DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Karin Beindorff Dossier Das System Karzai oder steckt hinter dem afghanischen Chaos eine Ordnung? Von Marc Thörner Regie: Karin Beindorff Technik II Autor: Frank Arnold Sprecher 1: Hendrik Stickan Sprecher 2: E.A. Schepmann Sprecher 3: BrUNO Winzen Sprecher 4: M.Thörner Chronist/Zitator Volker Risch Sprecherin: Marietta Bürger Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 03. Dezember 2010, 19.15 - 20.00 Uhr Sprecher: Zitat aus Wikileaks Afghanistan Musik Autor: Kabul, 22. September 2010. Vor einer Versammlung von Schülern und Lehrern bricht der afghanische Präsident Hamid Karzai plötzlich in Tränen aus. O-Ton Karzai: Sprecher 3: Ich möchte, dass mein Sohn Mirwais in Afghanistan zur Schule geht. Aber ich habe Angst, bei Gott, ich schwöre, ich habe Angst, mein Sohn könnte gezwungen sein, das Land zu verlassen. Unsere Söhne gehen wegen der vielen Selbstmordattentate nicht mehr zur Schule Unsere Lehrer kommen wegen der Morddrohungen gegen sie nicht mehr zum Unterricht. Viele Schulen sind geschlossen! Hört auf damit. Hört auf zu kämpfen! Autor: Herat gilt als Afghanistans kulturelle und geistliche Hauptstadt. Vor dem Rat der Religionsgelehrten spricht dessen Vorsitzender, Maulana Khodadad. O-Ton Maulana Khodadad: Sprecher 2 Meine Herren: Wollen Sie als Mullahs etwa Ihre Kinder zur Schule schicken? Sind alle hier etwa damit einverstanden, ihre Kinder zur Schule zu schicken? (aus der Versammlung hört man Nein-Stimmen, Khodadad lacht) Autor: Hamid Karzai ist Afghanistans politischer Führer. Aber die Religionsgelehrten von Herat geben in moralischen Fragen den Ton an. Was hier in Herat gesagt wird, ist für viele Menschen bindend. O-Ton Maulana Khodadad: Sprecher 2: Gut: Bestimmt gibt es auch viele Mullahs, die das tun. Sie können das natürlich selbst entscheiden. Ein großer Mann hat mich gefragt, warum ich meine Kinder lieber zu Hause lasse. Sogar der Präsident der Republik hat mich aufgefordert, meine Haltung zu ändern. Ich möchte aber, dass alle meine Kinder Mullahs werden. Nicht ein einziges geht deshalb in die Schule. Atmo: Demo, Polizeisirenen Ansage: Das System Karzai oder steckt hinter dem afghanischen Chaos eine Ordnung? Ein Feature von Marc Thörner O-Ton Abdullah Abdullah: Sprecher 1: Karzai hat eine goldene Chance verspielt. (/) Er hat es nicht geschafft, etwas aus seinen guten Startbedingungen zu machen. Er ist auf unverantwortliche Weise damit umgegangen und hat den Wagen an die Wand gefahren, für die Afghanen, aber auch für die internationale Gemeinschaft, für den Frieden in unserer Region. (/) Niemand hätte ihm das zugetraut. Er wird es nicht mehr schaffen, seine Fehler zu korrigieren. Autor: Ohne Abdullah Abdullahs Einfluss, wäre Hamid Karzai heute wohl kaum Präsident des Landes. Der ehemalige Außenminister verhalf dem paschtunischen Aristokratensohn zu seinem Amt. Heute allerdings ist er Karzais schärfster Kritiker. Doch auch Abdullah hätte für Karzai nicht Königsmacher sein können, wäre der 9. September 2001 anders verlaufen ? der Tag, den viele hier als den "afghanischen 11. September" betrachten. Fahim Dashty erinnert sich an diesen Tag so wie an keinen anderen seines Lebens. O-Ton Dashty: A few foreigners, including... Sprecher 3: Einige Ausländer, (/) unter ihnen auch zwei Araber waren kurz zuvor per Hubschrauber aus dem Panjir-Tal gekommen. Autor: Der sehnige Endvierziger mit den tiefen Brandnarben im Gesicht und an den Armen ist heute Chef der Wochenzeitung Kabul Weekly. Im September 2001 war Dashty einer der engsten Mitarbeiter Ahmed Shah Masuds, des legendären Führers der sog. Nordallianz, einem Zusammenschluss von Clanchefs und Warlords aus dem Norden des Landes ? der einzigen Kraft, die der Talibanherrschaft in einigen wenigen Teilen Afghanistans noch Widerstand entgegenzusetzen vermochte. O-Ton Fahim Dashty: We lived ... Sprecher 3: Neun Tage lebten wir mit den zwei Arabern zusammen, teilten wir mit den beiden unser Essen, Frühstück, Mittag.(/)Am 9. September 2001 wachte ich gegen acht Uhr morgens auf und bemerkte, dass die zwei Araber nicht mehr im Gästehaus waren. Jemand sagte mir: Sie sind schon los, um das Interview mit Ahmed Shah Masud zu machen. Autor: Als Verantwortlicher für Masuds Öffentlichkeitsarbeit, war Dashty gehalten, den Chef der Nordallianz ständig zu begleiten, dessen Statements und Auftritte zu dokumentieren. Er griff sich seine Kamera und eilte den beiden arabischen Gästen hinterher. O-Ton Dashty: When I felt ... Sprecher 3: Sobald ich das Gefühl hatte, dass das Interview nun losgeht, platzierte ich mich mit meiner Kamera hinter der des einen Arabers. Aber mir fiel auf, dass zu viel Gegenlicht aus dem Fenster kam, vor dem Masud saß. Deshalb packte ich meinen Scheinwerfer aus. Das dauerte vielleicht fünfzehn oder zwanzig Sekunden. Auf einmal hörte ich eine Explosion, ein ausgesprochen sanfter Knall, ungefähr so, als ob ein Fußball platzt. (/)Meine Augen waren geschlossen. Aber ich spürte das Licht und die Verbrennungen an meinen Händen und Armen. Autor: Was sich in Dashtys Ohren wie das Platzen eines Fußballs ausnahm, war das Geräusch, das ? zehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges - die Illusion einer friedlicheren Welt zunichte machte. Das Signal, das einen neuen Krieg einleiten sollte: den sogenannten War Against Terror. Mit Ahmed Shah Masud starb zunächst der Anführer, unter dessen Kommando sich die Schlüsselfiguren der wichtigsten nordafghanischen Ethnien begeben hatten. Und zwei Tage nach dieser al Kaida-Aktion gegen Masud, rasten die entführten Flugzeuge in den USA ins World Trade Center und ins Pentagon. O-Ton Fahim Dashty: The nine/eleven-attack... Sprecher 3: Der Anschlag vom 11. September 2001 war der zweifellos große Plan. Al Kaida hatte ihn von langer Hand geplant. Und der al Kaida-Führung war klar, dass die USA und ihre Alliierten überaus hart reagieren würden. Deshalb wollten sie Masud vorher umbringen. (/) Es ging ihnen darum, ganz Afghanistan zu kontrollieren, damit niemand sie vertreiben könnte. Chronist (darunter Musik): Die USA suchten sich nun einen neuen Führer und Vermittler ihrer Interessen in Afghanistan aus: Hamid Karzai. Der Sohn eines angesehenen paschtunischen Stammeschefs, in Indien ausgebildet, Berater des US-Ölkonsortiums UNOCAL, schien eine glückliche Wahl zu sein. Einerseits brauchte man die Truppen der tadschikisch und usbekisch geprägten Nordallianz am Boden, um die Taliban zu vertreiben. Aber ebenso brauchte man für die Staatsspitze einen Paschtunen, denn das Land wird traditionell von Paschtunen dominiert. Autor: Ein Paschtune an der Spitze der tadschikisch und usbekisch geprägten Anti-Taliban-Bewegung? Eigentlich eine Quadratur des Kreises. Die schier unmögliche Kombination ging auf die Vermittlung des Nordallianzlers Abdullah Abdullah zurück. Für den gewieften Diplomaten war das der Schachzug des Jahrhunderts. Er trug maßgeblich dazu bei, die US-Regierung von Hamid Karzais Wert zu überzeugen. Damals hielt Abdullah noch einen Neubeginn in seinem Land für möglich ? er dachte an ein Afghanistan, in dem die ethnischen Differenzen kaum eine Rolle spielen; eine einige Nation, gestärkt durch die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. O-Ton Abdullah Abdullah: Sprecher 1: Karzais Ausgangsbedingungen waren gut, denn die Afghanen schienen sich einig. Die Weltgemeinschaft stand hinter ihnen.(/)Kein Zweifel: Demokratie ist für uns eine neue Erfahrung. Aber auf diesen Geist der Demokratie setzten die Afghanen nun ihre Hoffnung.(/)Die Afghanen waren damals wirklich bereit, sich auf diesen Weg zu begeben. Chronist (darunter Musik) Auf dem Petersberg bei Bonn, kürten die westlichen Staaten die Anführer der tadschikischen und usbekischen Kämpfer zu Repräsentanten der afghanischen Bevölkerung. Neben anderen: Den Usbekengeneral Dostum. Die Tadschikenwarlords Mohammed Fahim und Mohammed Atta Nur - und den smarten, weltgewandten Technokraten Abdullah Abdullah. Wie vorgesehen, mit Hamid Karzai als paschtunischem Aushängeschild. Autor: Afghanische Beobachter halten dieses Vorgehen heute für den schwersten Fehler des Westens, für einen nicht wieder gut zu machenden Sündenfall, der den neuen Staat von Anfang an delegitimierte. Yaqub Ibrahimi, einer der bekanntesten afghanischen Journalisten, für seine unabhängige Berichterstattung jüngst mit dem Leipziger Medienpreis gekrönt, vertritt eine klare Position: O-Ton Yaqub Ibrahimi: There was not any government... Sprecher 4: Es gab keine Regierung, die ausländische Truppen jemals aufgefordert hat, nach Afghanistan zu kommen. Die afghanische Regierung ist in Bonn geboren worden, auf dem Bonner Petersberg. Dann haben die Deutschen und die anderen westlichen Staaten, die USA, Kanada, Großbritannien dieses Konstrukt genommen und es nach Afghanistan verpflanzt. Ehe sie gerufen wurden, haben die Deutschen und die anderen ausländischen Staaten sich die entsprechende Regierung selbst zusammengebastelt. O-Ton Abaceen Nasimi: You rely... Sprecher 3: Wenn die Militärs zu Beginn des Afghanistan-Feldzugs mit den Warlords zusammengearbeitet haben ? schön und gut. Sie waren ja die einzige Macht, die gegen die Taliban am Boden vorgehen konnte. Autor: ... meint Abaceen Nasimi, einer der wichtigsten politischen Analysten in Kabul. O-Ton Abaceen Nasimi: Sprecher 3: (/) Aber Afghanistan steht heute immer noch unter der Kontrolle dieser Handvoll Warlords. Mohammed Atta im Norden. Ismael Khan im Westen. Ahmed Wali, der Bruder Karzais, im Süden.(/)Nicht zu vergessen Dostum, ebenfalls im Norden.(/) Das sind die Leute, in die die USA und der Westen im allgemeinen investieren. Autor: Welche Rolle spielen diese Warlords heute im System Karzai, beim Versuch des Präsidenten, seine Herrschaft über den Zentralstaat zu sichern? Um das herauszufinden, waren mein afghanischer Begleiter Harun, ein Fahrer und ich schon einmal im Frühjahr 2009 von Kabul aus nach Norden aufgebrochen. Um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen, in einem afghanischen Taxi, das wir für diese Tour eigens gemietet hatten. Wir fuhren auf die schneebedeckten Berge zu, kamen über Serpentinenstraßen von denen sich grandiose Blicke auf tiefe Schluchten öffneten, hoppelten über die rissige Piste im stockdunklen Tunnel unter dem Salang-Pass. Zweimal rasteten wir, aßen Kebab in afghanischen Gasthäusern und kamen schließlich in die Ebene vor Kundus. Keine Taliban. Keine falschen Checkpoints. Keine backschischlüsterne Polizei. Kein Unfall. Alles ging gut. Bis wir hinter einen Bundeswehr-Konvoi gerieten. Plötzlich stoppten die Fahrzeuge, einige Soldaten saßen ab und sammelten sich, um eine Fußpatrouille zu beginnen. Wir stoppten auch in weitem Abstand von der Kolonne. Dann sahen mein Begleiter Harun und ich, wie etwa fünfzig Meter vor uns ein Männchen in deutscher Uniform sorgfältig in Richtung unseres Autos zielte und schoss. Atmo: Stimme Harun: "They are shooting by a kind of bullet on our car.? Stimme Harun: Schreit auf, darauf: leise, trockene Detonation, Autotür wird geöffnet, Schritte, Brandgeräusche, Autor: Das Projektil, offensichtlich Signalmunition, war neben uns ins Weizenfeld geschlagen und hatte einen Streifen Gras in Brand gesetzt. O-Ton Major Markus Beck, Presseoffizier Kundus: Unsere Rules of Engagement geben her, dass wir uns in dem Moment, in dem wir uns bedroht fühlen, verschiedene Eskalationsstufen einsetzen dürfen, bis hin zum Schusswaffengebrauch.(/) Dazu gehört das Bewerfen mit Wasserflaschen, um deutlich zu machen: bis hierhin und nicht weiter, aber auch der Einsatz einer Signalpistole. Autor: ... erklärte uns kurz darauf im Feldlager der Bundeswehr der deutsche Presseoffizier, Major Markus Beck. Dafür, dass die Soldaten sich im Zustand der Hochspannung befänden, bat er um Verständnis. Die Taliban, erzählte Beck, gingen in letzter Zeit bei Angriffen nämlich immer heimtückischer und effizienter vor. Vor ein paar Tagen habe man es mit Mühe und Not geschafft, sich aus einer fatalen Falle zu befreien Die Gefahr ging nach Einschätzung der in Nordafghanistan eingesetzten Bundeswehr vor allem von den paschtunischen Gemeinden aus. O-Ton Offizier: Hier gibt es schon aus früheren Zeiten sehr viele Paschtunen, die also hier ansässig sind ? ursprünglich ? dann vertrieben, während des Bürgerkrieges, uns die sind jetzt zurückgekommen, zum Teil jedenfalls, radikalisiert aus Pakistan, zumindest einige, und machen uns das Leben schwer. Autor (darunter Musik): Auf der Weiterfahrt in Richtung Mazar-e Sharif waren wir an einer unübersehbaren Wegmarke vorbeigekommen. Ein Fort erhob sich plötzlich auf einer Anhöhe neben der Straße. Errichtet zwar aus Lehm, aber im Stil der Festungsbauten des 18. und 19. Jahrhunderts, eine sternförmig angelegte Bastion, über der jetzt die Fahne der afghanischen Armee flatterte. Atmo: Schritte / Wind Autor (darunter Musik): In der Festung Qal- e Janghi, erklärte mir Harun, hatte sich 2001, während der Kämpfe zwischen der Nordallianz und den Taliban ein Schlüsselereignis abgespielt. Mithilfe von US-Spezialkräften, hatte die Nordallianz bei Kunduz eine Armee von mehreren Tausend Taliban besiegt und sie hier eingesperrt. O-Ton Harun:Those Taleban arrested Sprecher 3: Die Nordallianz hat die Taliban, die sie in Kundus gefangen genommen hatte, in dieses Fort gebracht. Dort revoltierten sie und griffen einen US-Soldaten an. Anschließend begann ein großer Kampf zwischen der Nordallianz und den Taliban-Gefangenen. Viele Taliban kamen dabei ums Leben. Autor: Gemeinsam mit Harun ging ich bis an den Rand des Berges, auf dem die Festung liegt. Die Paschtunen, erzählte mir Harun, sind in Afghanistan traditionell die dominierende Volksgruppe, waren im Norden aber, wo mehr Usbeken und Tadschiken leben, stets in der Minderheit gewesen. Während der kurzen Periode der Herrschaft der? ebenfalls paschtunischen - Taliban sah sich die paschtunische Minderheit gestärkt und liess die Mehrheitsethnien rasch ihre neue Macht spüren. Bei der Vertreibung der Taliban, 2001, begannen sich nun die tadschikischen und usbekischen Warlords der Nordallianz für die Zeit der ungewohnten Bevormundung bitter zu rächen, sagte Harun. Laut Untersuchungen der US-Ärzteorganisation Pysicians for Human Rights, waren von Dostum mindestens 2000 Taliban-Gefangene im Anschluss an die Revolte umgebracht und in Massengräbern verscharrt worden. In Mazar-e Sharif gibt es ein Lokalbüro von General Dostums Bewegung "Jonbesh". Den Repräsentanten wollten wir zu den damaligen Vorfällen befragen: Wie reagiert das usbekische Dostum-Lager auf die Vorwürfe, an Kriegsverbrechen und Massenmorden beteiligt gewesen zu sein? Harun hatte versucht, ein Gespräch für uns zu arrangieren. O-Ton Harun:Atmo Fahrt/ When I called him ... Sprecher 3: Als ich den Repräsentanten von Dostums Jonbesh-Partei anrief, fragte er mich zuerst, was wir denn von ihm wissen wollten. (/) Dann sagte er: Ich bin nicht in Mazar und weiß nicht, wann ich wieder zurück sein werde. (/) Aber der Wachtposten vor dem Jonbesh-Büro hat mir gesagt, dass er hier ist und gerade das Büro verlassen hat. Autor: Dafür saß in der Hauptstadt Kabul jemand, der die Anschuldigungen gegen den Usbekenführer bis ins Detail zu präzisieren wusste: Abdelhadi Arghandehwal, der Vorsitzende der paschtunisch geprägten Partei Hizb Islami: O-Ton Abdelhadi Arghandehwal: Around 3000 people ... Sprecher 3: An die 3000 Menschen sind in der Gegend von Dashty-Laily unweit von Mazar-e Sharif von General Dostums Leuten umgebracht worden. (/) 3000 Menschen. Einfach hingerichtet. Und verscharrt an Ort und Stelle in Massengräbern. Aber bis auf den heutigen Tag bestraft niemand diejenigen, die dies Verbrechen begangen haben. Und nicht nur das. Autor: Die Verbrechen an Angehörigen der paschtunischen Minderheit im Norden, seien seitdem immer weiter gegangen ? insbesondere an Mitgliedern derjenigen Partei, die nach dem Sturz der Taliban die einzige politische Repräsentanz der Paschtunen war, nämlich seiner Hizb Islami: Abdelhadi Arghandehwal: After we ... Sprecher 3: Seit unsere Hizb Islami begonnen hat, ihre politischen Aktivitäten auf ganz Afghanistan auszuweiten, gab es viele Morde an unseren Mitgliedern. Das fing in Kabul an und setzte sich im Norden weiter fort. Vor allem in Mazar-e Sharif, nachdem wir unser neuestes politisches Programm verkündet hatten. Innerhalb eines Monats wurden dort 15 unserer Hizb-Islami-Führer umgebracht, das war 2008 im Juli. (/)Das ist ein organisiertes Verbrechen, begangen durch einen Gouverneur, durch eine Regierung, durch Geheimdienste oder geheime Regierungsorganisationen. Autor: Einen Gouverneur? Damit konnte Arghandehwal nur einen meinen, nämlich den in Mazar-e Sharif zuständigen Gouverneur, Mohammed Atta Nur ? eine der Schlüsselfiguren der Nordallianz. O-Ton Abdelhadi Arghandehwal: The governor of ... Sprecher 3 : Der Gouverneur einer Provinz ist verantwortlich dafür, Verbrechen untersuchen zu lassen. Fünfzehn Führer unserer Mudschaheddin werden umgebracht. Und keiner kümmert sich darum, dem auch nur nachzugehen. (/) Unsere Befürchtung wächst, dass sämtliche Paschtunenführer in Nordafghanistan umgebracht werden sollen. Und vermutlich gibt es viele Hände dahinter, Leute, die die Paschtunen aus dem Norden generell vertreiben wollen. Sie wollen den Druck auf sie so lange erhöhen, bis sie von selbst die Gegend verlassen. Autor: Tadschikenführer Atta, schlussfolgerte Arghandehwal, gehe es nur um eins: Die Nordprovinz von Balkh zu einem von Kabul unabhängigen, ethnisch homogenen Tadschikenreich zu machen. Mohammed Atta Nur arbeite offen gegen den Zentralstaat und den Präsidenten. O-Ton Abdelhadi Arghandehwal: If Karzai let him to stay there ... Sprecher 3: Wenn Präsident Karzai Gouverneur Atta im Amt lässt, ist er dumm. Atta gehört nicht zu Karzais Team. Wenn ich ein Land zu regieren habe, suche ich mir doch eine homogene Mannschaft aus, Leute, die dieselben Ziele wie ich haben und dasselbe Programm umsetzen wollen. Autor: Für die zweite personelle Hypothek in Hamid Karzais Regierungsapparat hielt Arghandehwal den anderen mächtigen Vertreter der Nordallianz, Usbeken-General Dostum. Statt ihn für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, habe Karzai ihn zum Stabschef der afghanischen Armee ernannt. O-Ton Abdelhadi Arghandehwal: There are around ... Sprecher 3: Es gibt 21 Strafanzeigen gegen Dostum. Bei einem Großteil davon davon geht es um Vergewaltigungen. Und dann natürlich der Massenmord an den 3000 Taliban-Kriegsgefangenen. (/) Diese Verbrechen sollten bestraft werden. (/)Jeder Afghane muss der Nation gegenüber Rechenschaft ablegen, und wer Verbrechen gegen unser Volk begangen hat, sollte gemäß unserer Verfassung zur Rechenschaft gezogen werden. Keiner steht über dem Gesetz. (/) Dostum sollte zu diesen Verbrechen befragt werden. Autor: Das ausführliche Gespräch mit Arghandehwal hat mich damals alarmiert. Zwischen den Vertretern der Nordallianz wie Atta und Dostum auf der einen Seite und Arghandehwals paschtunischer Hizb Islami auf der anderen, bahnte sich offenbar ein schwerer Konflikt an. Afghanistan schien vor einer neuen Zerreißprobe zu stehen. Die Nordallianzler waren Teil von Präsident Karzais Macht-Apparat. Die paschtunischen Nationalisten waren nicht repräsentiert, konnten sich aber durch ihre Verwurzelung in der paschtunischen Bevölkerung zu einer ernstzunehmenden Bedrohung auswachsen. Doch ein paar Wochen später, im Vorfeld der für Herbst 2009 angesetzten afghanischen Präsidentenwahlen, erreichte mich per Mail die folgende Pressemitteilung des Präsidentensprechers: Zitator: "Abdelhadi Arghandehwal, Vorsitzender der Hizb Islami, wird heute auf einer öffentlichen Versammlung offiziell bekannt geben, dass er die Angehörigen der Hizb Islami aufrufen wird, bei den bevorstehenden Wahlen für Präsident Karzai zu stimmen." Autor: Mit anderen Worten: Der Hizb Islami-Vorsitzende hatte sich entschlossen, Teil eines Regierungsapparates zu werden, der sich aus Leuten zusammensetzte, denen er Massenmord und ethnische Säuberungen vorwarf. Warum? Als ich ihn kurz vor meiner Abreise noch einmal in seinem Büro aufsuchte, begründete der Chef der Hizb Islami seinen Sinneswandel mit einem überraschenden Argument. Hamid Karzai, so sagte er, sei den konservativen islamischen Ideen seiner Partei weit entgegengekommen. O-Ton Abdel Hadi Arghandehwal President Karzai accepted ... Sprecher 3: Präsident Karzai hat die meisten unserer Bedingungen akzeptiert. (/)Die Scharia beispielsweise ist für uns ein ausgesprochen wichtiger Punkt. Falls die afghanische Bevölkerung denkt, dass die Scharia sie von der Korruption erlösen kann und von dem augenblicklichen System, das ja nicht funktioniert, dann sind wir die Ersten, die sich darüber freuen. Autor: Doch Aufschluss über die eigentlichen Hintergründe dieser bemerkenswerten Allianz erhielt ich erst Anfang 2010. Karzai hatte die Wahlen mit Mühe und Not gewonnen, viele Beobachter sagen: durch Wahlfälschungen und zweifelhafte Allianzen. Einer der profiliertesten Karzai-Kritiker hatte das Land verlassen müssen und beantragte in einem europäischen Land politisches Asyl: Ahmed Hashemi, Ex-Chefredakteur der vielgelesenen Tageszeitung Payman Daily. In Afghanistan hätten die Religionsgelehrten ihn für vogelfrei erklärt. O-Ton Hashemi: Sprecher 3: Maulana Khodadad, der Vorsitzende des Rats der Religionsgelehrten hat öffentlich in der Moschee verkündet: Die Macher von Payman Daily sind Vertreter des Westens und des Unglaubens.(/)Khodadad hat im Rat gegen uns Stimmung gemacht und uns vorgeworfen, wir wollten Afghanistan christianisieren. Payman, hat er gesagt, sei anti-islamisch und unsere Druckerei müsse verbrannt werden. Autor: Tatsächlicher Hintergrund dieses wachsenden religiösen Radikalismus aber war, Hashemis Beobachtung zufolge, ein Machtkampf im afghanischen Regierungsapparat. Demnach hatten die darin vertretenen Nordallianz-Warlords, an erster Stelle Vizepräsident Fahim und Generalstabschef Dostum hinter den Kulissen versucht, Karzai aus dem Amt zu putschen, sich des lästigen Paschtunen an der Staatsspitze zu entledigen Um die Bedrohung durch die Nord-Warlords zu parieren, sah Karzai offenbar gar keine andere Möglichkeit, als ein paschtunisches Gegengewicht zu schaffen, sich mit den erzkonservativen paschtunischen Kräften zu verbünden, Gruppen eben wie Arghandehwals Partei Hizb Islami. Und noch eine Information brachte der geflüchtete Ex-Chefredakteur Hashemi mit: Arghandewahls Partei sei nichts anderes als eine Tarnorganisation der alten Hizb Islami, die unter dem Ex-Mudschaheddin und religiösen Fanatiker Gulbuddin Hekmatyar Seite an Seite mit den Taliban gegen die ISAF, die NATO geführten Truppen, kämpft. O-Ton Ahmed Hashemi: Sprecher 3: Die Parteioberen haben die Organisation einfach in zwei Teile gespalten, ein paar wichtige Leute sind weggegangen und behaupten seitdem: Wir gehören zur Hizb Islami, sind aber nicht mehr mit Hekmaytar zusammen. Tatsächlich werden sie von Hekmaytars Organisation unterstützt. (/)Und Hekmatyar wiederum bekommt sein Geld vom pakistanischen Geheimdienst ISI. (/)Vielleicht hat sich am Vorgehen etwas geändert. Früher ist Arghandehwal direkt nach Pakistan gefahren, um sich sein Geld abzuholen, jetzt fliegt er nach Dubai und holt es dort. Autor: Weil er als Journalist diese fatale Allianz Karzais kritisierte, sagte Hashemi, habe ihn der Präsident aus Afghanistan vertrieben. Und zwar unter der Anschuldigung der Gotteslästerung. Die Geschichte, die er dann erzählte, klang wie eine Satire. Doch für alles, was er sagte, holte Hashemi die entsprechenden Belege aus der Tasche. Chronist (darunter Musik): 2009 brachte 'Payman Daily' einen Bericht über eine bulgarische Wahrsagerin, die behauptete in die Zukunft schauen zu können. Der Bericht sollte ursprünglich in der Rubrik "Vermischtes" erscheinen, geriet aber versehentlich auf die Seite eins, die für Politik reserviert war. Hashemis Ehefrau, die Politik-Redakteurin Mahsa Taee ? jetzt ebenfalls aus Afghanistan geflohen - war an der Ausgabe beteiligt: O-Ton Mahsa Taee: Sprecherin: Ich hatte abends noch die Leute angerufen, die für die Archive zuständig sind und Anweisung gegeben, welche Seite morgen veröffentlicht werden sollte. Trotzdem ist dieser Fehler passiert und der Artikel über die bulgarische Wahrsagerin kam auf die erste Seite, die normalerweise für Politik reserviert ist. Am nächsten Tag haben wir uns dafür entschuldigt und die komplette richtige Seite nachgeliefert. Autor: Der Rat der Religionsgelehrten reagierte sofort. Achmed Hashemi zeigte mir einen Videomitschnitt der entsprechenden Sitzung. O-Ton Mohammed Nasir Sultan Ahmed, Rat der Ulema von Herat: Sprecher 2: Die Journalisten der Tageszeitung Payman haben die Worte von Propheten mit den Worten einer blinden bulgarischen Frau verglichen. Dadurch haben sie nicht nur den Islam, sondern alle Religionen beleidigt. Wahrsagerei ist im Islam verboten. Wir können derartige Angriffe nicht hinnehmen(/) Scheich Shinwari, der Vorsitzende des obersten Rates der afghanischen Religionsgelehrten, hat mich gestern angerufen. Er hat mir gesagt: Leute wie diese Journalisten muss man ausrotten, und zwar so schnell wie möglich. Sonst werden sie am Ende uns ausrotten! Atmo:Demo Autor: In Kabul kam es daraufhin zu Demonstrationen gegen die vermeintlich gotteslästerliche Zeitung 'Payman Daily'. O-Ton Hashemi: Sprecher 3: Als Karzai mich zu einem Gespräch über die angeheizte Situation empfing, sagte er mir: Persönlich habe ich gar keine Probleme mit der Zeitung Payman Daily. Ich bin der Präsident eines demokratischen Landes und freue mich über kritische Stimmen. Aber der Rat der Religionsgelehrten toleriert die Zeitung nicht. Er hat ein Gutachten erstellt, nach dem die Zeitung gegen den Islam gerichtet ist ? und wer gegen den Islam ist, kann umgebracht werden. (/)So macht Karzai es immer. Er benutzt den Rat der Religionsgelehrten als ein Instrument. Wenn er irgendjemanden in seinem Staat nicht haben will, sagt er niemals: Ich will dich nicht. Er sagt: Der Rat der Religionsgelehrten will dich nicht. Autor: Die Videoaufnahmen von der Sitzung des Ulema-Rates von Herat belegen: Präsident Karzai selbst hat offenbar den Befehl erteilt, die Macher der kritischen Zeitung 'Payman Daily' der Gotteslästerung zu beschuldigen O-Ton Mohammed Nasir Sultan Ahmed, Sprecher 2: Der Vorsitzende des Rates der Religionsgelehrten hat diesen Brief an das Kulturamt, das Oberste Gericht und den Präsidenten der Republik, Karzai, geschickt. Unser Präsident hat daraufhin erklärt: Wir müssen die Journalisten der Zeitung Payman anklagen und wir müssen sie verurteilen. Der Vorsitzende des Rats der Religionsgelehrten hat also einen Brief an den Präsidenten geschickt und Präsident Karzai hat daraufhin ausdrücklich bestätigt, dass alle diese Leute verurteilt werden müssen. Sprecher liest auf engl. aus Wikileaks: "(THREAT REPORT) ATTACK THREAT RPT Kabul Summary : "MUJAHIDEEN COMMANDER PLANS - Mujahedeen commanders make new plans. Around 28 Nov 06 a meeting took place in KABUL city in the house of Abdul Rasoul SAYYAF (leader of ITTEHAD-I ISLAMI party). Gen Abdul Rashid DOSTUM (the leader of JUMBESH-I MILLI ISLAMI party) Burhanuddin RABBANI (the leader of JAMIAT- ISLAMI) Marshal FAHIM (the leader of NEHAZAT-I MILLI party) ... ... ... Autor darüber: Im Juli 2010 veröffentlichte die Internetplattform Wikileaks geheime US-Armeeberichte aus Afghanistan. Diese Berichte bestätigten die Informationen über den Putschversuch der Nordallianz-Warlords, die mir der Journalist Ahmed Hashemi gegeben hatte. Sprecher liest aus Wikileaks und kommentiert dabei: The leaders agreed to join their forces under the flag of JABHA-I MOTAHID led by Marshal FAHIM aiming to free the country from the ''foreign rulers'' to change the actual government and to promote a new government of Mujahedeen. (that's the sowjet story). At the end of the meeting they decided that all the Mujahedeen commanders should provide weapons to their subordinates and await future orders of Marshal FAHIM.? (So he's the big boss, Marshall Fahim, we should watch out for him) Autor: Diese berichte bestätigten auch Hinweise auf Verbindungen zwischen dem pakistanischen Geheimdienst ISI, dem Gotteskrieger Hekmatyar und der Partei Hizb Islami von Abdelhadi Arghandehwal Als ich im Herbst 2010 wieder nach Afghanistan fahre, ist das System Karzai schon weitgehend von der Allianz des Präsidenten mit fundamentalistischen Kräften geprägt. Abdelhadi Arghandehwal, der Ex-Schatzmeister von Gulbuddin Hekmatyar, ist zum Dank für seine Gefolgschaft von Hamid Karzai zum Wirtschaftsminister ernannt worden. O-Ton Abdullah Abdullah: Sprecher 1: Karzai bedient sich zweier Mittel: Fremdenfeindlicher Ressentiments und des religiösen Konservatismus in der Bevölkerung. Und beides instrumentalisiert er gegen die Zivilgesellschaft. In der ersten Phase seiner Amtszeit hat er die internationale Gemeinschaft, ihre Truppen gegen Teile der Bevölkerung eingesetzt. Nun macht er es umgekehrt und versucht die Bevölkerung gegen die internationale Gemeinschaft aufzubringen. Autor: ... sagt Karzais politischer Rivale Abdullah Abdullah,dessen politische Bewegung aus den Wahlen gestärkt hervorgeging und nun mehr als ein Drittel der Parlamentssitze erhält. Offenbar erkennen die Ex-Warlords der Nordallianz die Bedrohung, die durch Karzais paschtunisch-fundamentalistische Offensive auf sie ausgeht. Einige von ihnen beginnen wieder, eigene Kampfgruppen aufzustellen. Dazu nutzen sie geschickt die US-Strategie der Aufstandsbekämpfung. Sie sieht vor, dass überall irreguläre Milizen und "Selbstschutzverbände" die internationale NATO-Schutztruppe ISAF und die afghanischen Sicherheitskräfte unterstützen sollen. Atmo: Autofahrt Autor: Mit zwei dieser neu eingesetzten Milizenkommandeuren, einem Tadschiken und einem Usbeken, breche ich im September 2010 zu ihren Einsatzorten im Norden auf. Während der Fahrt sind Kommandeur Abderauf und Kommandeur Abdelahmad eifrig beschäftigt, per Mobiltelefon ihre Truppen in den Provinzen Kundus und Baghlan zu koordinieren. Auf einmal läuft bei Kommandeur Abderrauf ein ganz besonderer Anruf ein, eine Frauenstimme meldet sich. Atmo: Frauenstimme / Dialog mit Abderrauf steht frei ; Stimme Fahrer: Stimme Autor / Stimme Fahrer: "Any news?" - "Good news! He will tell you.? ? Autor: Mein afghanischer Dolmetscher hat das Gespräch mitverfolgt und übersetzt: O-Ton Dolmetscher: She was... Sprecher 3: Die Frau war eine Spionin des Kommandeurs.(/ Es geht um einen Taliban Führer namens Mullah Abbour. Die meisten Operationen von Abderraufs Miliz richten sich gegen diesen Taliban-Anführer.(/) Die Frau ist mit Mullah Abbour verwandt. Er hat ihr gesagt: Ich will mich mit Regierungsvertretern treffen. Ich will eventuell den Kampf einstellen und auf die Seite der Regierung überwechseln. Autor: Doch dafür stellt der Taliban-Führer einige Bedingungen, präzisiert der Milizenchef Abderrauf: O-Ton Abderrauf: Sprecher 3: Die US-Special Forces haben neulich Mullah Abbours Bruder verhaftet. Mullah Abbour will ihn frei haben. Mein Plan ist jetzt, einen Deal zwischen Abbour und den Special Forces zu arrangieren. Wir sollten Mullah Abbour dazu bewegen, dass er bei den Taliban bleibt, aber dass er uns aus dem Innern ihrer Organisation heraus Informationen über ihr Vorgehen liefert. Sobald er sich als nützlich erweist und gute Informationen liefert, könnten wir die US-Special Forces darum bitten, seinen Bruder freizulassen. Autor: Und dann wendet Kommandeur Abderrauf sich direkt an mich: O-Ton Abderrauf: Sprecher 3: Vielleicht könnten Sie helfen, eine Verbindung zwischen Mullah Abbour und dem deutschen Feldlager in Kundus herzustellen. Sie könnten dort erklären, dass ein Talibanführer uns als Spion höchst nützlich sein kann. Vielleicht können die Deutschen ein paar Mittel für Mullah Abbour locker machen. Autor (darunter Musik): Am Rand der Strasse nach Kundus machen wir ein Picknick. Die zwei Milizenkommandeure erzählen, dass sie schon seit längerem mit der deutschen Bundeswehr zusammenarbeiten und ihr einige wichtige Dienste leisten. Abderrauf holt ein Signalgerät aus der Tasche, das auf den ersten Blick so aussieht wie eine etwas zu groß geratene durchsichtige Patronenhülse. O-Ton Abderrauf: Sprecher 3: Ein deutscher Soldat hat mir dieses Signalgerät gegeben. Damit kann man vom Boden aus Kampflugzeuge darauf hinweisen, dass man kein Feind ist, sondern zu den eigenen Kräften gehört. Autor: Vor allem die gefährlichen Aufgaben nehme man den Deutschen ab. Abderrauf befehligt 80 Männer. O-Ton Abderrauf: Sprecher 3: Wir sorgen jetzt für die Sicherheit der Verbindungsroute zwischen Kundus und Baghlan. (/)Das ist die Autobahn, auf der ISAF und die NATO ihre Transporte abwickeln. Das gehört zu unseren wichtigsten Jobs.(/) Bei wichtigen Operationen werden wir vom deutschen Wiederaufbauteam in Kundus mit eingebunden. Autor Unter einem Baum am Straßenrand trinken wie ausgiebig Tee und essen Kebab-Sandwiches. Genügend Zeit, darüber nachzudenken, was aus dem Anspruch geworden ist, mit dem Hamid Karzai 2001 sein Amt antrat; was aus der usrprünglichen Zielsetzung des internationalen Engagements ? und mit welchen immer neuen Wendungen deutsche Politiker versuchen, der Bevölkerung zu erklären, warum das Afghanistan-Mandat verlängert werden müsse. Den Zentralstaat fördern und den Rechtsstaat aufbauen, hatte es ursprünglich geheißen. Gerne hätte ich dazu Michael Steiner befragt, den Afghanistan Beauftragten der Bundesregierung. Doch der erklärte, ein Beitrag mit dem Titel 'Das System Karzai' müsse zwangsläufig kritisch ausfallen und mit Kritik am afghanischen Präsidenten wolle er nicht in Verbindung gebracht werden. Einer, der den Afghanistan-Einsatz von Anfang an politisch begleitet hat, ist Ruprecht Polenz, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Bundestagsausschusses. O-Ton Polenz: Es gibt kaum einen anderen Weg, als (/) diejenigen, die glauben, wie früher als Warlords agieren zu können, auch letztlich vor Gericht zu stellen und aus diesem Prozess herauszunehmen. Autor: Nur ein Jahr später, im Sommer 2010, hörte sich Polenz ganz anders an. Warlords und ihre Verbände als schlagkräftige Partner ? warum nicht, meinte er inzwischen. Deren Führer müssten sich nur vorher zur afghanischen Verfassung bekennen, der Gewalt bei der Durchsetzung eigener politischer Ziele abschwören und keine Verbindungen zur al Kaida unterhalten. O-Ton Polenz: Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann kann es denkbar sein, solche Gruppen auch einzubeziehen in Aufgaben zur Gewährleistung der allgemeinen Sicherheit, allerdings nur in klarer Abstimmung mit der afghanischen Regierung, den afghanischen Sicherheitskräften, weil man sonst (/) ein Chaos anrichtet. Autor: Folgten westliche Politiker tatsächlich, wie sie vorgaben, mit ihrer angeblichen Realpolitik nur den jeweiligen Entwicklungen in Afghanistan ? oder gaben sie nicht in Wirklichkeit selbst den Kurs vor? Letzteres glaubte Abaceen Nasimi. Der politische Analyst hatte die westlichen Militärstrategen gewarnt, die Idee der Milizen aus der Mottenkiste einer kolonialen Militärgeschichte zu holen. O-Ton Abaceen Nasimi The only reason could be ... Sprecher 3: Der einzige Grund, Milizen aufzustellen, ist: Die westlichen Militärs können mithilfe dieser Lokalherrscher die Lage leichter kontrollieren. (/)Das Milizenmodell folgt dem alten schmutzigen Teile-und-Herrsche-Prinzip. Man spaltet Gemeinden auf der Grundlage ethnischer, ideologischer oder anderer Unterschiede. Aber das wird die Lage nicht stabilisieren. Langfristig wird es die sehr zerbrechlichen zentralstaatlichen Strukturen zerstören, die sich in dieser Gesellschaft entwickelt haben. Autor: Mit der Bedrohung, die für die Bundeswehr von den Paschtunendörfern ausgehe, sagt mir Abderraufs Kollege, der Usbekenkommandeur Abdelahmad, könne man bestens fertig werden. O-Ton Abdelahmad: Sprecher 3: Man kann zwar nicht sagen, dass grundsätzlich alle Paschtunen mit den Taliban zusammenarbeiten, aber etwa 40 bis 50 Prozent tun das. Die Gefahr geht vor allem von denjeinigen Paschtunen aus, die in Pakistan ausgebildet wurden und die jetzt als Zivilisten ein normales Leben führen. Aber nachts greifen sie zu den Waffen und schüren Unruhe gegen die Regierung. Autor: Die Deutschen brauchten sich da keine Sorgen mehr zu machen. Er und seine Leute seien in der Lage, die Gefährlichen von den Ungefährlichen zu unterscheiden. O-Ton Abdelahmad: Sprecher 3: Ich bin verantwortlich für die Gegend zwischen Kundus und der Nachbarprovinz Baghlan. Mein Hauptquartier befindet sich in Bakshi Baghlan. Dank meiner Truppe können dort die Menschen dort in Sicherheit leben. Wir überlassen diese Region unter keinen Umständen irgendwelchen regierungsfeindlichen Kräften und die Regierung unterstützt uns dabei. Atmo: Fahrt Autor: Nach dem Abschied von den beiden Milizenchefs, eröffnet mir mein paschtunischer Fahrer mir, dass Milizenchef Abdelahmad durchaus kein Unbekannter in der Gegend sei. O-Ton Fahrer: Pashtoon-killer his name... Sprecher 3: Sein Spitzname lautet "Paschtunenkiller." Im Bürgerkrieg hat er viele Paschtunen umgebracht. Pashtun-Kush heißt er in unserer Sprache ? Hör gut zu: Paschtunenmörder. (/)Es ist bekannt, dass er noch immer gegen die Paschtunen ist. Warum hat er während des Interviews gesagt: 50 Prozent aller Paschtunen sind gefährlich? Jeder Zweite? 50 Prozent sind ziemlich viel, oder? Autor: In Afghanistan scheinen sich auch im Zusammenspiel mit den internationalen Truppen Fronten zu formieren, die denen des Bürgerkriegs der 90er-Jahre erschreckend gleichen ? drei Jahre vor dem anvisierten Abzug der NATO-Kampftruppen. Autor: Was sagt der neue Wirtschaftsminister Arghandehwal zu den Vorwürfen, seine Partei erhalte Geld vom pakistanischen Geheimdienst ISI? Ist der ISI an ihn herangetreten? O-Ton Abdelhadi Arghandehwal: Definetly, 100 percent (Lacht) Yes ... Sprecher 1: Ja, sie tun so was (/)Einige der pakistanischen Regierungsstellen werden immer wieder mit solchen Angeboten bei uns vorstellig. Das letzte Angebot an mich persönlich kam allerdings schon vor Jahren, etwa 2007. Autor: Doch das, so unterstreicht der Hizb-Islami-Chef, habe er als Patriot abgelehnt. Eine Auskunft, die der alte Nordallianzler Abdullah Abdullah dem paschtunischen Politiker nicht abnimmt. Arghandehwal stehe, so Abdullah, noch immer in Verbindung mit dem von Pakistan geförderten Islamisten Hekmatyar. O-Ton Abdullah Abdullah Sprecher 1: Wenn es diese Verbindungen nicht gibt, dann sollte die legale Hizb Islami den Terrorismus, den Extremismus und den Dschihad, dann sollte sie die Aktivitäten Hekmatyars klar und öffentlich verurteilen. Ich habe das noch nicht von ihnen gehört. All das nicht zu verurteilen und dann Ministerämter zu bekleiden ? wo liegt da der Sinn? (/) Hizb Islam-Führer, die jetzt Ministerämter bekleiden, sollten auf den kämpfenden Flügel einwirken. Es reicht nicht, ihnen einfach Kredit einzuräumen, ohne dass man dafür greifbare Gegenleistung einfordert, konkrete Schritte in Richtung Frieden. Autor: Was die Einbindung von Warlords der Nordallianz in den Regierungsapparat betrifft, unter ihnen auch mutmaßliche Kriegsverbrecher wie General Dostum - da zeigt sich Abdullah Abdullah bedeutend toleranter: O-Ton Abddullah Abdullah: Sprecher 1 Zu sagen: wir wollen diese Leute nicht, weil sie sich vor zehn Jahren etwas zu schulden kommen ließen, das funktioniert nicht. Wenn wir noch nicht einmal mit der Ungerechtigkeit von heute fertig werden, wie wollen wir das mit der Ungerechtigkeit der letzten 30 Jahre tun? Autor: Eine Auffassung die Abdullah Abdullahs seinen Charakter zeigt, meint der politische Analyst Abaceen Nasimi O-Ton Nasimi: Abdullah ... Sprecher 3 Abdullah Abdullah ist einfach ein Nordallianz-Warlord, der seine Uniform gegen einen Anzug mit Krawatte eingetauscht hat. (/HR XIV, Tr. 11, 4:17:)It is normal...)Es ist normal, dass Warlords untereinander gute Beziehungen haben. Es sind ihre Netzwerke, die ihnen das Überleben sichern. Abdullah Abdullah war einer der Hauptverantwortlichen der Nordallianz, der Militärfraktion, die in den 90er-Jahren Kabul zerstört und geplündert hat. Autor: Während die Karzai-Administration sich zusehends in ihre Bestandteile, die alten Gruppen aus dem Bürgerkrieg auflöst, fühlt sich Einer in seiner Überzeugung bestärkt: Maulana Khodadad, der Vorsitzende der Religionsgelehrten von Herat. O-Ton Maulana Khodadad: (UL ... ) Sprecher 2: Nein. Ich möchte meine Kinder wirklich nicht zur Schule schicken. Afghanistan ist ein muslimisches Land, also ist jeder, der Muslim ist, automatisch auch ein Lehrer. Ich bin ein Mullah und als Mullahs möchte ich auch meine Kinder großziehen, sie sollen werden, was ich war. Müssen denn alle Ingenieure oder Beamte sein? Meine Idee ist: eine Schule für die erste bis dritte Klasse zu gründen, nichts Weiterführendes, nichts für Erwachsene, wirklich nur etwas für kleine Kinder. Musik, darüber: Absage: Das System Karzai oder steckt hinter dem afghanischen Chaos eine Ordnung? Ein Feature von Marc Thörner Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2010 Es sprachen: Frank Arnold, BrUNO Winzen, Hendrick Stickan, Ernst August Schepmann, Volker Risch und Marietta Bürger Ton und Technik: Gunter Rose und Corinna Hornung Regie und Redaktion: Karin Beindorff 1