COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Michaela Gericke Von Domstadt zu Domstadt Die deutsch-deutsche Städtepartnerschaft Aachen-Naumburg an der Saale Deutschlandrundfahrt / Deutschlandradio Kultur Red. Margarete Wohlan ......................................................................13. März 2010 REGIE Jingle und Kennmusik TAKE OPENER 1: Elke Crumbach, Aachen MD 2 A 016 00:18 Das erste, was ich von Naumburg kennen gelernt hab, war der Charme, und diese Stadt ist einfach wunderschön und man muss sich einfach nur in Naumburg verlieben. REGIE Kennmusik TAKE OPENER 2: Dietmar Kottmann (Aachen) MD 1 A 040 Wir waren natürlich sehr neugierig, das war ja ne Ecke, wo wir bis dahin noch nicht hingekommen sind, das war ja so ungefähr wie ne Chinareise oder ne Neuseelandreise. REGIE Kennmusik TAKE OPENER 3: Anna-Dorothea Schmidt wir sagten dauernd, wir sind zehn mal so klein, wir passen in Aachen zehnmal rein, das passt nicht zusammen, und was haben wir denn schon zu bieten, REGIE Kennmusik TAKE OPENER 4: Arnulf und Doris Marx, Naumburg Es gibt Aachener, die mich getroffen haben, in der Kaiserstraße die ham gesagt, oh Marxens, Ihr wohnt wohl jetzt in Aachen ? wir haben immer noch Verbindung zu Aachen. REGIE Kennmusik REGIE OPENER 5: Curt Becker, ehem. OB Naumburg MD 2 A 027 00:30 was sollte das, wir wollten unsere Stadt aufbauen, das war uns wichtiger als von Partnerschaft zu träumen REGIE Kennmusik (darüber) SPRECHER: Von Domstadt zu Domstadt - Die deutsch-deutsche Städtepartnerschaft Aachen ? Naumburg a.d. Saale Eine Deutschlandrundfahrt mit Michaela Gericke REGIE ATMO 1 GLOCKEngeläut / Track 46 Aachener Glocken / Orgel REGIE ATMO 2 Robert Zollitsch Was ist Europa? Wer dies wissen will, kann ein Lexikon zur Hand nehmen oder im Internet nach Antworten suchen, wer aber genauer wissen will, was Europa ist, der sollte hier her nach Aachen kommen. REGIE ATMO 3 Chor AUTORIN Die Feier des Karlsfestes im Hohen Dom zu Aachen, am letzten Sonntag im Januar ist ein Höhepunkt im Kalender der Aachener und ihrer Freunde. Würzig duftende Weihrauch-Schwaden breiten sich aus in dem rund wirkenden Kirchensaal, der eigentlich ein Oktogon ist, ein Achteck ? und sie steigen auf zum riesigen Radleuchter: einer Lichterkrone, die Barbarossa den Aachenern für dieses Oktogon stiftete, im 12. Jh. Hinter dem Goldaltar öffnet sich die gotische Chorhalle mit ihren, hohen, farbigen Fenstern. Alljährlich zelebriert Aachen, die westlichste Stadt der Bundesrepublik am Dreiländereck Deutschland, Belgien, Niederlande den Todestag des Stadtgründers und Kaisers, der an diesem Ort thronte und begraben ist. Den Gedanken an ein vereintes Europa stellt Robert Zollitsch, der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von Freiburg in den Mittelpunkt seiner Predigt. REGIE ATMO 4: Zollitsch Hier im Herzen Europas werden wir durch Karl den Großen an das erinnert, wovon unser Kontinent lebt. welche Werte unser Leben und Zusammenleben hell und wertvoll machen. Das Karlsfest lädt uns ein, auf Karl den Großen zu schauen, er, der am 28. Januar 814 starb, ist untrennbar mit Aachen verbunden. REGIE ATMO 4 Musik aus dem Dom / Gregorianik AUTORIN Und während im Dom schwerer Weihrauch die Luft sättigt, riecht es draußen, wenige Meter vom geistlichen Ort entfernt, nach Grillwurst. Vor dem Rathaus, dampft es aus großen Töpfen. Menschen wärmen sich mit Glühwein und Gemüsesuppe. Die typisch Aachener Spezialität darf beim Karlsfest nicht fehlen: REGIE ATMO 5 (Band Atmo 7 / Markt) REGIE O-TON 1: ('27) Wolfgang Flachs, Obermeisterder Fleischerinnung Die Aachener Karlswurst. Die Kräuter sind aus dem Karlsgarten hinter dem Rathaus, also eine spezielle Würzung für die Wurst, sehr lecker, kann ich nur empfehlen. Die Karlswurst ist mittlerweile ein europaweit geschütztes Produkt, wir sind zumindest auf dem Weg dahin, und wir wollen mit dieser Wurst die Verbundenheit zu Kaiser Karl, zu seiner Stadt hier, seiner Pfalz, dokumentieren. AUTORIN Wolfgang Flachs, Obermeister der Fleischerinnung, wirbt für Aachen und ist mit seinen Produkten auch anderswo unterwegs. In den Partner- Städten beispielsweise: REGIE ATMO 6 (Band Atmo 8) REGIE O-TON 2: ('40) Wolfgang Flachs Ich hatte mal das Vergnügen für diese Partnerschaft typisches Essen aus der Region herzustellen, Ich erinnere mich, in Verbindung mit Naumburg gab es ein Nackensteak mit Zwiebeln und Bier, das war in Bier eingelegt, da gab es einen Vorsitzenden, der lobte das sehr und es war einfach nett, es waren angenehme Leute, die Naumburger. Es verbindet uns eine gute Partnerschaft auch zwischen den Metzgern in Naumburg und den Fleischern hier, und wir haben gute Kontakte und werden die weiterhin pflegen. AUTORIN 22 Jahre besteht die deutsch-deutsche Städtepartnerschaft zwischen Aachen und Naumburg. So manchem Aachener vor dem Rathaus, zum Karlsfest verkleidet als mittelalterlicher Ritter, mit Helm und Schwert oder in einen langen Wollmantel gehüllt, ist das kleine Städtchen an der Saale durchaus bekannt. REGIE O-TON 3: ('47) Leute Ich bin schon zweimal in Naumburg gewesen. das ist schon sehenswert, dieses Naumburg, muss schon sagen. Der Naumburger Dom war das Beeindruckendste .. die Saale ... die Stadt und dann der Dom ..., den Aachener Dom vergleichen mit dem Naumburger kann man nich. ich weiß nich mal, ist der gotisch? ... - Ehrfurcht hat man davor. Es ist ne sehr schöne Stadt, interessant war, es ist sehr klein, kompakt, sehr schöner alter Innenstadtteil, dass die immer noch eine Straßenbahn haben, ist eine Sache, die ich mir für Aachen sehr wünschen würde. Als ich da war, war mir das mit der Städtepartnerschaft gar nicht so gewahr und bewusst. AUTORIN Am Karlsfest ist das historische Rathaus für die Bürger zur Besichtigung frei gegeben. Hier, wo noch immer der Rat der Stadt tagt, sitzen heute auch Elke Crumbach und Martin Rust. Sie gehören zum Bürgerkomitee Aachen-Naumburg. Elke Crumbach, 40 Jahre alt, eine zierliche, blonde Frau, ist eine der jüngsten im Verein und gehört zum Vorstand. Um den Hals trägt sie ein rotes Erkennungsband. Weiß sind darauf die Silhouetten der Dome in Aachen und Naumburg abgebildet und die Wappen der beiden Städte. Seit ein paat Jahren reist Elke Crumbach mit dem Bürgerkomitee zum Kirschfest nach Naumburg. REGIE O-TON 4: ('29) Elke Crumbach Das erste, was ich von Naumburg kennen gelernt hab, war der Charme und diese Stadt ist einfach wunderschön und man muss sich einfach nur in Naumburg verlieben, wenn man es einmal gesehen hat und einmal da war und die Menschen kennen gelernt hat ... das war 2006 und danach bin ich jedes Jahr wieder hingefahren es ist ne ganz tolle Stadt, die Leute können feiern, die sind ganz offen und so bin ich nach Naumburg gekommen und dabei geblieben. AUTORIN Auch Martin Rust ist seit sieben Jahren aktiv im Komitee. Zum Kirschfest Ende Juni lädt Naumburg auf seine große Festwiese, es gibt einen festlichen Umzug in mittelalterlicher Verkleidung, Wein aus der Gegend, und natürlich Kirschen aus dem Burgenlandkreis. Für die alljährliche Busfahrt von Aachen dorthin wirbt Martin Rust, und er hilft bei der Organisation. REGIE O-TON 5: ('13) Martin Rust Das Highlight des Jahres, wie auch Naumburger versichern, ich hab auch schon mal den selbstkritischen Satz gehört, dass außerhalb des Kirschfestes schon mal ganz schön wenig los ist, wär mal zu überprüfen. .... AUTORIN Der gelernte Tischler Martin Rust wollte eigentlich Berufsschullehrer werden. Als Referendar in Aachen knüpfte er vor ein paar Jahren auch Verbindungen nach Naumburg, besonders zu einer Berufsschule. Die waren zwischenzeitlich allerdings eingeschlafen. REGIE O-TON 6: ('35) Elke Crumbach Wir sind jetzt dabei, wieder Kontakte zu knüpfen an den Schulen, bei den jungen Leuten anzufangen, dass das wach bleibt, dass es mal ne DDR gegeben hat, dass da Mauern drum waren, und ich denke, wenn wir ein Europa sind, dann müssen wir ja erstmal ein Deutschland werden und so lange das noch die Ossis und die Wessis sind, kann ein Europa auch nicht funktionieren. AUTORIN Martin Rust, der jugendlich wirkende, große, schlanke Mann mit Bürstenhaarschnitt, hat sich inzwischen beruflich anders entwickelt. Den Kontakt zu einer Berufsschule hat er aber wieder belebt. Er ist gerade dabei, ein Hostel zu eröffnen und freut sich auf seine Gäste, auch auf die aus Naumburg: REGIE O-TON 7: (0'06) Martin Rust Wenn da ein Kleintransporter mit Naumburger Schülern und Lehrern ankommt, dann sind die sehr herzlich willkommen bei mir. MUSIK 1: Au bord d'une source 4'06 Interpret: Seung - Yeun Huh Titel: Années de Pèlerinage CD: Liszt Track: 4 Komponist: Franz Liszt Text: LC/Best.-Nr.: DLR- Archiv#: AUTORIN Dass Aachen, genauer "Bad Aachen", sich ausgerechnet der kleinen Stadt an der Saale näherte, war so gar nicht geplant, sagen alle, die einst jene ungewöhnliche Städtepartnerschaft ins Leben riefen, Ende der 1980er-Jahre. Dietmar Kottmann gehört dazu, damals Vorstand des Bürger-Komitees Aachen-Naumburg. Er lebt mit seiner Familie im Westen der Stadt, nahe der Universitätsklinik. Dietmar Kottmann gießt heißen Tee ein, auf dem großen Holztisch liegt jede Menge Papier über die Städtepartnerschaft Aachen ? Naumburg. Und ein Buch über den Dom St. Peter und Paul in Naumburg. Eigentlich, sagt er, war Dresden die Wunschstadt: REGIE O-TON 8: ('20) Dietmar Kottmann: Aachener kannten ja sonst keine andere Stadt ... was wussten wir denn über den Osten? die Gebildeten kannten ein paar Städtenamen und da war Dresden natürlich ganz vorne und Berlin war für uns ... ? da zu trennen zwischen Berlin-Hauptstadt der DDR und Westberlin, das kam uns nicht in den Sinn. AUTORIN Seit 1985 versuchten Menschen aus dem Rat der Stadt Aachen, mit Erich Honecker in Kontakt zu kommen. Zunächst ohne Erfolg. Bis sich der damalige Bürgermeister Jürgen Linden an den Aachener Schokoladenfabrikanten Peter Ludwig wandte. Ludwig, weltweit bekannt als Kunstsammler und Mäzen, hatte besonders gute Kontakte zum Staatsratsvorsitzenden der DDR, auch weil er zeitgenössische Kunst aus Ostdeutschland für seine Museen ankaufte. Plötzlich fruchteten die Bemühungen. Erich Honecker bot den Aachenern unerwartet an, zwischen Meißen und Naumburg zu wählen. Zur Stadt Meißen gab es bereits offizielle Kontakte, da der gesamte Aachener Kunstschatz während des Zweiten Weltkrieges dorthin ausgelagert worden war. Naumburg hingegen hatte ? wie Aachen ? einen Dom. Die Aachener entschieden sich für eine Städtepartnerschaft mit Naumburg an der Saale. Dietmar Kottmann erinnert sich: REGIE O-TON 9: ('31)- Dietmar Kottmann: Das war zunächst mal ein Trostpreis, ... aber weil das auch so ne Phase war: 'wir müssen die Öffnung erzwingen, müssen alle Wege suchen zu den Brüdern im Osten, und Schwestern zu kommen' ... das hat man dann angenommen und dann gab es ein offizielles Treffen, das war eine Kommission aus dem Rat, ein paar Spitzenvertreter aus der Verwaltung, das war sehr überwacht. AUTORIN Zur Aachener Delegation gehörte damals Jürgen Linden. Der Jurist war zunächst Bürgermeister, also Stellvertreter des Oberbürgermeisters, dann bis zum Herbst 2009 ? also fast zwei Jahrzehnte ? Oberbürgermeister; und besonders engagiert, das Städte- Partnerschaftsprojekt voranzubringen. Heute sitzt er als Anwalt in einem großen Büro außerhalb der Aachener Altstadt. Jürgen Linden gehörte zu den ersten, die Naumburg Ende der 80-er Jahre offiziell besuchten. Die erste deutsch-deutsche Städtepartnerschaft ? zwischen Saarlouis und Eisenhüttenstadt ? gab es da bereits. REGIE O-TON 10: (1'52) Jürgen Linden, ehem. OB Aachen Als wir nach Naumburg fuhren, um diese Verhandlungen zu führen, hatten wir im Gepäck die abgeschlossenen Verträge zwischen Eisenhüttenstadt und Saarlouis ... - wir hatten diesen Vertrag zwischen E - SL geprüft, auch studiert hinsichtlich der versteckten Aussagen und es ging dann bei den Verhandlungen auch streitig um zwei besondere Punkte: Der eine war, dass das gemeinsame deutsche Volk auch gemeinsame historische Wurzeln besaß, das wurde von den Verhandlungspartnern in Naumburg so nicht anerkannt, und zum andern, dass dieser Vertrag darauf ausgerichtet sein sollte, dass die Bürger beider Städte in freundschaftlichen Kontakt zueinander treten sollten auch das wurde heftigst bestritten. Da aber beide Passagen im ersten abgeschlossenen Vertrag zwischen zwei deutschen Städten bereits enthalten war, haben wir darauf bestanden und da wir darauf bestanden haben, hat das fast auch zum Abbruch der Verhandlungen geführt. Wir hatten während dieses Aufenthaltes überhaupt keinen Kontakt zur Bevölkerung, wir sind als Delegation en bloc durch die Stadt geführt worden, wir haben uns die meiste Zeit im Rathaus aufgehalten, weil dort die Vertragsverhandlungen stattfanden, und ich bin irgendwann mal ausgebüchst und hab mit Leuten in ner Bäckerei gesprochen, die wussten alle nicht, dass ne Aachener Delegation da war, es gab auch keine entsprechenden Meldungen in den Zeitungen oder in den sonstigen Medien, wir waren praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit dort vorhanden. AUTORIN Nachdem die Aachener gedroht hatten abzureisen, kam es schließlich doch noch zu den Unterschriften für eine Städtepartnerschaft zwischen beiden deutschen Städten. Das war im Mai 1988. Die ersten vier Busse aus Naumburg kamen bald darauf nach Aachen. Dietmar Kottmann hat das miterlebt: REGIE O-TON 11: ('34) Dietmar Kottmann Vier Busse und zwar haben Aachener Hoteliers sich bereit erklärt, die kostenlos aufzunehmen und zu beköstigen, sie mussten nur die Fahrt von Naumburg aus aufbringen, das waren ganz alte Busse, ich kann mich noch entsinnen, das haben sie hingekriegt und das war für die ein ganz tolles Erlebnis. Wie das ausgesucht worden ist, das wissen wir nicht, es gab im Krönungssaal ein Treffen, das war rappelvoll, da sind Aachener Bürger dann hin gegangen und man ist dann so ins Gespräch gekommen und bei der Gelegenheit sind Kontakte zustande gekommen, die heute noch bestehen. MUSIK 2: Interpret: La Stravaganza Köln Titel: Musick fort he Royal Fire WORKS HWV 351 CD: Track: 2 / Bourrée Komponist: Georg Friedrich Händel Text: LC/Best.-Nr.: DLR- Archiv#: AUTORIN 22 Jahre deutsch-deutsche Städtepartnerschaft zwischen Aachen und Naumburg an der Saale. Beide Städte zeigen noch Spuren aus dem Mittelalter: schmale Gassen, schiefe Fassaden, kleine Fachwerkhäuser, Viertel, in denen einst das Handwerk zu Hause war. Aachen, die Stadt am Länderdreieck ist mit gut 250 000 Einwohnern eine kleine Großstadt. In Naumburg an der Saale, rund 500 km von Aachen entfernt, wohnen etwa 30 000 Menschen, und es werden immer weniger. Das Herz der Stadt ist in Aachen wie in Naumburg: der Dom; mit Schätzen, die Besuchern das Herz aufgehen lassen. REGIE ATMO (Band 9 und 11 AUTORIN Naumburg an der Saale: Auch hier erinnern sich Menschen an den Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen West- und Ostdeutschland. REGIE O-TON 12: ('23) Anna Dorothea Schmidt Man suchte hier in Naumburg aus jeder Partei einen Mitarbeiter, einen Teilnehmer, der irgendwie in der Stadtverwaltung beschäftigt war, ich war eine Frau, hatte die kleine Kommission für Kultur und ich war in der CDU - und diese drei Dinge haben mich dazu gebracht, dass man mich aussuchte, die erste Reise nach Aachen mit zu machen. AUTORIN Anna-Dorothea Schmidt lebte mit ihrem Mann zunächst in Ost-Berlin, bevor beide 1980 nach Naumburg zogen. Sie wohnen etwas abseits der behutsam sanierten Naumburger Innenstadt. 1988 kam die Musiklehrerin das erste Mal als offizielle Vertreterin der Stadt Naumburg nach Aachen. REGIE O-TON 13: (1'13) Anna-Dorothea Schmidt Für mich war's ein Schlaraffenland, schöne Gegend und .. es war erstaunlich. Ich war an der Musikschule und ich sollte nicht darüber reden, dass wir diese Reise machen, das sollte ich nicht publik machen ... Ich habe Fotografien gemacht, ... ich hab sehr geschwärmt von diesem schönen Leben dort ... und das Umfeld und die Freundlichkeit der Menschen ..., wir sagten dauernd, wir sind zehn mal so klein, wir passen in Aachen zehnmal rein, das passt nicht zusammen, und was haben wir denn schon zu bieten, gut wir haben 'ne lange Geschichte und ? wir haben auch einen Dom und waren auch mal Bischofsstadt, und die sagten 'ja Moment mal, ihr habt viel Kultur, ihr habt zum Beispiel den Künstler Sitte, der in der Nähe von Naumburg sein Domizil hat', und es wären also viele Möglichkeiten, wir könnten doch mal eine Sitte Ausstellung machen, dann sagten unsere Leute gleich, 'nein, die Sicherheit stimmt nicht, das können wir nicht bezahlen ? es war alles sehr sehr schwierig'. AUTORIN Für ihre Bemühungen um eine aktive Städtepartnerschaft zwischen Aachen und Naumburg erhielt die ? heute längst pensionierte ? Musiklehrerin 1997 ein Anerkennungsschreiben vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog. Weil sie sich so energisch für die Städtepartnerschaft zwischen Naumburg und Aachen eingesetzt habe, als dies von den DDR-Behörden eher ungern gesehen wurde. Nach der Wende nähte Anna-Dorothea Schmidt mit ihren Musikschülern mittelalterliche Kostüme, um auf Konzertreisen nach Aachen in passenden Gewändern aufzutreten. 'Das ist alles so lange her', sagt Anna-Dorothea Schmidt, die jetzt am Tisch ihrer Nachbarn sitzt: Gundula und Udo Sachse. Auch sie gehörten zu den ersten, die eine Städtepartnerschaft nicht nur auf dem Papier wollten. Das Ehepaar ist seit über 20 Jahren mit Aachenern befreundet. Der promovierte Logopäde Udo Sachse erinnert sich an die erste Begegnung mit Dietmar Kottmann, dem Leiter des Aachener Geschichtsvereins, wenige Monate nach Öffnung der Mauer: REGIE O-TON 14 (1'46) Udo Sachse Es stand ein Mann - unten mit seinen Kindern und seiner Frau, wir waren ganz überrascht und ein bisschen überrumpelt, ... wir sind dann runter gegangen und er hat sich vorgestellt, dass er aus Aachen kommt und zum Aachener Geschichtsverein gehört und wir haben dann schnell überlegt, was wir machen könnten, ich glaube, wir hatten noch Apfelsaft irgendwo liegen, der schrecklich schmeckte, wie ich dann festgestellt hab, (lacht) dann sind wir hier hoch gefahren auf den Napoleonstein, das ist Naturschutzgebiet, wo man sehr schönen Blick runter hat ins Saale-Tal nach Schulpforta, und ... die Kinder fanden das auch ganz toll, wir hatten nen Trabant, und die fanden das ganz interessant (lacht), dass das Auto fuhr und vor allen Dingen, dass das so einen kleinen Wendekreis hatte, und ich hab das so erlebt, die waren sehr erstaunt und begeistert. was es hier Geschichtliches gibt. nicht nur den Dom, sondern auch die Neuenburg und natürlich die ehemalige Kaiserpfalz in Memleben. also für die Aachener steht ja immer Karl der Große im Hintergrund und sie sind sich bewusst, dass sie ne große Tradition haben als Krönungsstadt usw. und die waren sehr erstaunt, dass es hier in dieser Dichte so viel mittelalterliche Burgen und Anlagen gibt, ich erinnere mich, wie begeistert die nach Querfurt gefahren sind, und Herr Kottmann hat jedes Jahr hier in die Gegend Exkursionen veranstaltet, manchmal mit 2 Bussen. AUTORIN Udo Sachse und seine Frau Gundula zogen für einige Monate nach Aachen. Denn Dietmar Kottmann hatte ihnen eine Unterkunft im eigenen Haus angeboten: REGIE O-TON 16: (1'08) Gundula Sachse: Wir sind beide Sprachtherapeuten, bis zur Wende war ich angestellt an der Poliklinik, hab dort Sprachtherapie gemacht, 01:08 die Poliklinik machte 1990 zu, ich hatte die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit und erstmal weiß nicht was - arbeitslos wollte sie nicht sein. Den Beruf gab es so in der BRD nicht, ich bin Diplom-Sprechwissenschaftlerin. aber es gab Logopäden, und da wiederum war die Städtepartnerschaft für uns dann schon wichtig, weil in Aachen gab es die beste Logopädenschule, zumindest denken wir, dass es so ist, in der BRD, ... dann hab ich gedacht, arbeitslos möchtest du nicht sein, jetzt machste einfach 'nen Logopädenabschluss, kann nicht schaden. und dann hatt' ich da die Gelegenheit erhalten, hab bei den Leuten die wir kennen gelernt haben, gewohnt, die Luftlinie 100 Meter daneben wohnten (lacht), das ist toll, ich musste da auch nichts bezahlen, wir haben da auch ne sehr intensive Freundschaft gehabt 03:09 MUSIK : Oeuvre de Jeunesse / 0'18 Interpret: Jean-Yves Thibaudet Titel: Satie / The Complete Solo Piano Music / / CD: 2 Track: 1 / Allegro Komponist: ERIK SATIE Text: LC/Best.-Nr.: DLR- Archiv#: REGIE O-TON 17: ('35) Dietmar Kottmann Hier in Aachen konnten sie am einfachsten den Logopädenabschluss nachholen und ... Gundula ist hier in Aachen als Logopädin zugelassen worden, das gab es in der DDR noch nicht. Wir haben hier genügend Platz im Haus, da war ein Zimmer frei, das war bei dieser Freundschaft, die da entstanden ist, eigentlich selbstverständlich. Irgendwie fand ich das nicht gut, wenn man Menschen, die man so kennen gelernt hatte, als ganz normale arglose Menschen, deren Lebenslauf so abrupt unterbrochen wird, die konnten nichts dazu, zu dem, was vorher gelaufen ist und auch zu diesem Wechsel nicht. AUTORIN Dietmar Kottmann, geboren 1941, saß viele Jahre als Jurist im Aachener Ratssaal, "unter dem Schwert Karls des Großen", wie er erzählt, einer Dürer-Kopie. Angst vor diesem Schwert brauchte er allerdings keine zu haben, sagt er augenzwinkernd. Es konnte einen höchstens dann treffen, wenn das ganze Bild vom Haken herunter fiel, was bis heute nicht geschehen ist. Dietmar Kottmann: ein Mann mit Gerechtigkeitssinn und einem Gespür für historische Zusammenhänge. Und ein echter Aachener, was sein Gefühl für ein vereintes, friedliches Europa betrifft. Er wäre heute nicht auf der Welt, sagt er, wären einst seine Urgroßväter aufeinander getroffen, die in gegnerischen Armeen kämpften. Dietmar Kottmann kennt sich nicht nur mit Gesetzen, sondern auch in der Aachener Geschichte aus. Sein Wohnort im Westen der Stadt ist der Quellenweg. Schon dieser Straßenname gibt eine Ahnung davon, wie wichtig die Thermalquellen für die Entwicklung von "Bad Aachen" waren. REGIE O-TON 18: ('12) Dietmar Kottmann Acher ist der Urname von Aachen oder Aquis; das heißt Wasser ... der Stadtname ist Synonym für Wasser und ohne die Thermalquellen gäb es Aachen nicht REGIE ATMO Wasserplätschern / Elisenbrunnen REGIE O-TON 19: (1'40) Dietmar Kottmann Die Gründungslegende Aachens is, dass Karl der Große mit seinem Pferd in den Wald reitet, auf der Jagd sich verirrt und dann schrabbt sein Pferd, findet das Wasser, kann trinken, aber er entdeckt dann auch alte römische Ruinen und das sei ein julianischer, also kaiserlich römischer Palast und er habe dann da über dem heidnischen Tempel der heiligen Jungfrau eine Kirche gebaut und habe das heidnische Bad gereinigt und ein neues errichtet, einen Palast ? das ist die Karlslegende. ... die ist wirklich tradiert und steckt im Hinterkopf jedes Aacheners drin und man muss schon sagen. ohne dieses Thermalwasservorkommen hätte es wahrscheinlich für die karolingische Königsfamilie keinen Anlass gegeben, diesen Ort so auszubauen, ... man konnte aufwändig bauen und einen Luxus demonstrieren, den man sonst hier in Mitteleuropa nicht hatte ? die Palast-Kapelle, Palastaula, Gebäude der Höflinge und dann dieses Bad, das denke ich, war schon beeindruckend für die Menschen und es war ein Grund für das Königtum, an Aachen festzuhalten. REGIE ATMO bzw. Musik 4'39 REGIE O-TON 20: ('40) weiter In der römischen Zeit war die eine große Therme unterm Dom und die andere ungefähr 300m weiter östlich, ... dann sind weitere Bäder immer weiter östlich gebaut worden. ... das große Kaiserbad als Neorenaissance-Gebäude ? da ging man baden, dann gab es die Komphausbadstraße, weil auch die Mode aufkam, Trinkkuren zu machen ? das war so ne platzartige Straße, ... wo es dann Musik gab und alles mögliche an Zerstreuung REGIE MUSIK LISZT / Schubert Auf dem Wasser zu singen unter Text legen: Interpret: Silke Avenhaus Titel: Piano Songs Mendelssohn, Schubert/Liszt CD: Track: 13 Komponist: Text: LC/Best.-Nr.: DLR- Archiv#: SPRECHER: (Franz Liszt) (Das Leiden, das mich einen Teil des verflossenen Winters hindurch lahm legte, schien sich in meinen Beinen dauernd festsetzen zu wollen. Deshalb entschloss ich mich auf Anordnung meines Arztes zum Gebrauch einer Kur in Aachen. Ich trinke Schwefelquelle und nehme täglich Schwefelbäder, was mir schon nach acht Tagen wesentliche Besserung brachte.) AUTORIN Musiker wie Franz Liszt, Schriftsteller, Maler, Politiker besuchten Aachen und waren meist beglückt, aber auch belustigt, wie Theodor Fontane. Er fand den Kult um Karl den Großen in höchstem Maß übertrieben, Ludwig Börne allerdings schwärmte vom mystischen Flair des Aachener Münsters, das dieses heute noch ausstrahlt. 1819 schrieb er: SPRECHER Die warmen Quellen und Bäder merkwürdig. Die Stadt hat etwas Vornehmes, ... In der Kirche das Grab Karls des Großen ? ich trat es mit Füßen; sein Stuhl ? ich setzte mich darauf; aber ich bin immer noch, der ich war. Abends bei Kerzenschein einer musikalischen Messe beigewohnt. ... Die Beleuchtung, die Orgeltöne, die Messknaben, berauschende Räucherungen, allgemeine und innige Andacht... REGIE ATMO Orgel (13) REGIE ATMO Bauarbeiten im Dom (14) AUTORIN Der Stuhl Karls des Großen in der ersten Etage, gegenüber dem Goldaltar, bleibt den Besuchern heute verborgen. Es wird gebaut im Hohen Dom zu Aachen, unter der Aufsicht von Helmut Maintz. Er ist, wie er selbst sagt, im Schatten des Münsters geboren und seit 1997 Dombaumeister: zehn Jahre zuvor war er bereits als Bauingenieur in der Dombauleitung aktiv. Der große kräftige Mann mit immer freundlichem Gesicht geht mit schnellem Schritt in die Vorhalle, den eigentlichen Haupteingang. Jetzt ist der aber eine für Besucher unzugängliche Baustelle. Es gibt immer etwas zu tun im Aachener Dom und immer Überraschungen, erzählt Helmut Maintz. Ein paar der Bauarbeiter nehmen gerade den Fußboden auseinander: Stein für Stein, um die Fundamente frei zu legen. REGIE O-TON 21: ('48) Helmut Maintz Diese Unterkonstruktion, wo wir jetzt drauf stehen, ist leider schlecht, ... man hat zwar schon mal 1910, 1911 gegraben, aber hat leider den ganzen Dreck von einem Joch zum andern zurück geschüttet, dass der ganze Dreck noch hier ist .. es gibt unter dem Dom aber eine Thermenanlage, das heißt es gibt auch Wasser: Quellen, und die kommen nach oben, und durch den Dreck ... wird die ganze Feuchtigkeit nach oben gebracht und die schädigt den gesamten Bau: Marmorplatten und so fort, deshalb wird das gesamte Erdreich hier rausgeholt, archäologisch bearbeitet, gesiebt, sodass wir größere Lufträume hier unten bekommen und dann kann die Luftfeuchtigkeit später besser nach draußen abtransportiert werden. REGIE ATMO Gerüst AUTORIN Helmut Maintz klettert jetzt in die abgesperrte Kaiserloge, eine Etage höher. Hier bauen andere Mitarbeiter ein Gerüst auf, um an beschädigte Marmorplatten zu kommen und an die Mosaike. Denn die gesamte Kuppel ist verkleidet. Die strahlenden Ornamente und symbolhaften, leuchtenden Bibelmotive bestehen aus ungezählten winzigen Glassteinchen. Die Mitarbeiter nähern sich aber erst einmal den Marmorplatten. Auf einem der Gerüste steht Eva Hofmann: die 31 Jahre alte Steinmetzin hebt behände schwere Gerüstteile, um sie zu befestigen. Der Marmor ist ihr schon ganz vertraut: Er kommt aus Italien und sie findet ihn, sagt sie, schön bunt: REGIE O-TON 22: ('52) Eva Hofmann Der hängt hier ca. seit gut 100 Jahren ..., wir reinigen den zuerst, schleifen den dann mit verschiedenen Körnungen ab, hinterher wird er konserviert. das machen wir mit nem Natursteinwachs, damit Staub und äußere Einflüsse den nicht mehr angreifen können, ... und wir beschränken uns auf alle Marmorflächen, das sind die Wände, die Bögen, Pfeiler und der Fußboden und es geht darum, den optisch wieder herzustellen, oder auch Gefahren zu reduzieren. es gibt ab und zu lockere Platten, da muss man schauen, dass die auch wieder fest sind ... ist halt immer Bewegung in einem Gebäude und deswegen gibt es auch Risse und die müssen verschlossen werden. (ATMO dran) REGIE ATMO (15) Gerüste AUTORIN Dass hier nicht alles wirklich das ist, was es zu sein scheint, weiß sie inzwischen genauso gut wie Helmut Maintz. Der Dombaumeister weist immer wieder darauf hin, dass das gesamte Gebäude eine Synthese aus verschiedenen Bau-Epochen ist. Er koordiniert auch die Restaurierungs- und Sanierungs-Arbeiten und kennt sich in jedem Winkel aus und nimmt Besuchern auch gelegentlich die Illusionen, wenn er sie aufklärt, dass, weiß Gott, nicht alles im Dom aus karolingischer Zeit stammt. Die Säulen im Oktogon beispielsweise wurden eindeutig erst im vergangenen Jahrhundert mit Marmorplatten verkleidet und das nicht gerade stilvoll. Dennoch ist Maintz ? ein freundlicher Lokalpartiot mit rheinischem Frohsinn ? aufs engste mit dem Aachener Dom verbunden. Und natürlich hat er, schon allein aus beruflichem Interesse, auch bereits die Partnerstadt Naumburg besucht: REGIE O-TON 24: ('34) Helmut Maintz Ich glaub zwei Mal, ich werde demnächst wieder da sein, 2011 ist nämlich in Naumburg unsere jährlich stattfindende Dombaumeister-Tagung, die im letzten Jahr hier in Aachen stattgefunden hat, wo auch die Kollegen aus Naumburg hier warn, ... von Stein zu Stein sind die Probleme anders, aber es gibt auch viele Gemeinsamkeiten, wo man sich austauschen kann mit Lasertechnik, mit Reinigung von Figuren, wo man sagt, welche Firma hast Du? Restaurierungsmaterial. REGIE ATMO (18) AUTORIN Mit Lasertechnik und anderen aufwändigen Geräten arbeiten derzeit junge Wissenschaftler des Naumburg Kollegs im Dom St. Peter und Paul. Täglich um sieben Uhr klettern auch sie auf hohe Gerüste: eines steht am Lettner, ? der steinernen Schranke vor dem Westchor, ? ein weiteres direkt dahinter, im Westchor. Sie behindern die Sicht auf einen Teil der Meisterwerke des unbekannten Bildhauers, der im 13. Jahrhundert für die Naumburger Kathedrale die berühmten Stifterfiguren in Stein gemeißelt hatte. Dafür aber schauen Besucher auf große Bildschirme und können die Arbeiten direkt mitverfolgen. Die jungen Restauratorinnen, Bauforscherinnen, Naturwissenschaftler prüfen mit großen Mikroskopen beispielsweise die Beschaffenheit der Materialien, analysieren Farben und wollen herausbekommen, wie die Werke des Naumburger Meisters für die Zukunft konserviert werden können. Das Gotteshaus, das zur öffentlichen Stiftung "Vereinigte Domstifter" gehört, ist in kalten Jahreszeiten klimatisch wahrlich nicht sehr einladend. Minus 2 Grad wurden im letzten Winter gemessen. Im Aachener Dom dagegen herrschen Sommer wie Winter 14°, damit die kostbaren Kunstwerke keinen Schaden nehmen. MUSIK : Ciaccona di Paradiso, e dell'Infern 3'51 Interpret: Tragicomedia Titel: Vanitas vanitatum CD: Track: 10 oder 11 Komponist: Anonymous Text: LC/Best.-Nr.: DLR- Archiv#: REGIE ATMO REGIE O-TON 25: ( '18) Helmut Maintz Das erste Mal, wo ich in Naumburg war, im Dom, hat mich erschreckt, dass man Eintritt zahlen muss, um in einen Dom zu kommen, da haben wir ein ganz anderes Verständnis hier, unser Dom is' in erster Linie Gotteshaus, öffentlich zugänglich. REGIE ATMO (19) AUTORIN Dombaumeister Helmut Maintz schließt im Hohen Dom zu Aachen eine schmiedeeiserne Schranke auf und führt in die gotische Chorhalle, auch Glashaus Aachens genannt: REGIE O-TON 26: ('47) Helmut Maintz Hier in der Chorhalle sind das immerhin 1000 qm Fensterfläche - das ist eine unheimliche Größe, 03:29 die Fenster sind im Krieg alle zerstört worden, auch weil es schon erneuerte Fenster waren aus dem 18. / 19. Jh. man hat da nicht so großen Wert drauf gelegt, man musste sich um die andern Sachen kümmern, der Domschatz ist ja der bedeutendste nördlich der Alpen, alles das musste verbracht, versteckt werden, die Figuren, die wir in der Chorhalle sehen, sind aus der Bauzeit von 1414, auch die mussten eingehaust, eingeschalt werden. Der Thron gegenüber natürlich komplett eingemauert, damit da nichts passierte, da hatte man für die Fenster keine Zeit mehr und mit den ersten Bombentreffern und Druckwellen sind die Fenster dann auch zerstört worden. (reißt ab) AUTORIN Und natürlich längst ersetzt, inzwischen auch von zeitgenössischen Künstlern. REGIE O-TON 27: ('07) Maintz ... und wenn hier die Sonne drauf steht und Farben sich spiegeln, ist das ne ganz fantastische Sache. REGIE ATMO (18) AUTORIN Wie historische Architektur mit moderner Kunst korrespondieren kann, ist im Naumburger Dom St. Peter und Paul nicht nur an den Chorhallen- Fenstern zu sehen, sondern auch in der Elisabeth-Kapelle. Dominieren in Aachen abstrakte Ornamente in Rot, so hat sich in Naumburg der gegenständlich malende Künstler Neo Rauch verewigt. Auch er wählte die Farbe Rot gewählt, schildert aber im figurativen Stil Stationen aus dem Leben der Heiligen Elisabeth von Thüringen. Es könnten Szenen aus unserer Zeit sein: Das erste Fenster zeigt den Abschied von ihrem Mann, der an den Kreuzzügen teilnahm und niemals wiederkam; im zweiten kümmert sich Elisabeth um einen Hilfsbedürftigen, der vor ihr niederkniet. Sie reicht ihm eine Decke. Das dritte Fensterglas schildert ihre Arbeit im Hospital. In der Sprache des Malers Neo Rauch sind dies aktuelle Mahnungen gegen Krieg und für Barmherzigkeit. Die steinerne Statue der Heiligen Elisabeth gegenüber den Fenstern ist eine spätromanische und damit älter als die berühmten Stifterfiguren des unbekannten Bildhauers, der mit seinen frühgotischen Figuren und Reliefs aus Stein als "Naumburger Meister" berühmt geworden ist. REGIE O-TON 28 ('13)Heidi Vogel Die meisten Besucher kennen Ekkehard und Uta, eventuell noch Ekkehards Bruder mit seiner Frau Reglinde auf der anderen Seite, aber es sind eben nicht nur zwei oder vier, sondern 12. AUTORIN Heidi Vogel wurde vor 30 Jahren in Naumburg geboren. Eine zierliche Frau, Mutter von zwei Jungen. Immer lief sie fasziniert an dem gotischen Gebäude vorbei und lernte am Domgymnasium schon viel über die Kirche. Nach ihrem Bibliothekarsstudium fand sie Arbeit in der Domstiftung. Mit Leidenschaft führt sie Besucher an die Schätze heran. REGIE O-TON 29: (1'18) Heidi Vogel Normalerweise waren im 13. Jh. hier nur Heiligenfiguren vorgesehen, der Naumburger Meister aber hat hier was Besonderes gemacht, er hat hier weltliche Herrschaften in einem Heiligen Raum dargestellt und das ist etwas einzigartiges. zudem wirken einige der Grafen sogar recht kriegerisch, wie auch Ekkehard mit seinem Schwert vor dem Schild, eher ungewöhnlich warum er das so gemacht hat, können wir heute nicht mehr nachvollziehen. Die Figuren verkörpern alle Stifter des Domes, sie haben aber im 10., Anfang des 11. Jh s gelebt, also lange vor dem Bau des jetzigen Naumburger Domes, trotzdem nennt man sie die Stifter, denn das Gelände, auf dem der jetzige Dom steht, gehörte ursprünglich Markgraf Ekkehard dem 2. und seinem Bruder Hermann. Sie stifteten es, unter der Bedingung, dass Naumburg Bischofsitz wird und schon im 11. Jh. wurde ein erster Dom gebaut, das jetzige Gebäude ist ein Nachfolgebau, der auf dem gleichen Gelände steht. MUSIK : Passacalli della vita Interpret: Tragicomedia Titel: Vanitas vanitatum CD: Track: 11 Komponist: Anonymous Text: LC/Best.-Nr.: DLR- Archiv#: REGIE Musik unter Text / evtl. Atmo AUTORIN Der Naumburger Dom St. Peter und Paul, gebaut im frühen 13. Jahrhundert, ist die Hauptattraktion der Stadt: mit den berühmten, aus Stein gemeißelten Stifterfiguren und einem Domschatzgewölbe, das dem Besucher schier den Atem raubt: Chorbücher, Gemälde von Lukas Cranach, Altäre aus dem 14. Jahrhundert. Schätze, die einst im Dom zu finden und dann über lange Zeit der Öffentlichkeit verborgen waren, haben seit dem Jahr 2006 hier einen würdigen Platz gefunden, in einem der größten romanischen Gewölbe Mitteldeutschlands. REGIE Musik noch mal hoch AUTORIN Curt Becker ist einer der sieben Domherren der Vereinigten Domstifter. Er wohnt in einer der großzügigen Villen im Bürgergartenviertel, nicht weit vom historischen Stadtkern entfernt. Becker ist in Naumburg geboren, verließ 1953 die DDR ? da war er gerade 17 ? , machte in Baden-Württemberg erst Abitur, später Karriere als Jurist in der Politik. 38 Jahre, nachdem er Naumburg verlassen hatte, kehrte er zurück. Weil man ihn darum gebeten hatte. 'Hier sind meine Wurzeln und die haben mir Kraft gegeben', sagt er. Curt Becker hat als Bürgermeister viel erreicht für die kleine Stadt in Ostdeutschland. Erst als Bürgermeister, dann, bis zum Jahr 2001, als Oberbürgermeister. Mit 65 ging er nicht in den Ruhestand, sondern in den Landtag von Sachsen-Anhalt. Wie sein Aachener Freund und Kollege, der ehemalige Oberbürgermeister Jürgen Linden, ist er Jurist; hat an Gesetzestexten und Satzungen mitgefeilt; dazu beigetragen, dass das Oberlandesgericht wieder seinen Sitz in Naumburg hat. Naumburg heute: ein hübsches Städtchen im Süden Sachsen-Anhalts, eine Touristenattraktion im Burgenlandkreis. Knapp vier Jahrzehnte Arbeit als Jurist in Baden-Württemberg, das hieß für Curt Becker auch: vertraut sein mit Städte-Partnerschaften. Die bestanden für ihn früher immer zwischen Städten zweier Länder, die erste deutsch-französische verband Ludwigsburg und Montbéliard: zwei ehemalige Erzfeinde kamen sich somit langsam näher. Aber eine deutsch-deutsche Partnerschaft? REGIE O-TON 30: ('31) Curt Becker Das war natürlich in der Tat für mich ein völliges Novum. deshalb war da auch bei mir zunächst eine gewisse Reserve zunächst vorhanden. denn was sollte das? Wir wollten unsere Stadt aufbauen, das war uns wichtiger als hier von Partnerschaft zu träumen. Aber ich hab schnell gemerkt, vor allem durch meinen Kollegen Linden, der damals schon die Geschicke der Stadt Aachen geleitet hat, dass das doch etwas anderes hier ist. AUTORIN Schon bald nach der Wiedervereinigung wurde der Vertrag über die Städtepartnerschaft erneuert. Und mit 2 Millionen Mark griff Aachen seiner Partnerstadt im Osten der Bundesrepublik unter die Arme. REGIE O-TON 31: ('44) Curt Becker Das war für uns gutes Geld, ich denke aber mehr auch an die weiseren Hilfen, die wir erhalten haben, in Form von Verwaltungshilfen, in Form von Mithilfe beim Aufbau unserer Stadtwerke, die wir den Aachenern gleich 'Technische Werke' nennen, das hätten wir ohne die Hilfe Aachens nicht meistern können. AUTORIN Dass einst Erich Honecker den Aachenern Naumburg als Partnerstadt vorschlug, hat für Curt Becker sogar eine plausible Geschichte: REGIE O-TON 32: (1'18) Curt Becker Aachen wurde 1944 und die Umgebung von Aachen weitgehend evakuiert. die Menschen wurden aus dem Gebiet herausgenommen und nach Mitteldeutschland gebracht. Es blieben ganz wenige in Aachen und der Region zurück. Die meisten kamen zu uns. Naumburg, Altkreis Naumburg, Altkreis Nebra, Weissenfels, und überhaupt hier nach Mitteldeutschland und sie gingen dann wieder, nachdem der Krieg zu Ende war, nach Aachen zurück. Vielleicht ist das dann vom Schicksal so gewollt, dass man sich an diesen Umstand, den die meisten gar nicht mehr im Gedächtnis haben, dass man sich auf diese Art und Weise an diesen Umstand erinnert, das was wir vielleicht den Aachenern 1944 / 45 hier an Schutz, an Hilfe geboten haben, haben sie uns dann später an Schutz und Hilfe vor allen Dingen in den ersten Jahren der Partnerschaft gegeben. MUSIK ERIK SATIE CD 2 / 2 oder 3 erste Takte REGIE O-TON 33: ('35) Becker Was besonders wichtig ist, dass man sich nach dem Fall der Mauer öffnete in Richtung der Vereine: Der Musikvereine, der Kirchen, anderer Vereine, es gibt heute ja noch lebendige Beziehungen zwischen einzelnen Gruppierungen, ... insgesamt gesehen, möcht ich sagen, nach 20 Jahren: das ist heute noch eine gelebte deutsch deutsche Partnerschaft. AUTORIN So spricht nicht nur der ehemalige Bürgermeister, sondern das sagen auch all jene, die die Städtepartnerschaft als noch immer lebendig beschreiben. Arnulf Marx leitet seit vielen Jahren den Tanzsportclub "Rhythmus der Freude" und fuhr mit seiner Frau als einer der ersten nach Aachen, um dort Kontakte zu knüpfen. REGIE MUSIK Bigband Nütheim Schleckheim REGIE O-TON 34: ('10) Arnulf Marx Da wir der Tanzsportclub "Rhythmus der Freude Naumburg" sind, natürlich in Aachen mit einem der vielen Tanzclubs dort und sind da bei auf den Tanzsportclub Schwarz Gelb Aachen gekommen. AUTORIN Arnulf und Doris Marx gehörten schnell zum Bürgerkomitee Aachen- Naumburg und trauten ihren Augen kaum, als sie die Räume des Tanzclubs in Aachen sahen. REGIE O-TON 35: ('20) Doris Marx Wir war'n so erstaunt, erstesmal hatten die a Clubheim, a ganzes Heim, wo die zwei oder drei Säle hatten, was weeß ich nich alles, die hatten ne Gaststätte dran, ich war so erstaunt, ma kriegt den Mund ja gar nich wieder zu und ... Wir hatten ne Turnhalle und da mussten wir drum betteln, dass wir überhaupt in die Turnhalle, weil das ja der Schule gehörte. ... AUTORIN Doris und Arnulf Marx leben in Naumburg "Am Holländer" ? so heißt eine Plattenbausiedlung am Rand der Stadt. Der Elektromechaniker hat viele Jahre in Buhna gearbeitet, wie viele Naumburger, die dort oder auch in Leuna ihr Geld verdienten. Naumburg war und ist Wohnstadt ohne Industrie, darauf sind die Einwohner sogar stolz. Gearbeitet wurde meist außerhalb. Aus Neugier, Interesse und Unternehmungslust reisten die beiden in den letzten Jahren so oft es ging, nach Aachen: REGIE O-TON 36: ('40) Arnulf Marx Die haben damals ein Verständnis für uns jehabt - das is die wahre Pracht. ... Es gibt Aachener, die mich getroffen haben, in der Kaiserstraße die ham gesagt, oh Marxens, Ihr wohnt wohl jetzt in Aachen - also wir haben rägelmäßisch mit versch. Personen aus Aachen Kontakt, große Beziehung haben wir auch zur Bigband Nütheim-Schleckheim, die regelmäßig in Naumburg spielt ... sind 28 - 30 Musiker, die regelmäßig zu unsern Veranstaltungen vom Tanzsportclub gespielt haben, ... auch Konzerte für die Stadt, u.a. hat beim ersten Konzert, was sie gegeben haben, beim Städtepartnerball 1990, ham se sogar ihr Honorar für die Hildebrand Orgel gespendet. ... REGIE MUSIK Hildebrand-Orgel AUTORIN Die Hildebrand Orgel ist gleichsam der Schatz der Wenzelskirche nahe dem Naumburger Marktplatz. Man nennt sie auch Bachorgel, denn Johann Sebastian Bach kam 1746 eigens aus Leipzig, um sie dem Meisterschüler des Orgelbauers Gottfried Silbermann offiziell abzunehmen. Zacharias Hildebrandt hatte vor Bach bestanden, denn der reiste voll des Lobes wieder ab. MUSIK : Konzert g-Moll für Violine, Streicher und basso continuo Interpret: Die Deutsche Kammerphilharmonie Titel: Violinkonzerte / Brandenburgisches Konzert Nr 4 CD: Track: 9 Komponist: Johann Sebastian Bach Text: LC/Best.-Nr.: DLR- Archiv#: AUTORIN Wie die Wenzelskirche mit Konzerten auf der Hildebrandorgel, so lockt auch der Naumburger Dom immer wieder Besucher an: mit Veranstaltungen, Führungen und mit neuen Erkenntnissen: Der unbekannte "Naumburger Meister", der hier bereits im 13. Jahrhundert seinen steinernen Figuren einen enorm lebendigen Ausdruck verlieh, wird im kommenden Jahr Thema der Landesausstellung Sachsen- Anhalts sein. Heidi Vogel, Referentin der Stiftung: REGIE O-TON 37: ('26) Heidi Vogel Früher nahm man an, er kam aus dem deutschen Raum und ging dann als Lehrling nach Frankreich, diese Annahme ist inzwischen überholt, inzwischen geht man davon aus, dass der Bildhauer tatsächlich Franzose war. In Metz, Reims nimmt man an, dass er gearbeitet hat, und ... um 1250 herum kam der Naumburger Meister in unsere Stadt und hat hier tatsächlich sein Lebenswerk geschaffen. AUTORIN Unterstützung finden die Naumburger für die große Landesausstellung nicht zuletzt von den Aachenern, die wiederum ihre Kontakte nach Frankreich nutzen. Die Städtepartnerschaft Aachen-Naumburg ? der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die über Deutschland hinaus mehr und mehr auch eine europäische Dimension gewinnt. Sprecher Von Domstadt zu Domstadt Die deutsch-deutsche Städtepartnerschaft Aachen - Naumburg Eine Deutschlandrundfahrt mit Michaela Gericke 1 Von Domstadt zu Domstadt Die deutsch-deutsche Städtepartnerschaft Aachen - Naumburg