COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Wenn der Makler dreimal klingelt Berlin Schöneweide kurz vor seiner Entdeckung Von Maximilian Klein Sendung: 19. Juli 2015, 11.05 Uhr Ton: Alexander Brennecke Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2015 Kennmusik Autor: In Berlin-Schöneweide kann alles passieren. Nicht mehr. Und nur selten weniger. Mal läuft Bryan Adams durch die Straßen. Mal werden "nationale Freiräume" gefordert. Das liefert Schlagzeilen: Atmo 1: Musik (typische Nachrichtenmusik) mit Schlagzeilenrhythmus im Hintergrund des Zitators Zitator: - 150 Neonazis zogen durch Berlin-Schöneweide - Gemeinsam gegen Nazis in Berlin Schöneweide. - Uffmucken, Schöneweide. - Schöneweide ist unser Kiez - Berlin macht Dampf Autor: Bei "Berlin macht Dampf" geht es nicht um Nazis, sondern um Dampfloks. Aber sonst? Die Klischees von Berlin sind genau verteilt: Demonstrationen gehören nach Kreuzberg. Schickimicky gehört nach Mitte, die Schwaben gehören in den Prenzlauer Berg. Und die Wilmersdorfer Witwen sind in Wilmersdorf zu Hause. Aber Schöneweide? Wer außerhalb von Berlin kennt Schöneweide? Und welcher Berliner kennt es? Kennmusik Sprecherin vom Dienst: Wenn der Makler dreimal klingelt Berlin Schöneweide kurz vor seiner Entdeckung Eine Deutschlandrundfahrt von Maximilian Klein Kennmusik Autor: Wenn jemand etwas über Schöneweide gehört hat, dann, dass es da Nazis gibt. Nazis und irgendwie Kaff, Ghetto, weit weg und eigentlich überflüssig. Das hat sich eingebrannt in das kollektive Berliner Gedächtnis. Das freundlichste, was der Berliner sagt, wenn irgendwer aus irgendeinem Grund Schöneweide erwähnt, ist: Schweineöde. Das beschreibt doch alles. Zumindest beschreibt es, was Berliner über den Teil ihrer Stadt denken. Schweineöde - mehr muss keiner über Schöneweide wissen. Wer braucht schon Schöneweide? Bloß, was macht dann Bryan Adams dort? Und was wollen diese Maklerbüros dort? Collage : 32:41 Lutz Und Schweineöde ist ein alter Begriff. Sehr liebevoll aufgekommen. Das dass nach der Wende so oft mit dem Niedergang einherging das man diesen Begriff verwendet hat das ist aber nicht der Ursprung dieses Begriffs. Und die richtigen Schöneweider die benutze diesen Begriff und meinen das sehr liebevoll. 02:02++ Eberhard Es war Nazis, oder Neo-Nazis, und Menschen die wenig Geld war da. 05:57 Galerie Und hier gibt es tatsächlich, aber ja durchaus so ein urbanes Flair und im Endeffekt ist es nicht weit weg. Aber in den Köpfen ist es weit weg. OT Makler 02:02 Eberhard Das Image des Bezirks war ein ähhm, ja herruntergekommen sagt man. Atmo: Bahnhof (Archiv) Autor: Die Farbe der Fliesen der Bahnhofsvorhalle ist nicht eindeutig zu bestimmen. Irgendetwas zwischen grün, gelb und dreckig. Vielleicht waren die Fliesen nie grün. Grün ist keine Farbe für Schöneweide. Wenn es gut läuft, dann ist grün hier höchstens eine Sehnsucht. Eine Frau mit Kinderwagen malträtiert fluchend den Knopf eines Aufzuges. Es passiert nichts. Ihre Halsschlagader schwillt an. Das Schlangentattoo, das sich um ihren Hals windet, pulsiert. Unten kommt eine Straßenbahn an. Sie spült Thor-Steinar-Pullover, Ketten mit eisernen Kreuzen und Rentner mit Teleshoppings-Outfits aus. Irgendein Lautsprecher sondert Bushidosound ab. Jemand trägt sein Handy um den Hals gehängt. Ohne Handy und Bushido - hier wäre die perfekte Kulisse für einen Film "Ost-Berlin 1990". Aber es ist nicht 1990. Es ist Schöneweide. Es war einmal Industriegebiet. Industrie, die nach der Wende niemand mehr gebraucht hat. Rathenaus AEG und Quandts Varta hatten hier ihren Sitz. Das ist lange her. Sehr lange. Jetzt steht Schöneweide vor seiner Entdeckung - wieder einmal. Am Bahnhof wirkt Schöneweide, als wolle es lieber nicht entdeckt werden. Nicht dieses Jahr. Und nächstes Jahr auch eher nicht. Die Gegend um den Bahnhof Schöneweide scheint sagen zu wollen: Lass mich einfach in Ruhe. Aber wer hört schon auf Bahnhofsgegenden. Atmo 2 Freistehend: Straßenlärm, Straßenbahn, Bushido Musik Collage, plötzlich abreißend, Stille (Archiv) Take 01 O-Ton Bürgermeister 00:57 Also der Bezirk ist sehr attraktiv für junge Familien. Durchaus aber auch für Ältere. Also wir haben im Moment einen Zuzug von ganz vielen Jüngeren. Und Älteren. Ältere, die hier in der Natur in der schönen wasserreichen Gegend hier den Lebensabend verbringen wollen. Aber auch junge Familien, die das für sich entdecken. Autor: Jeder will nach Schöneweide? Der Bezirksbürgermeister Oliver Igel sagt das. Er hat eine Magisterarbeit geschrieben: Komische Prosa in der Zeit der friedlichen Revolution 1989. Igel ist Jahrgang 1978 und hat Neuere Deutsche Literatur studiert. Und Politikwissenschaften. Oliver Igel ist der jüngste Bezirksbürgermeister, den Berlin je hatte. Die Haare nach oben gegelt, perfekt sitzender Anzug, sein Kind auf dem Arm. Take 02 Igel 01:16 Wir haben hier eine wunderschöne, herrliche Gegend und doch innenstadtnah. Und das schätzen ganz viele. Und wir wollen diese Attraktivität dieses Bezirks natürlich weiter hoch halten. Autor: Antworten poliert wie eine Bowlingkugel. Sie wollen nicht so recht passen in den Schöneweider Abriss-Charme. Sollte man nicht lieber flüssiges Acryl über die Gegend schütten, um ein Gefühl zu konservieren: Authentizität?! Hier ist wenig schön, aber alles echt. Auf der Suche nach schick und toll, bitte weitergehen. Pfaue passen nicht nach Schöneweide, Heidi Klum und Joop können hier nur noch alles schlimmer machen. Hier gibt es keine vordergründige Schönheit. Schöneweide ist mehr Abenteuerspielplatz als Flaniermeile. Aber es soll anders werden. Wo Makler sind, sind Wohnungen zu vergeben. Take 03 Igel 02:15 Darunter sind auch eine ganze Menge Wohnungen, die halbwegs preiswert sind. Das ist auch ganz gut, also wir haben hier nicht nur Eigentumswohnungen und ganz hochwertige Wohnungen. Wir haben hier auch durchaus Wohnungen gerade der städtischen Wohnungsgesellschaft und der Wohnungsbaugenossenschaft, die durchaus preiswert sind. Das macht eben den Bezirk auch noch attraktiv. Ja, und wer eben ein bisschen mehr Geld zur Verfügung hat, der kann sich hier auch ein Einfamilienhaus bauen. Atmo 3: Döner, kurz freistehend dann drunter Autor: Bürgermeister Oliver Igel findet das gut. Attraktiv machen. Ist attraktiv nicht auch verwechselbar? Der Bürgermeister zieht von dannen, den kleinen Sohn auf dem Arm. Vorbei an einem Dönerladen. C-Döner im Menü. 5,80 €. Das C steht für Chicken. Döner im Brot XXL. 4,50 €. Kurdische Pizza mit Salat. 2€. Es riecht nach Bratenfett, Bier und Rauch. Das Piepen der Spielautomaten ist der Soundtrack des leeren Imbiss. Siebzehn Autos passieren am Nachmittag die Hauptverkehrsstraße. Zwei Jungen, vielleicht acht Jahre alt, spielen auf der Straße. Der Döner schmeckt. Berlin-Schöneweide liegt im Südosten Berlins. Schöneweide ist abseits der Berliner Wahrnehmung; es ist nur das Schmuddelkind am Rande der Stadt, gerade einmal 25 S-Bahn-Minuten vom Stadtzentrum entfernt, ein Katzensprung. Gerade für Großstadt-Verhältnisse. Einem New Yorker wurde es nicht mal ein Zucken ins Gesicht treiben. 01 Musik: Moderat - Milk Take 04 Galerie 05:33 Und andererseits auch an so einer Art Insellage, so von der Stadtstruktur her. Man hat, wenn man hier her kommt, schon das Gefühl rauszufahren. Wenn man in die Tram 21 von Friedrichshain einsteigt, macht man immer diesen Schlenker über Karlshorst und spätestens da denkt man dann, ok, ich bin am Rande der Stadt. Um dann wieder in Schöneweide einzufahren. Autor: Schöneweide löst etwas aus - einen Fluchtreflex: Umdrehen und weglaufen. Wäre Schönweide ein Mensch, dann Take 05 Galerie 10:41 Momentan würde ich sagen, es müsste ein Zwitterwesen sein. Einerseits ist es so ein alter, verbitterter Greis, der an nichts Positives an der Welt mehr glaubt. Und auf der anderen Seite hat er aber so seine hellen Momente, in denen er sich diebisch freut, wenn irgendwas passiert, was er vorher noch nicht kennengelernt hat. Autor: Wer an nichts Positives glaubt, ist verbittert. Oder ist der vielleicht doch Realist? Philosophische Fragen haben gerade keinen Platz, wenn es um mehr Attraktivität geht. Eine schlanke Frau steht vor dem Eingang eines steril anmutenden Ladens. Es ist eine Galerie. Sie hält ein Glas Weißwein in der Hand und ist auf Smalltalk programmiert. Drei Leute gleichzeitig. Mareike Lämmert kann das. Sie passt nicht hierher. Eleganz trifft Ruine. Mareike Lämmert will hier sein. Sie will Schöneweide verändern. Mit ihrer Partnerin hat sie "Schöneweide Kreativ" gegründet. Ein Netzwerkprojekt. Aschenputtel soll zu Schneewittchen werden. Da hilft ...Fantasie? Kreativität? Geld? Take 06 Galerie 07:49 Also, ich glaube, was lange Zeit am meisten gefehlt hat, ist eine positive Energie. Weil die konnten den Standort nicht mehr aus sich selbst herausholen. Das... ich glaube, dazu war es noch notwendig, dass jemand mit Begeisterung und einem Blick von außen und aber trotzdem den notwendigen Interesse und Einfühlungsvermögen kommt und vor Augen führt. Ja, aber hier gibt es doch, und das ist doch ganz toll, und das so in die Welt rückpropagiert. Autor: Rückpropagiert. Es klingt martialisch, aber vielleicht braucht man das, wenn man Energie aufbringen will für einen verbitterten Greis. Die studierte Architektin versucht es trotzdem. Seit 2005 lebt und arbeitet sie in Berlin. Und seit 2011 für Schöneweide. Take 07 Lämmert 01:19 Wir sind inzwischen seit vier Jahren aktiv im Rahmen von zwei verschiedenen Stadtentwicklungsprojekten. Das Vorgängerprojekt war eher initiiert von der bezirklichen Wirtschaftsförderung. Und da ging es darum, was in Schöneweide schon lange ein Problem ist, es gibt hier ein Loch. Ne Lücke, wie füllt man die?! Und es wurde vermutet oder war teilweise auch bekannt, es gibt sehr viele Künstler mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Und dem Fachbereich Gestaltung. Vermutete man, naja, ist ja auch ein Potential für Kreativwirtschaft. Autor: Gerade wird die Design-Night eröffnet. Design ist das große Thema. Schöneweide will sich schön machen für alle, die etwas mit Design und Kunst zu tun haben, die Mieten sind weit unter dem Berliner Durchschnitt, Platz gibt es dafür umso mehr. 400 Künstler sollen es mittlerweile sein. Mareike Lämmert versucht zu charakterisieren. Take 08 Galerie 02:22 Ganz unterschiedlich. Wirklich bunt gemischt, das ist auch eine Eigenart von Schöneweide, von der ich sagen würde, dass es nach wie vor so ist. Das gibt hier durchaus auch so einen Stamm an schon immer dagewesener Altbelegschaft in Anführungszeichen, sag ich jetzt mal. Dann tatsächlich sehr auffallend viele Künstler. Die teilweise auch hierhergekommen sind. International von außerhalb. Autor: Bei der Design-Night rauschen die Begriffe durch den Raum: Austausch von Designern, Künstlern und Kreative nutzen den städtischen Raum als Plattform, Einblicke geben in Ateliers und Werkstätten. Woanders wäre von Showroom die Rede gewesen. In Schöneweide heißt er "Schauraum". Die Anzahl der Gäste ist überschaubar. Drinnen das übliche: Sekt und Bier. Atmo 4: Galerie, Gläser klirren, Gespräche Take 09 Galerie 01:52 Und sicherlich auch mit der Hoffnung von Kreativwirtschaft, auch das immer gut, das Standortimage ins Positive zu wandeln. Und in diesem ersten Projekt war unsere Aufgabe erstmal zu schauen, wen gibt es hier überhaupt. Welche Branchen sind wie stark vertreten. Was ist attraktiv für die Leute, warum kommen die hierher. Und was müsste man tun, um die Branche hier zu stärken. Autor: Keine 600 Meter entfernt von der Galerie liegen ehemalige Werkshallen. Roter Klinkersandstein, Backsteingebäude, Industriecharme. Die Spree ist in Sichtweite. Das Wohnheim der Hochschule für Technik und Wirtschaft erinnert an Baustellenschilder mit der Aufschrift "Hier entsteht gehobenes Wohnen" aus Kreuzberg oder Prenzlauer Berg. Die Leute fläzen auf Sonnenstühlen. Es ist eine Ecke zum Wohlfühlen. Das unbekannte Gesicht von Schöneweide. Urban und lässig. 2 MUSIK Future Island - Tin Man Atmo Straße (Archiv) Autor: Michael Diehl vom Tourismusverein Treptow/Köpenick - der Bezirk, zu dem Schöneweide gehört - kommt mit dem Fahrrad zum Interview. Tourismus und Schöneweide. Wieder so ein Widerspruch. Eine Busladung Japaner, die knipsend durch den Bezirk rennt, ist hier schwer vorstellbar. Für Schöneweide muss man den Tourismus neu definieren. Take 10 Diehl 18:26 Das ist ganz gut, dass Sie das fragen, weil: was ist Tourismus oder was ist der Tourist eigentlich? Das ist eine durchaus diskutable Frage. Für uns als Treptow/Köpenick sind eben auch die Bürger anderer Bezirke dieser fast dreieinhalb Millionen Stadt Berlin zu großen Teilen Touristen. Autor: Der Berliner als Tourist in seiner eigenen Stadt. Das hat etwas Gewagtes. Aber wenn man Touristen braucht, dann müssen eben die Nachbarn herhalten. Touristen wollen etwas Vorzeigbares. Etwas Besonderes. Und große Namen. Einen großen Namen gibt es inzwischen in Schöneweide. Take 11 05:32 Diehl++ Wenn Sie sich herumsehen, dann sehen Sie den sanierten Industriesalon und Sie sehen dahinter ne Halle, die wird in diesem Jahr saniert werden. Der Bryan Adams hat dort seine Studios und Werkstätten gekauft. Und es gibt aber auch unsanierte Gebäude, die wir von diesem Ort aus sehen können. Autor: Bryan Adams. Kanadier, Sohn britischer Eltern, Rocksänger, Komponist, Fotograf, Vegetarier. Lebt in London - und will in Schöneweide doch tatsächlich ein Atelier und Lebens- und Kulturzentrum eröffnen. Es wird gemunkelt, dass er die Redaktion seines Fotomagazins hier einquartieren will. Könnte passen. Studenten kommen inzwischen auch; es ist eben billig. Noch. Take 12 Lutz 05:49 Die alte Poliklinik vom Tro, dem ehemaligen, wie hieß es, Transformatorenwerk Schöneweide. Die ist ja zu einem Studentenwohnheim geworden. Das ist ok. Da ist junges Leben und da ist auch Kreativität mitgekommen. Aber so ist es fast an jedem Ort. Es ist nirgendwo etwas perfekt fertig. Das macht eben auch immer den Reiz aus. Und das mitzugestalten, wie der Lutz Längert schon sagte, kann unheimlich viel Spaß machen, wenn man gemeinsam mit anderen da auch Erfolge organisieren kann. Autor: Neben Herrn Diehl sitzt Lutz Längert. Ein kleiner Mann mit rundlichem Kopf. Seine Augen sind müde und wach zugleich. Sein schwarzes Notizbuch scheint jeden Augenblick zu explodieren. Unzählige Zettel hat er zwischen die zwei schwarzen Klappdeckel gepresst. Mehr passen nicht hinein. Ein "Theatermann". Zu DDR-Zeiten hat er inszeniert und produziert. Nach der Wende, als das Quartiersmanagement geschlossen wurde, baute er einen Verein auf, der diese Lücke schließen sollte. Ein Mann mit vielen Stationen in seiner Biografie. Seine jetzige Berufsbezeichnung ist interessant. Er hat sie sich selbst ausgedacht: Take 13 00:23 Ja, ich bin Lutz Längert und bin hier in Schöneweide dabei, sozusagen kulturelle Akteure, Institutionen, Interessenten zusammenzubringen, zu koordinieren. Ne Art Schnittstellenmanager sage ich mal. (lachen) Autor: Ecken, Kanten und noch mehr Ecken. Für Lutz Längert ist es genau die Brüchigkeit und das unverstellte Leben selbst, das hier eine Rolle spielt. Take 14 01:57+ Lutz Das ist hier besonders spannend. Weil das ist ein Ort, der von dem Strukturwandel und dem Niedergang der ostdeutschen Industrie ganz stark betroffen war. Aber das spielt sich ab in einer historischen Kulisse, die wirklich wunderbar ist. Die großartig ist und die danach schreit, dass sie wieder belebt wird. Und so watt macht mir Spaß, und das ist noch ein Ort, der noch seine Originalität hat. Darüber kann man streiten, aber hier trifft man noch alte Menschen auf der Straße. Hier gibt's die Trinker von manchen Obdachlosenheimen. Autor: Schöneweide sehen - und bleiben wollen. Das ist das Ziel. Anziehend wirken, zum Verweilen einladen - länger als einen Augenblick. Es ist ein Kampf gegen das Klischee. Aber auch ein Spiel damit. Take 15 Diehl 03:06 Na, aus touristischer Sicht geht es ja darum, auch erlebbare Angebote zu formieren. Und die dann über ein zeitgemäßes Marketing auch öffentlich zu machen. Das heißt, es reicht ja nicht, dass hier geniale Architektur steht aus der Gründerzeit. Es reicht auch nicht, wenn einmal im Jahr oder dreimal im Jahr hier eine größere Veranstaltung stattfindet. Sondern es muss immer eine touristische Infrastruktur daraus verknüpft werden. Von der Anreise über Stadtführungen, die Gastronomie, die Unterkünfte, die Erlebnisorte. Autor: Wie sollen Touristen angelockt werden: Schöneweide - Hier ist das Leben noch nicht fertig mit Ihnen! Oder: Hier können Sie noch etwas selbst machen. Oder: Abenteuerspielplatz für Erwachsene. Bloß wer fühlt sich davon angesprochen? Japanische Touristen sind es jedenfalls noch nicht. Sondern unterschiedliche Individuen: Take 16 06:29 Lutz Na, von homogen kann keene Rede sein. ...Aber das macht's auch aus. Hier gibt es viele Widersprüche, man sieht sie vor allem noch. Also viele Leute, die hierher kommen, schätzen das besonders als Arbeitsatmosphäre. Und wenn es uns dann gelingt, dass langfristig auch noch in eine gute Lebensatmosphäre breit zu verwandeln, das heißt, dass man den Leuten hier auch ansieht, dass es ihnen Spaß macht hier zu leben. Autor: Lutz Längert will ja nicht nur schnellen Erfolg. Stadtgebiete wollen langfristig erschlossen sein: Take 17 Lutz 07:08 Das ist dann langfristig auch für die touristische Vermarktung besser. Denn die Leute gehen gerne wohin, wo sie spüren, es ist, es hat Originalität, aber es macht den Leuten auch Spaß. Also man trifft auf Offenheit. Autor: Stadtentwicklung funktioniert nicht linear. Sie funktioniert anders. Sie ist ein Abbild des Lebens. Vertrackt und verschlungen, ein ewiges Auf und Ab und Geziehe und Gezerre. Und so muss es auch sein. Unzählige Strömungen, Anforderungen, Wünsche, Blockaden und lange Zeiträume, in denen Entwicklung passiert. (...) Autor: Es passiert etwas. Es fehlt etwas. Und etwas war schon einmal da - früher: Take 19 Lutz 07:45 Das wird sicherlich sehr unterschiedlich betrachtet, woran es fehlt. Viele der Alteingesessenen würden sich wünschen, sie würden annähernd eine Infrastruktur wiederfinden, wie sie hier mal war. Ob das sozial ist, ob das kulturell ist. Ob das im Dienstleistungs/Warenangebot ist. Das war hier mal eine florierende Gegend, gegenüber der Industrie in ner Straße. Und andere würden sich wünschen, dass sich das nicht so sehr auf die Quantität bezieht, sondern dass es auch ne qualitative Entwicklung in diesem Bereich gibt. 03 Musik: Moderat A New Error 1:00 - 1:30 max. 2. Minuten Atmo 5: Werkstatt Autor: Eine Autowerkstatt in Schöneweide. Zu der Werkstatt gehört ein kleiner Parkplatz, auf dem Gebrauchtwagen angeboten werden. Nissan. Senfgelb. Der Lack ist verblichen, das Laub reicht bis über das Bodenblech. 850 Euro steht auf einem neonfarbenen Stern, der in der Scheibe klebt. Damals war die Industrie noch fern. Heute ist sie es wieder. Sie hat aber einiges hinterlassen. Atmo 6: Maschinengeräusche, Arbeiter, Baustellenlärm Take 20 01:20 Reumschüssel Also Schöneweide ist heute eines des größten Denkmalensembles in ganz Deutschland. Das ahnt man nicht, weil die Industriebauten, die hier um uns rum stehen, einigermaßen verrottet aussehen. Jedenfalls zum Teil. Und auf den zweiten Blick sieht man aber, dass doch eine einheitliche Farbe des orangefarbenen Klinkers hier vorherrschend ist. Und das alles sind Bauten, sagen wir, so ja, um 1899 ungefähr, als die AEG hier anfing, großes Gründerzentrum zu bauen. Nämlich das Kabelwerk Oberspree. Und das Drehstromkraftwerk. Und dann zogen die Konkurrenten hier raus und dann wurde hier in Nullkommanichts aus der Fabrik heraus der ganze Ort entwickelt und gebaut. Autor: Susanne Reumschüssel schnauzt erstmal rum. "Ruhe da oben, hier ist jetzt Interview". Der Ruf verfehlt nicht seine Wirkung. Sie sitzt in ihrem kleinen Büro. Zettel türmen sich, Aktenordner liegen kreuz und quer. Würde sie einen Zettel suchen, sie würde ihn dennoch sofort finden. Das spürt man. Sie sieht geschafft aus von ihrer Arbeit für Schöneweide. Der Bezirk scheint ihr die Kraft aus den Knochen zu saugen. Take 21 Reumschüssel 22:21 Also wir machen ja hier seit vielen Jahren Veranstaltungen und alle möglichen, ein kulturelles Angebot, und wir merken, dass wir gefühlt zehn mal mehr Kraft brauchen als es andere Institutionen brauchen oder Einrichtungen, die in der Innenstadt sind. Autor: Susanne Reumschüssel zog aus Niedersachsen nach Berlin und verliebte sich in das dreckigste Fleckchen der Hauptstadt, und arbeitete von da an genau dafür. Die Biografie von Susanne Reumschüssel hört sich an wie eine Geschichte. Ist sie auch. Ihre. Der Vater Priester, Studium an der DFFB - der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Erste Filme, auch über Schöneweide. Es begann mit einem großen Plan. Eine Schauhalle sollte entstehen. Kunst - natürlich groß und noch nie dagewesen und einzigartig. Berlin eben. Take 22 Reumschüssel Das kam daher, dass ich den Eigentümer kennengelernt habe, der diesen kleinen Teil dieses Transformatorenwerks gekauft hat. Das muss ungefähr vor zehn Jahren gewesen sein. Und dieser Mann hatte vor, hier etwas ganz besonderes aufzubauen. Nämlich das größte Zentrum für zeitgenössische Kunst von ganz Berlin. Und die alten Industriehallen sollten stehen bleiben. Da sollte eine neue Halle drüber gebaut werden, sozusagen. Und dann sollte hier Kunst im großen Maßstab gezeigt werden. Und das fand ich so interessant, die Möglichkeit, das mal mitzuerleben, wie ein altes, abgebautes Industriegebiet sich entwickelt zu einem Zentrum für zeitgenössische Kunst. Autor: Die Schauhalle gibt es bis heute nicht. Berlin eben. Zu teuer, zu viel Widerstand, eine Nummer zu groß für Schöneweide. Aber Susanne Reumschüssel blieb. In Berlin haben auch Schmuddelecken Anziehungskraft. Susanne Räumschüssel sieht in Schöneweide nicht das Schmuddelige, sie sieht eher das Vergangene, die Überreste großer Ideen. Schöneweide sollte schon einmal entwickelt werden: Take 23 Reumschüssel 02:20 Die Schöneweide war hier noch 1890 komplett erhalten, und dann kam die Terraingesellschaft und hat hier alles aufgekauft, inklusive des Wilhelminenhofs. Das war ein Ausflugslokal. Und man hat hier Industrieflächen entwickelt, weil man in der Berliner Innenstadt diese Enge gespürt hat. Da war kein Entwicklungsraum mehr für die Industrie. Und man hat hier also schon die Gleise gelegt. Man hat hier das Terrain geordnet, um hier die Industrie rauszulocken, sozusagen. Autor: Investoren anlocken, Subventionen zahlen, Rahmenbedingungen schaffen - vielleicht ist das Politiksprech neu. Das Handeln aber ist deutlich älter: Es geht einfach darum, Menschen mit Geld und Menschen mit Ideen anzulocken. Am besten haben sie beides. Und dann zu hoffen, dass für das Gebiet etwas abfällt. Blütezeiten brauchen Menschen mit Visionen. Take 24 Reumschüssel 10:15 Die Elektroindustrie war die treibende Kraft in Berlin, die Berlin komplett verändert hat. Hier war eines der großen Gründerzentren. Nämlich das Zentrum der AEG. Die Elektroindustrie hat Berlin von einer Residenzstadt sozusagen zur Industriemetropole, die damals führend war in ganz Europa, gemacht. Und man kann hier die Funktionszusammenhänge einer Industriestadt genau noch entdecken. Es ist noch alles da. Also die Bausubstanz ist da, und wer die Funktionszusammenhänge kennt, kann sehen, wie früher diese Industriestadt funktioniert hat. 04 Musik Pink Floyd, Welcome... Autor: Gründer der AEG war Walter Rathenau. Ursprünglich hieß AEG Deutsche-Edison- Gesellschaft für angewandte Elektrizität, gegründet, um in Deutschland die Patente von Thomas Alva Edison zu vermarkten. Es ging um Stromerzeugung und Stromverteilung. Im Jahr 1885 wurde in Berlin, am Gendarmenmarkt in Mitte, das erste deutsche Kraftwerk in Betrieb genommen. Walter Rathenau besuchte es und sagte anschließend zu dem Elektrotechniker Adolf Slaby: Zitator: Nein, wie verkennen Sie den unersättlichen Elektrizitäshunger der Menschheit, der in wenigen Jahren sich einstellen wird. Statt dieser Kelleräume mit ihrem ohrenbetäubenden Lärm sehe ich hohe luftige Riesenhallen und vieltausendpferdige Maschinen, die automatisch und geräuschlos die Millionenstadt mit Licht und Kraft versorgen. Autor: Wer so spricht, muss ein Visionär sein, also auch der Richtige für Berlin- Oberschöneweide. Emil Rathenau lies sich gern locken. Geschenktes Bauland ist einfach ein zu gutes Argument, um es zu ignorieren. Und Platz brauchte die AEG wirklich. In der Innenstadt wurde alles zu eng und zu teuer. Take 25 Räumschüssel 02:55 Das gelang dann auch, als diese Terraingesellschaft der AEG vorgeschlagen hat, hier ein Drehstromkraftwerk zu bauen. Und dafür gab es das Bauland umsonst. Und genau aus dieser guten Idee Bauland zu verschenken, um dann hier der Energie vor Ort zu haben, das war damals das erste Drehstromkraftwerk, das überhaupt in Deutschland gebaut wurde. Begann hier eine ganz schnelle Entwicklung, die den ganzen Ort hervorgebracht hat und auch diese große Industrie. Autor: Bevor Rathenau nach Schöneweide kommt, leben dort 625 Menschen. Zehn Jahre später, 1905, sind es 14 400. Berlin-Schöneweide blüht auf, es wird ein anderer Ort. Schöneweide wird zum Ort der Produktion. Ein Ort zum schönen Leben wird Schöneweide nicht. Der schlechte Ruf nimmt seinen Anfang. Und wird so schnell nicht verschwinden. Emil Rathenau macht Oberschöneweide zu einem Industriestandort: Drehstromwerk, Kabelwerk Oberspreee, Transformatorenwerk, die Nationale Automobilgesellschaft, ein Tochterunternehmen von AEG. Im Ersten Weltkrieg wird AEG zu einem wichtigen Rüstungsunternehmen - und bleibt es auch während des Zweiten Weltkrieges. Hier arbeiten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Danach musste wieder von vorn angefangen werden - ohne Zwangsarbeiter und ohne Rüstungsaufträge. Die Berliner Zeitung schrieb im August 1945: Zitator: Das weite Gelände der AEG-Turbinenfabrik nebenan hat sich völlig umstellen müssen, um seiner Belegschaft von 4000 Köpfen Arbeitsmöglichkeit geben zu können. Eine Fortführung des Großturbinenbaus war vorerst unmöglich, ganz abgesehen davon, dass der allergrößte Teil der dazu notwendigen Werkzeugmaschinen in Verlust geraten war. Nur die Krananlage war verblieben, die zusammen mit der Handfertigkeit und dem guten Willen des Arbeiterstammes ausgewertet wurde. Nun ist die "Turbine Auto-Groß- Reparaturwerkstatt", die bereits ein halbes Tausend Arbeiter beschäftigt und von Woche zu Woche mehr Arbeiter einstellen wird. Auch alle anderen Fahrzeuge werden instand gesetzt. Verhandlungen mit der Reichsbahn zur Aufnahme der Güterwagen- Instandsetzung am laufenden Band stehen vor dem Abschluss. Autor Nach dem Krieg entsteht aus der AEG ein volkseigener Betrieb. Zunächst spricht man von "Entflechtung". Bald entstehen der "VEB Transformatorenwerk Karl Liebknecht"; der "VEB Kabelwerk Oberspree Wilhelm Pieck". Die Berliner Akkumulatoren- und Elementefabrik. Hinzu kommen das Werk für Fernsehelektronik Es gibt reichlich zu tun in den Betrieben. Aufschwung Ost. Für Grün hatte man keine Zeit, weiß Susanne Reumschüssel. Atmo 6: Arbeiter, Werkshallen Take 26 Reumschüssel 03:50 Ja, der schlechte Ruf... Zu DDR-Zeiten war hier das größte innerstädtische Industriegebiet der DDR mit 25.000 Werktätigen. Das war natürlich der Industrie geschuldet. Ein dreckiger Bezirk. Hier gab es ordentlich Abgase und Umweltschäden. Aber es war eben auch der Bezirk mit den meisten Arbeitsplätzen sozusagen. Zitator: Das Kabelwerk Oberspree gehört zum Industriezweig der Elektrotechnik, für den der Volkswirtschaftsplan 1953 eine Steigerung der Bruttoproduktion auf 118.9 Prozent gegenüber dem Jahre 1952 vorsieht. Autor: Teilt der Werkdirektor in der Berliner Zeitung im Januar mit. Und: Autor (Filter altes Mikrophon): Im Juni 1953 gehen auch Arbeiter des Kabelwerks Oberspree auf die Straße, um gegen Normerhöhungen zu demonstrieren. Die Medien machen das, was sie in der DDR immer tun. Sie ignorieren und verlesen weiter Erfolgsmeldungen. Zitator Mit Hall und nach der Hälfte weg: Der Hebel zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität und damit zur Planerfüllung ist der Wettbewerb. Im Kabelwerk Oberspree in Berlin-Schöneweide beteiligen sich 93 Prozent der gesamten Belegschaft daran. Um aber auch eine bessere Beteiligung an den Produktionsberatungen zu erzielen, machte die Abteilung Arbeit gemeinsam mit der Wettbewerbkommission in einigen Abteilungen den Versuch, den Wettbewerb zum Schwerpunkt dieser Beratungen zu machen. Geld und Ideen. Autor: Alte Fotos und Gespräche mit Anwohnern zeichnen ein anderes Bild von Schöneweide. Dreck. Staub. Umweltverschmutzung. Bäume werden kahl. An manchen Morgen kann kein Fenster geöffnet werden. Zu dreckig die Luft. Marode sind die Gebäude, schlecht die Güterversorgung. Was die Menschen wirklich denken, fühlen und wollen, steht nicht in der Zeitung. Kein Wort über den Dreck, kein Wort über unzureichende Infrastruktur und fehlende Wohnungen. Im Herbst 1989 gehen auch die Menschen von Schöneweide auf die Straße und sagen, was sie denken und fühlen und wollen. 05 Musik: Arbeiterlied, habe mehrere im Angebot, kurz angespielt, nicht zu rot werden lassen an der Stelle Autor: Der Niedergang der goldstaubigen Zeit in Schöneweide. Susanne Reumschüssel fasst das Dilemma zusammen: Take 27 Reumschüssel 05:10++ Nach der Wende wurde die Industrie hier komplett abgebaut. Es wurden 24.000 Menschen gefeuert, der Stadtteil war morde, dreckig und kaputt. Es gab viele Menschen, die hier NPD gewählt haben und so. Also dieser Stadtteil hatte eine sehr, sehr schwere Bürde sozusagen erstmal zu schultern. Und wahrscheinlich ist der schlechte Ruf dann zumindest noch mal bestärkt worden. Das kann ich mir gut vorstellen. Autor: Die Hochschule für Technik und Wirtschaft ist mit 10.000 Studenten nach Schöneweide gezogen. Es kommen Impulse. Take 28 Raumschüssel 08:01 Also hier anzuknüpfen an die Geschichte, das wäre das Thema regenerative Energien. Das wird ja auch hier gelehrt an der Hochschule. Es gibt hier zum Beispiel die Batteriefabrik, die sich mit Fotovoltaiklösungen beschäftigt. Die Batteriefabrik gehört zu den großen traditionellen Unternehmen hier in Schöneweide. Außerdem gibt es das Kabelwerk auch dort, es gibt verschiedene Spezialbereiche, die schon über 100 Jahre hier sind und die sich weiterentwickeln. Zum Beispiel werden hier Glasfaserkabel produziert. Es gibt ein Kupferwerk, es gibt die Firma Schnellflechter, die produzieren Maschinen zum Flechten und Klöppeln von diesen Isolierungen von Kabeln. Autor: Industrie klingt noch immer nach Ruß und Dreck. Aber der Klang ändert sich. Industrieanlagen können zu Sehenswürdigkeiten werden. So ist Schöneweide auch ein lebendes Geschichtsbuch: Take 29 Reumschüssel 10:51 Außerdem sind diese Industriebauten denkmalgeschützte Monumente der Industriekultur. Also die lohnt es auch anzuschauen. Es waren zu AEG-Zeiten sehr moderne, wichtige, große Architekten, die hier gebaut haben. So, das ist das eine. Und das zweite, was man hier in Schöneweide fortlaufend beobachten kann, das ist natürlich der Stadtumbau. Was passiert nach dem Ende der Großindustrie? Atmo Wasser Autor: An der nördlichen Grenze von Berlin-Schöneweide stehen schöne Einfamilienhäuschen mit Carport und Zäunchen. Wahrscheinlich wird samstags das Auto gewaschen und der Rasen gemäht. Im Osten, kurz bevor Schöneweide beginnt, feiert die Jugend exzessiv in der Rummelsburger Bucht. Die Mieten explodieren rings um den Bezirk. Es wird verdrängt, neu aufgeteilt, rumgeschachert. Wohnen und das böse G-Wort liegen in der Luft. G wie Gentrifizierung. 07 MUSIK Woodkid - Iron Autor: Loft in Wassernähe - 350.000 Euro, Einfamilienhaus - 250.000 Euro, Wohnung in Citynähe 125.000 Euro. Das verspricht das Schaufenster eines Maklerbüros. Take 30 Makler 00:27 Ich bin Andreas Eberhardt. Bin Immobilienmakler im Berlin Karlshorst. Und mache das seit 25 Jahren. Als Immobilenmakler und seit zwei, drei Jahren arbeiten wir auch verstärkt in Schöneweide. Take 31 Makler Skladny 00:50 Robin Skladny ist mein Name. Ebenfalls Immobilienmakler hier in Karlshorst seit mittlerweile vier Jahren und verstärkt in Schöneweide tätig. Hab auch vier Jahre in Schöneweide selbst gewohnt. Von daher kenne ich mich ganz gut aus, denke ich. Und ja, es passiert eine Menge. Autor: Die großen Versprechen im Schaufenster. Das Maklerbüro selbst ist unscheinbar: Der Boden ist gefliest, die Wände weiß. Vor der Tür donnert alle paar Minuten die Straßenbahn der Linie 21 entlang. "Gemütliches Büro mit guter Verkehrsanbindung" - so würden Makler wohl dieses Büro anpreisen. Vielleicht inserieren sie bald tatsächlich so, denn die Makler zieht es nach Berlin-Schöneweide. Take 32 Makler 20:47 Eberhardt Wir werden spätestens im nächsten Jahr, werden wir da ne Niederlassung haben. Ja, das haben wir uns vorgenommen. Autor: Es hat sich herumgesprochen: in Schöneweide passiert etwas. Wenn die Makler kommen, dann ist es sozusagen amtlich. Schöneweide hat Zukunft: Take 33 Makler 01:24 Eberhard Weil es erst langsam spannend wird. Weil es ein Image hatte und ja... Um die Jahrtausendwende um die zwei tausend hat Schöneweide, da wollte kein Mensch investieren, wollte kein Mensch mehr dort leben. Die Menschen sind abgewandert. Und erst so Stück für Stück fühlt man, spürt man, sieht man, dass es schöner wird. Dass es für Immobilien geht um Geld zu verdienen. Dass man da was machen kann. Autor: Schöneweide klingt nicht von allein nach Zukunft. Den Klang muss man erst erzeugen und dann verbreiten. Die Makler versuchen es. Der Versuch scheint erfolgreich zu sein. Take 34 Makler 14:35 - Skladny Es ist steigend und es ist auch qualitativ anders. Also, wir haben im letzten Jahr, gerade auch für Eigennutzer Wohnungen angeboten haben. Wo wir gesagt haben, die haben schon, in dem Kontext ist das schon für Eigennutzer Wo er, weiß ich nicht, vor zehn Jahren nicht denkbar war, dass jemand ne Wohnung gekauft hat, um dort selbst einzuziehen in Schöneweide. Wo wir gesagt haben, das geht. Da haben wir im letzten Jahr noch mit einem Filmbeitrag gearbeitet. Um den Leuten zu zeigen, wie es in Schöneweide heute aussieht. Autor: Dann sprechen die "Hardcoreuser" vom Marketing-Deutsch gerne vom "Geheimtipp". Der Geheimtipp Schöneweide also. Robin Skladny übt sich schon einmal im typischen Maklerslang, um ein altes Industriegebiet für potentielle Kunden schmackhaft zu machen: Take 36 Skladny 02:40 Also spannend ist, dass der Ort sein Potential heben kann, den er auch schon vorher hatte. Mischung. Wir haben tolle Naturflächen mit der nördlich angrenzenden Wuhlheide. Großer Forst und Erholungsgebiet. Südlich ist die Spree mit dem Spreeufer. Und wir haben vor allem die ehemals brachliegenden Flächen, die werden jetzt bespielt. Also da haben wir jetzt neue Nutzung dafür, und das war auch immer ein bisschen vorher das Problem, dass dieser Niedergang von Schöneweide, da brauchte man nur aus der Haustür gehen und hat das gesehen. Also wir hatten Industrieflächen, da wird sich nie wieder Industrie in dem Maße ansiedeln. Trotzdem haben wir denkmalgeschützte Gebäude, die man nicht einfach abreißen soll. Autor: Das "Potential" also. Und "bespielt" wird auch etwas. Robin Skladny guckt selbstsicher aus seinem Anzug. Er richtet die Krawatte. Gut, dass Studenten schon in Schöneweide sind. Studenten und Künstler und diejenigen, die sich selbst die Kreativen nennen. Sie alle eint eine Hoffnung, ein Gefühl: Gemeinsam die Fantasie, in vergessenen Brachen und dunklen Ecken irgendwie Zukunft zu entdecken. Die Makler kommen immer erst später, dann, wenn das Risiko kleiner und die Zukunft sichtbarer wird. Und dann wird es für die Kreativen eng, denn ihre Plätze werden plötzlich "vermarktbar". Es ist eine sich immer wieder selbst erfüllende Prophezeiung. Take 37 Skladny 03:30 Das ist auch richtig so. Aber solange, wie da eben nichts passiert ist, wie dort keiner gearbeitet hat, keine kreativen Ideen hatte, war das alles ziemlich trostlos. Und das beginnt sich jetzt Schritt für Schritt zu ändern. Beziehungsweise hat sich schon geändert. 08 MUSIK Mumford and Sons Hopeless Wanderer dann drüber weiter Autor Berlin-Schöneweide hat Zukunft. Das kann man sagen. Und sonst? Es wird dauern, sagt Lutz Lengert vom Tourismusverein: Take 38 Lutz 29:58 Na hoffentlich noch lange. Also ich lege ja Wert auf den Sonderstatus. Das macht's ja ein bisschen aus. Und wie gesagt, hier gibt's die Chance, es anders zu entwickeln. Wie lange wird das dauern, also von mir aus braucht es sogar nicht kommen. Berlin unterscheidet sich eben von diesen Metropolen. Und dazu gehört auch, dass es ein bisschen dreckiger ist an manchen Stellen. Und dass es immer wieder Flächen hat, die noch zu besetzen sind. Autor: Mareike Lämmert, Mitbegründrin von "Schöneweide Kreativ", sagt: Take 38 9'27 Im Prinzip ist Schöneweide super clever gebaut. Das gibt dieses Gewerbegebiet oder Industriegebiet. Das bisher flächenmäßig auch so gewidmet ist. Dass es Gewerbegebiet ist. Und dann gibt es auf der anderen Seite der Wilhelminenhofstrasse die Wohnstruktur. Hier haben früher die Arbeiter gewohnt. Das ist ein total angenehmer Wohnkiez. Der ist ruhig und das ist eigentlich eine super clevere Struktur, weil du kannst sowohl das eine als auch das andere haben und ohne, dass es sich großartig stört. Das ist schon mal eine gute Vorraussetzung. Autor: Und die Regisseurin Susanne Reumschüssel ist sich nicht sicher: Take 39 Reumschüssel 07:20 Ich erkenne im Moment noch nicht, wohin die Entwicklung geht. Natürlich hat die Hochschule bewirkt, dass immer mehr Studenten hier rausziehen, dass die Wohngemeinschaften gründen und Kreativprojekte machen. Es gibt angeblich und wahrscheinlich über 400 Künstler hier in Schöneweide, die temporär zwischennutzen. Aber ob das eine substanzielle Entwicklung ist, die dieses Industriegebiet wirklich, dauerhaft neu belebt...Fragezeichen. Autor: Die Zeit der Industrie in Berlin-Schöneweide ist vorbei. Die Ecke sucht nach einer neuen Identität. Nach den Jahren der Erwerbslosigkeit und Stillstand gibt es wieder Impulse. Und es kann noch viel passieren. Da scheinen sich alle sicher zu sein. In Schöneweide ist noch viel Platz für Ideen. Kennmusik Sprecherin vom Dienst: Wenn der Makler dreimal klingelt Berlin Schöneweide kurz vor seiner Entdeckung Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Maximilian Klein Die Zitate sprach Ulrich Lipka Ton: Alexander Brennecke Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2015 Manuskript und das Audio zur Sendung finden Sie im Internet unter deutschlandradiokultur.de 1