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In diesen Tagen wartet das Ausflugsschiff "Wappen von Celle" einsam auf den Beginn der Frühlingssaison, ansonsten sieht es hier ziemlich öde aus: Heruntergekommene Industriegebäude und verwilderte Grünflächen säumen den Hafen, das tiefbraune Holzgebäude der DLRG hat auch schon bessere Tage gesehen. Die Stadt Celle wollte diesen nicht sehr einladenden Ort in ein echtes Schmuckstück verwandeln: einen touristischer Hafen, eine Marina mit Schiffsanlegeplätzen, kleinen Lädchen und einer schicken Promenade. Doch Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende muss jetzt zurückrudern. MENDE Was wir uns vorgestellt hatten, war natürlich so, dass hier Tourismus stattfindet, dass hier Menschen langlaufen können, dass man hier vom Cafe aus auf die Hafenanlage runterschauen kann, dass man entlang flaniert, sieht, wie Boote anlegen und wieder losfahren. Eine Marina, die diesen Namen auch verdient, das werden wir hier halt nicht mehr hinbekommen. Der attraktive Hafen auf der Allerinsel, der Touristen und Wassersportler nach Celle locken sollte, fällt größtenteils dem Rotstift zum Opfer. Um 20 Millionen Euro muss das ambitionierte Projekt eingedampft werden, nur noch ein geringer Teil der ursprünglichen Pläne wird verwirklicht. Aus Kostengründen. Wie fast alle deutschen Städte hat Celle derzeit unter massiven Steuerrückgängen zu leiden. Allein die Gewerbesteuer ist in diesem Jahr rund 20 Prozent unter den Erwartungen zurückgeblieben. MENDE Celle geht es vielleicht im Verhältnis zu anderen Städten besser, aber vor dem Hintergrund, dessen, was ich für notwenig halte für diese Stadt und vor dem Hintergrund dessen, was wir für in 2008 an Einnahmen noch hatten, geht es der Stadt natürlich dramatisch schlecht. Und wir werden, das angestrebte Ziel, im Jahre 2013 wieder plus minus Null und ohne Neuverschuldung rauszukommen, womöglich nicht erreichen könnten. Im Haushalt klafft ein Loch von 16 Millionen Euro. Dabei wird es vielleicht nicht bleiben, fürchtet Celles Stadtkämmerin Susanne Schmitt, denn die Einsparmöglichkeiten sind inzwischen so gut wie ausgeschöpft. Die Höhe der Kassenkredite, die eigentlich nur für die kurzfristige Nutzung gedacht sind, haben in der 70.000 Einwohner-Stadt inzwischen ein Niveau erreicht, das der Finanzverwalterin die Sorgenfalten auf die Stirn treibt: Der derzeitige Höchststand von 48 Millionen Euro, so Schätzungen, wird sich in den nächsten drei Jahren fast verdoppeln. SCHMITT Wir müssen investieren. Wir müssen investieren in Bildung, wir müssen investieren in kommunale Infrastruktur, aber wir müssen uns bei jeder Investition sehr genau überlegen, welche Folgekosten damit verbunden sind, auch in den laufenden Betriebsausgaben und welche Belastungen wir im Haushalt künftig im Bereich der Zins- und Tilgung schaffen. So hatte sich Dirk-Ulrich Mende das Ganze eigentlich nicht vorgestellt. Der 53jährige ist seit knapp einem Jahr Oberbürgermeister in Celle, der erste SPD-Mann seit 60 Jahren an der Spitze der Stadt. Mit viel Enthusiasmus und Gestaltungswillen hat er sein Amt angetreten, wollte ehrgeizige Projekte umsetzen, doch die Wirtschaftskrise hat Mende einen Strich durch die Rechnung gemacht. Neben der Hafenanlage muss er ein weiteres Großprojekt stoppen. Der städtische Bauhof, wo Gartengeräte und Straßenkehrmaschinen lagern, muss eigentlich dringend saniert werden. Die Gebäude gelten als einsturzgefährdet, ein komplett neuer Bauhof müsste her. Doch die zehn Millionen Euro, die dafür nötig sind, gibt der Haushalt derzeit einfach nicht her. MENDE Mit der Konsequenz, dass Fahrzeuge, weil sie im Freien stehen, natürlich nicht so ein lange Haltbarkeit haben wie wenn wir sie vernünftig unterstellen könnten, mit der Konsequenz, dass die Aufenthaltsräume, dass die Möglichkeiten, sich vorzubereiten, deutlich schlechter sind, als wenn wir vernünftig aufgestellt werden. Man hat seit ungefähr acht, neun Jahren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertröstet. Jetzt stehen wir vor der Situation, dass wir es eigentlich kaum noch verschieben können, die kriegen wir aber in diesem oder auch im nächsten Jahr nicht über die Bühne. Der ebenso dringend nötige Neubau der Feuerwehrhauptwache wird die Stadt Celle jedoch realisieren, obwohl auch dafür eigentlich kein Geld da ist. Erst mals lässt sich die Kommune auf eine öffentlich-private Partnerschaft, PPP genannt, ein: Mithilfe eines Investors, der die rund 16 Millionen Euro Baukosten übernimmt und das Gebäude später der Stadtverwaltung verpachtet. MENDE Das bedaure ich ein Stück weit, weil das bedeutet natürlich auch immer, dass ich jemanden als privaten Partner mit dazu suchen muss und der hat natürlich auch immer ein wirtschaftliches Interesse und das heißt auch immer, ein Interesse, Geld zu verdienen. PPP als glückseligmachende Lösung sehe ich jedenfalls nicht. Aber sie ist eine Möglichkeit, über die wir sozusagen eine Verschuldung realisieren können, ohne, dass sie unserem Haushalt richtig weh tut. In der Krise muss man kreativ werden, sagt Mende, der in Celle auch als ehrgeiziger Langstreckenläufer bekannt ist. Dass die Stadt auf das Engagement ihrer Bürger setzen kann, zeigt, dass das Theater, die Volkshochschule und ein Schwimmbad von Vereinen getragen wird. Gerne hätte das Stadtoberhaupt auch mit einem sogenannten Bürgerdarlehen die Celler um eine Finanzspritze für die leere Kommunenkasse gebeten, doch da hat die Finanzaufsicht Nein gesagt. Der Oberbürgermeister setzt jetzt wie viele seiner Kollegen auf die Gemeindefinanzreform, die die Bundesregierung angekündigt hat. Die Kommunen brauchen dringend verlässliche Einnahmen. MENDE Wir haben kein Ausgabenproblem, wir haben ein Einnahmenproblem. Und das muss jetzt endlich mal gelöst werden.