COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt 13.10.2007 Und MARTa kam nach Herford Möbel und Kunst in NRW Von Paul Stänner Regie Jingle und Kennungsmusik OT Vandrè Jedes Mal, wenn das Museum eine Ausstellung neu eröffnet oder wir besonderen Besuch haben, dann sind die Positionslampen an und der Rotor dreht sich. Regie Kennungsmusik OT Ragati Im Jahre 2002 bekam ich einen Anruf von Frank Gehry im Frühsommer. Du, ich hab vor, aus dem Projekt auszusteigen. Regie Kennungsmusik OT Valerie Schwindt-Klevemann Das ist ein Kunstwerk, was sich um sich selbst dreht, das könnte auch eine Gebetsmühle sein, andere sagen mir, das ist wie eine Eismaschine, da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, Regie Kennungsmusik OT Hoet Der Name MARTa ist Möbel - art ? ambiente: das ist die fließende Kreativität durch verschiedene Disziplinen. Regie Kennungsmusik OT Gefangener Dann hoffe ich, dass ich mein Leben wieder in den Griff kriege. Spr. v. Dienst MARTa kam nach Herford Möbel und Kunst in Nordrhein-Westfalen Eine Deutschlandrundfahrt mit Paul Stänner Autor Ich gebe zu, ich komme aus der Gegend. Von meiner Heimat nahe Münster in Richtung Berlin, wo ich heute lebe, trifft man nach ca. 30 Minuten auf der Autobahn die Abfahrten Herford und Herford Ost. Man trifft sie - und fährt weiter. In der Gegenrichtung ist es genau so ? der Fuß bleibt auf dem Gaspedal. Mit Herford verbindet sich kaum etwas, gerade einmal das Pils, das hier gebraut wird und das gar nicht anders kann, als seine Heimatstadt in der Werbung zu erwähnen. Regie Musik will anfangen, spielt ein paar Takte, dann kommt der Nachsatz: Autor Herford hat ? wie es scheint - weder das Talent noch den Willen, aufzufallen. Und es tut sich damit selber Unrecht. Regie Musik spielt länger, blendet weg, Straßengeräusche Autor Man fährt vom Bahnhof in Richtung MARTa. Man kennt das Gebäude von Fotos, das völlig verrückte Museum von Frank Gehry ist nun wirklich mit nichts anderem zu verwechseln. Schon gar nicht in Herford. Man fährt langsam und hält Ausschau. Ein Kreisverkehr, in der Mitte eine gigantische, spiegelnde Kugel. Später stellt sich heraus, es handelt sich um ?La Palla? von Luciano Fabro. Man umrundet Stahlkugel und Verkehrskreis, mündet ein auf die schnurgerade Goebenstraße und da liegt sie auch schon : MARTa. MARTa trägt roten Klinker und funkelnden Edelstahl, ihre Wände sind ein Spott auf die Schwerkraft. Neben MARTa der Parkplatz, raus aus dem Auto und: OT Vandré Mein Name ist Nils Vandré, ich bin der Pressesprecher des MARTa Herford in Herford. Autor Nils Vandré übernimmt die Führung um die Außenhaut von MARTa. Regie Dazu gibt es eine Straßenatmo, nach Belieben OT Vandrè Wir sehen eine Eingangstür aus Glas, darüber eine Wand mit einem Edelstahlschild aufsteigen, auf dem MARTa Herford steht, der Name der Institution und wir sehen kurz vor der Tür, von links und von rechts zwei Kaskaden herunter laufen, die Fassade zeigt zwei Edelstahlkaskaden, die vom Dach herunterlaufen bis zum Boden. Wenn man direkt davor steht und das Blau des Himmels sich spiegelt, dann sieht das aus wie Wasser, das an der Wand herunterläuft. Autor MARTa ? der Name dieses Gebäudes und dieser Einrichtung steht für M wie Möbel, Art wie Kunst und A wie Ambiente. Damit kommen wir schon in die jüngere Geschichte der Stadt Herford. In Herford gibt es beispielsweise die Firma Ahlers, die der zweitgrößte Anbieter von Männermode in Deutschland ist: Die Marken heißen Baldessarini, Pierre Cardin, Otto Kern und andere. Aber dass die aus Herford kommen, wissen nur Eingeweihte. Dann gibt es noch etliche andere interessante Firmen, aber im wesentlichen ist Herford ein Ort der Möbelindustrie. Sie können davon ausgehen, dass Ihre Küche, sofern sie nicht aus Schweden kommt, in Herford oder Umgebung gefertigt wurde. Sollten Sie in Ihrer Küche einmal einen der beliebten Haushaltsunfälle gehabt haben, dann stehen die Chancen gut, dass Sie in einem Krankenhausbett aus Herford landen. Die Stadt hat der Welt viel Nützliches zu bieten, nur weiß es kaum einer. Und dann wundert man sich, wenn man bei MARTa um die Ecke biegt und plötzlich vor einem Hubschrauber steht. Ausgerechnet in Herford. OT Vandrè Der schwarze Hubschrauber gehört zur Sammlung MARTa Herford, und es ist ein Kunstwerk von Michael Sailstorfer, einem sehr jungen Künstler aus Süddeutschland, der bereits schon mit internationalen Preisen ausgezeichnet wurde, und es ist eine von unseren Außenskulpturen, die hier dauerhaft angebracht worden ist. Autor Sah im ersten Augenblick mehr nach Technikmuseum aus, ist aber Kunst. OT Vandrè Jedes Mal, wenn das Museum eine Ausstellung neu eröffnet oder wir besonderen Besuch haben, dann sind die Positionslampen an und der Rotor dreht sich. Autor Der Rotor dreht sich nicht und die Lampen leuchten auch nicht. Ich fühle mich unbedeutend. Wir können also weiter. Das Gewaltige an MARTa, an der Schöpfung des kanadisch-amerikanischen Architekten Frank Gehry, ist der Eindruck, das nichts stimmt. Die Wände, obwohl aus gemauerten Klinkern, sind nicht gerade, sondern schlagen Wellen. Später, im Ausstellungsraum, werde ich sehen, dass eine Wand sich nicht nur von unten nach oben schlängelt, sondern gleichzeitig auch von rechts nach links. Und Nils Vandré wird mir mit unverhohlener Schadenfreude eine Raumecke zeigen, die so verwirrend gebaut ist, dass Besucher regelmäßig seekrank werden. Aber noch sind wir im Freien unterwegs, kommen an die Rückseite des Gebäudes und an das liebliche Flüsschen mit dem kompromisslosen Namen Aa ? ganz einfach Aa. Mit zwei A. Von hier sehen wir gerade Wände, richtiggehend sauber senkrecht. Regie Atmo Fluss OT Vandré Ja man hat natürlich als erstes gesagt, dieses alte Stück von der alten Fabrik, das ?Bauhaus? zeigt, das wollen wir erhalten. Wir wollen zeigen, dass man hier nach dem Krieg als man in Zeiten der Not neu gebaut hat, sind wieder auf die Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg besonnen hat und gerade das, was nicht erwünscht war in der Zeit, hier geschätzt hat und gebaut, dann hat man Frank Gehry engagiert, der hat vorne mit dem Museum die alte Architektur komplett verblendet, aber durch einen Trick auf drei Seiten die alte Architektur sichtbar gelassen. Autor Der respektvolle Kontrast von der weißen, gradlinigen, fast asketischen Front der alten Fabrik zu den tanzenden Wänden von Frank Gehrys Gebäudeteil ist mit den Augen kaum zu fassen. Frank Gehrys Herforder Bau markiert einen Extrempunkt der Architektur. Es waren Computerprogramme aus dem Flugzeugbau notwendig, um die komplizierten, verdrehten, fließenden, sich aufbäumenden und herabschießenden Flächen zu berechnen. Die Handwerker kamen an die Grenzen ihres professionellen Könnens. Wir gehen ein Stück weiter, stehen auf der Terrasse des Museumscafés ? Montags geschlossen ? und schauen unter das Dach. OT Vandré Wenn man hier einmal hochguckt, ist hier eine der wenigen Situationen, an denen man tatsächlich Frank Gehry aufs Handwerk schauen kann. Man kann hier in die Dachkonstruktion hinein sehen, die sich oberhalb des unteren Teils der Architektur erstreckt. Wabenförmige Stahlstrukturen, die hier die Wellen des Daches nachvollziehen und es stützen. Im Grunde ist die Idee aus einer Negerkuss-Packung herausgekommen, Autor Meine politisch korrekte Freundin wird uns später empört vorwerfen, dass man nicht ?Negerküsse? sagen darf. Politisch sauber, sagt sie, heißen ?Negerküsse? Schokoladenküsse. Im Moment sind wir aber beide, Nils Vandré und ich, arglos, sorglos und auf Architektur konzentriert. OT Vandré ...man hat einen Abend lang diskutiert, Wie können wir das Ganze hier überhaupt möglich machen? und hatte dann so eine Packung Negerküsse auf dem Tisch und hat denn diese Wabenstruktur zum Schluss in der Hand gehabt und hat gesehen, dass die bei Biegungen immer noch stabil ist und das hat man auf dieses Dach übertragen. Autor Wer hat sich bis dahin je überlegt, welches kreative Potential in einer Packung mit schokoladig überzogenen Gebilden steckt? OT Vandré Und damit hat man es am Ende geschafft, diese Struktur, die das ganze Dach trägt, sehr viel günstiger zu bauen, als es bis dahin überhaupt möglich war. Autor Von 900 Euro pro Quadratmeter sanken dank der inspirierenden Dickmacher die Kosten auf 150 Euro pro Quadratmeter. Das aber ? um der weiteren Darstellung kurz vorzugreifen - war für die Herforder Stadtväter als Bauherren nicht wirklich entspannend. Regie Haindling, Donauhymne Ariola, LC 00116 Regie Geräusch der Tür von MARTa Autor Herford, Goebenstraße, das Museum MARTa. Dann gehen wir mal rein und sehen uns an, was MARTa zu bieten hat. Zur Zeit läuft eine Ausstellung unter dem Titel ?MARTa schweigt? ? Thema ist das Schweigen in der Kunst, die Stille, die Ruhe und was so alles damit zusammen hängt. Valerie Schwindt-Klevemann hängt damit zusammen. Die Französin aus der Bretagne schafft es mit nachdrücklichem Charme, nahezu jeden für moderne Kunst zu interessieren. OT Valerie Wir stehen vor der Installation von Kazuo Katase (Ohne Titel, 1980). Kazuo Katase ist ein Japaner, was man da sieht, sind zwei Kreise auf dem boden, einer ist gelb, leuchtend gelb und der andere kreis ist schwarz. Darüber hängen zwei Lampen, über dem schwarzen Kreise eine schwarze Lampe, über dem gelben eine gelbe Lampe. Autor Na ja, der superkritische Betrachter würde die Glühbirne als weiß identifizieren, die nicht ganz überzeugend den gelben Fleck unter sich als ihr Produkt in Anspruch nimmt. Geschenkt. OT Valerie Dieser Künstler hat sich natürlich mit seiner Kultur auseinander gesetzt, aber auch mit unserer Kultur. Seine Kultur Buddhismus, Zen, und unserer Kultur und er hat auch Gemeinsamkeiten festgestellt. Zum Beispiel, dass der Kreis ein Symbol ist für die menschliche Reinheit. Er arbeitet oft mit diesen geometrischen Formen, und auch, finde ich sehr interessant, mit diesen puren Farben, die Deutschen sagen Grundfarben, die Franzosen sagen Primärfarben, aber er sagt pure Farben, d.h. gelb, rot und blau. Und er hat gesagt über dieses Kunstwerk, man muss mit den Augen denken. Und das ist, was wir meist mit den Besuchern versuchen, - Autor Für den einfachen Betrachter, in zeitgenössischer Kunst nicht eben Experte, ist das eine komplexe Übung ? mit den Augen zu denken. Nahezu jeden Tag denke ich mit dem Gehirn, aber mit den Augen komme ich nie so richtig zu einem vernünftigen Schluss. OT Valerie Ich frage die immer, ob jemand das beschreiben kann, und das ist immer interessant zu sehen, weil es kommt oft keine Beschreibung, sondern Interpretation, Interpretation wie zum Beispiel, Tag und Nacht, hell und dunkel, Rapsfeld oder was alles immer hören, was wahrscheinlich damit zu tun hat, aber die Frage ist: Was sieht man? Und: Warum ist diese Frage so wichtig? Die ist wichtig, weil, wenn man das betrachtet, sieht man nicht auf den ersten Blick, da stimmt was nicht. Und indem man das richtig beschreibt, Gelbes Licht - gelber Kreis, schwarzes Licht ? schwarzer Kreis: Es gibt kein schwarzes Licht. D.h. wir haben eine geistige Vorstellung, was er uns da zeigt. Und hat natürlich was mit Meditation, mit Stille, mit Leere, wenn man meditiert, muss man alles frei haben im Kopf und nicht mit Sonne und Mond zum Beispiel. Und das ist immer so ein Supereffekt, wenn man mit dem Besucher das feststellen kann oder wenn die das merken. Autor Dann wollen wir das mal so stehen lassen. Wir fangen ja gerade erst an mit der modernen Kunst. Regie Misionera, Galopa German Brass Productions LC 02194 Autor Vorspiel vor dem nächsten Akt. Wir sind in Herford, zwischen Bielefeld und Osnabrück. Nils Vandré beschrieb die Ostwestfalen, den Volksstamm der Herforder, so: OT Vandré ...die gelten als sehr beharrlich, auch sehr standhaft, aber auch sehr --- ja öh , dass sie ein großes Durchhaltevermögen haben ... Autor Was ich als jemand, der mit den Formeln der Höflichkeit zu spielen weiß, mir so übersetze: Die Herforder sind dickschädelig, gewöhnen sich schwer an Neues und wenn sie was nicht wollen, dann halten sie das auch lange durch. Dies hab ich im Kopf, als ich in Manfred Ragatis Wohnzimmer Kaffee trinke. Der Blick aus dem Fenster geht auf eine gemütvolle Wiese. Auf der Wiese sitzt mit weißem Fell und schwarzen Flecken eine Katze und parodiert durch ihr schwarzweißes Sitzen inmitten der grünen Wiese die Existenz einer Kuh. Kunst ist eben überall. OT Ragati Da kommen mehrere Strömungen zusammen: einmal hat unser Gebäude in Oeynhausen einen Wirbel erzeugt, das andere war, die Eröffnung Bilbao hat den Eindruck vermittelt, man muss nur mit Gehry bauen, nach Möglichkeit ein Museum, und schon ist die Stadt im Brennpunkt der gesamten Welt. Autor Im spanischen Bilbao hatte Frank Gehry für die Kunstsammlung Guggenheim ein spektakuläres Gebäude gebaut, ein Glanzlicht der modernen Architektur, ein Ruhmesblatt aus Beton und Glas. Das Haus hatte vor allem einen unwiderstehlichen Pluspunkt für Kommunalpolitiker: Innerhalb von acht Monaten hatte Guggenheim Bilbao seine Kosten wieder eingespielt und wurde - und blieb - ein Magnet für die Stadt. OT Ragati Zum dritten hat der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement die Idee gehabt, die Möbelindustrie hier zu fördern mit einem Haus des Möbels... Autor - was schwer nach ?Brücke der Freundschaft? oder ?Allee der Kosmonauten?, also dem typisch sozialistischen Genitiv, klang. Und der war Mitte der 90er wirklich von der Geschichte überholt. Aber Wolfgang Clement war kein nostalgischer Sozialist , sondern Sozialdemokrat mit kapitalistischen Neigungen. OT Ragati ...und zum vierten gab es hier eine Kunstsammlung eines Textilunternehmers Jan Ahlers, Blaue-Reiter-Zeit, Brücke-Zeit, die suchte eine Heimstatt. Und diese vier Elemente verdichteten sich dann in der Person des damaligen sehr aktiven Bürgermeisters Dr. Gerd Klippstein, der dann an mich herangetreten ist, weil ich mit Gehry gebaut habe : Könntet ihr da was mit Gehry machen? war seine Frage. Autor Man konnte. Manfred Ragati war im Verlauf seines Lebens Beamter, Politiker, Oberkreisdirektor und Kaufmännischer Geschäftsführer der EMR Herford, d.h. des örtlichen Energieversorgers, gewesen. Manfred Ragati war einer der Initiatoren von MARTa Herford. Ragati und sein Energieunternehmen hatten bereits mit Frank Gehry gebaut und es war in Bad Oeynhausen das sehr auffällige, lichte und gerühmte ?Energie-Forum- Innovation? entstanden, das noch richtiggehend gerade Wände hatte. Außerdem kannte man Gehry vom Vitra Design Museum in Weil am Rhein und vom Neuen Zollhof in Düsseldorf, wo schlanke, hohe Gebäude so verdreht stehen, dass man glaubt, ihrem Schöpfer seien zweifelhafte Getränke nicht gut bekommen. OT Ragati Das war ´97. Er kam, wir stiegen auf das Gebäude, in dem die Verwaltung heute ist von MARTa, oben aufs Dach, und sagen: Hier wollen wir bauen. Frank, schau dir das an. Machst du das? Er schaut mich an und antwortet: Aber nur wenn du mit mir morgen nach Bilbao fliegst. Ich sag, ich prüf das, hab?s geprüft und bin mit ihm den nächsten Tag nach Bilbao geflogen, ein Jahr vor der Eröffnung von Bilbao. Dann haben wir in Bilbao weiter gesprochen: Frank, machst es? Gut, ich mach das für euch. Autor In Herford traf sich nun eine Gruppe von einflussreichen und geldstarken Leuten, die das Projekt in die Wege brachten. OT Ragati Es waren so etwa acht Personen, einer ist dann ausgestiegen, der war die Sparkasse, weil die schon wissen wollte, wie hoch die Eintrittspreise sein werden, wenn wir fertig sind. Dann sag ich: Wenn wir so anfangen, können wir gleich wieder aufhören. Ist dann auch gegangen. Aber diese verschworene Truppe, die würde man heute für verrückt erklären. Aber dennoch haben wir uns nicht von Selbstzweifeln quälen lassen, sondern waren immer überzeugt, wenn wir uns getroffen haben - Wir machen das! Autor Es hat eine gewisse Nonchalance, wenn Ragati betont, dass ihn die zu erwartende Resonanz damals nicht interessiert hat. Obwohl er als Kommunalbeamter gestartet war, war er dann doch lang genug Unternehmer gewesen, um Entscheidungen nicht von öffentlichen Meinungsäußerungen abhängig zu machen. Die kamen aber massiv und unfreundlich, als sich herausstellte, dass die Sache Fahrt aufnahm und Gehry wirklich baute. Es gab einen Wechsel im Bürgermeisteramt und die Unterstützung aus der Bürokratie ließ nach. Herford war nicht Bilbao! OT Ragati Und das hab ich auch noch nie öffentlich gesagt: es ist eine Situation eingetreten: Im Jahre 2002 bekam ich einen Anruf von Frank Gehry im Frühsommer. Du, ich hab vor, aus dem Projekt auszusteigen. Das war schon im Rohbau im Entstehen. Sag ich: Frank , darüber müssen wir sprechen. Wo können wir uns treffen? Sagt er: Ich bin nächste Woche in Italien. Panzano, in der Nähe von Florenz. Sag ich, ich komm. Da bin ich in der Woche drauf nach Panzano geflogen, hab mich mit ihm zwei Tage unterhalten, in einer wunderbaren Landschaft, und Frank Gehry sagte, mir: Du, für meinen Ruf ist das unerheblich, ob ich in Herford da was mache oder nicht mache. Denn Bilbao überstrahlte alles und gleichzeitig ist die Walt-Disney-Hall in Los Angeles wieder auferstanden, die Realisierung wurde Gewissheit und das hätte alles so ein kleines Ding in Herford überstrahlt. Autor Es gab Probleme mit gestiegenen Kosten, die nicht unbedingt dem Architekten angelastet werden konnten. Es gab aber auch Probleme des Verstehens ? Wände, die nicht gerade aufsteigen, sind dem Ostwestfalen unheimlich. Und wenn es dann noch Geld kostet in Zeiten von Hartz IV, wird die öffentliche Laune unfreundlich. OT Ragati So dass ich eigentlich immer Mitleid gehabt habe mit Jan Hoet einerseits und mit dem Architekten Hartwich Rullkötter andererseits, dem ausführenden Architekten für Frank Gehry, weil die mussten sehr viel einstecken an ungerechtfertigten Angriffen, die daher rühren, dass man mit falschen Zahlen, mit Wunschzahlen, operierte und nicht die Realität zur Kenntnis genommen hat. Autor Da zählte auch nicht, dass nicht nur MARTa als Museum gebaut werden sollte, sondern dass ein ganzes Stadtviertel, das aufgegeben und heruntergekommen war, einen neuen Anfang nehmen würde. Aber Ragati gelang es in Italien, den entnervten Gehry bei der Stange zu halten. Am Ende, fand Ragati, bei der Einweihung 2005, war Gehry doch froh, dass er nicht hingeschmissen hatte. OT Ragati ... und die Akzeptanz braucht halt etwas länger, hab ich den Eindruck, das in Ostwestfalen ? ich sag jetzt nur so: Als ich nach Ostwestfalen von Düsseldorf kam, sagte mir mein damaliger Chef, ehemaliger Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, sagte mir: Mit den Westfalen, und ich bin einer, müsst ihr einen Sack Salz essen. Aber mit den Ostwestfalen müsst ihr zwei essen. (lacht) Regie Immer weiter Stefan Gwildis 105 Music, LC 12465 Regie Schlüsselgeräusche (Es gibt eine lange Atmo mit Gängen auf Fluren und Schlüsselgeräuschen, mit der man spielen kann) Autor Die Justizvollzugsanstalt Herford ist ein alter preußischer Bau. Irgendwie haben die Preußen immer gleich gebaut ? dunkelrote Klinker, hohe Mauern mit hübschen, nutzlosen Zinnen. Im Hintergrund eine Veranda mit zierlichen Säulen und Verblendungen. Dieser Komplex könnte auch eine historische Kaserne sein, ist aber ein Gefängnis von heute. OT Waldmann Ich heiße Friedrich Waldmann und bin Leiter der JVA Herford. Autor Friedrich Waldmann leitet seit zwei Jahren ein Jugendgefängnis, dass wegen seiner geringen Rückfallquoten für Aufsehen gesorgt hat. OT Waldmann Von der Erfolgsquote her denke ich, wir schaffen es, bei etwa 60% unserer jungen Leute sie dazu zu bewegen, ihre Lebenslaufbahn in eine anderen Richtung zu wenden und das ist schon ein vernünftiger Erfolg. Das ist insbesondere ein Erfolg, wenn man gleichzeitig sieht, dass wir als Justizvollzugsanstalt ja die letzte Instanz sind, wo man versucht, erzieherisch auf junge Leute einzuwirken, denn die ganzen anderen Jugendhilfemaßnahmen, die vorher gelaufen sind , sind ja zu 100% gescheitert und dann wir ja erst am Zuge, das denke ich muss man immer mitberücksichtigen. Autor In Herford sitzen Jugendliche im Alter von 14 bis 24 Jahre ein, dazu noch Untersuchungsgefangene. Das Spektrum der Straftaten geht quer durch das Gesetzbuch ? Einbruch, Diebstahl, Hehlerei, Gewalttaten, Drogendelikte und Sexualstraftaten. Ebenso so breit gefächert wie die Gesetzesverletzungen sind die Gründe und Motive, aus denen die Jugendlichen straffällig wurden. Trotzdem muss die Justizvollzugsanstalt für alle ein System schaffen, das ihnen Chancen zur Besserung bietet. OT Waldmann Das, was wir zuerst machen, ist zu analysieren, was mit dem Gefangenen bisher passiert ist. Soweit es geht natürlich auch zu gucken, wo liegt die Ursache seiner Straffälligkeit. Und wir versuchen dann, auf den Gefangenen einzugehen, indem wir entweder therapeutisch arbeiten oder, was zum Beispiel auch einer unserer Schwerpunkte ist, indem wir den Gefangenen einfach wieder in eine Richtung bringen, mit der er draußen etwas anfangen kann und das bedeutet gerade bei unseren Gefangenen, die in der Regel über keinen Berufsabschluss verfügen, die meisten haben gar keinen Schulabschluss, das wir denen vermitteln, eine Berufsausbildung oder zumindest den beginn einer Berufsausbildung, die sie dann nach der Haftentlassung fortführen können. Autor Hintergrund der Straffälligkeit ist oft das Gefühl, mit den normalen Lebensbedingungen nicht mithalten können. Die Jugendlichen glauben nicht, dass sie es in der Gesellschaft schaffen, weil sie nie das Gefühl hatten, sie schaffen etwas. OT Waldmann Es gibt bestimmt nicht wenig junge Leute, die wir hier haben, die in ihrer Schulkarriere überhaupt keinen Erfolg hatten, die wir langsam erst mal haben heranführen müssen einen Wissensstand zu erlangen, der eine Berufsausbildung möglich macht und die erst im rahmen einer Berufsausbildung mit einem mal merken, dass sie etwas können, dass sie etwas schaffen, dass sie Erfolg haben und das macht das Lernen dann nachher auch einfacher. Autor Wolfgang Drewes ist Lehrer an der Schule im Gefängnis. Für mein Empfinden ist er nicht der Mann, der sich bei gewalttätigen Jugendlichen Respekt verschaffen kann, aber vielleicht ist es gerade seine ruhige, zurückhaltende Art, die ihnen Eindruck macht. OT Drewes Wir haben immer wieder diese Situation, dass wir Vergleichsmöglichkeiten haben. Wir sind 20 Lehrkräfte hier im Hause und von diesen 20 kommen 14 Lehrkräfte von außerhalb. 13 davon sind Berufsschullehrer, die an den Berufskollegs im Kreis arbeiten und die treffen immer wieder bei uns auf ehemalige Schüler, mit denen sie ganz große negative Erfahrungen in der Schule gemacht haben und sind dann immer ganz erstaunt, wie sich das im Laufe der Zeit hier bei uns ändert und wie diese Schüler dann trotzdem zu Erfolgen kommen, an die sie damals an der Schule gar nicht zu glauben gewagt hatten. Autor Wesentlich für das System Herford ist, dass die Gefangenen einen festen Ansprechpartner für die gesamte Dauer ihres Aufenthaltes haben ? so besteht die Chance, dass sich aus einem Autoritätsverhältnis ein Vertrauensverhältnis entwickelt. Der Unterricht findet in kleinen Klassen von 6 Schülern statt, der Neubau der Schule hat angemessen kleine Räume. Die Ausbildung bietet unterschiedliche Module an, so dass selbst der, der nur kurz im Vollzug ist, gefördert werden kann. Denn natürlich richtet sich die Ausbildung nach der Aufenthaltsdauer, und nach dem Willen des Gefangenen. OT Waldmann Die Idee, die dahinter steckt, ist eigentlich ganz einfach. Junge Gefangene, die beruflich etwas erlernt haben, haben natürlich , wenn sie entlassen werden, draußen viel einfacher die Möglichkeit, Fuß zu fassen, sie können auf eigenen Füßen stehen und so für ihren eignen Lebensunterhalt sorgen und sind nicht auf Straftaten angewiesen um an Geld zu kommen. Darüber hinaus führt die Berufsausbildung natürlich auch dazu, dass die jungen Leute bei uns das erste Mal überhaupt lernen, was es bedeutet, Erfolg zu haben. Die Frage ist für mich letztlich, wie groß muss der Erfolg sein. Mann kann natürlich in kleinen Schritten und das machen wir auch, anders geht es bei uns auch nicht, dass man in kleinen Schritten sich an Erfolge heranarbeitet und ja, dann machen unsere Jungs mit mal die Erfahrung, da hab ich einfach die Prüfung geschafft. Autor Ich finde es erfrischend, wie Friedrich Waldmann immer wieder die Formulierung ?unsere Jungs? rausrutscht, nachdem er lange genug offiziell über ?die Gefangenen? geredet hat. Die Prüfungen bewegen sich auf unterschiedlichem Niveau ? Zertifizierung durch die Handwerkskammer, Facharbeiterbrief oder Gesellenbrief. Wichtig ist, dass man den Bescheinigungen nicht ansieht, wo sie gemacht wurden. Dennoch raten die Erzieher ihren Auszubildenden, ihre Haftzeit nicht zu verschweigen, wenn sie danach gefragt werden. Die Erfahrung ist aber, dass die Gefangenen wissen, dass sie mit ihrer Biographie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Handicap haben ? daher sind sie oft besser motiviert und leistungsstärker als Gleichaltrige draußen. OT Waldmann Ganz aktuelle Zahlen kann ich Ihnen nicht bieten, weil es dafür kein Zahlenwerk gibt, da ist man erst dabei, das Zahlenwerk aufzubauen. Das, was ich ihnen sagen kann, ist , dass wir hier in Herford im Rahmen eines Forschungsprojektes zu folgendem Ergebnis gekommen sind. Junge Gefangene, mit denen nichts passiert ist im Vollzug, mit denen nicht gearbeitet worden ist, weil sie nicht mit sich arbeiten lassen wollten, hatten eine Rückfallquote von etwa 98%. Die andere Seite der Schere waren die Gefangenen, die eine Berufsausbildung abgeschlossen haben im Vollzug und die in Arbeit und Wohnung vermittelt werden konnten, da betrug die Rückfallquote etwa 27% - also eine ganz massive Spannweite der Schere. Und die durchschnittliche Rückfallquote beläuft sich auf 40%. Autor Statt 40% gibt es nur noch 27% Rückfälle - das kann man eine massive Verbesserung nennen. OT Drewes (Beginnt mit Geräusch) So das ist unsere Metallausbildung, d.h. hier werden gefangene zum Teilezurichter und zum Konstruktionsmechaniker ausgebildet, wobei wir diese Ausbildung nach Möglichkeit koppeln. D.h. wir bilden die gefangenen erst zum Teilezurichter und wenn sich dann von der Strafzeit her die Gelegenheit ergibt, dann hängen wir das eine Lehrjahr zum Konstruktionsmechaniker hinten dran.... Autor In der weiten Werkhalle stehen ein paar junge Männer in blauer Arbeitskleidung mit schweren Schutzmasken über den Köpfen. Namen und Straftaten tun hier nichts zur Sache, die Perspektiven zählen. OT A: Was hier passiert? Ja, wir machen die Ausbildung als Teilezurichter oder Konstruktionsmechaniker und stellen hauptsächlich Grille her, - Teilezurichter sind eigentlich Hilfsarbeiten, dass sind so 2jährige Ausbildungen, Schweißen, Flexen all so was. Was er sonst machen würde....Hier im Knast? Wahrscheinlich auf Zelle sitzen oder irgendwelche dummen Arbeiten machen. Berufsausbildung... Ich habe jetzt noch gar keine, aber im Dezember hab ich Teilezurichter fertig, dann wird ich nächstes Jahr entlassen und dann wird ich draußen arbeiten, als Teilezurichter... B: Hier in Herford bin ich schon 20 Monate. Ich würde gerne Konstruktionsmechaniker machen, aber ich kann es nicht, weil ich jetzt nächsten Monat entlassen werde und draußen möchte ich Industriemechaniker weiter machen , mal gucken ob das angerechnet wird, glaub ich eher weniger, sonst geh ich erst mal unter tage arbeiten, mal gucken. ....Ich zum Beispiel hatte draußen keinen Abschluss, bin reingekommen mit 15 jetzt bin ich mit 18 wieder draußen, ich hab nur Glück, dass ich eine vernünftige Familie hab, die auch hinter mir steht andere haben nicht diese Chance...ich wird ja auf der Zeche in Hamm Industriemechaniker machen, wenn ich das durchziehe, dann hoffe ich mal, dass ich mein Leben wieder in den Griff kriege Regie Es kommt eine Zeit (For once in my life) Stefan Gwildis 105 Music, LC 012465 Autor Herford ist erst kürzlich einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, weil dort 2005 MARTa eröffnet wurde ? ein Museum der modernen Kunst in einem spektakulären Bau des Stararchitekten Frank Gehry. Ich bin wieder im Museum, genauer in der Ausstellung ?MARTa schweigt?. Valerie Schwindt-Klevemann erklärt: Regie Atmo OT Valerie Das ist jetzt ein Kunstwerk von Gert Robijens (Pro Deo, 2006), das ist auch ein belgischer Künstler und als er da zu Besuch war und das installiert hat ? also das sieht aus wie ein Drehtür, und das ist alles durchsichtig. Und er erzählt, er war einkaufen gegangen und hatte seiner Begleitung gesagt, ich bleibe und warte draußen ? es war ein Rieseneinkaufszentrum ? und er wartete vor der Tür und diese Tür drehte sich und drehte sich und er wartete, er wartete und es drehte sich und es dauerte ziemlich lange und dann sagte, dass plötzlich ? die Situation ist gekippt, plötzlich sah er ganz etwas anderes und plötzlich fand er das Ganze ganz poetisch und deshalb hat er auch die Pflanzen über dieser Tür sozusagen. Aber an der Stelle frage ich dann, ob die Leute da reingehen wollen, denn da kann man eine Menge verstehen. Autor Mich würde als erstes interessieren, ob da überhaupt Glas drin ist? Richtige Frage. OT Valerie Genau, das ist eigentlich kein Glas in dieser Drehtür und das ist sehr verwirrend, das sieht man nicht sofort von außen, weil das auch total spiegelt, aber wenn man die Besucher da rein lässt und die fangen an, der Tür zu folgen und drehen, dass sehen die nicht sofort, manchmal gar nicht, und plötzlich kippt auch die Situation, wie diese Situation vom Künstler vor dem Einkaufszentrum, wo er plötzlich was ganz anderes sah. Das ist ein Kunstwerk, was sich um sich selbst dreht, das könnte auch eine Gebetsmühle sein, andere sagen mir, das ist wie eine Eismaschine, das sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, alle, die da reingehen, spüren was und sagen, Mensch, das sieht aus so oder so oder so. und das ist auch dieser Aha-Effekt , wenn man merkt eine Drehtür, ich mach ein paar Schritte und plötzlich sieht man: Oh! das ist doch keine Drehtür. Regie Atmo Wechsel , Glocken von Herford Autor Herford macht auf den Besucher einen eigentümlichen Eindruck. Die Stadt hat eine bedeutende Geschichte, die auf das Jahr 800 zurückgeht, als hier ein Kloster für die Töchter des sächsischen Adels gegründet wurde. Nur 100 Jahre später hatte sogar jemand eine Marienerscheinung, die älteste bekannte in Norddeutschland. Diese Vision ? das Wort spricht der Westfale mit scharfem V, also ?Fision? aus - diese Fision gab immerhin einem jährlichen Volksfest den Namen, der Visions-Kirmes. Das würde ich als bodenständigen Umgang mit den Erscheinungen der höheren Kultur werten. Autor MARTa drinnen, ein Gespräch mit Jan Hoet. Jan Hoet ist Belgier und der künstlerische Leiter des Museums. Im kommenden Jahr wird er die Leitung abgeben, dann ist er über 70 Jahre und zum Ruhestand berechtigt. Warum ist er, der eine Documenta in Kassel gemacht und das Museum in Gent in Belgien aufgebaut hat, nach Herford gekommen? Ungeachtet des herausragenden Museumsgebäudes ist Herford nicht eben der Ort, der europaweit für eine agile Kunstszene bekannt wäre. OT Hoet Erstens liebe ich die Peripherie, ich bevorzuge immer, einen Ort zu finden, wo ich von Null anfangen kann. Das war auch in Gent so, in ´75, und das war das erste Museum für zeitgenössische Kunst, das spezifisch mit zeitgenössischer Kunst sich beschäftigt, in einem Land, wo viele Sammler sind, wo Galerien auch sind, aber wo Kunst 100%lich elitär ist, und wo es in der Tat nicht in der Öffentlichkeit so stark präsent ist. Dann bin ich nach Herford gekommen auf Besuch einen Ort, wo ich von Null anfangen kann. Autor Hoet sitzt schmal und schmächtig, aber für einen Mann seines Alters ausgesprochen agil auf einem Hocker. Den Stuhl hat er mir zugeschoben und diese höfliche Geste war ohne Gewaltanwendung meinerseits nicht zurückzuweisen. Hoet scheint jemand zu sein, der mit Unbeirrbarkeit seine Wünsche zum Erfolg führt. Und für MARTa hat er eine ?Fision?: OT Hoet Der Name MARTa ist Möbel - Art ? Ambiente: das ist die fließende Kreativität durch verschiedene Disziplinen. Ich merke zu Beispiel heutzutage, dass sehr viele Künstler sich mit Design auseinandersetzen, Design als ein Phänomen der Alltäglichkeit und Kunst setzt sich damit auseinander. Auch mit Architektur, viele Künstler machen architekturale Installationen, nicht allein Malerei, und diese Breite zwischen Malerei und Installationen, zwischen Architektur und Design, zwischen Design und Kunst, die versuche ich in diesem Museum zu gestalten, so dass die Leute die Breite von Ausdrucksformen erleben können. Autor Nun ist es aber so, dass moderne Kunst sich nicht leicht erschließt. Es scheint ein langer Prozess zu sein, dem Museum ein Publikum zu erziehen. Jan Hoet selbst gibt Kurse über Moderne Kunst und freut sich über 80 bis 100 Zuhörer pro Veranstaltung. Ein hoffnungsvolles Zeichen. Im Moment kommen die meisten Besucher noch wegen der spektakulären Architektur, und aus Herford selbst kommen sie nur selten. Zum Glück hat Jan Hoets Name in Belgien und Holland eine erprobte Zugkraft, von dort kommen viele Neugierige. OT Hoet Wenn ich das vergleiche mit dem ersten Jahr, wo bei fast jeden zweiten Tag ein Leserbrief stand gegen MARTa, auch die Idee, das hat keinen Sinn, wir brauchen das nicht und die Stadt verliert ihre Ruhe. Und dann habe ich immer geantwortet, die Kunst geht nicht über die Ruhe, dass wir auch feststellen, dass viele von den Jugendlichen wegziehen aus der Stadt und dass, wenn wir nicht aufpassen, wenn wir nicht das Publikum beziehen in diese Prozesse und auch nicht beziehen in die Gegenwart, in die kulturellen Biotopen, dass das eine Stadt wird, dass das eine Ruine wird, das habe ich auch ganz deutlich gemacht. Eine Ruine weil, es gibt mehr und mehr einen Mangel an einem kritischen Apparat und der kritische Apparat, der sich überwiegend feststellen lässt in dem Alter zwischen 18 und 30 Jahre alt, das ist der kritische Apparat und der fehlt mehr und mehr, deswegen braucht man unbedingt kulturelle Biotope. Autor Womit man bei der altbekannten Frage wäre: Wozu brauchen wir Kunst? Jan Hoet zitiert Albert Camus: ?Wenn die Welt klar wäre, sagt Camus, gäbe es keine Kunst.? ? will sagen, solange die Welt so unklar bleibt, wie sie ist, brauchen wir eine Kunst und die Herausforderungen, die sie an die Betrachter richtet. Dafür fehlt anscheinend in Herford, zumindest im Rathaus, das Gespür. Aber vielleicht liegt das Problem auch darin, dass MARTa die Frucht einer Revolution von oben ist. Der Wunsch nach diesem Museum kam nicht aus der breiten Bevölkerung, sondern vom Ministerpräsidenten, von ein paar einflussreichen Bürgern und dem damaligen Bürgermeister. Und die Stadt straft mit Nichtachtung. Regie Musik zur Trennung, geht über in Atmo OT Valerie Wir haben hier ein Kunstwerk auf dem Boden, das ist ein Kunstwerk von Helen Mirra ( Elm Dropover, 2002), und man sieht, das ist ein großer grüner Teppich in verschiedenen Schattierungen, das ist ein patchwork, die Nähte sind manchmal nach oben und manchmal nach unten, es ist wirklich so ein Spiel, und natürlich sieht , das ist die Farbe Grün, Ursprung der Natur, oder Naturdenkmal, aber wenn man ganz genau anguckt, könnte es auch ganz was anderes sein, zum Beispiel Tarnung oder Camouflagefarben, also Militär. Autor Der Betrachter steht vor einem Rätsel ? er befindet sich in einer großen, weißen Halle, die sich wellenförmig zu einen Dom aufschlängelt, und sieht vor sich auf dem Fußboden nur schokoladentafelgroße Wollrechtecke in unterschiedlichen Grüntönen. Es gilt die Maxime des großen Theodor Fontane, der sagte: Man sieht nur, was man weiß. Fontane war ein Erzähler, also lasse mich mir was erzählen - von Valerie Schwindt- Klevemann. OT Valerie Und da haben wir zwei Komponenten, um weiter zu verstehen. Helen Mirra will damit aufmerksam machen auf die Ausrottung der Ulmen, der Baum in Amerika, und zwar warum? Natur hatten wir gesagt ? der Baum ist sehr gefährdet mit Pilzkrankheiten, wird erstickt, das ist eine Sache und eine zweite Sache ist natürlich das Militär. Die haben so viel abgeholzt, das ist manchmal wirklich dramatisch in bestimmten Orten sind nur noch zwei Ulmen, die da stehen. Die Teppich ist mit alten Militärdecken gemacht, die recycelt waren und wenn man genau aufpasst, wenn man die Konturen folgt, dann repräsentiert das die Baumkrone der Ulme. Sehen sie das? ? Auch eine schöne Arbeit. Autor Kann man so sagen. Aber nur, wenn man eben weiß, was man wissen muss. Das klang dann wohl ein bisschen maulig, und so lässt mich Valerie Schwindt-Klevemann nicht davon. OT Valerie Natürlich muss man ein bisschen Hintergrund haben aber , wenn man in Übung ist, könnte man das fast erahnen. Regie Musik zur Trennung Autor Die Stadtväter von Herford haben ein einzigartiges Verfahren erfunden, ihrem Museum Zügel anzulegen. Jan Hoet muss für die Überschreitungen seines Etats selbst haften. Das bedeutet, wenn eine Ausstellung mehr kostet als im vorgesehenen Budget festgelegt, muss Hoet einen Nachtrag beantragen. Tut er dies nicht rechtzeitig, haftet er mit seinem eigenen Vermögen. Sage noch einer, die Stadtoberen von Herford seien der Kreativität abgeneigt. Das Verfahren ist einzigartig und hat in der Kunstszene schon zu heller Empörung geführt. OT Hoet Ich habe das natürlich auch ein bisschen bewerkstelligt, um ein bisschen Ruhe in diesem Dorf zu schöpfen. Das war hektisch war das, die Diskussionen, die Schwierigkeiten, die Widerstände. Dann habe ich gesagt: Come on, wenn es Probleme, gibt finanzielle Probleme gibt, dann bin ich bereit, dafür zu haften. So einfach. Und plötzlich war Ruhe. Autor Für den Museumschef ist es ärgerlich, dass sich für die Stadtväter der Erfolg des Museums sich darauf reduziert, dass der Etat rechtzeitig gedeckelt wird. OT Hoet Wenn Fragen gestellt werden, dann ist es immer: Wie viel hat ein Transport gekostet, wie viel hat das gekostet, wie viel eine Skulptur, die uns nichts sagt ? aber nie über Kunst. Autor Manfred Ragati, Mitinitiator des Projekts MARTa, findet das Verfahren unvernünftig. OT Ragati Ich weiß auch nicht, ich halt das für dumme Spielereien, die die Motivation eines kreativen Menschen erheblich beschädigen können und ist im Prinzip falsch. Die Stadt müsste sich andere Marketingleute halten oder anschaffen oder ein gutes Büro beauftragen für Marketing. Autor Die weithin offene Frage ist, ob die Stadt das denn will. Am Ende habe ich habe Jan Hoet gefragt, was in seinen Beständen sein Lieblingsstück ist. Er sagte: OT Hoet Mein Lieblingsstück ist der Teppich von Cai Guo-Qiang, dieser Teppich mit den Pfeilen, ich finde das unglaublich, Autor Die Arbeit besteht aus einem fliegenden Teppich, der unter der Decke hängt, wie vom Fahrtwind gebläht, aber durchstoßen von einer Vielzahl von Pfeilen. OT Hoet ...erstens weil es hängt und das Raumgefühl stärker macht, das es auch ein politischer Hinweis ist auf die Weise worauf Amerika Arabien beherrschen möchte und genau diese Symbole benützt, die man von Amerika kennt, und das ist es, es ist eine Arbeit die sehr komplex ist und auch mit Geschichte zu tun hat. Autor Man denkt sich ja ein in die moderne Kunst. Und so verstehe ich den Fliegenden Teppich als ein Symbol für Jan Hoets Position in Herford - hochfliegende Träume, von Pfeilen durchbohrt, aber immer noch ganz oben. Regie Schlussmusik Spr. v. Dienst MARTa kam nach Herford Möbel und Kunst in Nordrhein-Westfalen Eine Deutschlandrundfahrt mit Paul Stänner 1