Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 10. Oktober 2015 / 11.05 – 12.00 Keltern gegen die Krise – Die neue Generation italienischer Winzer Mit Reportagen von: Sarah Zerback Am Mikrofon: Britta Fecke Musikauswahl und Regie: Babette Michel Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar – Trailer Mod auf Musik Mod.: Kurz vor der Ernte sind die Winzer häufig im Berg: O-Ton: ... „ Quindi c’ha questa colorazione quasi ramata…Also die hier ist ja fast schon Kupferrot. Sieh mal, das ist die richtige Reife. Man pflückt die Trauben, zerquetscht sie und misst dann, wie viel Zucker sie enthalten, wie viel Säure und auch den PH-Wert, dann weiß man, ob sie reif sind.- “ Mod:...und wenn sie dann noch gut sind freut sich der römische Weinhändler:  O-Ton: ....„ Rispetto ad altri settori secondo me il vino ha sofferto complessivamente meno...Im Vergleich zu anderen Branchen hat der Weinsektor meiner Meinung nach insgesamt weniger gelitten. Wein getrunken wird immer.“ “ Mod.: Gesichter Europas: Keltern gegen die Krise – Die neue Generation italienischer Winzer Mit Reportagen von: Sarah Zerback Am Mikrophon begrüßt sie Britta Fecke. 1. Mod Die Landstraße von Sienna nach Montalcino trägt den Namen eines der besten Weine Italiens: Strada del Brunello. Sie schlängelt sich durch die lieblichen Hügel der Toskana - viele von ihnen mit Reben bestockt - bis in den Ort, wo die teuersten Spitzenweine des Landes angebaut und gekeltert werden. Der Brunello aus Montalcino wird ausschließlich aus einer einzigen Rebsorte, der Sagniovese hergestellt, auch das unterscheidet ihn von anderen Nobeltropfen aus dem Bourdaux oder dem nah gelegenen Chianti. Atmo: kurz hoch kommen und als Zäsur stehen lassen Der Ruhm des Weines brachte Arbeit und Geld in diese abgelegene Idylle. Fast jeder der rund 5000 Einwohner lebt in Montalcino vom Wein- Anbau oder Handel. Bis in die Sechziger Jahre haben hier nur elf Winzer den Brunello gekeltert, heute sind es über 200, die auf der verhältnismäßig kleinen Fläche von 2000 Hektar die beliebten Sangiove-Trauben anbauen. Die Familie Baricci hat den Boom des Brunello von Anfang an mitgeprägt. Ihr Wein gehört zu den bekanntesten und besten der Region. Drei Generationen leben auf dem Weingut am Hang des Monte Amiato zwischen Traditionen, Expansion und mit einem Skandale um gepanschten Wein. Autorin 1: Ein Küsschen links, eins rechts und noch eine herzliche Umarmung hinterher. Wer den Bariccis so zuschaut, könnte meinen, sie seien eine Ewigkeit getrennt gewesen. Dabei waren die Eltern von Francesco und Federico nur übers Wochenende verreist. Hier in Montalcino, im Herzen der Toskana, leben sie alle unter einem Dach: drei Generationen Winzer. OT Francesco: „Io e mio fratello siamo praticamente nati e cresciuti qua…Ich und mein Bruder sind hier im Weingut praktisch geboren und aufgewachsen. Dazu muss man sagen, dass weder mein Großvater noch unsere Eltern uns jemals dazu gedrängt haben, mit in den Betrieb einzusteigen. Das war eine freie Entscheidung, die wohl jeder getroffen hätte, der auch nur ein wenig an unsere Geschichte in Montalcino denkt. Ihre Leben – das meines Großvaters, von Nello Baricci und das vom Brunello di Montalcino – die verlaufen parallel. Meiner Meinung nach hätte nur ein Verrückter diesen Weg verlassen. Nachdem zwei Generationen vor ihm soviel getan haben, den Familiennamen groß zu machen. Für uns ist Weinbau sehr viel mehr als ein Geschäft. Für uns ist das eine Frage der Ehre...Per noi produrre vino é molto piú di fare business. Per noi produrre vino é una questione di orgoglio.“ Autorin 2: Francesco Buffi ist der Enkel von Nello Baricci, einem der Gründungsväter der Genossenschaft des berühmten Brunello. Der 33–Jährige, Dreitagebart, Tricolore auf dem schwarzen T-Shirt, Sonnenbrille im dunklen Haar, winkt in Richtung Küchenfenster. Dort, hinter der Fensterscheibe des rustikalen Steinhauses, steht sein Großvater, hebt die linke Hand zum Gruß und schiebt die rechte unter den Hosenträger. Mit seinen 94 Jahren fällt es ihm immer schwerer, die Stufen am Eingang zu nehmen. Viel lieber begrüßt er seinen Enkel im Wohnzimmer, erzählt von längst vergangenen Zeiten, bei einer Tasse starkem Caffé. OT Nello und Francesco: „Io sono stato in vigna da ragazzetto che facevo la seconda, il mio babbo m’insegna a pulire le viti...„Seit der zweiten Klasse habe ich viel Zeit im Weinberg verbracht, da hat mein Vater mir beigebracht die Rebstöcke zu putzen. Das war nicht wie heute, also damals hatten wir nur einen Spaten, kein technisches Gerät. Nur einen Bottich auf der Schulter, barfuß waren wir und wenn es kalt war hat mein Vater nur gesagt: Arbeite schneller, dann wird dir warm! Francesco: Und ihr ward auch barfuß, um die Trauben zu pressen!? Nello: Selbstverständlich!“ ...Francesco: Cioè per pigiare l’uva con i piedì. – Nello: Certo per pigiare con i piedi, eh!“ Autorin 3: Das Wohnzimmer ist hell – trotz der schweren, dunklen Holzmöbel. Dafür sorgt ein bodentiefes Panoramafenster, das den Blick auf die mittelalterliche Burg des Bergstädtchens freigibt und auf die Weinstöcke, von denen er viele eigenhändig eingepflanzt hat, damals vor fast 50 Jahren. Jetzt habe er nicht mal mehr die Kraft, eine Flasche zu entkorken, sagt Nello Baricci grinsend, so dass sein letzter verbliebener Zahn aufblitzt. 2010 sei er deshalb endgültig in Rente gegangen. OT Nello und Francesco: „Io era vecchio non capivo piu niente e allora hanno deciso...„Ich war alt und habe nichts mehr verstanden, deshalb haben sie entschieden – Federico, Francesco, meine Tochter Graziella, Pietro – den Betrieb zu übernehmen und darüber bin ich froh. Denn sie haben ihn nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar sehr verbessert. Francesco: Was heißt das schon, verbessert!? Die Dinge, die du gemacht hast, die kann man heute gar nicht mehr machen, Opa. Du warst es doch, der hier etwas Wertvolles erschaffen hat... Nello: Ja, das was hier alles passiert ist, das kann man gar nicht alles erzählen, da müsste man ein ganzes Buch schreiben! Francesco: Oh Madonna, ein ganzes Lexikon!...Francesco: Oh madonna, un’enciclopedia.“ Autorin 4: Während Francesco einen Löffel Zucker in seinen zweiten Kaffee rührt, kommt sein Großvater auf ein eher dunkles Kapitel zu sprechen. Seine Miene verdüstert sich, als er sich an den großen Skandal von 2008 erinnert. In der Presse auch Brunellopoli oder Brunellogate genannt. Weil sich damals nicht jeder der etwa 200 Produzenten in der Region an die strengen Regeln zur Herstellung halten wollte, geriet der Wein weltweit in Verruf. Sie mischten andere Sorten bei, statt der erlaubten 100 Prozent Sangiovese-Trauben. Auch wenn diese Krise längst überstanden ist, nimmt es den 94-Jährigen noch immer sehr mit, der sein Lebenswerk in Gefahr sieht. OT Nello und Francesco: „Io a un certo punto mi sono pentito di aver aiutato a fondare il consorzio...Irgendwann habe ich bereut, die Genossenschaft mitgegründet zu haben. Als der Skandal losging, da habe ich zu mir selbst gesagt: Es wäre besser gewesen, ich hätte erst gar nicht aufgebaut, was jemand anders dann so ruiniert. – Francesco: Aber warum weinst du denn? – Nello: Ja, nach all der Energie und Kraft die wir da reingesteckt haben, da betrügen die uns. Jemand versucht da einfach die Spielregeln zu ändern. Aber wie können Sie das wagen? Nach allem was wir geschaffen haben! Wenn es den Brunello nicht gäbe, dann würde Montalcino doch nicht mal auf der Landkarte existieren.“...Se non era per il Brunello, Montalcino non esistereva neanche più nella carta geografica.“ Autorin 5: Die Familie wird das Werk des Großvaters fortsetzen. Die Brüder Francesco und Federico im Verkauf und der Produktion, ihre Eltern vor allem im Marketing. Doch jetzt ist es vorbei mit der Arbeitsteilung, jede Hand wird am Berg und in der Kellerei gebraucht. Dort steht eine eher ungeliebte Aufgabe an. Noch etwa 500 Flaschen Rosso di Montalcino warten auf ihr Etikett. Jede Flasche muss einzeln auf das kurze Förderband gestellt, jede Kappe per Hand aufgesetzt werden. Den Rest übernimmt dann die Maschine, an deren Ende Federico die Flaschen wieder auf die Palette sortiert. An der Wand hinter ihm hängt ein großformatiges Schwarzweiß-Foto, das die Familie in dem Jahr zeigt, in dem Nonno Nello in den Ruhestand gegangen ist. Viel verändert habe sich seitdem nicht, sagt Francesco. Wein zu machen, das bedeute hier noch immer es so zu machen wie der Alte Baricci. Erfolg haben sie damit weltweit. Aber vor allem deutsche Kunden lieben den Wein der Bariccis. Nicht selten kommen die direkt persönlich vorbei – das 5000 Einwohnerörtchen Montalcino zieht jedes Jahr rund 1,5 Millionen Touristen an, darunter viele Deutsche. Autorin 6: So wie Elke und Peter Kopp aus dem Schwarzwald. Sie stehen vor der Vitrine im Weinkeller der Familie und bestaunen die zahlreichen Auszeichnungen. Liebevoll pustet Francesco den Staub von den drei „Tre-Bicchieri-Gläsern“ – der Preis des Weinmagazins Gambero Rosso – im Jahr 1983 noch aus echtem Glas. Man kennt sich, scherzt, das Ehepaar ist schon zum dritten Mal hier und hat seinen Lieblingswein extra telefonisch vorbestellt. OT Elke: „Wir konnten nicht so viel reservieren weil der Brunello 2010 sehr limitiert ist und es ist ein sehr kleines Weingut auch. Und ich denke wir hatten im Juni reserviert 12 Brunello und 18 Rosso und ich hoffe, die bekommen wir auch.“ Autorin 7: Das tun sie. Beladen mit fünf Kisten Rotwein stapfen sie zum Auto. Es sind 30 von etwa 13.000 Flaschen Brunello und 18.000 Rosso die Montalcino, die die Bariccis jedes Jahr herstellen. Die Konkurrenz produziert ein Zehnfaches davon. Aber darauf käme es ihnen nicht an. Nicht das Weingut soll groß sein, sondern der Name. Lachend schlägt Francesco ein Buch auf, zeigt auf ein altes Bild seines Großvaters. OT Francesco: „I clienti tedeschi lo chiamavano „Il papa di Montalcino“...Die deutschen Kunden haben ihn immer „Den Papst aus Montalcino“ genannt. Wenn man ihn in den Achtziger Jahren in Papstmontur nach Rom gebracht hätte, dann hätten ihn alle mit dem echten Johannes Paul verwechselt. Damals sahen sie identisch aus. Und ich erinnere mich noch an die Sonntagsessen mit der ganzen Familie, wenn da im Fernseher das Angelusgebet gesprochen wurde, habe ich immer gerufen: Opa, dein Bruder! Er war der Papst aus Montalcino. Großartig!“... dicevo: Nonno, il tuo fratello! Era il papa del Montalcino. Bellissimo!“ LITERATUR 1 Anmod : Mario Soldati war ein italienischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur in seinem Roman „Vino al vino“ liefert er ein poetische Trinkanleitung: „ Der Wein ist wie die Poesie, die besser schmeckt, wenn man sie wirklich versteht. Erst wenn man das Leben studiert, die anderen Opern, den Charakter des Poeten, wenn man der Umgebung nahekommt, in der er geboren wurde, seiner Erziehung, seiner Welt. Die Erlesenheit des Weines ist gerade die, dass er nie ein zusammenhangloses, abstraktes Objekt ist, das beurteilt werden kann, wenn man nur ein Glas davon trinkt, oder zwei oder drei von einer Flasche, an dessen Herkunftsort man nie gewesen ist. Wann fängt man endlich an zu verstehen, dass dem Wein zuallererst eine künstlerische oder quasi künstlerische Behandlung zukommen muss, weit vor einer industriellen oder kommerziellen? Dass er ein lebender und fantastischer Organismus ist? Der sich jeder allzu starren Regel entzieht? Der leidenschaftlicher, sorgfältiger, persönlicher Zuwendung bedarf? Und der, vor allen Dingen, niemals, unter keinen Umständen, nur ein Konsumobjekt ist? Aber ach, was höre ich heutzutage? Was erzählt man mir nun? Wein für die Massen? Der Wein ist doch die Poesie der Erde, besonders in Italien. Und die Poesie richtet man nicht auf die Massen aus.“ 2. Mod.: Im Mezzogiorno, der unterhalb von Rom beginnt, lebt knapp ein Drittel der Italiener. Und das Leben in Kampanien oder Kalabrien ist - im scharfen Kontrast zur Schönheit der Landschaft - hart. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in den süditalienischen Regionen bei 60 Prozent. Arbeit gibt es hier, wenn überhaupt, nur in der Landwirtschaft, nennenswerte Industrieanlagen oder Handwerksbetriebe sucht man im Süden Italiens vergebens. Zwischen 2000 und 2013 ist das Bruttoinlandsprodukt in der Region nur um 13% gewachsen. In Griechenland war es doppelt so viel. Wegen dieser Wirtschaftsentwicklung verlassen die meisten jungen Italiener den Süden. Doch einer ist zurück gekommen, ausgerechnet wegen „la crisi“. Atmo: kurz hoch kommen lassen und als Zäsur stehen lassen Der ehemalige Manager Giovanni Ascione hatte in den ersten vierzig Jahren seines Lebens nichts mit Landwirtschaft oder Weinbau zu tun, doch als die Aufträge ausblieben erinnerte er sich an die Schönheit Kampaniens und kehrte zurück. In seiner alten Heimat begann er etwas ganz neues: er produzierte im Alleingang Biowein, jedes Jahr ein paar tausend Flaschen. Das Ergebnis ist mehrfach Preisgekrönt: Autorin 1: Sichtlich angestrengt wuchtet Giovanni Ascione einen dicken Schlauch auf seine Schulter, schließt ihn an die Pumpe an und steckt eines der Enden in eine offene Plastikwanne. Der 51-Jährige tauscht seine Gummistiefel gegen FlipFlops, und wischt sich den Schweiß von der braun gebrannten Stirn. Er hat ein paar anstrengende Tage hinter sich, ein Mann, ein Wein, so lautet sein Motto. Nur heute hat er ausnahmsweise Unterstützung. Zwei Nachbarn sind vorbeigekommen. OT Giovanni: „La cosa divertente è che io ho bisogno di persone per il rimontaggio all’aria... Für mich ist das eine schöne Abwechslung heute, weil all die anderen Remontagen, das Umpumpen des Weines, die mache ich alleine. Während der Gärung acht Mal am Tag, am Morgen, am Mittag und am Abend, klettere ich alleine die Leiter hoch und runter. Deshalb ist es für mich schön, dass ich das mal nicht alleine machen muss...mi sento coccolato perché posso condividere l’esperienza.“ Autorin 2: Der Ein-Meter-Sechzig-Mann klettert auf die drei Meter hohe Leiter, versenkt den rechten Arm tief in einen riesigen Edelstahltank, der bis zum Rand mit rotem Traubenmost gefüllt ist. 5000 Liter fasst er. Erst gestern hat Giovanni geerntet – eine Hauruckaktion, bevor die Sonne die Trauben zu reif werden lässt. Für Mitte September ist es mit 36 Grad selbst in Kampanien ungewöhnlich warm. Davon ist hier in der gut klimatisierten Kellerei allerdings nichts zu spüren. Mit einem langen Stab rührt der Winzer in der Masse, die einmal Wein werden soll. OT Giovanni: „Intanto é molto semplice perché faccio un solo vino...Zunächst mal ist das sehr einfach weil ich ja nur einen Wein mache. Ich habe ein kleines Weingut, zweieinhalb Hektar auf einem Hügel zwischen der Provinz Casserta und Benevento gelegen. Hier in Kampanien produziere ich diesen einen Wein „Sabbie di sopra il Bosco“. 7000 Flaschen. Und das ist mein einziger Sohn...7000 bottiglie, e questo é il mio unico figlio.“ Autorin 3: Getauft hat er ihn auf den Namen Nanni Copé, sein Spitzname aus Kindheitstagen. Seine roten Shorts geben den Blick frei auf ein ausgeblichenes Tattoo an der linken Wade. Es zeigt einen stilisierten Schützen, sein Sternzeichen und mittlerweile auch das Etikett seines Weines. Unter dem Logo prangt sein Motto: Una vita, tante vite. Ein Spiel mit den Worten Leben und Weinrebe, die im Italienischen identisch sind. Und ein Verweis darauf, dass er sein jetziges Herzensprojekt erst relativ spät für sich entdeckt hat. OT Giovanni: „Il mio nonno...Damals war mein Großvater der größte Produzent in der Gegend. Allerdings hat das rein gar nichts mit meinem kleinen Abenteuer hier zu tun. Das heißt, ich habe in den ersten 40 Jahren meines Lebens absolut nichts mit Weinproduktion zu tun gehabt. Ich hatte andere Jobs, habe an einer Uni studiert, die dich auf die Arbeit in den Achtzigern vorbereitet hat, als Manager. In einer Zeit, die sehr aufstiegsorientiert war – wir haben das damals Rampantismo genannt in den Achtzigern. Und ich war ein Produkt dieser Zeit... Io ne ero uno dei prodotti.“ Autorin 4: Doch auf den Aufstieg folgt der Fall. Als die Krise kommt im Jahr 2007 entschließt Giovanni sich sein Glück in der Weinbranche zu suchen. Er hat da schon einige Erfahrung als Weinkritiker sammeln können, schreibt freiberuflich vor allem über ausländische Weine, kommt viel rum, bis er schließlich in seine Heimat zurückkehrt, nach Castel Campagnano, einen 5000 Einwohnerort in der Nähe von Neapel – bekannter für seinen Büffelmozzarella als für seinen Wein. 2008 erntet er zum ersten Mal seine Pallagrello-Nero-Trauben. Wein zu machen, das hat er sich selbst beigebracht. Mit einer 50 Zentimeter langen Plastikpipette zieht er die rote Flüssigkeit hoch – gerade in den ersten Tagen der Gärung ist die regelmäßige Kontrolle sehr wichtig. Im Jahr produziert er in Eigenregie etwa 7000 Flaschen. Leben kann er davon nicht, auch wenn sein Wein schon mehrfach preisgekrönt wurde und sich gut verkauft. Parallel arbeitet er deshalb seit ein paar Jahren als Marketingexperte für eine NGO, die Freunde auf Sizilien ins Leben gerufen haben. Unter dem Namen „Terra Libera“, bewirtschaften sie dort unter anderem Ländereien, die der italienische Staat aus den Händen der Mafia konfisziert hat. Obst und Gemüse baut die Kooperative an. Auch Wein mit dem Namen Centopassi – für den Quereinsteiger ein besonders wichtiges Projekt. OT Giovanni: „Centopassi viene da un film...Centopassi, einhundert Schritte, das haben wir aus einem Film. Das ist ein Film, der die Geschichte von Peppino Impastato erzählt, der in einem der ersten freien Radios auf Sizilien gearbeitet hat. Er hat den Mund aufgemacht gegen die Kriminellen in seinem Ort und wurde daraufhin von der Mafia ermordet, von einem Mafiaboss, der genau einhundert Schritte von seinem Haus entfernt gewohnt hat. Eine besonders brutale Geschichte, die uns alle sehr geschockt hat. Und da haben wir uns gedacht, wir geben unserem Wein einen Namen mit Symbolwert... E allora abbiamo pensato di dare un nome simbolico.“ Autorin 5: So gerne er von dem Projekt erzählt, über die Probleme, die damit verbunden sind, spricht er nicht gerne. Über die Drohungen, die Verwüstungen und Beschädigungen. Angst, dass auch sein Weinberg der Mafia zum Opfer fallen könnte hat er nicht. Auch weil Sizilien und seine Heimat rund 700 Kilometer trennen. OT Giovanni: „Se c’era un incendio...Ob es nun hier ein Feuer gab, oder dort einen Diebstahl ist nicht wichtig. Wir sind heute stärker als zu Beginn, wir geben vielen Personen Arbeit, bestimmt 200 bis 250 Familien insgesamt. Deshalb denken wir nicht an diese kleinen Zwischenfälle... Non pensiamo alle cose piccole.“ LITERATUR 2 Moderation: Natürlich hat Goethe Italien geliebt, aber dem Süden war er schier verfallen, wie dieser Auszug aus der Italienischen Reise belegt: „Man sage, erzähle, male, was man will, hier ist mehr als alles. Die Ufer, Buchten und Busen des Meeres, der Vesuv, die Stadt, die Vorstädte, die Kastelle, die Lusträume! Ich verzieh es allen, die in Neapel von Sinnen kommen, und erinnerte mich mit Rührung meines Vaters, der einen unauslöschlichen Eindruck besonders von denen Gegenständen, die ich heute zum ersten Mal sah, erhalten hatte. Und wie man sagt, dass einer, dem ein Gespenst erschienen, nicht wieder froh wird, so konnte man umgekehrt von ihm sagen, dass er nie ganz unglücklich werden konnte, weil er sich immer wieder nach Neapel dachte. Ich bin nun nach meiner Art ganz stille und mache nur, wenn´s gar zu toll wird, große, große Augen... Plinius im fünften Kapitel des dritten Buchs seiner „Naturgeschichte“ hält Kampanien allein einer weitläufigen Beschreibung wert. „So glücklich, anmutig, selig sind jene Gegenden“, sagt er, „dass man erkennt, an diesem Ort habe die Natur sich ihres Werks erfreut. Denn diese Lebensluft, diese immer heilsame Milde des Himmels, so fruchtbare Felder, so sonnige Hügel, so unschädliche Waldungen, so luftige Berge, so ausgebreitete Saaten, solch eine Fülle von Reben und Ölbäumen, so edle Wolle der Schafe, so ein Reichtum von durchwässernden Flüssen und Quellen, so viele Meere, so viele Hafen! Die Erde selbst, die ihren Schoß überall dem Handel eröffnet und, gleichsam dem Menschen nachzuhelfen begierig, ihre Arme in das Meer hinausstreckt. Ich erwähne nicht die Fähigkeiten der Menschen, ihre Gebräuche, ihre Kräfte und wie viele Völker sie durch Sprache und Hand überwunden haben. Von diesem Land fällten die Griechen, ein Volk, das sich selbst unmäßig zu rühmen pflegte, das ehrenvollste Urteil, indem sie einen Teil davon Großgriechenland nannten.“ 3 Mod: Wer in Rom nach einer guten Flasche Wein sucht, findet sie garantiert bei Trimani. Die älteste Weinhandlung Roms ist seit 1821 durchgehend in Familienhand, auch wenn sie mehrmals innerhalb der Stadt umgezogen ist – von der monumentale Engelsburg in die Nachbarschaft des Hauptbahnhofes. Geschadet hat es nicht, die Römer sind ihrer Weinhandlung gefolgt, auch weil Trimani wohl den größten Bestand der Stadt hat. Atmo: kurz hoch kommen lassen und als Zäsur stehen lassen Anfang der Neunziger hat die Familie expandiert und gleich nebenan noch eine Weinbar mit demselben Namen eröffnet, um das Konzept des Aperitivo, das bis dahin nur in Norditalien bekannt war, in der italienischen Hauptstadt zu etablieren. Heute wird Trimani von den Geschwistern Paolo, Francesco, Carla und Giovanni geführt, auch sie haben die Krise gespürt, aber Schokolade und Wein haben besonders in schlechten Zeiten Konjunktur: Autorin 1: Zielsicher nimmt Francesco Trimani eine Flasche Chianti aus dem Regal, präsentiert sie dem Kunden wie eine Trophäe und gerät ins Schwärmen. Es ist einer von rund 4000 Weinen aus denen in der Weinhandlung Trimani gewählt werden kann. Die meisten davon stapeln sich in dem römischen Palazzo bis unter die fünf Meter hohen gewölbten Decken. Und was hier nicht lagert, können Francesco und sein Bruder Paolo bestellen – vorausgesetzt, sie wissen ungefähr, wonach sie suchen sollen. OT Paolo: „La questione è che molto spesso le richieste che arrivano dai nostri clienti sono...Die Frage die von unseren Kunden sehr oft gestellt wird, ist: Ich hätte gerne einen Pinot Noir aus dem Jahr 2012 aus Central Otago, Neuseeland. – Sehr schön, verraten Sie mir den Namen? – Naja, den mit dem grünen Etikett. – Bis wann brauchen Sie ihn? – Bis heute Abend. – In solchen Fällen ist das natürlich ein bisschen schwierig, aber wir tun unser Bestes. Ja, solche Situationen erleben wir doch ziemlich häufig...Però è un tipo di situazioni che viviamo abbastanza.“ Autorin 2: Paolo Trimani – 48 Jahre alt, dunkle Haare, dunkler Dreitagebart, das weiße Hemd spannt etwas über dem Bauch – steht hinter der Kasse. Gemeinsam mit seinen drei Geschwistern leitet er das Traditionsgeschäft in achter Generation, organisiert den Einkauf, berät Kunden und muss auch überlegen, wie er mit kniffligen Situationen umgeht, Retouren zum Beispiel. OT Paolo: „E’ un argomento che oggi mi sta particolarmente a cuore perché mi hanno ridato una bottiglia di Montrachet del 2007...Das ist ein Thema, das mir heute besonders ans Herz geht, weil gerade eine Flasche 2007er Montrachet zurückgegeben wurde. Der Kunde sagte, dass er oxidiert ist und ein bisschen nach Kork schmeckt. Sagen wir mal, das wir heute einen ordentlichen Schlag ins Gesicht bekommen haben, denn die Flasche kostet mehr als 500 Euro. Tja, das passiert. Wein ist eben keine Cola, deshalb kann es da auch Variationen geben, Mängel und Fehler von Flasche zu Flasche. Kommt vor... Il vino non è appunto coca cola, per cui possono esserci, variazioni, difetti da bottiglia a bottiglia. Succede.“ Autorin 3: Man sieht es den Flaschen nicht an, ob ihr Inhalt fehlerhaft ist, egal wie schön sie präsentiert werden. Um das Risiko zu minimieren, sorgt die Klimaanlage hier dafür, dass die Temperatur auch in den heißen italienischen Sommern nie über 16 Grad steigt. Besonders teure, besonders sensible Flaschen lagern dafür wohl temperiert hinter dickem Glas. OT Paolo: „La bottiglia che vendiamo al prezzo più basso sta intorno ai 3 euro...Die günstigste Flasche gibt es bei uns für etwa drei Euro. Die teuerste Flasche hat im Moment gar keinen Preis. Denn den Preis des Produzenten können wir nicht nehmen, der ist einfach zu hoch. Das ist eine Flasche Brunello Biondi Santi 1891, der zweite Jahrgang den der Großvater von Franco Biondi Santi damals abgefüllt hat. – Ich: Für den Preis kann man sich wohl ein Auto kaufen!? – Paolo: Sogar ein großes! - Si compra una macchina per questo prezzo? – Paolo: Beh, una macchina grande.“ Autorin 4: Soviel will dieser Römer nicht ausgeben. Er folgt der Empfehlung und lässt sich sechs Flaschen Chianti für je acht Euro in rotes Packpapier einwickeln, so dass sie aussehen, wie kleine Weihnachtsgeschenke. Weine aus der Toskana und dem Piemont gehen hier am häufigsten über die Ladentheke, aber auch Ligurien und die Abruzzen sind sehr beliebt. Darunter vor allem die großen Klassiker wie Brunello, Barolo oder Barbera. Autorin 5: Doch die Geschwister Trimani verkaufen inzwischen nicht nur Wein. Im Eingangsbereich haben sich Touristen gesammelt und fragen in einer Mischung aus Italienisch und Englisch nach dem Weg in die gleichnamige Weinbar. Auch die gehört seit Anfang der Neunziger Jahre zum Familiengeschäft – selbes Gebäude, separater Eingang, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs Termini. Chef sein, Wein verkaufen, studiert hat er das nicht. Er sagt von sich selbst, das sei ein bisschen wie bei Obelix gewesen, der als Kind in den Zaubertrank gefallen ist: Die Arbeit mit Wein wurde den Geschwistern in die Wiege gelegt. Auch wenn er keine wirkliche Wahl gehabt habe, mache ihm die Arbeit Spaß und sie sei zudem besonders krisenfest. Das habe sich besonders in der Finanzkrise gezeigt, die Italien zu einem der Wackelkandidaten der Eurozone gemacht hat. OT Paolo: Rispetto ad altri settori secondo me il vino ha sofferto complessivamente meno...Im Vergleich zu anderen Branchen hat der Weinsektor meiner Meinung nach insgesamt weniger gelitten. Wein getrunken wird immer, aber das Kaufverhalten unserer Kunden hat sich insofern verändert, dass viele zwei statt drei Flaschen kaufen, und jetzt eher zehn als fünfzehn Euro pro Stück ausgeben. Sicher haben auch wir deshalb unsere Aufmerksamkeit beim Einkauf eher auf geläufigere Weine gelenkt, für den täglichen Genuss, zu relativ niedrigen Preisen. Und so bieten wir unter vier Euro ein gewisses Spektrum an, nicht besonders groß, aber dafür von extrem guter Qualität, sehr ausgewählt... però estremamente qualificata, molto selezionata.“ Autorin 6: Es ist ein verhältnismäßig ruhiger Donnerstagabend. Etwa die Hälfte der fünfzehn Tische ist besetzt. Auch die Touristen aus den USA haben den Weg in die Weinbar mittlerweile gefunden, auf dem Tisch vor ihnen ein Reiseführer, aufgeschlagen die Seite mit der Trimani-Empfehlung. Die beiden Ehepaare mittleren Alters kommen aus Arizona, bestellen Brunello di Montalcino für 35 Euro die Flasche. Dazu haben sie Käse, Schinken und Salami bestellt. Aperitivo – ein Ritual, das erst vor etwa 20 Jahren aus dem Norden Italiens, aus Mailand und Turin, in die Hauptstadt importiert wurde. OT Paolo: „Vendere una bottiglia di vino era come vendere un vestito chiuso dentro una scatola...Eine Flasche Wein zu verkaufen, ist wie ein Kleid zu verkaufen, das noch in der Verpackung steckt. Ohne die Möglichkeit es anzuprobieren, den Stoff zu sehen. Und so entstand 1991 die Idee unsere Weinbar zu eröffnen, um den Wein direkt probieren, direkt leben zu können. Zu der Zeit existierte der Aperitivo noch nicht wirklich in Rom. Wein hat man damals nur zu den Mahlzeiten getrunken, am Tisch. Der Aperitivo wurde geboren weil sich der Lebensrhythmus der Menschen verändert hat. Letztlich steckt dahinter ein sehr soziales Element. Wenn ich alleine Zuhause bin, dann ist es sehr schwierig mir eine Flasche Wein aufzumachen. Ich trinke draußen, ich trinken in Gemeinschaft... Bevo fuori, bevo insieme.“ 4. Mod: 95 Prozent aller italienischen Betriebe (und von ihnen gibt es immerhin 1,6 Millionen) sind Familienunternehmen. Designer, Landwirte, Hoteliers oder Winzer, verberben ihre Werkstätten, Höfe und Rebflächen schon seit Generationen an ihre Töchter und vor allem an ihre Söhne. Atmo: kurz hoch kommen lassen und als Zäsur stehen lassen Wein - zumindest die Produktion - ist Männersache. Das war in Italien schon immer so und gilt auch noch im Jahr 2015. Mit wenigen Ausnahmen wie dem Weingut Cinelli Colombini im Herzen der Toskana, hier wird Wein sogar ausschließlich von Frauen angebaut, geerntet, gekeltert und vermarktet. Die Wurzeln der Adelsfamilie reichen Jahrhunderte zurück, aber erst im Jahr 1998 hat Donatella Cinelli Colombini ihr Erbe dafür eingesetzt, den männlich, dominierten Weinmarkt aufzumischen. Langsam übergibt die 62-Jährige die Geschäfte an ihre Tochter. Jung, weiblich, Winzerin – eine immer noch ungewöhnliche Kombination: OT Violante: “La Toscana é molto, molto bello la fare in moto soprattutto le colline...Die Toskana ist sehr, sehr schön wenn man mit dem Motorrad unterwegs ist, vor allem die Hügel, die Straße, die nach Siena führt, die Tonlandschaft, das ist ein tolles Panorama. Viele kommen hier mit dem Motorrad an.“ Autorin 1: Sagt´s, schirmt die Augen mit der Hand ab und lässt den Blick über Weinberge, Olivenhaine und Zypressen schweifen. Auf dem Motorrad saß Violante Gardini selbst schon lange nicht mehr. Dafür bleibt der jungen Winzerin keine Zeit. Die 31-Jährige sieht wesentlich jünger aus als sie ist. Weil sie das weiß, aber nicht mag, kleidet sie sich bewusst seriös: weiße Bluse, Perlenschmuck, dunkler Blazer. Unter der glühenden Sommersonne der Toskana, stapft die Winzerin im Business-Look über das Weingut der Familie und erklärt stolz, was die hier rund um den eigenen Wein geschaffen hat – einen eigenen Mikrokosmos. OT Violante: “Questo é un posto dove intanto il cliente si rilassa totalmente...Das ist hier ein Ort, an dem sich die Gäste komplett entspannen. Wir haben drei Pools, der Weinkeller ist immer offen für ein Glas Wein, wir haben ein Restaurant, eine Kochschule, ein Wellnessbereich, um das ganze Jahr über beherbergt werden zu können...una scuola di cucina, la spa, per accogliere in qualunque momento del anno.“ Autorin 3: Das Weingut ist schon seit dem 16. Jahrhundert in Familienbesitz. 1998 hat es ihre Mutter geerbt und restauriert, traditionelle Rebstöcke gepflanzt, die in dieser Region fast vergessen wurden. Atmo “Questo é un borgo del 1500……Das ist ja hier eine Burg aus dem 15. Jahrhundert… Autorin 4: Während Violante ihre Besucher durch lange Flure führt, vorbei an imposant verzierten Wänden, Kunst und Alltagsgegenständen aus dem Mittelalter, die hier wie in einem Museum ausgestellt sind, folgt ihr Felix auf den Fuß. Der Golden Retriever so groß wie ein Kalb, droht die zierliche Frau immer wieder umzurennen. OT Violante: “Queste é la sala degli stemmi…Und das ist der Wappensaal. Und gleichzeitig das Wohnzimmer meiner Eltern. Und auch er ist hier zuhause, weil er abends bei uns ist. All die Wappen, die man hier sieht, sind von den Familien, denen die Burg mal gehörte...Und das hier ist das Zimmer wo Leopold der Zweite, quasi unser König in der Toskana, untergekommen ist, in diesem Flügel, der jetzt komplett restauriert wurde, hat er geschlafen. Man sagt, dass er ein leidenschaftlicher Hobby-Jäger war, ein Playboy, der viele Geliebte hatte. Wir vergeben das Zimmer immer an Paare auf Hochzeitsreise, weil es das schönste ist, was wir haben, komplett mit Fresken verziert…Aber gut, vielleicht sollten wir denen die Geschichte von Granduca lieber nicht erzählen, mit all seinen Affären…Di fatto peró non devono al messaggio del Granduca perché lui insomma invece ci portava l’amante…” Autorin 5: Violante Gardini kann stundenlang über die traditionsreiche Geschichte der Adelsfamilie erzählen, kennt jeden Winkel des Hauses genau und spricht leidenschaftlich, immer lächelnd und wild gestikulierend über die Vorzüge ihrer preisgekrönten Rotweine. Seit sieben Jahren arbeitet sie in dem Familienbetrieb, ist dort zuständig für das Marketing und den Verkauf. Doch so klar vorgezeichnet, wie ihr Weg jetzt scheint, war er nicht. OT Violante: “Mi piaceva sempre il vino…Wein, das hat mir schon immer gefallen, war aber lange nicht meine Leidenschaft. Das hat gedauert. Aber siehe da, ich habe mich dann selbst davon überzeugt, dass es das ist, was ich machen möchte. Ohne, dass mir das irgendjemand vorgeschrieben hätte...Senza nessuno che mi dicesse questo o quello devi fare.” Autorin 6: Ihre Ausbildung begann mit einer Weltreise. Violante hat Weine auf der ganzen Welt gekostet, an den berühmtesten Wein-Universitäten gelernt – in Bordeaux, Montpellier, Kalifornien – und bringt dieses Know-How jetzt in das Unternehmen ein. Der Wein trägt nun ihre Handschrift. Und der Keller auch. Das alte Gewölbe hat sie mit modernen, bunten Möbeln eingerichtet, bietet hier auch Verkostungen speziell für ein junges Publikum an. OT Violante: „Chi viaggia con gli occhi chiusi é perduto...Wer mit geschlossenen Augen reist, ist verloren. Ob Kanada, USA, wo ich hinfahre, um mir Weingüter anzuschauen - da hat jedes einzelne ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Und da ist es für mich das Schöne, diese Ideen mit nach Hause zu nehmen als Inspiration für das Geschäft und den Weintourismus hier. Das ist auch gut, denn wer hier ankommt, der will ein Erlebnis haben...Perché l’appassionato che arriva in cantina vuole vivere un’esperienza.“ Autorin 7: Während in der Küche schon das Abendessen für die Gäste vorbereitet wird – hausgemachte Pasta, Wildschweinbraten, toskanische Spezialitäten, die gut zum schweren Rotwein der Familie passen – sieht die Matrone der Familie nach dem Rechten. Donatella Cinelli Colombini setzt ihre auffällige rote Brille auf und schaut interessiert in die Töpfe. Dann bestellt die 62-Jährige eine Platte mit Antipasti und sucht sich ein schattiges Plätzchen auf der Terrasse. Gestern erst ist sie von einer Geschäftsreise aus Brasilien zurückgekehrt. Die Klimaanlage im Flieger hat ihr die Stimme geraubt. Es hält sie nicht davon ab zu erzählen, was ihr so wichtig ist: Ein Weingut zu schaffen, das ausschließlich von Frauen geleitet und bewirtschaftet wird. Dabei war das anfangs gar nicht geplant. OT Donatella: “Avevo bisogno di un cantiniere, perché io non sono un enologo…Ich brauchte einen Kellermeister, weil ich selbst keine Önologin bin. Also habe ich bei der Weinfachschule in Siena angerufen, ob sie einen tüchtigen Studenten für mich haben. Und die haben mir dann gesagt, dass das nicht möglich ist, dass man da mindestens ein Jahr auf der Warteliste ist. Und dann habe ich gefragt, ob sie denn eine Studentin für mich haben, eine Frau. Und da sagt der: Klar, da haben wir viele! Und gibt mir eine ganze Liste mit Namen. Die Frauen wollte einfach niemand haben. Dieser Machismo ist so tief verwurzelt, dass man ihn gar nicht mehr wahrnimmt. Das ging mir auch so. Die Diskriminierung ist so stark, ich meine, Wein wird seit 8000 Jahren gemacht, immer von Männern. Und das war für mich dann als ob jemand das Licht anmacht.…E per me fu come quando si accende la luce.” Autorin 8: Seitdem kämpft sie für den Wandel – unter anderem als Vizepräsidentin des nationalen Verbands „Donne del Vino“. Ihr geht es um Gleichstellung – auf mehreren Ebenen: Bei der Produktion und beim Konsum. Weine von Frauen für Frauen. In der Welt des italienischen Weins sind Frauen so selten, dass es noch nicht einmal eine Statistik dazu gibt. Gerade in den Kellereien sind es laut Verbandsschätzungen höchstens acht Prozent. Mutter Donatella ist froh, mit Violante eine Nachfolgerin zu haben. Auch wenn sie glaubt, dass ihre Tochter noch nicht in ihre Fußstapfen passt – zumindest nicht ohne ihre Hilfe. OT Donatella und Violante: “Per loro non hanno l’illusione anche perché sono cresciute in aziende...Für die Generation ist das anders, auch weil sie in Weingütern aufgewachsen ist. Wenn du die einzige Tochter bist, dann hast du ja nicht gerade viel Konkurrenz. Wenn man sie nun auf den freien Markt geworfen hätte, dann wäre das was ganz anderes gewesen. – Violante: Weil dann die Männer meinen Posten übernommen hätten. – Donatella: Das ist sehr wahrscheinlich...Violante: Perché gli uomini avrebbero preso il mio posto. – È molto probabile.“ LITERATUR 3: Anmod: Der Dichter, Schriftsteller, Maler und Zeichner Robert Gernhardt hat unter anderem in der Toskana gelebt.  In Toscana mia“ aus dem Roman Toscanaglück“ versucht er sich der Schönheit der Landschaft anzunähern, mit Worten: „Nie in den mittlerweile 22 Jahren, die ich unterschiedlich lange hier verbrachte, ist mir derart deutlich geworden, was hiesige Landschaft, Architektur und Küche im günstigsten Fall gemeinsam haben und was das Reisen, Wohnen und Essen in der Toscana derart zum Genuss werden lässt: Die Beschränkung auf einige wenige Ingredienzien, die raffiniert und abwechslungsreich komponiert werden, ohne dass darüber die Suggestion geradezu elementarer Einfachheit verlorenginge. Die Landschaft setzt sich zusammen aus Hügel, Wald, Ölbaum, Weinfeld, Einzelbäumen wie Zypresse, Pinie, Eiche. Die Architektur variiert Kubus, Öffnung, Säule, Bogen, Treppe, Bruchstein, Ziegel, Pietra serena. Die Küche verwendet Fleisch, Öl, Hülsenfrüchte, Brot – das alles kann in Regelmäßigkeiten und Langeweile enden, mündet jedoch immer wieder in Epiphanien, die alle Mittelmäßigkeit vergessen lassen. Da schaut man dann durch den gebogensten aller Bögen auf den sinnfälligsten aller Landschaftsausschnitte und beißt gerade in das tomatigste Brot aller Zeiten.“ 5. Anmod: Auch die Abruzzen gehören zum Mezzogiorno, der Mitte Italiens. Und schon in der Antike schätzten die Römer den Wein der Region, seine Qualität wurde so hoch gepriesen, dass der Spruch: In vino veritas zu: In Abruzzo veritas geändert wurde. Vielleicht ging es aber weniger um die Wahrheitsliebe der Trinker als die Wahrhaftigkeit des Weines, der weder gepanscht noch verwässert war. Der Montepulciano d’Abruzzo ist wohl heute der bekannteste Wein der Region. Seine Reben hängen in der 150 km langen Küstenregion, zwischen Meer und Gletscher, in der hügeligen Zone des Weinanbaugebiets der Abruzzen. Atmo: kurz hoch kommen lassen und als Zäsur stehen lassen Die höchsten Umsätze werden in Italien noch immer in der Landwirtschaft erzielt und dort vor allem mit dem Weinabau. Im letzten Jahr füllten die Winzer Fässer und Flaschen im Wert von rund 1,8 Mrd. Euro. Sechs Prozent der gesamten Weinproduktion Italiens kommt aus den Abruzzen und dazu trägt „Citra“ einen großen Teil bei. Mit 25 verschiedenen Weinen und 18 Millionen Flaschen pro Jahr ist die Genossenschaft eine der größten Weinproduzenten Italiens. Anbau, Keltern, Abfüllen – das läuft hier alles vollautomatisiert. Aber alles überlässt man bei Citra dann doch nicht der Technik: Autorin 1: Mit schweren Schritten trottet Lino Olivastri dem kleinen Traktor hinterher. Die fünf Hilfsarbeiter auf der Ladefläche des Anhängers sind hier, um bei der Ernte zu helfen, der Weinfachmann, um sich den diesjährigen Ertrag einmal aus der Nähe anzuschauen. Am Rebstock angekommen, pflückt er eine Traube, öffnet sie vorsichtig und steckt sie sich genüsslich in den Mund. OT Lino: „Quindi c’ha questa colorazione quasi ramata…Also die hier ist ja fast schon Kupferrot. Sieh mal, das ist die richtige Reife. Man pflückt die Trauben, zerquetscht sie und misst dann, wie viel Zucker sie enthalten, wie viel Säure und auch den PH-Wert, dann weiß man, ob sie reif sind.- Autorin: Mit bloßem Auge? - Nein, schön wär´s! Heute nicht mehr, also früher hat man das gemacht, vor langer Zeit. Aber jetzt gibt es dafür spezielle Geräte, die dir genau sagen, wann die perfekte Erntezeit ist... che ci dicono qual è l’epoca perfetta di vendemmia ottimale.“ Autorin 2: Lino Olivastri putzt die Hände an der Jeans ab und schiebt sich die verspiegelte Piloten-Sonnenbrille ins Haar. Er ist einer von 22 Önologen, die für die Genossenschaft Citra arbeiten. Gemeinsam sind sie dafür zuständig, das Bestmögliche aus den Trauben der insgesamt 3000 Winzer herauszuholen, die ihre Ernte an den Großbetrieb verkaufen. Fast alles läuft hier vollautomatisch und mithilfe modernster Technik. Nur bei der Ernte sieht die Arbeit noch aus, wie vor hundert Jahren. OT Lino: „Per il tendone purtroppo è tutto manuale, purtroppo o per fortuna…Weil die Reben hier so gepflanzt sind, dass sie ein Dach bilden, läuft hier alles manuell – leider oder zum Glück. Genauso wie das Beschneiden der Reben, das Ausdünnen der Blätter und Trauben. Ich muss sagen: Zum Glück, weil ich mir immer vorstelle, dass da 3000 Winzer, also 6000 Hände in der Luft sind, die den ganzen Tag lang pflücken. Das ist so schön! Ein so herrliches Bild, diese Handarbeit… E’ un’immagine stupenda pensare a questo lavoro manuale.“ Autorin 3: Die Erntehelfer teilen seine romantische Vorstellung nicht. Konzentriert schneiden sie im Sekundentakt Trauben und lassen sie in 50-Liter- Eimer fallen. Wenn sie voll sind, werden sie auf den Anhänger entleert. Im Schnitt zehn Stunden am Tag geht das so, für 40 Euro plus Kost und Logis. Alltag für Hilfsarbeiter wie den 37-jährigen Giorgio aus Rumänien. OT Giorgio: „13 anni che sono qui a fare la vendemmia…Ich bin seit 13 Jahren hier für die Ernte. Mit meiner Familie. Aber meine Frau arbeitet was anderes, nicht hier. Das ist eine schwere Arbeit, die kann man vielleicht mal für ein, zwei Tage machen als Frau. Für mich ist das okay. Auch der Wein ist gut. Früher habe ich den getrunken, aber jetzt nicht mehr. Vor zwei Jahren habe ich es mal übertrieben – und seitdem denke ich, das ist nichts für mich. Es reicht!...E allora ho pensato che questo non è per me. Basta.“ Autorin 4: Für Lino unvorstellbar. Sein ganzes Leben dreht sich um Wein. Er trinkt ihn gern, analysiert und optimiert ihn. Er hat Weinbau und Önologie studiert und sich seitdem auf Research und Development spezialisiert. In einem großen Weingut wie diesem werden Experten wie er gebraucht, denn hier bleibt nichts dem Zufall überlassen. Schon seit fast 20 Jahren ist er für den Großproduzenten im Einsatz; die Arbeit in kleinen Familienbetrieben hat ihn noch nie gereizt. OT Lino: „Qui hai molte opportunità, hai la possibilità di fare molta sperimentazione...Hier hast du viele Möglichkeiten, du kannst viel Experimentieren. Tatsächlich mache ich das hauptsächlich: Ich forsche, entwickle Neues, und dafür habe ich ein riesiges Gebiet zur Verfügung, viele externe Mitarbeiter und Kollegen, die mich dabei unterstützen, neue Produkte zu entwickeln, Nischen auf dem Markt zu erobern und neue kommerzielle Wege um Wein zu verkaufen...ad acquisire anche nicchie di mercato per seguire altre vie commerciali per poter vendere vino.“ Autorin 5: Im Gespräch mit dem Winzer fachsimpeln, draußen in der Natur, nah an der Traube – Lino genießt das sichtlich, ist hier ganz in seinem Element. Auch oder weil das nur einen kleinen Teil seiner Arbeit ausmacht. Die meiste Zeit des Jahres verbringt er in der Kellerei oder im Labor, um Methoden zu entwickeln um Pilze, Insekten und andere Störenfriede zu bekämpfen. Autorin 6: Als der Traktor so voll beladen ist, dass keine weitere Traube mehr Platz hat, macht sich Hilfsarbeiter Giorgio auf den Weg. Mit 20 km/h tuckert er zur nächstgelegenen Citra-Dependance, Lino rauscht mit seinem Fiat an ihm vorbei. Dort angekommen, sitzen bereits rund 20 Weinbauern auf ihren Traktoren und warten in der Schlange. Einer nach dem anderen fährt auf eine Bodenwaage. Eine Maschine, die einem Parkautomaten nicht unähnlich ist, spuckt den Bon aus, auf dem Gewicht und Lohn stehen. Viel ist es nicht, denn die Preis- und Kostenfrage ist in einem Betrieb, der viele Weine unter oder um fünf Euro anbietet, ständig präsent. OT Lino: „Abbiamo un rapporto qualità-prezzo molto vantaggioso...Wir haben ein besonders gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Und zwar weil wir in der Lage sind die Kosten zu drücken, unter anderem weil unsere Arbeiter in drei Schichten arbeiten, 24 Stunden am Tag und weil wir die Arbeitsschritte optimiert haben. So werden die Kosten abgefedert, quasi amortisiert und wir können auch in konjunkturell schwierigen Zeiten wie diesen einen Preis anbieten, den sich jeder leisten kann...si possa avere un giusto rapporto qualità prezzo per tutte le tasche.“ Autorin 7: Der Önologe zieht sich einen weißen Kittel über, den hier jeder tragen muss, der sich aus der Nähe anschauen möchte, wie 300 Flaschen pro Minute etikettiert und in Kartons verpackt werden, vollautomatisch. Sein Labor liegt ganz am Ende der Halle, die so groß ist wie ein Flugzeughangar. Lino lässt sich auf einen Drehhocker plumpsen, es war ein langer Tag. Mit seinem Kittel und all den Pipetten, Reagenzgläsern und Glaskolben um ihn herum erinnert der Önologe an einen Alchemisten. Hier tüftelt er an Weinen, die auf dem Markt den größtmöglichen Erfolg haben, die sowohl italienischen als auch internationalen Kunden schmecken. Und deren Geschmack zählt, in einem Betrieb, in dem Dreiviertel der Produkte ins Ausland exportiert werden. Nicht immer kann er Weine machen, die er selbst auch gerne trinken würde. Das sei der Nachteil, wenn man in einer riesigen Kooperative wie dieser arbeitet. Ein wenig Idealismus versucht er sich aber dennoch zu bewahren. OT Lino: „Il vino… per chi lo vorrei fare? Lo vorrei fare un po’ per tutti...Für wen möchte ich gerne Wein machen? Ein bisschen für alle! Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich möchte die anspruchsvollsten Gaumen mit denen in Einklang bringen, die – sagen wir – eher gewöhnlich sind. Einen Wein zu machen, der jeden Tag getrunken wird, von Jedermann ebenso wie von Experten, ich denke, das ist es wonach jeder Önologe strebt....sarebbe la cosa, penso il punto di arrivo di qualsiasi enologo.“ Gesichter Europas: Keltern gegen die Krise – Die neue Generation italienischer Winzer Mit Reportagen von: Sarah Zerback Musik und Regie: Ton und Technik Die Literaturauszüge las Ernst August Schepmann. 2