Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 10. März. 2008 19.30 Uhr Kein Kinderspiel Konfliktschlichtung im Elternstreit Von Sabine Voss O-Ton 1 Elvira Steffes Ich wäre heute mit Sicherheit nicht hier und so in der Lage, darüber zu sprechen. Weil ich bestimmt immer noch diesen Schmerz in mir tragen würde, weil er ja nicht abgebaut worden wäre. Ich weiß auch nicht, ob ich das zugelassen hätte, wie ich reagiert hätte, wenn dann irgendwie nur vom Gericht her ein Urteil gefällt worden wäre: So, der Vater ist jetzt berechtigt, alle 14 Tage die Kinder zu holen. Ich glaube, ich wäre durchgedreht. Ich hätte dem meine Kinder überhaupt nicht anvertrauen können! Warum gehen Menschen auseinander? Weil da ein Problem ist! Und ein Beschluss löst nicht die Probleme. Sprecher: Kein Kinderspiel Konfliktschlichtung im Elternstreit Eine Sendung von Sabine Voss Sprecherin Vermutlich wäre Elvira Steffes im Streit mit dem Vater ihrer Kinder durch alle familiengerichtlichen Instanzen gegangen, um Recht zu bekommen. Statt eines Urteils bekam die Mutter von Richter Jürgen Rudolph zu hören, was sich alle Eltern vor dem Familiengericht im Landkreis Cochem-Zell anhören müssen - einen energischen Appell an ihre gemeinsame Elternschaft. O-Ton 2 Jürgen Rudolph Wenn Sie beide nicht entscheiden wollen, ich bin nicht der bessere Elternteil und werd' es nie sein. Sie werden im übrigen die elterliche Verantwortung an mich nicht abgeben können, ich lehne sie ab. Ich hab' Ihr Kind nicht gezeugt, ich bin überhaupt nicht dafür verantwortlich. Denn die Verantwortung der Eltern, die ist nicht disponibel. Selbst für die Eltern selbst nicht, auch nicht für die Gerichte, nicht mal für den Verfassungsgeber. Eltern ist man, wenn man Kinder gezeugt und geboren hat. Das ist so, das ist ein Fakt. Dieser Fakt ist nicht disponibel. Regie Sprecher: Die Vorreiter Sprecherin Seit fünfzehn Jahren verfährt Jürgen Rudolph in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren nach dem Grundsatz "schlichten statt richten". O-Ton 3 Jürgen Rudolph Diese Form des Arbeitens ist ein Paradigmenwechsel. Das funktioniert nur dann, wenn wir vorher als Profession unsere Sichtweise geändert haben. Wir bekommen zwar eine juristische Ausbildung, die endet mit der Bezeichnung: Befähigung zum Richteramt, das hat aber nichts mit der Fähigkeit zum Richteramt zu tun. Mit dynamischen Lebensprozessen umzugehen, das haben wir nicht gelernt. Wir haben gelernt zu entscheiden. Aber einen Konflikt lösen, das können wir nicht. Und ich denke, viele Unglücke, die angerichtet werden, die haben nichts mit Böswilligkeit ... - was uns von der Gesellschaft oft unterstellt wird -, es hat wirklich etwas mit mangelnder Kompetenz zu tun. ((o.c. Mit mangelnder Ausbildung, Fortbildung und Kompetenz in jeder Hinsicht. Das sag ich aus der Rückblende heraus, früher hätte ich das möglicherweise auch nicht gesagt. )) Sprecherin Auch alle anderen am familiengerichtlichen Verfahren beteiligten Professionen definierten ihre bisherigen Rollen um. Mitarbeiter des Jugendamts und psychologische Sachverständige hörten auf, über eine Trennungsfamilie Stellungnahmen abzugeben, Diagnosen zu erstellen, Befunde vorzulegen. Sie begreifen sich nicht mehr als "Entscheider" sondern als Moderatoren des Streits. Sogar die Anwälte in Cochem haben ein Selbstverständnis als "Schlichter". O-Ton 4 Jürgen Lewandowski Das Problem ist, dass wir in allem, was jahrelang gelaufen ist, auch so festgefahren sind. Das war immer so gewesen, das haben wir doch immer so gemacht, und dann muss das auch gut sein. Sprecherin Jürgen Lewandowski. Leiter des Pädagogischen Dienstes im Jugendamt Cochem. O-Ton 4a Jürgen Lewandowski Und man eigentlich nie fragt, was könnte ich im Rahmen dessen alles noch tun, sondern eigentlich wie eingeengt sich nicht bewegt. Und es ist ja nicht verboten, so zu arbeiten. O-Ton 5 Bernhard Theisen Ich muss sagen, ich bin der Meinung gewesen, dass es völlig o.k. ist, wenn ich da mitwirke. Und das ist immer gelungen, die Mandantinnen waren zufrieden. Sprecherin Bernhard Theisen. Fachanwalt für Familienrecht in Cochem. O-Ton 5a Bernhard Theisen Es war aber vor allem ineffektiv, für die Kinder etwas Gutes zu erreichen. Und wenn man zum ersten Mal weiß, wie dramatisch sich das für die Kinder auswirkt, wenn sie von einem Elternteil getrennt werden, dann kommt man nicht mehr auf die Idee, an so 'was mitzuwirken. Sprecherin Seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 haben Kinder ein Recht auf beide Eltern. Denn Kinder lieben in der Regel beide Eltern und brauchen Mutter wie Vater. Also sollen Paare trotz Trennung Eltern bleiben. Deshalb wurde das alte Prozedere abgeschafft, wonach ein Familienrichter das Scheidungspaar befragte, wer von beiden ab jetzt das Sorgerecht für das Kind übernähme. Die "gemeinsame elterliche Sorge" wurde zum Regelfall. Nur haben Konflikte zwischen Eltern seither nicht abgenommen. Trennungspaare streiten sich nun - nicht um das Modell der "gemeinsamen Sorge", aber um Fragen, wie es auszugestalten sei: Bei wem werden die Kinder jetzt leben? Wie oft und wie lange darf der nicht-betreuende Elternteil, in der Regel der Vater, seine Kinder besuchsweise sehen? - Bernhard Theisen blickt zurück auf Strategien, mit denen er früher Mütter im Umgangsrechtsstreit vertrat. Für den Cochemer Familienanwalt sind das Methoden von gestern, in vielen Anwaltskanzleien aber sind sie noch immer alltäglich. O-Ton 6 Bernhard Theisen Ziel war zu erreichen, dass der Vater die Kinder entweder gar nicht sieht oder das auf ein Minimum beschränkt wird. Und nachdem ich genausowenig wie die anderen Kollegen und die Familienrichter irgendeine Ausbildung hatte zu der Frage, was macht das eigentlich mit Kindern, wenn die einen Elternteil über lange Zeit nicht sehen?, bin ich der Meinung gewesen, ja, das ist o.k. Die Mutter kann die Kinder gut versorgen, die hat 'ne gute Beziehung, das wird für die Kinder schon besser sein, wenn die nicht diesen ganzen Stress dort mitbekommen. Und hab' die Verfahren dann auch so betrieben. Den Mandantinnen konnte ich regelmäßig sagen: 'Sie brauchen sich gar keine Sorgen zu machen. Wir spielen auf Zeit. ((o.c. Sie schaffen Fakten, sie ziehen aus, sie holen die Kinder mit und dann tut sich erstmal gar nichts. Dann soll er doch mal kommen. Soll er doch mal Anträge stellen.)) Das dauert. Das hat immer lange gedauert, bei vielen Gerichten dauert's heute noch lange. Es ist überhaupt keine Seltenheit, dass man in solchen Verfahren den ersten Termin nach vier, fünf, sechs Monaten bekommt. Sprecherin Herkömmlicherweise agieren Familiengerichte wie Ermittler, wie Fahnder: Sie recherchieren und suchen - mit Hilfe des Jugendamts, womöglich auch Sachverständiger - nach dem für's Kind geeigneteren, "besseren", Elternteil. Auch Anwälte sind ein Teil des Systems. Sie vertreten die Interessen ihrer Partei mit Schriftsätzen, die dem gegnerischen Elternteil Verfehlungen und Defizite vorwerfen - mit dem Effekt, dass sich der Konflikt in einer Spirale wechselseitiger Schuldzuweisung immer weiterdreht. Auch das Jugendamt - eigentlich soll es die Interessen der Kinder vertreten - trägt zu einer Polarisierung bei. Dass Väter häufig den Kürzeren ziehen, führt Jürgen Lewandowski vom Jugendamt in Cochem auf nicht hinterfragte Denkmuster zurück. O-Ton 7 Jürgen Lewandowski Ich hab vor fünfzehn Jahren auch noch Stellungnahmen abgegeben, wo ich gesagt hab, das Kind ist also anlässlich der Besuche so belastet und durch den Wind, dass es mal etwas Ruhe braucht, dass die Besuchskontakte zum Vater auf ein Vierteljahr ausgedehnt werden, und dann kommt das zur Ruhe, und dann wird das besser werden. Heut' würde ich mich dafür schämen, was ich damals gesagt hab', weil es ist ja Unsinn eigentlich. Wenn Sie genau überlegen, und das sag ich auch heut': Die Abstände sind zu groß. Der fängt ja jedesmal wieder mit Null an, und wenn er's endlich geschafft hat, der Vater, Kontakt zu kriegen zu seinem Kind, dann ist schon wieder Feierabend, dann kommt es natürlich wieder desorientiert zurück. Wenn das aber einmal die Woch' seinen Vater sehen würde, wäre das ein geübter Alltag, und es würd' gar nicht mehr in solche Löcher reinfallen. Sprecherin Weil von Stellungnahmen abhängen kann, wer als Gewinner und wer als Verlierer das Gerichtsgebäude verlässt, versuchen Eltern, jeden, der in ihrem Konflikt mitzuentscheiden hat, für ihre Interessen einzuspannen, zu instrumentalisieren - und natürlich auch und gerade den am Ende entscheidenden Richter. Jürgen Rudolph: O-Ton 8 Jürgen Rudolph Und die Richterin, der Richter ist hin- und hergerissen im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den Positionen und holt ein Sachverständigengutachten ein. Und wenn man Glück hat, liegt nach weiteren sechs Monaten, meistens aber erst nach zwölf Monaten das Sachverständigengutachten vor, und die Kinder sind mittlerweile ein, zwei, vielleicht auch drei Jahre älter geworden. Möglicherweise hat in der Zeit auch kein Kontakt mehr zwischen den Kindern und dem anderen Elternteil stattgefunden. Dann bleibt dem Sachverständigen nicht viel anderes übrig, als zu kapitulieren und zu sagen, die sind so entfremdet, da muss Ruhe einkehren - eigentlich eine Empfehlung, für die man kein Sachverständigengutachten braucht. Und das Gutachten beschreibt eine Situation, zu der es selbst maßgeblich beigetragen hat. Das ist übrigens auch eine Form der strukturellen Gewalt, die von den Eltern übrigens auch so empfunden wird, vor allen von den Eltern, die aufgrund dieser Verfahrensart aus dem Leben ihrer Kinder komplett herausgedrängt wurden. Sprecherin Leisten also herkömmlich agierende Familiengerichte Kontaktabbrüchen sogar Vorschub? Was können, was müssen sie tun, um Eltern-Kind-Entfremdungen entgegenzuwirken? Fragen, die auch in der Politik angekommen sind und schließlich zu einer Reform des familiengerichtlichen Verfahrens führten, um auf "selbstgemachte" Hindernisse im Verfahren zu reagieren, die dem "Recht des Kindes auf beide Eltern" im Wege stehen. Im Frühjahr 2005 wurde Jürgen Rudolph in den Rechtsausschuss des Bundestages eingeladen, um das Cochemer Modell vorzustellen. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf nimmt Anregungen aus der bewährten Cochemer Praxis auf, geht in diesem Monat noch in die zweite und dritte Lesung und soll Mitte 2009 in Kraft treten. Das Gesetz - so die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries - zielt darauf ab,"familiengerichtliche Auseinandersetzungen vor Gericht so fair und schonend wie möglich auszutragen." Regie Sprecher Beschleunigung oder: Der frühe erste Termin O-Ton 9 Jürgen Rudolph [Zum Beispiel kriegen wir sehr viel Anfragen, die sagen: Wie geht ihr mit Verfahren um, in denen schon seit zwei Jahren nichts mehr passiert, wo schon seit zwei Jahren der Kontakt zu einem Elternteil abgebrochen ist? - Da sagen wir: Die gibt's gar nicht! Wenn Sie früh intervenieren, wenn man früh interveniert, hat die Entfremdung ja nicht stattgefunden. oc] Sprecherin Das Reformgesetz sieht vor, dass in einem frühen - innerhalb eines Monats ab Antragstellung - anberaumten ersten Termin die Streitenden vor Gericht aufeinander treffen. Außerdem wird das zuständige Jugendamt verpflichtet, daran teilzunehmen. Der Jugendamtsmitarbeiter führt zuvor ein Gespräch mit den Eltern und bringt dann seine Einschätzung des Elternkonflikts gleich in die Verhandlung mit. Zusammen mit beiden Anwälten und natürlich dem Richter sind nun vier Profis versammelt, die den Streit ums Kind moderieren und zusammen mit den Eltern Lösungsmöglichkeiten suchen. So wird es in Cochem schon lange gemacht, so könnte es - wird das Gesetz vom Parlament beschlossen - bald bundesweit Praxis werden. O-Ton 10 Siegfried Willutzki Ein Großstadtgericht?! - Ich kenne die Zusammenarbeit zwischen Familiengericht und Jugendamt in Berlin. Ich kenne die Zeiten, die dort vorgegeben werden für eine Stellungnahme des Jugendamtes. Es ist völlig! völlig! illusorisch, zu glauben, dass das Jugendamt in Berlin innerhalb dieser Zeit eine entsprechende Stellungnahme in einer ersten mündlichen Verhandlung abgeben kann. Sprecherin Siegfried Willutzki, pensionierter Familienrichter mit vielen Verdiensten. Er gründete in den 70er Jahren den Deutschen Familiengerichtstag, trat schon früh energisch für eine Vernetzung der am familiengerichtlichen Verfahren beteiligten Juristen, Psychologen und Sozialarbeiter ein. Auch die Beschleunigung hält er für überfällig, nur bezweifelt er, dass sich Cochemer Verhältnisse, also ein Kleinstadtmodell auf Großstädte übertragen lässt. Und den Gesetzgeber hat er im Verdacht, vor allem auf Einspareffekte zu zielen. O-Ton 11 Siegfried Willutzki Dass es darum geht, die Zeiten bis zum endgültigen Abschluss des Verfahrens deutlich zu verkürzen. Darüberhinaus erleben wir ja in weiten Bereichen immer mehr, dass Verfahren als beschleunigte Verfahren durchgeführt werden sollen. Das gilt jetzt für den Kinderschutz, im Bereich des Unterhalts.Ja, dann frag ich mich nur noch, wo ist dann noch die Möglichkeit, etwas bevorzugt beschleunigt zu bearbeiten. Dann bitte schön soll man die Voraussetzung durch eine entsprechende personelle Aufstockung schaffen. O-Ton 12 Cornelia Müller-Magdeburg Wir kämpfen ein bisschen mit dem Problem des Namens "Beschleunigtes Familien- verfahren". Es kommt viel Kritik, die sagt, dass wir so eine Zack-Zack-Justiz betreiben, dass wir die Fälle vom Tisch haben wollen oder nur einsparen wollen oder einfach unsere Ruhe haben wollen. Darum geht es ja nicht. Sprecherin Cornelia Müller Magdeburg, Amtsvizepräsidentin des Familiengerichts Berlin Pankow-Weißensee. O-Ton 12a Cornelia Müller-Magdeburg Wir intervenieren ganz schnell, und alle bürokratischen Abläufe müssen beschleunigt werden. Die Kommunikation zwischen den Professionen, da kann ein Fax nicht mehr drei Wochen durchs Gericht dackeln, das muss schnell gehen, und wir müssen die Jugendämter schnell anrufen, solche Dinge. Das ist die Beschleunigung. Alle andere bekommt die Zeit, die es braucht. Natürlich gibt es Eltern, die brauchen ihre Zeit. Sprecherin Im Vorgriff auf das neue Gesetz arbeiten bereits ein Drittel der Berliner Familienrichter aus eigener Initiative beschleunigt und machen die besten Erfahrungen: Die Jugendamtsmitarbeiter ziehen trotz Arbeitsbelastung mit. Auch auf Familiengerichte in Dresden, München, Hannover, Bonn strahlt die Cochemer Praxis längst schon aus. In Baden-Württemberg haben die zuständigen Ministerien für Justiz und Familie damit begonnen, das beschleunigte Verfahren flächendeckend einzuführen. Die vielen Workshops und Symposien, in denen der Cochemer Arbeitskreis leidenschaftlich für ein Umdenken wirbt, bewirken bundesweit eine Aufbruchstimmung. Aber was ist mit Richtern, die einem Beschleunigungsgebot nur deshalb folgen werden, weil ein Gesetz sie dazu zwingt? Verändern sie ihr Rollenverständnis? O-Ton 13 Cornelia Müller-Magdeburg Ich bin einfach davon überzeugt, dass es richtig ist, ein richtiges Verfahren, weil es die Interessen der Kinder in den Vordergrund rückt und den Eltern die Chancen gibt, wieder ihre Verantwortung selbst zu übernehmen. Und alle, die Erfahrung haben, wissen, dass es richtig ist und gut ist, und hinzu kommt - das ist auch das, was den Charme für den Richter ausmacht: Wenn wir nachhaltige freiwillige Lösungen haben, haben wir weniger Verfahren. Wir machen's ja auch deshalb, weil wir auch etwas davon haben - eine erhöhte Arbeitszufriedenheit. Und die beiden Faktoren zusammen führen dazu, dass es, meiner Meinung nach, sich wird gar nicht aufhalten lassen. Insofern bin ich gar nicht besorgt über Widerstand oder Unkenrufe, das wird kommen, das wird sich nicht aufhalten lassen. Sprecherin Erstaunlicherweise verständigen sich im frühen ersten Termin etwa die Hälfte aller Eltern auf eine Lösung ihres Konflikts, finden wenigstens zu einem Minimalkonsens, den das Gericht zu Protoikoll nehmen kann. Das ist die Erfahrung in Cochem und auch die aller anderen Familiengerichte im beschleunigten Verfahren. Viele Eltern lassen sich im Prozess der Umsetzung ihrer getroffenen Entscheidung vom Jugendamt oder einer Beratungsstelle begleiten. Der Richter lässt sich über die Fortschritte der Eltern berichten und kann irgendwann seine Akte schließen. Worauf beruhen solche Erfolge?, fragen Spektiker, wirklich auf Freiwilligkeit? Was passiert in diesem frühen ersten Termin, was geht da vor sich in dieser Black Box? Und kann diese Erfolgsquote überhaupt nachhaltig sein? Regie Sprecher Nachhaltigkeit oder: Hinwirken auf die Elternverantwortung O-Ton 14 Elvira Steffes Ja, die Verhandlung. Wir haben da gesessen und ein Wort fecht nach dem anderen, und der Richter Rudolph hat auch gemerkt, dass das so nicht funktioniert, wir waren ja wie Katz und Hund. Wir konnten überhaupt nicht miteinander kommunizieren, nur über den Richter. Der Richter Rudolph hat gesagt: 'Nichtsdestotrotz - Sie sind Eltern, und Sie müssen einen Weg finden, um damit, mit dieser Situation zurecht zu kommen. Sie sind Vater und Mutter. Und im Nachhinein muss ich sagen, er hatte recht. Ich bin Mama, und ich habe die Verantworung für meine Kinder. Und ohne den Vater gäbe es meine beiden Kinder nicht, und es waren ja Wunschkinder. Ich musste über meinen Schatten springen, das ist ganz klar. Das war schon mal ein Riesensprung über eine Brücke, die zuerst gar nicht da war. Sprecherin Noch lange Zeit nach ihrer Trennung fühlte sich Elvira Steffes der Aufgabe nicht gewachsen, das Leben ihrer Kinder in Kooperation mit dem Vater neu zu gestalten - und nahm die Herausforderung doch an. Sich weigernden Eltern hält Richter Rudolph einen Spiegel vor, in dem sie sich aus der Sicht ihrer Kinder betrachten dürfen - als orientierungslose Mütter und Väter, die ihre Handlungsfähigkeit eingebüßt haben, die einen Richter brauchen, der ihnen sagt, wie es weitergeht. Wer jetzt noch keine Einsicht zeigt, auf den übt Richter Rudolph Druck aus. O-Ton 15 Jürgen Rudolph Das ist etwas, was uns ganz oft vorgeworfen wird: Ihr nötigt die Eltern in die Beratung. Ja, machen wir. Ohne wenn und aber. Das machen wir. Das ist der Erwachsenenfokus, den ich meine, genau den. Wenn ich einem Elternteil sag, wenn Du nicht in die Beratung gehst, dann entsprichst du nicht deiner Verantwortung, die du deinen Kindern gegenüber schuldest, und dann wird dein Antrag keinen Erfolg haben, ((o.c. und dann kannst du dich entscheiden, willst du eine ablehnende Entscheidung von mir haben oder willst du den Antrag zurücknehmen?)) Und dann bekommen wir oft das Argument zu hören, das ist doch Erpressung, und es verschlägt mir die Sprache. Es geht eigentlich darum, ein Stück Last von den Schultern der Kinder zu nehmen und auf die Eltern zu verlagern. Kinder können sich nicht wehren, also haben sie sich auch noch nie gewehrt, sie sind nur daran zugrunde gegangen. Eltern als Erwachsene können sich wehren und wehren sich auch. Wenn wir sagen, wir müssen den Kindern das Paket wegnehmen, dann rufen alle: 'Ja! Kinderschutz!' Alle tun so, als wenn sie auf demselben Zug fahren. Wenn wir aber sagen: 'So, Eltern, wir meinen aber euch', dann: 'Nein! Das kann's ja wohl nicht sein!' Sprecherin Die Cochemer Arbeitsweise ist vom derzeitigen Recht gedeckt. Seit der Kindschaftsrechtsreform haben Richter die Möglichkeit, das Verfahren auszusetzen und Eltern eine Beratung nahezulegen. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf können Richter eine Beratung sogar anordnen. Aber wann und wie nutzt der Richter seine Verhaltensspielräume? Die Debatte darüber wird beherrscht von Begriffen wie "Zwangsberatung" oder "Verordnete Elternkooperation". O-Ton 16 Siegfried Willutzki Was unterscheidet denn eine gerichtliche Entscheidung, ein Beschluss, der den Eltern eine bestimmte Sorgerechtsform aufzwingt, was unterscheidet das von einer durch diese, ja, geballte Kraft im Cochemer Modell, die den Eltern sagt: 'Und ihr macht die gemeinsame Sorge, sonst setzen wir das Verfahren aus, es kommt erst zu einer Entscheidung, wenn ihr zu einer Einigung kommt.' Was unterscheidet das denn? O-Ton 17 Jürgen Rudolph Aufgeklärte Menschen stellen auch keine Sorgerechtsanträge mehr, also gibt' s auch keine Sorgerechtsentscheidungen, so einfach ist das. Es geht uns darum die Eltern zu erreichen, nicht die Eltern zu ändern, wir wollen nicht über sie befinden, das bringt überhaupt nichts. Aber ich kann die Macht, die ein Gericht hat, kann ich anders einsetzen. Ich kann die Leute auf einen Weg schicken, wobei wir nicht meinen, den Eltern irgendwelche Lösungen nahe zu legen, darum geht es nicht. Es geht darum, dass sie in die Lage versetzt werden, eine eigene Entscheidung zu treffen, mehr nicht. Wir formulieren das immer so: Dass anstelle der Entscheidung des Gerichts die Entscheidung der Eltern steht - es steht schon eine Entscheidung da, aber anstelle der Entscheidung des Gerichts die nach Artikel Sechs so notwendige und hochgeschützte Entscheidung der Eltern (steht). O-Ton 18 Siegfried Willutzki Es wird immer Fälle geben, wo es zu dieser einvernehmlichen Lösung nicht kommen kann. Und wenn die dann unter ein Modell gezwungen werden, obwohl es klar ist, es kann keine aus eigener Überzeugung getragene Kooperation geben, dann wirkt sich das zwangsläufig zu Lasten des Kindes aus. Da muss man aufpassen, dass man nicht die Gemeinsamkeit, die verordnete Gemeinsamkeit als ein Allheilmittel ansieht. Regie Sprecher Stärkung der Elternautonomie oder: Der lange Prozess der Beratung O-Ton 19 Elvira Steffes Das ist ein Mensch für mich wie jeder andere Mensch auch, aber er ist der Vater meiner Kinder. Das hört sich krass an, aber das ist so. Es geht nicht anders. Man muss das trennen! Ich kann nicht meine Probleme mit diesem Menschen gleich in Verbindung setzen mit meinen Kindern. Nur weil das bei uns nicht funktioniert hat, heißt das nicht, dass das auf der Elternebene Vater-Kind nicht funktioniert. Es sind nicht nur meine Kinder, es sind unsere Kinder. Das war auf beiden Seiten ein Lernprozess, wo wir uns durchbeißen mussten. Sprecherin Vielleicht wäre Elvira Steffes bis heute gefangen in einem komplizierten Konflikt, den Juristen "hochstrittig" nennen, gefangen im Teufelskreis eines endlos verlängerten Umgangsstreits durch alle Instanzen. Vielleicht wäre sie jenen Müttern ähnlich, die richterliche Beschlüsse oder Absprachen einfach außer Kraft setzen, zur Übergabe der Kinder am Treffpunkt nicht erscheinen, nicht ans Telefon gehen, aufs Klingeln die Tür nicht öffnen, behaupten, das Kind sei krank. Ohne die Unterstützung einer Beratungsstelle, wo ihre Not erkannt und ernst genommen wurde, sagt sie, hätte sie es niemals geschafft, mit ihrem Expartner zu kooperieren. O-Ton 20 Elvira Steffes Das ist ein Prozess, der geht über Jahre. Man kann alleine damit auch nicht fertig werden. Das hieß also für uns, wir mussten zunächst einmal alleine, getrennt voneinander mit Psychologen sprechen. Nach nem halben Jahr wurden wir zusammengeführt, damit wir mal zusammen wenigstens in einem Raum sitzen konnten. Und ich muss sagen, nachher auch in diesen gemeinschaftlichen Gesprächen, wenn ich da was gesagt habe, dann haben die hinter mir gestanden und haben gesagt: 'Ja, so geht das aber wirklich nicht. Sie können doch dieses nicht und Sie können doch das nicht.' Der wurde wirklich in die Schranken gewiesen. Und das war für mich auch wirklich der Grund, wo ich gesagt habe, ja, hier kannst du wirklich aufbauen. Sprecherin Eine möglichst früh einsetzende Beratung räumt Eltern eine Chance ein, die sie bisher so nicht hatten. Denn hinter vehement und feindselig vorgetragenen Interessen von Müttern und Vätern verbergen sich Verletzungen, Ängste, manchmal Schuldgefühle, die ein psychologisch geschulter Vermittler oder Berater aufdecken helfen kann. Auch ihre Kinder manipulierende Eltern können über sich lernen, warum sie versuchen, das Kind auf ihre Seite zu ziehen. Entscheidend ist, dass Verletzungen auf der Partnerebene ausgelotet, aber von der Elternebene sorgfältig unterschieden werden. Elvira Steffes lernte, dass ihr zerstörtes Vertrauen zwar ihren Expartner, deshalb aber nicht unbedingt den Vater ihrer Kinder betraf. O-Ton 21 Elvira Steffes Zunächst habe ich das nur für meine Kinder gemacht. Und im Nachhinein muss ich sagen, profitiere ich selber davon. Ich brauch mir jetzt keine Gedanken mehr darum zu machen, dass meine Kinder irgendwann sagen: 'Und du bist schuld, dass ich meinen Papa nicht sehen durfte'. Und das wollte ich meinen Kindern nicht antun. Ich bin ja auch mit einem Vater aufgewachsen, groß geworden, und ich kann mir nicht für meine Kinder vorstellen, ohne Vater aufzuwachsen. Weil das ist einfach ein Part, der gehört einfach dazu. Meine Kinder würden mich mit Sicherheit irgendwann gefragt haben: 'Ja, wo ist mein Vater? Was macht mein Vater? Wieso habe ich die blaue Augen? Wieso verhalte ich mich jetzt so? Ist mein Vater vielleicht so?' Das sind alles so Fragen und Konflikte, die irgendwann auf mich zugekommen wären. Und die habe ich heute nicht. Sprecherin Das Reformvorhaben zur Stärkung der "gemeinsamen Elternschaft" hat längst schon vor allem Gegnerinnen auf den Plan gerufen. Die Zentrale Informationsstelle autonomer Frauenhäuser legte sogar eine Kampagne dagegen auf. Denn zahllose Mütter - auch Väter - beendeten eine Beziehung aus Sorge und Angst: Weil sie nicht wollen, dass ihre Kinder weiterhin dem vergiftenden Einfluss, sogar der Gewalttätigkeit ihres Partners ausgesetzt sind. Regie Sprecher Das Netzwerk Sprecherin In Cochem ist im Laufe der Jahre ein wasserdichtes Netzwerk zwischen allen am Sorge- und Umgangsrechtsverfahren beteiligten Professionen entstanden, ein eng verzahntes Zusammenspiel in verteilten Rollen. Richter, Anwälte, Jugendamt, Sachverständige, Beratungsstellen - im dichten Schulterschluss stehen alle für die Interessen des Kindes ein. Eltern finden in ihrem Kampf ums Kind keine Verbündeten mehr - auch nicht im eigenen Anwalt. Bernhard Theisen redet Tacheles mit seinen Mandanten. O-Ton 22 Bernhard Theisen Und dann ist es für die Parteien eigentlich eine gute Sache, wenn auch diese Themen, die die Kinder betreffen, zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gemacht werden. Nicht, um das Verfahren zu eskalieren, den Streit zu eskalieren, auch nicht, um Gebühren zu schinden, sondern um auf alle Beteiligten optimal einwirken zu können. Wenn Sie nämlich ein Gerichtsverfahren haben, in dem die Eltern sowohl vom eigenen Anwalt, wie auch vom gegnerischen Anwalt, wie auch vom Gericht und vom Jugendamt, dieselben Dinge hören, was notwendig wäre für die Kinder, das hat eine ungeheure Wirkung auf die Eltern. Dem kann sich keiner entziehen, weil es auch einfach in der Sache nachvollziehbar und überzeugend ist. Wenn das ganze dann auch noch schnell geschieht, dann hat das eine richtig durchschlagende Wirkung. Sprecherin Die Cochemer Praxis will ausnahmslos alle Eltern erreichen und provoziert damit, dass sie auch in Fällen innerfamiliärer Gewalt keine Ausnahme macht. Selbst Mütter, die Gewaltopfer sind, selbst Väter, die prügeln und missbrauchen - niemand wird aus der Elternpflicht entlassen, aber auch keiner aufgegeben. Dieser Umgang mit Gewalt setzt allerdings eine gutausgebaute Infrastruktur an Hilfsangeboten wie Antigewalttraining oder Tätertherapien voraus. Längst kommt Protest aus den Bundesländern gegen das Reformvorhaben des Bundes, das - wird es umgesetzt - einen Beratungsbedarf generiert, den die Kommunen und Länder bewältigen und bezahlen müssten. Nur liegt die Rendite einer anfangs auch kostenintensiven Beratung und Betreuung - das hat die Praxis gezeigt - in ihrer Nachhaltigkeit. Gerichte und Beratungsstellen sparen all die Folgeverfahren ein, die Eltern kosten, wenn sie nicht lernen, mit selbstgetroffenen Entscheidungen auf eigenen Beinen zu stehen. O-Ton 23 Cornelia Müller-Magdeburg Wir schließen hier in Berlin nicht aus, dass es möglicherweise Fälle gibt, die in Beratung nicht zu einer gemeinsamen Elternverantwortung wieder kommen können, also wo sozusagen unsere Grundidee nicht funktionieren kann. Das ist vielleicht auch der Unterschied zwischen dem sogenannten Cochemer Modell und dem Berliner Modell. Wir leben mit der Annahme, dass es solche Fälle vielleicht gibt. Aber wir verweigern uns der Indikationsfrage. Wir sind der Meinung, dass man es einem Fall oder einer Akte oder einer Familie nicht von vorherein ansieht, ob sie sozusagen geeinet oder ungeeignet ist. Das weiß ich vielleicht am Ende eines langen Prozesses mit vielen vielen Runden. Ich denke, jedes Elternpaar oder jede Familie hat es verdient, dass wir dieses Verfahren mit ihnen ausprobieren und ausreizen. Sprecherin Cornelia Müller-Magedeburg behält sich die Autorität einer richterlichen Entscheidung vor. Um die auch besser durchzusetzen, soll der Richter - zum Ausdruck, was der Staat von Eltern erwartet und unter "Elternschaft" versteht - künftig Beugehaft oder ein Ordnungsgeld verhängen dürfen. Außerdem will das Reformgesetz die Rolle des Verfahrenspflegers, früher Anwalt des Kindes genannt, deutlich aufwerten. Seine Dotierung wird verbessert und seine rechtlichen Möglichkeiten, auf die Eltern einzuwirken, gestärkt. Jürgen Rudolph ist mit den Neuerungen im Großen und Ganzen zufrieden. Sie setzten das richtige Signal. Aber Zwangsmittel, meint er, taugten nichts, auch nicht dafür, uneinsichtigen Eltern "die Instrumente" zu zeigen. Nicht mit Zwang sondern nur mit Überzeugungsarbeit ließen sich Mütter und Väter zur Einsicht bringen, worum es im Trennungsstreit wirklich geht - um das Leben ihrer Kinder. O-Ton 24 Jürgen Rudolph Die allermeisten Eltern wollen ihren Kindern nicht weh tun. Man kann sagen, fast alle, egal wie sie sonst gestrickt sind und konstruiert sind, aber sie wollen ihren Kindern nicht weh tun. Und dadurch ist die Erreichbarkeitsquote, die ist unglaublich hoch. Also für mich war sie überraschend hoch, ich hätte es nicht gedacht. Sprecher: Kein Kinderspiel Konfliktschlichtung im Elternstreit Eine Sendung von Sabine Voss Es sprachen: Technik: Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 In der kommenden Woche senden wir: Populisten sind immer die Anderen Über eine Droge der Politik Manuskripte und weitere Informationen zu unseren Sendungen finden Sie im Internet unter www.dradio.de 1