KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : Zeitfragen/Literatur T Titel der Sendung : ?Die Heiligkeit der Schrift? Der Bchner-Preistr„ger Rainald Goetz šb Autor/in : Ulrich Rdenauer Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 30.10.2015 Regie : Stefanie Lazai Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschtzt und darf vom Empf„nger ausschlieálich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielf„ltigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die ber den in den õõ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzul„ssig ¸ Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503- Rainald Goetz bum tscha bum tscha bumm tscha bumm verstehe tscha bumtscha bum bum bum tscha bumm genau da bum tscha bum tschabum tscha bum lustig schon irgendwie oder? schon Zitator "Erl”sung gibt es nur im Text." Goetz tscha bumtscha bum bum bum tscha bumm Sprecherin ?Die Heiligkeit der Schrift? ? Eine Sendung ber den Bchner-Preistr„ger Rainald Goetz von Ulrich Rdenauer. Mit den Stimmen von Lutz Hagestedt, Michael Rutschky, Hans-Ulrich Mller-Schwefe und Rainald Goetz. Goetz tscha bumtscha bum bum bum tscha bumm Sprecherin Rainald Goetz, geboren 1954, hat im Jahr 1983, als er zum ersten Mal vernehmlich in der literarischen ™ffentlichkeit von sich reden macht, bereits einen zweifachen Doktor vor seinem Namen stehen. Er ist promovierter Althistoriker und promovierter Mediziner. So kommt er 1983 in Klagenfurt an, um sich mit dem Text ?Subito? am Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis zu beteiligen. Zwar wird er von der Jury nicht ausgezeichnet. Aber der Auftritt macht ihn berhmt. Auch der in Rostock lehrende Literaturwissenschaftler und Goetz-Experte Lutz Hagestedt, damals ein junger Student, war bei diesem Ereignis dabei: Lutz Hagestedt Also war ich in Klagenfurt als Rainald Goetz dort gelesen hat. Und diese Lesung, die war derartig aufregend und ergreifend und bewegend, dass mich diese Lesung sofort fr den Autor eingenommen hat. Bekannt ist ja, dass er bei dieser Gelegenheit einen Text gelesen hat, der bereits diese Situation der Lesung vor Ort in Klagenfurt reflektierte, und dass er w„hrend dieser Lesung sich mit einer Rasierklinge, die er in der hohlen Hand verborgen hielt, die Stirn aufritzte. Rainald Goetz ?Mit meiner Rasierklinge enttarne ich die Lge. Schon schl„ft der erste Kritiker ein, sagte Raspe, oder schon zwei schnarchen mit ihrem Gehirn, w„hrend sie auf das Papier hinschauen. Und einer kratzt sich unter dem Tisch an seinem Sack, weil der ihn juckt. Das kannst du dann nicht kontrollieren, w„hrend du liest, weil du ja voll in Panik bist. W„hrend die, vor denen du deine Panik hast, vor lauter Langeweile vielleicht bloá noch einen Tannreisig im Kopf drin haben, da wo vorher noch ein so genanntes Gehirn gewesen ist. Wenn vorher eines da gewesen ist, das ist ja von Mensch zu Mensch verschieden, was da ist im Kopf, so eine komische Langeweile, so ein staunendes Daá ich jetzt dies Jahr hier schon wieder sitze und schon wieder so ein Bl”del liest, die mssen sich das ja vier Tage soundsoviele Stunden an den Kopf hauen lassen, die ganze Literatenphantasie, so eine Riesenscheiáe, sagte Raspe, und du selber sitzt mitten in der Scheiáe drin, das ist das Gute, das Beste an Klagenfurt ist logisch, daá du selber voll in der Scheiáe sitzt.? Lutz Hagestedt (?) die Stirn ist besonders gut durchblutet, und es blutete auf sein Manuskriptpapier. Er verwischte dann das Blut, auch w„hrend er weiterlas, und die Juroren, ganz prominente Leute, also Marcel Reich-Ranicki und Walter Jens, und ich glaube Gertrud Fussenegger war dabei, waren natrlich entsetzt ber das, was sie da sehen mussten. Und wir auch. Wir, die wir da im Publikum saáen und das gar nicht wahrhaben wollten. Gert Ueding Herr Ueding. Da ist fr mich erst mal gar nichts Originelles dran, und ich sehe bloá den Wutausbruch. Ich sehe, dass hier sich einer auskotzt, und ich sehe, dass einer hier sich auf eine Weise auskotzt, die ich also ausgesprochen (?) peinlich finde.? Lutz Hagestedt Ich wrde sagen, dass diese erste wichtige Kommunikation in Klagenfurt, dass die geglckt ist. Das ist aufgegangen, das Konzept, es hat funktioniert. Und ganz bemerkenswert: Marcel Reich-Ranicki hat sich sofort um diesen Text bemht. W„hrend Walter Jens kreidebleich war und aufstand und nach einem Sanit„ter schrie, hat Marcel Reich-Ranicki ganz cool reagiert und hat gesagt, es geht hier um den Text. Marcel Reich-Ranicki Was ist das: ein ungeheurer Wutausbruch mit einer Provokation nach der andern. Es ist ein Riesenprotest gegen das literarische Leben und darber hinaus ber alle Elemente unseres Kulturlebens. Natrlich, in diesem Protest und mit diesem Protest gegen das literarische Leben entlarvt sich Rainald Goetz als ein typischer Literat. Haben wir es mit einer literarischen Leistung, fragte ich, zu tun. Ich antworte: ja.? Lutz Hagestedt Da ist beides drin in dieser Kommunikationssituation, die wir da sozusagen wie auf einer Theaterbhne erlebt haben, dass man den Autor ernst nimmt, dass man seine Lebensumst„nde ernst nimmt, dass man aber gleichzeitig auch sieht, es ist Literatur. Und diese Literatur versucht eben die Grenzberschreitung zum Leben. Michael Rutschky Er hat sicherlich von Anfang an mit diesem Ich experimentiert. Sprecherin Michael Rutschky, Essayist. Freund und Mentor von Rainald Goetz in den frhen achtziger Jahren. Michael Rutschky Und das war ja auch lustig bei Klagenfurt, dass eigentlich die Kritiker und die Reporter dachten, das ist ein pers”nlich hochgef„hrdeter Mensch, der also diese dramatische Blutaktion aus inneren, quasi pathologischen Grnden machen muss. Dass das ein kalkulierter Akt war, das taucht ? wenn Sie lesen, was darber geschrieben worden ist ? nicht auf. Es ist ja auáerordentlich schwierig zu verstehen, dass jemand eine Rolle spielt und nicht spontan handelt. Aber das war natrlich ein Akt, das hatte er sich genau berlegt. Rutschky ?Das Ganze sei ¯irrsinniger Stress® gewesen? Sprecherin Schreibt Michael Rutschky in seinem Tagebuch aus dem Jahr 1983, das gerade erschienen ist. Rutschky ?Den Text habe [Goetz] auf der Hinfahrt im Auto fertig getippt. Nachdem feststand, dass er erst am Samstag um neun Uhr vormittags lesen wrde, seien [sein Freund] Klaus und er ber Jugoslawien nach Triest gefahren. Geschnitten habe er sich erst ganz zum Schluss w„hrend des Vorlesens. Und das zu tief, wie er gleich bemerkte, weshalb er auf den zweiten Schnitt verzichtete. Reich-Ranicki habe ihn angewidert angeschaut und den Text zu loben begonnen. Das Publikum war im Aufruhr. Er habe, den blutberstr”mten Text in der Hand, den Saal verlassen und sei mit Klaus, der nicht eingeweiht war, ins Hotel gefahren. In sein Zimmer eingeschlossen, habe er sich ausgezogen, die Blutung zum Stillstand gebracht, gebadet. Dauernd klingelte das Telefon: Ob er nicht doch einen Arzt ? Eine nette Frau an der Rezeption habe ihn gewarnt: Ein vom ORF bestellter Psychiater sei mit Polizisten im Anmarsch. So habe er, w„hrend die nette Frau sie aufhielt, das Hotel verlassen und sei mit Klaus weggefahren. Langsam sei der Schmerz verebbt, ebenso die Aufregung, und er habe sich daran erfreuen k”nnen, dass ihm die Sache gelungen war.? Goetz tscha bumtscha bum bum bum tscha bumm Sprecherin Der macht seinen Weg. So heiát ein Text, den Rainald Goetz 1978 im Kursbuch ver”ffentlicht. Der Student lebt in Mnchen. Die frhen Jahre. Die Initiationsjahre des Dichters. Michael Rutschky wird in dieser Zeit zu einer Art Mentor, zu einem Tr”ffner. Rutschky (?) als ich beim Merkur anfing, musste ihm irgendjemand gesagt haben, unterhalte dich doch mal mit dem Rutschky, der ist vielleicht interessant fr dich. Und so sind wir dann aufeinandergestoáen und er hat auch im Merkur publiziert, und wir haben uns dann eng befreundet, und er war eigentlich eine Hauptperson der Mnchener Jahre. Goetz ?Aus der Schule raus, in der ich zuhause war, wenn auch gegen vieles revoltierend, hinein in die Universit„t. Ich bin in vier Jahren hier nicht heimisch geworden. Immer gehe ich allein, genieáe die Freiheit und meine Unabh„ngigkeit. (((An einem Wintertag, w„hrend es drauáen schneit, sitze ich in der Cafeteria des Germanistischen Instituts, neben mir Begráungen, Stimmen, Kommen und Gehen, und ich lese, wie um mein Leben, den letzten Gedichtband von Paul Celan, ein bis zwei Stunden, und die Welt um mich geht mich nichts an.?))) Der macht seinen Weg Ruschky Ganz jung war er eigentlich noch mehr jesusartig unterwegs. Also mit halblangen Haaren und Nickelbrille, und die Verpunkung, die kam ja dann erst sp„ter. Goetz "Seit 1976 literaturkritische und essayistische Ver”ffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften. Seit Winter 1979 DAMAGE. 1980 sehr viel Bier und Blut. 1981 Freizeit 81, LIPSTICK, Tempo Tempo, Anarchie. Derzeit Frechheit 82, es geht vorann, aufwiedaschann." Lebenslauf, Dissertation Rutschky (?) ich hatte damals auch einen Fernsehfilm gemacht, in dem er eine Hauptrolle spielt, und da schneidet er sich vor laufender Kamera in den Unterarm, so ein Anarcho-A. Goetz ?Nichts ist mehr einfach, wenn man viel liest, kein Problem, keine Alternative ist mit fnf lauten Worten und noch mehr šberzeugung, mit Glaubenss„tzen und Denkschablonen zu l”sen und aus der Welt zu schaffen. Das ruhige Nachvollziehen kontr„rer Gedanken oder widersprchlichster Gefhlserfahrungen, diese einsame T„tigkeit auch des Lesens, immer weiter entfernt man sich von den Selbstverst„ndlichkeiten der verschiedenen Gruppen, auch von diesen Gruppen selbst, von der M”glichkeit, in ihnen zu existieren.? Der macht seinen Weg Rutschky Er hat ja dann nicht nur ein bedeutendes literarisches Werk geschaffen, sondern er hat eine Autorenrolle aufgebaut. Hans-Ulrich Mller-Schwefe Ja, es ging eigentlich so los (?), dass Rainald Goetz zuerst im Verlag schriftlich auftauchte, ich glaube mit dem Bericht ?Intensivstation? in einem Sammelband, den Michael Rutschky bei uns rausgab. Sprecherin Hans-Ulrich Mller-Schwefe, Lektor von Rainald Goetz im Suhrkamp Verlag Hans-Ulrich Mller-Schwefe Den hab ich mit ziemlicher Begeisterung gelesen, und einige Zeit sp„ter kam eine Nachricht von Rutschky, Goetz habe ein Buch geschrieben und das liege bei Kiepenheuer & Witsch, und Kiepenheuer & Witsch h„tten auch einen Vertrag gemacht, der sei aber noch nicht unterschrieben, und das sei doch eigentlich was fr Suhrkamp. Daraufhin habe ich mich heftig dafr interessiert und gelesen, war v”llig begeistert, und hab versucht, diese Begeisterung Herrn Unseld zu vermitteln, das hat auch ganz gut geklappt. Und ja, so ging das los. Sprecherin 1983 erscheint Rainald Goetz? erster Roman ?Irre?. Lutz Hagestedt Bei ?Irre?, wir haben es hier (?) mit einem Triptychon zu tun, handelt der erste Teil des Romans in der Psychiatrie (?). Der zweite Teil des Romans bereits auáerhalb oder auf der Grenzlinie zum realen Leben; und der dritte Teil des Romans spielt nur noch im Kulturbetrieb. Und ist quasi das Dokument eines Scheiterns einer Arztpers”nlichkeit, die Raspe heiát, die in dieser Welt der Psychiatrie nicht zurechtgekommen ist und jetzt versucht, in einer Welt des Pop und des Punk aufzugehen. Rainald Goetz Es war nur einfach so, dass die Idee der Medizin eine ideale Berufsidee war und dass sie an den praktischen Erfahrungen in der Psychiatrie auf irgendeine Art zerbrochen ist, dass dann die Vorstellung, man k”nnte beides zusammen machen, so, wie ich das eigentlich w„hrend meines Studiums dachte, schreiben und Arzt sein, an diesen Exklusivit„tsanforderungen, die jeder der beiden Berufe, sowohl die Medizin wie das Schreiben, nach meinen Erfahrungen gestellt hat oder auch aufgeworfen hat, zerbrochen ist, und dann nach einer Phase der Inkubation quasi ist dann dieses andere Leben rausgekommen. Mller-Schwefe Die andere Sache ist, das ist hoffentlich nicht zu sehr aus dem N„hk„stchen geplaudert, dass es von ?Irre? an ein leider irgendwie auch zu wichtiger Aspekt des Lektorats immer war, mit so genannten Stellen umzugehen, d.h. mit Echtnamen, mit Angriffen auf lebende Personen und damit irgendwie zurecht zu kommen, was traut man sich, was traut sich der Verlag, was m”chte man dem Autor ausreden, was kann man ihm nicht ausreden. Zitator ?Und so also zieht die PeinsackParade, Peinsack an Peinsack, jetzt winken sie alle, in der unermdlichen Polonaise durch das deutsche Geistesleben.? Irre Mller-Schwefe Dann gab?s in ?Irre? (?) kommen auch einige Autoren des Verlages nicht durchweg positiv vor. Das ist dann noch einmal ein spezieller Fall, sozusagen Autoren im Verlag sollten sich nicht allzu sehr beharken, normalerweise. Goetz Die Leute, die eben nur ein Text sind, die behandele ich wie ganz reale Leute. Ich behandele jede Begegnung mit einem irgendwo auftretenden Textsender, behandele ich als ein reales Ereignis zwischen Menschen. Und das ist natrlich eine komplett fiktive Basisperspektive. Und das hat mir einen irren Spaá gemacht, wie ich das entdeckt hab, dass das eigentlich der Blick ist, wie man damit arbeiten kann. Hagestedt Er ist ja ein Autor, der unglaublich emotional reagiert oft auf Dinge, die er liest, die er wahrnimmt, die ihn abstoáen, und die artikuliert er sofort. Der hat in seinen Emotionen eine ganz groáe Palette zu bieten. Und ich glaube der erste Zugang bei der pers”nlichen Begegnung ist immer Herzlichkeit. Und die erste Begegnung mit der Schrift ist oft Kritik, auch Widerspruch, auch Konfrontation, Hass ? Hass ist ein ganz wichtiges Wort, das wir noch gar nicht erw„hnt haben. Goetz ?Destruktivit„t und Wut, Verachtung der anderen, das sind Energieelemente, die zum Welteroberungsauftrag der Kunst erforderlich sind.? Schiller-Preisrede Rutschky Der hat sozusagen sich selbst und die literarische ™ffentlichkeit daraufhin abgetastet, was er will, was die will, und dabei ist das dann rausgekommen. Zitator ?All mein Sinnen: Ich nur ich Mein ganzes Trachten: Arbeit All mein Streben: Welt? Kronos Mller-Schwefe (?) wenn das Ich spricht, spricht Goetz, der wirkliche Goetz, aber der spricht eben als Autor, da spricht der Knstler, das ist von A bis Z und immer klar. (?) das sind keine privaten Einlassungen, gibt?s nicht. Lutz Hagestedt Ich wrde sagen, dass es sich immer um Identit„tskonstruktionen handelt. Bei manchen Texten ist es so, dass die Konstruktion so nahe an der authentischen Person dran ist, dass man es keinem Leser verbeln kann, wenn er glaubt, den Autor selbst vor sich zu haben. Zitator ?Also ich glaube an die Konstruktion dieser Form, an konstruierte Authentizit„t. Ich glaube natrlich nicht, daá es je im Text eine wirkliche, wahre, unmittelbare Authentizit„t geben k”nnte. Aber ich glaube daran, daá es richtig ist, daá man als einzelner Leser, als Schreiber genau diese Frage sich stellt: wer bist du? Ganz direkt.? Jahrzehnt der sch”nen Frauen Goetz tscha bumtscha bum bum bum tscha bumm Goetz ?Alles, was man weiá, vergessen. Immer neu loslegen wie neu. Als ich diese Selbstanfeuerungss„tze schrieb, im Winter 83, 84 in New York, war ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich komplett am Ende. Es war mein erstes Buch ?Irre? erschienen, und ich war nach New York gegangen, eigentlich vor allem um rauszufinden, wie es jetzt weitergehen sollte. Ich war in einem Zustand von Totheit, so etwas kannte ich noch nicht. Das hatte ich noch nie erlebt. Beim ersten Mal, nach dem ersten Buch ist dieser resultierende Zustand einer wirklich endgltigen (sic!) VERNICHTUNG von allem, was man ist und je war, eine Art Ankunft im Tod, grausam, wirklich grausam. Und das geht, ganz zugespitzt gesagt, auch nie mehr weg.? Poetikvorlesungen Sprecherin Kunst als Beruf, Kunst als Obsession. Rainald Goetz ist nun Autor. Eine radikale Lebensentscheidung. Es ist ein dialektisches Toben im Schreibenden, eine Spannung, die immer wieder ausgehalten und in Sprache bersetzt werden muss. Jedem Satz bei Goetz l„sst sich diese Zerrissenheit und Unbedingtheit anmerken, in jedem Satz muss alles enthalten sein und sein Gegenteil gleich mit. Goetz ?Wenn man danach, und das war bei mir zun„chst berhaupt nicht klar zu dem Zeitpunkt, dieses Leben im Schreiben nicht abbricht, sondern fortsetzt, dann heiát das: Akzeptanz von Tod. Und zwar auf einem Lebenslevel, der Reife und ein Erwachsensein beinhaltet, ein Anerkennen des endgltig Nichtvorl„ufigen des Lebens, fr das man sich entschieden hat, und die Einsicht in die von daher kommende Tragik von ALLEM. Poetikvorlesungen Goetz ?Dem Zermalmenden, Erobernden, alles an sich Reiáenden und Unterwerfenden, Zerlegenden und Einordnenden des Klugen muá im Geistigen eine Art Scheu, Zurckzucken, etwas sehr Unherrscherliches und Unherrliches dauernd zur Seite sein und beistehen, eine Art Trauer des Geistes, die irgendwo ganz aus den Tiefen der dauernden N„he von Wahrheit und Irren kommt. Die andererseits auch nicht mit ZU viel Weisheit und Resignation die ausgreifenden Abenteuer des Scharfsinns von vorneherein denunziert und entmutigt. Dauernd mssen diese widersprchlichen Dinge eben gleichzeitig stattfinden, ablaufen, ohne sich gegenseitig zu neutralisieren (?).? Zitator ?Von auáen aus gesehen ist man ein junger Schriftsteller, doch man selbst weiá, wie ernst, ganz und gar unjung und unanf„nglich die Lage wirklich ist. Zu dem Zeitpunkt, wo man sich also die Ambition, ein solches Leben in der Kunst zu leben zuspricht, weiá man genau, in welches Existenzfeld, in welche Geschichte, in welche Konkurrenz und in welches Alles oder Nichts man sich damit begibt.? Poetikvorlesungen Goetz ?Wozu ist Kunst eigentlich da? Daá wir die Welt besser verstehen. Die Antwort kommt mir selber biáchen komisch vor, aber ich glaube, das ist der Spaá, der fr mich von Kunst ausgeht.? Hagestedt (?) Niklas Luhmann. Mit dem hat er sich getroffen. Und sie haben darber gesprochen, was eigentlich Kunst ist. Dann hat er den Goetz gefragt, was ist denn das Medium der Kunst eigentlich, und dann hat der Goetz gesagt, das ist Sch”nheit. Und dann hat Luhmann gesagt, das glaube ich nicht. Denn es gibt auch eine Žsthetik des H„sslichen. Also Kunst geht auf keinen Fall in Sch”nheit auf. Und Luhmann ist zu der These gelangt, und die finde ich toll: Kunst ist Stimmigkeit. Also, die versucht, selbst, wenn es spr”de ist, wenn es unanschaulich ist, wenn es h„sslich ist, zu einer inneren Stimmigkeit zu finden. Und das versucht der Goetz auch. Diese Bcher sind stimmig, selbst wenn sie ihr eigenes Scheitern erz„hlen, scheinbar, wie ?Rave? beispielsweise. Goetz ?Dann kam eine schnelle Schrittkaskade, sozusagen aus den Rhythmen und Ger„uschen irgendwie hervorgestrzt. Eine Substantivkaskade, die vom Abreiáen und der Geschwindigkeit der Gedanken handelte, in Verbindung mit der Musik, dem Gefhl der Summe der Gegenaspekte, der Totale der Geistessicht im Moment dieser Gleichzeitigkeit und der Wohltat des Automatischen dieses Vorgangs in einem.? Zitator ?Der Kritiker der Faz fhlt sich bei dem Wort Roman an ein ihm entgegenquellendes Sofa erinnert, an etwas Gemtliches. Ich schreibe natrlich einen modernen Roman, was Kaputtes, einen Entwicklungsroman, der die Form des Romans entwickelt, weniger den Helden. Alles zerf„llt.? Jahrzehnt der sch”nen Frauen Hagestedt Wenn sie schildern, dass etwas nicht gelingt, ein Roman nicht glckt, dann ist das auf der dargestellten Welt des Romans so, aber das Buch ist gelungen. Das ist stimmig, fr mich jedenfalls. Zitator ?die Ordnung des Texts seine Augen, sein Wind wie die Seiten sagen: ich bins so schaut es hier aus mit oder ohne Geflatter im Block oder pnktlich geordnet, beziffert, panisch vertrackt oder: ganz ruhig, ganz ruhig bedrucktes Papier Sch”nheit hoch zehn beteiligt zu sein an dieser Art Dinge sensationell und jedesmal neu wenn es wieder passiert: einer macht ein Buch auf, Wahnsinn er kuckt und staunt und freut sich er findet was doof und wird wtend er lacht auf und nickt Erkenntnis: heiát unser Gesch„ft? Jahrzehnt der sch”nen Frauen Goetz Oval: Textuell // tscha bumtscha bum bum bum tscha bumm Goetz ?gehet hin und schreibet? Sprecherin Goetz schreibt seit dem Roman ?Irre? aus dem Jahr 1983 manisch. Frs Theater. Prosa. Er macht Musik. Malt. 1986 erscheinen die B„nde ?Krieg? und ?Hirn?. 1988 der Bericht ?Kontrolliert?. Der Zyklus ?Festung? kommt 1993. Ein weiterer Zyklus erscheint 1998/1999 unter dem Titel ?Heute Morgen?, das Resmee der Nachtleben- und Technojahre ? die Erz„hlung ?Rave?, das Internet-Tagebuch ?Abfall fr alle? und die Frankfurter Poetikvorlesungen sind Teil davon. Dann wieder Pause. Eine lange Pause. Es gibt Gerchte ber das Scheitern eines groáen Romanprojekts zur deutschen Politik in den Nullerjahren. Der vorerst letzte Werkkomplex ? unter der laufenden Nummer 6 ? erscheint ab 2007, endend mit dem Roman ?Johann Holtrup? im Jahr 2012. Mller-Schwefe Im Augenblick (?) ist auch wieder so eine Wartezeit. Aber es ist nicht die erste Wartezeit. Das ist eine der wenigen Sachen, die dabei helfen, beim Warten. (?) Und wenn es kommt, kommt dann ja oft, wie man sehen kann, kommt dann ja oft ziemlich viel auch in ziemlich kurzen Abst„nden hintereinander. Goetz Ich habe wirklich lange Jahre berhaupt nichts geschrieben, und die Leute haben sich gefragt, was ist los. Und ich habe ber lange Jahre hinweg an diesem Buch ?Rave? zum Beispiel geschrieben. Das kann sich dann keiner vorstellen, dass man das Buch schreibt, dass man an einem anderen arbeitet, an einem Theaterstck, dass man in alle m”glichen Richtungen Notizen macht ber Jahre hinweg, und dass es einem nicht gelingt sozusagen, textlich die Fáe auf den Boden zu kriegen, und dass man dann eben den Punkt, von dem aus die Sache funktioniert, irgendwie hat. Und dann erscheint das irgendwie. Zitator ?Man muss in einem irren Wahn leben, um selber Bcher schreiben zu k”nnen (?).? Loslabern Goetz Diese Alltagsgebete, die das t„gliche Leben mit sich bringt, die t„glich gleich? diese Liturgien des Alltags, die faszinieren mich eben genauso wie eine sch”ne Zeile aus einem Celan-Gedicht oder so. Hagestedt Ja, das ist sicherlich das wichtigste Verh„ltnis, also, die Schrift, die Literatur ist dann doch das h”chste Medium. Goetz Sozusagen jedes Wort ist gleichgewichtig. Und mit dieser Perspektive der Gleichgewichtigkeit der Worte, aus der heraus l„sst man dann die Sprache eben agieren. Hagestedt Er findet eben Erl”sung nur in der Schrift, weil er glaubt, dass andere Medien dieses spezifische Weltverh„ltnis, das wir haben ? Sloterdijk hat das einmal so bezeichnet: ?Zur Welt kommen, zur Sprache kommen? -, dass wir dieses Weltverh„ltnis nicht besser ausdrcken k”nnen als mit Schrift. Zitator ?Die Heiligkeit der Schrift gilt fr alle Texte, fr jeden Buchstaben.? Jahrzehnt der sch”nen Frauen O-Ton 38 Mller-Schwefe Sicher, die heilige Schrift? als h„tte er alles im Blick und versucht, sich zu allem ein Bild zu machen oder was zu gestalten oder seine Vorstellung irgendwie einzubringen und auch durchzusetzen und eben bis hin in die Gestaltung, und das tut er auch. Goetz Das ist das Faszinierende an STIL: daá man darauf eigentlich gar keinen Einfluá hat; daá es etwas v”llig Žuáerliches, Evidentes, zugleich fast Unbeschreibliches ist; und daá sich darin dennoch wie in der Stimme oder in der Gestik ALLES Innere befindet und ausspricht und zeigt. Hagestedt Es gibt den sehr abstrakten Goetz auf der einen Seite. Man versteht gar nicht, was er sagen will. Man muss sich wirklich hineinknien in den Text. Und diesen sehr konkreten Goetz auf der anderen Seite, der unsere Alltagswirklichkeit abbildet bis in den Bon, den er beim Edeka in die Hand bekommen hat und der ihm sagt, um wie viel Uhr er welche Br”tchen gekauft hat, bis in diese Konkretion hinein geht es ja bei ihm. Er ist also einerseits ein auf Authentizit„t geeichter Autor, und andererseits ist er ein experimentell abstrakter Autor. Beides ist er. Goetz Oval: Textuell // tscha bumtscha bum bum bum tscha bumm Sprecherin Goetz als Klassiker. Im Pantheon der Gegenwartsliteratur angekommen. Am 31. Oktober wird ihm in Darmstadt der Georg-Bchner-Preis verliehen. Als Elfriede Jelinek 1998 den Bchner-Preis erh„lt und in ihrer Dankesrede darauf hinweist, Bchner sei heute unerreichbar, erwidert Goetz im Internet-Tagebuch: Zitator "Stimmt doch gar nicht. Bchner ist herrlich, gerade wenn man jung ist und extrem erreichbar. Sofort ist er Bruder, ganz nah. Er schickt einen los, wie andere junge, speziell jung kaputte Schreiber auch. Und man selber denkt: ich auch, so ist das Gefhl, so mache ich es auch. Und genau so macht man es dann." Abfall fr alle Hagestedt Dieser Bchner genauso wie der Goetz, die wollen unter die Haut gucken, die wollen sehen, wie sich sozusagen der Gedanke formiert unter dieser Haut, subkutan. Und dann sind diese Figuren, die uns Bchner schildert und die uns Goetz schildert immer auch bedrohte Existenzen, in vielerlei Hinsicht, sozial bedroht, aber auch psychisch bedroht, sind Leute, die sehr stark konfligieren mit der Welt, in der sie leben. Es sind Grenzg„nger. Dann natrlich, dass der Bchner wie der Goetz unterschiedliche literarische Formen bedient haben und bedienen, auch experimentell, auch immer gelieb„ugelt haben wie auch die Romantiker mit dem Fragment. Auch gerade dieser jugendliche Aufbruch, das ist die Formierungsphase, die Jugend, in der sich entscheidet, was aus jemandem wird. Michael Rutschky Er hat den Typus des deutschen Dichters, also von H”lderlin, Kleist bis Rainald Goetz auf den neuesten Stand gebracht, und deshalb ist es auch nur richtig, dass er den Bchner-Preis kriegt. Bchner geh”rt ja auch zur Kategorie des Jungdichters. Es ist eigentlich nur ein bisschen sp„t. Er h„tte ihn eigentlich vor 20 Jahren bekommen mssen, die Akademie h„tte eigentlich vor 20 Jahren merken sollen, oha, da passiert was. Und das ist ja auch eine sehr interessante Rolle, die er da konstruiert hat. So eine Mischung aus, sagen wir mal, Rilke oder Peter Handke, er kann ja poetisch unglaubliche Evidenzen erzeugen, Andreas Baader und Andy Warhol. Und das ist so die Rolle, die er kreiert hat und durch die er bekannt geworden ist, und das ist ja ein ordentliches Stck Arbeit, das man da investieren muss, um sowas zustande zu bringen. Mller-Schwefe Das Interessantere ist, dass Teile der Kritik viele Jahre ? und bis heute gibt?s da noch garantiert genug, die mit Goetz nicht viel anfangen k”nnen, das ist fr die ein wildgewordener Journalist, so ungef„hr, und nicht so richtig ernst zu nehmen, nicht so die richtige, seri”se, gesetzte, richtige, anst„ndige, groáe usw. Erz„hlliteratur, die man da gerne haben m”chte. Und genau diese Widerst„nde, also das vermute ich, vermute ich aber nicht nur, ich hab ein paar kleine Informationen in den vergangenen Jahren gehabt, die gab?s auch in der Jury des Bchnerpreises. Da hab ich den Kopf geschttelt und hab gedacht, ja, Leute, Bchner, Goetz? aber ihr, was macht ihr eigentlich. Goetz ?dann ging ich raus pl”tzlich war es still und diese Stille Ruhe auch in mir und ich atmete ein ich blieb stehen, ich lauschte und dachte: ja genau sehr geil jetzt, diese Ruhe pl”tzlich die Stille, das auf mich zu von den Nichtworten her verrckt, der Mensch, ja was man so macht, alles wie man lebt, dieses viele und wie man das berhaupt aush„lt als so ein einer in sich, wo genau und wie, wie geht das? das Halten der Gewalten wer tut das? wer ist da in mir? dieser Tragende der so vieles tut und tr„gt und dauernd macht und meldet, klaglos meistens, toll? 1