DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 05.01.2010 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Im Wegschauen vereint Wie west- und ostdeutsche Diplomaten den argentinischen Diktatoren halfen Von Gaby Weber URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo/Musik O-Ton Ellen Marx: Wir haben uns immer wieder an sie gewandt und haben dabei die Erfahrung gemacht, dass Politik und wirtschaftliche Interessen immer den Vorrang hatten vor den Menschenrechten. Weil uns immer wieder sowohl bei unseren Besuchen drüben als auch hier in der Botschaft irgendwelche Hoffnungen gemacht wurden, dass man vorstellig werden würde aus Anlass von irgendeinem Ministerbesuch, dass sie ein Wort einlegen würden, wir machten sie gewöhnlich vorher darauf aufmerksam und baten dann, dass man doch an unser Problem erinnerte. Es erfolgte nichts darauf. Autorin: Ellen Marx lernte ich vor zehn Jahren in Buenos Aires kennen. Ihre Tochter Nora war verschwunden, ein Opfer der Diktatur. Weil sie Deutsche waren, hatten die Eltern sich an die Botschaft der Bundesrepublik gewandt. Sprecher: Im März 1976 übernahmen in Argentinien die Generäle die Macht: Sie ermordeten 30 000 Regimegegner, schätzen Menschenrechtsorganisationen, darunter viele Deutsche. Ansage: Im Wegschauen vereint Wie west- und ostdeutsche Diplomaten den argentinischen Diktatoren halfen Ein Feature von Gaby Weber Autorin: Als 1973 chilenische Militärs unter der Führung von Augusto Pinochet die demokratische gewählte Regierung Salvador Allendes hinweg putschten, hatte ich gerade das Abitur hinter mir. Ich lebte in Bonn, und ging mit vielen anderen auf die Straße. Die sozialistische Volksfront in Chile wollte schließlich auf demokratischem Weg eine gerechtere Gesellschaft aufbauen. Als nur drei Jahre später im Nachbarland die Militärs ebenfalls putschten, galt meine Solidarität natürlich auch dem argentinischen Widerstand. Doch wir merkten bald, dass sich die Bonner Regierung hinter der "stillen Diplomatie" versteckte und die Appelle von Menschenrechtsgruppen, sich vor Ort für die Opfer einzusetzen, mit wenigen nichtssagenden Zeilen abfertigte. Taub stellte sich auch die Justiz. Eine Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gegen den liberalen Außenminister Hans-Dietrich Genscher wurde eingestellt. Es fehlte Beweismaterial, die Akten des Auswärtigen Amtes waren unter Verschluss. Und auf eigene Faust wollten die Staatsanwälte nicht ermitteln. Musik Sprecher: Der Siemens-Konzern lieferte Atomkraftwerke, sein Hausanwalt war José Martínez de Hoz, Wirtschaftsminister der Junta. Argentinische Offiziere wurden an der Führungsakademie in Hamburg ausgebildet, die Luftfahrtunternehmen Dornier und Messerschmitt-Bölkow-Blohm bauten Kampfflugzeuge und ein Panzertest-Gelände. U-Boote lieferten die Howaltswerke aus Kiel, Fregatten die Firma Blohm & Voss. Die Automobilindustrie investierte Millionen. Mercedes-Benz verkaufte der Armee Lastwagen und Panzerfahrzeuge. Autorin: 1976, im Jahr des Putsches in Argentinien, begann ich, als Journalistin zu arbeiten. Ich las in Geschäftsberichten, wie Großunternehmen die "verbesserten Investitionsbedingungen am Rio de la Plata" feierten. Dass der deutsche Vorzeige-Konzern Daimler-Benz sogar besonders eng mit den Militärs zusammen arbeitete, sollte ich erst viele Jahre später herausfinden. Ich wusste, dass die DDR viele chilenische Flüchtlinge aufgenommen hatte, darunter die spätere Präsidentin Michelle Bachelet. Viel war in Ostberlin die Rede von Solidarität und "proletarischem Internationalismus". Sprecher: Die DDR hatte kaum eigene wirtschaftliche Interessen in Buenos Aires. Die UdSSR dagegen trieb regen Handel mit der Junta und war an einem Fischerei-Abkommen interessiert. Nachdem die USA nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee in Afghanistan ein Weizenembargo verhängt hatten, lieferte die Junta Getreide an Moskau. Autorin: Viele Akten sind in der Zwischenzeit freigegeben ? die der DDR schon seit der Wende. Auch die meisten Unterlagen des Auswärtigen Amtes sind inzwischen zugänglich. O-Ton Dieter Maier Der Botschafter hatte persönliche Kontakte zu den Putschisten, weist immer wieder darauf hin, dass er einen guten persönlichen Draht zu Massera hat, also dem Putschgeneral der Marine. Sprecher: Dieter Maier, langjähriger Mitarbeiter von Amnesty International O-Ton Maier Er hat mehrere Monate vor dem Putsch dem Auswärtigen Amt schon einen Formulierungsvorschlag gemacht, wie zu reagieren sei auf den Putsch, mit Anerkennung des neuen Regimes. Er hat die beiden Tage vor dem Putsch den Plan, den Zeitplan mit Uhrzeit nach Bonn gemeldet und am Putschtag dann selbst telefonisch bestätigt, dass es soweit ist. Er kannte die Details des Putsches. Es kommt dann noch ein Dokument zum Vorschein, aus dem hervorgeht, dass die argentinischen Militärs beim deutschen Verteidigungsattaché vorgefühlt haben, ob es recht ist, wenn sie putschen. Und, die Antwort ist nicht überliefert, aber nach allem, was die Akten hergeben, war sie Ja. Dann hat aber offenbar der Botschafter Bedingungen gestellt. Er hat gesagt: "Wir möchten kein Pinochet-Syndrom. Wir möchten kein Nationalstadion voller Gefangene, diese Bilder sollen unterbleiben. Sprecher: Die argentinischen Militärs verschleppten ihre Widersacher nachts aus ihren Wohnungen, folterten sie in geheimen Verhörzentren und warfen sie aus Flugzeugen ins Meer. Autorin: Schon damals ging die Botschaft der Bundesrepublik von 15 000 Verschwundenen aus, erzählt mir Dieter Maier. O-Ton Maier Sie wusste genau, dass gefoltert wurde und dass die Menschenrechte verletzt wurden. Das hat das Auswärtige Amt in den Berichten aber nicht übernommen, wenn sie irgendeine Bundestagsanfrage beantworten mussten. Aber sie hatten von der Botschaft sehr klare Fakten. Musik Autorin: Die Bundesregierung hatte zwei Lesarten: eine für die Öffentlichkeit und eine andere für den internen Gebrauch. Dies geht aus einer Verschlusssache des Auswärtigen Amtes hervor, die auf meinen Antrag freigegeben wurde. Nach außen machte das Amt "linke Terroristen" für die bürgerkriegsähnlichen Zustände Mitte der siebziger Jahre in Argentinien verantwortlich. Aber in seinem geheimen Lagebericht schrieb der deutsche Botschafter Jörg Kastl, dass die Guerilla den Staat nicht ernsthaft bedrohe. Den traditionellen Feind des Kalten Krieges, die Kommunisten, erwähnte er nicht einmal. Kastl berichtete nach Bonn über einen Streik in der Fabrik von Mercedes Benz, fünf Monate vor dem Putsch. Die Belegschaft forderte Lohnerhöhungen und die Anerkennung des gewählten Betriebsrates anstelle des Vertreters der korrupten Automobilarbeitergewerkschaft SMATA. Auf Betriebsversammlungen hatten zuvor bewaffnete SMATA-Leute Basis-Aktivisten eingeschüchtert. Die Werksleitung unterstützte SMATA. Botschafter Kastl schrieb: Zitator: "(Der peronistische) Arbeitsminister Ruckauf hat die Firmenleitung ermuntert, den Forderungen der Belegschaft nicht nachzugeben. (Er hat den) Streik für ungesetzlich erklärt und die Entlassung von bis zu 400 Arbeitern vorgeschlagen. Dieser Anregung ist die Firma mit der Entlassung von 117 Arbeitern gefolgt, womit sie sich offenbar der Teile der Belegschaft entledigt hat, die im offenen Gegensatz zu der mächtigen SMATA stehen. Ein vergleichbarer Vorgang hatte sich bei den hiesigen Ford-Werken ereignet. Dort hatte die SMATA nach mehrtägigen Unruhen völlig die Kontrolle über die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer verloren. Sie versuchte, ihren Einfluss dadurch zurück zu gewinnen, dass sie der Firmenleitung unter der Hand eine Liste von rund 600 dissidenten Arbeitnehmern vorlegte und deren Entlassung verlangte. Die Firmenleitung entsprach diesem Verlangen der Gewerkschaft, um wenigstens vorübergehend Ruhe und Ordnung im Betrieb wiederherstellen zu können. Bei den entlassenen Arbeitern dürfte es sich nur teilweise tatsächlich um subversiv Tätige gehandelt haben. Unter dem Vorzeichen der Extremistenbekämpfung versuchen die orthodoxen Peronisten in Gewerkschaftsspitze und Regierung ihre angeschlagene Position gegen die unruhig gewordene Arbeiterschaft durch die bei den Firmen erreichte Entlassung der Wortführer zu halten. Die offenkundige Gefahr, dass die aus politischen Gründen Entlassenen, die zudem wegen des Fehlens einer Arbeitslosenversicherung sozial unabgesichert sind, sich in der Folge tatsächlich aktiv an der Guerilla beteiligen, wird gegenüber dem kurzfristigen politischen Ziel der Stabilisierung des in der Auflösung begriffenen Peronismus weitgehend vernachlässigt". Autorin: Nur die Militärs seien in der Lage, für Ordnung zu sorgen. Den Diktator Videla hielt Kastl für "gemäßigt". Und mit dem Juntamitglied Massera spielte er Tennis. Mit welchen Methoden die faschistischen Generäle für "Ordnung" sorgten, dürfte Kastl klar gewesen sein. Wenige Wochen nach dem Putsch waren zwei deutsche Studenten festgenommen und bei der Ausländerpolizei mit verbundenen Augen verhört worden. Sie glaubten, die Stimme eines Polizisten gehört zu haben, der im Nebenberuf die westdeutsche Auslandsvertretung bewachte. Kastl vermerkte: Zitator: "Er hilft uns bei Aufenthaltsgenehmigungen in schwierig gelagerten Fällen und als Verbindungsmann zu anderen Polizeistellen. Seine Entlassung würde unser Bewachungssystem gerade heute, da wir besonders bedroht sind, praktisch entblößen. Vermutlich sind alle abgestellten Polizeibeamten während ihrer Dienstzeit mit der oft nicht konventionellen Bekämpfung des Terrorismus mehr oder weniger beschäftigt. Nähmen wir hieran Anstoß, müssten wir praktisch das gesamte argentinische Wachpersonal entlassen." Autorin Andere westliche Botschaften störten sich sehr wohl an der von Kastl so verharmlosend beschriebenen 'oft nicht konventionellen Bekämpfung des Terrorismus', sie setzten sich für ihre verschleppten Bürger ein und konnten einige retten. Kastl dagegen riet von Wirtschaftssanktionen ab: O-Ton Maier Das interessante ist, dass Botschafter Kastl in Argentinien mit diesen Sanktionen gedroht hat. In seinen Berichten an Bonn aber geschrieben hat, dass er solche Sanktionen überhaupt nicht befürwortet. Er hat gepokert. Er sagt: "Wir haben letzten Endes doch Interesse an vernünftigen diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Dem gegenüber muss das Schicksal Einzelner dann eben zurück stehen." Die Sprache ist eigentlich recht klar. Musik Autorin Zwei Fälle beschäftigten damals die westdeutsche Solidaritätsbewegung ganz besonders: Die Verschleppung und Ermordung von Elisabeth Käsemann und von Klaus Zieschank. Käsemann war mit einer Engländerin zusammen entführt worden. Britische Diplomaten machten sofort Druck und erreichten die Freilassung der Frau. Elisabeth Käsemann dagegen überließ die westdeutsche Diplomatie ihrem Schicksal. O-Ton Maier Da sind dann so Formulierungen, dass man im Falle Elisabeth Käsemanns, deren Tod dann schon bekannt war, dann am besten doch den Briefwechsel einstellt, zumal, heißt es dann, der Besuch von Hermann Josef Abs auf der Tagesordnung stand. Autorin Der mächtige Bankier Hermann Josef Abs ? ein Mann mit einschlägiger NS-Vergangenheit - kam zu dieser Zeit nach Buenos Aires, um dort Geschäfte zu machen. Erst Jahre später, gegen Ende der Diktatur erwähnte der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt die Menschenrechtsverletzungen in einem Brief an General Videla. Sprecher Die westdeutsche Botschaft fühlte sich nicht für Doppelstaatsbürger zuständig, auch nicht für "Deutschstämmige", also Personen, deren Vorfahren eingewandert waren und die keinen deutschen Pass mehr besaßen. Zu ihnen zählten auch Juden, die in den 30er-Jahren aus dem nationalsozialistischen Deutschland flüchten mussten und nach dem Krieg den deutschen Pass nicht wieder beantragen wollten. Autorin: Einen DDR-Pass hatte keiner der Verschwundenen besessen. Das nahm die ostdeutsche Auslandsvertretung zum Anlass, die konsularische Zuständigkeit zu verneinen, und das galt auch für die jüdischen Opfer der argentinischen Diktatur. Ob sich dabei die ostdeutschen mit ihren westdeutschen Kollegen abgesprochen haben, das geht aus den Akten nicht hervor. Sprecher: Vom Archiv des DDR-Außenministeriums ist wenig übrig geblieben. Das meiste wurde wohl vor der Wende vernichtet. Im Bundesarchiv finden sich heute Flugblätter und der Briefwechsel der DDR-Kampagnen für Chile, Paraguay und Uruguay. Autorin: Natürlich wusste die SED von den Morden in Argentinien. Aber sie glaubte ihrer Bruderpartei vor Ort, dass es sich bei den Verschwundenen um sog. "Ultralinke" handelte. Laut Akten beantragte einmal die "Argentinische Liga für Menschenrechte", die der KP nahesteht, finanzielle Hilfe für den Schnitt eines Videos. Und im Mai 1982 bat die Liga den UNO-Sicherheitsrat, sich für eine Feuereinstellung im Krieg um die Inseln einzusetzen, die die Argentinier Malvinas und die Briten Falklands nennen. Dabei ging es um den "Kampf gegen den britischen Kolonialismus". Sprecher: Im Fall Argentiniens gab es von Seiten der staats-sozialistischen Staaten keine Proteste. Autorin: Die wenigen Spendenaufrufe hatten immer denselben Adressaten: Zitator: "Die KP Argentiniens bittet darum, Solidaritätsgüter direkt der KP zu übermitteln, damit der Erlös konkret der KP zugute kommt". Autorin: Während Juntachef Videla Tausende foltern und ermorden ließ, schätzte ihn die KP, ähnlich wie Bonns Botschafter Kastl, als "gemäßigt" ein. Zitator: "General Videla verkörpert eine wichtige demokratische Strömung des Zentrums, die sehr stark in der Armee vertreten ist." Autorin: Die Morde an Oppositionellen gingen auf das Konto von Banden, die die Junta nicht unter Kontrolle hätte, behauptete die KP. Zitator: "Fünfzehn Prozent aller Armeeangehörigen sind ebenfalls gegen den Terror der faschistischen Banden eingestellt. Mit ihnen gilt es zu arbeiten." Sprecher: Ein argentinisches ZK-Mitglied berichtete am 6. April 1977 in Ostberlin: Zitator: "Innerhalb der Streitkräfte haben wir eine demokratische, patriotische und antifaschistische Bewegung organisiert, deren Bestreben es ist, dazu beizutragen, die Faschisten zu kennzeichnen und die Unterdrückung zu verurteilen. Wir machen Parteiarbeit innerhalb der Streitkräfte". Autorin: Tatsächlich waren einige Militärs nicht mit dem Putsch einverstanden. Sie sind entweder ermordet oder ins Exil gedrängt worden. Von einer der KP nahestehenden "anti-faschistischen Bewegung" innerhalb der Streitkräfte ist niemals etwas bekannt geworden. Auch für die ostdeutschen Diplomaten, die die politische und soziale Lage in Argentinien kannten, war der Putsch keineswegs eine Überraschung. Sprecher: Zitat aus einem DDR-Aktenvermerk, am Tag danach: Zitator: "Einzelne Asylersuchen sind nicht auszuschließen. Unter Beachtung vorliegender Instruktionen können der Botschaft bekannte leitende Genossen der KPA aufgenommen werden. Bei Aufnahme anderer der Botschaft bekannter Personen äußerste Zurückhaltung." Autorin: Buchstabengetreu wurde diese "äußerste Zurückhaltung" umgesetzt. In keinem einzigen Fall fanden Hilfesuchende Zuflucht in der DDR-Botschaft. Die SED übernahm die Einschätzung ihrer Bruderpartei. Auch dass kubanische Genossen das Gegenteil berichteten, focht sie nicht an. Beim "Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik", der Birthler-Behörde, finde ich einen streng geheimen Vermerk der Hauptverwaltung Aufklärung vom 16. Februar 1977. Zitator: "Bei einem Gespräch zwischen führenden Vertretern der Kommunistischen Partei Argentiniens (KPA) und führenden Militärs sind die Vertreter der KPA darauf hingewiesen worden, dass auf Druck militant antikommunistischer Kräfte kürzlich eine Spezialkommission zur Untersuchung der Tätigkeit der KPA gebildet worden sei. Ziel der Arbeit dieser Kommission sei die Sammlung von "belastendem" Material, um ein Verbot der KPA erzwingen zu können." Autorin: Dank also des freundlichen Hinweises von "führenden Militärs", wie es hier heißt, konnte die Partei die nötigen Sicherheitsvorkehrungen treffen und sich aus der Schusslinie bringen. Dann führt der Vermerk aus, wie die Partei-Kommunisten gegen die als "Ultra-Linke" diffamierten linken Kritiker der moskautreuen Parteilinie vorgehen wollen: Zitator: "Wie ferner intern bekannt wird, will die KPA in Italien eine kleine, effektiv arbeitende Gruppe bilden, die den Auftrag hat, einen Stützpunkt der argentinischen Ultralinken in Italien aufzuklären. Zu dieser von Italien aus operierenden Gruppe argentinischer Ultralinker gehörten auch Vertreter der Montoneros. Ihr Führer sei ein gewisser Hellmann, der aus der KPA ausgeschlossen worden ist. Hellmann unterhalte enge Kontakte zur italienischen KP und werde von ihr sowie auch von der kubanischen Botschaft in Rom unterstützt. Der von der KPA ausgesprochene scharfe Protest sei lange Zeit unbeantwortet geblieben. Nach wiederholter Anfrage der KPA sei ihr lediglich mitgeteilt worden, man werde die Meinung der KPA respektieren. In diesem Zusammenhang plane die KPA auch Gespräche mit den kubanischen Genossen in Havanna. Dabei soll erreicht werden, dass die Unterstützung der Montoneros in Argentinien und im Ausland durch Kuba eingestellt wird." Autorin: Das Dokument stammt von der Residentur 606 der HV A, erklärt mir Helmut Müller-Enbergs, Historiker bei der Birthler-Behörde. Er ist Experte für die Auslandsaktivitäten der Staatssicherheit. An der DDR-Botschaft in Buenos Aires waren seit ihrer Eröffnung drei "Offiziere im besonderen Einsatz" tätig, einer von ihnen trug den Decknamen "Körner". Auf seinen Informationen beruht der zitierte Aktenvermerk. O-Ton Müller-Enbergs Offenkundig hatte die HVA vor Ort über ihre nachrichtendienstlich tätigen Diplomaten Kontakt zur kommunistischen Führung in Argentinien und zwar nicht auf mittlerer oder unterer Ebene sondern sehr weit oben. Autorin: Besonders hellsichtig war die Stasi am Rio de la Plata offensichtlich nicht. Was das Ministerium für Staatssicherheit vom kubanischen Geheimdienst erhielt, war nicht nur dreimal so viel, sondern auch zutreffender in der Analyse, meint Müller-Enbergs. O-Ton Müller-Enbergs Die kommunistische Partei Argentiniens war ja überdurchschnittlich lammfromm, was die sowjetische Außenpolitik und ihre Vorgaben betraf. Sie war also sehr soldatisch. Und über welches Zeitfenster reden wir? Wir reden über die Breshnew-Ära, die auf dem Papier einen brüllenden Dogmatismus verkörpert hatte, aber ökonomisch gezwungen war, mit jedem hier auf dieser Welt Kontakte und Beziehungen zu unterhalten, um die eigene materielle Existenz abzusichern. Und da haben die Argentinier anders als die Kubaner sich geschmeidig gezeigt, und haben signalisiert, wir vertreten eben in Betrieben nicht die Arbeiterinteressen, sondern haben an der sowjetischen Außenpolitik genug. Da konnten die Kubaner nie mitgehen. Sie blieben stets irgendwie UNOrthodox und authentischer im Vergleich dazu. Insofern dürften die kubanischen Analysen deutlich präziser gewesen sein. Sprecher: Bei dem im HV-A-Vermerk genannten "Ultralinken" Hellmann handelt es sich um den argentinischen Dichter Juan Gelman, der heute in Mexico lebt. Er war damals Mitglied der Montoneros, der wohl bekanntesten Stadtguerilla Lateinamerikas. Musik Autorin: Ein gemeinsamer Freund, der Schriftsteller Eduardo Galeano, hatte Gelman zu einem Abendessen bei mir zu Hause mitgebracht. Ich lebte in den neunziger Jahren in Montevideo, und Gelman suchte in Uruguay sein Enkelkind. Sein Sohn und seine Schwiegertochter waren im Rahmen der Operation Condor ermordet worden. Zu dieser Operation Condor hatten sich Geheimdienste mehrerer lateinamerikanischer Diktaturen zusammengetan, um sich der linken Kritiker ihrer Regime zu entledigen. Dabei erfreuten sie sich der tatkräftigen Unterstützung aus den USA und Frankreich. Die argentinische Junta hatte Juan Gelman selbst verhaften wollen und weil man ihn nicht antraf, das junge Ehepaar ergriffen. Die Leiche seines Sohnes tauchte später auf, als "unbekannt" verscharrt am Rande eines Friedhofes. Seine zum Zeitpunkt der Verschleppung hochschwangere Schwiegertochter blieb verschwunden. Ob und wie ihr Kind geboren wurde? Gelman kannte die Umstände, unter denen die anderen 500 gefangenen Frauen ihre Babys zur Welt gebracht hatten: mit Kaiserschnitt, ohne oder mit geringer Betäubung. Die Neugeborenen kamen in Brutkästen und wurden dann Offizieren übergeben, die sie als ihre eigenen Kinder ausgaben und aufzogen. Sie galten als "Kinder von Löwen", so Juan Gelman. Als er mir seine Geschichte erzählte, hatte ich gerade mit meiner Recherche über Mercedes Benz Argentinien begonnen. Die Firma hatte nicht nur ihre Betriebsräte denunziert, sondern auch einem Folterzentrum der Armee Brutkästen gespendet. Und ihr Sicherheitschef hatte sich selbst auch das Kind einer ermordeten Gefangenen angeeignet. Das war der erste Fall, den die Großmütter von der Plaza de Mayo mit Hilfe eines Gentests beweisen konnten. Später erfuhr ich von vier weiteren Fällen, in denen sich Mercedes-Manager auf diese Weise Babys angeeignet haben sollen. Juan Gelman fand nach 25 Jahren Suche seine Enkeltochter Macarena in Montevideo. Sprecher: Während seines Exils hatte er in Europa Unterschriften gegen die Generäle gesammelt. O-Ton Gelman Lo firmó Palme ... Übersetzer 1: Olaf Palme unterschrieb, François Mitterand und Willy Brandt. Nur BrUNO Kreisky wollte nicht. "Wir unterhalten mit Buenos Aires diplomatische Beziehungen", begründete er. Ich riet ihm, nicht als Bundeskanzler, sondern als österreichischer Sozialdemokrat zu unterzeichnen. Er lachte: Das könne man nicht trennen. Wir stritten uns eine Weile, und dann fuhr es aus mir heraus. "Kreisky", schrie ich ihn an, "erinnern Sie sich an Léon Blum?", (den französischen Ministerpräsidenten, der 1938 abdanken musste und vom Vichy-Regime vor Gericht gestellt wurde). Er antwortete nicht. Ich griff nach meinem Mantel und ging wortlos. Kreisky kam mir nach, mit einem Federhalter in der Hand. Er unterschrieb. Diese öffentlichen Proteste der Sozialdemokraten waren der erste harte Schlag gegen die Diktatur. Anders als Pinochet brachen sie nie die Beziehungen zur Sowjetunion oder zu Kuba ab, sondern wurden ihr bester Handelspartner. Als wir die UNO bewegen wollten, das Regime zu verurteilen, stimmten die sowjetischen und kubanischen Delegierten dagegen. Nur einmal enthielt sich Kuba der Stimme, nachdem es uns gelungen war, den kubanischen Vertreter betrunken zu machen. Sprecher: Die argentinische Militärjunta hatte die KP nicht verboten. O-Ton Mattini En los organismos internacionales... Autorin: "Wir klagten im Exil die Verbrechen der Generäle an", erzählte mir jetzt bei einem Gespräch in Buenos Aires der Guerillaführer Luis Mattini. O-Ton Mattini Übersetzer 2: ... dann kamen die Kommunisten und sagten: "Das stimmt nicht." Während sie andere Diktaturen verurteilten, sagten sie über das Videla-Regime: es sei eine demokratische Diktatur. Das spitzte sich auf der Konferenz der Kommunistischen Jugendverbände in Havanna zu. Aus Argentinien waren der kommunistische Jugendverband angereist sowie Vertreter der Guerillagruppen. "Nieder mit Pinochet", hieß es und alle klatschten, "Nieder mit Stroessner" ? und wieder klatschten alle, und so weiter. Dann war Argentinien an der Reihe, und wir riefen "Nieder mit Videla." Plötzlich erhoben sich die Kommunisten und protestierten. Das Ganze endete in einer Prügelei. Die Gastgeber, die Kubaner, waren entsetzt. Erzählerin: Auch die Familie von Ernesto "Che" Guevara stammt aus Argentinien. Roberto Guevara, der ältere Bruder, lebte damals zur Zeit der Diktatur im Exil in Havanna. O-Ton Roberto Guevara Mis sobrinos me dijeron ... Übersetzer 1: Auf der Konferenz prügelten sich die Kinder meiner Schwester mit den Leuten von der KP. Unsere Familie lebte im Exil, nur mein kleiner Bruder Martín war in Argentinien, im Gefängnis. Autorin: Der heutige Generalsekretär der KP Argentiniens, Patricio Etchegaray, war bei der Konferenz auf Kuba dabei. Mit ihm habe ich mich in Buenos Aires verabredet. Am Eingang zu den Büros des Zentralkomitees prangt eine Büste von Lenin, rote Fahnen und überall Plakate von Che Guevara, als wäre er einer der ihren gewesen. Meine Bitte um ein Gespräch zum Thema "KP und Menschenrechte während der Diktatur", erweckte beim Zentralkomitee kein Misstrauen. Etchegaray empfing mich freundlich und erzählte seine Version von dem Treffen in Havanna. O-Ton Etchegaray Está muy mal informada ... Übersetzer 3: Sie sind schlecht informiert! Sehr schlecht! Wir Kommunisten hatten in Havanna eine andere Meinung. Wir stritten nicht darüber, ob etwas gesagt werden durfte, sondern wie man auftreten sollte. Die anderen kamen aus Europa und fuhren dorthin zurück. Oder blieben in Havanna, wie Roberto Guevara. Unser Jugendverband war illegal nach Kuba gereist und musste nach Argentinien zurück. Wir leisteten im Land politische Arbeit. Das war der Unterschied. Sprecher: Luis Mattini, der eigentlich Arnol Kremer heißt, war Mitglied des "Politbüros" der PRT, der Revolutionären Arbeiterpartei, einer Guerilla, die sich auf Leo Trotzkis Strategie der Permanenten Revolution berief. Autorin: Für die moskauhörige KP war die PRT so etwas wie der Leibhaftige für die Katholische Kirche. O-Ton Mattini Nosotros surgimos ... Übersetzer 2: Die KP hielt die Zeit nicht reif für eine sozialistische Revolution, da die Produktivkräfte nicht genug entwickelt seien. Man müsse zuerst die bürgerlich-demokratische Revolution machen und sich mit der Bourgeoisie verbünden. Autorin: In der Arbeiterschaft war die KP kaum verankert. Sie galt als "verlängerter Arm der Sowjetunion", erzählt Mattini und man machte sich über sie lustig: Wenn es in Moskau regnet, gehen in Buenos Aires die Kommunisten mit dem Regenschirm aus dem Haus. Sprecher: 1955 unterstützte die KP den Staatsstreich gegen Juan Domingo Perón, und in den sechziger und siebziger Jahren bezeichnete sie die Guerilleros, deren Vorbild Che Guevara war, als "verzweifelte Kleinbürger". O-Ton Mattini La gente que buscó en la Argentina... Übersetzer 2: Che Guevara rekrutierte für seine Mission in Bolivien Mitstreiter in Argentinien. Er misstraute den Peronisten, weil Perón ein Militär gewesen war. Deshalb wandte er sich an die kommunistische Jugend. Die KP-Führung versuchte das zu verhindern und warf ihm "revolutionäres Abenteurertum" vor ? so stand es ja in den sowjetischen Handbüchern. Dann sagten sie, dass wir alle CIA-Agenten oder von ihr unterwandert seien. Die CIA würde unsere "kleinbürgerlichen Provokationen" befehlen. Autorin: Trotzdem verließen junge Kommunisten in Heerscharen die Partei und schlossen sich der Guerilla an. Musik Sprecher: Erst 1983 zogen sich die Generäle wieder in ihre Kasernen zurück. Und im In- und Ausland wurde das Ausmaß ihrer Verbrechen bekannt. Eine Untersuchungskommission sollte das Schicksal der Verschwundenen aufklären, und die Junta-Mitglieder wurden vor Gericht gestellt und verurteilt. Doch schon wenige Jahre später wurden Amnestiegesetze erlassen. Die Täter gingen straffrei aus. Autorin: Ende der neunziger Jahre ergriff der Menschenrechtsaktivist und Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel die Initiative. Er selbst war während der Diktatur im Gefängnis und mit Hilfe von Amnesty International freigekommen. Da Strafverfahren in Argentinien wegen der Amnestiegesetze keinen Erfolg versprachen, sollten in Deutschland Verfahren eröffnet werden. So entstand die "Koalition gegen die Straflosigkeit", ein Zusammenschluss von Dritte-Welt-Gruppen, kirchlichen Kreisen und Anwälten: O-Ton Schlagenhauf: Die Forderung an die deutschen Behörden war, im Laufe der ganzen Ermittlungsverfahren, auch aufzuklären, was damals von Seiten der Botschaft sprich des Auswärtigen Amtes schiefgelaufen war. Und da war einiges schiefgelaufen. Sprecher: Die Anwältin Petra Schlagenhauf O-Ton Schlagenhauf: Wir haben im Laufe der Tätigkeit der Koalition gegen Straflosigkeit mehrfach versucht, das Auswärtige Amt dazu zu bewegen, selber eine Art Aufarbeitungskommission zuzulassen, da ist bisher wenig Echo gekommen, es geht immer noch darum zu sagen, was ist denn damals, vor 30 Jahren, falsch gemacht worden. Man muss das aufarbeiten, damit man in einer nächsten solchen Krise dann auch die entsprechenden Lehren gezogen hat. Musik Sprecher: Bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg wurden Strafanzeigen erstattet. Im Vordergrund standen zwei Fälle: Die Ermordung von Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank. Und das Verschwinden-Lassen von vierzehn Gewerkschaftern bei Mercedes Benz. Autorin: Mercedes Benz war 1999 das Thema meiner ersten Hörfunksendung. Überlebende der argentinischen Diktatur berichteten, wie die Werksleitung der Polizei die Adressen von unliebsamen Gewerkschaftern übergab, die dann verschleppt und ermordet wurden. Ich fand erste Indizien dafür, dass sich Manager die in den Folterkammern geborenen Babys angeeignet haben sollen. In mehreren Fällen ermittelte die Justiz. Diese Verbrechen wurden sowohl in Deutschland als auch in Argentinien angezeigt. Doch die Staatsanwalt Nürnberg stellte die Ermittlungen ein, weil nicht bewiesen werden konnte, dass die Verschwundenen wirklich tot seien. Die Richter in Buenos Aires unterdrückten Beweismaterial, Akten verschwanden. Und auch bei den geraubten Babys kommen die Verfahren nicht voran. In Deutschland sind die Verbrechen gegen die Menschheit, in die Mercedes Benz verwickelt ist, in den Augen der Staatsanwaltschaft Berlin verjährt. Das Verfahren in den USA ist auf Antrag der Daimler AG erst gar nicht eröffnet worden. Die Hinterbliebenen wollten dort auf Schadensersatz klagen. Bundeskanzlerin Angela Merkel soll bei der US-Regierung politische Bedenken vorgebracht haben. Das wollte ich genauer wissen. Das Auswärtige Amt, noch in der Amtszeit des Sozialdemokraten Frank Walter Steinmeier, antwortete mir immerhin: Zitator: "Die Bundesregierung ist nicht Partei in diesem Verfahren. Es trifft nicht zu, dass sie Einwände erhoben hat". Autorin: Das Kanzleramt hingegen bestritt nicht ausdrücklich, dass sich Angela Merkel in den USA gegen die Aufklärung der Verbrechen ausgesprochen hat. Doch die Auskunft war mehrdeutig: Zitator: "Hierüber liegen im Bundeskanzleramt keine Unterlagen vor". Autorin: In den Akten des Auswärtigen Amtes finden sich zahlreiche Hinweise auf die politische Gesinnung der Verschleppten, die von bundesdeutschen Geheimdiensten geliefert worden sein müssen. Doch nur die Akten des MfS sind zugänglich. Sprecher: Die Archive des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes sind weiterhin verschlossen. Autorin: Die Koalition gegen die Straflosigkeit hatte eine Aufarbeitungskommission gefordert. Davon will der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Andreas Peschke, nichts wissen. Vergangenes wolle er nicht bewerten, meint er, wies aber darauf hin, dass das Amt heute mit Menschenrechtsorganisationen zusammen arbeite. In einem Strafverfahren sei die Bundesregierung Nebenklägerin: O-Ton Peschke: Es ist so, dass im Fall der Ermordung von Elisabeth Käsemann in Argentinien Strafermittlungen aufgenommen wurden. Im Rahmen der Aufarbeitung der unseligen Vergangenheit der Militärdiktatur. In der Tat, es ist richtig, wir haben uns entschieden, da als Nebenklägerin aufzutreten. Der Grund für diese Entscheidung ist, dass wir unseren Beitrag leisten wollen zu einer vernünftigen und guten Aufarbeitung dieser Vergangenheit. Wir sind ja als Deutsche selbst auch mit Schwierigkeiten der Vergangenheit konfrontiert, wir nehmen die Aufarbeitung der Vergangenheit sehr ernst, und wollen in dem Fall auch Argentinien helfen, mit seiner eigenen Vergangenheit klarzukommen. Zumal es ja in dem Fall von Elisabeth Käsemann um eine deutsche Staatsangehörige geht. Frage: Es geht aber immer nur um die Aufarbeitung des Verhaltens von anderen, nicht der eigenen. Oder doch? Peschke: Na gut, sofern unsere eigene deutsche Vergangenheit betroffen ist, geht es natürlich schon um die Aufarbeitung unserer eigenen Vergangenheit. In dem Fall, im Fall Käsemann, ist es unser Ziel zu helfen, dass die Argentinier selbst mit ihrer Vergangenheit klarkommen. Deren Aufgabe ist es ja, auf der Grundlage der Vergangenheit eine Zukunft zu bauen und vor allem dafür zu sorgen, dass sich Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden sind, nicht wiederholen. Und dazu wollen wir unseren Beitrag leisten. Deswegen treten wir als Nebenklägerin auf, und wir hoffen, dass wir im Rahmen dieses Prozesses auch einen nützlichen aktiven Beitrag leisten können. Frage: Die Bundesregierung ist Nebenklägerin im Falle Elisabeth Käsemann. Es gibt ein anderes Verfahren, es geht gegen das Unternehmen Daimler AG in Argentinien, da ist das nicht geschehen, da ist die Bundesregierung nicht Nebenklägerin in dem Verfahren. Wäre das nicht auch eine schöne Geste gewesen? Peschke Also, den Fall kann ich jetzt nicht beurteilen, er ist mir nicht bewusst. Musik Atmo: "... was die Deutungshoheit über unsere Geschichte, über unsere Leben selbst betrifft. Dass diese nicht den Feinden, Fälschern und denen, die die DDR delegitimieren wollen, überlassen werden darf." Sprecher: Auf einer Veranstaltung der Tageszeitung "Junge Welt" stellt Bernd Fischer sein neues Buch vor. Zitator: "Als Diplomat mit zwei Berufen ? die DDR-Aufklärung in der Dritten Welt". Autorin: Fischer war für die HV A des MfS im Außenministerium tätig. Heldentaten haben er und seine Mitstreiter überall auf der Welt im Kampf gegen den Imperialismus vollbracht, brüstet er sich. O-Ton Fischer: Wenn es nicht anders ging, haben wir sogar unsere letzte Pistole und letzte MP zur solidarischen Sendung, irgendwohin nach Afrika abgeliefert, wodurch dann Irritationen entstanden, als wir unsere Waffen offiziell abgeben mussten. Autorin: Argentinien erwähnt er mit keinem Wort. Ich sitze im Publikum und frage nach dem, was ich tagsüber in der Birthler-Behörde gelesen habe: Nach Waffengeschäften des MfS mit Südamerika, nach den Kontakten zu Diktaturen, will wissen, warum die DDR dem argentinischen Widerstand die Solidarität verweigert hat. Wie war der Kontakt zwischen der HV A und den kommunistischen Parteien vor Ort? Und sind die lokalen Kommunisten Zuträger der Stasi gewesen und haben die Interessen der DDR und der Sowjetunion vertreten? O-Ton Fischer Hier ging es um die Rettung von Menschen, das hat mit der nachrichtendienstlichen Tätigkeit doch überhaupt nichts zu tun, nur insofern, wie das MfS geholfen hat, in Chile Menschen zu retten. Das ist eine Seite unserer Arbeit, auf die wir besonders stolz sind, das hat aber mit Beziehungen zur Kommunistischen Partei als Nachrichtendienst überhaupt nichts zu tun. Der Nachrichtendienst hat das nicht gemacht. Autorin: Neben Fischer sitzt Werner Großmann, der letzte Leiter der HV A. O-Ton Großmann Also ich betone, dass es seitens der HV A, seitens des Ministerium für Staatssicherheit, keine Waffenlieferungen gegeben hat größeren Ausmaßes. Wenn es Waffenübergaben waren, dann waren es Handfeuerwaffen. Waffenhandel in der DDR wurde betrieben, von Schalck-Golodkowski und seinem Apparat, dort war das angesiedelt. Ich bin nicht in der Lage, darüber zu berichten, was im Einzelnen dort geplant und gemacht wurde. Von uns kann ich das ausschließen. Musik Autorin: Zurück in Buenos Aires: Der europäischen Journalistin gegenüber stellt Generalsekretär Patricio Etchegaray die argentinische KP als Opfer dar. O-Ton Etchegaray: Nosotros tenemos varios caidos ... Übersetzer 3: Auf unsere Parteibüros wurden Attentate verübt und unsere Mitglieder verschleppt und ermordet. Autorin: Ich nicke. Unter den Verschwundenen waren 200 Kommunisten, weniger als ein Prozent: Basisaktivisten in Betrieben und Stadtteilen. Sie waren nicht ermordet worden, WEIL sie in der KP waren, sondern OBWOHL sie dort organisiert waren. Etchegaray runzelt die Stirn. Gewiss: Man habe den bewaffneten Kampf abgelehnt, die Guerilleros hätten die Wahlen abwarten sollen. O-Ton Etchegaray: La juventud comunista ... Übersetzer 3: Wir setzten auf eine Einheitsfront, auf eine mächtige politische Kraft. Nicht auf individuelle, bewaffnete Aktionen, die in einer Niederlage enden würden, da die objektiven Bedingungen nicht gegeben seien. Das Volk verstand diese Aktionen nicht, wir lebten (Anfang der siebziger Jahre) in einer Demokratie. Perón war nach achtzehn Jahren Exil zurück gekehrt. Deshalb sagten wir den Genossen der PRT, dass es nicht an der Zeit war, Kasernen anzugreifen. Dies würde den Militärs einen Vorwand für den Putsch liefern. Die Geschichte gab uns Recht. Unsere Parole hieß: Verankerung der fortschrittlichen und revolutionären Kräfte im Volk, und eine richtige Interpretation des Kräfteverhältnisses. Autorin: War es eine "richtige Interpretation", den Diktator Videla als "gemäßigt" zu bezeichnen? War es "richtig", zu übersehen, dass er eine radikale, neoliberale Wirtschaftspolitik betrieb? War es "richtig", in den Automobilfabriken Ford und Mercedes-Benz die korrupten Gewerkschaftsfunktionäre gegen die basis-orientierten Betriebsräte unterstützt zu haben? Mit diesen Fragen hat Etchegaray nicht gerechnet. Man habe doch Selbstkritik geleistet, antwortet er: O-Ton Etchegaray: El error del partido en esta ... Übersetzer 3: Die Partei hat sich geirrt, weil sie die Lage nicht aufgrund einer korrekten Klassenanalyse interpretiert hat. Sie hat Nebenwidersprüche mit dem Hauptwiderspruch verwechselt. Sie hat die Tatsache, dass der Wirtschaftsminister der Diktatur der Hauptvertreter der Oligarchie war, nicht korrekt gesehen. Gewiss gab es innerhalb der Streitkräfte Rivalitäten. Die haben wir überschätzt, in guter Absicht, aber irrtümlich. Die Junta bestand aus sehr faschistischen Leuten, die die Doktrin der Nationalen Sicherheit im Kopf hatten und eine US-Politik verfolgten. Autorin: Ich halte ihm das Dokument des MfS vor, wonach führende argentinische Kommunisten enge Kontakte zu hohen Militärs unterhalten und politische Flüchtlinge bespitzelt haben. O-Ton Etchegaray Mierda el Stasi, mierda ... Übersetzer 3: Scheiß-Stasi. Scheiß-Stasi!! Meine Partei und ich lehnen die Aktivitäten der Geheimdienste der kapitalistischen wie sozialistischen Länder ab. Die Stasi und der KGB waren von den USA und Großbritannien total infiltriert und gelenkt. Sie handelten gegen die Arbeiterklasse in ihren eigenen Ländern. Ich halte das Dokument nicht für glaubwürdig und weise es zurück. Autorin: Warum die sozialistischen Länder nicht die Menschenrechtsverletzungen in Argentinien angeklagt hätten? O-Ton Etchegaray Que iban a condenar los sovieticos ... Übersetzer 3: Die Sowjetunion unterhielt glänzende Handelsbeziehungen zu den Militärs, sie hing von ihrem Getreide ab. Sie waren Partner! Was soll sie da verurteilen? Musik Autorin: Ich habe den früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher um ein Interview gebeten. Die damalige Strafanzeige gegen ihn wegen unterlassener Hilfeleistung habe ich gar nicht erwähnt. Er lehnte ab. Aus "terminlichen Gründen". Ich wollte mit Winfried Hansch und Reiner Kelling reden, die damals in der DDR-Botschaft in Buenos Aires tätig waren. Beide lehnen ab. Hansch ist heute für die Linke und die Alexander-von-Humboldt-Gesellschaft aktiv: Zitator: "Nach langen Überlegungen habe ich beschlossen, kein Interview zu machen. Erinnerungen an Buenos Aires sollen für mich persönliche Erinnerungen bleiben": Autorin: Dem stellvertretenden Außenminister der DDR, Bernhard Neugebauer, ist das Thema unangenehm. Aber er empfängt mich schließlich doch bei sich zu Hause. Die DDR habe sich in Argentinien nicht die Finger verbrennen wollen. O-Ton Neugebauer Das hing ein bisschen damit zusammen, dass man sich nicht in Positionen einmischen wollte, wo man Gefahr lief, vielleicht dann mit einer entsprechenden Antwort rechnen zu müssen. Wenn man zu Argentinien und zu den Menschenrechtsverletzungen etwas sagte, dass man das nicht akzeptiert, aber das war zu Ende, weil man ja auch immer befürchten musste, dass der unmittelbare Kontrahent, die Bundesrepublik Deutschland, das sofort ausspielt und sagt: dort nehmt ihr eine kritische Haltung ein und wie ist es bei Euch zu Hause? Autorin: Südamerika sei kein Schwerpunkt Ostberlins gewesen, erklärt mir Neugebauer: O-Ton Neugebauer Es war einfach so, dass es eine vornehme Zurückhaltung gab. Ob sie vornehm war oder nicht, mag dahingestellt sein, aber es gab im Falle Argentiniens eine Haltung des sich-nicht-Bewegens. Frage: Hängt das denn mit der Sowjetunion zusammen? Neugebauer: Hmmm. Zum Teil. Weil die Sowjetunion an Argentinien ja große Interessen hatten und weil man eigentlich den Wink aus Moskau verstanden hatte, Argentinien ist unser Einflussbereich. Wir haben eigentlich zu dem Zeitpunkt geschwiegen. Autorin: Neugebauer begleitet mich nach dem Gespräch bis zur Gartenpforte. Zum Abschied sagt er mir, es tue ihm leid. Immerhin. Atmo Absage: Im Wegschauen vereint Wie west- und ostdeutsche Diplomaten den argentinischen Diktatoren halfen Ein Feature von Gaby Weber Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2009 Es sprachen: Ursula Illert, Mark-Oliver Bögel, Volker Risch, Jürg Löw, Josef Tratnik und Jochen Kolenda Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Anna Dhein Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Karin Beindorff 2