COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport vom 29.7.2010 Schulenreform in Hamburg Autorin: Verena Herb Redaktion: Claudia Perez Atmo Menschen, Stimmen - in "Schulbefürworter-Zentrale" vor Volksentscheid Hamburg, 18. Juli. Kurz nach 23 Uhr. Das Ergebnis des Volksentscheids steht fest: Die Primarschule ist tot. O-Ton Christa Goetsch Wir kämpfen noch weiter, für gute Schule, für unsere Schülerinnen und Schüler, für eine Schule, die demokratisch ist. Für eine Schule, die die Kinder in den Mittelpunkt stellt und die sagt: Jedes Kind ist ein Unikat. Und das werden wir weitermachen, jenseits von dem, was wir nicht gemacht haben. Hamburgs Schulsenatorin Christa Goetsch gibt sich kämpferisch. Sie macht weiter, tritt nicht zurück. "In schwerer See könne man nicht das Schiff verlassen," so die Grünen-Politikerin am Tag danach. Jetzt blickt sie nach vorne: Vor ihr liegt - auch ohne die flächendeckende Einführung der Primarschule - eine Herkulesaufgabe. O-ton Wir müssen jetzt ganz große Aufmerksamkeit auf die Stadtteilschulen lenken, auf den Ausbau der Ganztagsschulen, auf die Sprachförderung und natürlich auch alle qualitativen Verbesserungen. Die innere Schulreform... Die To-Do Liste ist lang. Der erste Schritt: Die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, im Stadtstaat Hamburg allgemeiner Konsens. Was jetzt, nach den Sommerferien, kommt... O_ton ...das ist die Umsetzung der Stadtteilschule, die zum ersten August in allen Bildungsregionen starten wird. Das ist der große Auftrag und die Herausforderung, die wir im Schulgesetz unter §12 festgelegt haben. Das bedeutet: Nach den Sommerferien können die Kinder ab Klasse vier nur noch unter zwei Schulformen wählen. Zum einen das Gymnasium, an dem das Abitur nach Klasse 12 abgelegt werden kann - zum anderen die sogenannte Stadtteilschule. Das ist eine Art Gesamtschule, an der alle bekannten Abschlüsse gemacht werden können. Auch das Abitur, nach Klasse 13. Walter Scheuerl, der Gründer der Initiative "Wir wollen lernen", die die Primarschule verhindert hat, steht ebenfalls hinter dieser Neuerung: O_Ton Wir freuen uns für die Hamburger Schülerinnen und Schüler und Familien, dass wir jetzt ein tolles Schulsystem haben werden, nach den Ferien. Das Zweisäulenmodell mit guten Gymnasien und wirklich starken Stadtteilschulen. Wo alle Kinder gut gefördert werden, und jeden Schulabschluss machen können. Nach den Sommerferien werden 51 neue Stadtteilschulen ihre Arbeit aufnehmen - an allen Standorten können die Schüler dann Abitur machen. Kritiker sind skeptisch, ob tatsächlich jede Schule eine gymnasiale Oberstufe bekommen muss. Denn ob es dafür genügend Schüler geben wird, ist fraglich. Einige befürchten, dass die Stadtteilschule zu einer Art "Resteschule" für all jene verkommen wird, die den Sprung aufs Gymnasium nicht schaffen werden. Das muss die Erfahrung zeigen, meint auch Frank Horch, der Präses der Hamburger Handelskammer. Die Wirtschaft unterstützt die Abschaffung von Haupt-, Real- und Gesamtschulen, meint aber auch: O_Ton ...dass jetzt auch die Ganztagsschule ein elementar wichtiger Teil ist, um gerade auch für Migranten, für Schwächere eine Einstiegsmöglichkeit zu finden. Und die Ganztagsschule mit Mittagessen und auch entsprechender Schulaufgabenbetreuung ist für uns ein wichtiger Bestandteil der zukünftigen Schulentwicklung in Hamburg. Die Stadt nimmt Geld in die Hand: Rund 420 Millionen Euro sollen bis einschließlich 2016 zusätzlich ins Bildungssystem gesteckt werden. Neben der Neugliederung Stadtteilschule - Gymnasium soll es auch interne Neuerungen geben. Stichwort: Individueller Unterricht. Man will weg von der Frontallehre, hin zum eigenverantwortlichen Lernen der Schüler. Das sei nur in kleineren Klassen zu bewerkstelligen, sind sich Experten sicher. Und die Politik reagiert: In den Klassen eins bis vier werden zukünftig nicht mehr als 23 Schüler unterrichtet, in sozialen Brennpunkten nicht mehr als 19. Das ist gesetzlich festgelegt. Und: Die Eltern haben einen Rechtsanspruch. Das heißt, sie können vor Gericht klagen, wenn die Klassen größer werden. Die Verkleinerung der Klassen erfolgt schrittweise, heißt es seitens der Behörde. Ab August werden also die neuen ersten Klassen mit maximal 23 bzw. 19 Schülern an den Start gehen. Erst in drei Jahren werden dann alle Grundschulklassen kleiner sein. Die Konsequenz: Mehr Lehrer müssen her. Nach Aussage der Schulbehörde sollen bis 2016 insgesamt 630 neue Lehrerstellen geschaffen werden. Und noch eine Neuerung wird es geben: In den Stadtteilschulen wie auch auf den Gymnasien wird das Sitzenbleiben abgeschafft und soll durch Förderung ersetzt werden. Auch die sogenannte Abschulung gibt es nicht mehr. Wer auf ein Gymnasium aufgenommen wurde, kann nicht in eine andere Schulform versetzt werden. Allerdings bleibt es dabei, dass Kinder das Gymnasium nach Klasse 6 verlassen müssen, wenn die Leistungen nicht den Anforderungen genügen. Atmo Schulklasse, Schüler sitzen zusammen Auch wenn der Volksentscheid die flächendeckende Einführung der Primarschule gekippt hat - einige Schulen wollen es trotzdem versuchen mit dem sechs Jahre längeren gemeinsamen Lernen. So die Grundschule in der Rellinger Straße in Hamburg-Eimsbüttel. Sie ist eine von 22 Beispielinstitutionen, an denen das Primarschulmodell erprobt werden soll. Atmo kurz Frei Len kommt nach den Schulferien in die 5. Klasse. Er freut sich, dass er noch 2 Jahre länger an seiner Grundschule lernen kann: O-Ton Len Ich find´s eigentlich ganz gut. Weil dann kannst Du länger auch mit Deinen Freunden und auch mit anderen länger arbeiten. Und das bringt auch mehr Spaß dann. Dann kommste auf einmal aufs Gymnasium, und Deine anderen Freunde kommen dann auf eine andere Schule und das ist bestimmt dann auch ein bisschen schade... Kommt jetzt die Primarschule durch die Hintertür? Nein - der Volksentscheid ist bindend, erwidert die GAL-Politikerin Goetsch prompt. Die 22 Beispielschulen haben einen Vertrauensschutz für die kommende 5 und 6 Klasse. Länger nicht. O-Ton Rein rechtlich ist es so, wenn die Schule weiter Starterschule bleiben will bzw. die sechs Jahre will, müssen sie einen Antrag auf Schulversuch stellen. Dem wird Christa Goetsch dann sicherlich stattgeben. 1