COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt - 25. April 2009 The Never Ending Tour Mit Bob Dylan in Erfurt und Saarbrücken Autoren: Susanne von Schenck und Nicolas Hansen Jingle "Deutschlandrundfahrt" Opener Musik. Darüber: O-Ton Collage 1. O-Ton: Trailer OT Jens Haase Ich glaube, dass Bob Dylan zwar ein Philosoph ist, der sei- ne Lieder uns geben möchte, aber gleichzeitig immer ver- sucht, der stranger zu bleiben, von dem man eigentlich nicht weiß, wer er wirklich ist. Musik kurz hochkommen lassen. 2. O-Ton: Trailer OT Stefan Morgenstern Der Mann hat einfach nicht aufgehört, er ist immer noch da. Und wenn er jetzt auf die Bühne geht, in jetzigem Alter, sagt man wow, das ist ja Wahnsinn, wie der drangeblieben ist. Musik kurz hochkommen lassen. 3. O-Ton: Trailer OT Matthias Gehler Man hat ja heimlich Westen gehört und gesehen und inso- fern spielte Dylan für uns ne große Rolle.... Dylan war im- mer mal wieder derjenige, zu dem man mal aufblickte, weil der was anderes gemacht hatte und quer schoss. Und das war gut. Musik kurz hochkommen lassen. 4. O-Ton: Besucherin Uns hat's super gefallen, seine verrauchte, versoffene Stimme, so wie so'n guter Whisky, genial. Musik kurz hochkommen lassen. Sprecher: "The Never Ending Tour - Mit Bob Dylan in Erfurt und Saarbrücken". Eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne von Schenck und Nicolas Hansen. Musik kurz aufblenden, dann unterlegen und blenden. 5. O-Ton: Ansage (Zusammenfassendes voice over) "Ladies and gentlemen please welcome the poet laureate of rock 'n' roll. The voice of the promise of the 60's counterculture. The guy who forced folk into bed with rock. Who donned makeup in the 70's and disappeared into a haze of substance abuse. Who emerged to find Jesus. Who was written off as a has-been by the end of the 80's, and who suddenly shifted gears releasing some of the strongest music of his career beginning in the late 90's. Ladies and gentlemen - Columbia recording artist Bob Dylan!" (geht über in Konzert) Autorin: Mit diesem Worten kündigt seit dem 15. August 2002 ein Bandmitglied die Konzerte von Bob Dylan an. So auch in diesem Jahr in Erfurt und Saarbrücken, zwei der Stationen auf der Never Ending Tour des Weltstars - und auch Stati- onen dieser Deutschlandrundfahrt. Atmo: Musik Konzert live kurz hoch geht über in Atmo Soundcheck Autorin: Erfurt, Messehalle, 14 Uhr. Soundcheck. Holger Schleicher ist technischer Leiter der Semmeltour Concerts, dem Veranstalter der Tour in Erfurt. Er ist dafür zuständig, daß die Abläufe von Bob Dylans Konzert organisatorisch und technisch funktionieren. 6. O-Ton: Holger Schleicher Er möchte natürlich einen exzellenten Sound haben, dafür hat er seine Fachleute mit auf Tour, die das garantieren. Aber ansonsten ist er nicht besonders zu behandeln oder stellt besondere Anforderungen gegenüber anderen Künst- lern, also vergleichsweise. Autorin: Vor vier Jahren kam Bob Dylan zum ersten Mal nach Er- furt. Johann Fuchsgruber, Chef der Erfurter Messe, war damals dabei. 8. O-Ton: Johann Fuchsgruber Im Extrem ist es so, wenn um 20 Uhr relativ pünktlich das Konzert los geht, dann ist der Künstler nicht viel früher im Gelände und während des Konzertes um 22 Uhr dann ist er auch sehr schnell wieder weg. Er hat in Erfurt eben eini- ge Male ins Publikum geguckt. Am Schluß war es so, dass er richtig mal die Mundharmonikas ins Publikum gehalten hat und das muß wohl ungewöhnlich gewesen sein. Autorin: Auch Jens Haase, Erfurter Streetworker, hat bereits 2005 das Konzert miterlebt und ist jetzt wieder gekommen. Der 44-jährige mit den langen braunen Haaren ist ein großer Dylan Fan - er hat über 700 Titel des berühmten Musikers gesammelt und kennt zahlreiche Texte auswendig. 9. O-Ton: OT Jens Haase Bob Dylan erzählt, und wenn Bob Dylan erzählt, erzählt er über das Leben, und er beschreibt das Leben. Und für meine Zwecke war es damals so, dass er mich verstand. Ich war schwerer Alkoholiker, ich war schwer Tabletten ab- hängig, und ich hörte Bob Dylan und mein Leben änderte sich. Das änderte sich nicht nur durch Bob Dylan, das än- derte sich auch durch ne Glaubenswandlung, die ich auch durch Dylan erlebt habe, der sich bekanntlich auch 1978 bekannt hat, dass er Christ ist. Diese Geschichten, die er erzählt, das sind schon Philosophien, an denen man auch festhalten kann. Ich würde aber nie in die Versuchung kommen und sagen, Bob Dylan hat gesagt und deswegen tu ich. Aber man kann lernen. Atmo: Musik kurz live geht über in Gabelstapler Vorbeifahrt danach Aufbau Autor: Saarbrücken. 430 Kilometer südwestlich von Erfurt. Hier wird die Crew in der kommenden Nacht, nach dem Konzert in Erfurt erwartet: mit 4 Sattelschleppern und 2 Luxusbus- sen. In der Saarlandhalle herrscht deshalb jetzt, am Sams- tagmorgen, schon konzentrierte Betriebsamkeit. 10. O-Ton: Hans-Dieter Hartig Gestern Abend war hier Hansi Hinterseer. Heut morgen haben wir die Halle im Prinzip schon komplett leer ge- räumt. Jetzt kommt hier noch die Tribüne weg... (Stimme bleibt oben) Autor: ... Hans-Dieter Hartig, stellvertretender Technischer Leiter der Saarlandhalle steht etwas erhöht auf einer der Tribü- nen der Halle und blickt hinunter in den leeren Innenraum. Er muss hier noch Stühle wegräumen, damit die Tribünen eingefahren werden können und der Innenraum dann Platz für 3000 Menschen hat. Bis die Sattelschlepper und Busse kommen, ist noch einiges zu tun. Musik Interpret: Bob Dylan Titel: She belongs to me Komponist: Bob Dylan Text: Bob Dylan LC/Best.- Nr.: Sony, LC 00162 Autorin: Die Deutschlandrundfahrt in Erfurt und Saarbrücken, mit Bob Dylan auf seiner Never Ending Tour. Zitator: "Als ich in Minneapolis zum ersten Mal nach meinem Na- men gefragt worden war, hatte ich instinktiv und ohne nachzudenken, einfach "Bob Dylan" geantwortet." Autorin: schreibt Bob Dylan in seinen 2004 erschienenen "Chronic- les", dem ersten Band seiner Autobiographie.1941 wurde dieser Bob Dylan als Robert Allan Zimmerman in Duluth, Minnesota, geboren. Wie kein anderer Künstler hat er die Rock- Folk- und Popmusik beeinflusst und eine ganze Generation mit seiner Musik und seinen Texten geprägt. Über fünfzig Alben sind von ihm erschienen, seit über zwanzig Jahren tourt er um die Welt - auf seiner Never Ending Tour. Bob Dylans Leben: eine Abfolge von ständigen Wandlungen und Variationen über die gleichen Grundthemen. Zitator "Songs sind wie Träume, die man wahr zu machen versucht. Sie sind wie fremde Länder, die man bereist." Autorin: so Bob Dylan in den "Chronicles". Er war noch keine 25 Jahre alt, da wurde er zu einer Symbolfigur des gesellschaftlichen Wandels der USA. Dem Gitarristen, Mundharmonikaspieler, Dichter und Sänger behagte dieses Image gar nicht. Als Protestsänger wollte er nicht gesehen werden und hat sich immer dagegen gewehrt, vor den Karren politischer Ideologien gespannt zu werden. Musik Titel: Mr. Tambourine Man Interpret: Bob Dylan Komposition/Text: Bob Dylan Verlag: Sony, LC-Nr. 00162 Autorin: Seine Songs werden in den bewegten 60er Jahren zu Hits: Mr. Tambourine Man, Blowing in the Wind, Like a Rolling Stone. Unzählige haben sie seitdem nachgespielt und nachgesungen.1965 tritt Bob Dylan auf dem Newport Folk Festival auf und spielt zum Entsetzen der Puristen elektrisch verstärkten Rock'n' Roll. Es hagelt Kritiken. Bob Dylan lässt sich nicht beirren. Mit der Folkmusik hat er abgeschlossen. Für den Künstler, der sich nie dem Mainstream angepasst hat, beginnt eine neue Phase. Mit seiner Band "The Hawks", später unter dem Namen "The Band" berühmt, geht er auf Tournee. Zitator: "Die Folkszene war ein Paradies gewesen, daß ich jetzt verlassen musste wie Adam den Garten Eden. Sie war einfach zu perfekt. In ein paar Jahren würde es Scheiße regnen." Musik Interpret: Bob Dylan Titel: Blind Willi McTell Komponist: Bob Dylan Text: Bob Dylan LC/Best.- Nr.: Sony , LC 00162 Autor: Im Saarland haben politische Lieder und Protestlieder eine lange Tradition. Nach dem ersten Weltkrieg wurde es 1920 vom Deutschen Reich abgetrennt und unter französische Verwaltung gestellt. 15 Jahre später, 1935, sollte es eine Volksabstimmung über den Status des Saarlandes geben. Hitler wurde nicht als Bedrohung wahrgenommen, und die Bevölkerung im Saarland stimmte für den Anschluss an das Deutsche Reich. Bertolt Brecht schrieb noch vor der Abstimmung das Lied "Haltet die Saar, Genossen!" Musik aufblenden dann Kreuzblende mit Atmo Demonstration. Autor: Die siebziger Jahre. Seit Jahren tobte der Vietnamkrieg, und die Stimmung richtete sich auch im Saarland gegen die Amerikaner. Nur wenige Kilometer von Saarbrücken entfernt liegt die US-Airforce Base Ramstein. Sie war damals Ziel von Ostermärschen und Antikriegsdemonstrationen. Gisela Ruge, damals 17 Jahre alt, erinnert sich. 12. O-Ton: Gisela Ruge: Bei mir war es so, dass ich Anfang der 70er, hab ich dann '71, '72 eine eigene Songgruppe gegründet, und wir haben uns vor allen Dingen gegen den Krieg in Vietnam engagiert, haben dann auch selbst Lieder geschrieben und sind dann auf die Straße gegangen damit, was da nicht immer für Zustimmung gesorgt hatte. Anfang der 70er war es auch so, dass grad im gewerkschaftlichen Bereich, Naturfreunde sich so viele so Singegruppen plötzlich nochmal entwickelt hatten, was dann aber so Mitte der siebziger irgendwie alles so bisschen so weggebrochen ist. Autor: 2007 wollte es Gisela Ruge noch mal wissen. Ist die junge Generation unpolitisch? Interessiert sie sich nicht mehr für politische Lieder? Verschiedene Gruppen aus dem Saarland riefen zu einem Bandwettbewerb auf - mit durchschlagendem Erfolg. Bewerbungen kamen aus dem ganzen Bundesgebiet. Einzige Bedingung war, dass die Texte in deutscher Sprache sein mussten. Musik Jelly Toast Anfang freistehen lassen, dann unterlegen. 13. O-Ton: Gisela Ruge Es hat ne saarländische Band gewonnen, nicht, weil wir das hier unterstützt haben, sondern wir hatten ne Jury, wo also Musikfachleute wie auch Menschen aus der Szene hier im Saarland aber auch aus Hamburg, ein Rapper, in der Jury gesessen hat, also eine ganz unabhängige Jury, die gesagt haben, diese Band aus dem Saarland, die hatten also die besten politischen und aussagekräftigsten Texte und das auch noch gut auf die Bühne gebracht. Musik Jelly Toast aufblenden, dann unterlegen. 14. O-Ton: Gisela Ruge Ich denke, dass wir da weiter machen sollten, um eine neue Protestlied- oder überhaupt Liedermacherebene im Saarland noch mal weiter zu entwickeln. Das war auch so der Ansatzpunkt nach dem Festival, dass wir gesagt haben, das war so gut, das werden wir auf jeden Fall im nächsten Jahr noch mal machen Musik Interpret: Bob Dylan Titel: Like a Rolling Stone (live) Komponist: Bob Dylan Text: Bob Dylan LC/Best.- Nr.: Sony, LC-Nr. 00162 15. O-Ton: Jürgen Kerth Die Gedanken waren auch in der DDR frei, was alles über den Äther kam. ...es gab schon allerhand Platten, die für 100 Ostmark gehandelt wurden, die sind wie wild kursiert... es gab viele Leute, die geglaubt haben, ihn verstanden zu haben. Er hat auch irgendwie so ein Lebensgefühl gestiftet, was mit Sandalen, Parka, Jeans verbunden war, was die Gammlerszene war. Die Ausstrahlung ist schon gigantisch. Musik Titel: Gloriosa Interpret: Jürgen Kerth Komponist und Texter: Jürgen Kerth Verlag: BMG, LC-Nr. 00055 Autorin: Jürgen Kerth aus Erfurt hatte von Kindheit an den Rhythmus im Blut und wollte nichts anderes als Musik machen. Als junger Mann war der Dylan-Fan mit seinen langen Haaren und der Gitarre ein Unangepasster, und auch heute sieht der über Sechzigjährige mit Bart, Wollmütze auf den ergrauten Haaren, in Jeans, hellem Jackett und beige karierten Schal nicht gerade wie ein Bankangestellter aus. (evt. Musik CD Kerth, Gloriosa unterlegen) Autorin: Woanders seien Weltkarrieren gelaufen, in der DDR seien sie verhindert worden, sagt Jürgen Kerth, und die Frustration über das politische System, in dem er den Großteil seines Lebens verbrachte, ist ihm auch zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer noch anzumerken. Für größere Plattenpressungen mit seiner Musik hätte damals angeblich das Material nicht ausgereicht, erzählt er, und seine Bands "Rampenlicht" und "Joker" seien immer wieder mit Auftrittsverbot belegt worden. Zu systemkritisch. 16. O-Ton: Jürgen Kerth Roland Michi - das war der Bassist - der hat sich das Leben genommen, der hat 1979 gesagt: Das russische Reich wird zerfallen wie das römische Reich, ich gebe denen noch zehn Jahre. Hat er aufm Tisch gestanden und hat das proklamiert. Also wir waren sehr politisch, sehr philosophisch veranlagt, in unserer Band. Autorin: In den sechziger und siebziger Jahren erlebte das politische Lied in vielen Ländern eine Blütezeit, so auch in der DDR. Joan Baez, eine der Leitfiguren des Protestsongs, kam 1966 nach Ost-Berlin, ein Jahr später trat Pete Seeger dort auf. Bob Dylan allerdings ließ auf sich warten. Erst 1987 gab er ein Konzert in Berlin-Treptow. Wie andere Musiker wurde auch er von offizieller Seite vereinnahmt. 17 . O-Ton: Reinhard Lorenz Diese Protestsonggeschichte, die er ja nie so hören wollte, noch nie sich so gesehen hat, da weiß man auch, dass es so nicht, die hat schon für uns, die wir damals sehr jung waren, die hat funktioniert. Er wurde quasi in eine Reihe gestellt mit und hat auch Einladungen in die DDR bekommen und diese Nähe wurde bewusst initiiert, ganz klar. Autorin: ...sagt Reinhard Lorenz vom Eisenacher Archiv für Jazz und Folkmusik, in dem auch ein Regal Bob Dylan gewidmet ist. Bücher von und über den Songpoeten stehen zwischen Leonard Cohen, Miles Davis oder Duke Ellington. 18. O-Ton: Reinhard Lorenz Seine frühen Lieder, die waren uns in der DDR genauso bekannt, wie die von Pete Seeger, der auch schon 90 wird in diesem Jahr. Wenn man an die frühen Auftritte von Bob Dylan im New Port Festival denkt, dann war er einfach eine wichtige Ikone. Nicht nur im Sinne von Musik,, sondern auch im Sinne von Wort, Ummantelung, einer gewissen Mystik, die wir gern genossen haben in der DDR. Damit haben wir uns Sehnsucht erschlagen, natürlich. Musik: evt. Musik All along the Watchtower, nur Intro bis 0.40 Autorin: Auf der Burg Waldeck im Hunsrück trafen sich ab Mitte der sechziger Jahre Liedermacher aus ganz Europa. Ungefähr zeitgleich entstanden in der DDR die sogenannten Hootenanny-Clubs, die ihren Ursprung in Amerika hatten. Der kanadische Folksänger Perry Friedman, der seit 1959 in Ostberlin lebte, versuchte, dieses zwanglose Singen und Vortragen von Liedern in der DDR zu etablieren. Zitatorin "Das Prinzip war, daß jeder auf die Bühne kommen konnte - eine tolle Zeit! Die meisten haben was von Bob Dylan gespielt, aber manche auch was von sich selber. Ich war 1966 18 Jahre alt, und ich wollte einfach singen, und es hat mir Spaß gemacht, aber politisch war für mich damals nur Vietnam ein Thema, 68 wurde das anders." Autorin: ...erinnert sich die Liedermacherin Bettina Wegner. Während einer kurzen Phase des ideologischen Tauwetters wurden die Hootenannies anfangs sogar staatlich gefördert. Mitte der sechziger Jahre war es mit dem Tauwetter dann auch schon wieder vorbei. Die "Hootenanny-Bewegung wurde, weil zu amerikanisch, kurzerhand in "Singebewegung" umgewandelt. Diese Singebewegung wurde weitgehend von der FDJ vereinnahmt. Das störte den Erfurter Musiker Jürgen Kerth. Er wollte damit nichts zu tun haben. 19. O-Ton: Jürgen Kerth Die 60er Jahre waren ganz schlimm in der DDR, die waren mit Repressalien größter Art verbunden. Unsere erste Band ist ... die Rampenlichter, die wurde wirklich auseinandergezerrt, auf Lebenszeit verboten, also richtig Freunde, die sich so mit 15, 16 gefunden hatten und losstarten wollten und auch schon eigene Kompositionen hatten. Die wurden auf Lebenszeit verboten, dass sie nicht mehr zusammen spielen können. Musik: Titel: Gloriosa Komponist und Texter: Jürgen Kerth Verlag: BMG, LC 00055 Autorin: Auch Matthias Gehler, heute stellvertretender Direktor des MDR Landesfunkhauses in Thüringen, hat an diese Jahre keine guten Erinnerungen. Der ehemalige Pfarrer und Liedermacher war schon während seines Theologiestudiums mit der Gitarre durchs Land getingelt und hatte regimekritische Lieder gesungen. 20. O-Ton: Matthias Gehler Natürlich hatte das Konsequenzen. Mir haben sie vier Räder vom Auto locker geschraubt. Ich habe es gerade noch rechtzeitig gemerkt auf der Autobahn. Oder eben da hat ich jemand gewarnt, ich soll das eine Lied nicht, das Lied "Grau" nicht singen. Und da hab ich bei dem einen Konzert - es waren etwas 1000 in der Kirche in Bad Elster - dann gesagt: und jetzt ein Lied für unsere Gäste. Ich hatte ein Ersatzlied gemacht und alles wusste, wer die Gäste waren... Aber das hatte ich sehr deutlich gesagt, dass man eigentlich zur Kultur dazugehört, dass man miteinander redet und dass wir das erwarten. Autorin: Und Bob Dylan? Der kam dann 1987 tatsächlich zu einem Auftritt nach Ost-Berlin. Die Erwartungen waren hoch. Wird Bob Dylan sich politisch äußern? Nein. Der Star leierte gelangweilt seine Songs herunter, würdigte das erwartungsvolle Publikum keines Blickes und verschwand sofort nach dem Konzert wieder. Sein Auftritt, so schien es, war für ihn eine lästige Pflichterfüllung. Matthias Gehler konnte es, wie viele andere, nicht fassen. 21. O-Ton: Matthias Gehler Vom Konzert war ich richtig enttäuscht. Ich hab gedacht, jetzt ist er das erste Mal im Osten, und jetzt sagt er was. Aber ich hab das erfahren müssen, was viele Dylan Fans auch zuvor erfahren haben, dass Dylan zu seinen Fans kaum spricht, dass er sehr launisch ist und dass er hat er richtig ausgelebt bei dem Konzert. Und die Musik, naja. Also nee, ich bin sehr enttäuscht weggegangen, hab mich dann erst später wieder eingekriegt bei ner Dylan Platte. Musik Interpret: Bob Dylan Titel: Ain't talking Komponist: Bob Dylan Text: Bob Dylan LC/Best.- Nr.: Sony, LC 00162 Autor: Die Saarlandhalle in Saarbrücken ist leergeräumt. 5000 Menschen sollen hier am Sonntagabend Platz finden. 3000 im Innenraum und 2000 auf den bestuhlten Tribünen. Die Bühnenbauer haben mit dem Aufbau begonnen. Mitten zwischen Kisten und Paletten mit Bühnenteilen steht ein Mann, der erkennbar nicht zu den Bühnenbauern gehört. Ihm gefällt, was er sieht. Er ist es, der Bob Dylan nach Saarbrücken geholt hat, er ist froh, dass es geklappt hat, und nun macht sich ein zufriedenes Lächeln in seinem freundlichen Gesicht breit. Rings um dieses Lächeln eine Wolke aus weißen Haaren, die Frisur - eine Mischung aus Beethoven und Boney M. Robert Leonardy ist künstlerischer Leiter der Musikfestspiele Saar. Alle zwei Jahre findet dieses Festival statt und das Konzert mit Bob Dylan eröffnet es in diesem Jahr. Robert Leonardy geht auf einen der Bühnenbauer zu. 23. O-Ton: Robert Leonardy Leonardy: Wie tief wird die Bühne sein? Bühnenbauer: 12 Meter tief. Leonardy: 12 Meter doch. Bühnenbauer: 18 mal 12. Leonardy: 18 in der Länge... Bühnenbauer: 18 breit, 12 tief. Autor: Er hatte gehofft, die Bühne sei halb so groß. - Der Basar ist eröffnet. 24. O-Ton: Robert Leonardy Leonardy: 10 reichen auch, oder? Müssen das... Bühnenbauer: Ich habs so gesagt gekriegt. Leonardy: Für uns ist es natürlich wichtig. Je nachdem wie tief die Bühne ist, können wir noch ein paar Karten in diese Ecke hier verkaufen. Autor: Doch es gibt strenge Vorgaben des Managements aus Amerika. Der Bühnenbauer telefoniert noch einmal, Robert Leonardy auch, doch es hilft alles nichts. Die Bühne wird aufgebaut, wie gefordert. Rechts und links der Bühne werden Seitenstoffe, sogenannte Sidewings, angebracht. Auf sie wird mit Licht ein Logo projiziert. Ein Vorgeschmack auf die Show am Abend. Atmo: rythmisches Klatschen, Bob Dylan Ansage verfremden (Hall, weit weg, dumpf) mit Aufbauatmo vermischen. Autor: Doch soweit ist es noch nicht. Draußen ist ein Geländewagen mit Anhänger vorgefahren. Ein Mann mit Lederweste, Zopf und zahlreichen Tätowierungen lädt Lebensmittel auf einen Handwagen. Natalie Klein überprüft anhand einer Liste alles auf Vollständigkeit. 25. O-Ton: Natalie Klein Da kommen drei Weißbrote, drei Graubrote, drei geschnittene noch mal extra Weißbrote dazu, verschiedene Baguettes, Croissants, Brötchen, kleine Kuchen. Das erst mal für über Tag. Diverse frische Früchte, frischen Salat, Champignons, Sie sehen 20 Liter frische Milch, es gibt frische Tomaten, Tomaten in der Dose, sieht alles gut aus. Halt alles in höheren Mengen hier vorhanden wie im persönlichen Haushalt. Autor: Natalie Klein ist Eventmanagerin. Sie hat hier das Heft in der Hand, sorgt nicht nur für das Catering, sondern morgen abend unterstehen der zierlichen jungen Frau auch die knapp 30 kräftigen Herren vom Sicherheitspersonal. Sie regelt den Einlass, teilt die Helfer ein, zahlt das Personal aus und hat ihre Augen überall. Bis der Abbau am Montag morgen abgeschlossen ist, fällt hier keine Entscheidung mehr ohne sie. Mit dem Catering ist sie schon mal zufrieden. 26. O-Ton: Natalie Klein Hier sehen wir, es wird Wert darauf gelegt, dass frische Joghurts da sind, viel frisches Obst da ist, viel frisches Gemüse auch da ist, es wird gekocht mit frischem Thymian, frischem Mangold, es muss frischer Ruccola im Haus sein. Also es sind schon hochwertige Lebensmittel eingekauft. Autor: Morgen früh wird sie die erste sein, die hier ist. Dann sind die LKWs da, und dann beginnt der Sound-Check in Saarbrücken. Atmo: Konzert in Erfurt evt. Atmo Dylan stellt Band vor, Applaus Autor: In Erfurt geht das Konzert zu Ende. Drinnen aplaudieren die Besucher noch, da stehen draußen die beiden Tourbusse bereits mit Licht und laufendem Motor. Die ersten Konzertbesucher verlassen gerade die Messehalle, da biegen die Busse mit Bob Dylan schon auf die Gothaer Straße und entschwinden in die Nacht. Atmo Menschenmenge am Ausgang 27. O-Ton: Collage Konzertbesucher: Es war ne sehr reife Musik und die Mischung ist natürlich bei Bob Dylan eben Wahnsinn. Er hat alle Nuancen drauf, es ist eben richtig gut. Es ist Weltmusik, es ist Literatur Nobelpreis plus gute Musik. singt vorab kurz Like a rolling stone Uns hat's super gefallen, seine verrauchte, versoffene Stimme, so wie so'n guter Whisky, genial. Es gibt so gewissen Dylan Pool. Wir reisen ja Dylan nach. Wir waren vorgestern in Hannover, gestern in Berlin, jetzt hier, morgen in München, dann in Saarbrücken und do geht's weiter. Und man trifft sich eigentlich vorher schon, damit man ja vorn in die erste Reihe kommt, muß man das machen. Es macht eine Menge Spaß. Vor der Konzert bekannte Gesichter, also die reisen alle nach und Publikum - ich hab bemerkt, sie werden immer jünger. Musik Interpret: Bob Dylan Titel: Lonsesome day blues Komponist: Bob Dylan Text: Bob Dylan LC/Best.- Nr.: Sony, LC 00162 Autorin: Die Deutschlandrundfahrt in Erfurt und Saarbrücken, mit Bob Dylan auf seiner Never Ending Tour im April 2009. Bob Dylans Leben und Werk ist von zahlreichen Brüchen und Wendungen durchzogen. Vom Publikum zwar kritisch betrachtet, stellen sie für den Künstler jedoch häufig eine Quelle der Erneuerung dar. Auch wenn es ab Mitte der 60er Jahre ruhiger um ihn geworden war - vergessen hatte man Bob Dylan keineswegs. Seine Comebacktournee Mitte der siebziger Jahre war spektakulär. Die Konzerte waren sofort ausverkauft. Aber die Kritiker bemängelten: Dylan bringe kaum neue Songs und verfremde altbekannte Lieder bis zur Unkenntlichkeit. Das macht der Künstler bis heute. Autorin: In eine schwere Schaffenskrise gerät Bob Dylan, als seine Ehe mit Sara Lowndes 1977 in die Brüche geht. Musik Titel: Sara Interpret: Bob Dylan Komposition und Text: Bob Dylan Verlag: Sony, LC-Nr. 00162 Wenige Jahre später sagt er, er habe den Zugang zu seiner eigenen Musik verloren und sei zunehmend uninspiriert. 1987 ist er am Tiefpunkt seiner Karriere. In den "Chronicles" schreibt er: Zitator. "... Monotonie hatte sich breitgemacht. Meine Auftritte waren reine Show, und die Rituale ödeten mich an. Selbst auf der Tour mit Tom Petty wirkten die Menschen in der Menge wie Pappkameraden in einem Schießstand. Ich hatte keine Verbindung zu ihnen - es waren einfach irgendwelche Gestalten. Ich hatte es satt - ich wollte nicht länger in einem Luftschloß leben. Es war Zeit aufzuhören.... (155ff)" Autorin: Bob Dylan hörte dann doch nicht auf. Im Gegenteil - er ist in den letzten Jahren so aktiv und vielseitig wie nie zuvor. O-Ton aus Radiosendung Autorin: Was Musik- und Radiofreunde besonders erfreut: wöchentlich moderiert Bob Dylan eine einstündige Radio- Sendung, herrlich nostalgisch und dabei gnadenlos modern. Jede Sendung ist einem bestimmten Thema gewidmet - Radio, Mother, Baseball, Wedding, Drinking, Coffee oder - Spring, Frühling. 29. O-Ton: Dylan Radio Autorin: "Ich ist ein anderer" hatte der von Bob Dylan verehrte französische Dichter ArthurRimbaud seinerzeit gesagt. Auch Bob Dylan erfindet sich immer wieder neu und zeigt die unterschiedlichen Facetten eines ungeheuer vielseitigen Künstlers. Im nächsten Monat feiert er seinen 68. Geburtstag. Musik Interpret: Bob Dylan Titel: Feel a change coming on Komponist: Bob Dylan Text: Bob Dylan LC/Best.- Nr.: Sony, LC-Nr. 00162 Autor: Im Gegensatz zu Bob Dylan sieht die Saarbrücker Band Jelly Toast sich sehr wohl in der Tradition des Protestliedes. Jelly Toast hat im letzten Jahr in Saarbrü- cken den Bandwettbewerb "Lauter Kritik" gewonnen. Ihre Musik: eine Mischung aus Ska, Reggae und Funk. Allerdings, gibt Gitarrist Marc Wartenpfuhl zu, höre er ganz gerne bei einem Glas Rotwein auch mal seine Bob Dylan CDs. 30. O-Ton: Marc Wartenpfuhl: Der Mann hat sich mit Sicherheit auch seine Gedanken gemacht, wie kann er mit seinen Texten, mit seinen Melodien Leute erreichen. Dasselbe machen wir eigentlich auch. Musik ist ein Sprachrohr, man erreicht mit Musik jemanden und man sollte auch das, was man denkt, was man spürt in der Musik auch so weitergeben. Ich denke, das hat er gemacht, das machen wir auch. Autor: Marc Wartenpfuhl sitzt im Wohnzimmer seiner gemütlichen Dachgeschosswohnung, irgendwo steht ein Wäscheständer, an der Wand hängt ein Poster von Amnesty International, am Tisch lehnt die Gitarre. Beim Bandwettbewerb sah es zunächst gar nicht so gut aus für Jelly Toast. 31. O-Ton: Marc Wartenpfuhl: Auf dem Endentscheid waren acht Bands mit ganz, ganz verschiedenen Musikrichtungen. Es waren sogar Leute von der Pop-Akademie aus Mannheim dabei, wo wir gesagt haben, boh, ja, das sind wohl die Profis. Letztendlich haben wir es doch geschafft. Ich glaube, wenn man etwas singt, wenn etwas wirklich so gemeint ist, wie man's meint, dann bringt man das anders rüber auf der Bühne. Wir waren alle angespannt auf der Bühne, aber wir haben gesagt, wir sind wegen dem Kritischen Lied da, wir müssen das so rüberbringen, wie wir das auch wirklich fühlen und das haben wir auch gemacht und wir haben gewonnen und wir waren auch total happy (lacht). War super. Atmo: Gitarre instrumental unterlegen. Autor: "Wir sind Schuld" heißt der Titel, mit dem sie gewonnen haben. Es geht um Globalisierung und Ausbeutung von Arbeitskraft. Marc greift zur Gitarre. Gesang aufblenden. Autor: Zu den Ur-Gesteinen des kritischen-, des politischen- und ganz allgemein des Volksliedes gehören die Zwillingsbrüder Hein und Oss. Sie sind jetzt über 80 Jahre alt. 32. O-Ton: Hein und Oss Der Begriff Politisches Lied ist ein relativ junger Begriff. Und das heißt, das politische Lied kriegt seine Macht in dem Moment, als das Volk seine Macht kriegt. Das heißt, das politische Lied wird erst eine Aussage mit der französischen Revolution. Wir haben im Bauernkrieg einige Bauernklagen, und aus den Klagen werden Anklagen und aus den Anklagen werden Forderungen. Oss: Dort, wo das Volk die Macht hat. Aber in dem Moment, wo die Deutschen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik ein Volk haben, das regiert, wird das politische Lied in Deutschland seinen Stellenwert erhalten und seine Position erreichen, wie es vorher nicht war. Autor: Schon in ihrem Elternhaus wurde viel gesungen. Die Mut- ter brachte den Brüdern Heiner und Oskar Kröher Volkslie- der bei. Später machten sie aus dem Hobby einen Beruf. Ihre künstlerische Karriere begann auf der Burg Waldeck im Hunsrück. Ab 1964 trafen sich hier jährlich zu Pfingsten Liedermacher aus ganz Europa. 33. O-Ton: Hein und Oss Die Atmosphäre war voller musikantischer und würd ich mal sagen poetischer-, wie aber auch Lagerfeuer und Lip- penstift dazugehört haben. Wir haben nachts ums Lager- feuer getanzt, wir haben ein paar Flaschen Wein getrun- ken, wir haben gesungen, gelacht. Autor: Die 60er Jahre, eine politische Zeit. Die Nachkriegsgenera- tion stellte die politische, kulturelle und wirtschaftliche Vor- machtstellung Amerikas in Frage. Politische Lieder arbeite- ten diese Stimmung auf. 34. O-Ton: Hein und Oss Oss: In den 60er Jahren, auf einmal kommt der Bob Dylan auch, der - (singt) "farewell Angelina, the bells of the crown, are stolen by bandits, I must follow the sound" oder The Times They Are A Changing, da hat er ja den jungen Amerikanern das ausgedrückt, was sie alle bewegt hat in einer großartigen Poesie, in einer wunderbaren Musikalität und in einer ganz einfachen Gitarre,... Hein: Und in alten, verlogenen Kitschaussagen,... Oss: den Boden unter den Füßen weggezogen. Er hat Na- turgitarre gespielt, die war nicht toll, dem Bob Dylan seine Naturgitarre. Aber sein Ausdruck war allen anderen - Hein: sein poetischer Ausdruck... Oss: ...und musikalisch - ...allen anderen überlegen. Und das hat ihn ja bis heute lebendig gehalten. Hein: Denn lieber Pete Seeger. Mir war der Gesang zu knartschig vom Bob Dylan. Musik Interpret: Bob Dylan Titel: Meet me in the morning Komponist: Bob Dylan Text: Bob Dylan LC/Best.- Nr.: Sony, LC-Nr. 00162 Atmo Studio Autorin: Erfurt, Schlachthofstraße 82. In dem großen Plattenbau, in dem bis zum Fall der Mauer ein Bekleidungskombinat untergebracht war, haben sich nun die Schräg-Kreativen von Erfurt niedergelassen: die Druckerei "Fehldruck", die Tischlerei "Konzeptlos", und Stefan Kerth überlegt, ob er sein Musikstudio statt "Ground Control" nicht lieber "Klangkombinat" hätte nennen sollen. Seit drei Jahren macht der 37jährige mit seinen Kollegen im Keller des Hauses ungestört Musik. 35. O-Ton: Stefan Kerth Wir leben davon. Es könnte besser sein, aber wir wollen nicht schimpfen. Autorin: sagt Stefan Kerth und grinst gut gelaunt. Musik: Musik im Studio drunterlegen Autorin: "Ground Control" ist genauso, wie man sich ein alternativ- kreatives Studio vorstellt: dicke, etwas abgewetzte Ledersofas stehen an der Wand, Aschenbecher sind über die Räume verteilt, die Kaffeemaschine gluckert, zahlreiche Mikrophone ragen in den Raum und an den Wänden hängen Plakate. evt. Musik hoch, wenn gute Stelle Autorin: Stefan Kerth und sein Freund Stefan Morgenstern machen schon seit ihrer Schulzeit zusammen Musik. Der eine spielt Gitarre, der andere Bass, beide singen. Bob Dylan? Er habe, so die beiden Stefans, eine Aura, weil er über Jahrzehnte die Musikgeschichte geprägt habe wie kein zweiter. Stefan Kerth hat sich allerdings nicht gleich mit Dylans Musik angefreundet. 37. O-Ton: Stefan Kerth Wenn man dann Bob Dylan hört als Kind oder junger Mensch, da klingt das erstmal ein bisschen schief. Die Stimme, da muß man erstmal ein Fan sein. Oder man muß ein einem gewissen Alter sein, dann hört man das und merkt, wie tief das auch geht. Der hat nicht umsonst diese Stimme, der möchte aus was aussagen, der möchte auch mal schimpfen oder meckern. Das versteht man dann auch. Als Kind verstehst du das nicht, als Erwachsener ja. Atmo Klanggerüst auf Atmo Probe Klanggerüst Autorin: Die Musiker, die in einer alten Villa im Erfurter Stadtteil Ilgersgehoven proben, sind meist Anfang zwanzig. Martin Jamuschek ist einer von ihnen. Der Student spielt Klavier und Saxophon. 38. O-Ton: Martin Jamuschek Wir sind im Klanggerüst Verein zur Förderung junger Künstler. Wir sind ein junger Verein, wir sind zwei Jahre alt und haben uns in Erfurt gegründet, um die Möglichkeit zu bieten für junge Menschen bzw. für Leute, die Musik machen wollen oder an Musik teilnehmen wollen, ne Plattform zu bieten, um das zumindest einmal die Woche das bei uns zu tun in Form einer Jamsession, das von einer lockeren Vereinigung, wo Leute sich treffen und ein bisschen Musik miteinander machen. Atmo Probe aufblenden. Autor/in: Bob Dylans Auftritt in Erfurt lässt die Musiker vom "Klanggerüst" völlig kalt. Der Name sagt den meisten zwar noch etwas, aber mit der Musik kann Martin Jamuschek nicht viel anfangen. In der Schule habe er mal "Blowin' in the wind" singen müssen, inspiriert habe ihn Dylans Musik jedoch nicht. 40. O-Ton: Martin Jamuschek Ich glaube ehrlich gesagt, dass die Art und Weise der Musik, die er gemacht hat, schon zu einer Zeit entstanden ist, wo ein bestimmter Reiz an dieser Musik war. Nicht nur ein Reiz an der Musik, sondern vor allem an den Texten. Ich glaube, dass dieser Reiz in der heutigen Zeit bei uns jungen Leuten nicht gesehen wird. Oder auch nicht der Bedarf da ist, mit Musik sich so auseinanderzusetzen, wie vielleicht das Leute damals gemacht haben, weil er gewisse Dinge anspricht, die wir heute gar nicht mehr so empfinden. Musik Interpret: Bob Dylan Titel: We better talk this over CD: Street Legal Track: Track 8 Komponist: Bob Dylan Text: Bob Dylan LC/Best.- Nr.: Sony, LC 00162 Autor: Es ist Samstagnachmittag, der Samstag vor dem großen Konzert von Bob Dylan in Saarbrücken, mit dem die Musik- festspiele Saar beginnen. Robert Leonardy, der am Vormit- tag noch die Saarlandhalle inspiziert hatte, sitzt im Winter- garten seines Hauses. Die Tür zum Garten steht offen, Robert Leonardy lächelt sein freundliches Lächeln und ge- steht das Unglaubliche: 41. O-Ton: Robert Leonardy Also ich hatte bis vor zwei Jahren von der Existenz von Bob Dylan nichts gewusst. Also der Name war mir schon bekannt, aber ich habe nicht einen einzigen Song, nicht ein einziges Lied von ihm gekannt. Autor: Robert Leonardy ist Pianist. Sein ganzes Leben hat er der klassischen Musik gewidmet. Von jungen Jahren an hat er geübt, gelernt, gelesen, studiert, gespielt und rechts und links kaum andere Musik wahrgenommen. 42. O-Ton: Robert Leonardy Erst nachdem mich ein Freund von mir darauf aufmerksam gemacht hat, dass das einer der wichtigsten Leute über- haupt-, er war für den Nobelpreis vorgesehen, - was Musik, was Texte, was Einfälle und überhaupt betrifft, das musst Du Dir einfach mal anhören. Und dann habe ich mir diese Dinge angehört und hab die natürlich versucht zu hören, wie ein ausgebildeter Musiker das hört. Da ist mir zunächst mal aufgefallen, dass er eine fast archaische Instrumenta- tion hat, also ganz, ganz wenig, ähnlich wie beim Streich- quartett. Da ist ne verstimmte Mundharmonika, die man zunächst mal hört und denkt "nanu, warum bläst der denn nicht sauber?", dann gibt's eine Gitarre und ein Schlag- oder Bass oder was immer da auch zugehört. Und dann kommt diese etwas merkwürdige Stimme, man ist manch- mal erstaunt, das ist ein Tenor ein schönes As singt und im Übrigen krächzt er und wenn er irgendwo bei den hohen Tönen, singt er fast immer zu tief. Autor: Liebe auf den ersten Blick hört sich anders an. Robert Le- onardy ist nicht nur Künstlerischer Leiter der Musikfestspie- le Saar, sondern auch Professor für Klavier an der Univer- sität Saarbrücken. Und als Intellektueller hat er doch noch einen Zugang zu Bob Dylan gefunden: erdig, publikums- nah, Musik aus dem Volk. 43. O-Ton: Robert Leonardy Wo kommt die Musik in aus Amerika her? Sie kommt ja nicht nur von den Emigranten aus Europa. Und wir haben dann festgestellt, dass in Amerika die musikalische Ent- wicklung konträr denen von Europa lief, denn in Europa ist die Musik an Höfen, in Kirchen oder in Klöstern entstan- den, entwickelt worden, das heißt, von der Intelligenz und vom damaligen VIP-Personal. Autor: Und in Amerika? 44. O-Ton: Robert Leonardy In Amerika ist das genau umgekehrt gewesen. Da gab's zunächst mal indianische Musik oder so was und dann gabs also irgendwelche Versuche von irischen Auswande- rern, von mexikanischen oder spanischen Eroberern, Be- siedlern. Das heißt es war immer das Volk, was eigentlich der Ursprung dieser amerikanischen Musik war. Und von daher ist diese Musik weniger intellektuell und mehr volks- tümlich, mehr bodenhaftig. Autor: Genau diese Gratwanderung hat Robert Leonardy auch bei den Musikfestspielen Saar in diesem Jahr vollzogen. Wäh- rend sonst in erster Linie Klassik auf dem Programm stand, liegt in diesem Jahr der Schwerpunkt auf Amerika. Zu Gast in Saarbrücken sind Jessy Norman, der Stimm-Virtuose Bobby McFerrin, David Garrett und der Jazz-Musiker Wyn- ton Marsalis. Und so hat der Professor für klassisches Kla- vier doch noch den Zugang zu dem archaischen, unsauber Mundharmonika spielenden Bob Dylan gefunden. Atmo: Rhythmisches Klatschen beim Konzert, Ansage Bob Dylan Autor: Sonntagabend, 18 Uhr. Noch zwei Stunden bis zum Kon- zert. Vor der Saarlandhalle steht eine unüberschaubare Menschentraube und wartet auf den Einlass. Sechs Kon- zerte hat Bob Dylan in diesem Jahr in Deutschland gege- ben. Ganz vorne in der Schlange am Eingang steht ein Ehepaar aus Belgien. 47. O-Ton: Konzertbesucher Wir stehen hier schon seit um 2 waren hier und wir kom- men von Brüssel. Wir sehen den Bob gerne zweimal. Er kommt bei uns in Brüssel 22. Und dann haben wir einen Ausflug gemacht für einige Tage in Saarbrücken, sehen wir ihn zweimal, sind wir wieder für ein Jahr glücklich. Autor: In Bob Dylan käme alles zusammen, sagt er. Folk, Coun- try, Chicago Blues, Rock. Und schließlich sei Bob Dylan noch einer der wenigen Künstler seiner Generation, die fast jeden Tag Musik machen würden. Und die beiden sa- gen, sie seien dankbar dafür. 48. O-Ton: Konzertbesucher Er sagt selbst, der einzige Platz, wo ich glücklich bin ist auf die Bühne. Und der einzige Platz, wo wir glücklich sind ist auf die erste Reihe, an die Füße von Bob. (lachen) Musik Titel: Mozambique Interpret: Bob Dylan Komposition und Text: Bob Dylan Verlag: Sony, LC 00162 Sprecher auf Intro: "The Never Ending Tour - Mit Bob Dylan, mit Susanne von Schenck und Nicolas Hansen in Erfurt und Saarbrücken". Seite 1 / 34