genau ist denn gemeint mit dieser „Kultur der Scham“? Erzählerin: Nun, zum Beispiel... Atmo Film Trailer: "Ida". Polnisch Erzähler: „Ida“? Ausgerechnet der Oscar gekrönte Film? Polen sollte stolz darauf sein. Erzählerin: Seit die PIS das nationale Fernsehen übernommen hat, darf der Film nur noch mit einem Vorspann gezeigt werden: Erzählerin: Der 12-Minuten-Beitrag mit dem Titel „Über 'Ida'“ besteht aus Film-Ausschnitten, Monologen eines Kritikers, eines Historikers sowie des Leiters der polnischen Anti-Diffamierungs-Liga. Erzähler: Die haben es sogar bis in das amerikanische Wochenblatt „Variety“ geschafft: (liest) „Wenn ein Film Teil der Katharsis einer Nation sein soll, muss er eine Aussage haben, mit der die Polen übereinstimmen.“ Erzählerin: Die drei Ida-Kritiker behaupten, die Geschichte von Ida, einer polnischen Jüdin, die von Katholiken verraten und von anderen Katholiken gerettet wird, sei historisch falsch und zeichne ein zu negatives Bild der Polen während der Nazi-Okkupation. Erzähler: Also: „Kultur der Scham“. Erzählerin: “Über Ida“ unterstellt auch, dass der Film den Oscar nicht gewonnen hätte, wenn er die Geschehnisse im besetzten Polen nicht aus der Sicht der jüdischen Charaktere präsentiert hätte. Film-Sound aus/Stadtatmo Erzähler: Wenn also nicht die 'Ida', welche Art von polnischen Filmen will Herr Kaczy?ski dann? Erzählerin: Der Parteichef fordert Filme, "die polnische Helden mit Hollywoodmethoden in historischen Kulissen inszenieren und durch ihren internationalen Erfolg das Bild Polens in der Welt verändern." Erzähler: Wie zum Beispiel, „Der Mann aus Hoffnung“, der Film von Andrzej Wajda über Lech Wa??sa? Erzählerin: Bestimmt nicht. Wa??sa ist nicht der Stoff, aus dem neue polnische „Helden“ gemacht sind – schon weil er immer mal wieder als Geheimdienstspitzel angeschwärzt wird. Atmo: Wohnzimmer/TV O-Ton: Kaczyn?ski opus?ci? sale? sejmowa?, kiedy pos?owie czcili pamie?c? wajdy. Erzähler: Was sehen wir jetzt? Erzählerin: Ein Video aus dem polnischen Parlament vom November 2016. Unser Sejm ehrt den am 9. Oktober verstorbenen Andrzej Wajda. Erzähler: … aber…Moment mal. Ein Parlamentarier verlässt demonstrativ den Saal. Erzählerin: Klar. Jaros?aw Kaczy?ski. Wajda hatte die Demonstrationen gegen die PIS unterstützt. "Es gefällt mir nicht, dass eine Gruppe das Land so klar dominiert. Das ist doch keine Demokratie, sagte er. " Erzähler: Wenn also nicht der große Wajda, oder Ida, was genau schwebt dem Boss denn vor? Atmo: Wohnzimmer/ TV. Filmwechsel Film (TTT vom 10.4. 2016): "Was geschah in Smolensk?" Sprecherin: Für Jaroslaw Kaczynski ist sein Bruder Lech ein Held, der für sein Land gefallen ist…beim Flugzeugabsturz von Smolensk. Er, Antoni Krause, renommierte Regisseur, hat einen Film über Smolensk in Arbeit. Schon vorab ist er hoch umstritten, denn er stützt die Attentatsthese. Erzählerin: „Smolensk“! Für das Spielfilmprojekt war eine Förderung beim Filminstitut beantragt worden. Die Botschaft: Es hat ein Attentat gegeben. Film (TTT vom 10.4. 2016): "Was geschah in Smolensk?" Sprecherin: “Hat jemand den Mut die Lügen zu besiegen?” heißt es geheimnisvoll. Englische Stimme: “Does anyone have the courage to defeat the lies?”. Erzählerin: Und dann … Film (TTT vom 10.4. 2016): "Was geschah in Smolensk?" Sprecherin: Das Filmprojekt war eine schwere Geburt. Kein öffentliches Institut wollte Geld geben. Die Attentatsthese sollte nicht gefördert werden. Erzählerin: Vor der Wahl lehnte das Expertengremium den Antrag ab und argumentierte dabei nicht politisch, sondern ästhetisch. Film (TTT vom 10.4. 2016): "Was geschah in Smolensk?" Sprecherin: Aber jetzt mit dem Regierungswechsel wird auch der Film zum neuen politischen Klima passen. Sämtliche Regierungsmitglieder waren gestern unterwegs. Smolensk wird zum einem Gründungsmythos für ein neues gutes Polen. Unter der liberalen Vorgängerregierung wurde gelogen und vertuscht. Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht. Erzähler: Der Smolensk-Film wurde in keinem deutschen Kino gezeigt. Und im Dezember 2016 wurde die Direktorin des Polnischen Instituts Berlin, Katarzyna Wielga-Skolimowska, abberufen. Der neue Botschafter in Berlin hatte beklagt, sie würde zu oft polnisch-jüdische Themen in den Vordergrund stellen. Erzählerin: Na ja, sie hat den "anti-polnischen" Film Ida in Berlin gezeigt und wirkte "zu passiv", in dem Versuch, ein deutsches Kino für Smolensk zu finden. Erzähler: Also: bleibt da noch etwas, was sich ansehen kann? Atmo: Wohnzimmer/ TV/ Filmwechsel Erzählerin: (Gelächter) Doch, es gibt einen Film, den jeder sehen darf... „Die zwei Monddiebe“ von 1962, mit den zwölfjährigen Zwillingen Lech und Jaroslaw Kaczynski in den Hauptrollen. O-Ton: Ausschnitt aus dem Kinderfilm „Die zwei Monddiebe“ / Gesang aus dem Film. Polnisch Erzählerin: (übersetzt Song Text) „Ich bin ein tapferer Bursche, du bist ein tapferer Bursche, das macht zwei tapfere Burschen. Wir wollen einen aufregenden Tag haben.“ Zwei tapfere Burschen, Jacek und Placek. Also, Lech und Jaroslaw. Atmo Europäisches Solidaritätszentrum Erzähler: Und wohin führt uns das alles? Erzählerin: Zur polnischen Geschichte. O-Ton: Basil Kerski Gut, die Schlüsselfrage ist: Was ist polnische Geschichte? Erzähler: Wer fragt das? O-Ton: Basil Kerski Mein Name ist Basil Kerski. Wir sind im Europäischen Solidarnosc Centrum in Danzig. Hier gibt es ein großes negatives Erbe des zweiten Weltkrieges und der Situation '45. Denn 1945 ist Polen in Folge des Krieges, des Holocaust, aber auch des Stalinismus zum ersten Mal in seiner Geschichte zu einem ethnisch homogenen Land geworden, also durch ganz bewusste Säuberung, ethnische Säuberung. ... Und das führt oft zu einer ethnischen Definition von Nation. Das hat dazu geführt, dass dann sicherlich viele Leute da standen und gesagt haben, was gibt’s denn überhaupt noch an Positivem zu erzählen, unserer Geschichte, wir haben es ja nur noch mit Skandalen zu tun. Das hat viele belastet, zunächst einmal ist Rückzug angesagt, aber dieser Rückzug hat eine Fläche geöffnet für, ja, für Populisten, die gesagt haben, wir bieten euch jetzt eine alternative Vision der polnischen Geschichte an, und sie ist positiver. Patriotisches Lied Erzählerin: Positiv vielleicht. Aber das Positive würde es ohne die äußerst negative Idee von uk?ad nicht geben, von Verrat: Polen ewig unter Besatzung. Von der Europäischen Union, von Multikulturalismus, Homosexualität ... Erzähler: Von Juden? Oder Kommunisten unterm Bett? Patriotisches Lied O-Ton: Krystyna Pawlowicz im Seijm. Polnisch Erzählerin: Das ist Krystyna Pawlowicz, PIS-Abgeordnete die sich gegen homosexuelle Partnerschaften ausspricht. „Die Gesellschaft kann la dolce vita nicht instabilen unfruchtbaren Partnerschaften anbieten, von denen die Gesellschaft keinen Nutzen hat, nur wegen ihrer sexuellen Neigungen. Das ist gegen die Natur, und wenn Polen jemals ein Gesetz zu Gunsten solcher Partnerschaften angenommen hätte, dann wären Sie, meine Parlamentskollegen, überhaupt nicht hier.“ Atmo: Platz in Danzig Erzähler: Alles nicht schön. Aber ich kann in Danzig keinen PIS-Effekt erkennen. O-Ton: MIKOLAJ CHRZAN (Polnisch): Thema: Danzig ist eine Insel. Erzählerin: Danzig ist eine kulturelle Insel, sagt Mikolaj Chrzan. Bürgermeister Adamowicz von der Bürgerplattform wehrt sich gegen die PIS. Aktuell gegen die Abschiebung syrischer Flüchtlingskinder. In Polen gibt es ansonsten null Flüchtlinge, jetzt werden sogar die Kinder abgewiesen. Aber für Adamowicz bleibt Danzig traditionsgemäß offen für Gäste. Atmo: Danzig, Theaterprobe Erzähler: Was sehen wir hier? Erzählerin: Eine Aufführung von Tschechows „Kirschgartens“ im Teatr Wybrzeze. In der Rolle der Ranjewskaja die berühmte Schauspielerin Dorota Kolak. O-Ton: DOROTA KOLAK (Polnisch): Thema: Angst um das polnische Theater. Erzählerin: Der Regisseur inszeniert das Stück als Metapher für das polnische Theater unter der PIS. Es ist bedroht, abgeholzt zu werden wie Tschechows berühmter Kirschgarten. Atmo: II. Weltkriegsmuseum Erzähler: (liest) „Museum des Zweiten Weltkriegs“. Erzählerin: Hier wird der „Zweite Weltkrieg“ neuerdings noch einmal ausgetragen: zwischen der PIS und einer Gruppe internationaler Historiker. Wer hat die richtige Lesart dieses welterschütternden Ereignisses, das 1939 auch auf der Danziger Westerplatte begann? O-Ton: Piotr Majewski Ich heiße Piotr Majewski. Ich bin Historiker. Und hier in Danzig bin ich Stellvertreter... verantwortlich für die Dauerausstellung. Das Museum sollte den zweiten Weltkrieg von der polnischen Perspektive aus zu bilden. Das bedeutet nicht, dass es geht nur um die Geschichte Polens während des zweiten Weltkriegs, sondern für ein gemeinsames Bild vom Krieg, das auch die mitteleuropäische Perspektive, Wahrnehmung einfügen will. Erzähler: Das leuchtet mir ein. O-Ton: Piotr Majewski Als das Museum gegründet wurde, die Kontroversen wurden von der rechten Seite formuliert und wir wurden häufig kritisiert, dass wir zu wenig polnisch sind oder wir zu wenig über die polnischen Ruhm oder die polnische Martyrologie sprechen wollen. Das war nicht wahr, und auch heute nach der Regierungswende, dieselben Argumente sind wieder benutzt, also die rechts orientierten Journalisten und auch die Politiker sagen, ein solches Museum könne in Brüssel entstehen, aber nicht in Danzig fürs Geld von den polnischen Steuerzahlern. Atmo: II. Weltkriegsmuseum Erzählerin: Eine unendliche Geschichte. Kaum war das Haus fertig, hat die Regierung ein Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts erwirkt, wonach das Museum neu konzipiert werden muss - mit neuem Direktor, natürlich, kombiniert mit einem Westerplatte-Museum, das ausschließlich die polnischen Aspekte des Kriegs betont – polnisches Martyrium, Heldentum und Aufbau der Nation. O-Ton: Basil Kerski Man kann wirklich schwer in Danzig oder in Mitteleuropa eine Ausstellung machen zum Zweiten Weltkrieg, ohne das Thema Schicksal auch deutscher Zivilisten, das ist eine methodologische Selbstverständlichkeit. O-Ton: Bogdan Borusewicz (Polnisch): Thema: Kulturideologie, Geschichte. Institut für Nationales Gedächtnis. Erzählerin: Wieder ist es unser Marschall von der Oppositionspartei, der die Kontroverse um das Weltkriegsmuseum als einen Versuch anprangert, Geschichtspolitik zu diktieren. Selbst das „Institut für Nationales Gedenken“ ist jetzt in den Händen von PIS, was bedeutet, dass... Erzähler: ...sie auch die Erinnerung kontrollieren? O-Ton: Bogdan Borusewicz (Polnisch): Thema: neues Erziehungssystem, um neue Gesellschaft zu erfinden. Kaczynskis Kulturrevolution, der neue „Mensch“. Erzählerin: Es gibt neue Bildungsgesetze und neue, von der PIS bestimmte Schulbücher, also gehört ihnen die Geschichte Polens. Kaczynski hat von einer „Kulturrevolution“ gesprochen. Er will einen „neuen Menschen“ kreieren. Erzähler: OK. Vielleicht kann er kontrollieren, was heute passiert, oder was passieren wird. Aber die Vergangenheit kann er doch nicht kontrollieren. Atmo: Europäisches Solidaritätszentrum. Aufzug Erzähler: Wohin bringst du mich jetzt? Erzählerin: Zum zweiten Stock des Europäischen Solidaritätszentrums in Danzig. Erzähler. Da waren wir doch schon. Warum kommen wir wieder hierher? Erzählerin: Um den „Großen Häuptling“ zu treffen. Erzähler: Wen? Wa??sa? O-Ton: MIKOLAJ CHRZAN (Polnisch): Thema: Walesa Kritiker von Kaczynski, jetzt kommt die Rache. Erzählerin: Miko?aj Chrzan sagt, Wa??sa war einst ein scharfer Kritiker Kaczy?skis, jetzt ist Zeit für Rache. Erzähler: Wa??sa ist aber doch unantastbar! Wie ist das möglich? Erzählerin: Mal sehen, was der Betroffene davon hält. Begrüßung O-Ton: LECH WALESA/ Frage von M. Zerwe. Polnisch (Polnisch): Thema: Politiker im Ruhestand. Nicht an Tagespolitik interessiert. Nächste Frage. rzähler: Was sagt er...? Erzählerin: Kulturelle Fragen sind nichts für ihn. Er ist Politiker im Ruhestand. Er ist an Tagespolitik nicht interessiert. Er ist nicht hier, um Sachen mit uns zu diskutieren, nur um Fragen zu beantworten. Also: Nächste Frage. Erzähler: Was sagt er über den Versuch, seine Rolle in der polnischen Geschichte herabzusetzen? O-Ton: LECH WALESA (Polnisch): Thema: Polnisches Sprichwort. Ich habe mein ganzes Leben den Kommunismus bekämpft, mir ist egal was sie sagen. Erzählerin (übersetzt): „Ich bin nicht aus Salz oder Erde gemacht, sondern aus dem, was mich schmerzt“, wie ein polnisches Sprichwort sagt. „Mein ganzes Leben lang habe ich Dinge verändert, die ich nicht mochte. Ich habe lebenslang den Kommunismus bekämpft, ich habe es nicht für Geld getan oder für eine Karriere, sollen also meine Kritiker sagen, was sie wollen. Mir ist egal, was sie sagen.“ (Frage von M. Zerwe auf Polnisch) Sind Sie wirklich ehrlich, Herr Präsident? O-Ton: LECH WALESA (Polnisch): Thema: Jeder möchte lieber belohnt als bestraft werden. Erzählerin: Na ja. „Jeder möchte lieber belohnt als bestraft werden. Niemand möchte sich gedemütigt fühlen“, gibt Lech Wa??sa zu. O-Ton: LECH WALESA (Polnisch): Thema: Unsere Demokratie ist gegenwärtig in Gefahr. Wir müssen 20 Jahre warten. Erzählerin: „Unsere Demokratie ist in Gefahr. Ich habe überall in Polen darüber gesprochen, Sie können das auf Facebook finden. Wir werden die Dinge ändern, doch wir müssen nochmal zwanzig Jahre warten.“ Erzähler: So lange? O-Ton: LECH WALESA Frage von Malgorzata Zerwe. Erzählerin: "Und was wird mit Lech Wa??sa in 20 Jahren? O-Ton: LECH WALESA (Polnisch): Thema: Wird vom Himmel runterschauen. Erzählerin: (übersetzt) „Ich werde auf euch runterschauen und sehen, was ihr spielt. Ich habe meinen Koffer schon gepackt. Meine Religion sagt, dass es oben im Himmel Apartments für jeden gibt; ich werde eine nette Wohnung haben, doch leider werde ich sie selber putzen müssen, weil es dort oben keine Putzfrauen gibt. Vielleicht suche ich mir eine kleinere Wohnung. Amen.“ Atmo: Europäisches Solidaritätszentrum. Aufzug fährt abwärts. O-Ton: Jaros?aw Kaczynski-XI Zjazd klubów Gazety Polskiej Erzählerin: Das ist wieder mal Pan Kaczynski, der öffentlich klagt: „Wir werden mit Faschisten verglichen! Ich, ein bescheidener Mann, werde mit Stalin, Hitler und Lenin in einen Topf geworfen! Wir wollen die Demokratie nicht zerstören. Wir wollen sie wahr machen.“ Erzähler: Wenn also Lech Wa??sa symbolisch aus dem historischen Bild ausradiert wird, welcher 'Held' soll dann seinen Platz einnehmen? Erzählerin: Ist doch klar: Der andere Lech. Erzähler: Lech Kaczy?ski? O-Ton: Ausschnitt aus Kinderfilm „Die Monddiebe“, mit den Kaczynski-Zwillingen. O-Ton: MIKOLAJ CHRZAN (Polnisch): Thema: Walesa durch Lech Kaczynski als Held von Solidarnosc ersetzt. Keine historische Basis. Erzählerin: Lech Kaczy?ski war juristischer Berater der Solidarno?? im Ringen um ein freiheitliches Gewerkschaftsgesetz. Die PIS meint, er solle jetzt Wa??sa als wahren Helden des Anti-Kommunismus ersetzen. Für Miko?aj Chrzan und insbesondere für Bogdan Borusewicz besteht dafür keine historische Grundlage. O-Ton: Bogdan Borusewicz. (Polnisch): Thema: L. K. Mitarbeiter. Lech eher links. Erzählerin (übersetzt): "Die Solidarno??-Rolle von Lech Kaczy?ski war unbedeutend. Er war mein enger Mitarbeiter, ich kannte ihn gut. Die Zwillinge waren völlig verschieden, Lech war eher links im Vergleich zu Jaros?aw, der war immer rechts, aber sie waren eineiige Zwillinge, also unterstützten sie sich gegenseitig.“ Film (TTT vom 10.4. 2016: "Was geschah in Smolensk?" Sprecherin: Jaroslaw Kaczynski, der Parteichef, kniete in tiefer Trauer am Sarg seines Bruders. Sah er da schon seine Mission, ihn zu erhöhen? Kaczynski spricht, dann Übersetzung: Sprecher: Sein Platz in der Geschichte ist immer noch unterschätzt. Ich denke die Zeit wird kommen, wenn man ihn den ersten Präsident Polens nennen wird. Atmo: Straße in Danzig O-Ton: Magdalena Parys Als Mensch fühle ich mit Jaroslaw Kaczynski mit, also das, was der Mensch Jaroslaw Kaczynski, der Mensch, nicht der Parteivorsitzende, der Mensch Jaroslav Kaczynski, erlebt hat, das ist ein Trauma, es ist etwas Furchtbares, was wir, die keinen Zwillingsbruder oder Zwillingsschwester haben, nie verstehen werden. Atmo: Straße in Danzig O-Ton: Magdalena Parys Er hat ihn verloren, und er hat mit ihm alles Mögliche geteilt, die Macht, die Arbeit, die Kindheit, das Leben, alles. Und dieser Mann, sein Bruder, sein Ein und Alles, derjenige, der ihn oft vor wahnsinnigen Ideen auch bewahrt hat in der Politik, der ist jetzt tot. 76 O-Ton: Ausschnitt aus Kinderfilm „Die Monddiebe“, mit den Kaczynski-Zwillingen. Endet mit Gelächter Erzählerin: Denn wir sind so ein Paar, ein Paar einzig in dem Land! Und wenn du ein tapferer mutiger Bursche bist kannst du dir alles erlauben.“ O-Ton: Magdalena Parys Auf diesem Unglück baut der Parteivorsitzende Jaroslaw Kaczynski etwas Furchtbares. Er teilt das Volk, er löst Konflikte aus, er macht die Augen zu, während Ausländer auf unseren Straßen, polnischen Straßen, geschlagen werden. Es passiert was Furchtbares, es ist etwas Unverzeihliches, das man auf diesem Unglück, diesem Trauma, so seine Macht aufbauen will. Und zum Schluss wird Jaroslaw Kaczynski nur seine Katzen um sich herum haben, und nur seine Heuchler. Atmo: Straße in Danzig Erzähler: Lech Kaczy?ski wird also der neue polnische Superheld. Erzählerin: Sein Tod macht ihn eher zu einem religiösen Symbol. Erzähler: Seine sterblichen Überreste, die nach dem Absturz der Regierungsmaschine bei Smolensk gefunden worden sind, sind nun neben den polnischen Königen im Krakauer Wawel beigesetzt. Rap-Song O-Ton: Skiba (Polnisch): Thema: Eine Karriere auf Leichen zu bauen, ist ekelhaft. Erzähler: Was ist das denn für ein komischer Typ? Erzählerin: Skiba. Sänger der BigCyc Band, Satiriker, Anarchist, kultureller Provokateur. Er meint, eine Karriere auf Leichen zu bauen, sei ….zum Kotzen. Erzähler: Das ist es aber doch, was die Smolensk-Tragödie produziert hat: Leichen. Opfer. Erzählerin: Vor allem den Hauptmythos, mit dem die PIS Geschichte und Kultur revidiert. Er vergiftet auch andere Ereignisse wie ein Virus: zum Beispiel die Gedenkfeier des Warschauer Aufstands. Überhaupt müssen bei allen öffentlichen Zeremonien mit einer militärischen Ehrengarde sämtliche 90 Namen der Toten von Smolensk laut verlesen werden. Erzähler: Und ihrer gedacht wird nicht nur einmal im Jahr, sondern am 10. eines jeden Monats. Erzählerin: Mit Pan Kaczy?ski, der vor dem Präsidentenpalast spricht. Von einem Podest herunter, damit man ihn besser sieht. O-Ton: Rap EKSHUMACJE Erzählerin: Um die Idee durchzusetzen, dass der Flugzeugabsturz bei Smolensk ein Pakt der Regierung Tusk mit dem russischen Geheimdienst war, ließ die PIS die Überreste der Opfer zur erneuten Untersuchung exhumieren. Zuerst Lech Kaczynski und seine Frau. Erzähler: Und das Ergebnis? Erzählerin: … ein Unfall. Und außerdem berichtet die Gazeta Wyborcza über Beschwerden von Angehörigen der anderen Opfer: Man habe die Totenruhe gestört - nur weil man allen Ernstes meinte, in den Särgen lägen die falschen Gebeine!! O-Ton: SKIBA ZAORA? EKSHUMACJE Erzähler: Was sehen wir jetzt? Erzählerin: Skibas „Exhumierung-Video“: Erzählerin: „Über einem Grab steht der Totengräber mit einem Spaten Denn die Exhumierungszeit ist gekommen... Jaroslaw hat gesagt, wir müssen graben, Um diese stolze Nation zu verarschen Wir müssen die Smolensk-Särge öffnen O-Ton: Skiba Interview. Polnisch (Polnisch): Thema: Smolensk. Eine Religion ist geboren, Anfang einer Sekte. Erzählerin: Smolensk ist eine religiöse Institution, die „Kirche von Smolensk“ wie Skiba es nennt. Wo sie das Kreuz als Waffe benutzen. Nur die, die an die Konspiration glauben und an den Gedenkfeiern teilnehmen, können wahre Gläubige sein. Und echte Polen. O-Ton: Antoni Macierewicz o esbeckich emeryturach. Erzählerin:  Hier ist Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, der seine wöchentliche Ansprache „Die Stimme Polens“ in Radio Maryja beginnt mit „Gelobt sei Jesus Christus und die Jungfrau Maria in Ewigkeit". Und er endet mit „Gott, Ehre und Vaterland. Polen ist eine große historische Nation, die sich endlich von den Knien erhebt, und ich wünsche Polen, dass es immer eine große katholische Nation sein möge." Atmo: Kirche Erzähler: Jede Woche derselbe lange Spruch? Erzählerin:  Ja. Und alle Mitarbeiter und Anrufer beginnen auch mit „Gelobt sei Jesus Christus und die Jungfrau Maria in Ewigkeit". Atmo: Kirche O-Ton: Polen inthronisiert offiziell Jesus Christus als König, Erzähler: Wo bringst du mich jetzt hin? In die Kirche? Erzählerin: Heute ist Sonntag, der 20. November 2016. Alle polnischen Kirchen zelebrieren die Krönung von Polens neuem König. Erzähler: Jetzt sag bitte nicht, dass es Lech Kaczy?ski ist! Erzählerin: Gemeint ist diesmal tatsächlich Jesus Christus, der Märtyrer aller Märtyrer. Es sei Polens „Schicksal zu leiden“, sagt die PIS. Als Smolensk passierte, kursierte eine Textbotschaft, die die Wiederkehr von „Polen als Christus der Nationen“ prophezeite. O-Ton: Bogdan Borusewicz. (Polnisch): Thema: Christus der Nationen. Indiz für Mittelalter. Erzählerin: Unser Vize-Marschall aus dem Senat wundert sich über die „Christus der Nationen“-Idee sehr – das geht schon von Gesetzes wegen nicht. Noch mehr erstaunt hat ihn die Entdeckung, dass es in der polnischen Kirche offiziell bestallte Exorzisten gibt. Reines Mittelalter im heutigen Polen, meint er. Jetzt fehlt noch, dass jemand die Anwesenheit von Hexen bezeugt! Atmo: Kirche Erzähler: Auf zur Hexenjagd! Naja, ich denke, dass die PIS die Kirche für ihre Zwecke instrumentalisiert. Erzählerin: Genauso wie die Kirche die PIS benutzt. Und deshalb soll Jesus Christus heute in einem feierlichen Akt zum "König Polens" proklamiert werden. Fundamentalistische Gruppen haben das Projekt aufgebracht. "Herrsche über uns, Christus!" Religiöse Zeremonie in “Schwarzer Walzer”/ Danziger Straßenprotest Erzähler: Ich nehme an, dass es bei all dem auch einen „Anti-Christ“ gibt. Erzählerin: Tausende davon. Hier auf dieser Danziger Demo singen sie den „Schwarzen Walzer“. Dies ist unser schwarzer Walzer Für dich, PIS, zu deinem Begräbnis. Wir marschieren, wir singen, bevor wir dich besiegen. Refrain: Angst, Angst Wohin führst du dieses Land Stopp, stopp! Bring in Ordnung, was du zerstört hast! Er stiehlt, lügt, verleumdet, hetzt seine Meute auf Opfer. Er spuckt auf uns, entzweit uns, und jeden Sonntag betet er um Segnung. Er verspottet, er lyncht, er belohnt Diebe und verlacht die Massen. Er, der Zar, König und Meister. O-Ton: Skiba Interview. Polnisch (Polnisch): Thema: Schwarzer Protest. Erzählerin: Laut Skiba sind mehr als 100.000 Frauen in der „Schwarzen-Protest“-Bewegung. Er glaubt, die PIS war vom Ausmaß der Demos überrascht. Allein im vergangenen Jahr, behauptet Skiba, habe es mehr Demonstrationen gegeben als in der gesamten Periode des Freien Polen. Atmo: Demo "3 Kreuze" O-Ton: Magdalena Parys Ich kenne unheimlich viele junge Menschen, vor allem Frauen, die jetzt aus irgendeinem bösen Traum erwacht sind. ... Und diese Frauen gehen heute auf die Straße. O-Ton: Lidka Makowska Der Schwarze Protest, Frauen sind schwarz angezogen, nehmen Regenschirme, ... und protestieren gegen die Regierung, erstmal protestieren gegen die Schwangerschafts-Verfassung. Es gibt jetzt eine Frauenbewegung, die heißt „Mädel für Mädel“. Wir Frauen haben genug, immer brav und nett zu sein, und ich kann das wirklich vergleichen mit der Situation in Deutschland in einundsiebzig mit diesem Cover im „Stern“, wo dreihundert Frauen ihre Gesichter gegeben haben, und alle haben geschrieben „wir haben abgetrieben“. Atmo: Frauendemo/Demonstranten singen die polnische Hymne Erzähler: 13. Dezember 2016. Heute vor 35 Jahren hat Jaruzelski das Kriegsrecht verhängt, weil ihm die Solidarno?? zu stark geworden war. Der 13. Dezember ist eigentlich ein Gedenktag. Aber hier in Danzig, wie in allen größeren Städten, wird er schnell zu einer stürmischen Verdammung der PIS-Politik. Demokratie, Pressefreiheit, Frauenrechte, Abtreibung, eine blühende furchtlose Kultur ohne Manipulation – solche Forderungen brodeln im riesigen Hexenkessel wachsender Wut. Jaros?aw Kaczy?ski bezeichnet die Proteste als „staatsfeindlich, ein Verbrechen“. Er verspricht, die Regierung werde die Opposition „zivilisieren“. Atmo: Ende der Demo mit PIS Slogans und “Carmina Burana” im Hintergrund Erzähler: Die Demo endet mit auf Häuserwände projizierten PIS-Zitaten. Erzählerin: „Wir werden dafür sorgen, dass nur eine Nation in diesem Land existiert - die polnische Nation.“ Jaros?aw Kaczy?ski. Atmo hoch Erzählerin: „Empfängnisverhütung ist pures Übel. Es führt zu Frigidität und Sex-Sucht.“ Urszula Dudziak, Erziehungsministerium. Atmo: Demo/ “Marionetka” Erzählerin: „Die wahre polnische Geschichte wird zeigen, wer ein Held war und wer ein Verräter.“ Präsident Andrzej Duda. Erzähler: Den die Menge als Kaczy?skis “Marionetka” verspottet. Ende der Demo mit PIS Slogans und “Carmina Burana” im Hintergrund Erzählerin: „Hochverrat ist genetisch bei den Polen der schlimmsten Sorte.“ Jaros?aw Kaczy?ski Atmo: Radio Gdansk O-Ton: Hörfunk Bericht   Erzähler: 1. Februar 2017. Ich packe meinen Koffer zum Abflug. O-Ton: Hörfunk Bericht Erzähler: Was ist los? Erzählerin: (übersetzt) Das Landesverwaltungsgericht in Warschau hat entschieden, dem Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts nicht zu folgen. Erzähler: Das heißt, das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig bleibt, wie es ist? International - nicht nationalistisch? Erzählerin: Vorläufig, ja. Aber das kann sich schnell ändern…die PIS hat schon Einspruch angemeldet… Atmo Flughafen / startendes Flugzeug Erzähler: Beim Abflug aus Kaczy?skiland kreisen wir über dem Flughafen „Lech Wa??sa“. Ein Zubringerzug aus der Stadt verdeckt mir die Sicht auf das Flughafengebäude. Alles, was ich von hier oben erkennen kann, ist der Name ...„ „Lech“ und das Wort ... "Flughafen". Der Nachname ... ist verdeckt. Rap-Song ABSAGE Kaczy?skiland. Wie polnische Kultur und Geschichte umgedeutet werden Sie hörten ein Feature von Ma?gorzata ?erwe und David Zane Mairowitz Es sprachen: Monika Oschek und Felix von Manteuffel Ton: Bernd Friebel Regie: die Autoren Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks mit Radio Bremen, 2017 4