COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Menschen und Landschaften 17.05.2006 Haute Route Auf Skiern vom Matterhorn zum Mont Blanc Von Jörn Klare Deutschlandradio Kultur 2007 MUSIK Stimmhorn ?Schnee? ATMO Gehen O-TON Paulin Wie bin ich Bergführer geworden? Als Kind, weil wir so eine große Familie waren, ich habe noch 13 Geschwister, hatten die Mutter und der Vater keine Zeit für uns. Sie mussten ja schauen, dass das Geld irgendwie rein kam. Und mein Vater und meine Brüder, die wo älter sind, gingen auf die Alp, und ich ging mit, als Zweitkleinster. ERZÄHLER Paulin Cathomas, Jahrgang 63, Bergführer. O-TON Paulin Das hat mich immer fasziniert, das ganze Zeug. Und dann mit der Zeit, einmal mitgegangen, immer ein bisschen mehr. Und so kam es dazu. Und die Ausbildung habe ich ungefähr vor zehn Jahren gemacht. Und das hat mich so interessiert: Wie geht das eigentlich? Und wieso gehen die Menschen überhaupt dort? ERZÄHLER Etwa 250 Tage im Jahr führt Paulin Bergsteiger und Skiläufer durch die Alpen. O-TON Paulin In den letzten Jahren habe ich gemerkt, die wo mitkommen, das sind Leute, wo vielleicht viel Erfahrung haben im Leben. Weil das in den letzten Jahren so viel Hektik dazu gekommen ist. Man braucht viel Geld zum Überleben. Man hat fast keine Zeit mehr. Und vor zehn, 15 Jahren hatte jeder Hundertste ein Telefon, und jetzt hat jeder ein Telefon. Und ich habe fast das Gefühl, die Leute kommen mit zum Abschalten, Vergessen, zum etwas Neues zu sehen. Und was noch dazu kommt: Die Berge sind einmalig. ERZÄHLER Wenn er gerade nicht führt, geht er allein oder mit Kollegen in die Berge. O-TON Paulin Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Berge zu leben! Einmal bin ich gewesen, da, Meerurlaub. Aber das war für mich so langweilig. Ich gehe jede freie Minute, wo ich habe, geh ich in die Berge. Und die Berge sind so etwas, wie soll ich sagen? Man kann das nicht mitnehmen. Das ist nicht etwas, wo man kaufen kann. Die Berge sind einfach da. Man geht hoch und wieder runter. Die sagen manchmal: Pass auf, geh nicht weiter! Das sagen die Berge. Die Berge reden mit uns, wenn man richtig... Vor allem im Winter. Die reden mit uns: Geh nicht da! Ist zu gefährlich! ATMO Bahn mit Ansage ERZÄHLER In der Zahnradbahn von Brig nach Zermatt im Schweizer Oberwallis. Nur noch wenige Minuten bis zum Ziel. Die Sonne scheint. Neben den Gleisen, im gesamten Tal, blühen die Krokusse. Das ist schön. Ein-, zweitausend Meter weiter oben hängen zwischen schneebedeckten und gletscherbepackten Gipfeln Wolken. Das ist nicht schön, denn genau da will ich hin. Mein Ziel ist das Montblanc-Massiv etwa 80 Kilometer Luftlinie von Zermatt entfernt. Der Weg dorthin, die Haute Route, die ?hohe Route?, gilt als die schönste, höchste und spektakulärste Skitour der Alpen. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? ATMO Zermatt ERZÄHLER Ganz am Ende des Mattertals liegt 1600 Meter hoch Zermatt. Über 30 000 Touristen treffen hier zu Spitzenzeiten auf gut 5000 Einwohner. Sie alle kommen, das Matterhorn zu bestaunen, eine gigantische 4478 Meter hohe Steinpyramide, für viele der schönste Berg der Welt. Autos sind im Dorf verboten. Transporte werden von Elektrofahrzeugen oder Pferdekutschen erledigt. Dazwischen amerikanische Snowboarder, schwedische Skifahrer und schlanke Russinnen in dicken Pelzmänteln. Zermatt, das ist eine Art von touristischer Gratwanderung zwischen Matterhorn und McDonalds. Die Geschäfte laufen offensichtlich gut. Gleich neben dem Fastfoodladen kann man Armbanduhren für ? umgerechnet - 85 000 Euro kaufen. Auf dem Bahnhofsplatz treffe ich, wie verabredet, Paulin, den Bergführer. Er kommt aus der rätoromanischen Innerschweiz und arbeitet für die renommierte Bergschule Tödi. Ein mittelgroßer, braungebrannter Typ mit strahlenden Augen, dunklem Haar und einem Schnauzbart. Die sechsköpfige Gruppe, die er über die Haute Route führen wird, ist noch nicht komplett. O-TON Paulin Andrea bist du, ja? Die Gabi? ERZÄHLER Ein paar Minuten später sind alle da. Drei Frauen, drei Männer, zwischen 26 und 50, aus Österreich, der Schweiz und Deutschland. Eine Ärztin, eine Computerprogrammiererin, eine Verwaltungsangestellte, ein Student, ein Architekt und ich mit meinem Mikrophon. Die Stimmung ist erwartungsfroh und ein wenig gespannt. Nicht nur ich habe Respekt vor den Herausforderungen der kommenden Tage. Kleine Scherze werden zur Beruhigung der Nerven dankbar belacht. ATMO Lachen O-TON Paulin Wir werden uns parat machen. Schauen, dass wir das Fell dabei haben. Der Sitz ist wichtig. Trinken ist wichtig? ERZÄHLER Paulin kontrolliert die Ausrüstung. Selbstverständlich sind Ski, Skischuhe und Stöcke. Wichtig sind aber auch die sogenannten ?Felle?, eher eine Art Teppichboden, der unter die Ski geklebt und gespannt wird, um zu verhindern, dass man beim Aufstieg zurückrutscht. Dann ein fester Gürtel mit Beinschlaufen, der sogenannte Sitzgurt zum Anseilen, ein Lawinenpieper, so groß wie ein Taschenbuch, der im Fall einer Katastrophe das Aufspüren des Verschütteten erleichtern soll, dazu eine etwa zwei Meter lange zusammenlegbare Sonde zum Suchen im Schnee, eine leichte Schaufel zum Ausgraben, strapazierfähige Schutzkleidung gegen Wind, Schnee und Kälte, auf jeden Fall Ersatzhandschuhe, etwas Proviant, unbedingt ein oder zwei Liter Tee, Sonnencreme, Sonnenbrille und ganz zum Schluss vielleicht noch etwas Wechselwäsche, denn das Gepäck sollte auf keinen Fall zu schwer sein. O-TON Paulin Das ist alles, was du dabei hast? ? Ja. ? Ja, leck mich! Was hast du alles da drin? Zu viel oder? Der Rucksack soll nicht zu schwer sein. ERZÄHLER Paulin testet das Gewicht der Rucksäcke. Bei einigen reagiert er mit skeptischem Blick. Er warnt. Zehn, zwölf Kilo sind optimal. Für mehr Gewicht sind die Aufstiege zu lang, zu hoch, zu anstrengend. Doch schließlich ist jeder selbst dafür verantwortlich, was er sich auf den Rücken lädt. O-TON Paulin Wenn alle parat sind, würden wir gehen? ERZÄHLER Es geht los, erst einmal zu Fuß zum Ortsausgang von Zermatt. O-TON Paulin Wir hetzen nie! Immer, wo es gefährlich ist, gehen wir mit dem Tempo zurück und machen alles piano. Das ist wie beim Autofahren, wenn es glatt ist, gehen wir nicht noch schneller, dann gehen wir mit dem Tempo zurück. Und nicht denken, schnell durch, dass es vorbei ist! ATMO Packen ERZÄHLER Eine Stunde später bereiten wir uns auf den ersten richtigen Aufstieg vor. Links über uns thront, erhaben und mächtig, die vereiste Nordwand des Matterhorns. Wir kleben und spannen die Felle unter die Ski, entriegeln zum Gehen die Bindung im Fersenbereich, lockern die Schnallen der Schuhe. Paulin klärt derweil die wesentlichen Regeln: Nicht hetzen, genug trinken, gut eincremen? O-TON Paulin Wir machen nachher den LVS-Test. Wie wir jetzt machen, machen wir einmal in der Woche. Also jetzt, nachher nicht mehr. Heute schauen wir, ob jedes Gerät suchen kann. ERZÄHLER Das Lawinenverschüttetensuchgerät, kurz LVS, muss jeder, der wie wir den gesicherten Pistenbereich verlässt, möglichst nah am Körper tragen. Im Notfall sendet das Kästchen ein Signal, das helfen kann, einen Verschütteten unter der Schneedecke einer Lawine aufzuspüren. Das alles macht aber nur Sinn, wenn die sogenannten Piepser auch funktionieren. O-TON Paulin Kannst du einmal zeigen, wie man ein- und ausschaltet? Off ? On! Jetzt nächster Schritt, soll jeder einschalten, dann machen wir Batterietest. Ich habe jetzt gewechselt die Batterie: 99, heißt das (Piepsen) Batterie noch gut. Und die da, was zeigt da die Batterie an? Nächster Schritt: Ihr müsst das Gerät auf Suchen einschalten jetzt! (Piepsen) Und jeder läuft bei mir vorbei! (Piepsen) Jawohl. Wieder ausschalten auf Senden? ERZÄHLER Alle Geräte sind einsatzbereit. Paulin nickt zufrieden. ATMO Gehen MUSIK Stimmhorn ?Schnee? ERZÄHLER Über den flachen Zmutt-Gletscher geht es zur steinigen Seitenmoräne, darauf entlang weiter zur Schönbielhütte, in der wir übernachten werden. Paulin legt die Spur. Wir folgen schwitzend, einer Raupe gleich. Ein paar Gämsen am steilen Berghang schauen unbeeindruckt auf uns herab. Die Landschaft ist wie eine Postkarte im XXL-Format: Blauer Himmel, in der Sonne glitzernder Schnee, Gipfel und Gletscher fast zum Greifen nah. Anfangs kreisen die Gedanken noch um die nächsten Tage, die Herausforderungen der kommenden Pässe und Gipfel. Irgendwann aber verführt der gleichmäßige Rhythmus, mit dem die Ski in kleinen Schritten vorgeschoben werden, die Sinne zu einer Art Aufstiegsmeditation. O-TON Paulin Die Haute Route ist eine klassische Tour, wo man als Tourenfahrer einmal sicher machen muss. ATMO Gehen MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Es ist sicher etwas Spezielles. Weil, man geht ja von Schönbielhütte, nach Bertolhütte, Vignettehütte. Man ist wie ein Zigeuner. Man kommt, bleibt, man geht. Das ist so wie im Leben. Und da geht es manchmal rauf, manchmal runter. ERZÄHLER Bestimmt wird die Haute Route vor allem von zwei Gipfeln. Der 4809 Meter hohe Mont Blanc wurde 1786 erstmals bestiegen, das 4478 Meter hohe Matterhorn 1865, fast 80 Jahre später. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts suchten die ersten, meist britischen, Forscher und Abenteurer einen Verbindungsweg entlang des Alpenhauptkamms, der im Sommer begehbar ist. Begleitet wurden sie von ortskundigen einheimischen Führern. Aus dieser Zeit stammen auch die ersten genauen Landkarten. Die ersten Berghütten wurden eingerichtet. Ende des 19.Jahrhunderts gelangten dann erstmals Ski aus Skandinavien in den Alpenraum. Sie waren über viereinhalb Meter lang. Die norwegische Methode, sich mit diesen Ungetümen fortzubewegen, beschreibt ein Zeitgenosse folgendermaßen: ZITATOR Bei der Abfahrt stützt sich der Skifahrer auf den Stock und schließt die Augen. Dann fährt er geradeaus wie ein Pfeil so lange weiter, bis er nicht mehr atmen kann. Er wirft sich dann auf die Seite in den Schnee und wartet, bis er wieder zu Atem kommt, dann fährt er weiter geradeaus, bis er wieder außer Atem kommt, und wirft sich erneut in den Schnee und so weiter, bis er unten ist. ERZÄHLER Diese für die eher sanften Berge Skandinaviens entwickelte Technik erweist sich aber in den ungleich steileren und anspruchsvolleren Alpen als äußert ungeeignet. Hier gelten Ski anfangs als die ?bockbeinigsten Dinger der Welt?. Im Januar 1903 bezwingen verschiedene Gruppen auf unterschiedlichen Wegen die Haute Route erstmals auf Ski. Das Resümee lautet übereinstimmend: ZITATOR Wir können nun den Wert der Ski als Fortbewegungsmittel ermessen. Wir wissen, dass die Abfahrt mit Ski im winterlichen Gebirge ein einziges, wunderbares Vergnügen ist. ERZÄHLER Heute gibt es dank der Hütten, die im Laufe des 20. Jahrhunderts entstanden, verschiedene Varianten der ?Hohen Route? zwischen Zermatt und Chamonix, egal, ob es dabei nun in die eine oder in die andere Richtung geht. Auf Ski ist der Frühling die beste Zeit, wenn die Schneebrücken über den zahllosen Gletscherspalten fester und somit sicherer sind. O-TON Paulin Den Weg von morgen sieht man gut. Hinter dem Fels dort hinten sieht man gut, wo sie abgefahren sind. Die Tete Blanche ist dort ganz hinten am Horizont. Der ist etwa drei-sieben oder so. Dufourspitze ist auch schön dort. - Wie heißt der? ? Dufour. Der höchste Berg. Das Wetter ist genial, oder? ERZÄHLER Strahlende Gesichter und glückliche Berge oder auch umgekehrt. Wir sitzen auf der Terrasse der Schönbielhütte. Ein zweistöckiger Bau aus Naturstein auf einer kleinen Felsinsel, an deren Fuß gleich vier Gletscher aufeinandertreffen. Vor unserer Nase die Nordwand des Matterhorns, dahinter das mächtige Monte-Rosa- Massiv mit der 4634 hohen Dufourspitze, über deren Gipfel die Grenze zwischen der Schweiz und Italien verläuft. Bereits 1875 wurde an dieser Stelle die erste Hütte gebaut und einige Jahre später von einer Lawine wieder zerstört. Die heutige Hütte mit maximal 80 Schlafplätzen stammt aus dem Jahr 1955. ATMO Gang in die Hütte ERZÄHLER Der Gastraum, vielleicht 60 Quadratmeter groß, viel helles Holz, Gipfelfotos in schwarz-weiß an den Wänden, rotweiß karierte Gardinen. In einer Ecke liegt ein großer Hund. Über dem gusseisernen Ofen hängen Skifelle, T-Shirts und Innenschuhe zum Trocknen. Dementsprechend riecht es auch. An den langen Tischen und Bänken sitzen gut 30 Männer und nur sehr wenige Frauen, Italiener, Franzosen, Schweizer, Österreicher, Deutsche. So gut wie alle Alpenländer sind vertreten. Die Gesichter braungebrannt, ein wenig erschöpft, aber glücklich. Hinter der kleinen Theke regiert Steffi aus Hessen. ATMO Hütte O-TON Steffi Das Wichtigste oder primär sind für mich einfach die Berge, als solches. Das ist hier nun mal das Absolute, in Zermatt bzw. hier in den Bergen zu sein. ERZÄHLER Steffi ist Anfang dreißig. Das lange, dunkelblonde Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Um die Augen deutet sich ein kleiner Kranz Lachfalten an. Den Laden schmeißt sie im Auftrag der Pächter aus Zermatt. O-TON Steffi Und dieses Spartanische, einfach auch mal zu lernen, auch mit den gegebenen Situationen umzugehen. Das heißt, nicht der normale Alltag, sprich: Knopfdrücken, Licht geht an; Hahn aufdrehen, Wasser läuft, sondern einfach zu sehen, mit wenig Mitteln möglichst viel zu ermöglichen. ERZÄHLER Strom kommt von den Sonnenkollektoren oder einem Dieselgenerator. Lebensmittel und alles andere, was benötigt wird, bringt der Hubschrauber. Fließendes Wasser gibt es nicht. Dafür ist es zu kalt. Gekocht wird mit geschmolzenem Schnee. Steffi wäscht sich auch mit dem Schmelzwasser, doch für die vielen Bergsteiger wäre das zu aufwändig. Wer länger unterwegs ist, braucht neben bester Kondition deshalb auch eine eher unempfindliche Nase. Die beiden Plumpsklos liegen einen Steinwurf unterhalb der Hütte. Der Weg dorthin ist vereist und vor allem nachts eine Herausforderung. Abgestürzt sei da aber noch niemand, meint Steffi. O-TON Steffi Ich glaube nicht, die kamen bisher alle immer wieder zurück. (lacht) ERZÄHLER Die Hütte ist von Mitte März bis Mitte Mai und von Ende Juni bis Mitte September bewirtschaftet. Wer außerhalb dieser Zeit kommt, kann zwar ins Haus rein, muss sein Essen aber selbst mitbringen. Die Gäste, die es bis hierher schaffen, sind unkompliziert, sagt Steffi. O-TON Steffi Weil die so ein Aha-Erlebnis hatten. Das ist dieses Intensive, dieses Extreme. Weil, es ist eine extreme Tour. Es ist ja nicht einfach nur ein Spaziergang, und ich denke, das können auch nur extreme Menschen machen. Das zeigt sich auch immer wieder. Also, es gibt ganz wenige, die völlig erschöpft hier ankommen, muss ich dazu sagen, dass sie dann noch relativ frisch sind. (lacht) Vielleicht nicht so riechen, aber es grundsätzlich sind. ERZÄHLER Irgendwann einmal, wenn sie genug Zeit und vor allem auch die nötige Kondition hat, will sie es selbst versuchen, die Haute Route zu gehen. O-TON Steffi Das ist einfach was Wunderbares. Ob das jetzt wie Ski ist oder einfach zu Fuß oder wie auch immer, ich finde jedes Mal, wenn man irgendwie auf den Berg geht, das ist was ganz Besonderes. Und so geht es denen auch, und so sind die Menschen auch. Sie sind vielleicht erst etwas angespannt, weil sie sehr hungrig sind, und das lässt dann aber ganz schnell nach, während sie schon essen, sind sie eigentlich relativ entspannt und piano oder mit dem ersten Getränk, mit dem ersten Bier. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? ATMO Essen ERZÄHLER Um 18.00 Uhr verteilt Steffi das Essen. Mit der Kelle in der Hand steht sie an den großen Töpfen. Davor dreißig hungrige Bergsteiger mit dreißig leeren Tellern. Es gibt Suppe, Reis mit Gulasch, und wer beim ersten Gang nicht satt wird, bekommt noch einen Nachschlag. O-TON Paulin Wir fahren da runter, müssen wir Fell montieren und wieder hochsteigen. Das heißt, wir brauchen vier Stunden. Bis da brauchen wir eine Stunde. Viertel vor eins sind wir da. Da geht es hinunter. Zwischen drei und halb vier sind wir auf der Hütte. ERZÄHLER Nach dem Schokoladenpudding hocken wir über der Landkarte. Paulin erklärt die Route für den nächsten Tag. 1300 Höhenmeter Aufstieg. Zwischendurch können wir uns auf ein paar kurze Abfahrten freuen. Das Ziel ist die Cabane de Bertol. O-TON Paulin Die Hütte ist auf 3311 Meter. Und da hat es eine schöne Leiter zum Hochsteigen, das geht gut. ERZÄHLER Fast die gesamte Route führt über Gletscher. O-TON Paulin Da ist es sicher gefährlich, das hier und das hier. Wo es flach ist, ist es weniger gefährlich. Wo es morgen sicher viele Spalten hat, ist hier. Da müssen wir dann schauen, wie es ist. Und ob wir dann am Seil laufen oder, das entscheide ich immer. Wenn man früh geht und die Schneedecke gut hält, ist das kein Problem. Wenn wir spät dran sind? O.C. ERZÄHLER Frühstücken wollen wir um sieben, aufbrechen werden wir Viertel vor acht. O-TON Paulin Also, ihr müsst sicher mehr als einen Liter mitnehmen, unbedingt mehr! Weil wenn jemand Mühe hat, gibt es nur eins: Viel trinken! Das ist das Einzige. Und morgen kann es auch sein, dass es sehr warm ist. Wir laufen den Osthang hoch, da ist es sehr warm. Es wird sicher noch anstrengend. ERZÄHLER Um 22.00 Uhr ist Hüttenruhe. Die meisten gehen, nachdem sie sich draußen mit Blick auf das vom Mond beschienene Matterhorn die Zähne geputzt haben, schon früher ins Bett, das heißt, ins ?Lager? im ersten Stock. ATMO Schnarchen ERZÄHLER Der Raum misst knapp 20 Quadratmeter. Zwei Drittel davon sind Liegeflächen auf zwei Etagen, das heißt nach Alpenvereinshüttenlogik Platz für zwölf Bergsteiger, von denen immer mindestens einer schnarcht. Doch zum Glück ist das Fenster offen ? immerhin. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Ich denke, alle, die wo zu Berg gehen, die haben Glück gehabt. Es sterben ja jedes Jahr ein paar Bergführer in der Schweiz. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Die letzten drei Jahre habe ich drei Kollegen verloren, Freunde verloren, wo ich kannte. Und muss alles auch sagen: Hätte ich genau das Gleiche gemacht. Wenn ich so schau, wo die durchgefahren sind. So vor zwei Wochen einer von Zermatt. Ich hätte genau das Gleiche gemacht. Darum sag ich, ein Restrisiko haben wir. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Gruppe Willst du zuerst die schlechte Nachricht oder die gute hören? ? Zuerst die schlechte. - Das Frühstück ist aus. ? Das Teewasser. ? Kein Tee, nix. ? Aber draußen ist schönes Wetter. (Lachen) Ist alles hier das, wo du brauchst. Heute kannst du nicht zunehmen. (Lachen) Schon gepackt? ? Ja. ? Ihr wollt uns stressen. ? Erst habt ihr uns gestresst. Jetzt stressen wir euch. ERZÄHLER Sieben Uhr morgens. Der Himmel ist wolkenlos, von der Sonne ist aber noch nichts zu sehen. Wie es scheint, hat sich die italienische Gruppe von unserem Frühstückstee bedient und auch vom Brot, das die Wirtin am Vorabend rausgestellt hat. Ein ärgerliches Missverständnis, zumal es uns nicht gelingt, die Wirtin zu wecken. Außerdem müssen wir jetzt los. Zu spät aufzubrechen, könnte gefährlich werden. Wir verstauen die immerhin noch vollen Thermoskannen in den Rucksäcken, steigen in die zum Glück trockenen Skischuhe und ziehen weiter. ATMO Vorbereitung O-TON Gruppe Kopfweh hat niemand. Ihr habt alles mitgenommen? Wir gehen! (Steiggeräusche) ERZÄHLER Erst eine kurze Abfahrt bei Sonnenaufgang, dann ein langer, langer Aufstieg zum nächsten Pass, dem Col de Herens. Langsam finden wir unseren Rhythmus. ATMO Gehen ERZÄHLER Für die steilen Passagen nutzen wir die sogenannten Harscheisen. Das sind Eisenzacken, die unter der Bindung befestigt werden, um ein Abrutschen zu verhindern. Mit der Sonne steigt die Hitze. Der Schweiß rinnt. Der Blick konzentriert sich auf die Skienden des Vordermanns, bzw. der Vorderfrau. Die Gedanken fliegen sonst wohin. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Rucksack weg und Pause. Aufpassen mit Ski wegnehmen da. Der ist viel zu schwer. Total schwerer Rucksack. ERZÄHLER Alle 60 Minuten eine kurze Trinkpause. Zeitweise trägt Paulin den Rucksack des Gruppenältesten, der es mit den Packempfehlungen nicht so genau genommen hat. O-TON Gruppe Wir sind auf dem Gletscher, wir müssen uns jetzt anseilen. Und ohne Ski nicht viel herumlaufen. ERZÄHLER Wir hocken auf einem großen Schneefeld, darunter der sogenannte Tiefmattengletscher. Auch wenn man die Spalten nicht sieht, sie sind da, irgendwo unter uns. Um das Risiko eines Einbruchs zu verringern, halten wir Abstand. Für den Rest des Weges bis hinauf zum Pass werden wir uns anseilen. ATMO Pause O-TON Gruppe Sonnencreme drauf. Aber nicht über die Augen. Nicht da. Nur von da abwärts. ERZÄHLER Viel trinken, vielleicht einen Müsliriegel essen, und mit der Sonnencreme bloß nicht die Stirn einreiben, weil die Creme dann mit dem Schweiß in die Augen fließen würde, und schon geht es weiter. Plötzlich auf der gegenüberliegenden Talseite und somit zum Glück weit genug entfernt eine Lawine. O-TON Gruppe (Lawinengeräusch im Hintergrund) Da hinter dem Abbruch. Nicht so weit oben. Da! So, dann tun wir uns langsam parat machen. Ungefähr noch 1000 Höhenmeter. Aber das geht gut. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Ich sage immer: Angst habe ich nicht. Respekt! Angst habe ich keine. Wenn ich Angst habe, dann mache ich etwas falsch. Dann muss ich vielleicht aufhören oder die Route ist falsch. Also, Angst, wenn ich nicht schlafen kann in der Nacht und Angst habe vor etwas, dann muss ich sagen: Wir dürfen das morgen nicht so machen. Ich habe Respekt, ganz klar, aber Angst habe ich nicht. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Ich gehe auch immer davon aus: Wenn ich einmal in die Lawinen komme, dann wird niemand mich mehr finden. Und das bedeutet für mich, ich darf das Risiko gar nicht eingehen. Wenn ich denke, es geht nicht, darf ich es gar nicht probieren. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? ATMO Auf der Leiter ERZÄHLER Am Ende eines langen Tages, der uns einen plötzlichen Wetterumschwung mit Nebel und Schneetreiben bescherte, noch eine spezielle, ganz und gar unwillkommene Herausforderung: Der Schlussaufstieg zur Cabane de Bertol erweist sich als eine Art Klettersteig im steilen Fels. Dass der Weg mit Eisenketten und schmalen Leitern versehen ist, nimmt dem Abgrund unter unseren Füßen nur wenig von seiner Bedrohung. Bereits 1898 wurde der Standort dieser immer wieder um- und neugebauten Hütte in den über 3300 Meter hohen Felsen gesprengt. Die damalige Zielvorgabe ist dabei nach wie vor aktuell: ZITATOR Wir möchten die Hütte möglichst hoch auf einen ausgesetzten Felsen aufstellen, wo sie ein Amateurbergsteiger nur unter Schweiß, Schmerz und nachdem seinen erschöpften Körper ein kleiner Schauder der Verzweiflung durchlaufen hat, erreicht. ATMO Hütte ERZÄHLER Das Abendessen im sechseckigen Gastraum der Bertolhütte war schmackhaft, verlief aber wegen der Erschöpfung eher schweigsam. Linoleumboden, lange Holztische und -bänke, zehn Doppelfenster. Der Blick geht in die Weite. Vor dem Horizont der mächtige Gipfel der 4357 Meter hohen Dent Blanche. Über den ?Weißen Zacken? verläuft die deutsch-französische Sprachgrenze innerhalb der Schweiz. Ausnahmsweise wird um Punkt 19.00 Uhr für genau fünf Minuten der kleine Fernseher eingeschaltet. ATMO Wetterbericht (französisch) O-TON Gruppe Das Wetter ist gut, oder? ? Nicht so. - Aber auch nicht so schlecht. ? Wolken mit leichtem Schneefall und Sonne. Mehr habe ich nicht verstanden. ? Wir haben doch Schönwetter bestellt. ERZÄHLER Der Wirt bittet noch, nicht in den Schnee am Rand der Hütte zu pinkeln, da dieser auch hier, geschmolzen, zum Kochen verwendet werden muss. Der Weg zu den Plumpsklos über einer 50 Meter hohen Felsklippe führt über ein Gitterrost, das ein gewisses Maß an Schwindelfreiheit erfordert. Wer den Weg in der Nacht gehen muss, wird, bei Mondschein, mit einer wahrhaft erhabenen Aussicht entschädigt: Weite, weiß schimmernde Gletscherflächen, markante Felszacken, eine Landschaft ebenso schön wie lebensfeindlich. O-TON Gruppe Und da würden wir die Felle montieren und dann gut tausend Höhenmeter. Da ist sicherlich keine Sonne morgen. Die Sonne kommt erst von da weg. Von Osten kommt die Sonne. Nehmen wir an, Dreiviertelstunde, bis wir montiert haben. ERZÄHLER Vorm Schlafgehen planen wir bei einem Glas Rotwein den nächsten Tag. O-TON Gruppe Also, morgen um halb sieben Uhr Frühstück. ? Das heißt, du weckst dann um sechs? ? Wecken um sechs Uhr? ? Dann tun wir vorher packen? ? Sechs Uhr? ? Dann packen wir vorher. ? Das ist schon früh, oder? (Lachen) ERZÄHLER Wenn es eine Gelegenheit gibt zu lachen, dann wird auch gelacht. Ernste Herausforderungen bietet die Haute Route genug. O-TON Gruppe Da bei den Felsen ist es manchmal ein bisschen steil. Und wenn es zu viel Schnee drin hat oder keine Spur, ist es nicht so einfach. ERZÄHLER Unsere Augen folgen Paulins Finger über die Landkarte. O-TON Gruppe Da geht es gut zum Aufsteigen. Da ist es ein bisschen steiler. Das ist eine Moräne da, eine Mittelmoräne, die man da sieht, und dann steigen wir bis da hoch, und da runter hat es Riesenspalten. Aber das sollte gehen, ohne anzuseilen, sonst müssen wir vielleicht, wenn es ganz schlecht ist. Und wegen dem Anseilen noch etwas: Wir seilen an wegen den Spalten, wenn sie gefährlich sind und wenn es Nebel hat. ERZÄHLER Eine Frage haben wir aber doch noch: Wenn wir am Seil sind, und Paulin, der ja als Führer vorangeht, in eine Gletscherspalte stürzt, was machen wir dann? O-TON Gruppe Also, wenn ihr das ansprecht: Wenn ich jetzt reinfalle, dann müsst ihr probieren zum Rausziehen, und wenn das nicht geht, was macht man? ? Hilfe holen. ? Hilfe holen! Das Problem wird das sein: Telefonempfang habt ihr keins. Dann gibt es nur eins: Zuerst müsst ihr oben befestigen, irgendwie befestigen. Meistens die Spalten gehen irgendwo zusammen. Ruhig bleiben! Studieren! Ihr müsst nicht pressieren, denn wenn es passiert ist, ist es schon zu spät. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Bei uns sind gewisse Gletscher praktisch auf Null zurück. Kein Schnee drauf. Die wo sagen, passiert gar nix, die müssten einmal hochgehen, die Gletscher anschauen. Was da passiert, ist wahnsinnig. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Die Frage ist immer, was können wir ändern? Oder? Wir können, und ich bin überzeugt, nur ändern über das liebe Geld. Wenn das Auto mehr kostet, das Benzin mehr kostet, das Heizöl mehr kostet. Alles, wo die Luft verschmutzt, die Atmosphäre aufwärmt mehr kostet, können wir vielleicht, nur vielleicht etwas ändern. Jeder kann etwas bewirken, wenn er will. Aber es fängt bei jedem an. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Gruppe Wir sind oben! - Geht nicht mehr weiter! - 3790. - Da nicht zu weit rechts! ATMO Gratulationen ERZÄHLER Nach einer Nacht in der Cabane de Vignettes und knapp drei Stunden Aufstieg erreichen wir um elf Uhr morgens den Gipfel der 3790 Meter hohen Pigne d? Arolla. Von hier aus gibt es einen schönen Blick zurück aufs Matterhorn, aber nicht für uns, zumindest nicht heute. O-TON Gruppe Wenn jetzt die Sonne käme, wäre es perfekt. ERZÄHLER Wir stehen im dichten Nebel. Es schneit. Das heißt, wir befinden uns in einem allumfassenden Weiß. Es gibt keine Orientierungspunkte, keine Konturen, keinen sichtbaren Unterschied, wo es hier bergauf oder bergab geht. Zum Glück aber gibt es Paulin, den Bergführer mit Karte, Kompass und einem GPS, einem globalen Positionsbestimmungssystem, das mit Hilfe von gut 30 Satelliten weltweit exakte Standortangaben ermöglicht. O-TON Gruppe Wir gehen bis runter, bis auf drei, drei zwei ungefähr. Dann steigen wir wieder auf drei, drei siebzig. Und dann gehen wir wieder hinunter auf drei, drei zehn, dann steigen wir wieder hoch auf drei, drei siebenundachtzig, und von dort geht es immer abwärts. ERZÄHLER Eigentlich alles ganz einfach, wenn es hier oben nicht so viele Felskanten und Gletscherspalten gäbe. O-TON Gruppe Nachher werden wir sowieso nur drei am Seil fahren. Drei Leute! Und wir machen die Spur, die drei vorher. Und die anderen nehmen genau unsere Spur. Mit so viel Leuten am Seil fahren ist fast unmöglich. Und die drei teilen wir so auf, dass wir viel Abstand haben, dass sehr viel Abstand ist, weil Skifahren mit vier Meter Abstand, wenn einer geht, gehen alle. (lacht) MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Gruppe Also, wir fahren. ERZÄHLER Paulin fährt vorneweg am Seil, eine Art Blindflug mit GPS-Gerät und Kompass in der Hand. Sollte er in eine Spalte stürzen, müssen wir versuchen, ihn aufzufangen. Doch dann plötzlich, wie aus dem Nichts, vertreibt der Wind mitten auf dem Glacier de Brenay die Wolken. Die Sonne strahlt. Wir auch. Und ziehen auf der Abfahrt im tiefen, glitzernden Pulverschnee unsere Spuren. Ein traumhaftes, wunderbares Vergnügen ? bis zur nächsten Herausforderung. O-TON Gruppe Wer hat schon mal selber abgeseilt? ? Nein. ? Ich. ? Ja, beim Klettern halt. ? Ja, das ist das Gleiche. ATMO Vorbereitung zum Abseilen ERZÄHLER Eine fast senkrechte 20 Meter hohe Felskante. Im vorigen Jahr lag noch genug Schnee zum Abfahren. Jetzt aber müssen wir uns abseilen. O-TON Gruppe Das geht genau bis unten. Perfekt. ERZÄHLER Zum Glück ist Paulins Seil lang genug. Als Sicherung dienen seine tief eingegrabenen Ski. O-TON Gruppe Du stehst immer auf den Ski jetzt für die nächsten. Genau so stehen! ? OK. Du kannst selber abseilen. (Lachen) Viel Spaß, Gabi! ? Arrivederci. ? Danke. ? Eiheihei! ERZÄHLER Unsere Ski binden wir an die Rucksäcke. O-TON Gruppe Aufpassen! Finger nicht rein tun. Geht da nicht so gut mit dem! Wir haben kein Abseilgerät mitgenommen. Unten ist das Seil irgendwann fertig! Da musst du halten! ? Ja. ? Test! Halten! Komm raus! ? Uah! ? Und ich stehe hier richtig, ja? - Ja. ? Soll ich die Stöcke am besten hinten reinstecken. - Danke! Super! ERZÄHLER Das Seil läuft quasi als Bremse in einer Schlinge durch den Karabinerhaken, der in den Sitzgurt eingehängt ist. Jeder hat seine Abstiegsgeschwindigkeit, aber auch sein Leben selbst in der Hand. O-TON Gruppe Wichtig ist das Seil nie loslassen. Sonst gehst du. Weißt du, was du unten machst nachher? Die zweite Sicherung! Du hältst das Seil. Wenn sie etwas falsch macht, ziehst du am Seil, und dann blockierst es. Verstanden? Schön ein Podest machen. Jetzt kannst du schon wegnehmen. Und wenn jemand zu schnell geht, musst du am Seil ziehen. Ja, wegnehmen! ERZÄHLER Überwindung kostet vor allem der Anfang, wenn man mit dem schweren Rucksack oben an der Kante steht und sich, dem Seil vertrauend, immer weiter nach hinten legen muss, bis man schließlich beinahe waagerecht in der Luft hängt, um dann die steile Felswand sozusagen rückwärts ?hinunterzulaufen?. O-TON Gruppe Gut, der Nächste! Ja, musst Seil ein bisschen geben. So, jetzt! Seil geben. Das geht nicht gut mit dem. Und der Sitz ist fest? ? Ja, der Sitz ist fest. ? OK? Mit dem geht es beschissen! ? Heh? ? Mit dem geht es beschissen. ? Nein, nein, geht sehr gut! ? Wirklich? ? Festhalten! Ab die Post! ? Das geht nicht! ? Das geht schon, du musst Seil geben. Wenn sie zu schnell kommt, dann rupfst du am Seil! Du musst Seil geben, das geht schwer. ? Ja, voll. ? Du musst Seil geben und die Finger weg dort, da. Die Finger nicht so nah. Ja. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Gruppe Du nettes Ungeheuer! - Uno und fertig! ? Wieso, wieso? Nein! ? Wohl, ich hab?s gehabt! - Nein, nein! (geht so weiter) ERZÄHLER Abends in der Cabane de Chanrion. Ein einsames Natursteinhaus, vollgepackt mit Bergsteigern aus aller Welt. Was uns tagsüber noch so viel Überwindung kostete, ist nun schon wieder unter dem Stichwort ?Abenteuer? abgehakt. Dafür irritiert uns aber, dass Paulin, dem wir als Bergführer draußen auf Gipfeln und Gletschern im wahrsten Sinne des Wortes blind vertrauen, beim Kartenspielen plötzlich immer wieder überraschend neue Regeln erfindet, die ausschließlich seinem Vorteil dienen. O-TON Gruppe Sicher darfst du das setzen, sonst wirst du ja nie fertig. Das da hinten ist Monte Rosa Gebiet, wo der große Gletscher ist. Da ist Monte Rosa. ATMO Hintergrund ERZÄHLER Zwei Tage später auf dem 3466 Meter hohen Ponte Hellbronner im Massiv des Mont Blanc, des mit 4808 Metern höchsten Gipfels der Alpen. Wir sind mit der Gondel vom italienischen Courmayeur heraufgekommen. Unter der Seilbahn aufzusteigen? Nein, das hat keinen von uns gereizt. Gestern steckten wir wieder im Schneetreiben, aber heute ist der Himmel so blau, wie man es sich nur wünschen kann. Der Blick geht zurück. Weit hinten am Horizont sehen wir den Gipfel, an dem wir vor sechs Tagen gestartet sind. O-TON Gruppe Das, wo man sieht hinten die Pyramide, ist das Matterhorn. Und das, was man da dazwischen sieht, das ist der Grand Combin. ? Wo ist das Matterhorn? ? Da ganz hinten, sieht von da nicht so spektakulär aus. Die Pyramide geradeaus. So, wir machen uns? ERZÄHLER Vor oder besser unter uns liegt das Valle Blanche, das ?weiße Tal? oberhalb des französischen Chamonix. Es heißt, dies sei die schönste und längste Skiabfahrt der Alpen. Wilde Gletscherbrüche mit blankem blauem Eis zwischen bis zu 1000 Meter hohen Felswänden. Nachdem wir in den zurückliegenden Tagen alle letztlich doch hilflosen Beschreibungsversuche wie ?herrlich?, ?wahnsinnig?, ?wunderbar?, ?atemberaubend?, ?traumhaft?, ?unglaublich? zur Genüge strapaziert haben, genießen wir die kommenden Momente schweigend. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Es ist immer spannend. Wir hatten jetzt Glück mit dem Wetter. Aber ich habe selten, bis jetzt zweimal, die Route gemacht. Richtig, wie wir jetzt gemacht haben. Sonst immer Abkürzungen oder Hütte ausgelassen oder nicht nach Chamonix oder abgebrochen. Man muss so schauen: Wir sind fünf Tage. Und dass keine Verletzung gibt. Das alle von sechs, alle noch hier sind, noch gesund hier, das ist... Denn niemand ist von uns hier, von den Gästen meistens topfit. MUSIK Stimmhorn ?Schnee? O-TON Paulin Das oberste Ziel ist, die Leute nach Hause gesund zu bringen und ich selber gesund. Dann bin ich glücklich. ERZÄHLER Ja, alle gesund und glücklich, das sind wir auch. Danke Paulin! MUSIK Stimmhorn ?Schnee? 20