DEUTSCHLANDFUNK Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Karin Beindorff Dossier Die Entführungs-Legende oder wie kam Eichmann nach Jerusalem? Von Gaby Weber DLF/SWR 2011 Erstsendung Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, d. 04. März 2011, 19.15 - 20.00 Uhr Atmo: Radiomeldungen engl. und deutsch zu, Prozessbeginn Autorin: April 1961. In Jerusalem begann der Prozess gegen Adolf Eichmann, den Organisator der Deportationen in die NS-Vernichtungslager. Monatelang beherrschte er die Schlagzeilen der Weltöffentlichkeit. Knapp ein Jahr zuvor, am 11. Mai 1960 will der israelische Auslandsgeheimdienst den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann aus seinem Versteck in Buenos Aires entführt haben. Drei Mossadagenten, unter ihnen der Chef Isser Harel, schrieben Bücher über ihre "Heldentat". Die Weltpresse wiederholt bis heute ihre Version. Doch längst ist bekannt, dass Eichmanns Versteck schon Anfang der 50er Jahre aufgeflogen war. Was steckt also hinter den Legenden um die Entführung und den Prozess, haben sie tatsächlich nur mit den Verbrechen des Nationalsozialismus zu tun? War vielleicht Staatssekretär Hans Globke verwickelt - Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und Konrad Adenauers rechte Hand? Welche Beziehungen pflegten zu Zeiten des Eichmann-Prozesses Kanzler Adenauer und Israels Premier Ben Gurion? Welche Rolle spielten die wichtigsten Geheimdienste des Kalten Krieges, CIA und KGB? Warum werden Dokumente in diesem Fall geheimgehalten? Und gibt vielleicht es sogar einen militärischen Hintergrund? Seit Jahren haben mich diese Fragen umgetrieben. In Gesprächen und Archiven habe ich lange nach Antworten gesucht, den BND schließlich auf Herausgabe von Akten verklagt und man musste mir endlich - wenigstens teilweise - Einsicht in den Fall Eichmann gewähren. Musik Ansage Die Entführungs-Legende oder wie kam Eichmann nach Jerusalem? Ein Feature von Gaby Weber Musik Sprecher: Adolf Eichmann wuchs in Linz auf. Bis Juni 1933 arbeitete er bei der Vacuum Oil Company, die zum Rockefeller-Imperium gehörte. Dann zog er nach Nazi-Deutschland und machte als "Experte für Judenangelegenheiten" Karriere beim SD, dem Sicherheitsdienst der SS. Ab 1938 leitete er die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" in Wien. Und im Januar 1942 führte er Protokoll bei der "Wannsee-Konferenz", auf der die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen wurde. Eichmann übernahm ihre verwaltungstechnische Durchführung. Nach 1945 tauchte er unter, bis er sich 1950 mit Hilfe des Vatikans auf der sog. Rattenlinie nach Argentinien absetzen konnte. Autorin: Bis hierhin ist die Geschichte unumstritten. Was danach passierte, ist wenig oder gar nicht erforscht. Historiker haben bisher das Nazi-Exil und die Geldwäsche vom sog. 'Nazigold' kaum untersucht. Dabei hielten sich in Argentinien Tausende Nazis auf, von bis zu 50.000 ist die Rede. Sie wollten nur eine zeitlang bleiben und spätestens 1965 in die Bundesrepublik zurück. Mord verjährte damals nach zwanzig Jahren. In Südamerika wurden sie nicht nur geduldet, sondern sogar hofiert. Sprecher: Adolf Eichmann arbeitete an einem Großprojekt von Hochtief mit - dem Tunnel unter dem Rio Paraná, dann an einem Kraftwerk von Siemens und ab 1959 bei Mercedes Benz. Autorin: Der argentinische Präsident Juan Domingo Perón erhoffte sich von den deutschen Flüchtlingen technologische Fortschritte. Und die Niederlassungen der deutschen Firmen - allen voran Daimler-Benz - kauften sich mit ihrem während des Zweiten Weltkrieges versteckten Kapital im großen Stil am Rio de la Plata ein. Sprecher: Auch im Süden des amerikanischen Kontinents herrschte der Kalte Krieg. Die Geheimdienste von Ost und West beobachteten sehr genau, was das braune Exil dort trieb. Autorin Aber keiner wollte offenbar diese Leute vor Gericht bringen. Im Bundesnachrichtendienst waren bis in die höchsten Etagen ehemalige Nazis und Wehrmachtsoffiziere tätig. Die westlichen Dienste und selbst der KGB zogen es vor, die alten Kameraden für ihr eigenes Spionagenetzwerk zu benutzen. Einige Hinweise auf den Sumpf von Nazis und Spionen fand ich in den Akten des BND. Der deutsche Auslandsgeheimdienst verfügte in Argentinien über, so wörtlich, "mehrere gute Verbindungen." "Verbindungsmänner", V-Leute, Quellen. Auch US-Dienste hatten dort Informanten, laut Akten war einer von ihnen der Kriegsverbrecher Willem Sassen. Wo Adolf Eichmann war, erfuhr die CIA schon 1954. Aber an seiner Verhaftung hatte sie kein Interesse. Jedenfalls nicht 1954. Vier Jahre später - am 19. März 1958 - teilte der BND der CIA erneut seinen Aufenthaltsort und Decknamen mit. Eichmann war ins Fadenkreuz geraten. Wann genau seine Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst begannen, geht aus den BND-Akten nicht hervor. Wahrscheinlich Ende der fünfziger Jahre, als seine braunen Kameraden Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR knüpften. Musik Sprecher: Ab 1956 ließ sich Adolf Eichmann interviewen. Die Gespräche zogen sich über zwei Jahre hin, die Rechte an diesem Interview reservierten sich Eberhard Fritsch und Willem Sassen. Fritsch war in Argentinien Herausgeber des Naziblattes "Der Weg". Gegen ihn ermittelte die Staatsanwaltschaft Lüneburg wegen "Staatsgefährdung", der Verfassungsschutz überwachte ihn bei seinen Deutschland-Besuchen. Zitat aus den BND-Akten: Zitator: "Fritsch bietet deutschen Stellen das (Eichmann-) Material für 80 bis 100.000 DM an. Er hat einem zuverlässigen V-Mann Probeblätter in Ablichtung gezeigt." Sprecher: Führungsfigur des Nazi-Exils war Hans-Ulrich Rudel, hochdekorierter Stuka-Flieger im Zweiten Weltkrieg und Gründer des "Freikorps Deutschland", das den Kommunismus wie die Einbindung des jungen Bonner Staates in die NATO gleichermaßen bekämpfte. 1953 wurde das "Freikorps" auf us-amerikanischen Druck verboten. Rudel unterhielt - laut BND - Kontakte nach Ostberlin: Zitator: "Bei seinem letzten Deutschland-Besuch hatte Sassen engen Kontakt mit Rudel, von dem immer nachdrücklicher berichtet wird, dass seine politische Aktivität von Pankow beeinflusst wird. Es hat sich bestätigt, dass Sassen in Leipzig und Dresden war". Sprecher: Der niederländische SS-Offizier Willem Sassen war in Belgien zum Tode und in seinem Heimatland zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden. Allerdings fehlt mysteriöserweise in den Akten des Nationalarchivs in Amsterdam das Urteil. Zitator: "... wir wissen auch nicht, wie das geschehen konnte"... Autorin: ... teilte mir das Archiv auf Anfrage mit. Sprecher: Sassen saß bei Kriegsende in Haft und brach zweimal aus. Er landete mit falschen Papieren in Buenos Aires und schrieb für LIFE und den STERN. Regelmäßig erstattete er Rapport in der US-Botschaft. Zitator: "Sassen gilt als ein Mann, der auf zwei Schultern trägt. Man verdächtigt ihn, sowohl für "Gehlen" als auch für die Amerikaner tätig zu sein. Er hatte bisher keinen ordnungsgemässen Pass. Sassen erklärt, er arbeite für eine deutsche Organisation, über die er nichts sagen dürfe. Sie würde von einem bekannten deutschen General geleitet, der Name beginne mit G. Er sei kürzlich (1959) in Ostdeutschland gewesen. Sassen verfügt im Gegensatz zu früher über reichlich Geldmittel. Sprecher: Obwohl die Niederlande seinen Namen erst 1969 von der Fahndungsliste strichen, erhielt Sassen im Januar 59 einen bundesdeutschen Reisepaß. Wieso - das wollte später das Auswärtige Amt klären. Doch dem Amt teilte der BND seine Informationen nicht mit, sondern antwortete lakonisch: Zitator: "Zur Frage der Klärung der Staatsangehörigkeit des Sassen liegen hier keine Erkenntnisse vor". Sprecher: Das Bundesamt für Verfassungsschutz erwähnte zwar, dass Sassen der Waffen-SS angehört hatte. Aber: Zitator: "Anderen national-sozialistischen Organisationen gehörte er laut DC-Auszug nicht an". Autorin: DC bedeutet "Document Center", damals noch unter US-Verwaltung in Westberlin. Wie es der mehrfach verurteilte Kriegsverbrecher geschafft hat, von dort einen dienlichen Auszug zu bekommen, ist ebenso merkwürdig wie die Erteilung der bundesdeutschen Staatsbürgerschaft. Sprecher: Ein V-Mann des BND berichtet von den Gesprächen Sassens mit Eichmann. Zitator: "Ab Anfang 56 habe sich Eichmann breit schlagen lassen, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Das Material hat einen ursprünglichen Umfang von 3000 Seiten, nach Überarbeitung blieben 800 DIN-A-4-Seiten. Diese Fassung wird angeboten. Autorin: Die kompletten 3.000 Seiten befinden sich wohl in den Archiven der Geheimdienste. Im Koblenzer Bundesarchiv liegen Bruchstücke, durch mehrere Hände gegangen und zensiert. Sie klammern die Zeit nach 1945 fast vollständig aus. Der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, Adenauers Staatssekretär Globke, wird dort kaum erwähnt. In den BND-Akten hingegen finden sich etliche Hinweise darauf, dass sich Eichmann in der Originalversion ausführlich über Hans Globkes Beteiligung an der Juden-Vernichtung ausgelassen hatte: Zitator: "Erklärungen über einen angeblichen Briefwechsel zwischen dem Generalgouverneur (Polens) Hans Frank und Globke über das "zu weiche und unentschlosssene Auftreten" Eichmanns. Im Zuge der Endlösungsvorhaben sollen die Nürnberger Gesetze die Grundlage bilden. Die Hauptstücke des Materials beschäftigen sich wohl mit Globke und vielen anderen führenden Persönlichkeiten der Bundesrepublik." Musik Autorin: Drei Handlungsstränge ziehen sich durch den Fall Eichmann, seine Entführung und seinen Prozess. Handlungsstrang Nummer eins betrifft Adenauers Staatssekretär Hans Globke, gegen den der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer ermittelte und den Eichmann belasten konnte. Bauer war Jude, Sozialdemokrat und Antifaschist. Solche Leute waren damals im antikommunistischen Klima des Kalten Krieges verdächtig, die Aufklärung der deutschen Verbrechen lehnte die überwiegende Mehrheit strikt ab. Handlungsstrang Nummer zwei hat mit dem israelischen Interesse am eigenen, geheimen Atomprogramm zu tun. Und Handlungsstrang Nummer drei dreht sich um das Gipfeltreffen der alliierten Siegermächte am 16. Mai 1960 in Paris, wo die Zukunft Berlins und die Teilung Deutschlands besprochen werden sollte. Hochrangige Ex-Nazis versuchten durch Kontakte zu Geheimdiensten auf beiden Seiten des Kalten Krieges sich neu in Szene zu setzen. Musik Sprecher: Hans Globke hatte als Ministerialrat im Reichsinnenministerium dafür gesorgt, dass die von ihm kommentierten Rassengesetze auch gegenüber den Juden in den von der Wehrmacht besetzten Ländern "angewandt" wurden. Diese Menschen wurden in die Vernichtungslager deportiert, ihr Besitz eingezogen. Am 11. Februar 1959 erwähnte die "Neue Rhein Zeitung", dass Globke eine Rolle "im Fall Merten" spiele. Im April 57 war der Berliner Rechtsanwalt Max Merten, einst Militärverwaltungsrat in Saloniki, in Athen verhaftet und dort wegen Kriegsverbrechen angeklagt worden. 1959 wurde der Militärprozess in Athen eröffnet. Merten erklärte, dass er im Februar 1943 ihm bekannte Juden vor den Deportationen gewarnt habe. Er habe mit dem Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes, René Burkhardt, einen Rettungsplan entworfen. Zehntausend jüdische Frauen sollten auf Schiffen nach Palästina gebracht werden, die Lebensmittel für das Rote Kreuz transportiert hatten und im Hafen ankerten. Auf Burkhardts Bitte habe er ein Telegramm nach Genf geschickt. Die deutsche Botschaft hätte daraufhin den Rotkreuz-Mann des Landes verwiesen. Er jedoch habe sich mit dem Scheitern des Rettungsplans nicht abfinden wollen und sei nach Berlin, zu Adolf Eichmann, gefahren. Merten sagte aus: Zitator: "Eichmann war der Ansicht, dass er sich des Einverständnisses von Globke für eine Auswanderung nach Palästina versichern müsste (und) trug die Absicht des Roten Kreuzes Herrn Globke am Telefon vor. Er erhielt, wie ich aus den Gegenfragen schließen musste, eine schroff ablehnende Antwort. Nach Abschluss des Gesprächs (lief) Eichmann in seinem bescheidenen Dienstzimmer wie ein angestochener Stier hin und her und schimpfte fürchterlich auf die, wie er sich ausdrückte, "blöden Bürokratenhengste". Sprecher: Merten legte Beweismittel vor: das Telegramm an das Rote Kreuz in Genf, und Burkhardt bestätigte dem Gericht den Rettungsplan. Der Angeklagte habe ihm dabei geholfen. Autorin: Doch aller Entlastung zum Trotz: Merten wurde als Kriegsverbrecher zu 25 Jahren Haft verurteilt. Das Beispiel hätte Schule machen können, und die deutsche Diplomatie setzte alle Hebel in Bewegung, um das zu unterbinden. Wenige Monate nach dem Urteil wurde Merten nach Deutschland überstellt. Was dafür "geleistet" wurde, erklärte Botschaftsrat Gustav von Schmoller in seiner Zeugenvernehmung so: Zitator: "Als Ministerpräsident (Constantinos) Karamanlís zu einem Staatsbesuch nach Bonn reiste, bei dem über die wirtschaftliche Mithilfe der Bundesrepublik bei der Industrialisierung Griechenlands gesprochen werden sollte, legte Bundeskanzler Adenauer dar, dass die Angelegenheit (Merten) ihm sehr grosse Sorgen machte. Karamanlís versprach, um eine echte Bereinigung bemüht zu sein. Und auf dem Rückflug nach Athen (hat er sich) dazu entschlossen, Merten ohne Verfahren nach Deutschland zu überstellen." Autorin: Die Adenauer-Regierung zahlte. Zuerst eine Kredithilfe von 200 Millionen DM, dann eine Anschlussfinanzierung von 100 Millionen sowie eine "technische Hilfe" von fünfzehn Millionen. Sprecher: Wann Merten Generalstaatsanwalt Fritz Bauer das erste Mal traf, geht aus den Akten der Staatsanwaltschaft nicht hervor. Die Rede ist von "Frühjahr 1960". Bauer ermittelte schon länger gegen Adenauers rechte Hand, den Staatssekretär Hans Globke. Da kam ihm Mertens gerade recht. Denn Globkes Straftaten drohten zu verjähren, notierte Bauer. Autorin: Mertens Aussage alleine hätte für eine Anklageerhebung gegen Globke kaum gereicht. Bauer brauchte einen weiteren Zeugen, und das konnte Eichmann sein. Der Generalstaatsanwalt kannte schon seit 1957 Eichmanns Wohnort in Argentinien. Mehrere Male hatte er vergeblich versucht, die israelischen Behörden zum Einschreiten zu bewegen. Und als Eichmann am 23. Mai 1960 als Gefangener in Israel auftauchte, glaubte Bauer, nun endlich seinen Kronzeugen gegen Globke zu haben. Sprecher: Für die israelische Regierung stand zu diesem Zeitpunkt ein Ziel ganz oben auf der politischen Agenda: eine Atombombe. Die USA wollten dabei nicht helfen, ihre Gesetze verbieten die Herstellung von Kernwaffen für andere Staaten. Deshalb bat Ben Gurion zunächst die Franzosen um Hilfe. Und die gaben eine Zusage für den Bau des Reaktors Dimona in der Negev-Wüste. Doch US-Präsident Eisenhower setzte Paris unter Druck, und Charles De Gaulle machte einen Rückzieher, brachte aber die West-Deutschen ins Spiel. Autorin: Hätte Bonn nach allem, was Deutsche den europäischen Juden angetan hatten, die Wünsche aus Jerusalem zurückweisen können? Sprecher: Im Dezember 1959 reiste eine hochrangige Delegation deutscher Atomwissenschaftler zum israelischen Weizman-Institut, darunter Otto Hahn, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft in Göttingen, und der Kernphysiker Wolfgang Gentner. Beide hatten schon in Hitlers "Uranverein" an der Wunderwaffe gearbeitet. Und vier Monate später gewährte das Bundeskabinett aus dem Haushalt des Atomministeriums drei Millionen Mark für die nukleare Kooperation mit Israel. Den Rohstoff - das Uran - lieferte Argentinien, insgesamt 116 Tonnen sog. "yellow cake". Nun fehlte nur noch das Geld für den Bau des Atomreaktors. Musik Am 14. März 1960, zwei Monate vor der Eichmann-Entführung aus Buenos Aires, trafen sich Adenauer und Ben Gurion in New York. Es sei ein harmonisches Treffen gewesen, schrieb die Presse. Ein Aufbruch zu fast schon wieder "normalen" diplomatischen Verhältnissen. Der Massenmord lag fünfzehn Jahre zurück, 1952 war das "Wiedergutmachungsabkommen" abgeschlossen worden: Mit 3,5 Milliarden DM sollte mittellosen jüdischen Flüchtlingen in Israel geholfen werden. Autorin: In New York vereinbarten Adenauer und Ben Gurion die "Aktion Geschäftsfreund". Sprecher: Auszug aus einem Aktenvermerk von Karl Carstens, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Zitator: "Bei dem Treffen des Herrn Bundeskanzler mit Herrn Ben Gurion in New York (ist) über eine deutsche Entwicklungshilfe an Israel gesprochen worden. Der Herr Bundeskanzler hat eine Entwicklungshilfe auf kommerzieller Basis in Form eines Darlehen von jährlich 200 Millionen DM für zehn Jahre zugesagt. Es sind weitere Besprechungen mit Herrn Bundeskanzler, Minister Erhard und Staatssekretär Globke geführt und mit der Verabredung beendet worden, wonach der erste Teil der diesjährigen Rate von insgesamt 85 Millionen DM im Juni/ Juli angewiesen werden sollte." Autorin: Gezahlt wurde für ein "Entwicklungsprojekt in der Negev-Wüste". Dort im Bau war das Atomkraftwerk Dimona, samt seiner versteckten unterirdischen Anlagen. Karl Carstens notierte in Bonn: Zitator: "Bundes(verteidigungs)minister (Franz-Josef) Strauß ist vor wenigen Tagen mit Ben Gurion zusammen getroffen. Ben Gurion ist auf die Produktion atomarer Waffen zu sprechen gekommen." Sprecher: Das Auswärtige Amt war gegen die Finanzierung der israelischen Kernwaffe. Zitator: "Die israelische Regierung hat nach wie vor die Absicht, bei den kommenden Wirtschaftsverhandlungen uns in erster Linie um eine finanzielle Unterstützung für die geplante Meerwasserentsalzungsanlage auf atomarer Basis zu ersuchen. Es handelt sich dabei um ein Projekt, über das sie seit längerem mit der US-Regierung in Verhandlungen steht. (...) Die (deutsche) Bundesregierung hat für eine kernphysikalische Abteilung des Weizmann-Instituts in Jerusalem wissenschaftliches Gerät für Forschungsaufgaben auf dem Gebiet der Atomenergie zur Verfügung gestellt. (...) Eine Hilfe unsererseits für ein atomares Projekt dürfte auf keinen Fall militärischen Zwecken zugute kommen. Auf welche Weise dies verhindert werden kann, vermag Abteilung I (des Auswärtigen Amtes) nicht zu beurteilen". Autorin: Carstens fürchtete eine Verschlechterung der deutsch-arabischen Beziehungen, falls der Deal bekannt würde. Und das wurde er noch vor der ersten Zahlung: Zitator: "Der Botschafter der Vereinigten Arabischen Republiken suchte mich auf und fragte, ob es zutreffe, dass die BRD in Israel einen Reaktor baue. Ich habe die Frage verneint." Autorin: Doch Adenauer und seine rechte Hand Globke setzten sich durch. Man verhandelte nur noch über Details. Und genau zu dieser Zeit, am 23. Mai 1960, platzte eine andere Bombe: die Nachricht von der Eichmann-Entführung ging um die Welt, der Organisator des Mordes an 6 Millionen Juden sass in israelischer Haft. Der BND fiel aus allen Wolken, Adenauer und Globke tobten. Saßen sie nicht friedlich mit Ben Gurion zusammen und dann das! Was würde Eichmann zu seiner Verteidigung vorbringen? Würde er sich als Befehlsempfänger darstellen und Hans Globke, Adenauers rechte Hand, schwer belasten? Sprecher: Die "Aktion Geschäftsfreund" wurde ausgesetzt. Bankier Hermann Josef Abs, schon in der Nazi-Zeit im Vorstand der Deutschen Bank und im Aufsichtsrat der IG Farben, erhob Bedenken. Zitator: "Diese Wünsche Israels (liegen) ihrem absoluten Betrage nach hoch." Sprecher: Generalstaatsanwalt Bauer eröffnete nun gegen Hans Globke ein Ermittlungsverfahren, und die DDR entfachte eine Kampagne. Musik Sprecher: Aus der ganzen Welt sammelte der BND Spitzelberichte über den bevorstehenden Prozess und mögliche Enthüllungen: Zitator: "Eine Quelle meldet, dass bedeutende (argentinische) Militärs, unter ihnen der Oberbefehlshaber, die Ansicht vertreten, dass Eichmann als Doppelagent für Deutschland und Israel gearbeitet habe. So erklärten sich seine teilweise vorzüglichen Beziehungen zu in Argentinien angesehenen Juden. In Eichmanns Besitz soll sich umfangreiches Informationsmaterial befunden haben. Die fundierten Kenntnisse über ehemalige prominente Nationalsozialisten würde er anlässlich der Gerichtsverhandlung auswerten." Sprecher: Der BND schickte den 'Journalisten' Rolf Vogel, Sohn einer jüdischen Mutter, nach Jerusalem. Dort sprach er mit Ministerpräsident Ben Gurion und überreichte ihm sein Buch "Israel, Staat der Hoffnung". Autorin: Vogel stellte sich beim Bonner Oberstaatsanwalt Werner Pfromm als "Mischling ersten Grades" vor. Pfromm war einst hoher NS-Offizier und kam als Jurist im Staatsdienst der Bundesrepublik erneut zu hohen Ehren. Ausgerechnet an ihn hatte Fritz Bauer das Verfahren gegen Globke abgeben müssen. Sprecher: Journalist Rolf Vogel über seine Gespräche mit Ben Gurion: Zitator: "Das Gespräch kam auf die Presseangriffe gegen Staatssekretär Globke. Ben Gurion äusserte sehr lebhaft, dass er Kenntnis habe, dass Eichmann seinem Verteidiger geäussert habe: "Globke, wer ist das? Ich habe den Namen nie gehört. Ich kenne ihn nicht". Dies wiederholte Ben Gurion mehrere Male. Er erklärte mir, dass diese Äußerung Eichmanns von dem wachhabenden Soldaten übermittelt war, der bei den ersten Gesprächen mit seinem Verteidiger anwesend gewesen ist. Die Sympathien des Ministerpräsidenten und seiner Umgebung (stehen) absolut auf Seiten Globkes, soweit es die Angriffe in der Presse betraf." Sprecher: Man solle aber, so Vogel, die Worte des Wachpostens nicht öffentlich verwerten. Zitator: "Ich habe viel eher das Gefühl, dass man hofft, dass (Rechtsanwalt) Servatius selbst die letzte Klärung zu diesem Punkt bringen wird." Autorin: So geschah es. Eichmanns Verteidiger schrieb unaufgefordert an den Staatsanwalt: Zitator: "Mein Mandant hat mich ermächtigt zu erklären, dass ihm Globke unbekannt sei und dass er sich nicht erinnern könne, mit ihm jemals gesprochen zu haben. An den von Merten erwähnten Vorfall betreffend der Aktion zur Rettung von Juden aus Saloniki kann er sich nicht erinnern." Musik Autorin: Ben Gurion erfüllte seinen Teil des Paktes. Er verhinderte ein Internationales Tribunal und schottete seinen Gefangenen ab. Vor Gericht behauptete Eichmann, Globke nicht zu kennen, und schwieg über alle anderen heiklen Geschehnisse vor und nach Kriegsende. Die kompletten Protokolle des Sassen-Interviews tauchten nie auf. Teile wurden an die Presse verkauft, und CIA-Chef Allen Dulles persönlich sorgte dafür, dass dort der Name Globke entfernt wurde. Sprecher: Erst als Eichmann schon zum Tode verurteilt worden war, beantragte er im Revisionsverfahren Globkes Vernehmung. Sprecher: Die Richter lehnten eine Ladung Hans Globkes aus formellen Gründen ab. Der Zahlung für das israelische Atomprogramm stand nichts mehr im Wege, notierte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt am 25. August 1961. Zitator: "Die Auszahlung sollte aber erst nach Beendigung des Eichmann-Prozesses erfolgen, worunter die Beendigung der eigentlichen Gerichtsverhandlungen, also nicht etwa der Urteilsspruch selbst verstanden worden sei. Der Eichmann-Prozess hätte am 14. dieses Monats seinen Abschluss gefunden. Eine Woche später hätte daher auch Staatssekretär Globke bestätigt, dass nunmehr die Voraussetzung für die Kredithingabe gegeben sei". Sprecher:: Insgesamt zahlte die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau, die KfW, 630 Millionen DM. Autorin: Die KfW bestätigt diese Zahlung, behauptet aber, heute keine einzige Unterlage dazu zu besitzen. Auf meine Frage, ob dieser "Kredit" verzinst und zurückgezahlt worden sei, antwortete sie: Zitator: "Als Bank des Bundes wickelt die KfW auch dessen Aufträge ab, wie die von Ihnen angefragte Angelegenheit "Geschäftsfreund". (Wir bitten um) Ihr Verständnis dafür, dass (wir uns) zu solchen Geschäften nicht öffentlich äußern können". Sprecher: Details zur deutsch-israelischen "Aktion Geschäftsfreund" befinden sich beim Auswärtigen Amt. Danach übersandte die KfW am 31. Oktober 1961 - Eichmann hatte vor Gericht gerade auf die Erwähnung Globkes verzichtet - den Entwurf für den Kreditvertrag mit der "Industrial Development Bank of Israel". Die erste Rate - 85 Millionen D-Mark - sollte in "Infrastrukturprojekte und in die industrielle Entwicklung" fließen. Der Zinssatz lag zwischen vier und fünf ein halb Prozent, getilgt werden sollte ab acht Jahren. Autorin: Verabredet war ursprünglich ein "Kredit auf kommerzieller Basis", aber in dem folgenden Briefverkehr wurde daraus eine "Regierungshilfe". "Die Bezeichnung kommerzielle Basis", so heißt es, sei nur "aus Tarnungsgründen gewählt" worden. Das Wort "Erpressung" erwähnt das Auswärtige Amt nicht. Aber mit einem ordentlichen Staatsvertrag zwischen zwei Regierungen habe die "Aktion Geschäftsfreund" nichts gemein. Zitator: "Es sind keine eindeutigen Unterlagen über das von Bundeskanzler Adenauer mit Ben Gurion geführte Gespräch vorhanden. Der Gesprächspartner hat zwar brieflich den Inhalt des Gesprächs bestätigt, wie er ihn verstanden hat, eine Bestätigung von deutscher Seite liegt aber nicht vor. Der Brief der Gegenseite soll sich bei Herrn Abs befinden. Die Rechtslage gibt zu mancherlei Zweifeln Anlass. Einmal ist der Bundeskanzler staatsrechtlich wohl nicht in der Lage, ohne Bundeskabinett, insbesondere ohne Finanzminister und ohne Parlament finanzielle Verpflichtungen auf zehn Jahre einzugehen. Ich glaube auch nicht, dass der Bundeskanzler das Gespräch so verstanden hat. Im Übrigen besteht über den Gesprächsinhalt keine beiderseits anerkannte Darstellung". Sprecher: Die US-Regierung war in den fünfziger Jahren gegen eine Aufrüstung im Nahen Osten und gegen die Verbreitung von Kernwaffen. Noch Anfang Juli 63 hatte Präsident John F. Kennedy den israelischen Premierminister schriftlich aufgefordert, den Dimona-Komplex im Negev inspizieren zu lassen. 5 Monate zuvor, im Februar 63 hatte die argentinische Regierung die Lieferung von 100 Tonnen Uran an Israel beschlossen. Im September notierte im Bonner Außenamt Karl Carstens: Zitator: "Der Staatssekretär (...) könne mir streng vertraulich sagen, dass Präsident Kennedy auf einem absolut zuverlässigen Wege von den von uns getroffenen Massnahmen unterrichtet worden sei. Die Unterrichtung sei bewusst auf seine Person beschränkt worden. Den Andeutungen des Staatssekretärs entnehme ich, dass die Israelis die Unterrichtung übernommen haben." Autorin: Was Kennedy von der deutschen Finanzierung Dimonas hielt, ist nicht bekannt. Im November 63 wurde er erschossen, und die folgenden US-Präsidenten nahmen an der israelischen Atombombe offiziell keinen Anstoß mehr. Nicht bekannt ist auch, was Ben Gurion bewogen haben mag, Eichmann dem israelischen Haftrichter vorzuführen und seine deutschen Verhandlungspartner in Sachen Atomprogramm darüber nicht vorab zu informieren. Hat die US-Regierung auf Ben Gurion Druck ausgeübt oder ihm irgendetwas "Überzeugendes" versprochen? Die CIA jedenfalls wusste noch vor dem Mossad, wo Eichmann zu finden war. Sprecher: In einem Dokument der CIA heißt es: Zitator: "Der Geheimdienst Shin Bet hat Mitte Mai Eichmann in Gewahrsam genommen. (Der israelische) Generalstaatsanwalt ist davon erst informiert worden, als Eichmann schon auf dem Weg von Buenos Aires nach Dakar war. Man sagte ihm, dass er von Dakar direkt nach Israel geflogen würde. Vladimir Belchenko, ein sowjetischer Diplomat in Israel, erwähnte einen "deal" zwischen Eichmann und der israelischen Regierung, die sich eine Aufbesserung ihres Ansehens erhofft. Ausserdem versprechen sich die Sicherheitskräfte, laut Belchenko, von der "Ergreifung" einen höheren Etat." Sprecher: Das Wort 'Ergreifung' setzt die CIA in Gänsefüßchen ... Autorin: Aber welches Interesse hatte die US-Regierung an Eichmanns Ergreifung? Wo war er ihr in die Quere gekommen? Zitat des BND: Zitator: "Eichmann hatte Kontakte mit dem sowjetischen Nachrichtendienst und sollte in dem Augenblick überführt werden, als Chrustschow behauptete, dass die SBZ auf jede Mitarbeit der ehemaligen Nationalsozialisten verzichtete. Eichmann hat eine umfassende Liste ehemaliger Nazis angefertigt, die sich gegenwärtig im Dienste Pankows befinden, darunter sind 220 Mitglieder der Ostzonalen KP, vor allem Handelsminister Merkel, Landwirtschaftsminister Reichelt, Präsident des Obersten Gerichtshofes der SBZ Schumann und General Müller." Sprecher: Der Vermerk ist vom 4. Juni 1960, kurz nach Eichmanns Verhaftung. Als Quelle wird der V-Mann 5473 genannt, der sich auf "französische Kreise" bezieht. Autorin: ".. sollte in dem Augenblick überführt werden ... .." Mit "dem Augenblick" war das Pariser Gipfeltreffen im Mai 1960 gemeint. Aber was sich die Sowjets unter "Überführung" vorstellten und was genau ihre Pläne mit Eichmann waren, wird bis heute verschwiegen. Sollten bei der "Überführung" jene russischen atomgetriebenen U-Boote eine Rolle spielen, die Anfang Februar 1960 vor der Küste Patagoniens gesichtet wurden? Über neun Tage lang wurden sie von der die argentinischen Kriegsmarine bombardiert. Doch von ihren acht Splitterbomben zündete die Hälfte nicht, und die U-Boote entkamen. Die nach einer Woche zu Hilfe gerufene US-Navy kam zu spät, die Argentinier wurden zum "Gespött aller Kriegsflotten dieser Welt" - heißt es in einem "Memorandum for Major Eisenhower". Sprecher: 1960 war die deutsche Teilung noch nicht besiegelt. Die Berliner Mauer sollte erst ein Jahr später gebaut werden. Im Januar 1960 hatte SED-Generalsekretär Walter Ulbricht Bundeskanzler Adenauer gesamtdeutsche Wahlen vorgeschlagen. Unter zwei Bedingungen: Gesamtdeutschland sollte neutral sein, also keinen Militärbündnissen angehören. Und dieser neue Staat sollte "ent-nazifiziert" werden. Gemeint waren damit, in Bonn, Hans Globke, Vertriebenenminister Theodor Oberländer und Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm. Gemeint waren damit, in Ostberlin, die "220 Mitglieder der ostzonalen KP". O-Ton: "Pero la propuesta de la neutralidad ...... Sprecher 1: Der Vorschlag der deutschen Neutralität war sinnvoll, ursprünglich stammte er von Stalin. Deutschland war verantwortlich für den Zweiten Weltkrieg gewesen. Sprecher: Isidoro Gilbert war 1948 der argentinischen Kommunistischen Partei eingetreten. Dreißig Jahre lang war er Korrespondent der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS. O-Ton weiter: Sprecher 1: Und der Sowjetunion war klar, dass sie die DDR wirtschaftlich nicht so unterstützen könnte, wie die Westmächte die Bundesrepublik mit dem Marshall-Plan. Auf Dauer würde die DDR nicht gegen die BRD konkurrieren können, und die wirtschaftliche Entwicklung der beiden deutschen Staaten würde sehr unterschiedlich verlaufen. Aber Deutschland neutral zu machen bedeutete, den USA ihren wichtigsten Verbündeten in Europa wegzunehmen. Sprecher: Chrustschow wollte auf dem Pariser Gipfeltreffen am 16. Mai 1960 den drei westlichen Siegermächten vorschlagen, alle Atomversuche einzustellen, ausländische Streitkräfte aus Mitteleuropa abzuziehen und eine atomwaffenfreie Zone einzurichten, heißt es in den Akten des Auswärtigen Amtes. Die NATO und der Warschauer Pakt sollten einen Nicht-Angriffspakt abschließen. Im Fall der Ablehnung seines Vorschlags, so hatte Chrustschow gedroht, wollte er einen "Sonderfriedensvertrag" mit der DDR abschließen. Monatelang war dieses Treffen vorbereitet worden. Und natürlich kannte die US-Regierung den sowjetischen Vorschlag eines neutralen Gesamt-Deutschlands mit einer "freien Stadt" Berlin. Autorin: Eisenhower wollte oder konnte das nicht zulassen. Er fürchtete eine Ausdehnung des sowjetischen Einflusses in Europa und wollte nahe an der sowjetischen Grenze einen Atomwaffen-Stützpunkt. Er benötigte die Bundesrepublik als Bollwerk im Kalten Krieg, man teilte schließlich die antikommunistische Ideologie. Deshalb nahm der US-Präsident auch an Leuten mit Nazi-Vergangenheit wie Globke keinen Anstoß. Die Tatsache, sie in Adenauers Kabinett zu belassen, war ein deutlicher Hinweis, dass an den Vorschlägen des Kreml - Ent-Nazifizierung in einem vereinigten, neutralen Deutschland - kein Interesse bestand. Für die Deutschen hätte das Angebot der Wiedervereinigung eigentlich verlockend sein müssen. Und die in Argentinien versammelten Nazis freundeten sich mit dieser Idee an und beschimpften die Bonner Regierung als "Verräter" und "Knechte der USA". Das State Department brauchte aber Westdeutschland, das ohne Friedensvertrag nicht souverän war und dem man Befehle erteilen konnte. Musik Sprecher: Zitat aus einem Vermerk des Chefs der US-Atomkommission John McCone nach einem Ministertreffen mit Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik: Zitator: "Das State Department glaubt, dass West-Deutschland aus politischen Gründen akzeptiert hat, nicht weiter auf der Wiedervereinigung zu bestehen". Autorin: Doch wie hätte US-Präsident Eisenhower öffentlich eine Wiedervereinigung ablehnen können? Schuld an der dauerhaften Teilung Deutschlands sollte allein Moskau tragen. Auch gegen Chrustschows Vorschlag, die Nazis aus allen Regierungsstuben zu entfernen, war offiziell nichts einzuwenden. Freundliche Winde wehten aus dem Osten. Eisenhower musste sich etwas einfallen lassen, um das Gipfeltreffen platzen zu lassen. Die offizielle Geschichtsschreibung gibt als Grund für das Scheitern des pariser Gipfeltreffens im Mai 1960 die sog. U-2-Affäre an. Sprecher: Am 1. Mai 1960 war über sowjetischem Territorium ein Spionageflugzeug abgeschossen worden. Die CIA geriet in heftige Kritik. Hätte die U2 nicht nach dem Treffen losfliegen können, wurde gefragt. Oder wollte die CIA den Kreml absichtlich provozieren? Ein Geheimbericht von Sherman Kent, CIA-Verbindungsoffizier bei der Gipfelkonferenz belegt, dass die U2-Affäre nicht der wirkliche Grund des Scheitern war. Die Diplomatie beider Großmächte hatte in den Tagen nach dem Abschuß die Situation bereinigt: Zitator: "Am 5. Mai hatte Chrustschow im Obersten Sowjet den U-2 Zwischenfall als eine direkte Provokation bezeichnet und mit Vergeltung gedroht. Am Ende seine Rede zügelte er jedoch seinen Ton und bekannte sich zu den leninistischen Prinzipien der friedlichen Koexistenz. Er werde alles in seiner Macht stehende tun, um in Paris zu einem Abkommen zu gelangen. Zwei Tage später kritisierte er wieder sehr hart den "Spionageflug", aber er erwähnte mit keinem Wort eine Änderung des Pariser Treffens. Am 10. Mai erhielt unsere Regierung die offizielle sowjetische Protestnote, ohne Erwähnung des Treffens. Am 11. Mai, bei der Vorführung des U2-Wracks in Moskau, benutzte Chroustschow einige starke Worte, meinte dann aber, er werde die Angelegenheit vor den UN Sicherheitsrat bringen. Kein Wort von Paris. Und am nächsten Tag meldete Tass, dass die sowjetische Regierung am Gipfeltreffen wie geplant teilnehmen werde." Sprecher: In der Kabinettssitzung nach seiner Rückkehr aus Paris verriet Eisenhower: Zitator: "Es scheint klar, dass der U2-Zwischenfall nicht der Grund für den plötzlichen Wandel war. Chrustschow hat zugegeben, seit geraumer Zeit von diesen Flügen gewußt zu haben." Musik Autorin: Nach Paris war Chrustschow zwei Tage vor dem Konferenzbeginn überraschend angereist . Sprecher: Am 15. Mai, einen Tag vor Beginn des Gipfels, traf er sich unter vier Augen mit De Gaulle. Was die beiden besprochen haben, ist nicht bekannt. Doch am anderen Tag fuhr Chrustschow, obwohl das Treffen fünf Tage dauern sollte, unter Protest ab. Zu diesem Zeitpunkt war Adolf Eichmann schon fünf Tage "verschwunden". In der Nacht auf den 15. Mai ließen US-Streitkräfte dann im ganzen Land die Sirenen heulen - für Chrustschow eine Drohung, klagte er in einem Brief an Senatoren der US-Demokratischen Partei. Autorin: Der Hardliner in Eisenhowers Kabinett, der Chef der Atomkommission McCone, war gegen alle Vorschläge Chrustschows, nicht nur gegen den eines neutralen Gesamtdeutschlands. Er lehnte vor allem die Einstellung der Atomwaffen-Versuche und die Abrüstung ab. Sie hätten die technologische Überlegenheit der USA bedroht. McCone fürchtete um den "industriell-militärischen Komplex" - die staatlichen und privaten Forschungsstätten und Waffenschmieden: an erster Stelle: das Lawrence Livermore Labor, führend bei der Entwicklung nuklearer Sprengköpfe. In einem internen Vermerk notierte er am 17. Mai 1960 in Paris - da war der Gipfel gerade gescheitert: Zitator: "Es geht um die Frage, ob wir angesichts des neuen Verhandlungsklimas weiter über Abrüstung und Atomteststopps reden sollen. (Ich sagte, ) wir sollten diese Verhandlungen unter keinen Umständen fortführen, (...) denn die Folge wird sein, dass wir bei wesentlichen Schritten bei der Entwicklung und Herstellung von nützlichen und zuverlässigen Waffen behindert werden. (Man sagte), ok, aber wir sollten an einem "Plan" arbeiten, damit es so aussehe, als ob Chrustschow und nicht wir den Gipfel platzen lassen." John McCone. Autorin: Wenn das Gipfeltreffen also nicht an der U2-Affäre gescheitert war - was ist dann zwischen dem 11. und dem 15. Mai passiert, das alle Chancen für ein Abkommen der Großmächte zunichte gemacht hatte? Am 11. Mai war Chrustschow noch voll Optimismus gewesen, wie es in dem internen CIA-Memorandum hieß, und am 15. Mai verließ er wütend, nach einem Gespräch mit De Gaulle, Paris und nahm an der Eröffnung des Gipfels nicht teil. In diesen Tagen war Eichmann in Geiselhaft gefangen. Die Beteiligten schweigen sich darüber aus, was zwischen der Festnahme am 11. und der Ankunft in Israel am 22. Mai genau geschah, warum er erst nach 11 Tagen und dem Ende der Pariser Gespräche an seinem Zielort auftauchte. Was hat de Gaulle Chrustschow über die Eichmann-Entführung erzählt? Rechnete der sowjetische Staatschef damit, dass ein Deal zwischen Eichmann und dem KGB öffentlich werden würde? Hatte seine vorzeitige Festnahme seinen Plan durchkreuzt, den bürokratischen Organisator des Massenmordes, zu 'überführen' - und ihn im Spiel um die deutsche Frage zu benutzen? Musik Viele Unterlagen sind offensichtlich nach wie vor geheim - etwa der Brief von CIA-Chef Dulles an Eisenhowers Sicherheitsberater Gordon Gray vom 11. Mai 1960, dem Tag, an dem Eichmann verschwand. Der Brief besteht aus zwei Seiten, trägt den Vermerk "Top Secret" und ist in einem Hefter mit dem Titel "Eyes Only" abgelegt. Seine Freigabe habe ich beantragt. Das State Department schickte meinen Antrag auf Auskunftserteilung mit der Bemerkung "return to Sender" zurück und lehnte meinen erneuten Visums-Antrag ohne Begründung ab. An die CIA habe ich einen Fragenkatalog geschickt und die Freigabe mehrerer Dokumente beantragt. Die Antwort steht noch aus. Um Auskunft gebeten habe ich die Atomkommission und das Verteidigungsministerium in Buenos Aires, in welcher Mission Herbert York am 15. Mai 1960 nach Argentinien gekommen war. York hatte schon während des Zweiten Weltkrieges an der Entwicklung der Atombombe mitgewirkt. Er war der erste Direktor des Lawrence Livermore Labors und 1960 Leiter von DASA, dem Atomwaffenamt des Verteidigungsministeriums. Drei Tage vor seinem Abflug hatte er Präsident Eisenhower im Kabinett die neusten Waffensysteme aufgelistet - ein Atomteststopp hätte ihre Entwicklung verhindert. Und am selben Tag, an dem Eisenhower zu dem Gipfeltreffen über Abrüstung nach Paris fuhr, landete Herbert York in Buenos Aires - zusammen mit Physikern und Marines. Kurz zuvor, "zufällig" am Tag von Eichmanns Entführung, waren dort sieben US-Maschinen gelandet, drei U-2-Spionageflugzeuge und vier Bombenträger vom Typ P-57. Und einen Tag später traf der atomwaffenfähige Langstreckenbomber mit Luftbetankung KB-50 ein. Er blieb zwei Tage in Ezeiza und flog dann mit unbekanntem Ziel weiter. Sie wollten Testversuche unternehmen, "pruebas" - so steht es im Bericht des militärischen Geheimdienstes Argentiniens, der mir vorliegt. Worin diese "Testversuche" des US-Atomwaffenamtes bestanden hatten - habe ich das Verteidigungsministerium in Washington gefragt. Auf eine Antwort warte ich noch. Ist am Ende die Legende der "heldenhaften Entführung Eichmanns durch den Mossad" nur ein Ablenkungsmanöver? Musik Doch warum sich unbequemen Fragen stellen. Haben denn nicht alle bekommen, was sie wollten? Die USA setzten ihre Atomwaffentests fort und stationierten ihre Raketen auf westdeutschem Boden. McCone wurde CIA Chef. Den Argentiniern bewilligten sie ein Darlehen von 7,6 Millionen Dollar für ihre Stahl- und Chemieindustrie. Ben Gurion erhielt für seinen Atomreaktor aus Bonn 630 Millionen D-Mark und an dem Tag, an dem er die Festnahme Eichmanns bekannt gab, die lang ersehnte Zusage Washingtons über ... Zitator: "... elektronische Ausrüstung, Hawk-Raketen und verschiedene Dinge" ... Autorin: ... hieß es in dem Dankesschreiben an das State Department. Und mit irgendetwas muss man auch die Russen zum Schweigen gebracht haben. Alle Beteiligten halten dicht. Absage: Die Entführungs-Legende oder wie kam Eichmann nach Jerusalem? Ein Feature von Gaby Weber Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Südwestrundfunk 2011 Es sprachen: Ursula Illert, Hüseyin Michael Cirpici, Hendrik Stickan und Michael Witte Ton und Technik: Michael Morawietz und Hanna Steger Regie und Redaktion: Karin Beindorff 1