KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : Literatur Kostenträger : P 62 300 Tite Titel der Sendung : "Du hast keine Brüste, die ich besingen könnte." Lyrikerinnen schreiben über Männer V Vo AutorIn : Cornelia Sturm Redakteurin : Barbara Wahlster Sendetermin : 7.8.2011 Besetzung : Sprecherin/Lyrik, Sprecherin/Autorin, Sprecher Regie : Beate Ziegs Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-00 Musik lebendig - Segel setzen, an Schiffe denken Sprecherin (üppig, schwärmerisch): Darf ich den Sommertag mit dir vergleichen? Er geht zu Ende während mein Sonett beginnt. Sonett beginnend während Tag verrinnt, darf ich den Sommertag mit dir vergleichen? Die Angst, es könnte gilben und verbleichen das Blatt, auf dem das Gold zu Blau gerinnt, vergeht, wenn dein Profil Kontur gewinnt, dir Wörter ähneln, Ebenbilder gleichen. Autorin: Seit Jahrtausenden haben die Dichter die Schönheit der Frauen besungen. Weibliche Schönheit war männlichen Autoren und ihren Helden Inspiration und Motivation: die Griechen segelten für die schöne Helena über das Meer und zettelten den Krieg um Troja an. Don Quixote stürzte sich für Dulcinea in phantastische Abenteuer und Werther lernt durch Lotte die Welt auf großartige Weise neu sehen. Und wie ist das umgekehrt? Wenn Autorinnen über Männer schreiben? Sprecherin: Zum Ersten ist jetzt vorerst Mai, so ungetrübt gefiltert deine Strahlkraft wie eine Sonne, der man noch nicht müde ist. Zum Zweiten ist dein Haar wie Flachs, und ist dein Mund wie Wolken, durch die Sonne kraft- und friedestrotzend bricht, als ob es Sommer sei. Autorin: Für dieses Gedicht leiht sich die 29jährige Schriftstellerin Ann Cotten Shakespeares berühmte Sonettzeile "Darf ich den Sommertag mit Dir vergleichen?". O-Ton 1: Ann Cotten: Ich glaube beim Schreiben setzt sich bei mir sehr viel aus zwei Kräften zusammen: das eine das intellektuelle und das andere ist sozusagen das Material, das was in der Hand liegt: ein Schenkel. Und die Schenkel liefern natürlich diese Schönheiten, wo man auch den Ehrgeiz hat, sie möglichst sinnlich mit der Sprache zu treffen. Sprecherin: Und strahlend da wie Mittag ist dein Leib, quadratisch wie ingeniös vermessen, gestochen wie aus Gotteslästerung dein Auge. Wahr und präsent, solange ich hier bleib, und breit und warm, wie ich dabei gesessen, schreib ich dich, während ich auf Wolken schaue. Solange ich vertraue, sind die Tage hier, Verlangen ich implementier, verbaue Schweigen. An Orten fehlts dir nicht, mir nicht an Wegen, die Stellen deiner Haut zu stillen auf Papier. Und solltest du ver- oder auch nur gehen, dank dieser Eselsbrücke weiß ich, wie du bist. Künftige Generationen werden dich in etwa sehen und ich werd immer wissen, wie ein Sommertag ist. (1:30) Sprecher: Ann Cotten: "Begriff" (In: Ann Cotten: Fremdwörterbuchsonette, Suhrkamp Verlag, Ffm 2007, Sonett Nr. 19) O-Ton 2: Ulrike Draesner: Was würde ich denn machen, wenn man mir die Aufgabe gibt, eine Erzählung zu schreiben mit einem schönen Mann. Das ist richtig eine Herausforderung, dafür eine Sprache zu finden, so dass das nicht eben abkippt in diese ganzen Register, die da herumstehen: das ist nur der Schönling oder der feminine Mann oder so ein ephemeres Jüngelchen und auch nicht der Muskelprotz - also wie könnte ich die Schönheit von innen füllen. Fragezeichen. Autorin: Ulrike Draesner O-Ton 3: Friederike Mayröcker: Ich bin ein visueller Mensch und für mich war immer das Auge, das Sehen dieses Menschen am wichtigsten. Autorin: Friederike Mayröcker O-Ton 4: Regula Venske: Inspiriert die männliche Schönheit beim Schreiben? Ja, unbedingt! Autorin: Regula Venske O-Ton 5: Ann Cotten: Es ist sogar eine Hilfe, dass weniger Klischees bereit liegen. Das ist mehr Neuland. Die Frauen sind viel mehr noch mit sich selbst beschäftigt, wenn sie über Männer schreiben, als die Männer, wenn sie über Frauen schreiben. Autorin: Ann Cotten Sprecherin: männergewebe: was wärst du liebes gewesen, ersehntes, gewünscht auch gedehntes die glatten unverletzten häute die funkenaugen freude der schultern und muskeln unter der wärme das geschützte blut zu spüren nur spüren nicht zu sehen an arme beine zu denken nackt und umschlungen eingewoben lebendig zu sein? (..) (aus: Ulrike Draesner: kugelblitz. Gedichte. Luchterhand. München, 2005. S. 64 (Ausschnitt)) Sprecher: Ulrike Draesner: männergewebe, verwirktes bild mondfisch, löchrig im wasser O-Ton 6: Ilma Rakusa: Ich denke, dass in der Kunst die Schönheit auch heute ihren Platz haben muss. Die Frage ist aber wie, das ist genau die Frage. Autorin: Ilma Rakusa O-Ton 7: Aldona Gustas: Es sind Wörter, mit denen man jetzt umgehen muss, nicht mehr mit dem Menschen aus Fleisch und Blut, sondern mit den Wörtern. Das Material ist nicht mehr der nackte Mensch, sondern es sind nur noch die nackten Wörter. Autorin: Aldona Gustas Sprecherin: mein Liebster ist so wie der Schnee singt wie Körbe mit frischgepflückten Johannisbeeren sind seine Lippen den Schlüssel zu seinen Träumen nähe ich in meine Rocksäume (...) Sprecher: Aldona Gustas: Gedicht Nr. 40 (in: Aldona Gustas: aber mein Herz ist ein Herkules. Hundert Liebesgedichte. Eremiten- Presse. Düsseldorf, 1998. Gedicht Nr. 40 (Ausschnitt).) Akustischer Trenner (Titelansage: bitte wiederkehrende Musik oder Atmo benutzen) Sprecherin: wie ich dich nenne, wenn ich an dich denke Sprecher: Friederike Mayröcker Akustischer Trenner O-Ton 8: Friederike Mayröcker: Diese Texte, auch die Bücher, die sind schon sehr von der Erotik irgendwie geleitet.(...) Ich arbeite eigentlich mit dem Körper. Ich kann ohne mich völlig ausgeben, kann ich nichts Ordentliches schreiben. Also ich muss mich immer total ausgeben und bin dann nach dem Arbeiten, ich arbeite nur in der Früh und am Vormittag, bin ich dann schon sehr, sehr kaputt, richtig ausgeholt. Da ist aus mir herausgeholt. Das heißt aber nicht, dass nicht der Intellekt auch beteiligt ist. Natürlich ist der Intellekt beteiligt, aber vor allem ist der Körper beteiligt. Sprecherin: MEIN AUGE GEHT AUF EINE STILLE REISE wenn dein Gesicht in deiner Hand ausruht (wie Walters von der Vogelweide) mein Auge geht auf eine stille Reise zu deinem Auge das sich müde schlieszt und weilt an deinem schönen Mund mein Auge geht auf eine stille Reise zu deiner Wange wunderbar und ernst zu deiner Hand zu deiner Brust zu deinem Fusz mein Auge geht auf eine sanfte Reise zu deinem Herz (OC: Sprecher: von Friederike Mayröcker) (aus: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte. Suhrkamp. Frankfurt/M, 2004. S. 31.) Autorin: Friederike Mayröcker, Jahrgang 1924, gilt als eine der bedeutendsten, deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart. In ihrem Werk finden sich viele Texte, die Männer loben und preisen. Ein Großteil ist ihrem verstorbenem Mann, dem Dichter Ernst Jandl gewidmet. Doch nicht immer handelt es sich um Liebeslyrik, wenn die Dichterin über Männer schreibt, auch Freunde und Kollegen werden besungen. O-Ton 9: Mayröcker: Ich nehm viel aus dem Alltag. Wenn ich nur immer sein müsste hier in dem Raum, könnte ich nichts schreiben. Ich muss schon immer hinaus und schauen. Und schauen. Sehen. Das Auge ist so wichtig. Was das Auge alles erfasst, ist ganz wichtig. Sprecherin: und hatten einander gesehen ich meine zugeworfen den Blicke und die Blicke bodenloses Terrain, uns angeblickt einen Blick zwei Blicke lang angeblickt im Vorübergehen an seiner Ladentür also mit je einem Auge einander berührt im Vorüberstreifen mit Nachdenken, dann ins Flussknie der Mann gleichsam profilhaft solch Raptus-Szene, während ein Tropfen Schweisz langsam aus meiner Achselhöhle den Arm hinabrinnt ein Buchstabe plötzlich aus meinem Namen fällt zu Boden ich sehe ihn fallen, verschwinden - mit FARNKRAUT AUGEN, Breton (für Regie: französisch aussprechen) Sprecher: Friederike Mayröcker: Proëm auf den Änderungsschneider Aslan Gültekin (aus: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte. Suhrkamp. Frankfurt/M, 2004. S. 587.) O-Ton 10: Friederike Mayröcker: (0: 22) Es scheint ein Liebesgedicht zu sein, ist aber nicht. (lacht schön!) Sondern, ich bin einmal vorüber... (.20 sec..) er hat immer die Tür offen und er ist ein sehr lieber Mann, er kommt aus dem sogenannten Christusland, das ist das Zweistromland (.5. sec...) also von weit her kommt er und (..5sec..), ist ein ganz ein feiner, lieber Mensch, Mann und ist da Schneider. (..10sec..) Und ich bin da eben einmal wieder vorbei gegangen und ich hab dann des Gefühl gehabt, während ich vorbei geh, schaut er mit einem Auge zu mir, was gar nicht so gewesen sein muss, also das hab ich phantasiert und ich schau auch mit dem linken Auge (...) und dann ist in mir das entstanden, dieses Gefühl, also er schaut mich an, ich schau ihn an und dann ist dieses der Mann im Flussknie, das ist reine Phantasie. Das gibt's ja auch hier nicht, es gibt keinen Fluss hier und es gibt auch keine Flussbiegung, Flussknie, Flussbiegung. Aber es waren diese Phantasien... Aber angeregt wurde ich eben durch ihn. (2:05) O-Ton Mayröcker 10B: (0:02) Ich les es sehr gern in Lesungen dies Gedicht. Und da lass ich dann immer diese eine Zeile weg, mit dem Flussknie, weil das versteht kein Mensch. (0:13) (...)Ich les und mach während der Lesung... ändere ich ab. (0:20)) (...) (0:32) Das tu ich immer. Das macht mir auch Spass! (lacht) (0:36) (1:30) Sprecherin: meine Walderdbeere meine Zuckerechse meine Trosttüte mein Seidenspinner mein Sorgenschreck meine Aurelia meine Schotterblume mein Schlummerkind meine Morgenhand mein Vielvergesser mein Fensterkreuz mein Mondverstecker mein Silberstab mein Abendschein mein Sonnenfaden mein Rüsselhase mein Hirschenkopf meine Hasenpfote mein Treppenfrosch mein Lichterkranz mein Frühlingsdieb mein Zittergaul meine Silberschnecke mein Tintenfasz mein Besenfuchs mein Bäumefäller mein Sturmausreiszer mein Bärenheger mein Zähnezeiger mein Pferdeohr mein Praterbaum mein Ringelhorn meine Affentasche meine Winterwende meine Artischocke meine Mitternacht mein Rückwärtszähler (da capo!) (aus: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte. Suhrkamp. Frankfurt/M, 2004. S. 32/33) (ca. 1:00) Sprecher: Friederike Mayröcker: wie ich dich nenne wenn ich an dich denke und du nicht da bist O-Ton 11: Friederike Mayröcker: Der Name ist etwas Geliebtes. Plötzlich wird der Name ganz wichtig und man liebt ja auch den Namen dann. Autorin: Litaneien, Anrufungen, Beschwörungen. Oft stellt sich in Friederike Mayröckers Liebesgedichten (betonen) die Frage nach dem Namen. Folgt das einer alten Idee: wenn ich deinen Namen kenne, erkenne ich - vielleicht? - dein Wesen, lässt sich deine Besonderheit, deine Schönheit sprachlich einfangen? O-Ton 12: Friederike Mayröcker: Es ist so, wenn man liebt oder wenn man anfängt zu lieben, dass man ja den Namen gar nicht ausspricht, sondern dann ist es das Du. Und erst allmählich, kann man dann den Namen sich aneignen. Und der Name ist ungeheuer wichtig in einer Beziehung. Manchmal ändert man ja auch den Namen, man verändert ein bisschen den Namen zum Beispiel. Manche Namen kann man nicht verändern, die bleiben so da, die bleiben stehen. Sprecherin: MEIN SCHÄFCHEN MEIN SCHÄFER MEIN HIRTE MEIN KÖNIGSOHN fände ich einen Namen für meine namenlose Liebe! mein Schäfchen aus gesponnenem Zucker geh nicht aus dem Haus drauszen regnet es! wenn ich ein groszes Fernrohr hätte und auf das Dach meines Herzens stiege könnte ich den federnden Helm deiner Haare sehen in den Lärchenwäldern von Aspern wo deine Mühle gemahlen hat werden wir uns einst wiedersehen (0:40) Sprecher: von Friederike Mayröcker (aus: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte. Suhrkamp. Frankfurt/M, 2004. S. 43) Autorin: Für die Autorin gibt es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen der Liebeslyrik von Männern und der von Frauen. O-Ton 13: Friederike Mayröcker: Ich hab so viel Texte mit Liebesbeziehungen gemacht und Liebesgedichte. (Ich weiß nicht) Wie schaut der Mann die Frau an, wie schaut die Frau den Mann an. Das ist jeweils individuell verschieden. Da gibt es, glaube ich, keine Grundregeln. Sprecherin: DIE MARMORNE DIE STEINKÜHLE DIE VORFRÜHLINGSGRAUE ZAUBEREI die ahnungsvolle flügelschlagende Zauberei hat mich endlich berührt Ich erkenne dasz ich nichts mehr vermag gegen sie als mich ihr hinzugeben mit sinkenden Armen berstenden Lidern mit vergeblichen Zauberformeln die niemand aufgeschrieben hat. Du hast mich so mächtig verzaubert dasz ich nun nicht mehr weisz was ich dir für einen Namen geben soll ob ich dich rufen darf ob ich dir mein Lächeln nachsenden soll wie einen Brief über die Hügel der Stadt über den nächtlichen Strausz der Sterne durch den Blasebalg des Winds. Du hast mich ins Fröhliche verwandelt und strahlend gemacht und ich erkenne dasz die schöne Erde bespannt ist mit deiner Haut und dein Mund ist ein römischer Brunnen-Mund und ich kann meine Hand in seine flieszenden Segnungen legen und dein Auge von dem ich nie weisz welche Farbe es hat (ist es honiggelb oder blau wie Nächte im Frühling?) ist ein Bullauge geworden in einem weiszen Schiff ein Bullauge grosz und bekränzt mit Meer-Rosen und mit diesem weiszen Schiff fahren wir weit.. (aus: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte. Suhrkamp. Frankfurt/M, 2004. S. 87) Akustischer Trenner (Titelansage: bitte wiederkehrende Musik oder Atmo benutzen) Sprecherin: Zur Leidenschaft gehört das A. Sprecher: Regula Venske Akustischer Trenner O-Ton 14: Regula Venske: Wir als Frauen tun ganz gut daran, auch zu sagen, wie stellen wir uns positive Entwürfe von Männlichkeit vor. Was bleibt von Männlichkeit übrig, wenn man die Gewalt und das Aggressive und von mir aus noch den dicken Bierbauch abzieht. (...) Wenn Frauen über Männlichkeit reden, dann geht es eben auch um unsere eigene Fantasieproduktion oder unsere eigenen Ansprüche. Autorin: Die Hamburger Autorin Regula Venske interessiert sich schon seit den achtziger Jahren für die Darstellung schöner Männer, für starke Männerfiguren in den Texten von Schriftstellerinnen. Begonnen hat alles mit ihrer Dissertation. O-Ton 15: Regula Venske: Es war ja grade in dieser Literatur, die so im Kontext der Frauenbewegung entstanden ist, sehr auffällig, dass die Männerbilder oft sehr blass waren. Oder die Mannsbilder oft sehr blass blieben. So dass grade wenn das so etwas wehleidige Texte waren, die die Trennung von einem Mann bedauerten, man oft überhaupt nicht nachvollziehen konnte, was nun an diesem Mann so toll gewesen sein sollte, dass man ihm so nachtrauern musste. Autorin: Der Literaturbetrieb schien diese Tendenz noch zu befördern. O-Ton 16: Regula Venske: Deshalb hab ich mir dann hinterher das schöne Buch über Männer selbst geschrieben, das sich leider damals nicht gut verkauft hat. Ich hatte auch erst Schwierigkeiten dafür einen Verlag zu finden. (...) Es wurde abgelehnt mit den Worten: also man hätte es mit sehr großem Vergnügen gelesen und sprachlich schön und was weiß ich nicht was, aber es hätte die Traurigkeit in diesem Buch gefehlt. Das war der Kritikpunkt Ende der achtziger Jahre. Das war noch die Zeit, wenn Frauen über Männer schreiben, muss es leidend und elegisch dabei zugehen. Autorin: Heute kommt ihr Buch "Pursuit of Happiness oder die Verfolgung des Glücks" vor allem bei jüngeren Leserinnen und Lesern sehr gut an. Angelehnt an den mittelalterlichen Minnesang (betonen) schrieb sie darin für ihren Mann Andreas Wang einen Minnewang. O-Ton 17: Regula Venske: Ich hab das Ganze ins Jahr 2046 gelegt, wenn nur noch die Liebenden übrig geblieben sind - in Hamburg leben dann etwa noch so 200 Menschen - und eine alte Frau, die meinen Namen trägt, sich an die Männer ihres Lebens erinnert, und das einem jungen Mann diktiert, sozusagen einem jungen Eckermann. (...) Es sind eben auch Wortspiele drin, da musste nun leider mein armer Mann dran glauben. Der heißt Wang mit Nachnamen - und Wang ist ein amerikanisches Slangwort für ein sehr männliches Körperteil, und deshalb habe ich den ersten ,Minnewang' der deutschen Literaturgeschichte geschrieben. Sprecherin: CADULIX fix und f----CALLIBISTRIS Du bist es CANDLE Du sollst mit Deiner Kerzen scherzen und mit Deinem Sterzen CANE Du sollst, sage ich, es ist ungeheuerlich, Du sollst Deinen CARK bis ins Mark CARNAL STUMP mit Stumpf, aber vor allem mit Stil CARROT Lotte mit der Marotte spielt Gavotte auf der Karotte, ist das ein Liebesgedicht? CATSO Buena notte! Sprecher: Pursuit of Happiness oder die Verfolgung des Glücks: Buchstabe C des Minnewangs (aus: "Pursuit of Happiness oder die Verfolgung des Glücks", Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1993, S. 163) O-Ton 18: Regula Venske: Ich hatte mir einen Spaß daraus gemacht, eine Art Theorie über Männlichkeit zu entfalten, wie Männer ja in allen möglichen Diskursen Theorien über Weiblichkeit entfaltet haben. Und das ist in meinem Fall die Vokaltheorie. Also es kommt immer darauf an, was für ein Vokal im Vornamen des Mannes ist. Dass man ihn danach einordnen kann. Also zur richtigen Männlichkeit gehört für mich ein A im Vornamen - das ist ja logisch. Mein Vater hieß Walter, man sucht sich ja die Männer nach dem Vorbild des Vaters, wenn er so ein netter Vater war, wie ich ihn hatte, aus. Also Ali und Valerie, das sind echte Männernamen oder Hans und Franz oder Andreas - hat sogar zwei As im Vornamen, das ist natürlich schon mal ganz besonders fein. Sprecherin: "Die Männer meiner Generation wurden gemeinhin Heni oder Hörni, Rollo, Frobo oder Lobo genannt. Tommi, Bommi, Hubsi waren gewöhnlich, sogar von einem Omi genannten hörte ich einmal. Die Männlichkeit litt doch an so vielen O's und I's. (...) In einem Pädagogikseminar an der Universität saß einer neben mir und fertigte in anderthalb Stunden einen Stoffbeutel an. Er holte einen Lappen hervor, schnitt Seidenfutter passend zurecht und nähte sich in recht gelenken Stichen um die Anwesenheit. Sicher hieß er Michi oder Niki, Böbbi oder Schorschi (...). Nein, zur Leidenschaft gehörte das A, und gehört es noch! Es ist glutrot, weinrot oder blutrot." Sprecher: Pursuit of Happiness oder die Verfolgung des Glücks (aus: "Pursuit of Happiness oder die Verfolgung des Glücks", Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1993, S. 32/33) O-Ton 19: Regula Venske: Ich finde Humor ist eine ganz starke, ganz subversive Waffe. Und deshalb ist es eigentlich seltsam, dass die Literatur von Frauen lange Zeit den Humor eigentlich so entbehrte, denn Frauen haben ja sehr viel Humor und man könnte ja das weibliche Leben ja gar nicht bestehen ohne Humor. (OC: Aber auch sich selber nicht so ernst nehmen, tut einem selber dann auch manchmal ganz gut. Wird einem aber auch mal übelgenommen.) (lacht) Sprecher: Pursuit of Happiness oder die Verfolgung des Glücks: Buchstabe L des Minnewangs Sprecherin: LABOURER OF NATURE Du sollst in meinen Naturen spuren LADIES' DELIGHT Du sollst mein Begehren mehren LADIES' LOLLIPOP Doppelt hält länger vor LADIES' TREASURE Mein Schatz, er gehört mir, nicht wahr, Du trägst ihn nur für mich LAMP OF LIFE Du sollst mir Dein Leben geben, Chiffre 2208177 LANCE Meinen ersten Heiratsantrag dachte ich mir beim Fiebermessen aus, ich war vier LANCE OF LOVE (aus: "Pursuit of Happiness oder die Verfolgung des Glücks", Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1993, S. 170) O-Ton 20: Regula Venske: Ich denke schon, dass sich für die Frauen vieles auch positiv geändert hat. (...) In den traditionellen Diskursen war ja die Frau das Objekt und der Mann das Subjekt der Rede, das heißt der Mann konnte sagen in der Religion oder in der Psychoanalyse oder in der Literatur, was er von den Frauen hielt oder von Weiblichkeit hielt, was sein Idealbild von Weiblichkeit war. (...) Und solange die Frauen sich immer nur an den Frauenbildern abgearbeitet haben, haben sie sich ja immer mit ihrem eigenen Objektstatus auseinandergesetzt und eine Stoßrichtung ist ja Subjekt seiner eigenen Rede zu werden. Sprecher: Regula Venske: Rück Mann Stück Stoßgebet einer tapferen jungen Frau auf der Suche nach dem t-Punkt Sprecherin: Ja, Mann, du bist mein Glück Doch erst, Mann, rück mal 'n Stück Bin fast schon, gleich, bin beinah schon im Glück. Verdammt, bin fast entrück Jau, Mann, du bist mein Leben Bin kurz davor - nur eben - vielleicht, dass ich mich bück? - nur schnell noch, rück ma'n Stück Au, Mann, mach weiter, drück da vorn. Ja! Nein! Daneben gib's mir, hier bei der Lück Nimm keine Rück sicht auf Verluste Mann, Teufüüü, Herr der Fruste RÜCK MEIN STÜCK Fast war ich schon verzück Uuh Mann du törichter Tulpenfücker Wo hast du denn das Pflücken gelern mach dass du fortkomms aus meinem Bett sonst werd ich noch verrück Tor, Mann, youhu du bist mein Ein und All Ah Ja Und so Und da Und oh und rück und mann Und stück Und jetz zz zzz zzzz zzzzz t. (In: Liederlich - Die lüsterne Lyrik der Deutschen, Hrsg. Steffen Jacobs, Eichborn Verlag, Ffm 2008, S. 76) Akustischer Trenner (Titelansage: bitte wiederkehrende Musik oder Atmo benutzen) Sprecherin: Es gibt diese Asymmetrie der Tradition Sprecher: Ulrike Draesner Akustischer Trenner Autorin: Da Frauen eine offen gelebte Sexualität, eigenes Begehren kaum zugestanden wurde, fehlte es lange an Texten, in denen sich offenkundig an Männern erfreut wurde. Charakterliche Vorzüge wurden von Autorinnen eher besungen, physische Schönheit kaum. Für ein Sachbuch über ihre Lieblingsautorinnen hat die Berliner Schriftstellerin Ulrike Draesner die Lyrik von Annette von Droste-Hülshoff aus dem frühen 19. Jahrhundert noch einmal neu gelesen. O-Ton 21: Ulrike Draesner: Annette von Droste-Hülshoff ist ja nicht berühmt ihrer erotischen Gedichte wegen, sondern wegen ihrer Naturgedichte. Und da war ich dann selbst erstaunt, als ich bei dem Gedicht "Im Grase" las, und das ist so ein Naturstück beim ersten Lesen, aber eben nicht nur und beim zweiten Lesen wird es noch weniger Naturstück oder die Natur verändert sich eben sehr. Und plötzlich merkte ich, ach, wenn ich mir das genau anschaue oder diese Metaphern genau anschaue, das ist eine erotische Beschreibung. Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut, aber offensichtlich natürlich, so etwas muss es gegeben haben, so was hat es gegeben, nur zum Teil haben wir eben auch, weil wir diese Umwege nicht mehr brauchen, die Fähigkeit verloren, das zu entziffern. Und wenn das dann kommt, dann wirkt es auch mit großer Wucht. Sprecher: Annette von Droste Hülshoff: Im Grase Sprecherin: Süße Ruh, süßer Taumel im Gras, Von des Krautes Arome umhaucht, Tiefe Flut, tief tief trunkne Flut, Wenn die Wolk am Azure verraucht, Wenn aufs müde, schwimmende Haupt Süßes Lachen gaukelt herab, Liebe Stimme säuselt und träuft Wie die Lindenblüt auf ein Grab. Wenn im Busen die Toten dann, Jede Leiche sich streckt und regt, Leise, leise den Odem zieht, Die geschloßne Wimper bewegt, Tote Lieb, tote Lust, tote Zeit, All die Schätze, im Schutt verwühlt, Sich berühren mit schüchternem Klang Gleich den Glöckchen, vom Winde umspielt. Stunden, flüchtger ihr als der Kuß Eines Strahls auf den trauernden See, Als des ziehenden Vogels Lied, Das mir nieder perlt aus der Höh, Als des schillernden Käfers Blitz, Wenn den Sonnenpfad er durcheilt, Als der heiße Druck einer Hand, Die zum letzten Male verweilt. Dennoch, Himmel, immer mir nur Dieses eine mir: für das Lied Jedes freien Vogels im Blau Eine Seele, die mit ihm zieht, Nur für jeden kärglichen Strahl Meinen farbig schillernden Saum, Jeder warmen Hand meinen Druck, Und für jedes Glück meinen Traum. (aus: Annette von Droste-Hülshoff: Werke in einem Band. dtv. München, 1995. S. 242/243) (1:20) O-Ton 22: Draesner14: (0:35) Es ist diese Asymmetrie der Tradition. Der klassische Schönheitspreis ist auf die Frau bezogen und da gibt es einen Kanon, da gibt es auch Formen des freien Sprechens, die sanktioniert sind. Als Frau ist das immer noch eine ambivalentere Sache. Also erstens muss ich mir diesen Bereich sprachlich erstmal erarbeiten, und das ist richtig viel Arbeit, das ist schwierig, der Raum ist ganz anders, in dem ich mich bewegen kann, weil dann eben auch die homosexuelle Tradition sehr stark drin steht, sprachlich ausgedrückt drin steht. Ich muss aber was anderes erfinden. Autorin: Der aktive Blick von Frauen auf Männer hat im deutschsprachigen Raum kaum literarische Tradition. Diese Leerstelle führt bis heute dazu, dass Texte von Frauen häufiger als die von Männern autobiographisch gelesen werden: die Leserinnen und Leser schließen von den Werken direkt auf Leben und Person der Autorin. Bis in die jüngere Vergangenheit ein Handicap gerade bei erotischen Themen, wie Ulrike Draesner beschreibt: O-Ton 23: Ulrike Draesner: Ich hätte mich vielleicht auch, wenn ich so zurückdenke in den 80er Jahren - ich hab damals noch nicht veröffentlicht, aber ich hab geschrieben - ich hätt mir das dreimal überlegt, weil ich schon immer noch das Gefühl hätte, also wie viel wird dann auch mir als Person wieder angerechnet. Die Rückkopplung ist, glaub ich, immer noch viel stärker als wenn Männer darüber schreiben. (OC: Du wirst dann auch so angeguckt ) Autorin: Ebenso wie Regula Venske nimmt jedoch auch Ulrike Draesner einen deutlichen Wandel wahr. O-Ton 24: Ulrike Draesner: Das glaub ich schon, dass sich da einiges verändert hat, auch in den letzten 30 Jahren noch mal. Diese alte Blickrichtung, der Mann guckt auf die Frau und am Besten noch die schlafende Frau, die dann frei ist als erotisches Objekt für alle Phantasien. Das Muster gibt es immer noch untergründig, das kann man noch spüren, aber man muss sich nicht daran halten. Ich finde, dass da ganz wichtig auch dazu gehört, dass ja auch die Beschreibung von gleichgeschlechtlichen Verhältnissen und gleichgeschlechtlichen Körperbegegnungen, dass sich das einfach ganz stark auflöst. Manchmal weiß man auch schon gar nicht mehr, wer ist dieses Gegenüber und das ist gut so. Sprecher: Ulrike Draesner: Haare, küssend Sprecherin: Beredter Holunder dieser vielzungige Holunder mein begieriger Liebeshunger wie ich mit allen Haarsträhnen wärmste Befederung oder Umarmung dich umfaßte von der Seite dir um den Nacken die Wangen strich mit wehenden Haaren meine weißen tastenden Dolden Phantasiezungen um dich schlang dass du ganz geflochten stocktest, als du gingst, mitten im Satz, dich zu mir neigtest, bis meine Lippen auf deiner Wange streiften meine Lippen Bartstoppeln spürten einen tastenden Augenblick deine gefiederte Antwort voraus: Aufrauschen und Vorübergehn. (aus: Ulrike Draesner: gedächtnisschleifen. Gedichte. Luchterhand. München, 2008. S. 48) (0:45) O-Ton 25: Ulrike Draesner: Es ist schön, dass es diese Leerstelle gibt, es ist eine Herausforderung. Und ich erinnere mich an die erste Situation als mir klar war, ich muss jetzt einen Mann und das Erleben eines Mannes in diesem Text auftauchen lassen. Und ich spürte zunächst mal sehr deutlich den Unterschied, die Grenze, die Andersheit. Ich hab damals, bevor ich die Szene geschrieben habe, wirklich immer wieder Übungen zu Hause in meinem Zimmer gemacht: ich hab mich hingestellt, meine Schuhe ausgezogen und mich dann eben versucht so hinzustellen, wie Männer eben so da stehen, die stehen ja schon mal ganz anders. Und dann habe ich angefangen innerlich, von innen, meinen Körper entsprechend zu verschieben. Das ging eigentlich erstaunlich gut, das ging immer besser, Stimme bisschen tiefer gemacht und mir dann versucht so, wie fühlt sich das vielleicht an, wenn ich da vorne was hängen habe und oben nichts hängen habe (lacht) und das war klasse, weil sich wirklich die Proportionen verschieben. (lacht) Und dann kamen mir auch Situationen in den Kopf, wie ich Männer beobachtet habe, wie sie aufstehen oder wenn sie irgendwas nehmen, ja, so einen Wasserkasten zapp, zapp da, links und rechts und ich so hua (lacht) und das war auch plötzlich schön. Sprecher: Ulrike Draesner: Sommergang Sprecherin: Erst lammweiße Tage gehabt julianische Stunden malvengebüschelt das Herz Akazienfedern im Haar unter den Tieren des Waldes gewesen bis lilienbefeuert die Brust grünschattenmundig geschwelgt geküßt Rinden und Samen die Pfauen balzen gesehen und schreien gehört vor Gier am Ende hollerbeerenblau jede Hand aus den Dornen gekommen und tollkirschenweit die Pupille von prächtigen Farben des Hungers wie zwitschernder Liebe. (aus: Ulrike Draesner: gedächtnisschleifen. Gedichte. Luchterhand. München, 2008. S. 46) Autorin: In Draesners letztem Roman "Vorliebe" trifft die verheiratete Astrophysikerin Harriet unerwartet noch einmal auf ihre Jugendliebe Peter. Das Wiedersehen stellt ihr aktuelles Leben grundsätzlich in Frage. (0:30) O-Ton 26: Ulrike Draesner: Das große Thema ist Projektion, Projektion und Projektion! Der andere ist so schön, wie ich ihm erlaube für mich zu sein. Ich mache ihn ja schön für mich oder ich sehe das an ihm, was schön ist. (...) Weil: die Fantasie macht die Musik. Die Fantasie erzeugt die Erotik und die Schönheit. Und beim Schreiben ist die Kunst eigentlich, den Raum zu schaffen, das Gefäß, in das der Leser das dann hineinprojizieren kann, hineinsehen kann. Akustischer Trenner (Titelansage: bitte wiederkehrende Musik oder Atmo benutzen) Sprecherin: Ein Maß finden, in dem ich maßlos sein kann Sprecher: Ilma Rakusa Akustischer Trenner O-Ton 27: Ilma Rakusa: Ich hab bei einigen Gedichten und Zeilen hab ich mir schon überlegt: kannst du das? willst du das? Aber irgendwann hab ich dann gedacht: ja, was soll's, es ist auch ein Teil von mir und ich wage das einfach. Sprecher: Ilma Rakusa: Erotischer Neunzeiler Sprecherin: Du mundest mir dein Salz auf meiner Zunge scharf wie deine Säfte kräftig noch und noch und mehr davon verzückter Spender gib deinem Ständer keine Ruh (In: Liederlich - Die lüsterne Lyrik der Deutschen, Hrsg. Steffen Jacobs, Eichborn Verlag, Ffm 2008, S. 105) O-Ton 28: Ilma Rakusa: Ich finde schon, dass Mut dazugehört. Aber es ist nicht so, dass man sich diesen Mut irgendwie antrinken muss oder herbeireden muss. Dieser Mut ergibt sich eben durch diese Dringlichkeit. Ich glaube, am Anfang steht die Dringlichkeit und der Mut kommt dann, weil er kommen muss, weil es gar keine Wahl gibt. Da muss etwas wirklich formuliert werden. (...)Und ich bin jedes Mal erstaunt und auch irgendwo erleichtert und getröstet, wenn es Worte gibt für das Schöne und für das Leidenschaftliche wie auch für das Leiden und den Schmerz - die beiden Sachen hängen sehr eng zusammen. Autorin: Ilma Rakusa kommt aus einer slowenisch-ungarischen Familie und wächst größtenteils in der Schweiz auf. Mit ihrem autobiografischen Roman "Mehr Meer" gewinnt sie 2009 den Schweizer Buchpreis. "Mehr Meer" schildert eine Kindheit zwischen den Kulturen. Neben ihrem Schreiben ist sie als Übersetzerin aus dem Russischen, Französischen, Serbokroatischen und Ungarischen tätig. O-Ton 29: Ilma Rakusa: Schönheit ist in der Bildenden Kunst und in der Literatur lange verpönt gewesen. Seit Baudelaire kann man sagen, seit der Moderne und die Avantgarde erst recht hat ja alles, Picasso hat ja wirklich jedes Gesicht so umgepolt kubistisch, dass man von schön nicht mehr reden kann. (...) Eine Art von klassischer Schönheit, die man dann auch mit Harmonie in eins setzt, darauf reagieren wir heute nicht mehr, das empfinden wir als passé. Man kann auch heute noch mit Harmonie umgehen, aber nur in dem man sie immer wieder bricht. Wie kann man eine Ästhetik der Schönheit noch irgendwie retten oder wieder neu erfinden, aber so, dass sie auch gleichzeitig zeitgemäß ist? Sprecherin: Allround die Leckerei von Schaft zu Stiel von Hals zu Kiel die Ohren zart der Griffel hart wir spielen Liebe matt und nass (0:15) (In: Liederlich - Die lüsterne Lyrik der Deutschen, Hrsg. Steffen Jacobs, Eichborn Verlag, Ffm 2008, S. 105) Sprecher: Ilma Rakusa: Erotischer Neunzeiler O-Ton 30: Ilma Rakusa: Also wenn Puschkin die xte Frau besingt, dann schreibt er vielleicht nur ansatzweise mal von etwas. Aber es ist nur so eine Andeutung. ( russ. Zitat) sagt er auf russisch. Also ich erinnere einen Augenblick, da bist du mir erschienen wie eine Vision ein vorbeihuschender... Wie ein Genius reiner Schönheit. Das ist das. (russ.) Er sagt das: ein Genius reiner Schönheit, aber er beschreibt sie nicht. Jetzt kann man sich diese Dame vorstellen, wie man will. Also man muss auch nicht alles sagen. Aber eine Sinnlichkeit muss her: so oder anders! Sprecherin: Aber züngig (nicht züchtig) aber zügig ins Fell kein Feilschen ein Fleisch sind wir mittags um Mitternacht räudig ohne Zäsur (In: Liederlich - Die lüsterne Lyrik der Deutschen, Hrsg. Steffen Jacobs, Eichborn Verlag, Ffm 2008, S. 171) Sprecher: Ilma Rakusa: Erotischer Neunzeiler Autorin: Beim Schreiben entwickelte Ilma Rakusa eher zufällig die Neunzeiler: neun Zeilen, die unterschiedlich lang sein können, sich manchmal reimen, aber auch dabei keinem festen Schema folgen. Literarisch sind sie ohne Vorbild. Nach einem ersten Gedichtband mit 90 tagebuchartigen Neunzeilern gab sie ein kleines Buch erotischer Gedichte heraus. O-Ton 31: Ilma Rakusa: Es ist eine kurze Form, und doch eine, wie ich erprobt habe, die viel erlaubt, viel ermöglicht. Es ist eine ungerade Zahl, was mir gefällt, weil ich ungerade Zahlen liebe und selbst, wenn ich Endreime benutzen würde, es nicht aufgeht. Man kann es kombinieren, 3 und 3 und 3, 4 und 1 und 4. Es ist sehr viel möglich. Die Länge der Zeilen ist ja nicht vorgegeben. Von daher ist es auch eine sehr lockere Geschichte. Es ist mir einfach ein Bedürfnis, ein Maß zu finden, in dem ich maßlos sein kann. Und dieses Bändigen, auch die Leidenschaft, den Gedanken, das Alles bändigen in eine Form, aus dieser Reibung entsteht ja auch etwas. Sprecher: Erotischer Neunzeiler Sprecherin: Und Mund auf Mund und Hand in Hand und Bauch auf Bauch wo hör ich auf wo fängst du an mit Haut und Haar sind wir ein Rund gebannt zu zweit im Wunderei (Aus: Liederlich - Die lüsterne Lyrik der Deutschen, Hrsg. Steffen Jacobs, Eichborn Verlag, Ffm 2008, S. 171) O-Ton 32: Ilma Rakusa: Man muss in sich manchmal auch als Frau eine männliche Seite aktivieren, die aktiviert sich von alleine beim Schreiben. Diese Frage, schreib ich jetzt als Frau oder als was schreib ich eigentlich: ich kann nur beantworten, dass ich mir diese Frage eigentlich gar nicht stelle. Ich schreibe als "ich", wobei ich auch viele bin. Ich glaube "ich" ist immer viele, aber eben auch etwas durchaus Männliches. Also etwas, was ich vielleicht im Alltag nicht so stark lebe, aber sobald ich schreibe, ist das auch ein Teil von mir, der ganz wichtig ist. Akustischer Trenner (Titelansage: bitte wiederkehrende Musik oder Atmo benutzen) Sprecherin: Alles kann erotisch werden Sprecher: Aldona Gustas Akustischer Trenner O-Ton 33: Aldona Gustas: Ich hab keinen Blick für Schönheit. Mich interessiert kein schönes, glattes Gesicht. Da muss irgendetwas sein. Irgendetwas, was vielleicht stört. Das hat für mich einen Reiz. Dieses sich Abkoppeln vom Ebenmass. Sprecher: Aldona Gustas: Gedicht Nummer 89 Sprecherin: mit Softeis in der Hand trittst du in die Tür als hätte ein Spiegel dir eben gesagt du wärst schön könntest Ausschweifungen für Frauen erfinden kannst du bis wir Arkadien erreichen laicht mein Herz Spermafische (aus: Aldona Gustas. Querschnitt. Eremiten-Presse. Düsseldorf, 1992. Nr. 89) O-Ton 34: Aldona Gustas: Es ist so etwas Atmosphärisches. Es ist nicht so das Leibliche. Es ist nicht so das Körperliche. Es ist die Bewegung. Es ist der Blick. Es ist so das nicht so ganz Fassbare. Das hat für mich einen Reiz. Autorin: Sinnlichkeit spielt im Werk von Aldona Gustas eine große Rolle, ob in ihrer Malerei oder in ihren Gedichten. Sie gehört zu den Pionierinnen, als sie 1985 einen Band erotischer Gedichte von Frauen herausgibt. Damals, so erzählt sie, musste sie diese noch mit der Lupe suchen. Sprecherin: wenn man als Frau zur Welt kam dich kennt Zoten ablehnt nicht ins allzu Seelische ausweichen möchte sagt man im Gedicht du hast keine Brüste die ich besingen könnte schwer ist es dein Geschlecht zu beschreiben (aus: Aldona Gustas. Querschnitt. Eremiten-Presse. Düsseldorf, 1992. Nr. 49) Sprecher: Aldona Gustas: Gedicht Nummer 49 Autorin: Die Wohnung in Berlin Schöneberg hängt voller Bilder, Zeichnungen, Drucke. Kein Fleckchen Wand bleibt nackt. Teilweise ist ihre Malerei naiv, vielfarbig und detailgenau auf Leinwand, manchmal bedeckt sie große Papierbögen mit schwarzer, fast grober, starker Strichführung. Reich und aufwändig bebildert sind auch ihre Gedichtbände. O-Ton 35: Aldona Gustas: Der Eros im Kopf, da ist vieles erotisch: das kann eine Linie sein, das kann eine Pflanze sein, das kann alles sein. Alles kann erotisch werden. Autorin: 1972 gründete Aldona Gustas die Gruppe der Berliner Malerpoeten, zu der auch Günter Grass oder Wolfdietrich Schnurre gehörten. Sie stellten gemeinsam aus, reisten mit Texten und Bildern durch ganz Europa bis nach Mittel- und Südamerika. Sprecherin: als ob ich eine Frau aus Schwan und Möwe wäre die im Jasminjargon zu dir spräche schenke mir doch deinen kleinen Finger oder ein Stück Haut vom Schenkel Sprecher: Aldona Gustas: Gedicht Nummer 52 (aus: Aldona Gustas. Querschnitt. Eremiten-Presse. Düsseldorf, 1992. Nr. 52) O-Ton 36: Aldona Gustas: Für Anthologien muss man ja dann manchmal irgendwelche Überschriften haben, irgendwelche Titel: da mach ich irgendein Wörtchen vollkommen lässig. Ich will das nicht. Es ist eine Verführung, ein Titel, der engt ein Gedicht ein, es ist so als ob ihm ein enges Kleid übergeworfen wird. (...) Es ist immer eine Situation aus dem Leben gegriffen, die dann zu Lyrik wird. Immer nur eine Situation. Und es könnte weitergehen. Ich will diese Leichtigkeit erhalten des Lebens! Sprecher: Aldona Gustas: Gedicht Nummer 23 Sprecherin: warum bist du ein Geschöpf aus Tinte und Papier ein Diskuswerfer wäre mir lieber oder ein Pan der im hohen Klee auf mich wartet (aus: Aldona Gustas. Querschnitt. Eremiten-Presse. Düsseldorf, 1992. Nr. 23) Akustischer Trenner (Titelansage: bitte wiederkehrende Musik oder Atmo benutzen) Sprecherin: Ein Gedicht zu schreiben ist anmassend Sprecher: Ann Cotten Akustischer Trenner Autorin: Ann Cottens Gedichte stellen immer wieder den Zusammenhang her zwischen dem Vorgang des Dichtens und dem Schauen eines schönen Körpers. Die 29jährige Autorin ist in den USA geboren, wächst in Wien auf und lebt seit 2006 in Berlin. O-Ton 37: Ann Cotten: Der Körper eines anderen, ob das nun ein Mann ist oder eine Frau, an dem zeigt sich mir die Wirkung der Worte sehr gut. Aber auch die Wirkung der Gedanken. Wenn ich etwas denke, wenn ich projiziere, kann ich sehr gut auf einen anderen Körper projizieren und wenn dieser Körper lebendig ist, dann wird die Idee lebendig und bekommt ein Eigenleben und sperrt sich auch, sitzt nicht nur passiv da und lässt auf sich projizieren, sondern die Projektion macht Widersprüche oder zeigt ihre Konsequenzen. Sprecherin: Wenn glänzend Ihre Haut von meiner sich getrennt, und träumerisch Ihr Mund im Schlaf noch Wörter kennt, und schlafend Ihre Schultern das Laken neben mir zur Unterlage sich für diese Nacht gefunden; wenn tickend sich die Uhr um Nachtes Stunden wälzt und schlafend sich Ihr Ohr in meine Augen brennt und träumend Ihre Hand sich findet über meiner, die schlafend meinen Traum dicht unters Denken lenkt, so denk ich wohl an dich, unausgegorenes Gedicht, und weiß nicht, wie du stehen wirst, doch sehe Ihr Gesicht, aus dem noch halb im Ruhen die Konstruktion ausbricht (...) Sprecher: Ann Cotten: Er sagt, er finde die Beziehung fragwürdig Sprecherin: Sie fragen mich, ob ich die Augen nicht geschlossen. Ich schließe sie sofort und sag: Ich schlafe ja. Sie fragen mich, wie mir sekundenweis verflossen die seitenweise Zeit. Ich sag Ihnen, ich muss mir Muße auszuliegen, die Augen offenhalten, Ihr Denken abzukriegen, im Halbdunkel verwalten, beschattet infrarot, Entwicklung der Gedanken: So lange blenden lassen, bis Eindruck Wörter misst; bis dieser Mist, vermessen, aufs Ausatmen vergisst: Und frage meine Muse, was eine Muse ist. (aus: Ann Cotten: Fremdwörterbuchsonette. Gedichte. suhrkamp. Frankfurt/M, 2007. Nr. 21) O-Ton 38: Ann Cotten: Frauen neigen historisch oft dazu sich als Zwischenglied aufreiben zu lassen in Situationen, als Puffer zu dienen, und dadurch nicht nur ihre eigenen Schwierigkeiten darzustellen, sondern auch noch die ihrer ganzen Umgebung. Und das alles loszuwerden, um eine fremde Schönheit anzuschauen und diese Schönheit auch loszulösen von dem ganzen Kontext: das ist natürlich ein Riesenaufwand. Autorin: Ann Cottens erster Gedichtband "Fremdwörtersonette" wurde von der Kritik gefeiert. 2010 bringt sie das Buch "Florida-Räume" heraus. Er handelt von einem fiktiven Schreibwettbewerb, veranstaltet von Außerirdischen. O-Ton 39: Ann Cotten: In der Literatur der Bereich ist offen und man bewegt sich darin. Es kommen sich aber Sachen in die Quere. Zum Beispiel im Verhalten von Frauen: dass man anerzogen bekommt, gefallen zu wollen. Aber gute Literatur darf nicht gefallen wollen. (...) Wenn es einem so tief im Blut ist, gefallen zu wollen, das zu überwinden, um schonungslos zu schreiben, so zu schreiben, dass es dem Text egal ist, ob es gefällt oder nicht, weil es wahr ist. Das gerät in Konflikt mit diesem Mädchenverhalten, das ein Streberinnenverhalten ist. Es gibt auch Mädchenverhalten, das Pippi-Langstrumpf-Mädchenverhalten ist, das gerät nicht in Konflikt mit guter Dichtung, glaub ich. Sprecher: Ann Cotten "Mein Lieb ist wie ein Döner" Sprecherin: Die Brustwarzen vom Liebchen sind vom Döner die Idee, Die Lippen Gurkenstäbe und cremig braun das Fleisch. Die Soße sind die Wangen, die Hände sind das Brot und um die Augen, Kräuter, färbt's Blaukraut dunkelrot. Die Lippen sind besonders schön: Am Tag Tomatenstücke, doch wenn er abends Rotwein trinkt färbt das Blaukraut auch diese. Scharf und süß wie Zwiebeln fegt sein Esprit den Salon. Die Nasenlöcher: Blaukraut. Erwähnt glaube ich schon. Sein herkulischer Schenkel schmilzt jeden Tag dahin. Die Bücher, die er gelesen hat sind rar und fein: Eisbergsalat. Ich hab auch den Beweis für diesen köstlichesten Schmaus: Wenn er da ist, ist er gut und wenn er aus ist, ist er aus. (Ann Cotten: "Mein Lieb ist wie ein Döner", noch unveröffentlicht, Rechte bei der Autorin) O-Ton 40: Ann Cotten: Ein Gedicht zu schreiben ist anmassend und ich glaube nicht, dass ich das wirklich darf, also I do it, because I get away with is it. Und solang ich damit durch komme, mach ich so arge Dinge, wie mir nur einfallen. Autorin: Das Schreiben über Männer, das Entwickeln von neuen Männerbildern ist Quelle der Inspiration und Reibungsfläche im Schreiben. Ganz unterschiedlich stellen sich heutige Autorinnen den Herausforderungen. Es bleibt spannend zu sehen, wie es weitergehen wird. Noch gibt es keine Tradition. Aber bald. Sprecher: Ann Cotten: "Lockn Musensohn" Sprecherin: Ich möcht in vollem Ernst mich auf den Boden werfen vor seiner Schönheit. Mich in Posen werfen langweilt mich mehr und mehr. Ich möchte schlafen, vor seinen Augen wild und entschlossen schlafen. Ich möchte schamlos lange ihn begaffen, klaffenden Kinnes wütend ihn begaffen, auch möcht ich seinem Wesen in die Falle laufen, mit wesentlichen Fehlern den Schall durchbrechen. Sein Hirn ist rasch wie es wenige gibt, klug und entschlossen wankt sein Mund zum Lächeln aus im Schatten der Reserve. Lock ihn mit Vorsicht. Sieh nur wie er zittert, zum Ausreißen bereit, sobald er Lunte wittert: du musst ihn dahin bringen, dass er Lunte liebt. Du glaubst, es ist genauso umgekehrt. Er blickt dir scheu und bohrend ins Gesicht, er redet dich mit großer Vorsicht an; erstaunt, dass unversehrt das Lachen sich vermischt grinst er bei deinen Witzen dankbar und verschmitzt. Bleib doch bei mir, unfertiges Gedicht, für eine Weile, komm, ich verlasse dich, solange wir dran arbeiten, noch nicht, bis nicht mehr fühlbar ist, wes Geistes Kind es ist. Behalt das Wort für den Bericht, du, nicht? Du lachst? Wir sind nicht von Gewicht. Tränken wir meiner Witze Glänzerei in deinem Licht und lieben uns so lange, bis wir fertig sind. (1:10) (In: Fremdwörterbuchsonette, Suhrkamp Verlag, Ffm 2007, Sonett Nr. 58) Autorin: Epilog O-Ton 41: Aldona Gustas: Ich wäre nie mit einem Lyriker ins Bett gegangen. (lacht) Unmöglich! Unmöglich! Unmöglich! Andere Berufe ja, aber nicht Lyriker. Wenn er Prosa schreibt, Handlung, gut, gut, aber nicht Lyrik, wo man so sich so festkrallt an Wörtern, so dem Wort ausgeliefert ist und dann muss das nächste kommen. Alle anderen Berufe ja, aber nicht Lyriker! (lacht laut) ENDE Weiterführende Literatur: Ann Cotten: Florida-Räume. Suhrkamp. Berlin, 2010. Ulrike Draesner: Schöne Frauen lesen. Luchterhand. München, 2007. Ulrike Draesner: Vorliebe. Luchterhand. München, 2010. Aldona Gustas (Hg.): Erotische Gedichte von Frauen. dtv. München, 1985. Ilma Rakusa: Mehr Meer. Droschl. Graz/Wien, 2009. Regula Venske: Das Verschwinden des Mannes in der weiblichen Schreibmaschine. Luchterhand. Hamburg / Zürich, 1991. 1