COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel am 29. März 2013 "Wir treiben es auf die Spitze" - Die Palucca-Tänzer und ihre Welt Autorinnen: Ute Burtke und Margarete Wohlan 01 Atmo Folklore Tanz 01 O-Ton Philipp Folklore bedeutet so was wie alter Tanz, also nicht moderner Tanz, sondern alter Tanz, und da tanzen wir auf Stöckelschuhen, also auf richtigen Absatzschuhen. Also die sind nicht so dünn wie bei den High Heels, die sind dann schon eher breiter wie bei den Cowboys oder so, solche Schuhe sind das dann. 01 Atmo Folklore Tanz Sprecherin Vormittags, 11 Uhr, auf dem Stundenplan steht Paartanz im Folklorestil. Sechs Jungen und sechs Mädchen stehen in Position, im Saal verteilt, darunter auch Philipp Bräuer. Er ist elf Jahre alt und seit einem halben Jahr an der Palucca- Tanzschule in Dresden. Mit seinen kurzen Haaren, großen Ohren und den noch etwas dünnen Armen und Beinen scheint er so gar nicht dem Bild eines Tänzers zu entsprechen. Die Lehrerin Angelika Forner weiß, wie sie die Aufmerksamkeit der Elfjährigen gewinnen kann. 02 O-Ton (aus dem Tanzunterricht) Jetzt nochmal durchschauen ins Publikum, bis dahinten, seht ihr die 500ste Reihe? ALLE: Ja!!! Nicht? Die wollen euch aber auch sehen. Auch die 500ste Reihe möchte euch sehen!!!! 02 Atmo Stampfen mit Tanzstiefeln, Klaviermusik im Hintergrund, alle zählen mit. 03 O-Ton Philipp Nein, ich war nicht beim Tanzen. Ich war mal bei so ner Sportgruppe, aber da bin ich dann auch wieder gegangen. Weil mein Papa das so wollte, dass ich da rausgehe. Dann war ich, kurz bevor ich hier rein gekommen bin, im Boxen. Lacht. Und ja, vor allen Dingen, ich hatte Mittwoch Boxen und Freitag Boxen, und Samstag und Sonntag hatte ich dann meine Tanzprüfung. Lacht. Sprecherin Boxen und Tanzen - für den elfjährigen Philipp kein Widerspruch. Das klassische Bild des Tänzers verändert sich - langsam. 04 O-Ton Philipp Es gibt Menschen, die sagen, komm mal mit zum Fußball oder: mach doch nicht so was, das ist doch für Mädchen oder auch ab und zu Beleidigungen gegen einen werfen, damit man halt aufhört und zu Fußball oder Boxen geht. Aber trotzdem bleibe ich hier, weil das macht einfach hier viel mehr Spaß als irgendwie anders, find ich zumindestens. F: Was machen die, was sagen die? Philipp: Na ja zum Beispiel: Schwuchtel oder Schwuli, oder so. Irgendwelche Beleidigungen halt. Aber ich bleib trotzdem hier. Sprecherin Was Philipp erzählt, erinnert an den Film "Billy Elliot - I will dance". Er kam vor mehr als zwölf Jahren in die Kinos - mit genau diesem Thema. Der elfjährige Billy will Tänzer werden. Heimlich wechselt er vom Box- zum Ballettunterricht, ohne es seinem Vater zu sagen. Als dieser dahinter kommt, eskaliert das Ganze: 01 DVD Ausschnitt aus dem Film Vater: Ballett! Billy: Was ist verkehrt am Ballett? Das ist absolut normal! Vater: Absolut normal? ... Für Mädchen, nicht für Jungs, Billy! Jungs spielen Fußball oder gehen zum Boxen oder Ringen. Aber doch nicht zum Ballett! Ich bitte dich! Billy: Welche Jungs gehen zum Ringen? Vater: Fang nicht so an, Billy! Billy: Ich verstehe nicht, was daran verkehrt ist! Vater: Du weißt ganz genau, was daran verkehrt ist. Billy: Nein, weiß ich nicht! Vater: Doch! Verdammt, du weißt es! Billy: Was willst du damit sagen, Dad? Vater: Du willst wohl ne Tracht Prügel haben? Billy: Nein, will ich nicht. Ehrlich! Es sind nicht nur Schwule, Dad. Manche Balletttänzer sind fit wie Sportler Vater: Hör zu Junge, von jetzt an vergisst du mal dieses beschissene Ballett. Und deine beschissene Boxerei kannst du auch vergessen. 05 O-Ton Matthieu Frage: Hast du den Film "Billy Elliot" gesehen? Ja, als ich klein war, ja. Frage: Wie findest du den? Sehr gut, sehr gut. Also, ich find gut, dieser Film zeigt, dass manchmal ist es nicht einfach, für Jungen zu tanzen. Auch mit der Beziehung mit den Eltern und so. Und na ja, ich fand gut, vielleicht ein bisschen Klischee irgendwie, aber schon gut. Als ich klein war, es hat mich inspiriert. Frage: Bist du auch auf solche Vorurteile oder Klischees gestoßen, dass Jungs nicht tanzen? Ja, so speziell, als ich angefangen zu tanzen habe, sogar ein paar Personen in mein Familie haben gesagt, ja, wieso möchte er einfach tanzen. So es ist nicht für Jungs, es ist nur für Mädchen. Aber mit der Zeit es geht besser und jetzt habe ich gar kein Problem so. Sprecherin Matthieu Chayrigues ist acht Jahre älter als Philipp und im dritten Studienjahr an der Palucca-Tanzschule in Dresden. 06 O-Ton Matthieu Ich komme aus Frankreich, es ist mein letztes Jahr in der Palucca-Schule hier, und vorher war ich zwei Jahre in Marseille und fünf Jahre in Grenoble. Sprecherin Als er seine ersten Tanzschritte lernte, kam "Billy Elliot" gerade in die Kinos. Ein weltweit erfolgreicher Film, der zum ersten Mal auf populäre Art Ballett-Tanz und Männlichkeit miteinander verknüpfte. An der Palucca-Tanzschule ist es heute normal, dass fast genauso viele Jungen wie Mädchen tanzen. Das liegt auch an dem Rektor der Hochschule, Jason Beechey, der aus Kanada stammt und 2006 die Leitung übernahm. 07 O-Ton Beechey Wir haben einen Talent-Scout, was geht zu einem Besuch in über 300 vierte Klasse Sportunterricht pro Jahr und dann sie sucht wirklich die sportbegabteste, bewegliche Kind, und sie sind eingeladen für einen Eignungstest. Und aus dieses Grund haben wir ganz viel Jungs von Anfang an, und die Eltern weiß nix über Tanz, aber sie weiß: Palucca-Schule etwas Besonderes, mein Kind hat eine Begabungen, wir geben eine Chance. Wir haben nicht dieses Stigma wie in ganz viel anderen Landen, wo sie denken, nee, nee, nee - Tanz ist nicht für einen Jungen, das geht nicht so. Viele Jungs, wir haben fast jetzt 40 Prozent von unsere Studierende sind Jungs, was ist super, so ich denke, wir gehen immer weiter weg, von dieser Klischee paline-tue tue, und ja. Sprecherin Die Palucca-Schule ist die erste und bislang einzige eigenständige deutsche Hochschule für Tanz, die auch eine Mittelschule mit Realschulabschluss anbietet. Das Besondere an der Tanzausbildung: die Schüler und Studenten werden sowohl im klassischen Tanz als auch im zeitgenössischen Tanz und in der Improvisation unterrichtet. Insgesamt knapp 200 Mädchen und Jungen sind an der Palucca-Schule - davon 110 an der Hochschule, viele von ihnen aus dem Ausland, wie der 19jährige Matthieu aus Frankreich. 08 O-Ton Matthieu Die Palucca-Schule ist so ganz fast die einzige Schule, die ich kannte, die kombiniert wirklich klassischer und zeitgenössischer Tanz, und ich finde, es ist total wichtig für einen Tänzer, unterschiedliche Art von Tanz machen zu können. Und deswegen bin ich hier gekommen, weil wir haben jeden Tag klassischer und zeitgenössischer Unterricht. Und jetzt haben wir ein gewisses Niveau in beide gekriegt und ich finde, das ist wichtig. 02 Atmo Tanz (unter der Sprecherin lassen) Sprecherin Isabella Taufkirch ist 15 und träumte schon als kleines Mädchen davon, Balletttänzerin zu werden. Natürlich auch, einmal die verzauberte Prinzessin im Schwanensee zu tanzen. Seit fünf Jahren ist sie an der Palucca-Mittelschule und hat vor kurzem die Aufnahmeprüfung für die Hochschule bestanden. An diesem Freitagvormittag ist Spitzentraining dran - Isabella schwebt elfengleich durch den Raum, die anderen schauen zu. 09 O-Ton Isabella Also, ich habe gerade einen Piquee-Kreis gedreht, das heißt, ich drehe mich halt um meine Achse, aber bewege mich halt trotzdem voran, und das hat einen Kreis, also eine Art on Manege. Und dann drehe ich in einer Diagonale dann noch Enchainé des pas, das heißt: dass ich beide Beine zusammen habe, wie eine Art erste Position im klassischen Tanz und dann mich drehe. Sprecherin Isabella entspricht ziemlich genau dem landläufigen Bild einer Balletttänzerin: klein, zierlich, ein Federgewicht - und: mit einem Dutt. 10 O-Ton Isabella Eigentlich ist das schon typisch, zu klassisch auf jeden Fall immer einen Dutt zu haben, das ist eigentlich immer so, und zu modern kann man mal die Haare in einem Zopf haben oder so, also das eigentlich kann man variieren. Hauptsache, dass die Haare aus dem Gesicht sind. Und manche haben auch kurze Haare, und stecken das trotzdem so weg, also das ist dann nur ein kleiner Dutt. Sprecherin Das mit dem Dutt war schon so, als die große Tänzerin Gret Palucca 1925 ihre Schule in Dresden gründete. Manche Dinge ändern sich eben nie. So auch die Ballettsprache. Bereits in der fünften Klasse wird Französisch unterrichtet, erzählt der elfjährige Philipp. 11 O-Ton Philipp Allonger, ist ein Begriff für verlängern, und Grand-plié für ne große Beuge. Und Relevé und Demi-plié - das sind auch alles solche Begriffe. Relevé für halbe Spitze und Demi-plié für kleine Beuge. F: Hat man euch erklärt, warum das alles auf Französisch ist? Ähm ja, weil da war so'n König und der wurde die Sonne genannt oder so in der Art, den Namen weiß ich nicht mehr richtig. Und der hat in Frankreich, also ja, der war in Frankreich und der hat den Tanz sozusagen erfunden. Und daher auch die französische Sprache. 03 Atmo Tanz "Französisch" Sprecherin Was auf jeden Fall stimmt, ist, dass das Ballett in seiner heutigen Form in Frankreich entstand: Am französischen Königshof wurde 1581 das erste eigentliche Ballett aufgeführt. Der "Sonnenkönig" Ludwig XIV. gründete 1661 die erste Ballettschule. Und der Tanzmeister Beauchamps entwickelte die Positionen 1-5, die bis heute die Grundlage aller Schritte des klassischen Balletts bilden. 03 Atmo Tanz "Französisch" Sprecherin Zum Tanzen braucht es Talent, aber das allein genügt nicht. 12 O-Ton Isabella Also am wichtigsten ist, denk ich, die Leidenschaft und dass man auf jeden Fall das Ziel verfolgen sollte. Und Disziplin ist eigentlich auch wichtig, und naja so anatomische Voraussetzungen sind, denke ich, auch da im Tanzbereich sehr wichtig. Sprecherin Ballett war und ist beinharter Spitzensport. Im wahrsten Wortsinne. Im Mittelpunkt stand und steht unermüdliches Üben - das wird sich nicht ändern. Immer wieder von neuem, und nie ist man zufrieden. Auf Zehenspitzen ständig dieselbe Drehung trainieren, die Gelenke beim Sprung unablässig belasten. Schmerz gehört zum Alltag. Wer Knie- oder Hüftschäden bekommt, muss vorzeitig aufhören. Verletzungen sind keine Seltenheit. Und doch hat sich die Welt des Tanzes gewandelt. Neben den immer höheren Ansprüchen an den perfekten Tanz müssen die Profis auch ihre Seele zeigen, erklärt der 19jährige Matthieu. 13 O-Ton Matthieu Man muss zuerst eine richtige gute Technik haben, dazu die Präsenz, und wenn man glaubt, dass man gut ist, dann vielleicht kann passieren. Dann kann man denken, ja, ich war gut, ich bin gut und ich kann es schaffen. Aber am wichtigsten ist die Präsenz, die Technik natürlich und auch die Persönlichkeit. Seine Persönlichkeit zu zeigen, ist auch sehr wichtig. 04 Atmo Klassischer Tanz Sprecherin Halb elf vormittags. Klassischer Tanz beim Rektor der Palucca-Hochschule, Jason Beechey. Sechs Paare tanzen miteinander durch den Raum - auch Matthieu, groß und schlank, mit seiner grazilen Partnerin. Immer wieder lässt sie sich nach hinten fallen und er fängt sie auf - scheinbar mühelos und zart. 14 O-Ton Matthieu Vertrauen ist sehr wichtig. Und wir müssen auch lernen, Leute vertrauen, die wir nicht kennen, und das ist auch sehr schwer. Zum Beispiel im Vortanzen, wenn wir im Duett arbeiten müssen, wir müssen vertrauen in die Person, die da ist. Manchmal wir kennen die einfach nicht. F: Die Partnerin, die du hier hattest, die kennst du schon lang? Ja genau, wir sind in die gleiche Klasse, schon seit drei Jahre so. Wir kennen uns sehr gut und deswegen wir können uns sehr gut vertrauen. Und deswegen auch wird die Atmosphäre ganz entspannt und so. Sprecherin Konkurrenz - also das, womit sie nach der Ausbildung täglich zu tun haben werden - scheint hier draußen zu bleiben. Moderne Architektur, lichtdurchflutete helle Tanzsäle, viel Grün in unmittelbarer Nähe zum Großen Garten - alles ist auf Zusammenspiel und Einheit ausgerichtet. Es ist wie ein Biotop, in dem man sich geborgen fühlen kann. Das empfindet der elfjährige Philipp genauso wie der 19jährige Matthieu. 15 O-Ton Philipp Ich fühle mich hier wie in ner Familie und da gibt es auch Unterstützung jede Menge und von daher interessiert mich das nicht, ob gesagt wird, eh du Schwuli, komm zum Fußball oder so. Das geht in mein ein Ohr rein und kommt aus`m anderen wieder raus. 16 O-Ton Matthieu Ich hab das Gefühl, wir helfen einander mehr als etwas anderes. Ich habe nicht das Gefühl, dass es eine richtige Konkurrenz gibt, eigentlich. Und es gibt eine richtig gute Atmosphäre in der Schule und das finde ich super, supertoll. Sprecherin Es ist kaum zu glauben: Obwohl jeder Tänzer und jede Tänzerin davon träumt, vorn zu stehen und die Hauptrolle zu tanzen, scheinen Konkurrenz und Neid in der Palucca-Schule kein Thema zu sein. Ihr Rektor Jason Beechey: 17 O-Ton Beechey Wir versuchen immer von Anfang an, dass die lernt, dass jeder muss die Konzentration haben auf sich selbst. Was hast du zu sagen und warum du bist dabei und was willst du machen? Das heißt, am End sie sind so unterschiedlich. Auch wenn sie geht vortanzen für einen Job und dort steht sechs Palucca-Mädels, sie sind so unterschiedlich. Da gibt es fast keine Konkurrenz zwischen, weil jeder ist autonom, selbstständig und kreativ. Sie sind wie Apfel, Orangen und Bananen, sie sind so unterschiedlich. Aber sie muss auch lernen, nicht jeder wird Solisten. Dass sie sind konfrontiert hier mit die Realität, auch wenn sie kriegen nicht vielleicht die erste Platz oder etwas, ist nicht gesagt, du bist schlecht, aber wir fragen sie: Warum denkst du, du hast das nicht gekriegt? Warst du jeden Tag voll dabei? Hast du wirklich voll gegeben in jeder Probe? Vielleicht in diesem Stück ist nicht wirklich dort, wo deine Stärke liegt. Klar, sie muss lernen, das ist schwer. Aber das ist Teil von einer Ausbildung. 05 Atmo Unterrichtsatmo Philipp Klassischer Tanz Sprecherin Acht Jungs stehen an der Ballettstange, folgen den Anweisungen der Lehrerin Felicitas Rost. Klassischer Tanz für die Jüngsten, unter ihnen auch Philipp. Sie üben die Grundpositionen an der Ballettstange. Eigentlich ist Philipp ziemlich überzeugt von sich und seinen Fähigkeiten. Aber wenn ihn die Lehrerin zum wiederholten Mal kritisiert, dann wird auch er etwas frustriert. 18 O-Ton Philipp Das ist schon nervig, wenn einem immer wieder was gesagt wird, und man versucht's zu machen und denkt, man macht's und dann wird das wieder korrigiert. Das ist dann ab und zu schon nervig, aber man wird's ja wohl irgendwie schon schaffen. Also, meine Klassisch-Lehrerin hat gesagt, dass ich es auf ne 1,0 schaffen könnte, wenn ich mich richtig anstrenge. Also, mein Körper gibt das her, dass ich es auf ne 1,0 schaffe. Und das ist sehr selten an der Schule, ja. Es hängt davon ab, wie ich mich zusammenreiße. Und ob ich hier versuche, so gut wie möglich alles rauszuholen aus meinem Körper. Davon hängt das ab. Sprecherin Und es hängt auch davon ab, diszipliniert zu sein, die Zähne zusammenzubeißen, wenn es mal richtig schwierig wird oder die Energie fehlt. 19 O-Ton Matthieu Ja, es ist schon passiert. In dem Fall am besten ist, mit seinem Lehrer zu sprechen und einfach zu sagen, ja, mir geht es nicht gut, ich hab keine Motivation mehr, was kann ich machen, um die Situation zu verbessern und so. Und dann die Lehrer sind immer da, um uns zu helfen und das ist auch sehr gut. Frage: Kannst du dich erinnern, als das mal bei dir so war, was der Lehrer da gesagt hat, wie du deine Motivation wieder finden kannst? Also er hat mir gesagt, ja du musst an dir glauben, du musst weitermachen, du musst wirklich denken, dass du hast ein Potenzial und du kannst Tänzer werden! Und danach hat es mir natürlich ein bisschen mehr Motivation gegeben. Ich hab weitergemacht, ja. Sprecherin Sie wollen auf jeden Fall alles rausholen aus ihrem Körper. Als Philipp vor einem halben Jahr auf die Palucca-Schule kam, durfte seine Klasse bei den Älteren zugucken - wie sie tanzen, wie sie scheinbar federleicht durch die Luft fliegen. Dort sah er sein Vorbild, dem er unbedingt nacheifern möchte. 20 O-Ton Philipp Der Philipp, das ist aus dem Bachelorstudium jemand, und ich will auch so gut werden wie der. Ich find, dass der ziemlich gut ist und so gut will ich auch werden. Zum Beispiel die Sprünge. In der Luft streckt der so gut seine Füße, das ist ab und zu sogar fast unglaublich. Oder man denkt, der steht in der Luft. F: Musst du da noch viel machen, um dahin zu kommen? Ja, also ziemlich viel sogar schon. Weil, ja, ich muss mich halt richtig anstrengen und darf keinen Mist bauen. Sprecherin Elf Jahre jung - und sie müssen schon jetzt das gleiche Pensum wie die älteren Tanzschüler absolvieren. Um acht Uhr geht es los, von Montag bis Freitag, gegen 17 Uhr ist normalerweise Schluss - wenn keine Aufführungen anstehen, für die geprobt werden muss. Außerdem gibt es eine Mensa und ein Internat für die Auswärtigen. Vormittags wird getanzt, nachmittags steht bei den Schülern der Mittelschule normaler Unterricht an wie Mathe oder Deutsch. Diese Leistungen zählen genauso wie das Tanzen. Wer hier versagt, muss die Schule verlassen. Das gehört zum Konzept und sorgt für das gute Image, das bei den Eltern Vertrauen schafft. 06 Atmo Sprecherin Generalprobe für die sogenannte "Stunde des Tanzes". Die Schüler und Schülerinnen der Palucca-Mittelschule in Dresden sollen an Grundschulen in Städten der Umgebung das vortanzen, was sie bisher gelernt haben. Eine Visitenkarte, die das Publikum - die Viertklässler und ihre Eltern - überzeugen soll, sich zu bewerben. Die Eltern der 15jährigen Isabella sind zur Generalprobe gekommen. Ihre Tochter tanzt ein Drei-Minuten-Solo, für das sie in ihren Freistunden ein Jahr geübt hat. 21 O-Ton Eltern Angela und Wolfgang Taufkirch (Papa) Wir wissen, dass es harter Sport - kann man ja schlecht sagen, oder ein harter Beruf ist, das er ja jetzt schon ist in den jungen Jahren, weil ja schon vieles einfach vorausgesetzt wird, wenn man später mal fertig wird, aber wir lassen sie so lange sie Spaß dabei hat (Mutter) Also für sie ist ne Mathestunde schlimmer wie 5 Stunden tanzen und von daher sagen wir: Sie hat diese Begabung und kann das ein bisschen ausleben, solange sie die Möglichkeit hat. Und wenn sie dann hinterher sagt, ich finde vielleicht keine Anstellung oder so, war das eine ganz schöne Erfahrung für sie, und kann ja mit ihrem Bachelorabschluss auch eine neue Zukunft aufbauen, das ist für uns auch wichtig, diese Sicherheit zu haben. 07 Atmo Generalprobe Sprecherin Die Palucca-Hochschule bietet eine interdisziplinäre Ausbildung in den Bachelor- Studiengängen Tanz und Tanzpädagogik und in den Master-Studiengängen Tanzpädagogik und Choreografie. In jedem Fall ein gutes Fundament für die Zukunft, sagt Jason Beechey. 22 O-Ton Beechey Ich denke, die allerbeste Plan B, was sie haben, ist es wirklich, wenn sie könnten bis zum End schaffen, weil denn sie hat wirklich eine echte BA - sie hat wirklich eine hochschulanerkannt Abschluss, weil eine Tanzkarriere so kurz sein kann. Auch von Anfang an sprechen wir immer, sie muss immer eine Plan B haben, und das ist immer warum, das ist so betont, dass sie muss auch gute Noten haben in unserer Mittelschule, und alle die Theoriefächer für unsere Bachelor sind absolut Pflicht. Und auch manchmal die allerbeste Tänzerin plötzlich kann eine Verletzung Tanzkarriere vorbei ist. So von Anfang an sprechen wir immer über eine Plan B oder alternativ lernen zum Lernen, öffnen für andere Ideen. Sprecherin "Plan B" - wie ein Mantra scheint es über ihnen zu schweben. Für die 15-jährige Isabella ist bisher alles gut verlaufen. Dennoch macht sie sich so ihre Gedanken: 23 O-Ton Isabella Ich mach mir eigentlich schon auch nen Kopf, wenn das nicht klappt mit dem Tanzen, weil es kann ja immer mal sein, dass man sich vielleicht irgendwas bricht oder so und danach kann man einfach nicht mehr tanzen. Also, da sollte man sich schon, finde ich, auch Gedanken machen. Also ich würde dann eher so in den Musical- oder Schauspielbereich gehen. Sprecherin Während Isabella noch drei Jahre Zeit hat, über den Plan B nachzudenken, wird es für Matthieu bald ernst, denn es ist sein letztes Jahr an der Palucca-Schule. Sein Plan B ist - überraschend: 24 O-Ton Matthieu Würde ich gern eine Ernährungswissenschaftausbildung machen, weil es gefällt mir einfach. Nun ja, das ist mein Plan B, aber ich geb mir noch ein Jahr, weil es ist auch ganz schwer, wenn man noch aus der Schule kommt, einen Job direkt zu kriegen. Deswegen geb ich mir noch ein bisschen Zeit. Und meine Eltern sind da, um mich zu unterstützen und deswegen ich benutze es. Aber natürlich würde ich am besten einen Job finden, um wirklich Tänzer zu werden, natürlich. Sprecherin Das ist er, das ist der Plan A: an seinen Erfolg zu glauben, nicht ans Scheitern zu denken. Obwohl die Karriere eines Tänzers oder einer Tänzerin - auch ohne Verletzungen - nicht sehr lang ist: mit Mitte 30 ist meistens Schluss. Nur Ausnahmetänzer wie Vladimir Malakhov tanzen noch mit 45. Doch was zählt, ist, erstmal den Schritt auf die Bühne zu schaffen. Und darauf bereitet die Palucca- Hochschule für Tanz - wie sie offiziell heißt - vor. 25 O-Ton Beechey Ist schwer, wie in jedem Beruf heute, da gibt's immer weniger Plätze. Aber ich muss sagen, dass die Absolventen, das steigt permanent jetzt. Wir haben jetzt innerhalb die letzte drei Jahren sechs Eleven von unserem Elevenprogramm sind jetzt voll an die Semperoper. Und von die letzte Absolventenklasse zwei sind in Zürich und St. Gallen, Rostock, Mainz. Die Studierenden sind auf nem guten Weg. 08 Atmo Musik Sprecherin Darauf setzen auch unsere drei Palucca-Schüler - gleichgültig, ob sie elf, 15 oder 19 Jahre alt sind. 26 O-Ton Philipp Also, wenn ich hier alles geschafft hab an der Schule, auch das Bachelorstudium, möchte ich weiter irgendwo im Tanz bleiben. Wo, weiß ich nicht. Ich kann in New York auftreten, ich kann hier in Deutschland bleiben, ich kann auch nach Russland fahren, von mir aus. Frankreich wäre gut, weil Französisch lernen wir ja hier, weil das ist unsere Tanzsprache, darum wär Frankreich gut. 27 O-Ton Isabella Also ich würde halt sehr gerne mal auf der Semper Oper-Bühne tanzen, also jedes Jahr bis jetzt haben wir auch schon mal Auftritte gehabt, aber es war so ein, zweimal im Jahr, oder halt wenn man nur so Nussknacker tanzt, dann sind's halt mehrere Auftritte. Aber das so regelmäßig zu machen, finde ich eigentlich sehr schön, und ja. 28 O-Ton Matthieu Ich würd gern nach London gehen, um in die Akram Khan Company zu kriegen und auch in Culberg Ballett wäre es ganz gut. Und Ballett de Marseille in Frankreich würde ich auch gern hingehen, und ja, eigentlich alle die Company, die zeitgenössische Arbeit bieten, es gefällt mir am besten. Ich fühl mich so mehr frei und ich glaube, mit der zeitgenössischer Tanz habe ich die Fähigkeit, mich frei zu entwickeln und meine eigene Persönlichkeit zu zeigen wirklich. Mehr als in der klassische Tanz. Sprecherin Das Tanzen ist ihr Lebenselixier. Sie brennen dafür, üben acht bis zehn Stunden täglich, an einzelnen Schrittkombinationen Wochen oder Monate, bis sie perfekt sitzen. Zweifel sind nicht erlaubt, sagt der 19jährige Matthieu, den der Kinofilm "Billy Elliot - I will dance" inspiriert hatte zu tanzen. Denn auch der elfjährige Billy ist von seinem Traum vom Tanzen einfach nicht abzubringen. Und dann ist er endlich fast am Ziel: er darf vortanzen, in einer der renommiertesten Ballettschulen des Landes, der Royal Ballet School in London. Doch die Jury ist noch nicht überzeugt. 03 DVD Ausschnitt aus dem Film "Billy Elliot" Frau aus der Jury: Kannst du mir eines sagen, Billy? Was ist das für ein Gefühl, wenn du tanzt? Billy: Ein ganz gutes Gefühl. Erst ist alles steif und so, aber wenn ich loslege, dann, dann vergesse ich alles. Ich bin einfach da und fliege. Sprecherin Auch wenn Matthieu seine Empfindungen so nicht ausdrücken kann, fühlt er ähnlich, wenn er tanzt - und wenn das Publikum begeistert applaudiert, dann ist das nicht mehr zu toppen. 31 O-Ton Matthieu Es ist eine richtige gute Gefühl. Total anders als in der Studium. Man steht auf der Bühne und das Publikum ist da. Es ist so schwer zu beschreiben, es ist, man fühlt sich einfach gut. Und man möchte es für immer bleiben. Es ist richtig gut. Sprecherin Es ist richtig gut - das sagen sie alle. Und das es sie es immer wieder erleben wollen. Dass sie das immer wieder anspornt. Es gibt aber nicht den einen Weg an die Spitze, sagt Matthieu am Ende seiner Ausbildung rückblickend. 32 O-Ton Matthieu Ich glaube, das ist unterschiedlich für alle. Das muss man herausfinden, das ist total persönlich und ich glaube, man kann es nicht erklären. Man muss seine eigene Weg finden. Musik 1